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C. M. Wielands Werke.

Vierzehnter Band.

Leipzig.G. J. Göschen'sche Verlagshandlung.1855.
Buchdruckerei der J. G. Cotta'schen Buchhandlung in Stuttgart und Augsburg.

Inhalt

des zweiten Theils.Seite

Viertes Buch. 
Der Proceß um des Esels Schatten.Erstes Kap. 
Veranlassung des Processes und Facti Species . . . . . .3
Zweites Kap.Verhandlung vor dem Stadtrichter Philippides7
Drittes Kap.Wie die Parteien sich höhern Orts um 
Unterstützung bewerben . . . . . . . . . . . . . . . .  12
Viertes Kap. Gerichtliche Verhandlung. Relation des 
Beisitzers Miltias. Urthel, und was daraus erfolgt . . .19
Fünftes Kap. Gesinnungen des Senats. Tugend der schönen
Gorgo und ihre Wirkungen. Der Priester Strobylus tritt
auf, und die Sache wird ernsthafter . . . . . . . . . . 26
Sechstes Kap. Verhältniß des Latonentempels zum Tempel 
des Jason. Contrast in den Charakteren des Oberpriesters 
Strobylus und des Erzpriesters Agathyrsus. Strobylus 
erklärt sich für die Gegenpartei des letztern, und wird 
von Salabanda unterstützt, welche eine wichtige Rolle 
in der Sache zu spielen anfängt . . . . . . . . . . . . 29
Siebentes Kap. Ganz Abdera theilt sich in zwei Parteien. 
Die Sache kommt vor Rath . . . . . . . . . . . . . . . .37
Achtes Kap. Gute Ordnung in der Kanzlei von Abdera.
Seite Präjudicialfälle, die nichts ausmachen. Das Volk 
will das Rathhaus stürmen, und wird von Agathyrsus 
besänftigt. Der Senat beschließt, die Sache dem großen 
Rath zu überlassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .43
Neuntes Kap. Politik beider Parteien. Der Erzpriester 
verfolgt seinen erhaltenen Vortheil. Die Schatten ziehen 
sich zurück.Der entscheidende Tag wird festgesetzt .  . 53
Zehntes Kap. Was für eine Mine der Priester Strobylus 
gegen seinen Collegen springen läßt. Zusammenberufung 
der Zehnmänner. Der Erzpriester wird vorgeladen, findet 
aber Mittel, sich sehr zu seinem Vortheil aus der 
Sache zu ziehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63
Eilftes Kap. Agathyrsus beruft seine Anhänger zusammen.
Substanz seiner Rede an sie. Er ladet sie zu einem großen
Opferfest ein. Der Archon Onolaus will sein Amt
niederlegen. Unruhe der Partei des Erzpriesters über
dieses Vorhaben. Durch was für eine List sie solches 
vereiteln  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .74
Zwölftes Kap. Der Entscheidungstag. Maßregeln beider 
Parteien. Die Vierhundert versammeln sich, und das Gericht
nimmt seinen Anfang. Philantropisch-patriotische Träume
des Herausgebers dieser merkwürdigen Geschichte . . . . 83
Dreizehntes Kap. Rede des Sykophanten Physignatus . . . 90
Vierzehntes Kap. Antwort des Sykophanten Polyphonus . . 102
Fünfzehntes Kap. Bewegungen, welche die Rede des Polyphonus
Seite verursachte. Nachtrag des Sykophanten Physignatus. 
Verlegenheit der Richter . . . . . . . . . . . . . . . .108
Sechzehntes Kap. Unvermuthete Entwickelung der ganzen 
Komödie und Wiederherstellung der Ruhe in Abdera . . . .113
Fünftes Buch. Die Frösche der Latona.Erstes Kap. 
Erste Quelle des Uebels, welches endlich den Untergang
der Abderitischen Republik nach sich zog. Politik
des Erzpriesters Agathyrsus. Er läßt einen eignen öffentlichen
Froschgraben anlegen. Nähere und entferntere Folgen
dieses neuen Instituts . . . . . . . . . . . . . . . . .119
Zweites Kap. Charakter des Philosophen Korax. Nachrichten
von der Akademie der Wissenschaften zu Abdera. Korax
wirft in derselben eine verfängliche Frage in Betreff 
der Latonenfrösche,und sich selbst zum Haupt der Gegenfröschler
auf. Betragen der Latonenpriester gegen diese Secte,
und wie sie bewogen wurden, selbige für unschädlich 
anzusehen . . . . . . . . . . .  . . . . . . . . . . . .127
Drittes Kap. Ein unglücklicher Zufall nöthigt den Senat von
der unmäßigen Froschmenge in Abdera Notiz zu nehmen.
Unvorsichtigkeit des Rathsherrn Meidias. Die Majora beschließen
ein Gutachten der Akademie einzuholen. Der
Nomophylax Hypsiboas protestirt gegen diesen Schluß,
und eilt den Oberpriester Stilbon dagegen in Bewegung
zu setzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134
Viertes Kap. Charakter und Lebensart des Oberpriesters Stilbon.
Seite
Verhandlung zwischen den Latonenpriestern und den Rathsherren
von der Minorität. Stilbon sieht die Sache aus
einem eignen Gesichtspunkt an, und geht dem Archon selbst
Vorstellungen zu machen. Merkwürdige Unterredung zwischen
den Zurückgebliebenen . . . . . . . . . . .  . . . . . .141
Fünftes Kap. Was zwischen dem Oberpriester und dem Archon
vorgefallen — eines der lehrreichsten Kapitel in dieser 
ganzen Geschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151
Sechstes Kap. Was der Oberpriester Stilbon that, als er wieder
nach Hause gekommen war . . . . . . . 159
Siebentes Kap. Auszüge aus dem Gutachten der Akademie.
Ein Wort über die Absichten, welche Korax dabei gehabt,
mit einer Apologie, woran Stilbon und Korax gleich viel
Antheil nehmen können . . . . . . . . . . 167
Achtes Kap. Das Gutachten wird bei Rath verlesen, und nach
verschiednen heftigen Debatten einhellig beschlossen,daß es
den Latonenpriestern communicirt werden sollte . . 182
Neuntes Kap. Der Oberpriester Stilbon schreibt ein sehr dickes
Buch gegen die Akademie. Es wird von niemand gelesen:
im übrigen aber bleibt vor der Hand alles beim Alten187
Zehntes Kap. Seltsame Entwickelung dieses ganzen 
tragikomischen Possenspiels . . . . . . . . . . . . 192
Der Schlüssel zur Abderitengeschichte . . . . . . . 201

Geschichte der Abderiten.

Zweiter Theil.

Viertes Buch.

Der Proceß um des Esels Schatten.

Erstes Kapitel.

Veranlassung des Processes und Facti Species.

Kaum hatten sich die guten Abderiten von dem wunderbaren Theaterfieber, womit sie des ehrlichen, arglosen Euripides Götter- und Menschenherrscher Amor heimgesucht hatte, wieder ein wenig erholt; kaum sprachen die Bürger wieder in Prosa mit einander auf den Straßen, kaum verkauften die Droguisten wieder ihre Niesewurz, schmiedeten die Waffenschmiede wieder ihre Rappiere und Transchirmesser, machten sich die Abderitinnen wieder keusch und emsig an ihr Purpurgewebe, und warfen die Abderiten ihr leidiges Haberrohr weg, um ihren verschiednen Berufsarbeiten wieder mit ihrem gewöhnlichen guten Verstande obzuliegen: als die Schicksalsgöttinnen ganz insgeheim, aus dem schalsten, dünnsten, unhaltbarsten Stoffe, der jemals von Göttern oder Menschen versponnen worden ist, ein so verworrenes Gespinnst von Abenteuern, Händeln, Verbitterungen, Verhetzungen, Cabalen, Parteien und anderm Unrath heraus zogen, daß endlich ganz Abdera davon umwickelt wurde, und, da das heillose Zeug durch die unbesonnene Hitze der Helfer und Helfershelfer nun gar in Flammen gerieth, diese berühmte Republik darüber beinahe, und vielleicht gänzlich, zu Grunde gegangen wäre, wofern sie nach des Schicksals Schluß durch eine geringere Ursache als — Frösche und Ratten hätten vertilgt werden können.Die Sache fing sich (wie alle großen Weltbegebenheiten) mit einer sehr geringfügigen Veranlassung an. Ein gewisser Zahnarzt, Namens Struthion, von Geburt und Voreltern aus Megara gebürtig, hatte sich schon seit vielen Jahren in Abdera häuslich niedergelassen; und weil er vielleicht im ganzen Lande der einzige von seiner Profession war, so erstreckte sich seine Kundschaft über einen ansehnlichen Theil des mittäglichen Thracien. Seine gewöhnliche Weise, denselben in Contribution zu sehen, war, daß er die Jahrmärkte aller kleinen Städte und Flecken auf mehr als dreißig Meilen in der Runde bereiste, wo er, neben seinem Zahnpulver und seinen Zahntincturen, gelegentlich auch verschiedene Arcana wider Milz- und Mutterbeschwerungen, Engbrüstigkeit, böse Flüsse u. s. w. mit ziemlichem Vortheil absetzte. Er hatte zu diesem Ende eine wohlbeleibte Eselin im Stalle, welche bei solchen Gelegenheiten zugleich mit seiner eignen kurz-dicken Person, und mit einem großen Quersack voll Arzneien und Lebensmittel beladen wurde.Nun begab sich's einsmals, da er den Jahrmarkt zu Gerania besuchen sollte, daß seine Eselin Abends zuvor ein Füllen geworfen hatte, folglich nicht im Stande war, die Reise mitzumachen. Struthion miethete sich also einen andern Esel, bis zu dem Orte, wo er sein erstes Nachtlager nehmen wollte, und der Eigenthümer begleitete ihn zu Fuße, um das haftbare Thier zu besorgen und wieder nach Hause zu reiten. Der Weg ging über eine große Haide. Es war mitten im Sommer und die Hitze des Tages sehr groß. Der Zahnarzt, dem sie unerträglich zu werden anfing, sah sich lechzend nach einem schattigen Platz um, wo er einen Augenblick absteigen und etwas frische Luft schöpfen könnte. Aber da war weit und breit weder Baum noch Staude, noch irgend ein andrer schattengebender Gegenstand zu sehen. Endlich, als er seinem Leibe keinen Rath wußte, machte er Halt, stieg ab, und setzte sich in den Schatten des Esels.Nu, Herr, was macht ihr da, sagte der Eseltreiber, was soll das?Ich setze mich ein wenig in den Schatten, versetzte Struthion, denn die Sonne prallt mir ganz unleidlich auf den Schädel.Nä, mein guter Herr, erwiederte der andre, so haben wir nicht gehandelt! Ich vermiethete euch den Esel, aber des Schattens wurde mit keinem Worte dabei gedacht.Ihr spaßt, guter Freund, sagte der Zahnarzt lachend; der Schatten geht mit dem Esel, das versteht sich.Ei, beim Jason! das versteht sich nicht, rief der Eselmann ganz trotzig; ein andres ist der Esel, ein andres ist des Esels Schatten. Ihr habt mir den Esel um so und so viel abgemiethet. Hättet ihr den Schatten auch dazu miethen wollen, so hättet ihr's sagen müssen. Mit Einem Wort, Herr, steht auf und setzt eure Reise fort, oder bezahlt mir für des Esels Schatten was billig ist.Was? schrie der Zahnarzt, ich habe für den Esel bezahlt, und soll jetzt auch noch für seinen Schatten bezahlen? Nennt mich selbst einen dreifachen Esel wenn ich das thue! Der Esel ist einmal für diesen ganzen Tag mein, und ich will mich in seinen Schatten setzen so oft mir's beliebt, und darin sitzen bleiben so lange mir's beliebt, darauf könnt ihr euch verlassen!Ist das im Ernst eure Meinung? fragte der andre mit der ganzen Kaltblütigkeit eines Abderitischen Eseltreibers.In ganzem Ernste, versetzte Struthion.So komme der Herr nur gleich stehenden Fußes wieder zurück nach Abdera vor die Obrigkeit, sagte jener, da wollen wir sehen wer von uns beiden Recht behalten wird. So wahr Priapus mir und meinem Esel gnädig sey, ich will sehen, wer mir den Schatten meines Esels wider meinen Willen abtrotzen soll!Der Zahnarzt hatte große Lust, den Eseltreiber durch die Stärke seines Arms zur Gebühr zu weisen. Schon ballte er seine Faust zusammen, schon hob sich sein kurzer Arm; aber als er seinen Mann genauer ins Auge faßte, fand er für besser den erhobnen Arm allmählich wieder sinken zu lassen, und es noch einmal mit gelindern Vorstellungen zu versuchen. Aber er verlor seinen Athem dabei. Der ungeschlachte Mensch bestand darauf, daß er für den Schatten seines Esels bezahlt seyn wollte; und da Struthion eben so hartnäckig dabei blieb nicht bezahlen zu wollen, so war kein andrer Weg übrig, als nach Abdera zurückzukehren, und die Sache bei dem Stadtrichter anhängig zu machen.

Zweites Kapitel.

Verhandlung vor dem Stadtrichter Philippides.

Der Stadtrichter Philippides, vor welchen alle Händel dieser Art in erster Instanz gebracht werden mußten, war ein Mann von vielen guten Eigenschaften; ein ehrbarer, nüchterner, seinem Amte fleißig vorstehender Mann, der jedermann mit großer Geduld anhörte, den Leuten freundlichen Bescheid gab, und in allgemeinem Rufe stand, daß er unbestechlich sey. Ueberdieß war er ein guter Musikus, sammelte Naturalien, hatte einige Schauspiele gemacht, die, nach Gewohnheit der Stadt, sehr wohl gefallen hatten, und war beinahe gewiß, beim ersten Erledigungsfalle Nomophylax zu werden.Bei allen diesen Verdiensten hatte der gute Philippides nur einen einzigen kleinen Fehler, und der war: daß, so oft zwei Parteien vor ihn kamen, ihm allemal derjenige Recht zu haben schien, der zuletzt gesprochen hatte. Die Abderiten waren so dumm nicht daß sie das nicht gemerkt hätten: aber sie glaubten, einem Manne, der so viele gute Eigenschaften besitze, könne man ja wohl einen einzigen Fehler zu gut halten. Ja, sagten sie, wenn Philippides diesen Fehler nicht hätte, er wäre der beste Stadtrichter den Abdera jemals gesehen hat!Indessen hatte doch der Umstand, daß dem ehrlichen Manne immer beide Parteien Recht zu haben schienen, natürlicherweise die gute Folge, daß ihm nichts angelegner war, als die Händel, die vor ihn gebracht wurden, in Güte auszumachen; und so würde die Blödigkeit des guten Philippides ein wahrer Segen für Abdera gewesen seyn, wenn die Wachsamkeit der Sykophanten, denen mit seiner Friedfertigkeit übel gedient war, nicht Mittel gefunden hätte, ihre Wirkung fast in allen Fällen zu vereiteln.Der Zahnarzt Struthion und der Eseltreiber Anthrax kamen also wie brennend vor diesen würdigen Stadtrichter gelaufen, und brachten beide zugleich mit großem Geschrei ihre Klage vor. Er hörte sie mit seiner gewöhnlichen Langmuth an; und, da sie endlich fertig oder des Schreiens müde waren, zuckte er die Achseln, und der Handel däuchte ihm einer der verworrensten von allen die ihm jemals vorgekommen. Wer von euch beiden ist denn eigentlich der Kläger? fragte er.Ich klage gegen den Eselmann, antwortete Struthion, daß er unsern Contract gebrochen hat. Und ich, sagte dieser, klage gegen den Zahnarzt, daß er sich unentgeltlich einer Sache angemaßt hat die ich ihm nicht vermiethet hatte.Da haben wir zwei Kläger, sagte der Stadtrichter, und wo ist der Beklagte? Ein wunderlicher Handel! Erzählt mir die Sache noch einmal mit allen Umständen — aber einer nach dem andern — denn es ist unmöglich klug daraus zu werden, wenn beide zugleich schreien.Hochgeachteter Herr Startrichter, sagte der Zahnarzt, ich habe ihm den Gebrauch des Esels auf einen Tag abgemiethet. Es ist wahr, des Esels Schatten wurde dabei nicht erwähnt. Aber wer hat auch jemals gehört, daß bei einer solchen Miethe eine Clausel wegen des Schattens wäre eingeschaltet worden? Es ist ja, beim Hercules! nicht der erste Esel, der zu Abdera vermiethet wird.Da hat der Herr Recht, sagte der Richter.Der Esel und sein Schatten gehen miteinander (fuhr Struthion fort) und warum sollte der, der den Esel selbst gemiethet hat, nicht auch den Nießbrauch seines Schattens haben?Der Schatten ist ein Accessorium, das ist klar, versetzte der Stadtrichter.Gestrenger Herr, schrie der Eseltreiber, ich bin nur ein gemeiner Mann, und verstehe nichts von euren Arien und Orien. Aber das geben mir meine vier Sinne, daß ich nicht schuldig bin meinen Esel umsonst in der Sonne stehen zu lassen, damit sich ein andrer in seinen Schatten setze. Ich habe dem Herrn den Esel vermiethet, und er hat mir die Hälfte voraus bezahlt; das gesteh' ich. Aber ein andres ist der Esel, ein andres ist sein Schatten.Auch wahr, murmelte der Stadtrichter.Will er diesen haben, so mag er halb so viel dafür bezahlen als für den Esel selbst; denn ich verlange nichts als was billig ist, und ich bitte mir zu meinem Rechte zu verhelfen.Das Beste, was ihr hierbei thun könnt, sagte Philippides, ist, euch in Güte mit einander abzufinden. Ihr, ehrlicher Mann, laßt immerhin des Esels Schatten, weil es doch nur ein Schatten ist, mit in die Miethe gehen; und ihr, Herr Struthion, gebt ihm eine halbe Drachme dafür: so können beide Theile zufrieden seyn.Ich gebe nicht den vierten Theil von einem Blaffert, schrie der Zahnarzt, ich verlange mein Recht!Und ich, schrie sein Gegenpart, besieh' auf dem meinigen. Wenn der Esel mein ist, so ist der Schatten auch mein, und ich kann damit als mit meinem Eigenthum schalten und walten; und weil der Mann da nichts von Recht und Billigkeit hören will, so verlang' ich jetzt das Doppelte, und ich will doch sehen ob noch Justiz in Abdera ist!Der Richter war in großer Verlegenheit. Wo ist denn der Esel? fragte er endlich, da ihm in der Angst nichts andres einfallen wollte, um etwas Zeit zu gewinnen."Der steht unten auf der Gasse vor der Thüre, gestrenger Herr!"Führt ihn in den Hof herein, sagte Philippides.Der Eigenthümer des Esels gehorchte mit Freuden; denn er hielt es für ein gutes Zeichen, daß der Richter die Hauptperson im Spiele sehen wollte. Der Esel wurde herbeigeführt. Schade, daß er seine Meinung nicht auch zu der Sache sagen konnte! Aber er stand ganz gelassen da, schaute mit gereckten Ohren erst den beiden Herren, dann seinem Meister ins Gesicht, verzog das Maul, ließ die Ohren wieder sinken, und sagte kein Wort.Da seht nun selbst, gnädiger Herr Stadtrichter, rief Anthrax, ob der Schatten eines so schönen, stattlichen Esels nicht seine zwei Drachmen unter Brüdern werth ist, zumal an einem so heißen Tage wie der heutige?Der Stadtrichter versuchte die Güte noch einmal, und die Parteien fingen schon an es allmählich näher zu geben: als unglücklicherweise Physignatus und Polyphonus, zwei von den namhaftesten Sykophanten in Abdera, dazu kamen, und, nachdem sie gehört wovon die Rede war, der Sache auf einmal eine andere Wendung gaben.Herr Struthion hat das Recht völlig auf seiner Seite, sagte Physignatus, der den Zahnarzt für einen wohlhabenden und dabei sehr hitzigen und eigensinnigen Mann kannte. Der andre Sykophant, wiewohl ein wenig verdrießlich, daß ihm sein Handwerksgenosse so eilfertig zuvorgekommen war, warf einen Seitenblick auf den Esel, der ihm ein hübsches wohlgenährtes Thier zu seyn schien, und erklärte sich sogleich mit dem größten Nachdruck für den Eseltreiber. Beide Parteien wollten nun kein Wort mehr vom Vergleichen hören, und der ehrliche Philippides sah sich genöthigt, einen Rechtstag anzusetzen. Sie begaben sich hierauf jeder mit seinem Sykophanten nach Hause; der Esel aber mit seinem Schatten, als dem Object des Rechtshandels, wurde bis zu Austrag der Sache in den Marstall gemeiner Stadt Abdera abgeführt.
—————

Drittes Kapitel.

Wie die Parteien sich höhern Orts um Unterstützung bewerben.

Nach dem Stadtrechte der Abderiten wurden alle über Mein und Dein unter den gemeinen Bürgern entstandnen Händel vor einem Gerichte von zwanzig Ehrenmännern abgethan, welche sich wöchentlich dreimal in der Vorhalle des Tempels der Nemesis versammelten. Alles wurde, aus billiger Rücksicht auf die Nahrung der Sykophanten, schriftlich vor diesem Gerichte verhandelt; und weil der Gang der Abderitischen Justiz eine Art von Schneckenlinie beschrieb, und sich auch mit der Geschwindigkeit der Schnecke fortbewegte; zumal die Sykophanten nicht eher zum Beschließen verbunden waren, bis sie nichts mehr zu sagen hatten: so währte das Libelliren gemeiniglich so lange, als es die Mittel der Parteien wahrscheinlicher Weise aushalten konnten. Allein dießmal kamen so viele besondere Ursachen zusammen der Sache einen schnellern Schwung zu geben, daß man sich nicht darüber zu verwundern hat, wenn der Proceß über des Esels Schatten binnen weniger als vier Monaten schon so weit gediehen war, daß nun am nächsten Gerichtstage das Endurtheil erfolgen sollte.Ein Rechtshandel über eines Esels Schatten würde sonder Zweifel in jeder Stadt der Welt Aufsehen machen. Man denke also, was er in Abdera thun mußte!Kaum war das Gerücht davon erschollen, als von Stund' an alle andern Gegenstände der gesellschaftlichen Unterhaltung fielen, und jedermann mit eben so viel Theilnehmung von diesem Handel sprach, als ob er ein Großes dabei zu gewinnen oder zu verlieren hätte. Die einen erklärten sich für den Zahnarzt, die andern für den Eseltreiber. Ja, sogar der Esel selbst hatte seine Freunde, welche dafür hielten, daß derselbe ganz wohl berechtigt wäre, interveniendo einzukommen, da er durch die Zumuthung, den Zahnarzt in seinem Schatten sitzen zu lassen und unterdessen in der brennenden Sonnenhitze zu stehen, offenbar am meisten prägravirt worden sey. Mit Einem Worte, der besagte Esel hatte seinen Schatten auf ganz Abdera geworfen, und die Sache wurde mit einer Lebhaftigkeit, einem Eifer, einem Interesse getrieben, die kaum größer hätten seyn können, wenn das Heil gemeiner Stadt und Republik auf dem Spiele gestanden hätte.Wiewohl nun diese Verfahrungsweise überhaupt niemanden, der die Abderiten aus der vorgehenden wahrhaften Geschichtsdarstellung kennen gelernt hat, befremden wird, so glauben wir doch solchen Lesern, welche eine Geschichte nur alsdann recht zu wissen glauben, wenn ihnen das Spiel der Räder und Triebfedern mit dem ganzen Zusammenhange der Ursachen und Folgen einer Begebenheit aufgeschlossen wird, keinen unangenehmen Dienst zu erweisen, wenn wir ihnen etwas umständlicher erzählen, wie es zugegangen, daß dieser Handel — der in seinem Ursprunge nur zwischen Leuten von geringer Erheblichkeit und über einen äußerst unerheblichen Gegenstand vorwaltete — wichtig genug werden konnte, um zuletzt die ganze Republik in seinen Strudel hineinzuziehen.Die sämmtliche Bürgerschaft von Abdera war (wie von jeher die meisten Städte in der Welt) in Zünfte abgetheilt, und vermöge einer alten Observanz gehörte der Zahnarzt Struthion in die Schusterzunft. Der Grund davon war, wie die Gründe der Abderiten immer zu seyn pflegten, mächtig spitzfindig. In den ersten Zeiten der Republik hatte nämlich diese Zunft bloß die Schuster und Schuhflicker in sich begriffen. Nachmals wurden alle Arten von Flickern mit dazu genommen; und so kam es, daß in der Folge auch die Wundärzte, als Menschenflicker, und zuletzt (ob paritatem rationis) auch die Zahnärzte zur Schustergilde geschlagen wurden. Struthion hatte demnach (bloß die Aerzte ausgenommen, mit denen er immer stark über den Fuß gespannt war) die ganze löbliche Schusterzunft, und besonders alle Schuhflicker auf seiner Seite, die (wie man sich noch erinnern wird) einen sehr ansehnlichen Theil der Bürgerschaft von Abdera ausmachten. Natürlicher Weise wandte sich also der Zahnarzt vor allen andern sogleich an seinen Vorgesetzten, den Zunftmeister Pfriem; und dieser Mann, dessen patriotischer Eifer für die Freiheiten der Republik niemanden unbekannt ist, erklärte sich sogleich mit seiner gewöhnlichen Hitze: daß er sich eher mit seiner eigenen Schusterahle erstechen, als geschehen lassen wollte, daß die Rechte und Freiheiten von Abdera in der Person eines seiner Zunftverwandten so gröblich verletzt würden."Billigkeit, sagte er, ist das höchste Recht. Was kann aber billiger seyn, als daß derjenige, der einen Baum gepflanzt hat, wiewohl es dabei eigentlich auf die Früchte angesehen war, nebenher auch den Schatten des Baums genieße? Und warum soll das, was von einem Baume gilt, nicht eben sowohl von einem Esel gelten? Wo, zum Henker, soll es mit unsrer Freiheit hinkommen, wenn einem künftigen Bürger von Abdera nicht einmal frei stehen soll, sich in den Schatten eines Esels zu setzen? Gleich als ob ein Eselsschatten vornehmer wäre als der Schatten des Rathhauses oder Jasontempels, in den sich stellen, setzen und legen mag wer da will. Schatten ist Schatten, er komme von einem Baum oder von einer Ehrensäule, von einem Esel oder von Sr. Gnaden dem Archon selbst! Kurz und gut, setzte Meister Pfriem hinzu, verlaßt euch auf mich, Herr Struthion; der Grobian soll euch nicht nur den Schatten, sondern zu eurer gebührenden Saxfation den Esel noch obendrein lassen, oder es müßte weder Freiheit noch Eigenthum mehr in Abdera seyn; und dahin soll's, beim Element! nicht kommen, so lang' ich der Zunftmeister Pfriem heiße!"Während daß der Zahnarzt sich der Gunst eines so wichtigen Mannes versichert hatte, ließ es der Eseltreiber Anthrax seines Orts auch nicht fehlen, sich um einen Beschützer zu bewerben, der jenem wenigstens das Gleichgewicht halten könnte. Anthrax war eigentlich kein Bürger von Abdera, sondern nur ein Freigelassener, der sich in dem Bezirke des Jasontempels aufhielt; und er stand als ein Schutzverwandter desselben unter der unmittelbaren Gerichtsbarkeit des Erzpriesters dieses bekanntermaßen zu Abdera göttlich verehrten Heros. Natürlicherweise war also sein erster Gedanke, wie er dazu gelangen könnte, daß der Erzpriester Agathyrsus sich seiner mit Nachdruck annehmen möchte. Allein der Erzpriester Jasons war zu Abdera eine sehr große Person, und ein Eseltreiber konnte schwerlich hoffen, ohne einen besondern Canal den Zutritt zu einem Herrn von diesem Range zu erhalten.Nach vielen Berathschlagungen mit seinen vertrautesten Freunden wurde endlich folgender Weg beliebt. Seine Frau, Krobyle genannt, war mit einer Putzmacherin bekannt, deren Bruder der begünstigte Liebhaber des Kammermädchens einer gewissen Milesischen Tänzerin war, welche (wie die Rede ging) bei dem Erzpriester in großen Gnaden stand. Nicht als ob er etwa — wie es zu gehen pflegt — — sonderlich weil die Priester des Jason unverheirathet seyn mußten — Kurz, wie die Welt argwöhnisch ist, man sprach freilich allerlei; aber das Wahre von der Sache ist: der Erzpriester Agathyrsus war ein großer Liebhaber von pantomimischen Solotänzen; und weil er die Tänzerin, um kein Aergerniß zu geben, nicht bei Tage zu sich kommen lassen wollte, so blieb ihm nichts andres übrig, als sie — mit der erforderlichen Vorsicht — bei Nacht durch eine kleine Gartenthür in sein Cabinet führen zu lassen. Da nun einst gewisse Leute eine dicht verschleierte Person in der Morgendämmerung wieder herausgehen gesehen hatten, so war das Gemurmel entstanden, als ob es die Tänzerin gewesen sey, und als ob der Erzpriester eine besondere Freundschaft auf diese Person geworfen habe, welche in der That fähig gewesen wäre, in jedem andern als einem Erzpriester noch etwas mehr zu erregen. — Wie nun dem auch seyn mochte, genug, der Eseltreiber sprach mit seiner Frau, Frau Krobyle mit der Putzmacherin, die Putzmacherin mit ihrem Bruder, der Bruder mit dem Kammermädchen; und, weil das Kammermädchen alles über die Tänzerin vermochte, von welcher vorausgesetzt wurde daß sie alles über den Erzpriester vermöge, der alles über die Magnaten von Abdera und — ihre Weiber vermochte, so zweifelte Anthrax keinen Augenblick, seine Sache in die besten Hände von der Welt gelegt zu haben.Aber unglücklicher Weise zeigte sich's, daß die Favoritin der Tänzerin ein Gelübde gethan hatte, ihre Allvermögenheit eben so wenig unentgeltlich auszuleihen, als Anthrax den Schatten seines Esels. Sie hatte eine Art von Taxordnung, vermöge deren der geringste Dienst, den man von ihr verlangte, wenigstens eine Erkenntlichkeit von vier Drachmen voraussetzte; und im gegenwärtigen Falle war ihr um so weniger zuzumuthen, auch nur eine halbe Drachme nachzulassen, da sie ihrer Schamhaftigkeit eine so große Gewalt anthun sollte, eine Sache zu empfehlen, worin ein Esel die Hauptfigur war. Kurz, die Iris bestand auf vier Drachmen, welches gerade doppelt so viel war, als der arme Mann im glücklichsten Falle mit seinem Proceß zu gewinnen hatte. Er sah sich also wieder in der vorigen Verlegenheit. Denn wie konnte ein schlechter Eseltreiber hoffen, ohne eine haltbarere Stütze als die bloße Gerechtigkeit seiner Sache gegen einen Gegner zu bestehen, der von einer ganzen Zunft unterstützt wurde, und sich überall rühmte daß er den Sieg bereits in Händen habe?Endlich besann sich der ehrliche Anthrax eines Mittels, wie er vielleicht den Erzpriester ohne Dazwischenkunft der Tänzerin und ihres Kammermädchens auf seine Seite bringen könnte. Das Beste daran däuchte ihm, daß er es nicht weit zu suchen brauchte. Ohne Umschweife — er hatte eine Tochter, Gorgo genannt, die, in Hoffnung auf eine oder andre Weise beim Theater unterzukommen, ganz leidlich singen und die Cither spielen gelernt hatte. Das Mädchen war eben keine von den schönsten. Aber eine schlanke Figur, ein Paar schwarze große Augen, und die frische Blume der Jugend ersetzten (seinen Gedanken nach) reichlich was ihrem Gesicht abging; und in der That, wenn sie sich tüchtig gewaschen hatte, sah sie in ihrem Festtagsstaat, mit ihren langen pechschwarzen Haarzöpfen und mit einem Blumenstrauß vor dem Busen, so ziemlich dem wilden Thracischen Mädchen Anakreons ähnlich. Da sich nun bei näherer Erkundigung fand, daß der Erzpriester Agathyrsus auch ein Liebhaber vom Citherspielen und von kleinen Liedern war, deren die junge Gorgo eine große Menge nicht übel zu singen wußte: so machten sich Anthrax und Krobyle große Hoffnung, durch das Talent und die Figur ihrer Tochter am kürzesten zu ihrem Zwecke zu kommen.Anthrax wandte sich also an den Kammerdiener des Erzpriesters, und Krobyle unterrichtete inzwischen das Mädchen, wie sie sich zu betragen hätte, um wo möglich die Tänzerin auszustechen, und von der kleinen Gartenthür ausschließlich Meister zu bleiben.Die Sache ging nach Wunsch. Der Kammerdiener, der durch die Neigung seines Herrn zum Neuen und Mannichfaltigen nicht selten ins Gedränge kam, ergriff diese gute Gelegenheit mit beiden Händen; und die junge Gorgo spielte ihre Rolle für eine Anfängerin meisterlich. Agathyrsus fand eine gewisse Mischung von Unschuld und Muthwillen und eine Art wilder Grazie bei ihr, die ihn reizte weil sie ihm neu war. Kurz, sie hatte kaum zwei- oder dreimal in seinem Cabinette gesungen, so erfuhr Anthrax schon von sichrer Hand, Agathyrsus habe seine gerechte Sache verschiedenen Richtern empfohlen, und sich mit einigem Nachdruck verlauten lassen: wie er nicht gesonnen sey, auch den allergeringsten Schutzverwandten des Jasontempels den Chicanen des Sykophanten Physignatus und der Parteilichkeit des Zunftmeisters Pfriem Preis zu geben.
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Viertes Kapitel.

Gerichtliche Verhandlung. Relation des Beisitzers Miltias. Urthel, und was daraus erfolgt.

Inzwischen war der Gerichtstag herbeigekommen, an dem dieser seltsame Handel durch Urthel und Recht entschieden werden sollte. Die Sykophanten hatten in Sachen geschlossen, und die Acten waren einem Referenten, Namens Miltias, übergeben worden, gegen dessen Unparteilichkeit die Mißgönner des Zahnarztes verschiednes einzuwenden hatten. Denn es war nicht zu läugnen, daß er mit dem Sykophanten Physignatus sehr vertraut umging; und überdieß wurde ganz laut davon gesprochen, daß die Dame Struthion, die für eine von den hübschen Weibern in ihrer Classe galt, ihm die gerechte Sache ihres Mannes zu verschiedenen Malen in eigner Person empfohlen habe. Allein da diese Einwendungen auf keinem rechtsbeständigen Grunde beruhten, und der Turnus nun einmal an diesem Miltias war, so blieb es bei der Ordnung.Miltias trug die Geschichte des Streits so unbefangen, und beides, sowohl Zweifels-als Entscheidungsgründe, so ausführlich vor, daß die Zuhörer lange nicht merkten wo er eigentlich hinaus wolle. Er läugnete nicht, daß beide Parteien vieles für und wider sich hätten. Auf der einen Seite scheine nichts klärer, sagte er, als daß derjenige, der den Esel, als das Principale gemiethet, auch das Accessorium, des Esels Schatten, stillschweigend mit einbedungen habe; oder (falls man auch keinen solchen stillschweigenden Vertrag zugeben wollte), daß der Schatten seinem Körper von selbst folge, und also demjenigen, der die Nutznießung des Esels an sich gebracht, auch der beliebige Gebrauch seines Schattens ohne weitere Beschwerde zustehe; um so mehr, als dem Esel selbst dadurch an seinem Seyn und Wesen nicht das mindeste benommen werde. Hingegen scheine auf der andern Seite nicht weniger einleuchtend: daß, wiewohl der Schatten weder als ein wesentlicher noch außerwesentlicher Theil des Esels anzusehen sey, folglich von dem Abmiether des letztern keineswegs vermuthet werden könne, daß er jenen zugleich mit diesem stillschweigend habe miethen wollen, gleichwohl, da besagter Schatten schlechterdings nicht für sich selbst ohne besagten Esel bestehen könne, und ein Eselsschatten im Grunde nichts anders als ein Schattenesel sey, der Eigenthümer des leibhaften Esels mit gutem Fug auch als Eigenthümer des von jenem ausgehenden Schattenesels betrachtet, folglich keineswegs angehalten werden könne, letztern unentgeltlich an den Abmiether des erstern zu überlassen. Ueberdieß, und wenn man auch zugeben wollte, daß der Schatten ein Accessorium des mehr eröfterten Esels sey, so könne doch dem Abmiether dadurch noch kein Recht an denselben zuwachsen; indem er durch den Miethcontract nicht jeden Gebrauch desselben, sondern nur denjenigen, ohne welchen die Absicht des Contracts, nämlich seine vorhabende Reise, unmöglich erzielt werden könne, an sich gebracht habe. Allein, da sich unter den Gesetzen der Stadt Abdera keines finde, worin der vorliegende Fall klar und deutlich enthalten sey, und das Urtheil also lediglich aus der Natur der Sache gezogen werden müsse: so komme es hauptsächlich auf einen Punkt an, der von den beiderseitigen Sykophanten aus der Acht gelassen, oder wenigstens nur obenhin berührt worden, nämlich auf die Frage: ob dasjenige, was man Schatten nenne, unter die gemeinen Dinge, an welche jedermann gleiches Recht hat, oder unter die eigenthümlichen, zu welchen einzelne Personen ein ausschließendes Recht haben oder erwerben können, zu zählen sey? Da nun, in Ermangelung eines positiven Gesetzes, die Uebereinstimmung und allgemeine Gewohnheit des menschlichen Geschlechts, als ein wahres Orakel der Natur selbst, billig die Kraft eines positiven Gesetzes habe; vermöge dieser allgemeinen Gewohnheit aber die Schatten der Dinge (auch derjenigen, die nicht nur einzelnen Personen, sondern ganzen Gemeinheiten, ja den unsterblichen Göttern selbst eigenthümlich zugehören) bisher aller Orten einem jeden, wer er auch sey, frei ungehindert und unentgeltlich zur Benutzung überlassen worden: so erhelle daraus, daß, ex Consensu et Consuetudine Generis Humani, besagte Schatten, eben so wie freie Luft, Wind und Wetter, fließendes Wasser, Tag und Nacht, Mondschein, Dämmerung, und dergleichen mehr, unter die gemeinen Dinge zu rechnen seyen, deren Genuß jedem offen stehe, und auf welche — insofern etwa besagter Genuß, unter gewissen Umständen, etwas Ausschliessendes bei sich führe — der erste, der sich ihrer bemächtige, ein momentanes Besitzrecht erhalten habe. — Diesen Satz (zu dessen Bestätigung der scharfsinnige Miltias eine Menge Inductionen vorbrachte, die wir unsern Lesern erlassen wollen)— diesen Satz zum Grunde gelegt, könne er also nicht anders als dahin stimmen: das der Schatten aller Esel in Thracien, folglich auch derjenige, der zu vorliegendem Rechtshandel unmittelbaren Anlaß gegeben, eben so wenig einen Theil des Eigenthums einer einzelnen Person ausmachen könne, als der Schatten des Berges Athos oder des Stadtthurms von Abdera; folglich mehrbesagter Schatten weder geerbt, noch gekauft, noch inter vivos oder mortis causa geschenkt, noch vermiethet, noch auf irgend eine andre Art zum Gegenstand eines bürgerlichen Contracts gemacht werden könne; und daß also aus diesen und andern angeführten Gründen, in Sachen des Eseltreibers Anthrax, Klägers, an einem, entgegen und wider den Zahnarzt Struthion, Beklagten, am andern Theil, pcto. des von Beklagten zu Klägers angeblicher Gefährde und Schaden angemaßten Eselschattens (salvis tamen melioribus) zu Recht zu erkennen sey: daß Beklagter sich des besagten Schattens zu seinem Gebrauch und Nutzen zu bedienen wohl befugt gewesen; Kläger aber, Einwendens ungeachtet, nicht nur mit seiner unbefugten Forderung abzuweisen, sondern auch in alle Kosten, wie nicht weniger zum Ersatz alles dem Beklagten verursachten Verlusts und Schadens, nach vorgängiger gerichtlicher Ermäßigung, zu verurtheilen sey.
V. R. W.
Wir überlassen es dem geneigten und rechtserfahrnen Leser, über dieses (zwar nur auszugsweise) mitgetheilte Gutachten des scharfsinnigen Miltias nach Belieben seine Betrachtungen anzustellen. Und da wir in dieser Sache uns keines Urtheils anzumaßen, sondern bloß die Stelle eines unparteiischen Geschichtschreibers zu vertreten entschlossen sind: so begnügen wir uns zu berichten, daß es seit undenklichen Zeiten Observanz bei dem Stadtgerichte zu Abdera war, das gutachtliche Urtheil des Referenten, wie es auch beschaffen seyn mochte, jedesmal entweder einhellig, oder doch mit einer großen Mehrheit der Stimmen zu bestätigen. Wenigstens hatte man seit mehr als hundert Jahren kein Beispiel vom Gegentheil gesehen. Es konnte auch, nach Gestalt der Sachen, nicht wohl anders seyn. Denn während der Relation, welche gemeiniglich sehr lange dauerte, pflegten die Herren Beisitzer eher alles andre zu thun, als auf die Rationes dubitandi et decidendi des Referenten Acht zu geben. Die meisten standen auf, guckten zum Fenster hinaus, oder gingen weg, um in einem Nebenzimmer Kuchen oder kleine Bratwürste zu frühstücken, oder machten einen fliegenden Besuch bei einer guten Freundin; und die wenigen, welche sitzen blieben und einigen Theil an der Sache zu nehmen schienen, hatten alle Augenblicke etwas mit ihrem Nachbar zu flüstern, oder schliefen wohl gar über dem Zuhören ein. Kurz, es waltete eine Art von stillschweigendem Compromiß auf den Referenten vor, und es geschah bloß um der Form willen, daß einige Minuten, eh' er zur wirklichen Conclusion kam, sich jedermann wieder auf seinem Platz einfand, um mit gehöriger Feierlichkeit das abgefaßte Urthel bekräftigen zu helfen.So war es bisher immer, auch bei ziemlich wichtigen Händeln, gehalten worden. Allein dem Proceß über des Esels Schatten widerfuhr die unerhörte Ehre, daß das ganze Gericht beisammenblieb, und (drei bis vier Beisitzer ausgenommen, welche dem Zahnarzt ihre Stimme schon versprochen hatten, und ihr Recht, in der Session zu schlafen, nicht vergeben wollten) jedermann mit aller Aufmerksamkeit zuhörte, die eines so wundervollen Processes würdig war; und als die Stimmen gesammelt wurden, fand sich, daß das Urthel nur mit einem Mehr von zwölf gegen acht bekräftiget wurde.Sogleich nach geschehener Publication ermangelte Polyphonus, der klägerische Sykophant, nicht, seine Stimme zu erheben, und gegen das Urthel, als ungerecht, parteiisch und mit unheilbaren Nullitäten behaftet, an den großen Rath von Abdera zu appelliren. Da nun der Proceß über eine Sache geführt wurde, die der Kläger selbst nicht höher als zwei Drachmen geschätzt hatte, und dieses (auch mit Einschluß aller billig mäßigen Kosten und Schäden) noch lange nicht Summa appellabilis war, so erhob sich hierüber ein großer Lärm im Gerichte. Die Minorität erklärte sich, daß es hier gar nicht auf die Summe, sondern auf eine allgemeine Rechtsfrage ankomme, die das Eigenthum betreffe und noch durch kein Gesetz in Abdera bestimmt sey, folglich, vermöge der Natur der Sache, vor den Gesetzgeber selbst gebracht werden müsse, als welchem allein es zukomme, in zweifelhaften Fällen dieser Art den Ausspruch zu thun.Wie es zugegangen, daß der Referent, bei aller seiner Zuneigung zur Sache des Beklagten, nicht daran gedacht, daß die Gönner des Gegentheils sich dieses Vorwandes bedienen würden die Sache vor den großen Rath zu spielen — davon wissen wir keinen andern Grund anzugeben, als daß er ein Abderit war, und, nach der allgemeinen althergebrachten Gewohnheit seiner Landsleute, jedes Ding nur von Einer Seite, und auch da nur ziemlich obenhin, anzusehen pflegte. Doch kann vielleicht noch zu seiner Entschuldigung dienen, daß er einen Theil der letzten Nacht bei einem großen Gastmahle zugebracht, und, als er nach Hause gekommen, der Dame Struthion noch eine ziemlich lange Audienz hatte geben müssen, und also vermuthlich — nicht ausgeschlafen hatte. Genug, nach langem Streiten und Lärmen erklärte sich endlich der Stadtrichter Philippides: daß er, bewandten Umständen nach, nicht umhin könne, die Frage, ob die von Klägern eingewandte Appellation stattfinde? vor den Senat zu bringen. Hiermit stand er auf; das Gericht ging ziemlich tumultuarisch auseinander; und beide parteien eilten, sich mit ihren Freunden, Gönnern und Sykophanten zu berathen, was nun weiter in der Sache anzufangen sey.
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Fünftes Kapitel.

Gesinnungen des Senats. Tugend der schönen Gorgo und ihre Wirkungen. Der Priester Strobylus tritt auf, und die Sache wird ernsthafter.

Der Proceß über des Esels Schatten, der anfangs die Abderiten bloß durch seine Ungereimtheit belustigt hatte, fing nun an eine Sache zu werden, in welche die Gerechtsamen, die vermeinte Ehre, und allerlei Leidenschaften und Interessen verschiedner zum Theil ansehnlicher Glieder der Republik verwickelt wurden.Der Zunftmeister Pfriem hatte seinen Kopf darauf gesetzt, daß sein Zunftangehöriger gewinnen müßte; und da er sich meistens alle Abende in den Versammlungsorten der gemeinen Bürger einfand, hatte er schon beinahe die Hälfte des Volks auf seine Seite gebracht, und sein Anhang nahm täglich zu.Der Erzpriester hingegen hatte den Handel bisher nicht für wichtig genug gehalten, sein ganzes Ansehen zu Gunsten seines Beschützten anzuwenden. Allein da die Sachen zwischen ihm und der schönen Gorgo ernsthafter zu werden anfingen, indem sie, anstatt einer gewissen Gelehrigkeit die er bei ihr zu finden gehofft hatte, einen Widerstand that, dessen man sich zu ihrer Herkunft und Erziehung nicht hätte vermuthen sollen, ja sich sogar vernehmen ließ: "wie sie Bedenken trage, ihre Tugend noch einmal den Gefahren eines Besuchs durch die kleine Gartenthür auszusetzen," — so war es ganz natürlich, daß er nun nicht langer säumte, durch den Eifer, womit er die Sache des Vaters zu unterstützen anfing, sich ein näheres Recht an die Dankbarkeit der Tochter zu erwerben.Der neue Lärm, den der Eselsproceß durch die Provocation an den großen Rath in der Stadt machte, gab ihm Gelegenheit, mit einigen von den vornehmsten Rathsherren aus der Sache zu sprechen. "So lächerlich dieser Handel an sich selbst sey, sagte er, so könne doch nicht zugegeben werden, daß ein armer Mann, der unter dem Schutze Jasons stehe, durch eine offenbare Cabale unterdrückt werde. Es komme nicht auf die Veranlassung an, die oft zu den wichtigsten Begebenheiten sehr gering sey; sondern auf den Geist, womit man die Sache treibe, und auf die Absichten, die man im Schilde oder wenigstens in Petto führe. Die Insolenz des Sykophanten Physignatus, der eigentlich an diesem ganzen Skandal Schuld habe, müsse gezüchtigt, und dem herrschsüchtigen, unverständigen Demagogen Pfriem noch in Zeiten ein Zügel angeworfen werden, eh' es ihm gelinge die Aristokratie gänzlich über den Haufen zu werfen u. s. w.Wir müssen es zur Steuer der Wahrheit sagen, anfangs gab es verschiedene Herren des Raths, welche die Sache ungefähr so ansahen wie sie anzusehen war, und es dem Stadtrichter Philippides sehr verdachten, daß er nicht Besonnenheit genug gehabt, einen so ungereimten Zwist gleich in der Geburt zu ersticken. Allein unvermerkt änderten sich die Gesinnungen; und der Schwindelgeist, der bereits einen Theil der Bürgerschaft auf die Köpfe gestellt hatte, ergriff endlich auch den größern Theil der Rathsherren. Einige fingen an die Sache für wichtiger anzusehen, weil ein Mann wie der Erzpriester Agathyrsus sich derselben so ernstlich anzunehmen schien. Andre setzte die Gefahr, die der Aristokratie aus den Unternehmungen des Zunftmeisters Pfriem erwachsen könnte, in Unruhe. Verschiedene ergriffen die Partei des Eseltreibers bloß aus Widersprechungsgeist; andre aus einem wirklichen Gefühl daß ihm Unrecht geschehe; und noch andre erklärten sich für den Zahnarzt, weil gewisse Personen, mit denen sie nie einer Meinung seyn wollten, sich für seinen Gegner erklärt hatten.Mit allem dem würde dennoch dieser geringfügige Handel, so sehr die Abderiten auch — Abderiten waren, niemals eine so heftige Gährung in ihrem gemeinen Wesen verursacht haben, wenn der böse Dämon dieser Republik nicht auch den Priester Strobylus angeschürt hätte, sich, ohne einigen nähern Beruf als seinen unruhigen Geist und seinen Haß gegen den Erzpriester Agathyrsus, mit ins Spiel zu mischen.Um dieß dem geneigten Leser verständlicher zu machen, werden wir die Sache (wie jener alte Dichter seine Ilias) ab ovo anfangen müssen; um so mehr, als auch gewisse Stellen in unsrer Erzählung des Abenteuers mit dem Euripides, und gewisse Ausdrücke, die dem Priester Strobylus gegen Demokrit entfielen, ihr gehöriges Licht dadurch erhalten werden.
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Sechstes Kapitel.

Verhältnis des Latonentempels zum Tempel des Jason. Contrast in den Charakteren des Oberpriesters Strobylus und des Erzpriesters Agathyrsus. Strobylus erklärt sich für die Gegenpartei des letztern, und wird von Salabanda unterstützt, welche eine wichtige Rolle in der Sache zu spielen anfängt.

Der Dienst der Latona war (wie Strobylus den Euripides versichert hatte) so alt zu Abdera, als die Verpflanzung der Lycischen Colonie; und die äußerste Einfalt der Bauart ihres kleinen Tempels konnte als eine hinlängliche Bekräftigung dieser Tradition angesehen werden. So unscheinbar dieser Latonentempel war, so gering waren auch die gestifteten Einkünfte seiner Priester. Wie aber die Noth erfindsam ist, so hatten die Herren schon von langem her Mittel gefunden, zu einiger Entschädigung für die Kargheit ihres ordentlichen Einkommens, den Aberglauben der Abderiten in Contribution zu setzen; und da auch dieses nicht zureichen wollte, hatten sie es endlich dahin gebracht, daß der Senat (weil er doch von keiner Besoldungszulage hören wollte) zu Unterhaltung des geheiligten Froschgrabens gewisse Einkünfte aussetzte, deren größten Theil die genügsamen und billig denkenden Frische ihren Versorgern überließen.Eine ganz andre Beschaffenheit hatte es mit dem Tempel des Jason, dieses berühmten Anführers der Argonauten, welchem in Abdera die Ehre der Erhebung in den Götterstand und eines öffentlichen Dienstes widerfahren war, ohne daß wir hiervon einen andern Grund anzugeben wissen, als daß verschiedne der ältesten und reichsten Familien in Abdera ihr Geschlechtsregister von diesem Heros ableiteten. Einer von dessen Enkeln hatte sich, wie die Tradition sagte, in dieser Stadt niedergelassen, und war der gemeinsame Stammvater verschiedner Geschlechter geworden, von welchen einige noch in den Tagen unserer gegenwärtigen Geschichte in voller Blüthe standen. Dem Andenken des Helden, von dem sie abstammten, zu Ehren, hatten sie anfangs, nach uraltem Gebrauch, nur eine kleine Hauscapelle gestiftet. Mit der Länge der Zeit war eine Art von öffentlichem Tempel daraus geworden, den die Frömmigkeit der Abkömmlinge Jasons nach und nach mit vielen Gütern und Einkünften versehen hatte. Endlich, als Abdera durch Handelschaft und glückliche Zufälle eine der reichsten Städte in Thracien geworden war, entschlossen sich die Jasoniden, ihrem vergötterten Ahnherrn einen Tempel zu erbauen, dessen Schönheit der Republik und ihnen selbst bei der Nachwelt Ehre machen könnte. Der neue Jasontempel wurde ein herrliches Werk, und machte mit den dazu gehörigen Gebäuden, Gärten, Wohnungen der Priester, Beamten, Schutzverwandten u. s. w. ein ganzes Quartier der Stadt aus. Der Erzpriester desselben mußte allezeit von der ältesten Linie der Jasoniden seyn: und da er, bei sehr beträchtlichen Einkünften, auch die Gerichtsbarkeit über die zu dem Tempel gehörigen Personen und Güter ausübte, so ist leicht zu erachten, daß die Oberpriester der Latona alle diese Vorzüge nicht mit gleichgültigen Augen ansehen konnten, und daß zwischen diesen beiden Prälaten eine Eifersucht obwalten mußte, die auf die Nachfolger forterbte, und bei jeder Gelegenheit in ihrem Betragen sichtbar wurde.Der Oberpriester der Latona wurde zwar als das Haupt der ganzen Abderitischen Priesterschaft angesehen; allein der Erzpriester Jasons machte mit seinen Untergebenen ein besonderes Collegium aus, welches zwar unter dem Schutze der Stadt Abdera stand, aber von aller Abhängigkeit, wie sie Namen haben mochte, frei war. Die Feste des Latonentempels waren zwar die eigentlichen großen Festtage der Republik; allein da die Mäßigkeit seiner Einkünfte keinen sonderlichen Aufwand zuließ, so war das Fest des Jason, welches mit ungemeiner Pracht und großen Feierlichkeiten begangen wurde, in den Augen des Volks wo nicht das vornehmste, wenigstens das worauf es sich am meisten freute; und alle die Ehrerbietung, die man für das Alterthum des Latonendienstes hegte, und der große Glaube des Pöbels an den Oberpriester desselben und seine heiligen Frösche, konnte doch nicht verhindern, daß die größere Figur, die der Erzpriester machte, ihm nicht auch einen höhern Grad von Ansehen gegeben haben sollte. Und wiewohl das gemeine Volk überhaupt mehr Zuneigung zu dem Latonenpriester trug, so wurde doch dieser Vorzug dadurch wieder überwogen, daß der Priester Jasons mit den aristokratischen Häusern in einer Verbindung stand, die ihm so viel Einfluß gab, daß es einem ehrgeizigen Manne an diesem Platz ein Leichtes gewesen wäre, einen kleinen Tyrannen von Abdera vorzustellen.Zu so vielen Ursachen der althergebrachten Eifersucht und Abneigung zwischen den beiden Fürsten der Abderitischen Klerisei, kam bei Strobylus und Agathyrsus noch ein persönlicher Widerwille, der eine natürliche Frucht des Contrastes ihrer Sinnesarten war.Agathyrsus, mehr Weltmann als Priester, hatte in der That vom letztern wenig mehr als die Kleidung. Die Liebe zum Vergnügen war seine herrschende Leidenschaft. Denn, wiewohl es ihm nicht an Stolz fehlte, so kann man doch von niemand sagen daß er ehrgeizig sey, so lange sein Ehrgeiz eine andere Leidenschaft neben sich herrschen läßt. Er liebte die Künste und den vertraulichen Umgang mit Virtuosen aller Arten, und stand in dem Ruf, einer von den Priestern zu seyn, die wenig Glauben an ihre eignen Götter haben. Wenigstens ist nicht zu läugnen, daß er öfters ziemlich frei über die Frösche der Latona scherzte; und es war jemand, der es beschwören wollte, aus seinem eignen Munde gehört zu haben: "Die Frösche dieser Göttin wären schon längst alle in elende Poeten und Abderitische Sänger verwandelt worden." — Daß er mit Demokriten in ziemlich gutem Vernehmen lebte, war auch nicht sehr geschickt, seine Orthodoxie zu bestätigen. Kurz, Agathyrsus war ein Mann von munterm Temperament, hellem Kopf und ziemlich freiem Leben, beliebt bei dem Abderitischen Adel, noch beliebter bei dem schönen Geschlecht, und, wegen seiner Freigebigkeit und Jasonmäßigen Figur, beliebt sogar bei den untersten Classen des Volks.Nun hätte die Natur in ihrer launigsten Minute keinen völligern Gegenfüßler von allem, was Agathyrsus war, hervorbringen können, als den Priester Strobylus. Dieser Mann hatte (wie viele seinesgleichen) ausfindig gemacht, daß eine in Falten gelegte Miene und ein steifes Wesen unfehlbare Mittel sind, bei dem großen Haufen für einen weisen und unsträflichen Mann zu gelten. Da er nun von Natur ziemlich sauertöpfisch aussah, so hatte es ihm wenig Mühe gekostet, sich diese Gravität anzugewöhnen, die bei den meisten weiter nichts beweist als die Schwere ihres Witzes und die Ungeschliffenheit ihrer Sitten. Ohne Sinn für das Große und Schöne, war er ein geborner Verächter aller Talente und Künste die diesen Sinn voraussetzten; und sein Haß gegen die Philosophie war bloß eine Maske für den natürlichen Groll eines Dummkopfes gegen alle, die mehr Verstand und Wissenschaft haben als er. In seinen Urtheilen war er schief und einseitig, in seinen Meinungen eigensinnig, im Widerspruch hitzig und grob, und, wo er entweder in seiner eignen Person oder in den Fröschen der Latona beleidigt zu seyn glaubte, äußerst rachgierig; aber nichtsdestoweniger bis zur Niederträchtigkeit geschmeidig, sobald er eine Sache, an der ihm gelegen war, nicht ohne Hülfe einer Person die er haßte durchsetzen konnte. Ueberdieß stand er mit einigem Grund in dem Rufe, daß er mit einer gehörigen Dose von Dariken und Philippen zu allem in der Welt zu bringen sey, was mit dem Aeußerlichen seines Charakters nicht ganz unverträglich war.Aus so entgegengesetzten Gemüthsarten und aus so vielen Veranlassungen zu Neid und Eifersucht auf Seiten des Priesters Strobylus, entsprang nothwendig bei beiden ein wechselseitiger Haß, der den Zwang, den ihnen ihr Stand und Platz auferlegte, mit Mühe ertrug, und nur darin verschieden war, daß Agathyrsus den Oberpriester zu sehr verachtete, um ihn sehr zu hassen, und dieser jenen zu sehr beneidete, um ihn so herzlich verachten zu können als er wohl gewünscht hätte.Zu diesem allen kam noch, daß Agathyrsus, kraft seiner Geburt und ganzen Lage, für die Aristokratie, Strobylus hingegen, ungeachtet seiner Verhältnisse zu einigen Rathsherren, ein erklärter Freund der Demokratie, und nächst dem Zunftmeister Pfriem derjenige war, der durch seinen persönlichen Charakter, seine Würde, seine schwärmerische Hitze und eine gewisse populäre Art von Beredsamkeit den meisten Einfluß auf den Pöbel hatte.Man sieht nun leicht voraus, daß die Sache mit dem Eselsschatten oder Schattenesel nothwendig eine ernsthafte Wendung nehmen mußte, sobald ein paar Männer wie die beiden Hohenpriester von Abdera darein verwickelt wurden.Strobylus hatte, so lange der Proceß vor den Stadtrichtern geführt wurde, nicht anders Theil daran genommen, als daß er sich gelegentlich erklärte, er würde an des Zahnarztes Platz eben so gehandelt haben. Aber kaum erfuhr er durch die Dame Salabanda, seine Nichte, daß Agathyrsus die Sache seines in der ersten Instanz verurtheilten Schutzverwandten zu seiner eignen mache: so fühlte er sich auf einmal berufen, sich mit an die Spitze der Partei des Beklagten zu stellen, und die Cabale des Zunftmeisters mit allem Ansehen, das er bei den Rathsherren sowohl als bei dem Volke hatte, zu unterstützen.Salabanda war zu sehr gewohnt ihre Hand in allen Abderitischen Händeln zu haben, als daß sie unter den letzten gewesen seyn sollte, die in dem gegenwärtigen Partei nahmen. Außer ihrem Verhältnisse zu dem Priester Strobylus hatte sie noch eine besondere Ursache, es mit ihm zu halten; eine Ursache, die darum nicht weniger wog, weil sie solche in Petto behielt. Wir haben bei einer andern Gelegenheit erwähnt, daß diese Dame, es sey nun aus bloß politischen Absichten, oder daß sich vielleicht auch ein wenig Koketterie — und wer weiß, ob nicht auch zuweilen das, was man in der Sprache der neuern Französischen feinen Welt das Herz einer Dame nennt, mit einmischen mochte: genug, ausgemacht war es, daß sie immer eine Anzahl demüthiger Sklaven an der Hand hatte, unter denen (wie man glaubte) doch immer wenigstens der eine oder andre wissen müsse, wofür er diene. Die geheime Chronik von Abdera sagte, der Erzpriester Agathyrsus hätte eine geraume Zeit die Ehre gehabt, einer von den letztern zu seyn; und in der That kamen eine Menge Umstände zusammen, warum man dieses Gerücht für etwas mehr als eine bloße Vermuthung halten konnte. So viel ist gewiß, daß die vertrauteste Freundschaft seit geraumer Zeit unter ihnen obgewaltet hatte, als die Milesische Tänzerin nach Abdera kam, und dem flatterhaften Jasoniden in kurzem so merkwürdig wurde, daß Salabanda endlich nicht länger umhin konnte sich selbst für aufgeopfert zu halten.Agathyrsus besuchte zwar ihr Haus noch immer auf dem Fuß eines alten Bekannten, und die Dame war zu politisch, um in ihrem äußern Betragen gegen ihn die geringste Veränderung durchscheinen zu lassen. Aber ihr Herz kochte Rache. Sie vergaß nichts, was den Erzpriester immer tiefer in die Sache verwickeln und immer mehr in Feuer setzen konnte; heimlich aber beleuchtete sie alle seine Schritte und Tritte, und alle großen und kleinen Vorder- und Hinterthüren, die zu seinem Cabinet führen konnten, so genau, daß sie seine Intrigue mit der jungen Gorgo gar bald entdeckte, und den Priester Strobylus in den Stand setzen konnte, den Eifer des Erzpriesters für die Sache des Eseltreibers in ein eben so verhaßtes Licht zu stellen, als sie selbst unter der Hand bemüht war, ihm einen lächerlichen Anstrich zu geben.Agathyrsus, so wenig es ihm kostete, politische und ehrgeizige Vortheile dem Interesse seiner Vergnügungen aufzuopfern, hatte doch Augenblicke, wo der kleinste Widerstand in einer Sache, an der ihm im Grunde gar nichts gelegen war, seinen ganzen Stolz aufrührisch machte; und so oft dieß geschah, pflegte ihn seine Lebhaftigkeit gemeiniglich unendlich weiter zu führen, als er gegangen wäre, wenn er die Sache einiger kühlen Ueberlegung gewürdiget hätte. Die Ursache, warum er sich anfangs mit diesem abgeschmackten Handel bemengt hatte, fand jetzt zwar nicht länger statt. Denn die schöne Gorgo hatte, ungeachtet des Unterrichts ihrer Mutter Krobyle, entweder nicht Geschicklichkeit oder nicht Ausdaurungskraft genug gehabt, den anfänglich entworfnen Vertheidigungsplan gegen einen so gefährlichen und erfahrnen Belagerer gehörig zu befolgen. Allein er war nun einmal in die Sache verwickelt; seine Ehre war dabei betroffen; er empfing täglich und stündlich Nachrichten, wie unziemlich der Zunftmeister und der Priester Strobylus mit ihrem Anhang wider ihn loszögen, wie sie drohten, wie übermüthig sie die Sache durchzusetzen hofften, und dergleichen —und dieß war mehr als es brauchte, um ihn dahin zu bringen, daß er seine ganze Macht anzuwenden beschloß, um Gegner, die er so sehr verachtete, zu Boden zu werfen, und für die Verwegenheit, sich gegen ihn aufgelehnt zu haben, zu züchtigen. Der Cabalen der Dame Salabanda ungeachtet (die nicht fein genug gesponnen waren, um ihm lange verborgen zu bleiben), war der größte Theil des Senats auf seiner Seite: und wenn gleich seine Gegner nichts unterließen, was das Volk gegen ihn erbittern konnte, so hatte er doch, zumal unter den Zünften der Gerber, Fleischer und Bäcker, einen Anhang von derben stämmichten Gesellen, die eben so hitzig vor der Stirne als nervig von Armen, und auf jeden Wink bereit waren, für ihn und seine Partei, je nachdem es nöthig wäre, zu schreien oder zuzuschlagen.

Siebentes Kapitel.

Ganz Abdera theilt sich in zwei Parteien. Die Sache kommt vor Rath.

In dieser Gährung befanden sich die Sachen, als auf einmal die Namen Schatten und Esel in Abdera gehört, und in kurzem durchgängig dazu gebraucht wurden, die beiden Parteien zu bezeichnen.Man hat über den wahren Ursprung dieser Uebernahmen keine zuverlässige Nachricht. Vermuthlich, weil doch Parteien nicht lange ohne Namen bestehen können, hatten die Anhänger des Zahnarztes Struthion unter dem Pöbel den Anfang gemacht, sich selbst, weil sie für sein Recht an des Esels Schatten stritten, die Schatten, und ihre Gegner, weil sie den Schatten gleichsam zum Esel selbst machen wollten, aus Spott und Verachtung, die Esel zu nennen. Da nun die Anhänger des Erzpriesters diese Benennung nicht verhindern konnten, so hatten sie (wie es zu gehen pflegt) sich unvermerkt daran gewöhnt, sie, wiewohl anfänglich bloß zum Scherz, selbst zu gebrauchen; nur mit dem Unterschied, daß sie den Spieß umdrehten, und das Verächtliche mit dem Schatten, und das Ehrenvolle mit dem Esel verknüpften. Wenn es ja eins von beiden seyn soll, sagten sie, so wird jeder brave Kerl doch immer lieber ein wirklicher leibhafter Esel mit allem seinem Zubehör, als der bloße Schatten von einem Esel seyn wollen.Wie es auch damit zugegangen seyn mag, genug, in wenig Tagen war ganz Abdera in diese zwei Parteien getheilt; und so wie sie einen Namen hatten, nahm auch der Eifer auf beiden Seiten so schnell und heftig zu, daß es gar nicht mehr erlaubt war, neutral zu bleiben. Bist du ein Schatten oder ein Esel? war immer die erste Frage, welche die gemeinen Bürger an einander thaten, wenn sie sich auf der Straße oder in der Schenke antrafen; und wenn einen Schatten gerade das Unglück traf, an einem solchen Orte der einzige seinesgleichen unter einer Anzahl von Eseln zu seyn, so blieb ihm, wofern er sich nicht gleich mit der Flucht rettete, nichts übrig, als entweder auf der Stelle zu apostasiren, oder sich mit tüchtigen Stößen zur Thür hinauswerfen zu lassen.Wie viele und große Unordnungen hieraus entstehen mußten, kann man sich ohne unser Zuthun vorstellen. Die Erbitterung ging in kurzem so weit, daß ein Schatten sich lieber vor Hunger zum wirklichen Gespenst abgezehrt, als einem Bäcker von der Gegenpartei für einen Dreier Brod abgekauft hätte.Auch die Weiber nahmen, wie leicht zu erachten, Partei, und gewiß nicht mit der wenigsten Hitze. Denn das erste Blut, das bei Gelegenheit dieses seltsamen Bürgerkriegs vergossen wurde, kam von den Nägeln zweier Hökerweiber her, die einander auf öffentlichem Markte in die Physiognomie gerathen waren. Man bemerkte indessen, daß bei weitem der größte Theil der Abderitinnen sich für den Erzpriester erklärte; und wo in einem Hause der Mann ein Schatten war, da konnte man sich darauf verlassen, die Frau war eine Eselin, und gemeiniglich eine so hitzige und unbändige Eselin, als man sich eine denken kann. Unter einer Menge theils heilloser theils lächerlicher Folgen dieses Parteigeistes, der in die Abderitinnen fuhr, war keine der geringsten, daß mancher Liebeshandel dadurch auf einmal abgebrochen wurde, weil der eigensinnige Seladon lieber seine Ansprüche als seine Partei aufgeben wollte; so wie hingegen auch mancher, der sich schon Jahre lang vergebens um die Gunst einer Schönen beworben und ihre Antipathie gegen ihn durch nichts, was gewöhnlich von einem unglücklichen Liebhaber versucht wird, hatte überwinden können, jetzt auf einmal keines andern Titels bedurfte um glücklich zu werden, als seine Dame zu überzeugen daß er — ein Esel sey.Inzwischen wurde die Präjudicialfrage, ob die von Klägern eingewandte Abberufung an den großen Rath stattfinde oder nicht? vor den Senat gebracht. Wiewohl dieß das erstemal war, daß es über die Eselssache vor diesem ehrwürdigen Collegium zur Sprache kam: so zeigte sich doch bald, daß jedermann schon seine Partei genommen hatte. Der Archon Onolaus war der einzige, der in Verlegenheit zu seyn schien, wie er der Sache einen leidlichen Anstrich geben könnte. Denn man bemerkte daß er viel leiser als gewöhnlich sprach, und am Schlusse seines Vortrags in die merkwürdigen und ominösen Worte ausbrach: er besorge sehr, der Eselsschatten, über welchen jetzt mit so vieler Hitze gestritten werde, möchte den Ruhm der Republik auf viele Jahrhunderte verfinstern. Seine Meinung war, man würde am besten thun, die eingelegte Appellation als unstatthaft abzuweisen, den Spruch des Stadtgerichts (bis auf den Punkt der Kosten, die gegen einander aufgehoben werden könnten) zu bestätigen, und beiden Parteien ein ewiges Stillschweigen aufzulegen. Indessen setzte er doch hinzu: wofern die Majora dafür hielten, daß die Gesetze von Abdera nicht zureichend wären einen so geringfügigen Handel auszumachen, so müsse er sich gefallen lassen daß der große Rath den Ausspruch darüber thue; jedoch wollte er darauf angetragen haben, vorher im Archiv nachsuchen zu lassen, ob sich nicht etwa schon in ältern Zeiten dergleichen ungewöhnliche Fälle ereignet, und wie man sich dabei benommen habe.Diese Mäßigung des Archon — die ihm von der unparteiisch richtenden Nachwelt einstimmig als ein Beweis von wahrer Regentenweisheit zum Verdienst angerechnet werden wird — wurde damals, da der Parteigeist alle Augen verblendet hatte, als Schwachheit und phlegmatische Gleichgültigkeit ausgelegt. Verschiedene Senatoren von der Partei des Erzpriesters ließen sich weitläuftig und mit großem Eifer vernehmen: man könne nichts geringfügig nennen, was die Rechte und Freiheiten der Abderiten betreffe; wo kein Gesetz sey, finde auch kein gerichtliches Verfahren statt; und das erste Beispiel, wo den Richtern gestattet würde einen Handel nach einer willkürlichen Billigkeit zu entscheiden, würde das Ende der Freiheit von Abdera seyn. Wenn der Streit auch noch was Geringeres beträfe, so komme es nicht auf die Frage an, wie viel oder wenig er werth sey, sondern welche von den Parteien Recht habe; und da kein Gesetz vorhanden sey, welches in vorliegendem Fall entscheide, ob des Esels Schatten stillschweigend in der Miethe begriffen sey oder nicht, so könne sich weder das Untergericht noch der Senat selbst ohne die offenbarste Tyrannei anmaßen, dem Abmiether etwas zuzusprechen, woran der Vermiethet wenigstens eben so viel Recht habe; oder vielmehr ein ungleich besseres, da aus der Natur ihres Contracts keineswegs nothwendig folge, daß die Meinung des letztern gewesen sey, jenem auch den Schatten seines Esels zu vermiethen u. s. w. Einer von diesen Herren ging so weit, daß er in der Hitze herausfuhr: er sey jederzeit ein eifriger Patriot gewesen; aber eh' er zugeben würde, daß einer seiner Mitbürger sich anmaßen sollte, nur den Schatten einer tauben Nuß dem andern willkürlich abzusprechen, ehe wollt' er ganz Abdera in Feuer und Flammen sehen.Jetzt verlor der Zunftmeister Pfriem alle Geduld. Das Feuer, sagte er, womit man die ganze Stadt mit solcher Verwegenheit bedrohe, sollte mit demjenigen angezündet werden, der sich so zu reden unterstehe. "Ich bin kein studirter Mann, fuhr er fort; aber, bei allen Göttern, ich lasse mir Mäusedreck nicht für Pfeffer verkaufen! Man muß den Verstand verloren haben, um einem gesunden Menschen weiß machen zu wollen, daß es ein eignes Gesetz brauche, wenn die Frage ist, ob sich einer auf eines Esels Schatten setzen dürfe, der mit baarem Geld das Recht erkauft hat, auf dem Esel selbst zu sitzen. Ueberhaupt ist es Schande und Spott, daß so viel ernsthafte und gescheidte Männer sich den Kopf über einen Handel zerbrechen, den jedes Sind auf der Stelle entschieden haben würde. Wann ist denn jemals in der Welt erhört worden, daß Schatten unter die Dinge gehören, die man einander vermiethet?"Herr Zunftmeister, fiel der Rathsherr Buphranor ein, ihr schlagt euch selbst auf den Mund, wenn ihr das behauptet. Denn wenn des Esels Schatten nicht vermiethet werden konnte, so ist klar, daß er nicht vermiethet worden ist; denn a non posse ad non esse valet consequentia. Der Zahnarzt kann also, nach eurem eignen Grundsatze, kein Recht an den Schatten haben, und das Urthel ist an sich null und nichtig.Der Zunftmeister stutzte; und weil ihm nicht gleich einfiel was sich auf dieses feine Argument antworten ließe, so fing er desto lauter an zu schreien, und rief Himmel und Erde zu Zeugen an, daß er eher seinen grauen Bart Haar für Haar ausraufen, als sich noch in seinen alten Tagen zum Esel machen lassen wollte. Die Herren von seiner Partei unterstützten ihn aus allen Kräften: allein sie wurden überstimmt; und alles, was sie endlich, mit Beihülfe des Archon und des Rathsherrn der immer leise auftrat, erhalten konnten, war: "Daß die Sache einstweilen in statu quo bleiben sollte, bis man im Archiv nachgesehen hätte, ob sich kein Praejudicium fände, wodurch dieser Handel ohne größere Weitläuftigkeit entschieden werden könnte."
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Achtes Kapitel.

Gute Ordnung in der Kanzlei von Abdera. Präjudicialfälle, die nichts ausmachen. Das Volk will das Rathhaus stürmen, und wird von Agathyrsus besänftigt. Der Senat beschließt, die Sache dem großen Rath zu überlassen.

Die Kanzlei der Stadt Abdera — weil es doch die Gelegenheit mit sich bringt, ihrer hier mit zwei Worten zu erwähnen — war überhaupt so gut eingerichtet und bedient, als man es von einer so weisen Republik erwarten wird. Indessen hatte sie doch mit vielen andern Kanzleien zwei Fehler gemein, über welche zu Abdera schon seit Jahrhunderten fast täglich Klage geführt wurde, ohne daß jemand auf den Einfall gekommen wäre: ob es nicht etwa möglich seyn könnte, dem Uebel auf eine oder andre Weise abzuhelfen?Das eine dieser Gebrechen war, daß die Urkunden und Acten in einigen sehr dumpfen und feuchten Gewölben verwahrt lagen, wo sie aus Mangel der Luft verschimmelten, vermoderten, von Schaben und Würmern gefressen, und nach und nach ganz unbrauchbar wurden; das andre, daß man, alles Suchens ungeachtet, nichts darin finden konnte. So oft dieß begegnete, pflegte irgend ein patriotischer Rathsherr, meistens mit Beistimmung des ganzen Senats, die Anmerkung zu machen: "es komme bloß daher, weil keine Ordnung in der Kanzlei gehalten werde." In der That ließ sich schwerlich eine Hypothese erdenken, vermittelst welcher diese Erscheinung auf eine leichtere und begreiflichere Weise zu erklären gewesen wäre. Daher kam es nun, daß fast allemal wenn bei Rath beschlossen wurde daß in der Kanzlei nachgesehen werden sollte, jedermann schon voraus wußte und meistens sicher darauf rechnete, daß sich nichts finden würde. Unb eben daher kam es auch, daß die gewöhnliche Erklärung, die bei der nächsten Rathssitzung erfolgte, "es habe sich, alles Suchens ungeachtet, nichts in der Kanzlei gefunden," mit der kaltsinnigsten Gelassenheit, als eine Sache die man erwartet hatte und die sich von selbst verstand, aufgenommen wurde.Dieß war nun auch dermalen der Fall gewesen, da die Kanzlei den Auftrag erhalten hatte: in den ältern Acten nachzusehen, ob sich nicht vielleicht ein Präjudicium finde, das der Weisheit des Senats bei Entscheidung des höchst beschwerlichen Handels über den Eselsschatten zur Fackel dienen könnte. Es hatte sich nichts gefunden, ungeachtet verschiedene Herren in der letzten Session ganz positiv versicherten: es müßten unzählige ähnliche Fälle vorhanden seyn.Indessen hatte gleichwohl der Eifer eines Rathsherrn von der Partei der Esel die Acten von zwei alten Rechtshändeln aufgetrieben, die einst vielen Lärm in Abdera gemacht, und mit dem gegenwärtigen einige Aehnlichkeit zu haben schienen.Der eine betraf einen Streit zwischen den Besitzern zweier Grundstücke in der Stadtflur, über das Eigenthumsrecht an einen zwischen beiden gelegnen kleinen Hügel, der ungefähr fünf oder sechs Schritte im Umfang betrug, und mit Verlauf der Zeit aus etlichen zusammengeflossenen Maulwurfshaufen entstanden seyn mochte. Tausend kleine Nebenumstände hatten nach und nach eine so heftige Erbitterung zwischen den beiden im Streite befangenen Familien erregt, daß jeder Theil entschlossen war, lieber Haus und Hof als sein vermeintes Recht an diesen Maulwurfshügel zu verlieren. Die Abderitische Justiz wurde dadurch in eine desto größere Verlegenheit gesetzt, da Beweis und Gegenbeweis von einer so ungeheuern Combination unendlich kleiner, zweifelhafter und unaufklärbarer Umstände abhing, daß nach einem Proceß von fünfundzwanzig Jahren die Sache nicht nur der Entscheidung nicht um einen Schritt näher gekommen, sondern im Gegentheil gerade fünfundzwanzigmal verworrener geworden war als anfangs. Wahrscheinlicherweise würde sie auch nie zu Ende gebracht worden seyn, wenn sich nicht beide Parteien endlich gezwungen gesehen hätten, die Grundstücke, zwischen welchen das Objectum litis lag, mit allen Zubehören, Gerechtsamen und Ansprüchen, worunter auch das im Streite befangene Recht an den Maulwurfshügel war, ihren Sykophanten für Proceßkosten und Advocatengebühren abzutreten. Denn nunmehr verglichen sich die Sykophanten noch selbigen Tages in Güte, dieses Hügelchen der großen Themis zu heiligen, einen Feigenbaum darauf zu pflanzen, und unter denselben, auf gemeinschaftliche Kosten, die Bildsäule besagter Göttin aus gutem Föhrenholz, mit Steinfarbe angestrichen, setzen zu lassen. Auch wurde, unter Garantie des Abderitischen Senats, festgesetzt, daß die Besitzer beider Grundstücke zu ewigen Zeiten schuldig seyn sollten, besagte Bildsäule nebst dem Feigenbaume gemeinschaftlich zu unterhalten. Gestalten denn auch beide, und zwar der Feigenbaum in sehr ansehnlichen, die Bildsäule aber in sehr verfallnen und wurmstichigen Umständen, zum ewigen Gedächtniß dieses merkwürdigen Handels, noch zur Zeit des gegenwärtigen zu sehen waren.Der andere Proceß schien mit dem vorliegenden noch eine nähere Verwandtschaft zu haben. Ein Abderit, Namens Pamphus, besaß ein Landgut, dessen vornehmste Annehmlichkeit darin bestand, daß es auf der südwestlichen Seite eine herrliche Aussicht über ein schönes Thal hatte, welches zwischen zwei waldigen Bergen hinlief, in der Ferne immer schmäler wurde, und sich endlich in das Aegeische Meer verlor. Pamphus pflegte oft zu sagen, daß ihm diese Aussicht nicht um hundert Attische Talente feil wäre; und er hatte um so mehr Ursache, sie so hoch zu taxiren, da das Gut an sich selbst so unerheblich war, daß ihm niemand, der bloß auf den Nutzen sah, fünf Talente dafür würde gegeben haben. Unglücklicherweise fand ein ziemlich begüterter Abderitischer Bauer, der auf eben dieser südwestlichen Seite sein Nachbar war, sich veranlaßt, eine Scheune bauen zu lassen, die dem guten Pamphus einen so großen Theil seiner Aussicht entzog, daß sein Landgütchen, seiner Rechnung nach, wenigstens um achtzig Talente dadurch schlechter wurde. Pamphus wandte alles Mögliche an, den Nachbar in Güte und Ernst von einem so fatalen Bau abzuhalten. Allein der Bauer bestand auf seinem Rechte, seinen erbeigenthümlichen Grund und Boden zu überbauen wo und wie es ihm beliebte. Es kam also zum Proceß. Pamphus konnte zwar nicht erweisen, daß die streitige Aussicht ein nothwendiges und wesentliches Pertinenzstück seines Gutes sey; oder, daß ihm Luft und Licht durch den neuen Bau entzogen werde; oder, daß sein Großvater, der es käuflich an seine Familie gebracht, um besagter Aussicht willen nur eine Drachme mehr bezahlt habe, als das Gut nach damaligem Preise an sich selbst werth war; noch, daß ihm sein Nachbar, der Bauer, mit einiger Servitut verhaftet sey, kraft deren er ein Recht hätte ihm den Bau niederzulegen. Allein sein Sykophant behauptete, daß die Entscheidungsgründe dieser Sache viel tiefer lägen, und aus der ersten ursprünglichen Quelle alles Eigenthumsrechts unmittelbar geschöpft werden müßten. Wäre die Luft nicht ein durchsichtiges Wesen, sagte der Sykophant, so möchte Elysium und der Olympus selbst dem Landgute meines Principals gegenüber liegen, er würde so wenig jemals davon zu sehen bekommen haben, als ob unmittelbar vor seinen Fenstern eine Mauer stände, die bis an den Himmel reichte. Die durchsichtige Natur und Eigenschaft der Luft ist also die erste und wahre Grundursache der schönen Aussicht, die das Gut meines Principals beseligt. Nun ist aber die freie durchsichtige Luft, wie jedermann weiß, eines von den gemeinen Dingen, an welche ursprünglich alle ein gleiches Recht haben: und eben darum ist jede noch von niemand in Besitz genommene Portion derselben als eine res nullius, als eine Sache, die noch Niemanden eigenthümlich zugehört, anzusehen, und wird folglich ein Eigenthum des ersten der sich ihrer bemächtiget. Seit unfürdenklichen Zeiten haben die Vorfahren meines Principals an diesem Gute die dermalen im Streit verfangne Aussicht inne gehabt, besessen und genossen, von männiglichen ungehindert und unangefochten. Sie haben also die dazu erforderliche Portion der Luft mit ihren Augen occupirt, und sie ist durch diese Occupation sowohl, als durch einen ununterbrochnen Besitz seit unfürdenklicher Zeit, ein eigenthümlicher Theil des mehr besagten Gutes geworden, wovon solchem nicht das Geringste entzogen werden kann, ohne die Grundgesetze aller bürgerlichen Ordnung und Sicherheit umzustoßen. — Der Senat von Abdera fand diese Gründe ganz bedenklich; es wurde lange für und wider mit großer Subtilität gestritten; und da Pamphus einige Zeit darauf in den Rath gewählt worden war, schien die Sache um so viel verwickelter und seine Gründe von Zeit zu Zeit immer bedenklicher zu werden. Der Bauer starb ohne den Ausgang des Handels zu erleben; und seine Erben, welche zuletzt merkten, daß gemeine Bauersleute wie sie gegen einen so großen Herrn, als ein Rathsherr von Abdera war, nichts gewinnen könnten, ließen sich endlich von ihrem Sykophanten zu einem Vergleich bereden: vermöge dessen sie die Proceßkosten bezahlten, und von dem Bau der streitigen Scheune um so mehr abstanden, da sie — kein Geld mehr dazu hatten, und der Proceß von ihrem Erbgute so viel weggefressen hatte, daß sie keiner neuen Scheune mehr bedurften, um die wenigen Früchte, die ihnen noch zu bauen übrig blieben, aufzubehalten.Nun war es zwar ziemlich klar, daß diese beiden Rechtshändel zu Entscheidung des vorliegenden sehr wenig Licht geben konnten; zumal da in keinem von beiden definitiv gesprochen worden war, sondern beide durch gütlichen Vergleich ihre Endschaft erreicht hatten: allein der Rathsherr, der sie producirte, schien auch keinen andern Gebrauch davon machen zu wollen, als dem Senat zu zeigen: daß diese beiden Händel, die sowohl in Rücksicht auf die Wichtigkeit des Gegenstandes als die Subtilität der Rechtsgründe sehr viele Aehnlichkeit mit dem Eselsproceß zu haben schienen, so viele Jahre lang vor dem Abderitischen kleinen Rath geführt und verhandelt worden seyen, ohne daß sich jemand habe beigehen lassen an den großen Rath zu provociren, oder nur zu zweifeln, ob der kleine auch wohl Fug und Macht habe in Sachen dieser Art zu erkennen.Die sämmtlichen Esel unterstützten diese Meinung ihres Parteiverwandten mit desto größerm Eifer, da sie die Stimmenmehrheit in Händen hatten, wofern die Sache vor Rath abgethan worden wäre. Allein eben darum beharrten die Schatten desto hartnäckiger bei ihrem Widerspruch.Der ganze Morgen wurde mit Streiten und Schreien zugebracht; und die Herren würden endlich (wie ihnen öfters zu begegnen pflegte) um Essenszeit unverrichteter Dinge auseinander gegangen seyn, wenn eine große Anzahl gemeiner Bürger von der Schattenpartei, die sich auf Veranstaltung des Zunftmeisters Pfriem vor dem Rathhause versammelt hatte und durch eine Menge herbeigelaufenen Pöbels von der niedrigsten Gattung verstärkt worden war, der Sache nicht endlich den Ausschlag gegeben hätte. Die Partei des Erzpriesters legte in der Folge dem Zunftmeister zur Last, daß er geflissentlich ans Fenster getreten sey und das Volk durch gegebne Zeichen zum Aufruhr angereizt habe. Allein die Gegenpartei läugnete diese Beschuldigung schlechterdings, und behauptete: das unziemliche Geschrei, das einige Esel auf einmal erhoben hätten, habe die unten versammelten Bürger auf die Gedanken gebracht, als ob den Herren von ihrem Anhang Gewalt geschehe, und dieser Irrthum habe den ganzen Lärm veranlaßt.Wie dem auch seyn mochte, auf einmal schallte ein brüllendes Geschrei zu den Fenstern des Rathhauses hinauf: Freiheit, Freiheit! Es lebe der Zunftmeister Pfriem! Weg mit den Eseln! Weg mit den Jasoniden! u. s. w.Der Archon kam ans Fenster und gebot den Aufrührern Ruhe. Aber ihr Geschrei nahm überhand; und einige der frechsten drohten das Rathhaus auf der Stelle anzuzünden, wenn die Herren nicht unverzüglich auseinander gehen, und die Sache dem großen Rath und dem Volk anheim stellen würden. Etliche lose Buben und Häringsweiber drangen wirklich mit Gewalt in die benachbarten Häuser, rissen Brände von den Feuerherden, und kamen damit zurück, um den gnädigen Herren zu zeigen, daß es mit ihrer Drohung im Ernste gemeinet sey.Indessen hatte der Auflauf, der hierdurch verursacht wurde, eine Anzahl Esel herbeigerufen, die den Herren von ihrer Partei mit Knitteln, Feuerzangen, Hämmern, Fleischmessern, Mistgabeln, und dem ersten dem besten was ihnen in die Hände gefallen war, zu Hülfe kommen wollten: und wiewohl sie von den Schatten bei weitem übermehrt waren, so trieb sie doch ihre Herzhaftigkeit und die Verachtung, womit sie die ganze Partei der Schatten ansahen, die wörtlichen Beleidigungen mit so nachdrücklichen Hieben und Stößen zu erwiedern, daß es blutige Köpfe absetzte, und das Handgemeng in wenig Augenblicken allgemein wurde.Bei so gestalten Sachen war nun freilich in der Rathsstube nichts andres zu thun, als einhellig zu beschließen: daß man lediglich aus Liebe zum Frieden und um des gemeinen Besten willen, für dießmal citra praejudicium sich gefallen lassen könne, daß der Handel wegen des Eselschattens vor den großen Rath gebracht, und der Entscheidung desselben überlassen würde.Inzwischen war den guten Rathsherren so eng in ihrer Haut, daß sie, sobald man sich (wiewohl auf eine sehr tumultuarische Weise) zu diesem Schlusse vereiniget hatte, den Zunftmeister Pfriem mit aufgehobnen Händen baten, sich herunter zu begeben und das aufgebrachte Volk zu beruhigen. Der Zunftmeister, dem es mächtig wohl that die stolzen Patricier so tief unter die Gewalt des Knieriemens gedemüthiget zu sehen, zögerte zwar nicht, ihnen diese Probe seines guten Willens und seines Ansehens bei dem Volke zu geben; aber der Tumult war schon so groß, daß seine Stimme, wiewohl eine der besten Bierstimmen von ganz Abdera, eben so wenig gehört wurde, als das Geschrei eines Schiffjungen im Mastkorb unter dem donnernden Geheul des Sturms und dem Brausen der zusammenprallenden Wellen. Er würde sogar in der ersten Wuth, in welcher der Pöbel (der ihn nicht sogleich erkannte) bei seinem Anblick aufbrannte, seines eignen Lebens nicht sicher gewesen seyn, wenn nicht glücklicher Weise der Erzpriester Agathyrsus — der diesen zufälligen Tumult für den geschicktesten Augenblick hielt der Gegenpartei in die Flanke zu fallen — mit seinem vergoldeten Hammelsfell an einer Stange vor sich her und mit seiner ganzen Priesterschaft hinterdrein, in eben diesem Augenblick herbeigekommen wäre, dem Aufruhr Einhalt zu thun; indem er dem Pöbel die Versicherung gab daß ihnen genug geschehen sollte, und daß er selbst der erste sey, der darauf antrage, daß die Sache vor dem großen Rath abgethan werden müsse.Diese öffentliche Versicherung des Prälaten, und seine Herablassung und Leutseligkeit, nebst der Ehrfurcht, die das Abderitische Volk für das vergoldete Hammelsfell zu tragen gewohnt war, that eine so gute Wirkung, daß in wenig Augenblicken alles wieder ruhig war, und der ganze Markt von einem lauten: es lebe der Erzpriester Agathyrsus! erschallte. Die Verwundeten schlichen sich ganz ruhig nach Hause, um sich ihre Köpfe verbinden zu lassen; der übrige Troß strömte hinter dem zurückkehrenden Erzpriester her; der Zunftmeister aber hatte den Verdruß zu sehen, daß ein großer Theil seiner sonst so treu ergebenen Schatten, von der Ansteckung des übrigen Haufens hingerissen, den Triumph seines Gegners vergrößern half, und in diesem Augenblick des Taumels leicht dahin hätte gebracht werden können, allen den wilden Muthwillen, den sie kurz zuvor an ihren vermeintlichen Feinden, den Eseln, auszuüben bereit waren, nun an ihren eignen Freunden, den Schatten, auszulassen.
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Neuntes Kapitel.

Politik beider Parteien. Der Erzpriester verfolgt seinen erhaltenen Vortheil. Die Schatten ziehen sich zurück. Der entscheidende Tag wird festgesetzt.

Dieser unvermuthete Vortheil, den der Erzpriester über die Schatten gewann, kränkte diese um so viel empfindlicher, da er ihnen nicht nur die Freude und Ehre des Sieges, den sie im Senat erhalten hatten, verkümmerte, sondern ihre Partei selbst merklich schwächte, und ihnen überhaupt zu erkennen gab, wie wenig sie sich auf die Unterstützung eines leichtsinnigen Pöbels verlassen dürften, der von jedem Wind auf eine andere Seite geworfen wird, und selten recht weiß was er selbst will, geschweige was diejenigen mit ihm machen wollen, von denen er sich treiben läßt.Agathyrsus, der nun das erklärte Haupt der Esel war hatte durch seine Emissarien erfahren, daß die Gegenpartei durch nichts mehr bei der gemeinen Bürgerschaft gewonnen habe, als durch den Widerstand, den die Beschützer des Eseltreibers anfänglich thaten, da die Sache vor den großen Rath gespielt werden sollte.Da dieser Rath aus vierhundert Männern bestand, welche als die Repräsentanten der gesammten Bürgerschaft von Abdera angesehen wurden, und wovon die Hälfte wirklich bloße Krämer und Handwerksleute waren: so glaubte sich jeder gemeine Mann durch die vermeinte Absicht, die Vorrechte desselben einschränken zu wollen, persönlich beleidigt; und die Vorspieglung des Zunftmeisters Pfriem, daß es auf einen gänzlichen Umsturz ihrer demokratischen Verfassung abgezielt sey, fand desto leichter Eingang.In der That war es auch um das, was in der Abderitischen Staatseinrichtung demokratisch schien, bloßes Schattenwerk und politisches Gaukelspiel. Denn der kleine Rath, dessen zwei Drittel aus alten Geschlechtern bestanden, machte im Grunde alles was er wollte; und die Fälle, wo die Vierhundert zusammenberufen werden mußten, waren in dem Authentischen Grundgesetz auf solche Schrauben gestellt, daß es beinahe gänzlich von dem Urtheil des kleinen Raths abhing, wann und wie oft sie die Vierhundertmänner zusammenberufen wollten, um zu dem, was jener schon beschlossen hatte, ihre treugehorsamste Beistimmung zu geben. Denn gewöhnlich war dieß alles, was man diesen wackern Leuten zumuthete, die (nach einer billigen Voraussetzung) zu viel mit ihren eigenen Angelegenheiten zu thun hatten, um sich über Gesetzgebungs- und Staatsverwaltungssachen die Köpfe zu zerbrechen. Aber eben darum, weil dieses Vorrecht der Abderitischen Gemeinen nicht viel zu bedeuten hatte, waren sie desto eifersüchtiger darauf, und um so nöthiger war es, dem Volke das Gängelbande zu verbergen, an welchem man es führte, indem es allein zu gehen glaubte.Es war also ein wahrer Meisterstreich von dem Erzpriester, daß er sich nun auf einmal und in einem Augenblicke, wo die Wirkung davon plötzlich und entscheidend seyn mußte, dem Volk in einer Sache zu Willen erklärte, auf die es einen so hohen Werth legte. Und da er, anstatt etwas dabei zu wagen, vielmehr dadurch einen starken Riß in den Plan der Gegenpartei machte, so hatte diese nunmehr alle Ursache, auf neue Mittel und Wege zu denken, wie sie den Erzpriester und seinen Anhang wieder aus dem Vortheil heben, und den günstigen Eindruck auslöschen möchte, den er auf das gemeine Volk gemacht hatte.Die Häupter der Schatten kamen noch an selbigem Abend in dem Hause der Dame Salabanda zusammen, und beschlossen: daß man, anstatt die Ernennung eines nahen Tages zur Zusammenberufung der Vierhundert bei dem Archon zu betreiben, sich vielmehr (falls es nöthig seyn sollte) verwenden wolle, solche zu verzögern, um dem Volke Zeit zu geben sich wieder abzukühlen. Inzwischen wollte man die Bürgerschaft unter der Hand und mit aller Gelassenheit zu überzeugen suchen: wie thöricht sie wären, sich von dem Erzpriester und seinen Miteseln als etwas Verdienstliches anrechnen zu lassen, was doch nichts weniger als guter Wille, sondern eine bloße Folge ihrer Schwäche sey. Wenn die Esel es in ihrer Gewalt gehabt hätten die Sache dem großen Rath aus den Händen zu reißen, so würden sie es gethan, und sich wenig darum bekümmert haben, ob es dem Volke lieb oder leid sey. Dieser plötzliche Absprung von ihrem vorigen stadtkundigen Betragen sey ein allzugrober Kunstgriff die Volkspartei zu trennen, als daß man sich dadurch betrügen lassen könne. Vielmehr habe man um desto mehr Ursache auf seiner Hut zu seyn, da es augenscheinlich darauf angesehen sey, das Volk durch süße Worte einzuschläfern, und unvermerkt dahin zu bringen, daß es unwissenderweise ein Werkzeug seiner eignen Unterdrückung werde.Der Oberpriester Strobylus, der bei dieser Berathschlagung zugegen war, billigte zwar alles, was man thun könnte, um das Ansehen seines Nebenbuhlers bei der Bürgerschaft zu vermindern und seine Absichten verdächtig zu machen: "Allein ich zweifle sehr, setzte er hinzu, daß wir die gehofften Früchte davon erleben werden. Ich bereite ihm aber eine andere und schärfere Lauge zu, die desto besser wirken wird, weil sie ihm ganz unversehens über den Kopf kommen soll. Es ist noch nicht Zeit, mich deutlicher zu erklären. Laßt mich nur machen! Mag er sich doch eine Weile mit der Hoffnung schmeicheln, den Priester Strobylus im Triumph hinter sich her zu schleppen! Die Freude soll ihm übel versalzen werden, darauf verlaßt euch! Inzwischen, wenn wir (wie ich hoffe) ehrlich an einander handeln, und wenn es uns Ernst ist den Sieg über unsre Feinde zu erhalten, so müssen wir reinen Mund über das halten, was ich euch von meinem geheimen Anschlag habe merken lassen und seiner Zeit davon entdecken werde. Agathyrsus muß sicher gemacht werden. Er muß glauben, das wir nur noch mit Einem Flügel schlagen, und daß alle unsre Hoffnung auf unserm Vertrauen das Uebergewicht im großen Rathe zu machen, beruhe."Jedermann fand, daß der Oberpriester die Sache richtig gefaßt habe, und die Gesellschaft trennte sich, sehr neugierig was das wohl für ein Anschlag seyn könne, den er gegen den Erzpriester in Petto behalte, aber auch sehr überzeugt, daß, wenn es auf den Sturz des letztern angesehen sey, die Sache in keine bessern als in des Priesters Strobylus Hände gestellt werden könne.Agathyrsus ermangelte inzwischen nicht, aus dem kleinen Siege, den er durch eine ihm eigene Gegenwart des Geistes zu so gelegener Zeit über seine Gegner erhalten hatte, allen möglichen Vortheil zu ziehen. Er hatte unter den Haufen des gemeinen Volks, der ihn bis in den Vorhof des erzpriesterlichen Palastes begleitete, Brod und Wein austheilen lassen, bevor er sie mit einer ernstlichen Vermahnung, ruhig zu seyn, wieder nach Hause gehen ließ; wo sie nun vom Lobe seiner Person, seiner Leutseligkeit und Freigebigkeit gegen ihre Nachbarn und Bekannten überflossen. Aber, wiewohl er den Geist der Republiken zu gut kannte um die Gunst des Pöbels für nichts zu achten, so wußte er doch wohl, daß er damit noch nicht viel gewonnen hatte. Das Nothwendigste war, sich der Zuneigung des größten Theils der Vierhundert gänzlich zu versichern; theils weil jetzt auf diese alles ankam, theils weil man, wenn sie einmal gewonnen waren, mehr Staat auf sie machen konnte als auf das übrige Volk. Er hatte zwar bereits einen ansehnlichen Anhang unter ihnen: aber, außer einer Anzahl erklärter und eifriger Schatten, mit denen er sich nicht einlassen mochte, befanden sich noch sehr viele — und sie bestanden meistens aus den Vermöglichsten und Angesehensten von der Bürgerschaft — die sich entweder noch gar nicht erklärt hatten, oder nur darum gegen die Partei der Schatten hin schwankten, weil ihnen die Häupter der Gegenpartei als herrschsüchtige, gewaltthätige Leute beschrieben worden waren, die diese ganze lächerliche Onoskiamachie bloß darum angezettelt hätten, um die Stadt in Verwirrung zu setzen, und Unruhen, wovon sie selbst die Urheber wären, zum Vorwand und Werkzeug ihrer ehrgeizigen Absichten zu gebrauchen.Diese Leute auf seine Seite zu bringen, schien ihm nun eben so leicht, als es für den Triumph seiner Partei entscheidend war. Er ließ sie alle noch an selbigem Abend zu Gaste bitten. Die meisten erschienen; und der Erzpriester, der eine besondere Gabe hatte seiner Politik einen Firniß von Offenheit und aufrichtigem Wesen anzustreichen, machte ihnen kein Geheimniß daraus, daß er sie zu sich gebeten habe, um mit Hülfe so braver und verständiger Männer die Vorurtheile zu zerstreuen, die (wie er höre) der Bürgerschaft wider ihn beigebracht worden. "Daß man, sagte er, in dem Handel zwischen einem Eseltreiber und einem Zahnarzt, und in einem Handel, wo es bloß um den Schatten eines Esels zu thun sey, einen Mann seines Standes zum Haupt einer Partei machen wolle, komme ihm allzu lächerlich vor, als daß er sich jemals einfallen lassen werde, eine so alberne Beschuldigung von sich abzulehnen. Indessen sey der arme Anthrax ein Schutzverwandter des Jasonstempels, und er habe ihm also nicht versagen können, sich seiner, so weit es die Gerechtigkeit erfordere, anzunehmen. Ohne die bekannte auffahrende Hitze des Zunftmeisters Pfriem, der sich etwas unzeitig zum Sachwalter des Zahnarztes aufgeworfen — nicht weil dieser Recht habe, sondern bloß weil er bei den Schustern zünftig sey — würde eine so unbedeutende Sache unmöglich zu solcher Weitläuftigkeit gekommen seyn. Sey aber einmal ein Feuer angezündet, so fänden sich immer Leute, denen damit gedient sey es anzublasen und zu nähren. Er seines Orts habe sich immer zum Gesetz gemacht, sich in nichts zu mischen das ihn nichts angehe. Daß er sich aber dazu verwendet habe, den gefährlichen Tumult, der diesen Morgen von den Anhängern des Zunftmeisters vor dem Rathhause erregt worden, durch seine Dazwischenkunft und göttliches Zureden zu stillen, werde ihm hoffentlich von keinem Billigdenkenden als eine ungeziemende Anmaßung, sondern vielmehr als die That eines guten Bürgers und Patrioten ausgelegt werden; zumal, da es dem Charakter eines Priesters immer anständiger sey, Friede zu stiften und Unordnungen zu verhüten, als Oel ins Feuer zu gießen, wie von manchen bekannt sey die er nicht zu nennen nöthig habe. Im übrigen läugne er nicht, daß er — da die Sache mit dem Eselsschatten nun einmal in erster Instanz verdorben worden, und zu einem Handel erwachsen sey, an welchem ganz Abdera Antheil zu nehmen sich gleichsam genöthigt sehe — immer gewünscht habe, daß die Sache je eher je lieber vor den großen Rath gebracht würde; nicht sowohl, damit der arme Anthrax die gebührende Genugthuung erhalte (wiewohl nicht zu zweifeln sey, daß ihm solche bei dieser hohen Gerichtsstelle nicht entstehen könne), als damit dem zügellosen Muthwillen der Sykophanten endlich einmal durch irgend ein angemess'nes Gesetz Schranken gesetzt, und dergleichen schnöden Händeln, die der Stadt Abdera zu schlechter Ehre gereichten, fürs künftige nach Möglichkeit vorgebaut werden möchte."Agathyrsus brachte alles dieß mit so vieler Gelassenheit und Mäßigung vor, daß seine Gäste sich nicht genug über die Ungerechtigkeit derjenigen verwundern konnten, welche einen so gutdenkenden Herrn zum vornehmsten Anstifter dieser Unruhen hätten machen wollen. Sie hielten sich nun alle von dem Gegentheil vollkommen überzeugt; und es gelang ihm in wenigen Stunden, diese wackern Leute, ohne daß sie es selbst merkten und indem sie noch immer ganz unparteiisch zu seyn glaubten, zu so guten Eseln zu machen als es vielleicht in ganz Abdera gab; zumal nachdem die köstlichen Weine, womit er sie bei der Abendmahlzeit beträufte, jeden Schatten des Mißtrauens vollends ausgelöscht, und jede Seele zur Empfänglichkeit aller Eindrücke, die er ihnen geben wollte, geöffnet hatten.Man kann sich leicht vorstellen, daß dieser Schritt des Agathyrsus die Gegenpartei nicht wenig beunruhigen mußte. Da die Revolution, welche unter demjenigen Theile der Bürgerschaft, der bisher gleichgültig geblieben, dadurch bewirkt worden war, bald darauf sehr merklich zu werden anfing, und alle Batterien, die man mit verdoppeltem Eifer dagegen spielen ließ, nicht nur ohne Wirkung blieben, sondern gerade die gegentheilige Wirkung thaten, und die Uebelgesinntheit der Schatten, durch die Vergleichung mit der Mäßigung und patriotischen Gesinnung des Prälaten, nur desto auffallender machten: so würden die besagten Schatten äußerst verlegen gewesen seyn, was sie anfangen wollten, um ihrer beinahe ganz gesunkenen Partei wieder einen Schwung zu geben, wenn der Priester Strobylus sie nicht bei Muth erhalten, und versichert hätte, daß er, sobald der Gerichtstag festgesetzt sey, dem kleinen Jason (wie er ihn zu nennen pflegte) ein Gewitter über den Hals schicken wolle, dessen er sich mit aller seiner Schlauheit gewiß nicht versehe, und wodurch die Sache sogleich ein ganz anderes Ansehen gewinnen werde.Die Schatten schienen sich nun so ruhig zu halten, daß Agathyrsus und sein Anhang diese anscheinende Niedergeschlagenheit ihrer Geister sehr wahrscheinlich der wenigen Hoffnung zuschreiben konnte, welche ihnen nach dem über sie erhaltnen zwiefachen Vortheil übrig geblieben. Sie verdoppelten daher ihre Bemühungen bei dem Archon Onolaus (dessen Sohn ein vertrauter Freund des Erzpriesters und einer der hitzigsten Esel war), einen nahen Tag zur Versammlung des großen Raths anzuberaumen; und sie erhielten endlich durch ihr ungestümes Anhalten, daß diese Feierlichkeit auf den sechsten Tag nach der letzten Rathssitzung festgesetzt wurde.Diejenigen, welche die Weisheit eines Plans oder einer genommenen Maßregel nach dem Erfolg zu beurtheilen pflegen, werden vielleicht in Sicherheit des Erzpriesters bei der plötzlichen Unthätigkeit seiner Gegenpartei einen Mangel an Klugheit und Vorsicht finden, von welchem wir ihn allerdings nicht gänzlich freisprechen können. Ganz gewiß würde es behutsamer von ihm gewesen seyn, diese Unthätigkeit vielmehr irgend einem wichtigen Anschlag, über welchem sie in der Stille brütete, als einem zu Boden gesunkenen Muthe zuzuschreiben. Allein es war einer von den Fehlern dieses Jasoniden, daß er, aus allzu lebhaftem Gefühl seiner eignen Stärke, seine Gegner immer mehr verachtete als die Klugheit erlaubt. Er handelte fast immer wie einer, der es nicht der Mühe werth hält, zu berechnen was ihm seine Feinde schaden können, weil er sich überhaupt bewußt ist, daß es ihm nie an Mitteln fehlen werde, das Aergste, was sie ihm thun können, von sich abzutreiben. Indessen ist doch im gegenwärtigen Falle zu vermuthen, daß tausend andre, an seinem Platz und bei so günstigen Anscheinungen, eben so gedacht, und, wie er, geglaubt hätten sehr wohl daran zu thun, wenn sie sich den guten Willen ihrer neuen Freunde zu Nutze machten, bevor er wieder erkaltete, und ihren Feinden keine Zeit ließen, wieder zu sich selbst zu kommen.Daß der Erfolg seiner Erwartung nicht gemäß war, kam von einem Streiche des Priesters Strobylus her, den er mit aller seiner Klugheit nicht voraussehen konnte; und der, so sehr er auch in dem Charakter dieses Mannes gegründet seyn mochte, doch so beschaffen war, daß man nur durch die unmittelbare Erfahrung dahin gebracht werden konnte, ihn dessen für fähig zu halten.
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Zehntes Kapitel.

Was für eine Mine der Priester Strobylus gegen seinen Collegen springen läßt. Zusammenberufung der Zehnmänner. Der Erzpriester wird vorgeladen, findet aber Mittel, sich sehr zu seinem Vortheil aus der Sache zu ziehen.

Tages vorher, ehe der Proceß über den Eselsschatten, der seit einigen Wochen die unglückliche Stadt Abdera in so weit aussehende Unruhen gestürzt hatte, vor dem großen Rath entschieden werden sollte, kam der Oberpriester Strobylus, mit zwei andern Priestern der Latona und verschiedenen Personen aus dem Volke, in großer Gemüthsbewegung und Eilfertigkeit früh Morgens zu dem Archon Onolaus, um Seiner Gnaden ein Wunderzeichen zu berichten, welches (wie man die höchste Ursache habe zu fürchten) die Republik mit irgend einem großen Unglück bedrohe.Es hätten nämlich schon in der ersten und zweiten Nacht vor dieser letztern einige zum Latonentempel gehörige Personen zu hören geglaubt, daß die Frösche des geheiligten Teiches — anstatt des gewöhnlichen Wreckeckeck Koax Koax, welches sie sonst mit allen andern natürlichen Fröschen, und selbst mit denen in den Stygischen Sümpfen (wie aus dem Aristophanes zu ersehen) gemein hätten — ganz ungewöhnliche und klägliche Töne von sich gegeben; wiewohl besagte Leute sich nicht getraut hätten, so nahe hinzuzugehen, um solche genau unterscheiden zu können. Auf die Anzeige, die ihm, dem Oberpriester, gestern Abends hiervon gemacht worden, habe er die Sache wichtig genug gefunden, um mit seiner untergebnen Priesterschaft die ganze Nacht bei dem geheiligten Teiche zuzubringen. Bis gegen Mitternacht habe die tiefste Stille auf demselben geruht: allein um besagte Zeit habe sich plötzlich ein dumpfes, unglückweissagendes Getön aus dem Teich erhoben; und da sie näher hinzu getreten, hätten sie insgesammt die Töne: Weh! Weh! Pheu! Pheu! Eleleleleleu! ganz deutlich unterscheiden können. Dieses Wehklagen habe eine ganze Stunde lang gedauert, und sey, außer den Priestern, noch von allen denen gehört worden, die er als Zeugen eines so unerhörten und höchst bedenklichen Wunders mir sich gebracht habe. Da nun gar nicht zu bezweifeln sey, daß die Göttin ihr bisher geliebtes Abdera durch dieses drohende und wundervolle Anzeichen vor irgend einem bevorstehenden großen Unglück habe warnen, oder vielleicht zur Untersuchung und Bestrafung irgend eines noch unentdeckten Frevels auffordern wollen, der den Zorn der Götter auf die ganze Stadt ziehen könnte: so wolle er, kraft seines Amtes und im Namen der Latona, Seine Gnaden hiermit ersucht haben, das ehrwürdige Collegium der Zehnmänner unverzüglich zusammenberufen zu lassen, damit die Sache ihrer Wichtigkeit gemäß erwogen, und die weitern Vorkehrungen, die ein solcher Vorfall erfordere, getroffen werden könnten.Der Archon, der in dem Rufe stand sich in Betreff der geheiligten Frösche ziemlich stark auf die freien Meinungen Demokrits zu neigen, schüttelte bei diesem Vortrage den Kopf, und ließ die Priester eine ziemliche Weile ohne Antwort. Allein der Ernst, womit diese Herren die Sache vorbrachten, und der seltsame Eindruck, den solche bereits auf die gegenwärtigen Personen aus dem Volke gemacht zu haben schien, ließen ihn leicht voraussehen, daß in wenig Stunden die ganze Stadt von diesem vorgeblichen Wunder voll seyn und in schreckenvolle Ahndungen gesetzt werden dürfte, bei welchen ihm nicht erlaubt seyn würde gleichgültig zu bleiben. Es blieb ihm also nichts übrig, als sogleich in Gegenwart der Priester den Befehl zu geben, daß die Zehnmänner sich wegen eines außerordentlichen Vorfalls binnen einer Stunde in dem Tempel der Latona versammeln sollten.Inzwischen hatte, durch Veranstaltung des Oberpriesters, das Gerücht von einem furchtbaren Wunderzeichen, welches seit drei Nächten in dem Haine der Latona gehört werde, sich bereits durch ganz Abdera verbreitet. Die Freunde des Erzpriesters Agathyrsus, die nicht so einfältig waren sich durch ein solches Gaukelwerk täuschen zu lassen, wurden dadurch erbittert, weil sie nicht zweifelten, daß irgend ein böser Anschlag gegen ihre Partei darunter verborgen liege. Verschiedene junge Herren und Damen von der ersten Classe affectirten über das vorgegebene Wunder zu spotten, und machten Partien, in der nächsten Nacht der neumodischen Trauermusik im Froschteiche der Latona beizuwohnen. Aber auf das gemeine Volk und auf einen großen Theil der Vornehmern, die in Sachen dieser Art allenthalben gemeines Volk zu seyn pflegen, that die Erfindung des Oberpriesters ihre vollständige Wirkung. Das Pheu! Pheu! Elelelelelen! der Latonenfrösche unterbrach auf einmal alle bürgerlichen und häuslichen Beschäftigungen. Alte und Junge, Weiber und Kinder liefen auf den Gassen zusammen, und forschten mit erschrocknen Gesichtern nach den Umständen des Wunders. Und da beinahe ein jedes die Sache aus dem eignen Munde der ersten Zeugen gehört haben wollte, und der Eindruck, den man dergleichen Erzählungen auf die Zuhörer machen sieht, eine natürliche Anreizung für den Erzähler zu seyn pflegt, immer etwas das die Sache interessanter macht hinzuzuthun: so wurde das Wunder in weniger als einer Stunde in den verschiedenen Gegenden der Stadt mit so furchtbaren Umstanden gefüttert, daß den Leuten beim bloßen Hören die Haare zu Berge standen. Einige versicherten, die Frösche, als sie den fatalen Gesang angestimmt, hätten Menschenköpfe aus dem Teich emporgereckt; andere, daß sie ganz feurige Augen von der Größe einer Wallnuß gehabt hätten; noch andere, daß man zu eben der Zeit allerlei fürchterliche Gespenster, ungeheure heulende Töne von sich gebend, im Hain umherfahren gesehen; wieder andere, daß es bei hellem Himmel ganz erschrecklich über dem Teich geblitzt und gedonnert habe; und endlich betheuerten einige Ohrenzeugen: daß sie ganz deutlich die Worte: weh dir, Abdera! zu wiederholtenmalen hätten unterscheiden können. Kurz, das Wunder wurde (wie gewöhnlich) immer größer je weiter es sich fortwälzte, und fand desto mehr Glauben, je ungereimter, widersprechender und unglaublicher die Berichte waren, die davon gegeben wurden. Und da man bald darauf die Zehnmänner zu einer ungewöhnlichen Zeit in großer Hast und mit bedeutungsvollen Gesichtern dem Tempel der Latona zueilen sah; so zweifelte nun niemand mehr, daß Begebenheiten von der größten Wichtigkeit in dem Becher des Abderitischen Schicksals gemischt würden, und die ganze Stadt schwebte in zitternder Erwartung der Dinge, die da kommen sollten.Das Collegium der Zehnmänner war aus dem Archon, den vier ältesten Rathsherren, den zwei ältesten Zunftmeistern, dem Oberpriester der Latona, und zwei Vorstehern des geheiligten Teiches zusammengesetzt, und stellte das ehrwürdigste unter allen Abderitischen Tribunalen vor. Alle Sachen, bei denen die Religion von Abdera unmittelbar betroffen war, standen unter seiner Gerichtsbarkeit, und sein Ansehen war beinahe unumschränkt.Es ist eine alte Bemerkung, daß verständige Leute durchs Alter gewöhnlich weiser, und Narren mit den Jahren immer alberner werden. Ein Abderitischer Nestor hatte daher selten viel dadurch gewonnen, daß er zwei oder drei neue Generationen gesehen hatte; und so konnte man ohne Gefahr voraussetzen, daß die Zehnmänner von Abdera, im Durchschnitt genommen, den Ausschuß der blödesten Köpfe in der ganzen Republik ausmachten. Die guten Leute waren so bereitwillig, die Erzählung des Oberpriesters für eine Thatsache, die gar keinem Einwurf ausgesetzt seyn könne, anzunehmen, daß sie die Abhörung der Zeugen für eine bloße Formalität anzusehen schienen, womit man so schnell als möglich fertig zu werden suchen müssen. Da nun Strobylus die Herren von der Richtigkeit des Wunders schon zum voraus so wohl überzeugt fand, so glaubte er um so weniger zu wagen, wenn er ohne Zeitverlust zu demjenigen fortschritte, weßwegen er sich die Mühe genommen die ganze Fabel zu erfinden."Von dem ersten Augenblick an, sagte er, da meine eignen Ohren Zeugen dieses Wunderzeichens gewesen sind, welches (wie ich wohl sagen kann) in den Jahrbüchern von Abdera niemals seinesgleichen gehabt hat, stieg der Gedanke in mir auf: daß es eine Warnung der Göttin seyn könnte vor den Folgen ihrer Rache, die, wegen irgend eines geheimen unbestraften Verbrechens, über unsern Häuptern schweben möchte; und dieß setzte mich in die Nothwendigkeit, des Archons Gnaden zu gegenwärtiger Versammlung des sehr ehrwürdigen Zehnmännergerichts zu veranlassen. Was damals bloß Vermuthung war, hat sich seit einer einzigen Stunde zur Gewißheit aufgeklärt. Der Frevler ist bereits entdeckt, und das Verbrechen durch Augenzeugen erweislich, gegen deren Wahrhaftigkeit um so weniger einiger Zweifel vorwaltet, da der Thäter ein Mann von zu großem Ansehen ist, daß etwas Geringeres als die Furcht der Götter Leute von gemeinem Stande dahin bringen könnte, als Zeugen wider ihn aufzutreten. Sollten Sie es jemals für möglich gehalten haben, hochgeachtete Herren, daß jemand mitten unter uns verwegen genug seyn könne, unsern uralten, von den ersten Stiftern unsrer Stadt auf uns angeerbten, und durch so viele Jahrhunderte unbefleckt erhaltenen Gottesdienst und dessen Gebräuche und heilige Dinge zu verachten, und, ohne Ehrerbietung weder für die Gesetze noch den gemeinen Glauben und die Sitten unsrer Stadt, muthwilliger Weise zu mißhandeln, was uns allen heilig und ehrwürdig ist? Mit Einem Worte, können Sie glauben, daß ein Mann mitten in Abdera lebt, der, dem Buchstaben des Gesetzes zu Trotz, Störche in seinem Garten unterhält, die sich täglich mit Fröschen aus dem Teiche der Latona füttern?"Erstaunen und Entsetzen drückte sich bei diesen Worten auf jedem Gesicht aus. Wenigstens mußte der Archon, um nicht der Einzige zu seyn der die Ausnahme machte, sich eben so bestürzt anstellen als es seine übrigen Collegen wirklich waren. Ist's möglich? schrien drei oder vier von den ältesten zugleich: und wer kann der Bösewicht seyn, der sich eines solchen Verbrechens schuldig gemacht hat?"Verzeihen Sie mir, erwiederte Strobylus, wenn ich Sie bitte diesen harten Ausdruck zu mildern. Ich meines Orts will lieber glauben, daß nicht Gottlosigkeit, sondern bloßer Leichtsinn, und was man heutzutage, zumal seit Demokrit sein Unkraut unter uns ausgestreut hat, Philosophie zu nennen pflegt, die Quelle dieser anscheinenden Verachtung unsrer heiligen Gebräuche und Ordnungen sey. Ich will und muß dieß um so mehr glauben, da der Mann, der des besagten Frevels durch das einhellige Zeugniß von mehr als sieben glaubwürdigen Personen überwiesen werden kann, selbst ein Mann von geheiligtem Stande, selbst ein Priester, mit Einem Worte, daß es — der Jasonide Agathyrsus ist."Agathyrsus? riefen die erstaunten Zehnmänner aus Einem Munde. Drei oder vier von ihnen erblaßten, und schienen verlegen zu seyn, einen Mann von solcher Bedeutung, und mit dessen Hause sie immer in gutem Vernehmen gestanden, in einen so schlimmen Handel verwickelt zu sehen.Strobylus ließ ihnen keine Zeit sich zu erholen. Er befahl, die Zeugen hereinzurufen. Sie wurden einer nach dem andern abgehört; und es ergab sich: daß Agathyrsus allerdings seit einiger Zeit zwei Störche in seinen Gärten unterhielt; daß man sie öfters über dem geheiligten Teiche schweben sehen, und daß wirklich einer seiner quakenden Bewohner, der sich eben am Ufer sonnen wollte, von einem derselben verschlungen worden sey.Wiewohl nun hierdurch die Wahrheit der Beschuldigung außer allem Zweifel gesetzt schien: so glaubte der Archon Onolaus dennoch, die Klugheit erfordere, zu Verhütung unangenehmer Folgen, mit einem Manne wie der Erzpriester Jasons säuberlich zu verfahren. Er trug also darauf an, daß man sich begnügen sollte, ihm von Seiten der Zehnmänner freundlich bedeuten zu lassen: "man sey geneigt für dießmal zu glauben, daß die Sache, worüber man sich zu beklagen habe, ohne sein Vorwissen geschehen sey; man verspreche sich aber von seiner bekannten billigen Denkart, er werde keinen Augenblick Anstand nehmen, die verbrecherischen Störche an die Vorsteher des heiligen Teiches auszuliefern, und den Zehnmännern sowohl als der ganzen Stadt hierdurch eine gefällige Probe seiner Achtung gegen die Gesetze und religiösen Gebräuche seiner Vaterstadt zu geben."Drei Stimmen von neunen bekräftigten den Antrag des Archon: aber Strobylus und die übrigen setzten sich mit großem Eifer dagegen. Sie behaupteten: außerdem, daß es auf keine Weise zu billigen sey eine so übermäßige Gelindigkeit gegen einen Bürger von Abdera zu gebrauchen, der eines Verbrechens von solcher Schwere überwiesen sey, so erfordere auch die Gerichtsordnung, daß man ihn nicht eher verurtheile, eh' er gehört und zur Verantwortung gelassen worden. Diesem zufolge trug Strobylus darauf an: daß der Erzpriester vorgeladen werden sollte, unverzüglich vor den Zehnmännern zu erscheinen, und sich auf die wider ihn angebrachte Klage zu verantworten; und dieser Antrag ging, alles Einwendens der Minorität ungeachtet, mit sechs Stimmen gegen viere durch. Der Erzpriester wurde also mit allen in solchen Fällen üblichen Förmlichkeiten vorgeladen.Agathyrsus war nicht unvorbereitet, als die Abgeordneten der Zehnmänner in seinem Haus erschienen. Nachdem er sie über eine Stunde hatte warten lassen, wurden sie endlich in einen Saal geführt, wo der Erzpriester, in seinem ganzen Ornat, auf einem erhöhten elfenbeinernen Lehnstuhle sitzend, das stotternde Anbringen ihres Worthalters mit großer Gelassenheit anhörte. Als sie damit fertig waren, winkte er mit der Hand einen Bedienten, der seitwärts hinter seinem Stuhle stand. Führe die Herren, sagte er zu ihm, in die Gärten, und zeige ihnen die Störche von denen die Rede ist, damit sie ihren Principalen sagen können, daß sie solche mit eignen Augen gesehen haben; hernach bringe sie wieder hierher.Die Abgeordneten machten große Augen; aber die Ehrfurcht vor dem Erzpriester band ihre Zungen, und sie folgten dem Diener stillschweigend, als Leute denen nicht ganz wohl bei der Sache war. Als sie wieder zurückgekommen, fragte sie Agathyrsus, ob sie die Störche gesehen hätten? und da sie insgesammt mit Ja geantwortet hatten, fuhr er fort: nun so geht, macht dem sehr ehrwürdigen Gericht der Zehnmänner mein Compliment, und sagt denen, die euch geschickt haben: ich lasse ihnen wissen, daß diese .Störche, wie alles übrige was in dem Umfang des Jasontempels lebt, auch unter Jasons Schutze stehen; und daß ich die Anmaßung, einen Erzpriester dieses Tempels vorzuladen und nach den Abderitischen Gesetzen richten zu wollen, sehr lächerlich finde. Und damit winkte er ihnen, sich wegzubegeben.Diese Antwort — deren sich die Zehnmänner um so mehr hätten versehen sollen, da ihnen nicht unbekannt seyn konnte, daß der Jasontempel mit seiner Priesterschaft von der Gerichtsbarkeit der Stadt Abdera gänzlich befreit war —setzte sie in eine unbeschreibliche Verlegenheit; und der Oberpriester Strobylus gerieth darüber in einen so heftigen Zorn, daß er vor Wuth gar nicht mehr wußte was er sagte, und endlich damit endigte, der ganzen Republik den Untergang zu drohen, wofern dieser unleidliche Stolz eines kleinen aufgeblasenen Pfaffen, der (wie er sagte) nicht einmal als ein öffentlicher Priester anzusehen sey, nicht gedemüthigt, und der beleidigten Latona die vollständigste Genugthuung gegeben werde.Allein der Archon und seine drei Rathsherrn erklärten sich: daß Latona (für deren Frösche sie übrigens alle schuldige Ehrerbietung hegten) nichts damit zu thun habe, wenn die Zehnmänner die Gränzen ihrer Gerichtsbarkeit überschritten,. "Ich hab' euch's vorhergesagt, sprach der Archon, aber ihr wolltet nicht hören. Würde mein Vorschlag angenommen worden seyn, so bin ich gewiß, der Erzpriester hätte uns eine höfliche und gefällige Antwort gegeben; denn ein gut Wort findet eine gute Statt. Aber der ehrwürdige Oberpriester glaubte eine Gelegenheit gefunden zu haben, seinen alten Groll an dem Erzpriester auszulassen; und nun zeigt es sich, daß er und diejenigen, die sich von seinem unzeitigen Eifer hinreißen ließen, dem Gericht der Zehnmänner einen Schandfleck zugezogen haben, den alles Wasser des Hebrus und Nestus in hundert Jahren nicht wieder abwaschen wird. Ich gesteh' es (setzte er mit einer Hitze hinzu, die man in vielen Jahren nicht an ihm wahrgenommen hatte), ich bin es müde, der Vorsteher einer Republik zu seyn, die sich von Eselsschatten und Fröschen zu Grunde richten läßt, und ich bin sehr gesonnen, mein Amt, eh' es Morgen wird, niederzulegen; aber so lang' ich es noch trage, Herr Oberpriester, sollt ihr mir für jede Unordnung haften, die von diesem Augenblick an auf den Straßen von Abdera entstehen wird." — Und mit diesen Worten, die mit einem sehr ernstlichen Blick auf den betroffnen Strobylus begleitet waren, begab sich der Archon mit seinen drei Anhängern hinweg, und ließ die übrigen in sprachloser Bestürzung zurück.Was ist nun anzufangen? sagte endlich der Oberpriester, den die Wendung, die das Werk seiner Erfindung wider alles Vermuthen genommen hatte, nicht wenig zu beunruhigen anfing; was ist nun zu thun, meine Herren?Das wissen wir nicht, sagten die beiden Zunftmeister und der vierte Rathsherr, und gingen ebenfalls davon; so daß Strobylus und die zwei Vorsteher des geheiligten Teiches allein blieben, und, nachdem sie eine Zeit lang alle drei zugleich gesprochen hatten ohne selbst recht zu wissen was sie sagten, endlich des Schlusses eins wurden: vor allen Dingen bei dem einen der Vorsteher — die Mittagstafel einzunehmen, und sodann mit ihren Freunden und Anhängern zu Rathe zu gehen, wie sie es nun anzufangen hätten, um die Bewegung, worein das Volk diesen Morgen gesetzt worden war, auf einen Zweck zu lenken, der den Sieg ihrer Partei entscheiden könnte.
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Eilftes Kapitel.

Agathyrsus beruft seine Anhänger zusammen. Substanz seiner Rede an sie. Er ladet sie zu einem großen Opferfest ein. Der Archon Onolaus will sein Amt niederlegen. Unruhe der Partei des Erzpriesters über dieses Vorhaben. Durch was für eine List sie solches vereiteln.

Inzwischen ließ Agathyrsus, sobald die Abgeordneten der Zehnmänner sich wieder wegbegeben hatten, unverzüglich die Vornehmsten von seinem Anhang im Rath und unter der Bürgerschaft nebst allen Jasoniden zu sich berufen. Er erzählte ihnen, was ihm so eben auf Anstiften des Priesters Strobylus mit den Zehnmännern begegnet war, und stellte ihnen vor, wie nothwendig es nun, für das Ansehen ihrer Partei sowohl, als für die Ehre und selbst für die Erhaltung der Stadt Abdera sey, die Anschläge dieses ränkevollen Mannes zu vereiteln, und dem Volke, welches er durch die lächerliche Fabel von der Wehklage der Latonenfrösche in Unruhe gesetzt, wieder einen entgegengesetzten Stoß zu geben. Es falle einem jeden von selbst in die Augen, daß Strobylus dieses armselige Mährchen nur deswegen ersonnen habe, um die eben so ungereimte, aber wegen der abergläubischen Vorurtheile des Volkes desto gefährlichere Anklage, die er gegen ihn, den Erzpriester, bei den Zehnmännern angebracht, vorzubereiten, und eine wichtige, die Wohlfahrt der ganzen Republik betreffende Sache daraus zu machen. Aber auch dieß sey im Grunde doch nur ein Mittel, wozu er in der Verzweiflung gegriffen habe, um seiner darniedergesunkenen Partei wieder auf die Füße zu helfen, und von den Bewegungen, welche in der Stadt dadurch erregt worden, bei bevorstehender Entscheidung des Eselschatten-Handels Vortheil zu ziehen. Weil nun aus eben diesem Grunde leicht vorauszusehen sey, daß der unruhige Priester aus dem, was diesen Morgen mit den Zehnmännern vorgegangen, neuen Stoff hernehmen werde, ihn, den Erzpriester, bei dem Volke verhaßt zu machen, und im Nothfalle wohl gar einen abermaligen noch gefährlichern Aufstand zu erregen: so habe er für nöthig gehalten, seine und des gemeinen Wesens zuverlässigsten Freunde in den Stand zu setzen, dem Volke und allen die dessen bedürften richtigere Begriffe von dem heutigen Vorgang und dessen etwanigen Folgen geben zu können. Was also die Störche anbelange, so wären solche ohne sein Zuthun von selbst gekommen, und hätten sich auf einem Baume seines Gartens ein Nest gebaut. Er habe sich nicht für berechtigt gehalten sie darin zu stören; theils weil die Störche seit undenklichen Zeiten bei allen gesitteten Völkern im Besitz einer Art von geheiligtem Gastrechte ständen; theils weil die Freiheit des Jasontempels und der Schutz dieses Gottes alle lebenden und leblosen Dinge angehe, die sich in dem Umfang seiner Mauern befänden. Das Gesetz, wodurch die Zehnmänner vor einigen Jahren die Störche aus dem Gebiet von Abdera verwiesen hätten, gehe ihn nichts an; indem die Gerichtsbarkeit dieses Tribunals sich nur über dasjenige erstrecke, was auf den Dienst der Latona und die Gebräuche desselben Bezug habe. Und überhaupt sey bekannt, daß der Jasontempel nur insofern, als die Republik bei dessen Stiftung versprochen habe, ihn gegen alle gewaltsamen Unternehmungen einheimischer oder auswärtiger Feinde zu beschützen, mit derselben in Verbindung stehe, übrigens aber von allem Gerichtszwange der Abderitischen Tribunale und von aller Oberherrlichkeit der Republik vollkommen und auf ewig befreit sey. Er habe also, indem er die unbefugte Vorladung von sich abgewiesen, nichts gethan als was seine Würde von ihm erfordere; die Zehnmänner hingegen hätten durch diesen unbesonnenen Schritt, wozu die Mehrheit derselben von dem Priester Strobylus verleitet worden, ihn in den Fall gesetzt, von der Republik wegen einer so groben Verletzung seiner erzpriesterlichen Vorrechte im Namen Jasons und aller Jasoniden die strengste und vollständigste Genugthuung zu fordern. Die Sache wäre von wichtigern Folgen, als die Anhänger des Zunftmeisters Pfriem und Strobylus mit seinen Froschpflegern sich vielleicht vorstellten. Das goldne Vließ, welches die Jasoniden als ihr wichtigstes Erbgut in diesem Tempel aufbewahrten, wäre seit Jahrhunderten als das Palladium von Abdera betrachtet und verehrt worden. Die Abderiten hätten sich also wohl vorzusehen, keine Schritte zu thun noch zuzulassen, wodurch sie vielleicht durch eigne Schuld desjenigen beraubt werden könnten, an welches, nach einem uralten und zur Religion gewordnen Glauben, das Schicksal und die Erhaltung ihrer Republik gebunden sey.Der Erzpriester empfing auf diesen Vortrag von allen Anwesenden die stärksten Versicherungen ihres Eifers sowohl für die gemeine Sache als für die Rechte und Freiheiten des Jasontempels. Man besprach sich über die verschiednen Maßregeln, die man nehmen wollte, um die Bürgerschaft in ihren guten Gesinnungen zu befestigen, und diejenigen wieder zu gewinnen, die entweder das vorgegebne Wunderzeichen mit den Fröschen der Latona irre gemacht, oder Strobylus gegen die Störche des Erzpriesters aufgewiegelt haben würde. Die Versammlung trennte sich hierauf, und jeder begab sich an seinen Posten, nachdem Agathyrsus sie alle zu einem feierlichen Opfer eingeladen hatte, welches er diesen Abend dem Jason in seinem Tempel bringen wollte.Während dieß im Palaste des Erzpriesters vorging, war der Archon, äußerst mißvergnügt über die nicht allzu ehrenfeste Rolle die er wider Willen hatte spielen müssen, nach Hause gekommen, und hatte alle seine Verwandten, Brüder, Schwäger, Söhne, Tochtermänner, Neffen und Vettern, zu sich berufen lassen, um ihnen anzukündigen: wie er fest entschlossen sey, morgenden Tages vor dem großen Rath seine Würde niederzulegen, und sich auf ein Landgut, das er vor einigen Jahren auf der Insel Thasus gekauft hatte, zurückzuziehen. Sein ältester Sohn und noch etliche von der Familie waren bei diesem Familienconvent nicht zugegen, weil sie eine halbe Stunde zuvor zu dem Erzpriester waren gebeten worden. Da nun die übrigen sahen, daß Onolaus, aller ihrer Bitten und Vorstellungen ungeachtet, unbeweglich auf seinem Vorsatz beharrte: so schlich sich einer von ihnen weg, um der Versammlung im Jasontempel Nachricht davon zu geben, und sie um ihren Beistand gegen einen so unverhofften widrigen Zufall zu ersuchen.Er langte eben an, da die Versammlung im Begriff war auseinanderzugehen. Diejenigen, denen die Gemüthsart des Archon von langem her bekannt war, fanden die Sache bedenklicher als sie beim ersten Anblick den meisten vorkam. Seit zehn Jahren, sagten sie, ist dieß vielleicht das erstemal, daß der Archon eine Entschließung aus sich selbst genommen hat. Gewiß ist sie ihm nicht plötzlich gekommen! Er brütet schon eine geraume Zeit darüber, und der heutige Vorgang hat nur die Schale gesprengt, die über kurz oder lang doch hätte brechen müssen. Kurz, diese Entschließung ist sein eignes Werk; man kann also sicher darauf rechnen, daß es nicht so leicht seyn wird, ihn davon zurückzubringen.Die ganze Versammlung gerieth darüber in Unruhe. Man fand, daß dieser Streich in einem so schwankenden Zeitpunkte, wie der gegenwärtige, der ganzen Partei und der Republik selbst sehr nachtheilig werden könnte. Es wurde also einhellig beschlossen: daß man zwar so viel von diesem Vorhaben des Archon unter das Volk kommen lassen müßte, als vonnöthen sey solches in Furcht und Ungewißheit zu setzen; zugleich aber wollte man auch veranstalten, daß noch vor dem Opfer im Jasontempel die angesehensten von den Räthen und Bürgern beider Parteien sich zu dem Archon begeben, und ihn im Namen des ganzen Abdera beschwören sollten, das Ruder der Republik nicht mitten in einem Sturme zu verlassen, wo sie eines so weisen Steuermanns am meisten vonnöthen hätten.Der Gedanke, die Vornehmsten von beiden Parteien hierin zu vereinigen, wurde dadurch nothwendig, weil man voraussah, daß ohne dieses Mittel alle ihre Arbeit an dem Archon fruchtlos seyn würde. Denn wiewohl er von Jugend an der Aristokratie eifrig ergeben war, so hatte er sich doch zu einem Grundsatz gemacht, nicht dafür angesehen seyn zu wollen; und die Popularität, die er zu diesem Ende schon so lange spielte, daß sie ihm endlich ganz natürlich ließ, war es eben, was ihn beim Volke so beliebt gemacht hatte, als noch wenige von seinen Vorfahren gewesen waren. Besonders hatte er, seitdem sich die Stadt in die zwei Parteien der Esel und der Schatten getheilt fand, einen ordentlichen Ehrenpunkt darein gesetzt, sich so zu betragen, daß er keiner von beiden Parteien Ursache gäbe, ihn zu der ihrigen zu zählen; und wiewohl beinahe alle seine Freunde und Anverwandten erklärte Esel waren, so blieben die Schatten doch überzeugt, daß sie nichts dadurch bei ihm verlören, und die Esel nichts dabei gewönnen; indem diese letztern genöthigt waren, alle ihre Schritte vor ihm zu verbergen, und bei jedem Vortheil, den sie über die Schatten erhielten, sich darauf verlassen konnten, daß er, um die Sachen wieder ins Gleichgewicht zu bringen, sich auf die Seite ihrer Gegner neigen würde, wiewohl er keinen einzigen von ihnen persönlich liebte.Die Bekanntmachung der Entschließung des Archons hatte alle die Wirkung, die man sich davon versprochen hatte. Das Volk gerieth darüber in neue Bestürzung. Die meisten sagten: man brauche nun weiter nicht nachzuforschen was die Wehklage der geheiligten Frösche vorbedeute; wenn der Archon die Republik in dem betrübten Zustande, worin sie sich befinde, verlasse, so sey alles verloren.Der Priester Strobylus und der Zunftmeister Pfriem erhielten die Nachricht von dem großen Opfer, das der Erzpriester veranstalte, und das Gerücht von dem Entschlusse des Archon, seine Stelle niederzulegen, zu gleicher Zeit. Sie übersahen beim ersten Blick die Folgen dieses gedoppelten Streichs, und eilten den einen zu erwiedern und dem andern zuvorzukommen. Strobylus ließ das Volk zu einer Expiation einladen, welche auf den Abend in dem Tempel der Latona mit großen Feierlichkeiten angestellt werden sollte, um die Stadt von geheimen Verbrechen zu reinigen, und die schlimme Vorbedeutung des Eleleleleleu der geheiligten Frösche abzuwenden. Meister Pfriem hingegen ging, die Räthe, Zunftmeister und angesehensten Bürger von seiner Partei aufzusuchen, und sich mit ihnen zu berathen, wie der Archon auf andere Gedanken zu bringen seyn möchte. Die meisten waren schon durch die geheimen Werkzeuge der Gegenpartei vorbereitet, welche als ein großes Geheimniß herumgeflüstert hatten: man wüßte ganz gewiß, daß die Esel sich alle mögliche Mühe gäben, den Archon unter der Hand in seinem Entschluß zu bestärken. Die Schatten hielten sich dadurch überzeugt, daß ihre Gegner einen aus ihrem Mittel zu der höchsten Würde in der Republik zu erheben gedachten, und also der Mehrheit im großen Rath, bei welchem die Wahl stand, schon ganz gewiß seyn müßten. Diese Betrachtung setzte sie in so großen Allarm, daß sie, mit einer Menge Volks hinter ihnen her, zur Wohnung des Onolaus eilten, und, während der Pöbel ein Vivat nach dem andern erschallen ließ, hinaufgingen, um Seine Gnaden im Namen der ganzen Bürgerschaft flehentlich zu bitten, den unglücklichen Gedanken an Resignation aufzugeben, und sie niemals, am wenigsten zu einer Zeit zu verlassen, wo seine Weisheit zu Beruhigung der Stadt unentbehrlich sey.Der Archon zeigte sich über diesen öffentlichen Beweis der Liebe und des Vertrauens seiner werthen Mitbürger sehr vergnügt. Er verhielt ihnen nicht, daß kaum vor einer Viertelstunde der größte Theil der Rathsherren, der Jasoniden, und aller übrigen alten Geschlechter von Abdera, bei ihm gewesen, und eben diese Bitte in eben so geneigten und dringenden Ausdrücken an ihn gethan hätten. So große Ursache er auch habe, der beschwerlichen Regierungslast müde zu seyn, und zu wünschen daß sie auf stärkere Schultern als die seinigen gelegt werden möchte: so habe er doch kein Herz, das diesem so lebhaft ausgedrückten Zutrauen beider Parteien widerstehen könne. Er sehe diese ihre Einmüthigkeit in Absicht auf seine Person und Würde als eine gute Vorbedeutung für die baldige Wiederherstellung der allgemeinen Ruhe an, und werde seines Orts alles Mögliche mit Vergnügen dazu beitragen.Als der Archon diese schöne Rede geendigt hatte, sahen die Schatten einander mit großen Augen an, und fanden sich, zu ihrem empfindlichsten Mißvergnügen, auf einmal um die Hälfte klüger als zuvor; denn sie merkten nun, daß sie von den Eseln betrogen und zu einem falschen Schritte verleitet worden waren. Sie hatten, in der Meinung daß sie diesen Schritt allein thäten, den Archon ganz dadurch auf ihre Seite zu ziehen gehofft; und nun fand sich's, daß er ihren Gegner eben so viel Verbindlichkeit hatte als ihnen; welches gerade so viel war als ob er ihnen gar keine hätte. Aber dieß war noch nicht das ärgste. Das hinterlistige Betragen der Esel war ein offenbarer Beweis, wie viel ihnen daran gelegen sey daß die Stelle des Archons nicht ledig würde. Nun konnte ihnen aber an der Person des Onolaus nicht viel gelegen seyn; denn er hatte nie das Geringste für ihre Partei gethan. Wenn sie also eifrig wünschten, daß er seinen Platz behalten möchte, so konnt' es aus keiner andern Ursache geschehen, als weil sie sich versichert hielten, daß die Schatten Meister von der Wahl des neuen Archon bleiben würden. Diese Betrachtungen, die sich ihnen jetzt mit einem Blicke darstellten, waren von einer so verdrießlichen Art, daß die armen Schatten alle Mühe von der Welt hatten ihren Unmuth zu verbergen, und sich, zu großem Vergnügen des Archons, ziemlich eilfertig wegbegaben, ohne daß es diesem eingefallen wäre sich darüber zu wundern, oder die Veränderung in ihren Gesichtern wahrzunehmen.Der heutige Tag war ein großer Tag für den weisen und ziemlich schwer beleibten Onolaus gewesen, und er war nun vollkommen wieder mit Abdera zufrieden. Er befahl also daß seine Thür geschlossen werden sollte, zog sich in sein Gynäceum zurück, warf sich in seinen Lehnstuhl, schwatzte mit seiner Frau und seinen Töchtern, aß zu Nacht, ging zeitig zu Bette, und schlief, wohlgetröstet und unbesorgt um das Schicksal von Abdera, bis an den hellen Morgen.
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Zwölftes Kapitel.

Der Entscheidungstag. Maßregeln beider Parteien. Die Vierhundert versammeln sich, und das Gericht nimmt seinen Anfang. Philanthropisch-patriotische Träume des Herausgebers dieser merkwürdigen Geschichte.

Die verschiedenen Maschinen, welche man diesen Tag über auf beiden Seiten hatte spielen lassen, brachten den Abderitischen Staatskörper, bei dem Anschein der größten innerlichen Bewegung, durch die Stöße, die er nach entgegengesetzter Richtung erhielt, in eine Art von wagerechtem Schwanken, vermöge dessen um die Zeit, da die Vierhundert zu Entscheidung des Eselsschattenhandels zusammen kamen, sich alles ungefähr in eben dem Stande befand, worin es einige Tage zuvor gewesen war, das ist, daß die Esel den größten Theil des Raths, die Patricier und die Ansehnlichsten und Vermöglichsten von der Bürgerschaft auf ihrer Seite hatten, die Schatten hingegen ihre meiste Stärke von der größern Anzahl zogen. Denn, seit dem feierlichen Umgang um den Froschteich der Latona, welchen Strobylus den Abend zuvor veranstaltet, und dem die sämmtlichen Schatten, mit dem Nomophylax Gryllus und dem Zunftmeister Pfriem an ihrer Spitze, sehr andächtig beigewohnt hatten, war der Pöbel wieder gänzlich für die letztere Partei erklärt.Es würde bei Gelegenheit dieses Umgangs dem Priester Strobylus und den übrigen Häuptern derselben ein Leichtes gewesen seyn, mittelst ihres Ansehens über einen fanatischen Haufen Volks, welcher größtentheils bei gänzlicher Zerrüttung der Republik mehr zu gewinnen als zu verlieren hatte, noch an selbigem Abend viel Unheil in Abdera anzurichten. Allein — außerdem, daß der Oberpriester im Namen des Archons noch einmal nachdrücklichst angewiesen worden war, den Pöbel in gehöriger Ordnung zu erhalten, und dafür zu sorgen, daß der Tempel und alle Zugänge zu dem geheiligten Teiche noch vor Sonnenuntergang geschlossen wären — so waren sie auch selbst weit entfernt, die Sache ohne höchste Noth aufs äußerste treiben, oder die ganze Stadt in Blut und Flammen sehen zu wollen; und so klug waren sie doch, trotz ihrer übrigen Abderitheit, um einzusehen, daß, wenn ihnen der Pöbel einmal die Zügel aus den Händen gerissen hätte, es nicht mehr in ihrer Gewalt seyn würde, der ungestümen Wuth eines so blinden reißenden Thiers wieder Einhalt zu thun. Der Zunftmeister begnügte sich also, da der Umgang vorbei war und die Thüren des Tempels geschlossen wurden, dem aus einander gehenden Volke zu sagen: er hoffe, daß sich alle redlichen Abderiten morgen um neun Uhr auf dem Markte bei dem Urtheil über den Handel ihres Mitbürgers Struthion einfinden, und, soviel an ihnen wäre, dazu mit helfen würden, daß seine gerechte Sache den Sieg davon trage.Die Einladung war zwar, ungeachtet der glimpflichen und (seiner Meinung nach) sehr behutsamen Ausdrücke worin er sie vorbrachte, nicht viel besser als ein höchst gesetzwidriges Verfahren eines aufrührischen Zunftmeisters, der im Nothfall die Richter durch die unmittelbare Gefahr eines Tumults nöthigen wollte, das Urtheil nach seinem Sinn abzufassen. Allein dieß war es auch, worauf es ankommen zu lassen die Schatten fest entschlossen waren; und da die andere Partei hiervon völlig überzeugt war, so hatten sie ihrerseits alle möglichen Maßregeln genommen, sich auf das Aeußerste, was geschehen konnte, gefaßt zu halten.Der Erzpriester ließ, sobald das Gericht den Anfang nahm, alle Zugänge zum Jasontempel von einer Schaar handfester Gerber und Fleischer, die mit tüchtigen Knütteln und Messern versehen waren, besetzen; und in den Häusern der vornehmsten Esel hatte man sich in eine Verfassung gesetzt, als ob man eine Belagerung auszuhalten gedenke. Die Esel selbst erschienen mit Dolchen unter ihren langen Kleidern auf dem Gerichtsplatze; und einige von denen, die am lautesten sprachen, hatten die Vorsicht gebraucht, sogar einen Panzer unter ihrem Brustlatze zu tragen, um ihren patriotischen Busen mit desto größerer Sicherheit den Stößen der Feinde der guten Sache entgegen setzen zu können.Die neunte Stunde kam nun heran. Ganz Abdera stand in zitternder Bewegung, erwartungsvoll des Ausgangs, den ein so unerhörter Handel nehmen würde; niemand hat sein Frühstück ordentlich zu sich genommen, wiewohl alles schon mit Tagesanbruch auf den Füßen war. Die Vierhundert versammelten sich auf dem erhöhten Vorplatze der Tempel des Apollo und der Diana (dem gewöhnlichen Ort, wo der große Rath unter freiem Himmel gehalten wurde), dem großen Marktplatze gegenüber, von welchem man auf einer breiten Treppe von vierzehn Stufen zur Terrasse hinauf stieg. Auch der Kläger und Beklagte mit ihren nächsten Anverwandten und mit ihren beiden Sykophanten hatten sich bereits eingefunden, und ihren gehörigen Platz eingenommen; indessen sich der ganze Markt mit einer Menge Volks anfüllte, dessen Gesinnungen durch ein lärmendes Vivat, so oft ein Rathsherr oder Zunftmeister von der Schattenpartei einher gestiegen kam, sich deutlich genug verriethen.Alles wartete nun auf den Nomophylax, der, nach den Gewohnheiten der Stadt Abdera, in allen Fällen, wo die Versammlung des großen Rathes nicht unmittelbare Angelegenheiten des gemeinen Wesens betraf, den Vorsitz bei demselben führte. Die Esel hatten zwar alles angewandt, den Archon Onolaus dahin zu bringen, daß er, weil es doch um ein neues Gesetz zu thun wäre, den elfenbeinernen Lehnstuhl (der, um drei Stufen über die Bänke der Räthe erhöht, für den Präsidenten gesetzt war) mit seiner eignen ehrwürdigen Person ausfüllen möchte. Aber er erklärte sich: daß er lieber das Leben lassen, als sich dazu verstehen wolle, über ein Eselsschattengericht zu präsidiren. Man hatte sich also gezwungen gesehen seiner Delicatesse nachzugeben.Der Nomophylax —als ein großer Anhänger der Etikette, gewohnt, bei dergleichen Gelegenheiten auf sich warten zu lassen — hatte dafür gesorgt, daß die Versammlung indessen mit einer Musik von seiner Composition unterhalten, und (wie er sagte) zu einer so feierlichen Handlung vorbereitet würde. Dieser Einfall, wiewohl er eine Neuerung war, wurde dennoch sehr wohl aufgenommen, und that (gegen die Absicht des Nomophylax, der seine Partei dadurch in verstärkte Bewegungen von Muth und Eifer hatte setzen wollen) eine sehr gute Wirkung. Denn die Musik gab denen von der Partei des Erzpriesters zu einer Menge spaßhafter Einfälle Anlaß, über welche sich von Zeit zu Zeit ein großes Gelächter erhob. Einer sagte: dieses Allegro klingt ja wie ein Schlachtgesang, —zu einem Wachtelkampfe, fiel ein anderer ein. Dafür tönt aber auch, sagte ein dritter, das Adagio, als ob es dem Zahnbrecher Struthion und Meister Knieriemen, seinem Schutzpatron, zu Grabe singen sollte. Die ganze Musik, meinte ein vierter, verdiene von Schatten gemacht, und von Eseln gehört zu werden u. s. w. Wie frostig nun auch diese Scherze waren, so brauchte es doch bei einem so jovialischen und so leicht anzustellenden Völkchen nichts mehr, um die ganze Versammlung unvermerkt in ihre natürliche komische Laune umzustimmen; eine Laune, die der Parteiwuth, wovon sie noch besessen waren, unvermerkt ihren Gift benahm, und vielleicht mehr als irgend etwas andres zur Erhaltung der Stadt in diesem kritischen Augenblicke beitrug.Endlich erschien der Nomophylax mit seiner Leibwache von armen, ausgemergelten und bresthaften Handwerkern, welche, mit stumpfen Hellebarden und mit einer friedsamen Art von eingerosteten Degen bewaffnet, mehr das Ansehen der lächerlichen Figuren hatten, womit man in Gärten die Vögel schreckt, als von Kriegsmännern, die dem Gerichte beim Pöbel Würde und Furchtbarkeit verschaffen sollten. Wohl indessen der Republik, die zu Beschirmung ihrer Thore und innerlichen Sicherheit keiner andern Helden nöthig hat als solcher!Der Anblick dieser grotesken Milizer, und die ungeschickte possierliche Art, wie sie sich in dem kriegerischen Aufzuge, worein man sie nicht ohne Mühe verkleidet hatte, gebärdeten, erweckte der dem zuschauenden Volke einen neuen Anstoß von Lustigkeit; so daß der Herold viele Mühe hatte, die Leute endlich zu einer leidlichen Stille, und zu dem Respect, den sie dem höchsten Gerichte schuldig waren, zu bringen.Der Präsident eröffnete nunmehr die Sitzung mit einer kurzen Rede, der Herold gebot ein abermaliges Stillschweigen; und die Sykophanten beider Theile wurden namentlich aufgefordert, sich mit ihrer Klage und Verantwortung mündlich vernehmen zu lassen.Den Sykophanten, welche für große Meister in ihrer Art galten, mußte die Gelegenheit, ihre Kunst an einem Eselsschatten sehen zu lassen, an sich allein schon eine große Aufmunterung seyn. Man kann also leicht denken, wie sie sich nun vollends zusammengenommen haben werden, da dieser Eselsschatten ein Gegenstand geworden war, woran die ganze Republik Antheil nahm, und um dessen willen sie sich in zwei Parteien getrennt hatte, deren jede die Sache ihres Clienten zu ihrer eignen machte. Seit ein Abdera in der Welt war, hatte man noch keinen Rechtshandel gesehen, der so lächerlich an sich selbst, und so ernsthaft durch die Art wie er behandelt wurde, gewesen wäre. Ein Sykophant müßte auch ganz und gar kein Genie und keinen Sykophantensinn gehabt haben, der bei einer solchen Gelegenheit nicht sich selbst übertroffen hätte.Um so mehr ist es zu beklagen, daß der übel berüchtigte Zahn der Zeit, dem so viele andere große Werke des Genie's und Witzes nicht entgehen konnten noch künftig entgehen werden, leider! auch der Originale dieser beiden berühmten Reden nicht verschont hat! —wenigstens so viel uns bekannt ist. Denn wer weiß, ob es nicht vielleicht einem künftigen Fourmont, Sevin oder Villoison, der auf Entdeckung alter Handschriften ausgeht, dereinst gelingen mag, eine Abschrift derselben in irgend einem bestäubter Winkel einer alten Klosterbibliothek aufzuspüren? Oder, wenn dieß nicht zu hoffen stände, wer kann sagen, ob nicht in der Folge der Zeiten Thracien selbst wieder in die Hände christlicher Fürsten fallen wird, die sich eine Ehre daraus machen werden, mächtige Beförderer der Wissenschaften zu seyn, Akademien zu stiften, versunkne Städte ausgraben zu lassen u. s. w. Wer weiß, ob nicht alsdann diese gegenwärtige Abderitengeschichte selbst (so unvollkommen sie ist), in die Sprache dieses künftigen bessern Thraciens übersetzt, die Ehre haben wird Gelegenheit zu geben, daß ein solcher Neuthracischer Musaget auf den Einfall kommt, die Stadt Abdera aus ihrem Schutte hervorzurufen? da denn ohne Zweifel auch die Kanzlei und das Archiv dieser berühmten Republik, und in demselben die sämmtlichen Originalacten des Processes um des Esels Schatten, nebst den beiden Reden, deren Verlust wir beklagen, sich wieder finden werden. —Es ist wenigstens angenehm, auf den Flügeln solcher patriotisch-menschenfreundlicher Träume sich in die Zukunft zu schwingen, und seinen Antheil an den Glückseligkeiten vorauszunehmen, die unsern Nachkommen noch bevorstehen; Glückseligkeiten, für welche die immer steigende Vervollkommnung der Wissenschaften und Künste, und die von ihnen sich über alles Fleisch ergießende Erleuchtung, Verschönerung und Sublimirung der Denkart, des Geschmacks und der Sitten, uns augenscheinliche Bürgschaft leisten!Inzwischen gereicht es uns doch zu einigem Troste, aus den Papieren, aus welchen gegenwärtige Fragmente der Abderitengeschichte genommen sind, wenigstens einen Auszug dieser Reden liefern zu können, dessen Aechtheit um so unverdächtiger ist, da kein Leser, der eine Nase hat, den Duft der Abderitheit, der daraus emporsteigt, verkennen wird. Ein innerliches Argument, das am Ende doch immer das beste zu seyn scheint, das für das Werk irgend eines Sterblichen, er sey nun ein Ossian oder ein Abderitischer Feigenredner, sich geben läßt!
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Dreizehntes Kapitel.

Rede des Sykophanten Physignatus.

Der Sykophant Physignatus, der als Sachwalter des Zahnarztes Struthion zuerst sprach, war ein Mann von Mittelgröße, starken Muskeln und mächtiger Lunge. Er wußte sich viel damit, daß er ein Schüler des berühmten Gorgias gewesen war, und machte Ansprüche, einer der größten Redner seiner Zeit zu seyn. Aber in diesem Stücke war er, wie in vielen andern, ein offenbarer Abderit. Seine größte Kunst bestand darin, daß er, um seinem wortreichen Vortrag durch die mannichfaltige Modulation seiner Stimme mehr Lebhaftigkeit und Ausdruck zu geben, in dem Umfang von anderthalb Octaven von einem Intervall zum andern wie ein Eichhorn herumsprang; und so viel Grimassen und Gesticulationen dazu machte, als ob er seinen Zuhörern nur durch Gebärden verständlich werden könnte.Indessen wollen wir ihm doch das Verdienst nicht abläugnen, daß er mit allen den Handgriffen, womit man die Richter zu seinem Vortheil einnehmen, ihren Verstand verwirren, seinen Gegentheil verhaßt, und überhaupt eine Sache besser, als sie ist, scheinen machen kann, ziemlich fertig umzuspringen, auch bei Gelegenheit keine unfeinen Gemälde zu machen wußte; wie der scharfsinnige Leser aus seiner Rede selbst ohne unser Erinnern am besten abnehmen wird.Physignatus trat mit der ganzen Unverschämtheit eines Sykophanten auf, der sich darauf verläßt, daß er Abderiten zu Zuhörern hat, und fing also an:"Edle, ehrenfeste und weise, großmögende Vierhundertmänner!"Wenn jemals ein Tag war, an welchem sich die Vortrefflichkeit der Verfassung unsrer Republik in ihrem größten Glanz enthüllt hat, und wenn jemals ich mit dem Gefühl, was es ist ein Bürger von Abdera zu seyn, unter euch aufgetreten bin: so ist es an diesem großen Tage, da vor dieses ehrwürdige höchste Gericht, vor diese erwartungsvolle und theilnehmende Menge des Volks, vor diesen ansehnlichen Zusammenfluß von Fremden, die der Ruf eines so außerordentlichen Schauspiels schaarenweis herbeigezogen hat, ein Rechtshandel zur Entscheidung gebracht werden soll, der in einem minder freien, minder wohleingerichteten Staate, der selbst in einem Theben, Athen oder Sparta, nicht für wichtig genug gehalten worden wäre, die stolzen Verwalter des gemeinen Wesens nur einen Augenblick zu beschäftigen. Edles, preiswürdiges, dreimal glückliches Abdera! du allein genießest unter dem Schutz einer Gesetzgebung, der auch die geringsten, auch die zweifelhaftesten und spitzfindigsten Rechte und Ansprüche der Bürger heilig sind, du allein genießest das Wesen einer Sicherheit und Freiheit, wovon andere Republiken (was auch sonst die Vorzüge seyn mögen, womit sich ihre patriotische Eitelkeit brüstet) nur den Schatten zum Antheil haben."Oder, saget mir, in welcher andern Republik würde ein Rechtshandel zwischen einem gemeinen Bürger und einem der geringsten aus dem Volke, ein Handel, der dem ersten Anblick nach kaum zwei oder drei Drachmen beträgt, über einen Gegenstand, der so unbedeutend scheint, daß die Gesetze ihn bei Benennung der Dinge, welche ins Eigenthum kommen können, gänzlich vergessen haben, ein Handel über etwas, dem ein subtiler Dialektiker sogar den Namen eines Dinges streitig machen könnte, — mit Einem Wort, ein Streit über den Schatten eines Esels — saget mir, in welcher andern Republik würde ein solcher Rechtshandel zum Gegenstand der allgemeinen Theilnehmung, zur Sache eines jeden, und also, wenn ich so sagen darf, gleichsam zur Sache des ganzen Staats geworden seyn? In welcher andern Republik sind die Gesetze des Eigenthums so scharf bestimmt, die gegenseitigen Rechte der Bürger vor aller Willkür der obrigkeitlichen Personen so sicher gestellt, die geringfügigsten Ansprüche oder Forderungen selbst des ärmsten, in den Augen der Obrigkeit so wichtig und hoch angesehen, daß das höchste Gericht der Republik selbst es nicht unter seiner Würde hält, sich feierlich zu versammeln, um über das zweifelhaft scheinende Recht an einen Eselsschatten zu erkennen?"Wehe dem Manne, der bei diesem Worte die Nase rümpfen, und, aus albernen kindischen Begriffen von dem was groß oder klein ist, mit unverständigem Hohnlächeln ansehen könnte, was die höchste Ehre unsrer Justizverfassung, der Ruhm unsrer Obrigkeit, der Triumph des ganzen Abderitischen Wesens und eines jeden guten Bürgers ist! Wehe dem Manne, ich wiederhol' es zum zweiten- und drittenmal, der keinen Sinn hätte, dieß zu fühlen! Und Heil der Republik, in welcher, sobald es auf die Gerechtsame der Bürger, auf einen Zweifel über Mein und Dein, die Grundfeste aller bürgerlichen Sicherheit, ankommt, auch ein Eselsschatten keine Kleinigkeit ist!"Aber, indem ich solchergestalt auf der einen Seite, mit aller Wärme eines Patrioten, allem gerechten Stolz eines ächten Abderiten, fühle und erkenne, welch ein glorreiches Zeugniß von der vortrefflichen Verfassung unsrer Republik sowohl, als von der unparteiischen Festigkeit und nichts übersehenden Sorgfalt, womit unsre ruhmwürdige regierende Obrigkeit die Wage der Gerechtigkeit handhabet, dieser vorliegende Handel bei der spätesten Nachkommenschaft ablegen wird: wie sehr muß ich auf der andern Seite die Abnahme jener treuherzigen Einfalt unsrer Voreltern, das Verschwinden jener mitbürgerlichen und freundnachbarlichen Sinnesart, jener gegenseitigen Dienstbeflissenheit, jener freiwilligen Geneigtheit, aus Liebe und Freundschaft, aus gutem Herzen, oder wenigstens um des Friedens willen, etwas von unserm vermeinten strengen Rechte fahren zu lassen, — wie sehr, mit Einem Worte, muß ich den Verfall der guten alten Abderitischen Sitten beklagen, der die wahre und einzige Quelle des unwürdigen, schamvollen Rechtshandels ist, in welchem wir heute befangen sind! — Wie werd' ich's ohne glühende Schamröthe heraussagen können? — O du einst so berühmte Biederherzigkeit unsrer guten Alten, ist es dahin mit dir gekommen, daß Abderitische Bürger — sie, die bei jeder Gelegenheit, aus vaterländischer Treue und nachbarlicher Freundschaft, bereit seyn sollten das Herz im Leibe miteinander zu theilen — so eigennützig, so karg, so unfreundlich, was sag' ich, so unmenschlich sind, einander sogar den Schatten eines Esels zu versagen?"Doch —verleiht mir, werthe Mitbürger! ich irrte mich in dem Worte —verzeiht mir eine unvorsetzliche Beleidigung! Derjenige, der einer so niedrigen, so rohen und barbarischen Denkart fähig war, ist keiner unsrer Mitbürger. Es ist ein bloß geduldeter Einwohner unsrer Stadt, ein bloßer Schutzverwandter des Jasontempels, ein Mensch aus den dicksten Hefen des Pöbels, ein Mensch, von dessen Geburt, Erziehung und Lebensart nichts Besseres zu erwarten war, mit Einem Wort, ein Eseltreiber — der, außer dem gleichen Boden und der gemeinsamen Luft, die er athmet, nichts mit uns gemein hat, als was uns auch mit den wildesten Völkern der Hyperboreischen Wüsten gemein ist. Seine Schande klebt an ihm allein; uns kann sie nicht besudeln. Ein Abderitischer Bürger; ich unterstehe mich's zu sagen, hätte sich keiner solchen Unthat schuldig machen können."Aber — nenn' ich sie vielleicht mit einem zu strengen Namen, diese That? — Stellet euch, ich bitte, an den Platz eures guten Mitbürgers Struthion, und — fühlet!"Er reiset in seinen Geschäften, in Geschäften seiner edeln Kunst, die es bloß mit Verminderung der Leiden seiner Nebenmenschen zu thun hat, von Abdera nach Gerania. Der Tag ist einer der schwülsten Sommertage. Die strengste Sonnenhitze scheint den ganzen Horizont in den hohlen Bauch eines glühenden Backofens verwandelt zu haben. Kein Wölkchen, das ihre sengenden Strahlen dämpfe! Kein wehendes Lüftchen, den verlechzten Wandrer anzufrischen! Die Sonne flammt über seiner Scheitel, saugt das Blut aus seinen Adern, das Mark aus seinen Knochen. Lechzend, die dürre Zung' am Gaumen, mit trüben, von Hitze und Glanz erblindenden Augen, sieht er sich nach einem Schattenplatz, nach irgend einem einzelnen mitleidigen Baum um, unter dessen Schirm er sich erholen, er einen Mund voll frischerer Luft einathmen, einen Augenblick vor den glühenden Pfeilen des unerbittlichen Apollo sicher seyn könnte."Umsonst! Ihr kennet alle die Gegend von Abdera nach Gerania. Zwei Stunden lang, zur Schande des ganzen Thraciens sey es gesagt! kein Baum, keine Staude, die das Auge des Wandrers in dieser abscheulichen Fläche von magern Brach- und Kornfeldern erfrischen, oder ihm gegen die mittägliche Sonne Zuflucht geben könnte!"Der arme Struthion sank endlich von seinem Thier herab. Die Natur vermocht' es nicht länger auszudauern. Er ließ den Esel halten, und setzte sich in seinen Schatten. — Schwaches, armseliges Erholungsmittel! Aber so wenig es war, war es doch etwas!"Und welch ein Ungeheuer mußte der Gefühllose, der Felsenherzige seyn, der seinem leidenden Nebenmenschen, in solchen Umständen, den Schatten eines Esels versagen konnte! Wär' es glaublich, daß es einen solchen Menschen gebe, wenn wir ihn nicht mit eignen Augen vor uns sähen? — Aber hier steht er, und, was beinahe noch ärger, noch unglaublicher als die That selbst ist — er bekennt sich von freien Stücken dazu, scheint sich seiner Schande noch zu rühmen; und, damit er keinem seinesgleichen, der künftig noch geboren werden mag, eine Möglichkeit, ihm an schamloser Frechheit gleich zu kommen, übrig lasse, treibt er sie so weit, nachdem er schon von dem ehrwürdigen Stadtgericht in erster Instanz verurtheilet worden, sogar vor der Majestät dieses höchsten Gerichtshofes der Vierhundertmänner zu behaupten, daß er Recht daran gethan habe. — "Ich versagte ihm den Eselsschatten nicht, spricht er, wiewohl ich nach dem strengen Recht nicht schuldig war ihn darin sitzen zu lassen; ich verlangte nur eine billige Erkenntlichkeit dafür, daß ich ihm zu dem Esel, den ich ihm vermiethet hatte, nun auch den Schatten des Esels überlassen sollte, den ich nicht vermiethet hatte." — Elende, schändliche Ausflucht! Was würden wir von dem Manne denken, der einem halb verschmachteten Wandrer verwehren wollte, sich unentgeltlich in den Schatten seines Baumes zu setzen? Oder wie würden wir denjenigen nennen, der einem vor Durst sterbenden Fremdling nicht gestatten wollte sich aus dem Wasser zu laben, das auf seinem Grund und Boden flösse?"Erinnert euch, o ihr Männer von Abdera, daß dieß allein, und kein andres, das Verbrechen jener Lycischen Bauern war, die der Vater der Götter und der Menschen, zur Rache wegen einer gleichartigen Unmenschlichkeit, welche diese Elenden an seiner geliebten Latona und ihren Kindern ausübten — zum schrecklichen Beispiel aller Folgezeiten, in Frösche verwandelte. Ein furchtbares Wunder, dessen Wahrheit und Andenken mitten unter uns in dem heiligen Hain und Teich der Latona, der ehrwürdigen Schutzgöttin unsrer Stadt, lebendig erhalten, verewigt, und gleichsam täglich erneuert wird! Und du, Anthrax, du, ein Einwohner der Stadt, in welcher dieses furchtbare Denkmal des Zorns der Götter über verweigerte Menschlichkeit ein Gegenstand des öffentlichen Glaubens und Gottesdienstes ist, du scheutest dich nicht, ihre Rache durch ein ähnliches Verbrechen auf dich zu ziehen?"Aber, du trotzest auf dein Eigenthumsrecht. — "Wer sich seines Rechts bedient, sprichst du, der thut niemand Unrecht. Ich bin einem andern nicht mehr schuldig, als er um mich verdient. Wenn der Esel mein Eigenthum ist, so ist es auch sein Schatten.""Sagst du das? Und glaubst du, oder glaubt der scharfsinnige und beredte Sachwalter, in dessen Hande du die schlimmste Sache, die jemals vor ein Götter- oder Menschengericht gekommen, gestellt hast, glaubt er, mit aller Zauberei seiner Beredsamkeit, oder mit allem Spinnengewebe sophistischer Trugschlüsse unsern Verstand dergestalt zu überwältigen und zu umspinnen, daß wir uns überreden lassen sollten, einen Schatten für etwas Wirkliches, geschweige für etwas an welches jemand ein directes und ausschließendes Recht haben könne, zu halten?"Ich würde, großmögende Herren, eure Geduld mißbrauchen und eure Weisheit beleidigen, wenn ich alle Gründe hier wiederholen wollte, womit ich bereits in der ersten Instanz, actenkundigermaßen, die Nichtigkeit der gegnerischen Scheingründe dargethan habe. Ich begnüge mich für jetzt, nach Erforderniß der Nothdurft, nur dieß Wenige davon zu sagen. Ein Schatten kann, genau zu reden, nicht unter die wirklichen Dinge gerechnet werden. Denn das, was ihn zum Schatten macht, ist nichts Wirkliches und Positives, sondern gerade das Gegentheil; nämlich, die Entziehung desjenigen Lichtes, welches auf den übrigen, den Schatten umgebenden Dingen liegt. In vorliegendem Fall ist die schiefe Stellung der Sonne und die Undurchsichtigkeit des Esels (eine Eigenschaft, die ihm nicht, insofern er ein Esel, sondern insofern er ein dichter und dunkler Körper ist, aufklebt) die einzige wahre Ursache des Schattens, den der Esel zu werfen scheint und den jeder andre Körper an seinem Platze werfen würde; denn die Figur des Schattens thut hier nichts zur Sache. Mein Client hat sich also, genau zu reden, nicht in den Schatten eines Esels, sondern in den Schatten eines Körpers gesetzt; und der Umstand, daß dieser Körper ein Esel, und der Esel ein Hausgenosse eines gewissen Anthrax aus dem Jasontempel zu Abdera war, ging ihn eben so wenig an, als er zur Sache gehörte. Denn, wie gesagt, nicht die Eselheit (wenn ich so sagen darf), sondern die Körperlichkeit und Undurchsichtigkeit des mehr besagten Esels ist der Grund des Schattens, den er zu werfen scheint."Allein, wenn wir auch zum Ueberfluß zugeben, daß der Schatten unter die Dinge gehöre, so ist aus unzähligen Beispielen klar und weltbekannt, daß er zu den gemeinen Dingen zu rechnen ist, an welche ein jeder so viel Recht hat als der andre, und an die sich derjenige das nächste Recht erwirbt, der sie zuerst in Besitz nimmt."Doch, ich will noch mehr thun; ich will sogar zugeben, daß des Esels Schatten ein Zubehör des Esels sey, so gut als es seine Ohren sind: was gewinnt der Gegentheil dadurch? Struthion hatte den Esel gemiethet, folglich auch seinen Schatten. Denn es versteht sich bei jedem Miethcontract, daß der Vermiether dem Abmiether die Sache, wovon die Rede ist, mit allem ihrem Zubehör und mit allen ihren Nießbarkeiten zum Gebrauch überläßt. Mit welchem Schatten eines Rechts konnte Anthrax also begehren, daß ihm Struthion den Schatten des Esels noch besonders bezahle? Das Dilemma ist außer aller Widerrede: entweder ist der Schatten des Esels ein Zubehör des Esels, oder nicht. Ist er es nicht: so hat Struthion und jeder andre eben so viel Recht daran als Anthrax. Ist er es aber: so hatte Anthrax, indem er den Esel vermiethete, auch den Schatten vermiethet; und seine Forderung ist eben so ungereimt, als wenn mir einer seine Leyer verkauft hätte, und verlangte dann, wenn ich darauf spielen wollte, daß ich ihm auch noch für ihren Klang bezahlen müßte."Doch wozu so viele Gründe in einer Sache, die dem allgemeinen Menschensinn so klar ist, daß man sie nur zu hören braucht, um zu sehen auf welcher Seite das Recht ist? Was ist ein Eselsschatten? Welche Unverschämtheit von diesem Anthrax, wofern er kein Recht an ihn hat, sich dessen anzumaßen, um Wucher damit zu treiben! Und wofern der Schatten wirklich sein war: welche Niederträchtigkeit, ein so Weniges, das wenigste was sich nennen oder denken läßt, etwas in tausend andern Fällen gänzlich Unbrauchbares, einem Menschen, einem Nachbar und Freunde, in dem einzigen Falle zu versagen, wo es ihm unentbehrlich ist!"Lasset, edle und großmögende Vierhundertmänner, lasset nicht von Abdera gesagt werden, daß ein solcher Muthwille, ein solcher Frevel, vor einem Gerichte, vor welchem (wie vor jenem berühmten Areopagus zu Athen) Götter selbst nicht erröthen würden, ihre Streitigkeiten entscheiden zu lassen, Schutz gefunden habe! Die Abweisung des Klägers mit seiner unstatthaften, ungerechten und lächerlichen Klage und Apellation, die Verurtheilung desselben in alle Kosten und Schäden, die er dem unschuldigen Beklagten durch sein unbefugtes Betragen in dieser Sache verursacht hat, ist jetzt das wenigste, was ich im Namen meines Clienten fordern kann. Auch Genugthuung, und wahrlich eine ungeheure Genugthuung, wenn sie mit der Größe seines Frevels im Ebenmaße stehen soll, ist der unbefugte Kläger schuldig! Genugthuung dem Beklagten, dessen häusliche Ruhe, Geschäfte, Ehre und Leumund von ihm und seinen Beschützern während des Laufs dieses Handels auf unzählige Art gestört und angegriffen worden! Genugthuung dem ehrwürdigen Stadtgerichte, von dessen gerechtem Spruch er, ohne Grund, an dieses hohe Tribunal appellirt hat! Genugthuung diesem höchsten Gerichte selbst, welches er mit einem so nichtswürdigen Handel muthwilligerweise zu behelligen sich unterstanden! Genugthuung endlich der ganzen Stadt und Republik Abdera, die er bei dieser Gelegenheit in Unruhe, Zwiespalt und Gefahr gesetzt hat!"Fordre ich zu viel, großmögende Herren? fordre ich etwas Unbilliges? Sehet hier das ganze Abdera, das sich unzählbar an die Stufen dieser hohen Gerichtsstätte drängt, und im Namen eines verdienstvollen, schwer gekränkten Mitbürgers, ja im Namen der Republik selbst, Genugthuung erwartet, Genugthuung fordert. Bindet die Ehrfurcht ihre Zungen, so funkelt sie doch aus jedem Auge, diese gerechte, diese nicht zu verweigernde Forderung! Das Vertrauen der Bürger, die Sicherheit ihrer Gerechtsame, die Wiederherstellung unsrer innerlichen und öffentlichen Ruhe, die Begründung derselben auf die Zukunft, mit Einem Worte, die Wohlfahrt unsers ganzen Staats, hängt von dem Ausspruch ab den ihr thun werdet, hängt von Erfüllung einer gerechten und allgemeinen Erwartung ab. Und wenn in den ersten Zeiten der Welt ein Esel das Verdienst hatte, die schlummernden Götter bei dem nächtlichen Ueberfall der Titanen mit seinem Geschrei zu wecken, und dadurch den Olympus selbst vor Verwüstung und Untergang zu retten: so möge jetzt der Schatten eines Esels die Gelegenheit, und der heutige Tag die glückliche Epoche seyn, in welcher diese uralte Stadt und Republik nach so vielen und gefahrvollen Erschütterungen wieder beruhiget, das Band zwischen Obrigkeit und Bürgern wieder fest zusammengezogen, alle vergangnen Mißhelligkeiten in den Abgrund der Vergessenheit versenkt, durch gerechte Verurtheilung eines einzigen frevelhaften Eseltreibers der ganze Staat gerettet, und dessen blühender Wohlstand auf ewige Zeiten sichergestellt werde!"
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Vierzehntes Kapitel.

Antwort des Sykophanten Polyphonus.

Sobald Physignatus zu reden aufgehört hatte, gab das Volk, oder vielmehr der Pöbel, der den Markt erfüllte, seine Beistimmung mit einem lauten Geschrei, welches so heftig und anhaltend war, daß die Richter endlich zu besorgen anfingen, die ganze Handlung möchte dadurch unterbrochen werden. Die Partei des Erzpriesters gerieth in sichtbare Verlegenheit. Die Schatten hingegen, wiewohl sie im großen Rath die kleinere Zahl waren, faßten neuen Muth, und versprachen sich von dem Eindruck, den dieses Vorspiel auf die Esel machen müßte, einen günstigen Erfolg.Indessen ermangelten die Zunftmeister nicht, das Volk durch Zeichen zur Ruhe zu vermahnen; und nachdem der Herold endlich durch einen dreimaligen Ruf die allgemeine Stille wieder hergestellt hatte, trat Polyphonus, der Sykophant des Eseltreibers, ein untersetzter stämmichter Mann, mit kurzem krausem Haar und dicken pechschwarzen Augenbrauen, auf, erhob eine Baßstimme, die auf dem ganzen Markt widerhallte, und ließ sich folgendermaßen vernehmen.
"Großmögende Vierhundertmänner!
"Wahrheit und Licht haben das vor allen andern Dingen in der Welt voraus, daß sie keiner fremden Hülfe bedürfen um gesehen zu werden. Ich überlasse meinem Gegenpart willig alle Vortheile, die er von seinen Rednerkünsten zu ziehen vermeint hat. Dem, der Unrecht hat, kommt es zu, durch Figuren und Wendungen und Fechterstreiche und das ganze Gaukelspiel der Schulrhetorik Kindern und Narren einen Dunst vor die Augen zu machen. Gescheidte Leute lassen sich nicht dadurch blenden. Ich will nicht untersuchen, wie viel Ehre und Nachruhm die Republik Abdera bei diesem Handel über einen Eselsschatten gewinnen wird. Ich will die Richter weder durch grobe Schmeicheleien zu bestechen, noch durch versteckte Drohungen zu schrecken suchen. Noch viel weniger will ich dem Volke durch aufwiegelnde Reden das Signal zu Lärmen und Aufruhr geben. Ich weiß, warum ich da bin und zu wem ich rede. Kurz, ich werde mich begnügen zu beweisen, daß der Eseltreiber Anthrax Recht, oder, um mich genauer und billiger auszudrücken als von einem Sachwalter gefordert werden könnte, weniger Unrecht hat, als sein unbefugter Widersacher. Der Richter wird alsdann schon wissen was seines Amtes ist, ohne daß ich ihn daran zu erinnern brauche."Hier fingen einige wenige vom Pöbel, die zunächst an den Stufen der Terrasse standen, an, den Redner mit Geschrei, Schimpfreden und Drohungen zu unterbrechen. Da aber der Nomophylax sich von seinem elferbeinernen Thron erhob, der Herold abermals Stille gebot, und die Bürgerwache, die an den Stufen stand, ihre langen Spieße lupfte: so ward plötzlich alles wieder still, und der Redner, der sich nicht so leicht aus der Fassung bringen ließ, fuhr also fort."Großmögende Herren, ich stehe hier nicht als Sachwalter des Eseltreibers Anthrax, sondern als Bevollmächtigter des Jasontempels, und von wegen des erlauchten und hochwürdigen Agathyrsus, zeitigen Erzpriesters und Obervorstehers desselben, Hüters des wahren goldnen Vließes, obersten Gerichtsherrn über alle dessen Stiftungen, Güter, Gerichte und Gebiete, und Oberhaupts des hochedeln Geschlechts der Jasoniden, um im Namen Jasons und seines Tempels von euch zu begehren, daß dem Eseltreiber Anthrax Genugthuung geschehe, weil er im Grunde doch am meisten Recht hat; und daß er's habe, hoffe ich, trotz allen den Kniffen, die mein Gegner von seinem Meister Gorgias gelernt zu haben sich rühmt, so klar und laut zu beweisen, daß es die Blinden sehen und die Tauben hören sollen. Also, ohne weitere Vorrede, zur Sache!"Anthrax vermiethete dem Zahnarzte Struthion seinen Esel auf einen Tag; nicht zu selbstbeliebigem Gebrauch, sondern um ihn, den Zahnarzt mit seinem Mantelsack, halben Weges nach Gerania zu tragen, welches, wie jedermann weiß, acht starke Meilen von hier entfernt liegt."Bei der Vermiethung des Esels dachte natürlicherweise keiner von beiden an seinen Schatten. Aber als der Zahnarzt mitten auf dem Felde abstieg, und den Esel, der wahrlich von der Hitze noch mehr gelitten hatte als er, in der Sonne zu stehen nöthigte, um sich in dessen Schatten zu setzen, war es ganz natürlich, daß der Herr und Eigenthümer des Esels dabei nicht gleichgültig blieb."Ich begehre nicht zu läugnen, daß Anthrax eine alberne und eselhafte Wendung nahm, da er von dem Zahnbrecher verlangte, daß er ihn für des Esels Schatten deswegen bezahlen sollte, weil er ihm den Schatten nicht mit vermiethet habe. Aber dafür ist er auch nur ein Eseltreiber von Voreltern her, d. i. ein Mann, der eben darum, weil er unter lauter Eseln aufgewachsen ist und mehr mit Eseln als ehrlichen Leuten lebt, eine Art von Recht hergebracht und erworben hat, selbst nicht viel besser als ein Esel zu seyn. Im Grunde war's also bloß — der Spaß eines Eseltreibers."Aber in welche Classe von Thieren sollen wir den setzen: der aus einem solchen Spaß Ernst machte? hätte Herr Struthion wie ein verständiger Mann gehandelt, so brauchte er dem Grobian nur zu sagen: "guter Freund, wir wollen uns nicht um eines Eselsschattens willen entzweien. Weil ich dir den Esel nicht abgemiethet habe um mich in seinen Schatten zu setzen, sondern um darauf nach Gerania zu reiten: so ist es billig, daß ich dir die etlichen Minuten Zeitverlust vergüte die dir mein Absteigen verursacht; zumal da der Esel um so viel länger in der Hitze stehen muß und dadurch nicht besser wird. Da, Bruder, hast du eine halbe Drachme: lass' mich einen Augenblick hier verschnaufen, und dann wollen wir uns, in aller Frösche Namen! wieder auf den Weg machen." —"Hätte der Zahnarzt aus diesem Tone gesprochen, so hätt' er gesprochen wie ein ehrliebender und billiger Mann. Der Eseltreiber hätte ihm für die halbe Drachme noch ein Gott vergelt's! gesagt; und die Stadt Abdera wäre des ungewissen Nachruhms, den ihr mein Gegentheil von diesem Eselsproceß verspricht, und aller der Unruhen, die daraus entstehen mußten, sobald sich so viele große angesehene Herren und Damen in die Sache mischten, überhoben gewesen. Statt dessen setzt sich der Mann auf seinen eignen Esel, besteht auf seinem bodenlosen Rechte sich vermöge seines Miethcontracts in des Esels Schatten zu setzen so oft und so lange er wolle, und bringt dadurch den Eseltreiber in die Hitze, daß er vor den Stadtrichter läuft, und eine Klage anbringt, die eben so abgeschmackt ist als die Verantwortung des Beklagten."Ob es nun nicht, zu Statuirung eines lehrreichen Beispiels, wohl gethan wäre, wenn dem Sykophanten Physignatus, meinem werthesten Collegen —als dessen Aufhetzung es ganz allein zuzuschreiben ist, daß der Zahnbrecher den von dem ehrwürdigen Stadtrichter Philippides vorgeschlagnen billigen Vergleich nicht eingegangen — für den Dienst, den er dem Abderitischen gemeinen Wesen dadurch geleistet, die Ohren gestutzt, und allenfalls, zum ewigen Andenken, ein paar Eselsohren dafür angesetzt würden; ingleichen, was für einen öffentlichen Dank der ehrwürdige Zunftmeister Pfriem, und die übrigen Herren, die durch ihren patriotischen Eifer Oel ins Feuer gegossen, für ihre Mühe verdient haben möchten: überläßt der erlauchte Erzpriester, mein Principal, dem eignen einsichtsvollen Ermessen des höchsten Gerichts der Vierhundert. Er seines Ortes wird, als angeborner Oberherr und Richter des Eseltreibers Anthrax, nicht ermangeln, ihm, zu wohl verdienter Belohnung seines in diesem Handel bewiesenen Unverstands, unmittelbar nach geendigtem Proceß fünfundzwanzig Prügel zuzählen zu lassen. Da aber darum das Recht des mehrbesagten Eseltreibers, wegen der von dem Zahnarzte Struthion erlittnen Ungebühr, wegen des Mißbrauchs den dieser von seinem Esel gemacht, und wegen der Weigerung einer billigen Vergütung des verursachten Zeitverlusts und Deterioration seines lastbaren Thieres, Genugthuung zu fordern, nichtsdestoweniger in seiner ganzen Kraft besteht: so begehret und erwartet der erlauchte Erzpriester von der Gerechtigkeit dieses hohen Gerichts, daß seinem Unterthanen ohne längern Aufschub, die gebührende vollständigste Entschädigung und Genugthuung verschafft werde."Euch aber (setzte er hinzu, indem er sich umdrehte und gegen das Volk kehrte) soll ich im Namen Jasons ankündigen, daß alle diejenigen, die auf eine ungebührliche und aufrührische Art an der bösen Sache des Zahnbrechers Antheil genommen, so lange bis sie dafür gebührenden Abtrag gethan haben werden, von den Wohlthaten, die der Tempel Jasons alle Monate den armen Bürgern zufließen läßt, ausgeschlossen seyn und bleiben sollen."
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Fünfzehntes Kapitel.

Bewegungen, welche die Rede des Polyphonus verursachte. Nachtrag des Sykophanten Physignatus. Verlegenheit der Richter.

Diese kurze und unerwartete Rede brachte auf einige Augenblicke ein tiefes Stillschweigen hervor. Der Sykophant Physignatus schien zwar große Lust zu haben, sich über die Stelle, die ihn persönlich betroffen hatte, mit Hitze vernehmen zu lassen. Allein, da er die Niedergeschlagenheit bemerkte, die der Inhalt der letzten Periode seines Gegners unter dem gemeinen Volk hervorgebracht zu haben schien: so begnügte er sich, gegen die ehrenrührige Stelle von Ohrenabschneiden und andre Anzüglichkeiten sich quaevis competentia vorzubehalten, zuckte die Achseln, und schwieg.Das Licht, in welches der Sykophant Polyphonus den wahren Statum controversiae gestellt hatte, that einen so guten Effect, daß unter den sämmtlichen Vierhundertmännern kaum ihrer zwanzig übrig blieben, die, nach Abderitischer Gewohnheit, nicht versicherten, daß sie die Sache gleich vom Anfang an eben so angesehen; und es wurde in ziemlich lebhaften Ausdrücken gegen diejenigen gesprochen, welche Schuld daran hätten, daß eine so simple Sache zu solchen Weitläuftigkeiten getrieben worden sey. Die meisten schienen darauf anzutragen: daß dem Erzpriester nicht nur die für seinen Angehörigen verlangte Entschädigung und Genugthuung zugesprochen, sondern auch eine Commission aus dem großen Rath niedergesetzt werden sollte, um nach der Schärfe zu untersuchen, wer die ersten Anstifter und Verhetzer dieses Handels eigentlich gewesen seyen.Dieser Antrag brachte den Zunftmeister und diejenigen, die ihre Partei mit ihm gegen allen Erfolg zum voraus genommen hatten, auf einmal wieder in Harnisch. Der Sykophant Physignatus, der dadurch wieder Muth bekam, verlangte von dem Nomophylax noch einmal zum Gehör gelassen zu werden, weil er auf die Rede seines Gegentheils etwas Neues vorzubringen habe; und da ihm dieses den Rechten nach nicht versagt werden konnte, so ließ er sich folgendermaßen vernehmen."Wenn das gerechte Vertrauen zu einem so ehrwürdigen Gericht, wie das gegenwärtige, den verhaßten Namen einer bestechenden Schmeichelei, womit mein Gegentheil solches zu belegen sich nicht gescheut hat, verdient, so muß ich mich darein ergeben, einen Vorwurf auf mir sitzen zu lassen den ich nicht vermeiden kann; und ich glaube allenfalls durch eine allzu hohe Meinung von euch, großmögende Herren, weniger zu sündigen, als mein Gegner durch die Einbildung, eure Gerechtigkeit und Einsicht in einer so groben Schlinge zu fangen, als diejenige ist die er euch gelegt hat. Der Schein von gesunder Vernunft, womit er seine plumpe Vorstellungsart der Sache überstrichen, und ein Ton, den er seinem Clienten abgeborgt zu haben scheint, können höchstens eine augenblickliche Ueberraschung wirken: aber daß sie die Weisheit des obersten Raths von Abdera ganz umzuwerfen vermögend seyn könnten, wäre an mir Lästerung zu fürchten, und war Unsinn an ihm zu hoffen."Wie? Polyphonus, anstatt die gerechte Sache seines Clienten zu behaupten, wie er vor dem ehrwürdigen Stadtgerichte und bisher immer hartnäckig gethan hat, gesteht nun auf einmal selbst ein, daß der Eseltreiber unrecht und unsinnig daran gethan habe, seine gegen den Zahnarzt Struthion erhobne Klage auf sein vermeintes Eigenthumsrecht an den Eselsschatten zu gründen; er bekennt öffentlich, daß der Kläger eine unbefugte, ungegründete, frivole Klage erhoben habe; und er untersteht sich von Recht an Schadloshaltung zu schwatzen, und in dem trotzigen Ton eines Eseltreibers Genugthuung zu fordern? was für eine neue unerhörte Art von Rechtsgelehrsamkeit, wenn der Unrecht habende Theil damit durchkäme, daß er am Ende, wenn er sich nicht mehr anders zu helfen wüßte, selbst gestände, er habe Unrecht, und mit fünfundzwanzig Prügeln, die er sich dafür geben ließe, und die ein Kerl wie Anthrax schon auf seinen Buckel nehmen kann, sich noch ein Recht an Entschädigung und Genugthuung erwerben könnte! Gesetzt auch, des Eseltreibers Fehler bestände bloß darin daß er nicht die rechte Action instituirt hätte: was geht das den unschuldigen Gegentheil oder den Richter an? jener muß sich mit seiner Verantwortung nach der Klage richten; und dieser urtheilt über die Sache, nicht wie sie vielleicht in einem andern Licht und unter einem andern Gesichtspunkt erscheinen könnte, sondern wie sie ihm vorgetragen worden. Ich verspreche mir also im Namen meines Clienten, daß, der gegentheiligen Luftstreiche ungeachtet, die vorliegende Sache nicht nach dem neuen und allen bisherigen Verhandlungen zuwider laufenden Schwunge, den ihr Polyphonus zu geben gesucht, sondern nach Beschaffenheit der Klage und des Beweises abgeurtheilt werde. Die Rede ist in gegenwärtigem Rechtsstreite nicht von Zeitverlust und Deterioration des Esels, sondern von des Esels Schatten. Kläger behauptete, daß sein Eigenthumsrecht an den Esel sich auch auf dessen Schatten erstrecke, und hat es nicht bewiesen. Beklagter behauptete, daß er so viel Recht an des Esels Schatten habe als der Eigenthümer, oder, was allenfalls daran abgehen könnte, hab' er durch den Miethcontract erworben; und er hat seine Behauptung bewiesen."Ich stehe also hier, Großmögende Herren, und verlange einen richterlichen Spruch über das, was bisher den Gegenstand des Streits ausgemacht hat. Um dessentwillen allein ist gegenwärtiges höchstes Gericht niedergesetzt worden! Dieß allein macht jetzt die Sache aus, worüber es zu erkennen hat! Und ich unterstehe mich's vor diesem ganzen mich hörenden Volke zu sagen: entweder ist kein Recht in Abdera mehr, oder meine Forderung ist gesetzmäßig, und die Rechte eines jeden Bürgers sind darunter befangen, daß meinem Clienten das seinige zugesprochen werde!"Der Sykophant schwieg, die Richter stutzten, das Volk fing von neuem an zu murmeln und unruhig zu werden, und die Schatten reckten ihre Köpfe wieder empor.Nun, sagte der Nomophylax, indem er sich an Polyphonus wandte, was hat der klägerische Anwalt hierauf beizubringen?"Hochgeachteter Herr Oberrichter, erwiederte Polyphonus, nichts — als alles von Wort zu Wort, was ich schon gesagt habe. Der Proceß über des Esels Schatten ist ein so böser Handel, daß er nicht bald genug ausgemacht werden kann. Der Kläger hat dabei gefehlt, der Beklagte hat gefehlt, die Anwälte haben gefehlt, der Richter der ersten Instanz hat gefehlt, ganz Abdera hat gefehlt! Man sollte denken, ein böser Wind habe uns alle angeblasen, und es sey nicht so ganz richtig mit uns gewesen als wohl zu wünschen wäre. Käm' es schlechterdings darauf an, uns noch länger zu prostituiren, so sollte mir's wohl auch nicht an Athem fehlen, für das Recht meines Clienten an seines Esels Schatten eine Rede zu halten, die von Sonnenaufgang bis zu Sonnenuntergang reichen sollte. Aber, wie gesagt, wenn die Komödie die wir gespielt haben, so lange sie bloß Komödie blieb, noch zu entschuldigen ist: so wär' es doch, dünkt mich, auf keine Weise recht, sie vor einem so ehrwürdigen Gerichte, wie der hohe Rath von Abdera ist, länger fortzuspielen. Wenigstens habe ich keinen Auftrag dazu, und überlasse euch also, Großmögende Herren, unter nochmaliger Wiederholung alles dessen, was ich im Namen des erlauchten und hochwürdigen Erzpriesters zu Recht gefordert habe, den Handel nun abzuurtheln und auszumachen — wie es euch die Götter eingeben werden."Die Richter befanden sich in großer Verlegenheit, und es ist schwer zu sagen, was für ein Mittel sie endlich ergriffen haben würden, um mit Ehren aus der Sache zu kommen; wenn der Zufall, der zu allen Zeiten der große Schutzgott aller Abderiten gewesen ist, sich ihrer nicht angenommen, und diesem seinem bürgerlichen Drama eine Entwickelung gegeben hätte, deren sich einen Augenblick vorher kein Mensch versah noch versehen konnte.
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Sechzehntes Kapitel.

Unvermuthete Entwickelung der ganzen Komödie und Wiederherstellung der Ruhe in Abdera.

Der Esel, dessen Schatten zeither (nach dem Ausdruck des Archon Onolaus) eine so seltsame Verfinstrung in den Hirnschädels der Abderiten angerichtet hatte, war bis zu Austrag der Sache in den öffentlichen Stall der Republik abgeführt, und bisher daselbst nothdürftig verpflegt worden.Das beste, was man davon sagen kann, ist, daß er nicht fetter davon geworden war.Diesen Morgen nun war es den Stallbedienten der Republik, welche wußten daß der Handel zu Ende gehen sollte, auf einmal eingefallen: der Esel, der gleichwohl eine Hauptperson bei der Sache vorstellte, sollte doch billig auch von der Partie seyn. Sie hatten ihn also gestriegelt, mit Blumenkränzen und Bändern herausgeputzt, und brachten ihn nun, unter der Begleitung und dem Nachjauchzen unzähliger Gassenjungen, in großem Pomp herbeigeführt.Der Zufall wollte, daß sie in der nächsten Gasse, die in den Markt auslief, anlangten, als Polyphonus eben seinen Nachtrag geendigt hatte, und die armen Richter sich gar nicht mehr zu helfen wußten, das Volk hingegen, zwischen der Furcht vor dem Erzpriester, und dem neuen Stoß den ihm die zweite Rede des Sykophanten Physignatus gegeben, in einer ungewissen und mißmuthigen Art von Bewegung schwankte.Der Lärm, den die besagten Gassenjungen um den Esel her machten, drehte jedermanns Augen nach der Seite, woher er kam. Man stutzte und drängte sich hinzu.Ha! rief endlich einer aus dem Volke, da kommt der Esel selbst! — Er wird den Richtern wohl zu einem Ausspruch helfen wollen, sagte ein andrer. — Der verdammte Esel, rief ein dritter, er hat uns alle zu Grunde gerichtet! Ich wollte, daß ihn die Wölfe gefressen hätten, eh' er uns diesen gottlosen Handel auf den Hals zog! — Heyda! schrie ein Kesselflicker, der immer einer der eifrigsten Schatten gewesen war; was ein braver Abderit ist, über den Esel her! Er soll uns die Zeche bezahlen! Laßt nicht ein Haar aus seinem schäbichten Schwanz von ihm übrig bleiben!In einem Augenblick stürzte sich die ganze Menge auf das arme Thier, und in wenig Augenblicken war es in tausend Stücke zerrissen. Jedermann wollte auch einen Bissen davon haben. Man riß, schlug, zerrte, kratzte, balgte und raufte sich darum mit einer Hitze, die gar nicht ihresgleichen hatte. Bei einigen ging die Wuth so weit, daß sie ihren Antheil auf der Stelle roh und blutig auffraßen; die meisten aber liefen mit dem, was sie davongebracht, nach Hause; und da ein jeder eine Menge hinter sich her hatte, die ihm seinen Raub mit großem Geschrei abzujagen suchte, so wurde der ganze Markt in wenig Minuten so leer als um Mitternacht.Die Vierhundertmänner waren im ersten Augenblick dieses Aufruhrs, wovon sie die Ursache nicht sogleich sehen konnten, in so große Bestürzung gerathen, daß sie alle, ohne selbst zu wissen was sie thaten, die Mordwerkzeuge hervorzogen, die sie heimlich unter ihren Mänteln bei sich führten; und die Herren sahen einander mit keinem kleinen Erstaunen an, da auf einmal, vom Nomophylax bis zum untersten Beisitzer, in jeder Hand ein bloßer Dolch funkelte. Als sie aber endlich sahen und hörten was es war, steckten sie geschwinde ihre Messer wieder in den Busen, und brachen allesammt, gleich den Göttern im ersten Buche der Ilias, in ein unauslöschlichen Gelächter aus.Dank sey dem Himmel! rief endlich, nachdem die sehr ehrwürdigen Herren wieder zu sich selbst gekommen waren, der Nomophylax lachend aus: mit aller unsrer Weisheit hätten wir der Sache keinen schicklichern Ausgang geben können. Wozu wollten wir uns nun noch länger die Köpfe zerbrechen? Der Esel, der unschuldige Anlaß dieses leidigen Handels, ist (wie es zu gehen pflegt) das Opfer davon geworden: das Volk hat sein Müthchen an ihm abgekühlt; und es kommt jetzt nur auf eine gute Entschließung von unsrer Seite an, so kann dieser Tag, der noch kaum so aussah als ob er ein trübes Ende nehmen würde, ein Tag der Freude und Wiederherstellung der allgemeinen Ruhe werden. Da der Esel selbst nicht mehr ist, was hälf' es noch lange über seinen Schatten zu rechten? Ich trage also darauf an: daß diese ganze Eselssache hiermit öffentlich für geendigt und abgethan genommen, beiden Theilen, unter Vergütung aller ihrer Kosten und Schäden aus der Stadt-Renterei, ein ewiges Stillschweigen auferlegt, dem armen Esel aber auf gemeiner Stadt Kosten ein Denkmal aufgerichtet werde, das zugleich uns und unsern Nachkommen zur ewigen Erinnerung diene, wie leicht eine große und blühende Republik sogar um eines Eselsschattens willen hätte zu Grunde gehen können.Jedermann klatschte dem Antrag des Nomophylax seinen Beifall zu, als dem klügsten und billigsten Auswege, den man nach Gestalt der Sachen treffen könne. Beide Parteien konnten damit zufrieden seyn, und die Republik erkaufte ihre Beruhigung und Verhütung größeren Schimpfs und Unheils noch immer wohlfeil genug. Der Schluß wurde also von den Vierhundertmännern einhellig diesem Vortrage gemäß abgefaßt, wiewohl es einige Mühe kostete, den Zunftmeister Pfriem dahin zu bringen daß er nicht den Ungeraden machte; und der große Rath, mit seiner martialischen Bürgerwache im Vor- und Hintertreffen, begleitete den Nomophylax bis vor seine Wohnung zurück, wo er die Herren Collegen sammt und sonders auf den Abend zu einem großen Concert einlud, welches er ihnen zu Befestigung der wieder hergestellten Eintracht zum Besten geben wollte.Der Erzpriester Agathyrsus erließ dem Eseltreiber nicht nur die versprochnen fünfundzwanzig Prügel, sondern schenkte ihm noch obendrein drei schöne Maulesel aus seinem eignen Stalle, mit dem ausdrücklichen Verbot, keine Schadloshaltung aus dem Abderitischen Stadtseckel anzunehmen. Des folgenden Tages gab er den sämmtlichen Schatten aus dem kleinen und großen Rath ein prächtiges Gastmahl; und am Abend ließ er unter die gemeinen Bürger von allen Zünften eine halbe Drachme auf den Mann austheilen, um dafür auf seine und aller guten Abderiten Gesundheit zu trinken. Diese Freigebigkeit gewann ihm auf einmal wieder alle Herzen: und da die Abderiten ohnehin (wie wir wissen) Leute waren, denen es nichts kostete von einer Extremität zur andern überzugehen; so ist es bei einem so edeln Betragen des bisherigen Oberhaupts der stärkern Partei nicht zu bewundern, daß die Namen von Eseln und Schatten in kurzem gar nicht mehr gehört wurden. Die Abderiten lachten letzt selbst über ihre Thorheit, als einen Anstoß von fiebrischer Raserei, der nun, Gottlob! vorüber sey. Einer ihrer Balladenmänner (deren sie sehr viele und sehr schlechte hatten) eilte was er konnte, die ganze Geschichte in ein Gassenlied zu bringen, das sogleich auf allen Straßen gesungen wurde; und der Dramenmacher Thlaps ermangelte nicht, binnen wenigen Wochen sogar eine Komödie daraus zu verfertigen, wozu der Nomophylax eigenhändig die Musik componirte.Dieses schöne Stück wurde öffentlich mit großem Beifall aufgeführt, und beide vormalige Parteien lachten so herzlich darin, als ob die Sache sie gar nichts anginge.Demokrit, der sich von dem Erzpriester hatte bereden lassen mit in dieß Schauspiel zu gehen, sagte beim Herausgehen: diese Aehnlichkeit mit den Athenern muß man den Abderiten wenigstens eingestehen, daß sie recht treuherzig über ihre eignen Narrenstreiche lachen können. Sie werden zwar nicht weiser darum: aber es ist immer schon viel gewonnen, wenn ein Volk leiden kann daß ehrliche Leute sich über seine Thorheiten lustig machen, und mitlacht, anstatt, wie die Affen, tückisch darüber zu werden.Es war die letzte Abderitische Komödie, in welche Demokrit in seinem Leben ging: denn bald darauf zog er mit Sack und Pack aus der Gegend von Abdera weg, ohne einem Menschen zu sagen wo er hinginge; und von dieser Zeit an hat man keine weiteren Nachrichten von ihm.
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Fünftes Buch.

Die Frösche der Latona.

Erstes Kapitel.

Erste Quelle des Uebels, welches endlich den Untergang der Abderitischen Republik nach sich zog. Politik des Erzpriesters Agathyrsus. Er läßt einen eignen öffentlichen Froschgraben anlegen. Nähere und entferntere Folgen dieses neuen Instituts.

Die Republik Abdera genoß einige Jahre auf die eben so gefährlichen als — Dank ihrem gutlaunigen Genius! — so glücklich abgelaufnen Bewegungen wegen des Eselsschattens der vollkommensten Ruhe von innen und außen; und wenn es natürlicherweise möglich wäre daß Abderiten sich lange wohl befinden könnten, so hätte man dem Anschein nach ihrem Wohlstande die längste Dauer versprechen sollen. Aber, zu ihrem Unglück, arbeitete eine ihnen allen verborgene Ursache, ein geheimer Feind, der desto gefährlicher war weil sie ihn in ihrem eignen Busen herumtrugen, unvermerkt an ihrem Untergange.Die Abderiten verehrten (wie wir wissen) seit undenklichen Zeiten die Latona als ihre Schutzgöttin.So viel sich auch immer mit gutem Fug gegen den Lotonendiest einwenden läßt, so war es nun einmal ihre von Voreltern auf sie geerbte Volks- und Staatsreligion; und sie waren in diesem Stücke nicht schlimmer daran, als alle übrigen Griechischen Völkerschaften. Ob sie, wie die Athener, Minerven, oder Juno wie die von Samos, oder Dianen wie die Ephesier, oder die Grazien wie die Orchomenier, oder ob sie Latonen verehrten, darauf kam's nicht an: eine Religion mußten sie haben, und in Ermangelung einer bessern war eine jede besser als gar keine.Aber der Latonendienst hätte auch ohne den Froschgraben bestehen können. Wozu hatten sie nöthig, den einfältigen Glauben der alten Tejer, ihrer Voreltern, durch einen so gefährlichen Zusatz aufzustutzen? Wozu die Frösche der Latona, da sie die Latona selbst hatten?Oder, wenn sie ja ein sichtbares Denkmal jener wundervollen Verwandlung der Lycischen Bauern zur Nahrung ihres Abderitischen Glaubens bedurften; hätte ein halbes Duzend ausgestopfte Froschhäute, mit einer schönen goldnen Inschrift in einer Capelle des Latonentempels aufgestellt, mit einem brokatnen Tuch umschleiert, und alle Jahre mit gehörigen Feierlichkeiten dem Volke vorgezeigt, ihrer Einbildungskraft nicht die nämlichen Dienste gethan?Demokrit, ihr guter Mitbürger — aber zum Unglück ein Mann dem man nichts glauben konnte, weil er in dem bösen Rufe stand daß er selbst nichts glaube —hatte, während er sich unter ihnen aufhielt, bei Gelegenheit zuweilen ein Wort davon fallen lassen: daß man des Guten, zumal wo Frösche mit im Spiele wären, leicht zu viel thun könne. Und da seine Ohren, nach einer zwanzigjährigen Abwesenheit, an das liebliche Wreckeckeck Koax Koax, das ihm zu Abdera Tag und Nacht um die Ohren schnarrte, nicht so gewöhnt waren, als die etwas dickern Ohren seiner Landsleute: so hatte er ihnen einigemal nachdrückliche Vorstellungen gegen ihre Deisibatrachie (wie er's nannte) gethan, und ihnen öfters bald im Scherz, bald im Ernst, vorhergesagt, daß, wenn sie nicht in Zeiten Vorkehrung thäten, ihre quälenden Mitbürger sie endlich aus Abdera hinausquaken würden. Die Vornehmern konnten über diesen Punkt sehr gut Scherz vertragen; denn sie wollten wenigstens nicht dafür angesehen seyn, als ob sie mehr von den Fröschen der Latona glaubten als Demokrit selbst. Aber das Uebel war, daß er sie weder durch Schimpf noch Ernst dahin bringen konnte, die Sache aus einem vernünftigen Gesichtspunkte zu beherzigen. Scherzte er darüber, so scherzten sie mit; sprach er ernsthaft, so lachten sie über ihn, daß er über so was ernsthaft seyn könne. Und so blieb es denn, Einwendens ungeachtet, wie in allen Dingen so auch hierin zu Abdera immer — beim alten Brauch.Indessen wollte man doch bereits zu Demokrits Zeiten eine gewisse Lauigkeit in Absicht auf die Frösche unter der edeln Abderitischen Jugend wahrgenommen haben. Wenigstens stimmte der Priester Strobylus öfters große Klaglieder darüber an, daß die meisten guten Häuser die Froschgräben, die sie von Alters her in ihren Gärten unterhalten hätten, unvermerkt eingehen ließen, und der gemeine Mann beinahe der einzige sey, der in diesem Stücke noch an dem löblichen alten Brauch hange, und seine Ehrfurcht für den geheiligten Teich auch durch freiwillige Gaben zu Tage lege.Wer sollte nun bei so bewandten Sachen vermuthet haben, daß gerade unter allen Abderiten derjenige, auf den am wenigsten ein Verdacht, daß er an der Deisibatrachie krank sey, fallen konnte, — daß der Erzpriester Agathyrsus der Mann war, der, bald nach Endigung der Fehde zwischen den Eseln und Schatten, dem erkalteten Eifer der Abderiten für die Frösche wieder ein neues Leben gab?Gleichwohl ist es unmöglich, ihn von diesem seltsamen Widerspruch zwischen seiner innern Ueberzeugung und seinem äußerlichen Betragen frei zu sprechen; und wenn wir nicht bereits von seiner Art zu denken unterrichtet wären, würde das letztere kaum zu erklären seyn. Aber wir kennen diesen Priester als einen ehrsüchtigen Mann. Er hatte sich während der letzten Unruhen an der Spitze einer mächtigen Partei gesehen, und hatte keine Lust, dieses Vergnügen gegen ein geringeres Aequivalent zu vertauschen, als einen fortdauernden Einfluß auf die ganze wieder beruhigte Republik; eine Sache, die er nunmehr durch kein gewisseres Mittel erhalten konnte, als durch eine große Popularität und eine Gefälligkeit gegen die Vorurtheile des Volks, die ihm um so weniger kostete, da er (wie so viele seinesgleichen) die Religion bloß als eine politische Maschine ansah, und im Grunde äußerst gleichgültig darüber war, ob es Frösche oder Eulen oder Hammelsfelle seyen, was ihm die freieste und sicherste Befriedigung seiner Lieblingsleidenschaften gewährte.Diesemnach also, und um sich auf die wohlfeilste Art bei dem Volke in Ansehen und Einfluß zu erhalten, verbannte er bald nach Endigung des Schattenkriegs nicht nur die Störche, über welche die Froschpfleger Klage geführt hatten, aus allen Gerichten und Gebieten des Jasontempels, sondern er trieb die Gefälligkeit gegen seine neuen Freunde so weit, daß er mitten auf einer Esplanade (die einer seiner Vorfahren zu einem öffentlichen Spazierplatz gewidmet hatte) einen Teich graben ließ, und sich zu Besetzung desselben auf eine sehr verbindliche Art einige Fässer mit Froschlaich aus dem geheiligten Teiche von dem Oberpriester Strobylus ausbat; welche ihm denn auch, nach einem der Latona gebrachten feierlichen Opfer, in Begleitung des ganzen Abderitischen Pöbels mit großem Prunk zugeführt wurden.Von diesem Tage an war Agathyrsus der Abgott des Volks, und ein Froschgraben, zu rechter Zeit angelegt, verschaffte ihm, was er sonst mit aller Politik, Wohlredenheit und Freigebigkeit nie erlangt haben würde. Er herrschte, ohne die Rathsstube jemals zu betreten, so unumschränkt in Abdera als ein König; und weil er den Rathsherren und Zunftmeistern alle Woche zwei- oder dreimal zu essen gab, und ihnen seine Befehle nie anders als in vollen Bechern von Chierwein insinuirte, so hatte niemand etwas gegen einen so liebenswürdigen Tyrannen einzuwenden. Die Herren glaubten nichtsdestoweniger auf dem Rathhause ihre eigne Meinung zu sagen, wenn ihre Vota gleich nur der Widerhall der Schlüsse waren, welche Tages zuvor im Speisesaal des Erzpriesters abgefaßt wurden.Agathyrsus war der erste, der sich unter vertrautern Freunden über seinen neuen Froschgraben lustig machte. Aber das Volk hörte nichts davon. Und da sein Beispiel auf die Edeln von Abdera mehr wirkte als seine Scherze, so hätte man den Wetteifer sehen sollen, womit sie, um ebenfalls Proben von ihrer Popularität abzulegen, entweder die vertrockneten Froschgräben in ihren Gärten wieder herstellten, oder neue anlegten wo noch keine gewesen waren.Wie in Abdera alle Thorheiten ansteckend waren, so blieb auch von dieser niemand frei. Anfangs war es bloße Mode, eine Sache die zum guten Ton gehörte. Ein Bürger von einigem Vermögen würde sich's zur Schande gerechnet haben, hierin hinter seinem vornehmern Nachbar zurückzubleiben. Aber unvermerkt wurde es ein Erforderniß zu einem guten Bürger; und wer nicht wenigstens eine kleine Froschgrube innerhalb seiner vier Pfähle aufweisen konnte, würde für einen Feind Latonens und für einen Verräther am Vaterlande aufgeschrien worden seyn.Bei einem so warmen Eifer der Privatpersonen ist leicht zu erachten, daß der Senat, die Zünfte und übrigen Collegien nicht die letzten waren, der Latona gleiche Beweise ihrer Devotion zu geben. Jede Zunft ließ sich ihren eignen Froschzwinger graben. Auf jedem öffentlichen Platze der Stadt, ja sogar vor dem Rathhause (wo die Kräuter- und Eierweiber ohnehin Lärms genug machten) wurden große mit Schilf und Rasen eingefaßte Wasserbehälter zu diesem Ende angelegt; und das Polizeicollegium, welches hauptsächlich die Verschönerung der Stadt in seinen Pflichten hatte, kam endlich gar auf den Einfall, durch die Spaziergänge, womit Abdera rings umgeben war, zu beiden Seiten schmale Canäle ziehen und mit Fröschen besetzen zu lassen. Das Project wurde vor Rath gebracht und ging ohne Widerspruch durch; wiewohl man sich genöthigt sah, um diese Canäle und die übrigen öffentlichen Froschteiche mit dem benöthigten Wasser zu versehen, den Fluß Nestus beinahe gänzlich abgraben zu lassen. Weder die Kosten, die durch alle diese Operationen der Stadtcasse aufgeladen wurden, noch der vielfältige Nachtheil, der aus dem Abgraben des Flusses entstand, wurden in die mindeste Betrachtung gezogen; und als ein junger Rathsherr nur im Vorbeigehn erwähnte, daß der Nestus nahe am Eintrocknen wäre, rief einer von den Froschpflegern: desto besser! so haben wir einen großen Froschgraben mehr, ohne daß es der Republik einen Heller kostet.Wer sich bei diesem (freilich nur in Abdera möglichen) Enthusiasmus für die Verschönerung der Stadt durch Froschgräben am besten befand, waren die Priester des Latonentempels. Denn, ungeachtet sie den Laich aus dem heiligen Teiche sehr wohlfeil, nämlich den Abderitischen Cyathus (der ungefähr ein Nößel unsers Maßes betragen mochte) nur für zwei Drachmen verkauften; so wollte doch jemand berechnet haben, daß sie in den ersten zwei bis drei Jahren, da die Schwärmerei am wirksamsten war, über fünftausend Dariken damit gewonnen hätten. Die Summe scheint uns bei allem dem zu hoch angesetzt; wiewohl nicht zu läugnen ist, daß sie sich für den Laich, den sie der Republik ablieferten, das Doppelte aus der Baucasse bezahlen ließen.Uebrigens dachte in ganz Abdera niemand an die Folgen dieser schönen Anstalten. Die Folgen kamen, wie gewöhnlich, von sich selbst. Aber weil sie nicht auf einmal da standen, so währte es nicht nur eine geraume Zeit bis man sie bemerkte; sondern da sie endlich auffallend genug wurden, um nicht länger, sogar von Abderiten, übersehen zu werden, so konnten diese doch, trotz ihrem bekannten Scharfsinn, die Quelle derselben nicht ausfindig machen. Die Abderitischen Aerzte zerbrachen sich die Köpfe, um zu errathen woher es käme, daß Schnupfen, Flüsse und Hautkrankheiten aller Arten von Jahr zu Jahr so mächtig überhand nahmen, und so hartnäckig wurden, daß sie aller ihrer Kunst, und aller Niesewurz von Anticyra Trotz boten. Kurz, Abdera mit der ganzen Gegend umher war beinahe in einen allgemeinen unabsehbaren Froschteich verwandelt, eh' es einem ihrer politischen Spitzköpfe einfiel, die Frage aufzuwerfen: ob eine gränzenlose Vermehrung der Froschmenge dem Staat nicht vielleicht mehr Schaden thun könnte, als die Vortheile, die man sich davon versprach, jemals wieder gut zu machen vermöchten?
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Zweites Kapitel.

Charakter des Philosophen Korax. Nachrichten von der Akademie der Wissenschaften zu Abdera. Korax wirft in derselben eine verfängliche Frage in Betreff der Latonenfrösche, und sich selbst zum Haupt der Gegenfröschler auf. Betragen der Latonenpriester gegen diese Secte und wie sie bewogen wurden, selbige für unschädlich anzusehen.

Der merkwürdige Kopf, der zuerst die Wahrnehmung machte, daß die Menge der Frösche in Abdera in der That übermässig sey, und mit der Anzahl und dem Bedürfniß der zweibeinigen unbefiederten Einwohner ganz und gar in keinem Verhältnisse stehe, nannte sich Korax. Es war ein junger Mann von gutem Hause, der sich etliche Jahre zu Athen aufgehalten, und in der Akademie (wie die von Plato gestiftete Philosophenschule bekanntermaßen genannt wurde) gewisse Grundsätze eingesogen hatte, die den Fröschen der Latona nicht allzu günstig waren. Die Wahrheit zu sagen, Latona selbst hatte durch seinen Aufenthalt zu Athen so viel bei ihm verloren, daß es kein Wunder war, wenn er ihre Frösche nicht mit aller der Ehrfurcht ansehen konnte, die von einem orthodoxen Abderiten gefordert wurde. — "Eine jede schöne Frau ist eine Göttin, pflegte er zu sagen, wenigstens eine Göttin der Herzen; und Latona war unstreitig eine sehr schöne Frau: aber was geht das die Frösche an? und — die Sache bloß menschlich und im Lichte der Vernunft betrachtet — was gehen am Ende die Frösche Latonen an? Gesetzt aber auch, die Göttin — für die ich übrigens alle Ehrfurcht hege, die einer schönen Frau und einer Göttin geführt — gesetzt, sie habe die Frösche vor allem andern Geziefer und Ungeziefer der Welt in ihren besondern Schutz genommen: folgt denn daraus daß man der Frösche nie zu viel haben könne?"Korax war, als er so zu vernünfteln anfing, ein Mitglied der Akademie, welche in Abdera zur Nachahmung der Athenischen gestiftet worden war. Diese Akademie war ein kleiner in Spaziergänge ausgehauener Wald, ganz nahe bei der Stadt, und da sie unter dem Schutze des Senats stand und auf gemeiner Stadt Kosten angelegt worden war: so hatten die Herren von der Polizeicommission nicht ermangelt, sie reichlich mit Froschgräben zu versehen. Die Glieder der Akademie fanden sich zwar nicht selten durch den eintönigen Chorgesang dieser quakenden Philomelen in ihren tiefsinnigen Betrachtungen gestört. Allein, da dieß an jedem andern Orte in und um die Stadt Abdera ebensowohl der Fall gewesen wäre: so hatten sie sich immer in Geduld darein ergeben; oder, richtiger zu reden, man war des Froschgesangs in Abdera so gewohnt, daß man nicht mehr davon hörte, als die Einwohner von Katadupa von dem großen Nilfall, in dessen Nachbarschaft sie leben, oder als die Anwohner irgend eines andern Wasserfalls in der Welt.Allein mit Korax, dessen Ohren durch seinen Aufenthalt zu Athen die Empfindlichkeit, die allen gesunden menschlichen Ohren natürlich ist, wieder erlangt hatten, war es eine andre Sache. Man wird es also nicht befremdlich finden, daß er gleich bei der ersten Sitzung, welcher er beiwohnte, die spritzige Anmerkung machte: er glaube, das Käuzlein der Minerva qualificire sich ungleich besser zu einem außerordentlichen Mitgliede der Akademie als die Frösche der Latona. —°Ich weiß nicht, meine Herren, wie Sie die Sache ansehen, setzte er hinzu: aber, mir däucht, die Frösche haben seit einigen Jahren auf eine ganz unbegreifliche Art in Abdera zugenommen."Die Abderiten waren ein dumpfes Völklein, wie wir alle wissen; und es gab vielleicht (eine einzige berühmte Nation allenfalls ausgenommen) kein andres in der Welt, das in der sonderbaren Eigenschaft, einen Wald vor lauter Bäumen nicht sehen zu können, ihnen den Vorzug streitig machen konnte. Aber dieß mußte man ihnen lassen, sobald es nur Einem unter ihnen einfiel, eine Bemerkung zu machen, die jedermann eben so gut hätte machen können als er, wiewohl sie niemand vor ihm gemacht hatte; so schienen sie allesammt plötzlich aus einem langen Schlaf zu erwachen, sahen nun auf einmal — was ihnen vor der Nase lag, wunderten sich über die gemachte Entdeckung, und glaubten demjenigen sehr verbunden zu seyn der ihnen dazu verholfen hatte. In der That, antworteten die Herren von der Akademie, die Frösche haben seit einiger Zeit auf eine ganz unbegreifliche Art zugenommen."Wenn ich sagte, auf eine ganz unbegreifliche Art (versetzte Korax), so will ich damit keineswegs gesagt haben, daß etwas Uebernatürliches in der Sache sey. Im Grunde ist nichts begreiflicher, als daß die Frösche sich an einem Orte vermehren müssen, wo man solche Anstalten zu ihrer Unterhaltung vorkehrt wie zu Abdera: das Unbegreifliche liegt (meiner geringen Meinung nach) bloß darin, wie die Abderiten einfältig genug seyn können diese Anstalten vorzukehren?"Die sämmtlichen Mitglieder der Akademie stutzten über die Freiheit dieser Rede, sahen einander an, und schienen verlegen zu seyn was sie von der Sache denken sollten."Ich rede bloß menschlicherweise," sagte Korax.Wir zweifeln nicht daran, versetzte der Präsident der Akademie, der ein Rathsherr und einer von den Zehnmännern war; allein die Akademie hat sich's bisher zum Gesetz gemacht, dergleichen schlüpfrige Materien, auf welchen die Vernunft so leicht ausglitschen kann, lieber gar nicht zu berühren —"Die Akademie zu Athen hat sich kein solches Gesetz gemacht, fiel ihm Korax ein: wenn man nicht über alles philosophiren darf, so wär's eben so gut man philosophirte über — gar nichts."Ueber alles, sagte der Präsident Zehnmann mit einer bedenklichen Miene, nur nicht über Latonen und —"Ihre Frösche?" — setzte Korax lächelnd hinzu. Dieß war's auch wirklich, was der Präsident hatte sagen wollen: aber bei dem Wörtchen "und" überfiel ihn eine Art von Beklemmung, als ob er wider Willen fühlte, daß er im Begriff sey eine Albernheit zu sagen; und so hielt er plötzlich mit offnem Munde ein, und überließ es Koraxen, die Periode zu vollenden."Ein jedes Ding kann von sehr vielerlei Seiten und in mancherlei Lichte betrachtet werden, fuhr Korax fort; und dieß zu thun, ist (däucht mir) gerade was dem Philosophen zukommt, und was ihn von dem dummen undenkenden Haufen unterscheidet. Unsere Frösche, zum Beispiel, können als Frösche schlechtweg, und als Frösche der Latona betrachtet werden. Denn insofern sie Frösche schlechtweg sind, sind sie weder mehr noch weniger Frösche als andre. Ihr Verhältniß gegen die Abderiten ist insofern ungefähr das nämliche, wie das Verhältniß aller übrigen Frösche zu allen übrigen Menschen; und insofern kann nichts unschuldiger seyn, als zu untersuchen, ob die Froschmenge in einem Staate mit der Volksmenge in gehörigem Verhältnisse stehe oder nicht? — und, wofern sich fände daß der Staat einen großen Theil mehr Frösche ernähren müßte als er nöthig hätte, die diensamsten Mittel vorzuschlagen, wodurch ihre übermäßige Menge vermindert werden könnte."Korax spricht verständig, sagten etliche junge Akademisten."Ich rede bloß menschlicher Weise von der Sache," sagte Korax.Ich wollte lieber daß wir gar nicht davon angefangen hätten, sagte der Präsident.Dieß war der erste Funke, den Korax in die schwindligen Köpfe einiger naseweisen jungen Abderiten warf. Unvermerkt wurde er zum Haupt und Worthalter einer Secte, von deren Grundsätzen und Meinungen in Abdera nicht allzu vortheilhaft gesprochen wurde. Man beschuldigte sie nicht ohne Grund, daß sie nicht nur unter sich, sondern sogar in großen Gesellschaften und auf den öffentlichen Spazierplätzen behaupteten: "es lasse sich mit keinem einzigen triftigen Grunde beweisen, daß die Frösche der Latona etwas besser als gemeine Frösche wären; die Sage, daß sie von den Milischen Froschbauern oder Bauerfröschen abstammten, wäre ein albernes Volksmährchen; und selbst die alte Tradition, daß Jupiter die besagten Bauern, weil sie Latonen mit ihren Zwillingen nicht aus ihrem Teiche hätten trinken lassen wollen, in Frösche verwandelt habe, sey etwas woran man allenfalls zweifeln könnte, ohne sich eben darum an Jupitern oder Latonen zu versündigen. Es möchte aber auch damit seyn wie es wollte, so sei es doch ungereimt, aus Devotion gegen die schöne Latona die ganze Stadt und Republik Abdera zu einer Froschpfütze zu machen;" — und was dergleichen Behauptungen mehr waren, die, so simpel und vernunftmäßig sie auch uns heutiges Tages vorkommen, zu Abdera gleichwohl (zumal in den Ohren der Latonenpriester) sehr übelklingend gefunden wurden, und dem Philosophen Korax und seinen Anhängern den verhaßten Namen Batrachomachen oder Gegenfröschler zuzogen; einen Titel, dessen sie sich jedoch um so weniger schämten, weil es ihnen gelungen war, beinahe die ganze junge und schöne Welt mit ihren freien Meinungen anzustecken.Die Priester des Latonentempels und das hohe Collegium der Froschpfleger ermangelten nicht, bei jeder Gelegenheit ihr Mißfallen an dem muthwilligen Witze der Gegenfröschler zu zeigen; und der Oberpriester Stilbon vermehrte aus dieser Veranlassung sein Buch, von den Alterthümern des Latonentempels, mit einem großen Kapitel über die Natur der Latonenfrösche. Indessen hatten sie einen sehr wesentlichen Beweggrund es dabei bewenden zu lassen; und dieser war: daß, ungeachtet der freigeisterischen Denkart über die Frösche, welche Korax in Abdera zur Mode gemacht hatte, nicht ein einziger Froschgraben in und um die Stadt weniger zu sehen war als zuvor. Korax und seine Anhänger waren schlau genug gewesen, zu merken, daß sie sich die Freiheit, "von den Fröschen überlaut zu denken was sie wollten," nicht wohlfeiler erkaufen könnten, als wenn sie es, was die Ausübung betraf, gerade eben so machten wie alle andern Leute. Ja, der weise Korax, als derjenige auf den man am meisten Acht gab, und der es für sicherer hielt, lieber zu viel als zu wenig zu thun, hatte, gleich nach seiner Aufnahme in die Akademie, auf seinem angeerbten Grund und Boden einen der schönsten Froschgräben in ganz Abdera angelegt, und mit einer beträchtlichen Menge schöner wohlbeleibter Frösche aus dem geheiligten Teiche besetzt, wovon er den Priestern jedes Stück mit vier Drachmen bezahlte. Dieß war eine Höflichkeit, für welche diese Herren, so wenig sie sich ihm auch sonst dafür verbunden halten mochten, doch um des guten Beispiels willen nicht umhin konnten dankbar zu scheinen; zumal da diese nämliche Handlung des sogenannten Philosophen hinlänglichen Vorwand gab, diejenigen, die sich an seinen freien Meinungen und witzigen Einfällen hätten ärgern mögen, zu überzeugen, daß es ihm nicht Ernst damit sey. Seine Zunge ist schlimmer als sein Gemüth, pflegten sie zu sagen: er will dafür angesehen seyn, als ob er zu viel Witz hätte um zu denken wie andre Leute; aber im Grund ist's bloße Ziererei. Wenn er nicht im Herzen eines Bessern überzeugt wäre, würde er wohl seine freigeisterischen Meinungen durch seine Handlungen widerlegen? Man muß solche Leute nicht nach dem was sie sprechen beurtheilen, sondern nach dem was sie thun.Bei allem dem ist nicht zu läugnen, daß Korax unter der Hand mit keinem geringern Anschlag umging, als — gleich einem neuen Hercules, Theseus oder Harmodius —sein Vaterland von den Fröschen zu befreien; von welchen es, wie er zu sagen pflegte, mit größerm Unheil bedroht würde, als alle die Ungeheuer, Räuber und Tyrannen, von denen jene Heroen das ihrige befreiten, jemals in ganz Griechenland angerichtet hätten.
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Drittes Kapitel.

Ein unglücklicher Zufall nöthigt den Senat von der unmäßigen Froschmenge in Abdera Notiz zu nehmen. Unvorsichtigkeit des Rathsherrn Meidias. Die Majora beschließen ein Gutachten der Akademie einzuholen. Der Nomophylax Hypsiboas protestirt gegen diesen Schluß, und eilt den Oberpriester Stilbon dagegen in Bewegung zu setzen.

Das Ungemach, das die Abderiten von der ungeheuern Vermehrung ihrer heiligen Frösche erduldeten, wurde inzwischen von Tag zu Tag drückender, ohne daß der damalige Archon Onokradias (ein Schwestersohn des berühmten Onolaus, und, die Wahrheit zu sagen, der lockerste Kopf, der jemals am Ruder von Abdera gewackelt hatte) vermocht werden konnte, die Sache vor den Senat zu bringen — bis bei einer großen Feierlichkeit, wo der Rath und die ganze Bürgerschaft in Procession durch die Hauptstraßen ziehen mußte, das Unglück geschah, daß ein paar Duzend Frösche, die sich zu weit aus ihren Gräben herausgewagt hatten, im Gedränge des Volks zertreten wurden, und, aller schleunig vorgekehrten Hülfe ungeachtet, jämmerlich ums Leben kamen.Dieser Vorfall schien so bedenklich, daß sich der Archon genöthigt fand eine außerordentliche Rathsversammlung ansagen zu lassen, um zu berathschlagen, was für eine Genugthuung die Stadt für dieses zwar unvorsetzliche aber nichtsdestoweniger höchst unglückliche Sakrilegium der Latona zu leisten hätte, und durch was für Vorkehrungen einem ähnlichen Unglück fürs künftige vorgebaut werden könnte?Nachdem eine gute Weile viel Abderitische Plattheiten über die Sache vorgetragen worden waren, platzte endlich der Rathsherr Meidias, ein Verwandter und Anhänger des Philosophen Korax, heraus: "Ich begreife nicht, warum die Herren um ein halb Schock Frösche mehr oder weniger ein solches Aufheben machen mögen. Jedermann ist überzeugt, daß die Sache ein bloßer Zufall war, den uns Latona unmöglich übel nehmen kann; und, weil das Schicksal, das über Götter, Menschen und Frösche zu befehlen hat, doch nun einmal den Untergang einiger quakenden Geschöpfe bei dieser Gelegenheit verhängen wollte, möchten's doch anstatt vierundzwanzig eben so viele Myriaden gewesen seyn!"Es waren unter allen Rathsherren vielleicht nicht fünf, die in ihrem Hause oder in Privatgesellschaften (wenigstens seit Korax zuerst die Entdeckung gemacht) nicht tausendmal über die allzu große Vermehrung der Frösche geklagt hätten. Gleichwohl, da es in vollem Senat noch nie darüber zur Sprache gekommen war, stutzte jedermann über die Kühnheit des Rathsherrn Meidias, nicht anders als ob er der Latona selbst an die Kehle gegriffen hätte. Einige alte Herren sahen so erschrocken aus, als ob sie erwarteten, daß ihr Herr College für diese verwegene Rede auf der Stelle zum Frosch werden würde."Ich hege alle gebührende Achtung für den geheiligten Teich (fuhr Meidias, der alles wohl bemerkte, ganz gelassen fort), aber ich berufe mich auf die innere Ueberzeugung aller Menschen, deren Mutterwitz noch nicht ganz eingetrocknet ist, ob jemand unter uns ohne Unverschämtheit läugnen könne, daß die Menge der Frösche in Abdera ungeheuer ist?"Die Rathsherren hatten sich indessen von ihrem ersten Schrecken wieder erholt; und wie sie sahen, daß Meidias noch immer in seiner eignen Gestalt da saß, und ungestraft hatte sagen dürfen was sie im Grunde allesammt als Wahrheit fühlten, so fing einer nach dem andern an zu bekennen; und nach einer kleinen Weile zeigte sich's, daß der ganze Senat einhellig der Meinung war: es wäre zu wünschen, daß der Frösche in Abdera weniger seyn möchten.Man ist in seinem eignen Hause nicht mehr vor ihnen sicher, sagte einer. — Man kann nicht über die Straße gehen, ohne Gefahr zu laufen einen oder ein paar mit jedem Tritte zu zerquetschen, sagte ein andrer. —Man hätte der Freiheit, Froschgräben anzulegen, gleich anfangs Schranken setzen sollen, sagte ein dritter. — Wär' ich damals im Senat gewesen, da die Stiftung der öffentlichen Froschteiche beschlossen wurde, ich würde meine Stimme nimmermehr dazu gegeben haben, sagte ein vierter. — Wer hätte aber auch gedacht, daß sich die Frösche in wenig Jahren so unmenschlich vermehren würden? sagte ein fünfter. — Ich sah es wohl vorher, sagte der Präsident der Akademie; aber ich habe mir zum Gesetz gemacht, mit den Priestern der Latona in Frieden zu leben.Ich auch, sagte Meidias; aber unsre Umstände werden dadurch nichts gebessert.Was ist also bei so gestalten Sachen anzufangen, meine Herren? fragte endlich in seinem gewöhnlichen nieselnden Tone der Archon Onokradias.Da sitzt eben der Knoten! antworteten die Rathsherren aus Einem Munde. Wenn uns nur jemand sagen wollte was anzufangen ist?Was anzufangen ist? rief Meidias hastig, und hielt plötzlich wieder ein.Es erfolgte eine allgemeine Stille in der Rathsstube. Die weisen Männer ließen ihre Häupter auf die Brust fallen, und schienen mit Anstrengung aller ihrer Gesichtsmuskeln nachzusinnen was anzufangen sey?Aber wofür haben wir denn eine Akademie der Wissenschaften in Abdera? rief nach einer Weile der Archon zu allgemeiner Verwunderung aller Anwesenden. Denn man hatte ihn seit seiner Erwählung zum Archontat noch nie seine Meinung in einer rhetorischen Figur vorbringen hören.Der Gedanke Seiner Hochweisheit ist unverbesserlich, versetzte der Rathsherr Meidias: man trage der Akademie auf, ihr Gutachten zu geben, durch was für Mittel —Das ist's eben, was ich meine, unterbrach ihn der Archon: wofür haben wir eine Akademie, wenn wir uns mit dergleichen subtilen Fragen die Köpfe zerbrechen sollen?Vortrefflich! rief eine Menge dicker Rathsherren, indem sie sich alle zugleich mit der flachen Hand über ihre platten Stirnen fuhren. — Die Akademie! die Akademie soll ein Gutachten stellen!Ich bitte Sie, meine Herren, rief Hypsiboas einer der Häupter der Republik; denn er war zur Zeit Nomophylax, erster Froschpfleger, und Mitglied des ehrwürdigen Collegiums der Zehnmänner. Aller dieser Würden ungeachtet lebte schwerlich in ganz Abdera ein Mann, der an Latonen und ihren Fröschen im Herzen weniger Antheil nahm als er. Aber weil ihm der Jasonide Onokradias bei der letzten Archonswahl vorgezogen worden war, so hatte er sich's zum Grundsatz gemacht, dem neuen Archon immer und in allem zuwider zu seyn. Er wurde daher von den Jasoniden und ihren Freunden nicht unbillig beschuldiget: daß er ein unruhiger Kopf sey, und mit nichts Geringerm umgehe als eine Partei im Rathe zu formiren, die sich allen Absichten und Schlüssen der Jasoniden (welche freilich seit langer Zeit den Meister in der Stadt gespielt hatten) entgegen setzen sollte. —"Ich bitte Sie, meine Herren, übereilen Sie sich nicht, rief Hypsiboas: die Sache gehört nicht vor die Akademie, sie gehört vor das Collegium der Froschpfleger. Es wäre wider alle gute Ordnung, und würde von den Priestern der Latona als die gröbste Beleidigung aufgenommen werden müssen, wenn man eine Frage von dieser Natur und Wichtigkeit der Akademie auftragen wollte!"Es betrifft aber keine bloße Froschsache, Herr Nomophylax, sagte Meidias mit seiner gewöhnlichen spöttischen Gelassenheit; leider! ist es, Dank sey den schönen Anstalten die man seit einigen Jahren getroffen hat, eine Staatssache. —Und vielleicht die wichtigste, die jemals ein allgemeines Zusammentreten aller vaterländisch gesinnten Gemüther nothwendig gemacht hat, fiel ihm Stentor ins Wort; Stentor, einer der heißesten Köpfe in der Stadt, der seiner polternden Stimme wegen viel im Senat vermochte. Die Jasoniden hatten ihn, wiewohl er nur ein Plebejer war, durch die Vermählung mit einer natürlichen Tochter des verstorbenen Erzpriesters Agathyrsus auf ihre Seite gebracht, und pflegten sich gewöhnlich seiner guten Stimme zu bedienen, wenn etwas gegen den Nomophylax Hypsiboas durchzusetzen war, der eine eben so starke, wiewohl nicht völlig so polternde Stimme hatte als Stentor.Wohl bekam es dießmal den Ohren der Abderitischen Rathsherren, daß sie durch das ewige Koax Koax ihrer Frösche ein wenig dickhäutig geworden waren; sie würden sonst in Gefahr gewesen seyn, bei dieser Gelegenheit völlig taub zu werden. Aber man war solcher Artigkeiten auf dem Rathhause zu Abdera schon gewohnt, und ließ also die beiden mächtigen Schreier, gleich zwei eifersüchtigen Bullen, einander so lange anbrüllen, bis sie — vor Heiserkeit nicht mehr schreien konnten.Da es von diesem Augenblick an nicht mehr der Mühe werth war ihnen zuzuhören, so fragte der Archon den Stadtschreiber: wie viel die Uhr sey? — und auf die Versicherung, daß die Mittagsessenszeit heran nahe, wurde unverzüglich zur Umfrage geschritten.Hier beliebe man sich zu erinnern, daß es auf dem Rathhause zu Abdera bei Abfassung eines Schlusses niemals darum zu thun war, die Gründe, welche für oder wider eine Meinung vorgetragen worden waren, kaltblütig gegen einander abzuwägen, und sich auf die Seite desjenigen zu neigen der die besten gegeben hatte: sondern man schlug sich entweder zu dem der am längsten und lautesten geschrien hatte, oder zu dem dessen Partei man hielt. Nun pflegte zwar die Partei des Archons in gewöhnlichen Sachen fast immer die stärkere zu seyn; aber dießmal, da es (mit dem Präsidenten der Akademie zu reden) einen so schlüpfrigen Punkt betraf, würde Onokradias schwerlich die Oberhand erhalten haben, wenn Stentor seine Lunge nicht ganz außerordentlich angegriffen hätte. Es wurde also mit achtundzwanzig Stimmen gegen zweiundzwanzig beschlossen: daß der Akademie ein Gutachten abgefordert werden sollte, durch was für Mittel und Wege der übermäßigen Vermehrung der Frösche in und um Abdera (jedoch der schuldigen Ehrfurcht für Latonen und den Rechten ihres Tempels in alle Wege unbeschadet) Einhalt gethan werden könnte?Die Clausel hatte der Rathsherr Meidias ausdrücklich einrücken lassen, um der Partei des Nomophylax keinen Vorwand zu lassen, das Volk gegen die Majorität aufzuwiegeln. Aber Hypsiboas und sein Anhang versicherten, daß sie nicht so einfältig wären sich durch Clauseln eine Nase drehen zu lassen. Sie protestirten gegen den Schluß zum Protokoll, ließen sich davon Extractum in forma probante ertheilen, und begaben sich unverzüglich in Procession zu dem Oberpriester Stilbon, um Seiner Ehrwürden von diesem unerhörten Eingriffe in die Rechte der Froschpfleger und des Latonentempels Nachricht zu geben, und die Maßnehmungen mit ihm abzureden, welche zu Aufrechthaltung ihres Ansehens schleunigst ergriffen werden müßten.
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Viertes Kapitel.

Charakter und Lebensart des Oberpriesters Stilbon. Verhandlung zwischen den Latonenpriestern und den Rathsherren von der Minorität. Stilbon sieht die Sache aus einem eigenen Gesichtspunkt an, und geht, dem Archon selbst Vorstellungen zu machen. Merkwürdige Unterredung zwischen den Zurückgebliebenen.

Der Oberpriester Stilbon war bereits der dritte, der dem ehrwürdigen Strobylus (dessen Asche in Frieden ruhe!) in dieser Würde gefolgt war. In den Charaktern dieser beiden Männer war, den Eifer für die Sache ihres Ordens ausgenommen, sonst wenig Aehnliches. Stilbon hatte von Jugend an die Einsamkeit geliebt, und sich in den unzugangbarsten Gegenden des Latonenhains, oder in den abgelegensten Winkeln ihres Tempels mit Speculationen beschäftigt, die desto mehr Reiz für seinen Geist hatten, je weiter sie sich über die Gränzen der menschlichen Erkenntniß zu erheben schienen, oder (richtiger zu reden) je weniger sich der mindeste praktisch Gebrauch zum Vortheil des menschlichen Lebens davon machen ließ. Gleich einer unermüdeten Spinne saß er im Mittelpunkt seiner Gedanken- und Wortgewebe, ewig beschäftigt, den kleinen Vorrath von Begriffen, den er in dem engen Bezirke des Latonentempels bei einer so abgeschiedenen Lebensart hatte erwerben können, in so klare und dünne Fäden auszuspinnen, daß er alle die unzählbaren leeren Zellen seines Gehirns über und über damit austapeziren konnte.Außer diesen metaphysischen Speculationen hatte er sich am meisten mit den Alterthümern von Abdera, Thracien und Griechenland, besonders mit der Geschichte aller festen Länder, Inseln und Halbinseln, die (nach uralten Traditionen) einst da gewesen, aber seit undenklichen Zeiten nicht mehr da waren, zu schaffen gemacht. Der ehrliche Mann wußte kein Wort davon was zu seiner eignen Zeit in der Welt vorging, und noch weniger was fünfzig Jahre vor seiner Zeit darin vorgegangen; sogar die Stadt Abdera, an deren einem Ende er lebte, war ihm noch weniger bekannt als Memphis oder Persepolis. Dafür aber war er desto einheimischer in dem alten Pelasgerlande, wußte genau, wie jedes Volk, jede Stadt und jeder kleine Flecken geheißen ehe sie ihren gegenwärtigen Namen führten, wußte, wer jeden in Ruinen liegenden Tempel gebaut hatte, und zählte die Reihen aller der Könige an den Fingern her, die vor der Ueberschwemmung Deukalions unter den Thoren ihrer kleinen Städte saßen, und jedem Recht sprachen, der — sich's nicht selbst zu verschaffen im Stande war. Die berühmte Insel Atlantis war ihm so bekannt, als ob er alle ihre herrlichen Paläste, Tempel, Marktplätze, Gymnasien, Amphitheater u. s. w. mit eignen Augen gesehen hätte; und er würde untröstbar gewesen seyn, wenn ihm jemand in seinem dicken Buche von den Wanderungen der Insel Delos, oder in irgend einem andern von den dicken Büchern, die er über eben so interessante Materien hatte ausgehen lassen, die kleinste Unrichtigkeit hätte zeigen können.Mit allen diesen Kenntnissen war Stilbon freilich ein sehr gelehrter, aber auch, ungeachtet derselben, ein sehr beschränkter, und in allen Sachen, die das praktische Leben betrafen, höchst einfältiger Mann. Seine Begriffe von den menschlichen Dingen waren fast alle unbrauchbar, weil sie selten oder nie auf die Fälle paßten wo er sie anwandte. Er urtheilte immer schief von dem was gerade vor ihm stand, schloß immer richtig aus falschen Vordersätzen, wunderte sich immer über die natürlichsten Ereignisse, und erwartete immer einen glücklichen Erfolg von Mitteln die seine Absichten nothwendig vereiteln mußten. Sein Kopf war und blieb, so lang' er lebte, ein Sammelplatz aller populären Vorurtheile. Das blödeste alte Mütterchen in Abdera war nicht leichtgläubiger als er; und, so ungereimt es vielen unsrer Leser scheinen wird, so gewiß ist es, daß er vielleicht der einzige Mann in Abdera war, der in vollem Ernst an die Frösche der Latona glaubte.Bei allem dem wurde der Oberpriester Stilbon durchgehends für einen wohlgesinnten und friedliebenden Mann gehalten — und insoferne man ihm die negativen Tugenden, die eine nothwendige Folge seiner Lebensart, seines Standes und seiner Neigung zum speculativen Leben waren, für voll anrechnete, so konnte er allerdings für weiser und besser gelten als irgend einer seiner Mitabderiten. Diese letztern hielten ihn für einen Mann ohne Leidenschaften, weil sie sahen, daß nichts von allem, was die Begierden andrer Leute zu reizen pflegt, Gewalt über ihn hatte. Aber sie dachten nicht daran daß er auf alle diese Dinge keinen Werth legte: entweder weil er sie nicht kannte; oder weil er durch eine lange Gewohnheit, bloß in Speculationen zu leben, sich Untüchtigkeit und Abneigung zu allem, was andre Gewohnheiten voraussetzt, zugezogen hatte.Indessen hatte der gute Stilbon, ohne es selbst zu wissen, eine Leidenschaft, welche ganz allein hinreichend war so viel Unheil in Abdera anzustiften, als alle übrigen die er nicht hatte; und das war die Leidenschaft für seine Meinungen. Selbst aufs vollkommenste von ihrer Wahrheit überzeugt, konnte er nicht begreifen, wie ein Mensch, wenn er auch nichts als seine bloßen fünf Sinne und den allgemeinen Menschenverstand hätte, über irgend etwas eine andre Vorstellungsart haben könne als er. Wenn sich also dieser Fall zutrug, so wußte er sich die Möglichkeit desselben nicht anders zu erklären, als durch die Alternative: daß ein solcher Mensch entweder nicht bei Sinnen — oder daß er ein boshafter, vorsetzlicher und verstockter Feind der Wahrheit, und also ein ganz verabscheuenswürdiger Mensch seyn müsse. Durch diese Denkart war der Oberpriester Stilbon, mit aller seiner Gelehrsamkeit und mit allen seinen negativen Tugenden, ein gefährlicher Mann in Abdera; und würde es noch ungleich mehr gewesen seyn, wenn seine Indolenz und sein entschiedener Hang zur Einsamkeit nicht alles, was um ihn her geschah, so weit von ihm entfernt hätte, daß es ihm selten bedeutend genug vorkam, um die mindeste Kenntniß davon zu nehmen.Ich habe nie gehört, daß man Ursache haben könnte sich über eine allzugroße Menge der Frösche zu beklagen, sagte Stilbon ganz gelassen, als der Nomophylax mit seinem Vortrag zu Ende war.Davon soll jetzt die Rede nicht seyn, Herr Oberpriester, versetzte jener. Der Senat ist über diesen Punkt so ziemlich Einer Meinung, und, ich denke, die ganze Stadt dazu. Aber daß der Akademie aufgetragen worden, die Mittel und Wege, wodurch der übermäßigen Froschmenge am füglichsten abgeholfen werden könne, vorzuschlagen, das ist's was wir niemals zugeben können.Hat der Senat der Akademie einen solchen Auftrag gegeben? fragte Stilbon."Sie hören ja, rief Hypsiboas etwas ungeduldig; das ist's ja eben was ich Ihnen sagte, und warum wir da sind."So hat der Senat einen Schritt gethan, wobei ihn seine gewöhnliche Weisheit gänzlich verlassen hat, erwiederte der Priester eben so kaltblütig wie zuvor. Haben Sie den Rathsschluß bei sich?"Hier ist eine Abschrift davon!"Hm, hm, sagte Stilbon und schüttelte den Kopf, nachdem er dieselbe sehr bedächtlich ein- oder zweimal überlesen hatte; hier sind ja beinahe so viel Absurditäten als Worte! Erstens, soll noch erwiesen werden daß zu viel Frösche in Abdera sind; oder vielmehr, dieß kann in Ewigkeit nicht erwiesen werden. Denn, um bestimmen zu können was zu viel ist, muß man erst wissen was genug ist; und dieß ist gerade was wir unmöglich wissen können, es wäre denn daß der Delphische Apollo oder seine Mutter Latona selbst uns durch ein Orakel darüber verständigen wollte. Die Sache ist sonnenklar. Denn, da die Frösche unmittelbar unter dem Schutz und Einfluß der Göttin stehen, so ist es ungereimt zu sagen, daß ihrer jemals mehr seyen als der Göttin beliebt; und also braucht die Sache nicht nur gar keiner Untersuchung, sondern sie läßt auch keine Untersuchung zu. Zweitens, gesetzt daß der Frösche wirklich zu viel wären, so ist es doch ungereimt von Mitteln und Wegen zu reden, wodurch ihre Anzahl vermindert werden könnte. Denn es gibt keine solche Mittel und Wege, wenigstens keine die in unsrer Willkür stehen, welches eben so viel ist als ob es gar keine gebe. Drittens, ist es ungereimt der Akademie einen solchen Auftrag zu geben. Denn die Akademie hat nicht nur kein Recht über Gegenstände von dieser Wichtigkeit zu erkennen, sondern sie besteht auch, wie ich höre, größtentheils aus Witzlingen und seichten Köpfen, die von solchen Dingen gar nichts verstehen; und zum klaren Beweis daß sie nichts davon verstehen, sollen sie, wie ich höre, sogar albern genug seyn darüber zu scherzen und zu spotten. Ich traue diesen armen Leuten zu, daß es aus Unverstand geschieht. Denn, hätten sie mein Buch von den Alterthümern des Latonentempels mit Bedacht gelesen, so müßten sie entweder aller Sinne beraubt oder offenbare Bösewichter seyn, wenn sie der Wahrheit, die ich darin sonnenklar dargelegt habe, widerstehen könnten. Das Senatusconsultum ist also, wie gesagt, durchaus ungereimt, und kann folglich von keinem Effect seyn, indem ein absurder Satz eben so viel ist als gar kein Satz. Sagen Sie dieß unsern gnädigen Herren in der nächsten Session, hochgeachteter Herr Nomophylax! Unsre gnädigen Herren werden sich unfehlbar eines Bessern besinnen; und solchenfalls werden wir am besten thun die Sache auf sich beruhen zu lassen."Herr Oberpriester, antwortete ihm Hypsiboas, Sie sind ein grundgelehrter Mann, das wissen wir alle. Aber, nehmen Sie mir nicht übel, auf Welthändel und Staatssachen verstehen Sich Euer Ehrwürden nicht. Die Majora im Senat haben einen Schluß gefaßt, der den Gerechtsamen der Batrachotrophen präjudicirlich ist. Indessen nach der Regel bleibt's bei diesem Rathsschlusse, und der Archon wird ihn zur Execution gebracht haben, eh' ich in der nächsten Session Ihre logischen Einwendungen vortragen könnte, wenn ich mich auch damit beladen wollte."Es kommt aber ja in solchen speculativen Dingen nicht auf die Majora, sondern auf die Saniora an, sagte Stilbon."Vortrefflich, Herr Oberpriester, versetzte der Nomophylax. Das ist ein Wort! Die Saniora! die Saniora haben unstreitig Recht. Die Frage ist also jetzt nur, wie wir es anzugreifen haben, daß sie auch Recht behalten. Wir müssen auf ein schleuniges Mittel denken die Vollstreckung des Rathsschlusses aufzuhalten."Ich will Seiner Gnaden, dem Archon, augenblicklich mein Buch von den Alterthümern des Latonentempels schicken. Er muß es noch nicht gelesen haben. Denn in dem Kapitel von den Fröschen ist alles, was über diesen Gegenstand zu sagen ist, ins Klare gesetzt.Der Archon hat in seinem Leben kein Buch gelesen, Herr Oberpriester, sagte einer von den Rathsherren lachend; dieß Mittel wird nicht anschlagen, dafür bin ich Ihnen gut!Desto schlimmer! erwiederte Stilbon. In was für Zeiten leben wir, wenn das wahr ist! Wenn das Oberhaupt des Staats ein solches Beispiel gibt — Doch ich kann unmöglich glauben, daß es schon so weit mit Abdera gekommen sey."Sie sind auch gar zu unschuldig, Herr Oberpriester, sagte der Nomophylax. Aber lassen wir das auf sich beruhen! Es stände noch gut genug, wenn das der größte Fehler des Archons wäre."Ich sehe nur ein Mittel in der Sache, sprach jetzt einer von den Priestern, Namens Pamphagus: das hochpreisliche Collegium der Zehnmänner ist über dem Senat —folglich —Um Vergebung, fiel ihm ein Rathsherr ins Wort, nicht über dem Senat, sondern nur —Sie haben mich nicht ausreden lassen, sagte der Priester etwas hitzig. Die Zehnmänner sind nicht über dem Senat in Justiz-, Staats- und Polizeisachen. Aber da alle Sachen, wobei der Latonentempel betroffen ist, vor die Zehnmänner gehören, und von ihrer Entscheidung nicht weiter appellirt werden kann: so ist klar, daß —Die Zehnmänner nicht über dem Senat sind! fiel jener ein; denn der Senat behängt sich mit Latonensachen gar nicht, und kann also nie mit den Zehnmännern in Collision kommen.Desto besser für den Senat, sagte der Priester. Aber, wenn sich denn ja einmal der Senat beigeben ließe, über einen Gegenstand, der dem Dienst der Latona wenigstens sehr nahe verwandt ist, erkennen zu wollen, wie dermalen wirklich der Fall ist: so sehe ich kein ander Mittel als die Zehnmänner zusammenberufen zu lassen.Das kann nur der Archon, wandte Hypsiboas ein, und natürlicherweise wird er sich dessen weigern.Er kann sich nicht weigern, wenn er von der gesammten Priesterschaft darum angegangen wird, sagte Pamphagus.Herr College, ich bin nicht Ihrer Meinung, fiel der Oberpriester ein. Es wäre wider die Würde der Zehnmänner, und sogar wider die Ordnung, wenn wir in vorliegendem Fall auf ihre Zusammenberufung dringen wollten. Die Zehnmänner können und müssen sich versammeln, wenn die Religion wirklich verletzt worden ist. Wo ist aber hier die Verletzung? Der Senat hat einen absurden Schluß gefaßt, das ist alles. Es ist schlimm, aber nicht schlimm genug; Sie müßten denn erweisen können, daß die Zehnmänner darum da seyen, den Senat zu syndiciren wenn er ungereimte Schlüsse macht.Der Priester Pamphagus biß die Lippen zusammen, drehte sich nach dem Sitze des Nomophylax, und murmelte ihm etwas ins linke Ohr.Stilbon, ohne darauf Acht zu geben, fuhr fort: ich will stehenden Fußes selbst zum Archon gehen. Ich will ihm mein Buch von den Alterthümern des Latonentempels bringen. Er soll das Kapitel von den Fröschen lesen! Es ist unmöglich, daß er nicht sogleich von der Ungereimtheit des Rathsschlusses überzeugt werde.So gehen Sie denn und versuchen Sie Ihr Heil, versetzte der Nomophylax. — Der Oberpriester ging unverzüglich.Was das für ein Kopf ist! sagte der Priester Pamphagus, wie er weggegangen war.Er ist ein sehr gelehrter Mann, versetzte der Rathsherr Bucephalus; aber — —Ein gelehrter Mann? fiel jener ein. Was nennen Sie gelehrt? Gelehrt in lauter Dingen, die kein Mensch zu wissen verlangt!Davon können Euer Ehrwürden besser urtheilen als unser einer, erwiederte der Rathsherr; ich verstehe nichts davon: aber es ist mir doch immer unbegreiflich vorgekommen, daß ein so gelehrter Mann in Geschäftssachen so einfältig seyn kann wie ein kleines Kind.Es ist unglücklich für den Latonentempel, sagte ein andrer Priester — —Und für den ganzen Staat, setzte ein dritter hinzu.Das weiß ich eben nicht, sprach der Nomophylax mit einem spitzfindigen Naserümpfen; wir wollen aber bei der Sache bleiben. Die Herren scheinen mir sämmtlich der Meinung zu seyn, daß die Zehnmänner zusammenberufen werden müßten ——Um so mehr, sagte einer der Rathsherren, weil wir gewiß sind die Majora gegen den Archon zu machen.Wenn wir uns nicht besser helfen können, fuhr der Nomophylax fort, so bin ich's zufrieden. Aber sollten wir uns denn in einer Sache, wobei Latona und ihre Priesterschaft auf unsrer Seite sind, nicht besser helfen können? Machen wir nicht beinahe die Hälfte des Raths aus? Wir sind bloß mit sechs Stimmen majorisirt worden; und wenn wir fest zusammenhalten — —Das wollen wir, schrien die Rathsherren aus voller Kehle."Ich habe einen Gedanken, meine Herren; aber ich muß ihn reifer werden lassen. Erkiesen Sie zwei oder drei aus Ihrem Mittel, mit denen ich mich diesen Abend auf meinem Gartenhause näher von der Sache besprechen könne. Es wird sich inzwischen zeigen, wie weit es der Oberpriester mit dem Archon Onokradias gebracht haben wird."Ich wette meinen Kopf gegen eine Melone, sagte der Priester Charox, er wird aus arg ärger machen.Desto besser! versetzte der Nomophylax.
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Fünftes Kapitel.

Was zwischen dem Oberpriester und dem Archon vorgefallen — eines der lehrreichsten Kapitel in dieser ganzen Geschichte.

Während dieß in dem Vorsaal des Oberpriesters verhandelt wurde, hatte sich dieser in eigner Person zum Archon erhoben, und über eine Sache, woran dem Archon viel gelegen sey, Audienz verlangt.O, das wird ganz gewiß die Frösche betreffen, sagte der Rathsherr Meidias, der eben allein bei dem Archon war, und ihm berichtet hatte, daß man den Nomophylax mit seinem ganzen Anhang nach dem Latonentempel habe gehen sehen.Daß doch der Henker — verzeih' mir's Latona! alle Frösche hätte! rief Onokradias ungeduldig: da wird mir der sauertöpfische Pfaffe die Ohren so voll Warums und Darums schwatzen, daß ich am Ende nicht wissen werde wo mir der Kopf steht! Helfen Sie mir, ich bitte Sie, von dem gespenstmäßigen alten Kerl!Meidias lachte über die Verlegenheit des Archons. Hören Sie ihn immer an, sagte er; aber halten Sie fest über Ihrem Ansehen, und an dem Grundsatze, daß Noth kein Gesetz hat. Wir können uns doch wahrlich nicht von Fröschen auffressen lassen; und wenn's so fortgehen sollte wie bisher, so möchte uns Latona eben sowohl allzumal in Frösche verwandeln. Es wäre immer noch das glücklichste was uns widerfahren könnte, wenn uns nicht bald auf andre Weise geholfen wird. Allenfalls kann's auch nicht schaden, wenn Euer Gnaden dem Priester zu verstehen geben, daß Jason auch einen Tempel zu Abdera hat, und daß Götter nur insofern Götter sind als sie Gutes thun.Schön, schön, sagte der Archon. Wenn ich nur alles so behalten könnte, wie Sie mir's da gesagt haben! Aber ich will mich schon zusammennehmen. Laßt den Priester nur anrufen! — Gehn Sie indessen in mein Cabinet, Meidias. Sie werden eine feine Anzahl kleiner Stücke von Parrhasius darin finden, die man nicht überall sieht. — Aber sagen Sie meiner Frau nichts davon! Sie verstehen mich doch?Meidias schlich sich in das Cabinet; der Archon stellte sich in Positur, und Stilbon wurde vorgelassen."Gnädiger Herr Archon," sagte er, "ich komme Euer Gnaden einen guten Rath zu geben, weil ich eine große Meinung von Dero Weisheit hege und gern Unheil verhüten möchte."Ich danke Ihnen für beides, Herr Oberpriester! Ein guter Rath findet, wie sie wissen, eine gute Statt. Was haben Sie anzubringen?"Der Senat," fuhr Stilbon fort, "hat sich, wie ich höre, in Sachen die Frösche der Latona betreffend eines übereilten Schlusses schuldig gemacht —"Herr Oberpriester! —"Ich sage nicht daß Sie es aus bösem Willen gethan haben. Die Menschen sündigen bloß, weil sie unwissend sind. Hier bringe ich Euer Gnaden ein Buch, woraus Sie sich belehren können was es mit unsern Fröschen für eine Bewandtniß hat. Es hat mir viele Mühe und Nachtwachen gekostet. Sie können daraus lernen, daß die Akademie, die von gestern her ist, kein Recht haben kann über Frösche zu erkennen, die so alt sind als die Gottheit der Latona. Die Frösche zu Abdera sind, wie wir alle wissen sollten, ganz ein ander Ding als die Frösche andrer Orte in der Welt. Sie gehören der Latona an. Sie sind niemals aussterbende Zeugen und lebendige Documente ihrer Gottheit. Es ist Unsinn, zu sagen daß ihrer zu viel seyn könnten, und ein Sacrilegium, von Mitteln zu reden wodurch ihre Anzahl vermindert werden soll."Ein Sacrilegium, Herr Oberpriester?"Ich verdiente nicht Oberpriester zu seyn, wenn ich zu solchen Dingen schweigen wollte. Denn, wenn wir einmal zugelassen hätten, daß die Anzahl der Latonenfrösche vermindert werden dürfe: so möchten unsre noch schlimmern Nachkommen wohl gar so weit verfallen, sie gänzlich ausrotten zu wollen. Wie gesagt, in diesem Buche werden Euer Gnaden alles finden, was von der Sache zu glauben ist. Sorgen Sie dafür, daß Abschriften davon gemacht und jedes Haus mit einem Exemplar versehen werde. Ist dieß geschehen, dann wird das sicherste seyn gar nicht mehr über die Sache zu räsonniren. Die Akademie mag sonst Gutachten stellen worüber sie immer will. Die ganze Natur liegt vor ihr offen. Sie kann reden vom Elephanten bis zur Blattlaus, vom Adler bis zur Wassermotte, vom Wallfisch bis zur Schmerle, und von der Ceder bis zum Lykopodion: aber von den Fröschen soll sie schweigen!"Herr Oberpriester, sagte der Archon, die Götter sollen mich bewahren, daß ich mir jemals einfallen lasse, zu untersuchen was es mit Ihren Fröschen für eine Bewandtniß hat. Ich bin Archon, um alles in Abdera zu lassen wie ich es gefunden habe. Indessen liegt am Tage, daß wir uns vor lauter Fröschen nicht mehr rühren können; und diesem Unwesen muß gesteuert werden. Denn schlimmer darf's nicht mit uns werden, das sehen Sie selbst. Unsre Voreltern begnügten sich den geheiligten Teich zu unterhalten, und wer seinen eignen Froschgraben haben wollte, dem stand's frei. Dabei hätte man's lassen sollen. Da es aber nun einmal so weit mit uns gekommen ist, daß wir nächstens in Gefahr sind lebendig oder todt von Fröschen gefressen zu werden: so werden uns Euer Ehrwürden doch wohl nicht zumuthen wollen, daß wir's darauf ankommen lassen sollen? Denn, wenn einer von Fröschen gefressen würde, so möcht's ihm wohl ein schlechter Trost seyn, zu denken daß es keine gemeinen Frösche seyen. Kurz und gut, Herr Oberpriester! die Akademie soll ihr Gutachten stellen weil ihr's vom Senat aufgetragen worden ist; und — mit aller Achtung die ich Euer Ehrwürden schuldig bin, ich werde Ihr Buch nicht lesen; und es soll mir ein- für allemal ausgemacht werden, ob die Frösche um der Abderiten willen, oder die Abderiten um der Frösche willen da sind. Denn sobald die Republik durch die Frösche in Gefahr gesetzt wird, sehen Sie, so wird eine Staatssache daraus, und da haben die Priester der Latona nichts drein zu reden, wie Sie wissen. Denn Noth hat kein Gesetz, und — mit Einem Wort, Herr Oberpriester, wir wollen uns nicht von Ihren Fröschen fressen lassen. Sollten Sie aber wider Verhoffen darauf bestehen, so thäte mir's leid, wenn ich Ihnen sagen müßte, daß der Latonentempel nicht der einzige in Abdera ist, und das goldne Vließ, dessen Verwahrung die Götter meiner Familie anvertraut haben, könnte vielleicht eine bisher noch unerkannte Tugend äußern, und Abdera auf einmal von — aller Noth befreien. Mehr will ich nicht sagen. Aber merken Sie sich das, Herr Oberpriester! Der Krug geht so lange zum Wasser bis er bricht.Der gute Oberpriester wußte nicht ob er wache oder träume, da er den Archon, den er immer für einen wohldenkenden und exemplarischen Regenten gehalten hatte, eine solche Sprache führen hörte. Er stand eine Weile da, ohne ein Wort hervorbringen zu können; nicht weil er nichts zu sagen wußte, sondern weil er so viel zu sagen hatte, daß er nicht wußte wo er anfangen sollte. — Das hätte ich nimmermehr für möglich gehalten, fing er endlich an, daß ich die Zeit erleben sollte, wo der Oberpriester der Latona aus dem Munde eines Archons hören müßte, was ich gehört habe!Dem Archon fing bei diesen Worten an unheimlich zu werden. Denn, weil er selbst nicht mehr so eigentlich wußte was er dem Oberpriester gesagt hatte, so wurde ihm bang, er möchte mehr gesagt haben als sich geziemte. Er sah mit einiger Verlegenheit nach der Cabinetthür, als ob er seinen geheimen Rath Meidias gern zu Hülfe gerufen hätte. Da er sich aber dießmal allein helfen mußte, so zupfte er sich wechselsweise bald an der Nase, bald am Bart, hustete, räusperte sich, und erwiederte endlich dem Oberpriester mit aller Würde, die er sich in der Eile geben konnte: ich weiß nicht wie ich das nehmen soll was Sie mir da sagten. Aber das weiß ich, wenn Sie was gehört zu haben glauben das Sie nicht hätten hören sollen, so müssen Sie mich ganz unrecht verstanden haben. Sie sind ein sehr gelehrter Mann, und ich trage alle mögliche Achtung für Ihre Person und Ihr Amt —"Sie wollen also mein Buch lesen?" fragte Stilbon.Das eben nicht; aber — wenn Sie darauf bestehen — wenn Sie glauben daß es schlechterdings —"Man soll das Gute niemand aufdringen, sagte der Priester mit einer Empfindlichkeit über die er nicht Meister war. Ich will es Ihnen da lassen. Lesen sie es oder nicht! desto schlimmer für Sie, wenn es Ihnen gleichgültig ist ob Sie richtig oder unrichtig denken" —Herr Oberpriester, fiel ihm der Archon, der endlich auch warm zu werden anfing, ins Wort, Sie sind ein empfindlicher Mann wie ich sehe. Ich verdenk' es Ihnen zwar nicht daß Ihnen die Frösche am Herzen liegen, denn dafür sind Sie Oberpriester; Sie sollten aber auch bedenken, daß ich Archon über Abdera und nicht über einen Froschteich bin. Bleiben Sie in Ihrem Tempel und regieren Sie dort wie Sie wollen und können; auf dem Rathhause lassen Sie uns regieren. Die Akademie soll ihr Gutachten über die Frösche stellen, dafür geb' ich Ihnen mein Wort! — und es soll Ihnen communicirt werden ehe der Senat einen Schluß darüber faßt, darauf können Sie sich auch verlassen!Der Oberpriester verschlang seinen Unwillen über den unerwarteten schlechten Erfolg seines Besuchs so gut er konnte, machte seinen Bückling, und zog sich zurück, mit der Versicherung, daß er vollkommen überzeugt sey, der Senat werde nichts in Sachen verfügen, ohne mit den Priestern des Latonentempels vorher einverstanden zu seyn. Der Archon versicherte ihm dagegen zurück, daß ihm die Rechte des Latonentempels so heilig seyen als die Rechte des Senats und das Beste der Stadt Abdera; und somit schieden sie, nach Gestalt der Sachen, noch ziemlich höflich von einander.Der Pfaffe hat mir warm gemacht, sagte der Archon zum Rathsherrn Meidias, indem er sich mit seinem Schnupftuche die Stirne wischte.Sie haben sich aber auch tapfer gehalten, versetzte der Rathsherr. Das Pfäffchen wird Gift und Galle kochen; aber seine Blitze sind nur von Bärenlappen. Man braucht sich nur auf seine Distinctionen und Syllogismen nicht einzulassen, so ist er geschlagen, und weiß weder wo aus noch wo an.Ja, wenn der Nomophylax nicht hinter ihm stäcke, erwiederte der Archon. Ich wollte daß ich mich nicht so weit heraus gelassen hätte. Aber was das auch für eine Zumuthung ist, das dicke Buch zu lesen, woran sich der hohläugige alte Kerl blind geschrieben hat! Wer hätte nicht ungeduldig werden sollen!Sorgen Sie für nichts, Herr Archon! Wir haben die Akademie für uns, und in wenig Tagen sollen auch die Lacher in ganz Abdera auf unsrer Seite seyn. Ich will Liedchen und Gassenhauer unter das Volk streuen. Der Balladenmacher Lelex soll mir die Geschichte der Lycischen Froschbauern in eine Ballade bringen, über die sich die Leute krank lachen sollen. Man muß die Herren mit ihren Fröschen lächerlich machen. Auf eine feine Art, versteht sich; aber Schlag auf Schlag, Gassenhauer auf Gassenhauer! Euer Gnaden sollen sehen, wie das Mittel anschlagen wird.Ich will es herzlich wünschen, sagte der Archon; denn Sie können sich kaum vorstellen, wie mir die verwetterten Frösche diesen Sommer über meinen Garten zugerichtet haben! Ich kann den Jammer gar nicht mehr ansehen. Es fehlt uns nichts, als daß nächstens ein trocknes Jahr käme und uns noch eine Armee von Feldmäusen und Maulwürfen über den Hals schickte.Fürs erste wollen wir uns die Frösche vom Leibe schaffen, versetzte Meidias: für die Mäuse, die noch kommen sollen, wird's dann auch Mittel geben.Aber was, zum Henker, soll ich mit dem dicken Buche machen, das mir der Oberpriester zurückgelassen hat? sagte der Archon. — Sie werden mir doch nicht zumuthen wollen daß ich's lesen soll.Da sey Jason und Medea vor, Herr Archon, versetzte Meidias. Geben Sie mir's. Ich will's meinem Vetter Korax bringen, dem ohne Zweifel die Ausfertigung des Gutachtens von der Akademie aufgetragen werden wird. Er wird guten Gebrauch davon machen, dafür bin ich Ihnen Bürge.Es mag schönes Zeug drin stehen — sagte der Archon.Wenn es sonst zu nichts zu gebrauchen ist, erwiederte der Rathsherr, so machen wir's zu Pulver, und geben's den Ratten ein, die, nach Euer Gnaden Weissagung, noch kommen sollen. Es muß ein herrliches Rattenpulver geben.
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Sechstes Kapitel.

Was der Oberpriester Stilbon that, als er wieder nach Hause gekommen war.

Sobald der Oberpriester Stilbon wieder in seiner Zelle angelangt war, setzte er sich an sein Schreibepult und nahm sein Werk von den Alterthümern des Latonentempels vor die Hand, in der Absicht das Kapitel von den Fröschen (welches das größte Kapitel in dem ganzen Buche war) wieder durchzulesen; und zwar, wie er sich schmeichelte, mit aller Unparteilichkeit eines Richters, der kein andres Interesse bei der Sache hat als die Entdeckung der Wahrheit. Denn so überzeugt er auch von den Resultaten seiner Untersuchungen war, so hielt er doch für billig und nöthig, eh' er sich weiter einließe, sein ganzes System und die Beweise desselben noch einmal Punkt für Punkt zu prüfen; in der Absicht, wenn es sich auch bei dieser neuen und scharfen Untersuchung wahr befände, es desto zuversichtlicher gegen alle Anfechtungen des Witzes und der Modephilosophie seiner Zeit behaupten zu können.Armer Stilbon! wenn du (wie ich lieber glauben als nicht glauben will) aufrichtig warst, was für ein betrügliches Ding ist es um eines Menschen Vernunft! und was für eine glatte verführerische Schlange ist die Erzzauberin Eigenliebe!Stilbon durchlas sein Kapitel von den Fröschen mit aller Unparteilichkeit deren er fähig war; prüfte jeden Satz, jeden Beweis, jeden Syllogismus mit der Kaltblütigkeit eines Arkesilas, und —fand: "daß man entweder dem allgemeinen Menschensinn entsagen, oder von seinem System überzeugt werden müsse."Das kann nicht möglich seyn, sagt ihr? um Verzeihung das kann sehr möglich seyn; denn es ist geschehen und geschieht noch immer alle Tage. Nichts ist natürlicher. Der gute Mann liebte sein System wie sein eigen Fleisch und Blut. Er hatte es aus sich selbst gezeugt. Es war ihm statt Weib und Kind, statt aller Güter, Ehren und Freuden der Welt, auf die er bei seinem Eintritt in den Latonentempel Verzicht gethan hatte; es war ihm über Alles. Als er sich hinsetzte es von neuem zu prüfen, war er bereits so vollkommen von der Wahrheit und Schönheit desselben überzeugt als von seinem eignen Daseyn. Es ging ihm also natürlicherweise ebenso, als wenn er sich hingesetzt hätte, um mit aller Kaltblütigkeit von der Welt zu untersuchen, ob der Schnee auf dem Gipfel des Hämus weiß oder schwarz sey."Daß die Milischen Bauern, die der durstenden Latona aus ihrem Teiche zu trinken verwehrten, in Frösche verwandelt worden (sagte Stilbon in seinem Buche), das ist Thatsache.Daß eine Anzahl dieser Frösche, auf die Art und Weise, wie die Tradition berichtet, nach Abdera in den Teich des Latonenhains versetzt worden, ist Thatsache."Beide Facta gründen sich auf das, worauf sich alle historische Wahrheit gründet, auf menschlichen Glauben an menschliches Zeugniß; und so lange Abdera steht, hat sich kein Vernünftiger einfallen lassen, dem allgemeinen Glauben der Abderiten an diese Facta zu widersprechen. Denn wer sie läugnen wollte, müßte ihre Unmöglichkeit beweisen können; und wo ist der Mensch auf Erden der dieß könnte?"Aber, ob die Frösche, die sich zu unsern heutigen Zeiten in dem geheiligten Teiche befinden, eben diejenigen seyen, die von Latonen, oder (was auf Eines hinausläuft) von Jupitern auf Latonens Bitte, in Frösche verwandelt worden: darüber sind bisher verschiedene Meinungen gewesen."Unsre Gelehrten haben größtentheils dafür gehalten, daß die Unterhaltung des geheiligten Teichs als bloßes Institut unsrer Voreltern, und die darin aufbewahrten Frösche als bloße Erinnerungszeichen der Macht unsrer Schutzgöttin mit gebührender Ehre anzusehen seyen."Das gemeine Volk hingegen hat von diesen Fröschen immer eben so gesprochen und geglaubt, als ob sie die nämlichen wären, an denen das bekannte Wunder geschehen sey."Und ich — Stilbon, aus Jupiters und Latonens Barmherzigkeit zur Zeit Oberpriester von Abdera, habe nach reiflicher Erwägung der Sache befunden, daß dieser Glaube des Volks sich auf unumstößliche Gründe stützt; und hier ist mein Beweis! —"Der geneigte Leser würde sich wahrscheinlicher Weise schlecht erbaut finden, wenn wir ihm diesen Beweis, so weitläuftig als er in besagtem Buche des Oberpriesters Stilbon vorgetragen ist, zu lesen geben wollten; zumal da wir alle von dem Ungrunde desselben zum voraus wenigstens eben so vollkommen überzeugt sind, als es der gute Stilbon von dessen Gründlichkeit war. Wir begnügen uns also nur mit zwei Worten zu sagen: daß sich sein ganzes System über die mehr besagten Frösche um eine heutiges Tages sehr gemeine, damals aber (in Abdera wenigstens) ganz neue, und, nach Stilbons ausdrücklicher Versicherung, von ihm selbst erfundene Hypothese drehte, nämlich um die Lehre: "daß alle Zeugung nichts andres als Entwickelung ursprünglicher Keime sey." — Stilbon fand diese Entdeckung, als er sie zuerst machte, so schön, und wußte sie mit so vielen dialektischen und moralischen Gründen (denn die Physik war seine Sache nicht) zu unterstützen, daß sie ihm mit jedem Tage wahrscheinlicher vorkam.Endlich glaubte er sie auf den höchsten Grad der Wahrscheinlichkeit gebracht zu haben. Da nun von dieser zur Gewißheit nur noch ein leichter Sprung zu thun ist: was Wunder, daß ihm eine so sinnreiche, so subtile, so wahrscheinliche Hypothese — eine Hypothese, die er selbst erfunden, mit so vieler Mühe ausgearbeitet, mit allen seinen übrigen Ideen in Verbindung gesetzt, und zur Grundlage eines neuen durchaus räsonnirten Systems über die Latonenfrösche gemacht hatte — zuletzt eben so gewiß, anschaulich und unzweifelhaft vorkam als irgend ein Lehrsatz im Euklides?"Als die Milischen Bauern verwandelt wurden (sagte Stilbon), führten sie Keime aller Bauern und Nichtbauern, die von damals an bis auf diesen Tag, und von diesem Tage bis ans Ende der Tage nach dem ordentlichen Lauf der Natur von ihnen entspringen konnten und sollten, in eben so vielen in einander geschobenen Keimen bei sich; und in dem Augenblicke, da besagte Milische Bauern zu Fröschen wurden, wurden auch die sämmtlichen Menschenkeime, die jeder bei sich führte, in Froschkeime verwandelt. Denn (sagte er), entweder wurden diese Keime vernichtet, oder sie wurden ranificirt, oder sie wurden gelassen wie sie waren. Das erste ist unmöglich, weil aus Etwas eben so wenig Nichts als aus Nichts Etwas werden kann. Das dritte läßt sich auch nicht denken; denn wären die besagten Keime Menschenkeime geblieben, so müßten die Milischen Aν/ςωποβατςαΧοι, oder Menschenfrösche, wirkliche Menschen gezeugt haben, welches wider die historische Wahrheit und an sich selbst in alle Wege ungereimt ist. Es bleibt also nur das zweite übrig, nämlich: sie sind ranificirt, das ist in Froschkeime verwandelt worden; und man kann also mit vollkommner Richtigkeit sagen: daß die Frösche, die sich auf diesen Tag in dem geheiligten Teiche befinden, und alle übrigen, deren Abstammung von denselben erweislich ist, folglich die sämmtlichen Frösche in Abdera, eben diejenigen sind welche von Latonen in Frösche verwandelt wurden; nämlich insofern sie damals in den froschwerdenden Bauern im Keim vorhanden waren, und zugleich uno eodemque actu mit ihnen verwandelt wurden."Dieß nun ein- für allemal als erwiesene Wahrheit angenommen, schien dem ehrlichen Stilbon nichts sonnenklarer (wie er zu sagen pflegte) als die Folgerungen, die gleichsam von selbst daraus abflogen. "So wie, zum Beispiel, eine vom Strahl getroffne Eiche, als eine Res sacra, als dem Donnerer Zeus angehörig und geheiligt, mit schaudernder Ehrfurcht angesehen wird: eben so müssen, sagte er, die von Latonen oder Jupitern verwandelten Menschenfrösche, nebst allen ihren im Keim mit verwandelten Abkömmlingen bis ins tausendste und zehntausendste Glied, als eine Art wundervoller, der Latona angehöriger Mittelwesen angesehen, und also auch als solche behandelt und geehret werden. Sie sind zwar dem Aeußerlichen nach Frösche wie andre; aber sie sind gleichwohl auch keine Frösche wie andre. Denn, da sie von Geburt und Natur Menschen gewesen waren, und alles was wir von Natur und Geburt sind uns einen unauslöschlichen Charakter gibt: so sind sie nicht sowohl Frösche als Froschmenschen, und also in gewissem Sinne noch immer unsers Geschlechts, unsre Brüder, unsre verunglückten Brüder, zu unsrer Warnung mit dem furchtbaren Stempel der Rache der Götter bezeichnet, aber eben darum unsers zärtlichsten Mitleidens würdig. — Doch nicht nur unsers Mitleidens (setzte Stilbon hinzu), sondern auch unsrer Ehrerbietung; da sie fortdauernde unverletzliche Denkmäler der Macht unsrer Göttin sind, an denen man sich nicht vergreifen kann ohne sich an ihr selbst zu vergreifen; indem ihre Erhaltung durch so viele Jahrhunderte der redendste Beweis ist, daß sie solche erhalten wissen wolle."Der gute Oberpriester — ein Mann, der unsern Lesern so gar verächtlich, wie er ihnen vermuthlich ist, nicht vorkommen würde, wenn sie sich recht in seine Seele hinein zu denken wüßten — hatte den ganzen Abend mit Durchlesung und Prüfung seines Kapitels über die Frösche zugebracht, und sich in das Bestreben, sein System mit neuen Gründen zu befestigen, dermaßen vertieft, daß ihm sein Versprechen, dem Nomophylax von dem Erfolg seines Besuchs bei dem Archon Nachricht zu geben, gänzlich aus dem Sinne gekommen war. Er erinnerte sich dessen nicht eher, als da er um die Dämmerungszeit die Thür seiner Zelle aufgehen hörte, und diesen Herrn in eigner Person vor sich stehen sah.Ich habe Ihnen nicht viel Tröstliches zu berichten, rief er ihm entgegen; wir sind in schlechtern Händen als ich mir jemals vorgestellt hätte. Der Archon weigerte sich mein Buch zu lesen, vielleicht weil er überhaupt gar nicht lesen kann —Dafür wollt' ich nicht Bürge seyn, sagte Hypsiboas."Und er sprach in einem Tone, dessen ich mich zu einem Oberhaupte der Republik nimmermehr versehen hätte."Was sagte er denn?"Ich danke dem Himmel, daß ich das meiste wieder vergessen habe was er sagte. Genug, er bestand darauf daß die Akademie ihr Gutachten geben müßte —"Das soll sie wohl bleiben lassen müssen, fiel der Nomophylax ein; die Gegenfröschler sollen mehr Widerstand finden als sie sich vermuthen werden! Aber, damit man uns nicht beschuldigen könne, daß wir gewaltthätig zu Werke gehen ehe wir die gelindern Mittel versucht haben, ist die sämmtliche Minorität entschlossen, dem Senat ungesäumt eine schriftliche Vorstellung zu thun, wofern die Latonenpriesterschaft geneigt ist gemeine Sache mit uns zu machen."Von Herzen gern, sagte Stilbon — ich will die Vorstellung selbst aufsetzen; ich will ihnen darthun —"Vor der Hand, unterbrach ihn der Nomophylax, kann es an einem kurzen Promemoria, welches ich bereits, sub spe rati et grati, aufgesetzt habe, genug seyn. Wir müssen eine so gelehrte Feder wie die Ihrige auf den letzten Nothfall aufsparen.Der Oberpriester ließ sich zwar berichten; setzte sich aber vor, noch in dieser Nacht an einem kleinen Tractätchen zu arbeiten, worin er sein System über die Latonenfrösche in ein neues Licht setzen, und auf eine noch subtilere Art, als es in seinem Werke von den Alterthümern des Latonentempels geschehen war, allen Einwendungen zuvorkommen wollte, welche der Philosoph Korax dagegen machen könnte. Vorgesehene Pfeile schaden desto weniger, sagte er zu sich selbst. Ich will die Sache so klar und deutlich hinlegen, daß auch die Einfältigsten überzeugt werden sollen. Es müßte doch wahrlich nicht mit rechten Dingen zugehen, wenn die Wahrheit ihre natürliche Macht über den Verstand der Menschen nur gerade in diesem Falle verloren haben sollte!
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Siebentes Kapitel.

Auszüge aus dem Gutachten der Akademie. Ein Wort über die Absichten, welche Korax dabei gehabt, mit einer Apologie, woran Stilbon und Korax gleich viel Antheil nehmen können.

Inzwischen hatte, während aller dieser Bewegungen unter der Minorität des Senats und unter den Latonenpriestern, die Akademie eine Weisung bekommen, ihr Gutachten, "durch was für diensame Mittel der übermäßigen Froschmenge (den Gerechtsamen der Latona unbeschadet) aufs schleunigste gesteuert werden könnte," binnen sieben Tagen an den Senat abzugeben.Die Akademie ermangelte nicht, sich den nächstfolgenden Morgen zu versammeln. Da die Gegenfröschler zur Zeit den größten Theil derselben ausmachten, so wurde die Ausfertigung des Gutachtens dem Philosophen Korax aufgetragen; jedoch von Seiten des Präsidenten mit der ausdrücklichen Erinnerung, daß er sich aufs sorgfältigste hüten möchte, die Akademie in keine bösen Händel mit dem Latonentempel zu verwickeln.Korax versprach, er wolle alle seine Weisheit aufbieten, die Wahrheit, wo möglich, auf eine unanstößige Art zu sagen. Denn zum Unmöglichen, setzte er hinzu, ist, wie meine hochgeehrten Herren wissen, niemand in irgend einem Falle verbunden.Darin haben Sie Recht, versetzte der Präsident: meine Meinung ging auch bloß dahin, daß Sie sich möglichst in Acht nehmen sollten. Denn der Wahrheit darf die Akademie freilich — so viel möglich — nichts vergeben.Das ist's was ich immer sage, erwiederte Korax.In was für eine seltsame Lage doch ein ehrlicher Mann kommen kann, sobald er das Unglück hat, ein Abderit zu seyn! — sagte Korax zu sich selbst, da er sich anschickte, das Gutachten der Akademie über die Froschsache zu Papier zu bringen. — In welcher andern Stadt auf dem Erdboden würde man sich's einfallen lassen, einer Akademie der Wissenschaften eine solche Frage vorzulegen? — Und gleichwohl ist's dem Senat noch zum Verdienste abzurechnen, daß er noch so viel Verstand und Muth gehabt hat, die Akademie zu fragen. Es gibt Städte in der Welt, wo man so was nicht auf die Akademie ankommen läßt. Man muß gestehen, daß die Abderiten zuweilen vor lauter Narrheit auf einen guten Einfall stoßen!Korax setzte sich also an seinen Schreibtisch, und arbeitete mit so viel Lust und Liebe zum Dinge, daß er noch vor Sonnenuntergang mit seinem Gutachten fertig war.Da wir dem geneigten Leser eine, wo nicht ausführliche, doch hinlängliche Nachricht von dem System des Oberpriesters Stilbon gegeben haben, so erfordert die Unparteilichkeit, als die erste Pflicht eines Geschichtschreibers, daß wir ihm auch von dem Inhalte dieses akademischen Gutachtens wenigstens so viel mittheilen, als zum Verständniß dieser merkwürdigen Geschichte vonnöthen zu seyn scheint."Der hohe Senat, sagte Korax im Eingang seiner Schrift, setzt in dem der Akademie zugefertigten verehrlichen Rathschlusse voraus, daß die Froschmenge in Abdera die Volksmenge dermalen in einem unmäßigen Grad übersteige; und überhebt dadurch die Akademie der unangenehmen Arbeit, erst beweisen zu müssen, was, als eine stadt- und weltkundige Thatsache, vor jedermanns Augen liegt."Es gewinnt demnach das Ansehen, als ob die Akademie, bei so bewandter Sache, sich bloß über die Mittel zu erklären hätte, wodurch diesem Unwesen am schleunigsten abgeholfen werden könne."Allein, da die Frösche in Abdera, vermöge eines uralten und ehrwürdig gewordnen Instituts und Glaubens unsrer Voreltern, Vorrechte erlangt haben, in deren Besitze sie zu stören vielen bedenklich, manchen sogar unerlaubt scheinen mag; und da es, vermöge der Natur der Sache, leicht geschehen könnte, daß die einzigen diensamen Mittel, welche die Akademie in dem gegenwärtigen äußersten Nothstände des gemeinen Wesens vorzuschlagen hat, jenen wirklichen oder vermeinten Gerechtsamen der Abderitischen Frösche Abbruch zu thun scheinen könnten: so wird es eben so zweckmäßig als unumgänglich seyn, eine historisch-pragmatische Beleuchtung der Frage: was es mit unsern besagten Fröschen für eine besondere Bewandtniß habe, vorauszuschicken."Die Akademie bittet sich also bei diesem theoretischen Theile ihres unmaßgeblichen Gutachtens von allen hoch- und wohlansehnlichen Mitgliedern des hohen Senats um so mehr geneigte Aufmerksamkeit aus, als der glückliche Erfolg dieser ganzen der Republik so hoch angelegnen Sache lediglich von Berichtigung der Präliminarfrage abhängt: ob und in wie fern die Frösche zu Abdera als wirkliche Frösche anzusehen seyen oder nicht."Diese Berichtigung nimmt in dem Gutachten selbst mehr als zwei Drittel des Ganzen ein. Der schlaue Philosoph, wohl eingedenk dessen, was er dem vorsichtigen Präsidenten versprochen, erwähnt der Verwandlung der Milischen Bauern nur im Vorbeigehen, und mit aller Ehrerbietung die man einer alten Volkssage schuldig ist. Er setzt sie, mit Beziehung auf das Buch des Oberpriesters Stilbon, als eine Sache voraus, die keinem mehrern Zweifel ausgesetzt ist, als die Verwandlung des Narcissus in eine Blume, des Cyknus in einen Schwan, der Daphne in einen Lorberbaum, oder irgend eine andre Verwandlung, die auf einem eben so festen Grunde beruhet. Wenn es auch nicht unzulässig und unanständig wäre, dergleichen uralte Sagen läugnen zu wollen: so wäre es, meint er, unverständig. Denn da es auf der einen Seite unmöglich sey ihre Glaubwürdigkeit durch historische Zeugnisse umzustoßen, und auf der andern kein Naturforscher in der Welt im Stande sey ihre absolute Unmöglichkeit zu erweisen: so werde jeder Verständige sich um so lieber enthalten sie zu bezweifeln, da er doch weiter nichts dagegen sagen könnte, als die gemeinen Plattheiten, es ist unglaublich, es ist wider den Lauf der Natur, und dergleichen Formeln, die auch dem schalsten Kopf beim ersten Anblick eben so gut einfallen müßten. Er betrachte also die Umgestaltung der Milischen Bauern in Frösche als eine auf sich beruhende Sache; behaupte aber, daß ihre Wahrheit bei der vorliegenden Frage vollkommen gleichgültig sey. Denn es werde doch wohl niemand läugnen wollen, daß diese Milischen Menschenfrösche schon ein paar tausend Jahre wenigstens todt und abgethan seyen. Gesetzt aber auch, daß die Abderitischen Frösche ihre Abstammung von denselben genüglich erweisen könnten, so würden sie damit doch weiter nichts erwiesen haben, als daß sie seit undenklichen Zeiten von Vater zu Sohn wahre ächt geborne Frösche seyen. Denn so wie die mehr besagten Milischen Bauern durch ihre Verwandlung und von dem Augenblick ihrer Einfroschung an aufgehört hätten, Menschen zu seyn, so hätten sie auch von diesem Augenblick an nichts andres als ihresgleichen, nämlich leibhafte natürliche Frösche zeugen können. Mit Einem Worte, Frösche seyen Frösche, und der Umstand, daß ihre ersten Stammväter vor ihrer Verwandlung Milische Bauern gewesen, verändre eben so wenig an ihrer gegenwärtigen Froschnatur, als wenig ein von zweiunddreißig Ahnen her geborner Bettler für einen Prinzen angesehen werde, wenn gleich erweislich wäre, daß der erste Bettler seines Stammbaums in gerader Linie von Ninus und Semiramis entsprossen sey. Die Anhänger der entgegenstehenden Meinung schienen dieß auch selbst so gut einzusehen, daß sie, um die vorgebliche höhere Natur der Abderitischen Frösche zu begründen, ihre Zuflucht zu einer Hypothese nehmen müßten, deren bloße Darstellung alle Widerlegung überflüssig mache.Der scharfsinnige Leser (und es versteht sich von selbst, daß ein Werk wie dieß keine andern Leser haben kann) wird sogleich ohne unser Erinnern bemerkt haben, daß Korax durch diese Einlenkung auf des Oberpriesters Stilbon System von den Keimen kommen wollte, welches er — eh' er es wagen durfte, mit seinem Vorschlage wegen Verminderung der Frösche hervorzurücken — entweder widerlegen oder lächerlich machen mußte.Da von diesen zwei Wegen der letzte zugleich der bequemste und der Fähigkeit der Hoch- und Wohlweisheiten, mit denen er es zu thun hatte, der angemessenste war: so begnügte sich Korax, das Unbegreifliche dieser Hypothese durch eine komische Berechnung der unendlichen Kleinheit der angeblichen Keime zum Ungereimten zu treiben."Wir wollen, sagte er, um die Aufmerksamkeit des hohen Senats nicht ohne Noth mit arithmetischen Subtilitäten zu ermüden, annehmen, der Sohn des größten und dicksten von den froschgewordnen Miliern habe sich in seinem Keimstande zu seinem Vater verhalten wie Eins zu hundert Millionen. Wir wollen es, bloß um der runden Zahl willen, so annehmen; wiewohl ohne große Mühe zu erweisen wäre, daß der größte unter allen Homunculis, als Keim, wenigstens noch zehnmal kleiner ist, als ich angegeben habe. Nun steckt, nach des Priesters Stilbon Meinung, in diesem Keim, nach gleicher Proportion verkleinert, der Keim des Enkels, im Keim des Enkels der Keim .des Urenkels, und so in jedem folgenden Abkömmling bis ins zehntausendste Glied, immer mit jedem Grad hundertmillionenmal kleiner, der Keim des nächstfolgenden; so daß der Keim eines jetzt lebenden Abderitischen Frosches, gesetzt daß er auch nur im vierzigsten Grade von seinem Stammvater, dem Milischen Froschmenschen, entfernt wäre, damals da er sich als Keim in seinem besagten Stammvater befand, um so viele Millionen von Billionen von Trillionen u. s. w. kleiner als eine Käsemilbe hätte gewesen seyn müssen; daß der geschwindeste Schreiber, den der hohe Senat von Abdera in seiner Kanzlei hat, schwerlich in seinem ganzen Leben mit allen den Nullen, die er, um diese Zahl zu bezeichnen, schreiben müßte, fertig werden könnte; und das ganze Gebiet der preiswürdigen Republik (so viel nämlich davon noch nicht in Froschgräben verwandelt ist) schwerlich Raum genug für das Papier oder Pergament hätte, welches diese ungeheure Zahl zu fassen groß genug wäre. Die Akademie überläßt es dem Ermessen des Senats, ob das allerwinzigste aller kleinen Thierchen in der Welt winzig genug sey, um sich von einer solchen unaussprechlich winzigen Kleinheit einen Begriff zu machen? und ob man also anders glauben könne, als daß dem ehrwürdigen Oberpriester etwas Menschliches begegnet seyn müsse, da er die Hypothese von den Keimen erfunden, um der vorgeblichen Heiligkeit der Abderitischen Frösche eine zwar nicht sehr scheinbare, aber wenigstens doch sehr dunkle und unbegreifliche Unterlage zu geben?"Die Akademie hat mit allem Fleiß die Einbildungskraft der erlauchten Väter des Vaterlandes nicht über die Gebühr anstrengen wollen. Wenn man aber bedenkt, wie kurz das natürliche Leben eines Frosches ist, und daß unsre dermaligen Frösche (nach der Voraussetzung) wenigstens im fünfhundertsten Grade von den Milischen Bauern abstammen: so verliert sich die Hypothese des sehr ehrwürdigen Oberpriesters in einem solchen Abgrund von Kleinheit, daß es ungereimt und grausam wäre, nur ein Wort weiter davon zu sagen."Die Natur ist (wie die berühmte Aufschrift zu Sais sagt) alles was ist, was war und was seyn wird, und ihren Schleier hat noch kein Sterblicher aufgedeckt. Die Akademie, von dieser großen Wahrheit tiefer als sonst irgend jemand durchdrungen, ist weit entfernt, sich einiger besondern und genauern Einsicht in Geheimnisse, welche unergründlich bleiben sollen, anzumaßen. Sie glaubt, daß es vergebens sey, von der Entstehungsart der organisirten Wesen mehr wissen zu wollen, als was die Sinne bei einer anhaltenden Aufmerksamkeit davon entdecken. Und wenn sie es ja für erlaubt hält, dem angebornen Triebe des menschlichen Geistes — sich alles begreiflich machen zu wollen —durch Hypothesen nachzuhängen: so findet sie diejenige noch immer die natürlichste, vermöge deren die Keime der organischen Körper durch die geheimen Kräfte der Natur erst alsdann gebildet werden, wenn sie ihrer wirklich vonnöthen hat. Dieser Erklärungsart zufolge ist der Keim eines jeden jetzt lebenden quackenden Geschöpfes in allen Sümpfen und Froschgräben von Abdera nicht älter als der Moment seiner Zeugung, und hat mit dem individuellen Frosche, der zur Zeit des Trojanischen Krieges quakte, und von welchem der jetzt lebende in gerader Linie abstammt, weiter nichts gemein, als daß die Natur beide nach einem gleichförmigen Modell, durch gleichförmige Werkzeuge und zu gleichförmigen Absichten gebildet hat."Der Philosoph Korax, nachdem er ein Langes und Breites zu Befestigung dieser Meinung vorgebracht, zieht endlich die Folgerung daraus: daß die Abderitischen Frösche eben so natürliche, gemeine und alltägliche Frösche seyen als alle übrigen Frösche in der Welt; und daß also die sonderbaren Vorrechte, deren sie sich in Abdera zu erfreuen hätten, nicht auf irgend einer Vorzüglichkeit ihrer Natur und ihrer vorgeblichen Verwandtschaft mit der menschlichen, sondern bloß auf einem populären Glauben beruheten, welchen man, zu größtem Nachtheil des gemeinen Wesens, allzu lange unbestimmt und in einem Dunkel gelassen habe, unter dessen Begünstigung die Einbildungskraft der einen und der Eigennutz der andern freien Spielraum gehabt habe, mit diesen Fröschen eine Art von Unfug zu treiben, wovon man außerhalb Aegypten schwerlich etwas Aehnliches in der Welt finden werde."Die Alterthümer von Abdera (fährt er fort) liegen, ungeachtet alles Lichtes, welches der ehrwürdige und gelehrte Stilbon so reichlich über sie ausgegossen, noch immer — wie die Alterthümer aller andern Städte in der Welt — in einem Nebel, dessen Undurchdringlichkeit dem wahrheitsbegierigen Forscher wenig Hoffnung läßt, seine Begierde jemals befriediget zu sehen. Aber, wozu hätten wir denn auch vonnöthen, mehr davon zu wissen als wir wirklich wissen? Was es auch mit dem Ursprung des Latonentempels und seines geheiligten Froschgrabens für eine Bewandtniß haben mag, würde etwa, wenn wir diese Bewandtniß wüßten, Latona mehr oder weniger Göttin, ihr Tempel mehr oder weniger Tempel, und ihr Froschteich mehr oder weniger Froschteich seyn? — Latona soll und muß in ihrem uralten Tempel verehrt, ihr uralter Froschteich soll und muß in gebührenden Ehren gehalten werden. Beides ist Institut unsrer ältesten Vorfahren, ehrwürdig durch das graueste Alterthum, befestigt durch die Gewohnheit so vieler Jahrhunderte, unterhalten durch den ununterbrochnen fortgepflanzten allgemeinen Glauben unsers Volkes, geheiligt und unverletzlich gemacht durch die Gesetze unsrer Republik, welche die Bewachung und Beschützung desselben dem ansehnlichsten Collegium des Staats anvertraut haben. Aber, wenn Latona, oder Jupiter um Latonens willen, die Milischen Bauern in Frösche verwandelt hat: folgt denn daraus, daß alle Frösche der Latona heilig sind, und sich des priesterlichen Vorrechts persönlicher Unverletzlichkeit anzumaßen haben? Und, wenn unsre wackern Vorfahren für gut befunden haben, zum ewigen Gedächtniß jenes Wunders, im Bezirk des Latonentempels einen kleinen Froschgraben zu unterhalten: folgt denn daraus, daß ganz Abdera in eine Froschlache verwandelt werden muß?"Die Akademie kennt sehr wohl die Achtung, die man gewissen Meinungen und Gefühlen des Volks schuldig ist. Aber dem Aberglauben, in welchen sie immer auszuarten bereit sind, kann doch nur so lange nachgesehen werden, als er die Gränzen der Unschädlichkeit nicht gar zu weit überschreitet. Frösche können in Ehren gehalten werden: aber die Menschen den Fröschen aufzuopfern ist unbillig. Der Zweck, um dessentwillen die Abderiten, unsre Vorfahren, den geheiligten Froschteich einsetzten, hätte freilich auch durch einen einzigen Frosch erreicht werden können. Doch, lass' es seyn daß ein ganzer Teich voll gehalten wurde; wenn es nur bei diesem einzigen geblieben wäre! Abdera würde darum nicht weniger blühend, mächtig und glücklich gewesen seyn. Bloß der seltsame Wahn, daß man der Frösche und Froschteiche nicht zu viel haben könne, hat uns dahin gebracht, daß uns nun wirklich keine andre Wahl übrig bleibt — als, uns entweder dieser überlästigen und allzu fruchtbaren Mitbürger ungesäumt zu entladen, oder alle insgesammt mit bloßen Häuptern und Füßen nach dem Latonentempel zu wallen, und mit fußfälligem Bitten so lange bei der Göttin anzuhalten, bis sie das alte Wunder an uns erneuert, und auch uns, so viel unsrer sind, in Frösche verwandelt haben wird."Die Akademie müßte sich sehr gröblich an der Weisheit der Häupter und Väter des Vaterlandes versündigen, wenn sie nur einen Augenblick zweifeln wollte, daß das Mittel, welches sie in einer so verzweifelten Lage vorzuschlagen aufgefordert worden — das einzige welches sie vorzuschlagen im Stande ist — nicht mit beiden Händen ergriffen werden sollte. Dieses Mittel hat alle von dem hohen Senat erforderten Eigenschaften; es ist in unsrer Gewalt, es ist zweckmäßig und von unmittelbarer Wirkung; es ist nicht nur mit keinem Aufwand, sondern sogar mit einer namhaften Ersparniß verbunden; und weder Latona noch ihre Priester können, unter den gehörigen Einschränkungen, etwas dagegen einzuwenden haben."Und nun rathe der geneigte Leser, was für ein Mittel das wohl seyn konnte? — Es ist, um ihn nicht lange aufzuhalten, das einfachste Mittel von der Welt. Es ist etwas in Europa von langen Zeiten her bis auf diesen Tag sehr Gewöhnliches; eine Sache, worüber in der ganzen Christenheit sich niemand das mindeste Bedenken macht, und wovor gleichwohl, als diese Stelle des Gutachtens im Senat zu Abdera abgelesen wurde, der Hälfte der Rathsherren die Haare zu Berge standen. Mit Einem Worte, das Mittel, das die Akademie von Abdera vorschlug, um der überzähligen Frösche mit guter Art los zu werden, war — sie zu essen.Der Verfasser des Gutachtens betheuerte, daß er auf seinen Reisen zu Athen und Megara, zu Korinth, in Arkadien und an hundert andern Orten Froschkeulen essen gesehen und selbst gegessen habe. Er versicherte, daß es eine sehr gesunde, nahrhafte und wohlschmeckende Speise sey, man möchte sie nun gebacken und fricassirt oder in kleinen Pastetchen auf die Tafel bringen. Er berechnete, daß auf diese Weise die übermäßige Froschmenge in kurzer Zeit auf eine sehr gemäßigte Zahl gebracht, und dem gemeinen und Mittelmann, bei dermaligen klemmen Zeiten, keine geringe Erleichterung durch diese neue Eßwaare verschafft werden würde. Und wiewohl der daher entstehende Vortheil sich vermöge der Natur der Sache von Tag zu Tag vermindern müßte: so würde hingegen der Abgang um so reichlicher ersetzt werden, indem man nach und nach einige tausend Froschteiche und Gräben austrocknen und wieder urbar machen könnte; ein Umstand, wodurch wenigstens der vierte Theil des zu Abdera gehörigen Grund und Bodens wieder gewonnen werden und den Einwohnern zu Nutzen gehen würde. Die Akademie (setzt er hinzu) habe die Sache aus allen möglichen Gesichtspunkten betrachtet, und könne nicht absehen, wie von Seiten der Latona oder ihrer Priester die mindeste Einwendung dagegen sollte gemacht werden können. Denn was die Göttin selbst betreffe, so würde sie sich ohne Zweifel durch den bloßen Argwohn, als ob ihr an den Fröschen mehr als an den Abderiten gelegen sey, sehr beleidiget finden. Von den Priestern aber sey zu erwarten, daß sie viel zu gute Bürger und Patrioten seyen, um sich einem Vorschlage zu widersetzen, durch welchen dasjenige, was bisher das größte Uebel und Drangsal des Abderitischen gemeinen Wesens gewesen, bloß durch eine geschickte Wendung in den größten Nutzen desselben verwandelt würde. Da es aber nicht mehr als billig sey, sie, die Priester, um des gemeinen Besten willen nicht zu beeinträchtigen, so hielte die Akademie unmaßgeblich dafür, daß ihnen nicht nur die Unverletzlichkeit des uralten Froschgrabens am Latonentempel von neuem zu garantiren, sondern auch die Verordnung zu machen wäre, daß von dem Augenblick an, da die Abderitischen Froschkeulen für eine erlaubte Eßwaare erklärt seyn würden, von jedem Hundert derselben eine Abgabe von einem oder zwei Obolen an den Latonentempel bezahlt werden müßte. Eine Abgabe, die, nach einem sehr mäßigen Ueberschlag, in kurzer Zeit eine Summe von dreißig bis vierzigtausend Drachmen abwerfen, und also den Latonentempel wegen aller andern kleinen Vortheile, die durch die neue Einrichtung aufhörten, reichlich schadlos halten würde.Endlich beschloß der Philosoph Korax sein Gutachten mit diesen merkwürdigen Worten: "Die Akademie glaube durch diesen eben so nothgedrungenen als gemeinnützigen Vorschlag ihrer Schuldigkeit genug gethan zu haben. Sie sey nun wegen des Erfolgs ganz ruhig, indem sie dabei nicht mehr betroffen sey als alle übrigen Bürger von Abdera. Aber da sie überzeugt sey, daß nur ganz erklärte Batrachosebisten fähig seyn könnten, sich einer so unumgänglichen Reformation entgegenzusetzen: so hoffe sie, die preiswürdigen Väter des Vaterlandes würden nicht zugeben, daß eine so lächerliche Secte die Oberhand gewinnen, und vor den Augen aller Griechen und Barbaren den Abderitischen Namen mit einem Schandflecken beschmieren sollte, den keine Zeit wieder ausbeizen würde."Es ist schwer, von den Absichten eines Menschen aus seinen Handlungen zu urtheilen, und hart, schlimme Absichten zu argwohnen, bloß weil eine Handlung eben so leicht aus einem bösen als guten Beweggrunde hergeflossen seyn konnte: aber einen jeden, dessen Vorstellungsart nicht die unsrige ist, bloß darum für einen schlimmen Mann zu halten, ist ungerecht und unvernünftig. Wiewohl wir also nicht mit Gewißheit sagen können, wie rein die Absichten des Philosophen Korax bei Abfassung dieses Gutachtens gewesen seyn mochten: so können wir doch nicht umhin zu glauben, daß der Priester Stilbon in seiner Leidenschaft zu weit gegangen sey, da er besagten Korax dieses Gutachtens wegen für einen offenbaren Feind der Götter und der Menschen erklärte, und ihn einer augenscheinlichen Absicht alle Religion über den Haufen zu werfen beschuldigte. So überzeugt auch immer der Hohepriester Stilbon von seiner Meinung seyn mochte, so ist doch, bei der großen und unwillkürlichen Verschiedenheit der Vorstellungsarten unter den armen Sterblichen, nicht unmöglich, daß Korax von der Wahrheit der seinigen eben so aufrichtig überzeugt war; daß er die Abderitischen Frösche im Innersten seines Herzens für nichts mehr als bloße natürliche Frösche hielt, und durch seinen Vorschlag seinem Vaterlande wirklich einen wichtigen Dienst zu leisten glaubte. Indessen bescheidet sich Schreiber dieses ganz gern, daß es für uns jetzt lebende, und in Betrachtung daß die allgemein in Europa angenommenen Grundsätze den Fröschen wenig günstig sind, eine äußerst zarte Sache ist, über diesen Punkt ein vollkommen unparteiisches Urtheil zu fällen.Wie es also auch um die Moralität der Absichten des Philosophen Korax stehen mochte, so viel ist wenigstens gewiß, daß er eben so wenig ohne Leidenschaften war als der Oberpriester, und daß er sich die Vermehrung seiner Anhänger viel zu eifrig angelegen seyn ließ, um nicht den Verdacht zu erwecken, die Eitelkeit das Haupt einer Partei zu seyn, die Begierde über Stilbon den Sieg davon zu tragen, und der stolze Gedanke in den Annalen von Abdera dereinst Figur zu machen, habe wenigstens eben so viel zu seiner großen Thätigkeit in dieser Froschsache beigetragen, als seine Tugend. Aber, daß er alles, was er gethan, aus bloßer Näscherei gethan habe, halten wir für eine Verleumdung schwachköpfiger und leidenschaftlicher Leute, woran es bekanntermaßen bei solchen Gelegenheiten (zumal in kleinen Republiken) nie zu fehlen pflegt.Korax hatte solche Maßregeln genommen, daß sein Gutachten bei der zweiten Zusammenkunft der Akademie einhellig genehmigt wurde. Denn der Präsident, und drei oder vier Ehrenmitglieder die sich nicht bloßgeben wollten, hatten Tages zuvor eine Reise aufs Land gethan.
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Achtes Kapitel.

Das Gutachten wird bei Rath verlesen, und nach verschiednen heftigen Debatten einhellig beschlossen, daß es den Latonenpriestern communicirt werden sollte.Das Gutachten wurde in der vorgeschriebnen Zeit dem Archon eingehändigt, und bei der nächsten Sitzung des Senats von dem Stadtschreiber Pyrops, einem erklärten Gegenfröschler, aus voller Brust, und mit ungewöhnlich scharfer Beobachtung aller Kommas und übrigen Unterscheidungszeichen, abgelesen.Die Minorität hatte zwar indessen bei dem Archon große Bewegungen gemacht, um ihn dahin zu bringen die Vollziehung des Rathsschlusses aufzuschieben, und es in einer außerordentlichen Rathsversammlung noch einmal auf die Mehrheit ankommen zu lassen, ob die Sache nicht, mit Vorbeigehung der Akademie, den Zehnmännern übergeben werden sollte. Onokradias hatte auch diesen Antrag auf Bedenkzeit angenommen, aber, ungeachtet des täglichen Anhaltens der Gegenpartei, seine Antwort um so mehr aufgeschoben, da er versichert worden war, daß das Gutachten bis zum nächsten gewöhnlichen Rathstage fertig seyn sollte.Der Nomophylax, Hypsiboas und seine Anhänger fanden sich also nicht wenig beleidigt, als, nach Beendigung der Geschäfte des Tages, der Archon ein großes Heft unter seinem Mantel hervorzog, und dem Senat berichtete, daß es das Gutachten sey, welches, vermöge des letzten Rathsschlusses, der Akademie in der bekannten leidigen Froschsache aufgetragen worden. Sie standen alle auf einmal mit Ungestüm auf, beschuldigten den Archon, hinterlistig zu Werke gegangen zu seyn, und erklärten sich, daß sie die Verlesung des Gutachtens nimmermehr zugeben würden.Onokradias, der unter andern kleinen Naturfehlern auch diesen hatte, immer hitzig zu seyn wo er kalt, und kalt wo er hitzig seyn sollte, war im Begriff eine sehr hitzige Antwort zu geben, wenn ihn der Rathsherr Meidias nicht gebeten hätte, ruhig zu seyn und die Herren schreien zu lassen. Wenn sie alles gesagt haben werden, flüsterte er ihm zu, so werden sie nichts mehr zu sagen haben, und dann müssen sie wohl von selbst aufhören.Dieß war auch was geschah. Die Herren lärmten, krähten und fochten mit den Händen bis sie es müde waren; und da sie endlich merkten daß ihnen niemand zuhörte, setzten sie sich brummend wieder hin, wischten den Schweiß von der Stirne, und — das Gutachten wurde verlesen.Wir kennen die Art der Abderiten, so schnell wie man die Hand umdreht vom Tragischen zum Komischen überzugehen, und über der kleinsten Gelegenheit zum Lachen die ernsthafte Seite eines Dinges gänzlich aus den Augen zu verlieren. Kaum war der dritte Theil des Gutachtens gelesen, so zeigte sich schon die Wirkung dieser jovialischen Laune sogar bei denjenigen, die kurz zuvor so laut dagegen geschrien hatten. Das nenn' ich doch beweisen, sagte einer der Rathsherren zu seinem Nachbar, während Pyrops inne hielt, um, nach damaliger Gewohnheit, eine Prise Niesewurz zu nehmen. — Man muß gestehen, sagte ein andrer, das Ding ist meisterhaft geschrieben. — Ich will gern sehen, sagte ein dritter, was man gegen den Beweis, daß Frösche am Ende doch nur Frösche sind, wird einwenden können? — Ich habe schon lange so was gemerkt, sagte ein vierter mit einer schlauen Miene; aber es ist doch angenehm, wenn man sieht daß gelehrte Leute mit uns einer Meinung sind.Nur weiter, Herr Stadtschreiber, sagte Meidias, denn das Beste muß noch erst kommen.Pyrops las fort. Die Rathsherren lachten daß sie die Bäuche halten mußten über die Berechnung der Kleinheit der Keime des Priesters Stilbon; wurden aber auf einmal wieder ernsthaft, da die traurige Alternative vorkam, und sie sich vorstellten, was für ein Jammer das wäre, wenn sie in Corpore, mit dem regierenden Archon an der Spitze, nach dem Latonentempel ziehen und sich's noch zur besondern Gnade anrechnen lassen müßten, in Frösche verwandelt zu werden. Sie reckten die dicken Hälse und schnappten nach Odem bei dem bloßen Gedanken, wie ihnen bei einer solchen Katastrophe zu Muthe seyn würde, und waren von Herzen geneigt jedes Mittel gut zu heißen, wodurch ein solches Unglück verhütet werden könnte.Aber als das Geheimniß nun heraus war; als sie hörten, daß die Akademie kein anderes Mittel vorzuschlagen hätte, als die Frösche, deren sie einen Augenblick zuvor um jeden Preis los zu werden gewünscht hatten, zu essen: — welche Zunge vermöchte das Gemisch von Erstaunen, Entsetzen und Verdruß über fehlgeschlagene Erwartung zu beschreiben, das sich auf einmal in den verzerrten Gesichtern der alten Rathsherren malte, welche beinahe die Hälfte des Senats ausmachten? Die Leute sahen nicht anders aus, als ob man ihnen zugemuthet hätte ihre eignen leiblichen Kinder in kleine Pastetchen backen zu lassen. Auf einmal von der unbegreiflichen Macht des Vorurtheils überwältigt, fuhren sie alle mit Entsetzen auf und erklärten: daß sie nichts weiter hören wollten, und daß sie sich einer solchen Gottlosigkeit zu der Akademie nimmermehr versehen hätten.Sie hören aber ja, daß es nur gemeine natürliche Frösche sind die wir essen sollen, rief der Ratsherr Meidias. Essen wir doch Pfauen und Tauben und Gänse, ungeachtet jene der Juno und Venus, und diese dem Priapus selbst heilig sind. Bekommt uns denn etwa das Rindfleisch schlechter, weil Jupiter sich selbst in einen Stier und die Prinzessin Jo in eine Kuh verwandelte? Oder machen wir uns das mindeste Bedenken alle Arten von Fischen zu essen, wiewohl sie unter dem Schutz aller Wassergötter stehen?Aber die Rede ist weder von Gänsen noch Fischen, sondern von Fröschen, schrien die alten Rathsherren und Zunftmeister; das ist ganz was andres! Gerechte Götter! die Frösche der Latona zu essen! Wie kann ein Mensch von gesundem Kopfe sich so etwas nur zu Sinne kommen lassen?So fassen Sie sich doch, meine Herren, schrie ihnen der Rathsherr Stentor entgegen, Sie werden doch nicht solche Batrachosebisten seyn wollen —Lieber Batrachosebisten als Batrachophagen, rief der Nomophylax, der diesen glücklichen Augenblick nicht entwischen lassen wollte, sich zum Haupt einer Partei aufzuwerfen, auf deren Schultern er sich in kurzem zum Archontat erhoben zu sehen hoffte.Lieber alles in der Welt als Batrachophagen, schrien die Rathsherren von der Minorität, und ein paar graubärtige Zunftmeister, die sich zu ihnen schlugen."Meine Herren, sagte der Archon Onokradias, — indem er mit einiger Hitze von seinem elfenbeinernen Stuhl auffuhr, da die Batrachosebisten so laut zu schreien anfingen, daß ihm um sein Gehör bang wurde — ein Vorschlag der Akademie ist noch kein Rathsschluß. Setzen Sie sich und hören Sie Vernunft an, wenn Sie können! ich will nicht hoffen, daß hier jemand ist, der sich einbildet daß mir so viel daran gelegen sey Frösche zu essen. Auch werd' ich noch wohl Rath zu schaffen wissen, daß sie mich nicht fressen sollen. Aber die Akademie, die aus den gelehrtesten Leuten in Abdera besteht, muß doch wohl wissen was sie sagt —(Nicht immer, murmelte Meidias zwischen den Zähnen.)"Und da das gemeine Beste allem vorgeht, und nicht billig ist daß die Frösche den Menschen —daß die Menschen sage ich, den Fröschen aufgeopfert werden, wie die Akademie sehr wohl erwiesen hat: so ist meine Meinung, — daß das Gutachten ohne weiters — der ehrwürdigen Latonenpriesterschaft communicirt werde. Können Sie einen bessern Vorschlag thun, so will ich der erste seyn der ihn unterstützen hilft. Denn ich habe für meine Person nichts gegen die Frösche, insofern sie keinen Schaden thun."Da der Antrag des Archons nichts andres war, als worauf beide Parteien ohnehin hätten antragen müssen, so wurde die Communication des Gutachtens zwar einhellig beliebt: aber die Ruhe im Senat wurde dadurch nicht hergestellt; und von dieser Stunde an fand sich die arme Stadt Abdera wieder, unter andern Namen, in Esel und Schatten getheilt.
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Neuntes Kapitel.

Der Oberpriester Stilbon schreibt ein sehr dickes Buch gegen die Akademie. Es wird von niemand gelesen: im übrigen aber bleibt vor der Hand alles beim Alten.

Jedermann bildete sich ein, daß der Oberpriester über das Gutachten der Akademie Feuer und Flammen sprühen werde, und man war nicht wenig verwundert, da er, dem Anschein nach, so gelassen dabei blieb als ob ihn die Sache gar nichts anginge.Was für armselige Köpfe! sagte er den seinigen schüttelnd, indem er das Gutachten mit flüchtigem Blick überlief: und gleichwohl sollte man denken, sie müßten mein Buch von den Alterthümern gelesen haben, worin alles so augenscheinlich dargelegt ist. Es ist unbegreiflich, wie man mit fünf gesunden Sinnen so dumm seyn kann! Aber ich will ihnen noch wohl das Verständniß öffnen. Ich will ein Buch schreiben — ein Buch, das mir alle Akademien der Welt widerlegen sollen wenn sie können!Und Stilbon, der Oberpriester, setzte sich hin und schrieb ein Buch, dreimal so dick als das erste das der Archon Onokradias nicht lesen wollte, und bewies darin: daß der Verfasser des Gutachtens keinen Menschenverstand habe; daß er ein Unwissender sey, der nicht einmal gelernt habe daß nichts groß und nichts klein in der Natur sey; nicht wisse, daß die Materie ins Unendliche getheilt werden könne, und daß die unendliche Kleinheit der Keime (wenn man sie auch noch unendlich kleiner annehme als Korax in seiner ganz lächerlich übertriebnen Berechnung gethan habe) gegen ihre Möglichkeit nicht ein Minimum beweise. Er unterstützte die Gründe seines Systems von den Abderitischen Fröschen mit neuen Gründen, und beantwortete mit großer Genauigkeit und Weitläuftigkeit alle möglichen Einwürfe die er sich selbst dagegen machte. Seine Einbildung und seine Galle erhitzte sich unterm Schreiben unvermerkt so sehr, daß er sich sehr bittere Ausfälle gegen seine Gegner erlaubte, sie eines vorsetzlichen und verstockten Hasses gegen die Wahrheit anklagte, und ziemlich deutlich zu verstehen gab, daß solche Menschen in einem wohl polizirten Staate gar nicht geduldet werden sollten.Der Senat von Abdera erschrack, da der Archon nach etlichen Monaten (denn eher hatte Stilbon, wiewohl er Tag und Nacht schrieb, nicht mit seinem Buche fertig werden können) die Gegenschrift des Oberpriesters vor Rath brachte, die so voluminös war, daß er sie, um die Sache kurzwelliger zu machen, durch zwei von den breitschultrigsten Sackträgern von Abdera auf einer Trage herein schleppen und auf den großen Rathstisch legen ließ. Die Herren fanden, daß es keine Möglichkeit sey ein so weitläuftiges Werk verlesen zu lassen. Es wurde also durch die Mehrheit der Stimmen beschlossen, es geraden Wegs dem Philosophen Korax zuzuschicken, mit dem Auftrage, dasjenige, was er etwa dagegen zu erinnern hätte, schriftlich und so bald als möglich an den regierenden Archon gelangen zu lassen.Korax stand eben mitten unter einem Haufen naseweiser Abderitischer Jünglinge in der Vorhalle seines Hauses, als die Sackträger mit ihrer gelehrten Ladung bei ihm anlangten. Als er nun von dem mitkommenden Rathsboten vernommen hatte warum es zu thun sey, entstand ein so unmäßiges Gelächter unter der gegenwärtigen Versammlung, daß man es über drei oder vier Gassen bis in die Rathsstube hören konnte. Der Priester Stilbon hat einen schlauen Genius, sagte Korax; er hat gerade das unfehlbarste Mittel ergriffen, um nicht widerlegt zu werden. Aber er soll sich doch betrogen finden! Wir wollen ihm zeigen, daß man ein Buch widerlegen kann ohne es gelesen zu haben.Wo sollen wir denn abladen? fragten die Sackträger, die schon eine gute Weile mit ihrer Trage da gestanden hatten, und von allen den scherzhaften Einfällen der gelehrten Herren nichts verstanden.In meinem Häuschen ist kein Platz für ein so großes Buch, sagte Korax.Wissen Sie was, fiel einer von den jungen Philosophen ein: weil das Buch doch geschrieben ist um nicht gelesen zu werden, so stiften Sie es auf die Rathsbibliothek. Dort liegt es sicher, und wird unter dem Schutz einer Kruste von fingerdickem Staub ungelesen und wohlbehalten auf die späte Nachwelt kommen.Der Einfall ist trefflich, sagte Korax. Gute Freunde, fuhr er fort sich an die Sackträger wendend, hier sind zwei Drachmen für eure Mühe; tragt eure Ladung auf die Rathsbibliothek, und bekümmert euch weiter um nichts; ich nehme die ganze Sache auf meine Verantwortung.Stilbon, dem das Schicksal eines Buches, das ihm so viele Zeit und Mühe gekostet hatte, nicht lange verborgen bleiben konnte, wußte vor Erstaunen und Ingrimm weder was er denken noch thun sollte. Große Latona, rief er einmal übers andre aus, in was für Zeiten leben wir! Was ist mit Leuten anzufangen die nicht hören wollen! — Aber sey es darum! Ich habe das Meinige gethan. Wollen sie nicht hören, so mögen sie's bleiben lassen! Ich setze keine Feder mehr an, rühre keinen Finger mehr für ein so undankbares, ungeschliffnes und unverständiges Volk.So dachte er im ersten Unmuth: aber der gute Priester betrog sich selbst durch diese anscheinende Gelassenheit. Seine Eigenliebe war zu sehr beleidigt um so ruhig zu bleiben. Je mehr er der Sache nachdachte (und er konnte die ganze Nacht an nichts andres denken), je stärker fühlte er sich überzeugt, daß es ihm nicht erlaubt sey, bei einer so lauten Aufforderung für die gute Sache still zu sitzen.Der Nomophylax und die übrigen Feinde des Archons Onokradias ermangelten nicht, seinen Eifer durch ihre Aufhetzungen vollends zu entstammen. Man hielt fast täglich Zusammenkünfte, um sich über die Maßregeln zu berathschlagen, welche man zu nehmen hätte, um dem einreißenden Strom der Unordnung und Ruchlosigkeit (wie es Stilbon nannte) Einhalt zu thun.Aber die Zeiten hatten sich wirklich sehr geändert. Stilbon war kein Strobylus. Das Volk kannte ihn wenig, und er hatte keine von den Gaben, wodurch sich sein besagter Vorgänger mit unendlichemal weniger Gelehrsamkeit so wichtig in Abdera gemacht hatte. Beinahe alle jungen Leute beiderlei Geschlechts waren von den Grundsätzen des Philosophen Korax angesteckt. Der größere Theil der Rathsherren und angesehenen Bürger neigte sich ohne Grundsätze auf die Seite wo es am meisten zu lachen gab. Und sogar unter dem gemeinen Volke hatten die Gassenlieder, womit einige Versifexe von Koraxens Anhang die Stadt anfüllten, so gute Wirkung gethan, daß man sich vor der Hand wenig Hoffnung machen konnte, den Pöbel so leicht als ehmals in Aufruhr zu setzen. Aber, was noch das allerschlimmste war, man hatte Ursache zu glauben, es gebe unter den Priestern selbst einen und den andern, der ingeheim mit den Gegenfröschlern in Verbindung stehe. Es war in der That mehr als bloßer Argwohn, daß der Priester Pamphagus mit einem Anschlag schwanger gehe, sich die gegenwärtigen Umstände zu Nutze zu machen, und den ehrlichen Stilbon von einer Stelle zu verdrängen, welcher er (wie Pamphagus unter der Hand zu verstehen gab) wegen seiner gänzlichen Unerfahrenheit in Geschäften in einer so bedenklichen Krisis auf keine Weise gewachsen sey.Bei allem dem machten gleichwohl die Batrachosebisten eine ansehnliche Partei aus, und Hypsiboas hatte Geschicklichkeit genug, sie immer in einer Bewegung zu erhalten, welche mehr als Einmal gefährliche Ausbrüche hätte nehmen können, wenn die Gegenpartei —zufrieden mit ihren erhaltenen Siegen und ungeneigt das Uebergewicht, in dessen Besitz sie war, in Gefahr zu setzen — nicht so unthätig geblieben, und alles, was zu ungewöhnlichen Bewegungen Anlaß geben konnte, sorgfältig vermieden hätte. Denn, wiewohl sie sich des Namens der Batrachophagen eben nicht zu weigern schienen, und die Frösche der Latona den gewöhnlichen Stoff zu lustigen Einfällen in ihren Gesellschaften hergaben: so ließen sie es doch, nach ächter Abderitischer Weise, dabei bewenden, und die Frösche blieben, trotz dem Gutachten der Akademie und den Scherzen des Philosophen Korax, noch immer ungestört und ungegessen im Besitz der Stadt und Landschaft Abdera.
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Zehntes Kapitel.

Seltsame Entwickelung dieses ganzen tragikomischen Possenspiels.

Aller Wahrscheinlichkeit nach würden die Frösche der Latona dieser Sicherheit noch lange genossen haben, wenn nicht zufälligerweise im nächsten Sommer eine unendliche Menge Mäuse und Ratten von allen Farben auf einmal die Felder der unglücklichen Republik überschwemmt, und dadurch die ganz unschuldige und ungefähre Weissagung des Archons Onokradias unvermuthet in Erfüllung gebracht hätte.Von Fröschen und Mäusen zugleich aufgefressen zu werden, war für die armen Abderiten zu viel auf einmal. Die Sache wurde ernsthaft.Die Gegenfröschler drangen nun ohne weiters auf die Nothwendigkeit, den Vorschlag der Akademie unverzüglich ins Werk zu setzen.Die Batrachosebisten schrien: die gelben, grünen, blauen, rothen und flohfarbnen Mäuse, die in wenig Tagen die gräulichste Verwüstung auf den Abderitischen Feldern angerichtet hatten, seyen eine sichtbare Strafe der Gottlosigkeit der Batrachophagen, und augenscheinlich von Latonen unmittelbar abgeschickt, die Stadt, die sich des Schutzes der Göttin unwürdig gemacht habe, gänzlich zu verderben.Vergebens bewies die Akademie, daß gelbe, grüne und flohfarbne Mäuse darum nicht mehr Mäuse seyen als andre; daß es mit diesen Mäusen und Ratten ganz natürlich zugehe; daß man in den Jahrbüchern aller Völker ähnliche Beispiele finde; und daß es nunmehr, da besagte Mäuse entschlossen schienen den Abderiten ohnehin nichts andres zu essen übrig zu lassen, um so nöthiger sey, sich des Schadens, welchen beiderlei gemeine Feinde der Republik verursachten, wenigstens an der eßbaren Hälfte derselben, nämlich an den Fröschen, zu erholen.Vergebens schlug sich der Priester Pamphagus ins Mittel, indem er den Vorschlag that, die Frösche künftig zu ordentlichen Opferthieren zu machen, und, nachdem der Kopf und die Eingeweide der Göttin geopfert worden, die Keulen als Opferfleisch zu ihren Ehren zu verzehren.Das Volk, bestürzt über eine Landplage, die es sich nicht anders als unter dem Bilde eines Strafgerichts der erzürnten Götter denken konnte, und von den Häuptern der Froschpartei empört, lief in Rotten vor das Rathhaus, und drohte kein Gebein von den Herren übrig zu lassen, wenn sie nicht auf der Stelle ein Mittel fänden die Stadt vom Verderben zu erretten.Guter Rath war noch nie so theuer auf dem Rathhause zu Abdera gewesen als jetzt. Die Rathsherren schwitzten Angstschweiß. Sie schlugen vor ihre Stirne; aber es hallte hohl zurück. Je mehr sie sich besannen, je weniger konnten sie finden was zu thun wäre. Das Volk wollte sich nicht abweisen lassen, und schwor, Fröschlern und Gegenfröschlern die Hälse zu brechen, wenn sie nicht Rath schafften.Endlich fuhr der Archon Onokradias auf einmal wie begeistert von seinem Stuhl auf. — Folgen Sie mir, sagte er zu den Rathsherren, und ging mit großen Schritten auf die marmorne Tribune hinaus, die zu öffentlichen Anreden an das Volk bestimmt war. Seine Augen funkelten von einem ungewöhnlichen Glanz; er schien eines Hauptes länger als sonst, und seine ganze Gestalt hatte etwas Majestätischer's als man jemals an einem Abderiten gesehen hatte. Die Rathsherren folgten ihm stillschweigend und erwartungsvoll."Höret mich, ihr Männer von Abdera, sagte Onokradias mit einer Stimme die nicht die seinige war: Jason, mein großer Stammvater, ist vom Sitz der Götter herabgestiegen, und gibt mir in diesem Augenblicke das Mittel ein, wodurch wir uns alle retten können. Gehet, jeder nach seinem Hause, packet alle eure Geräthschaften und Habseligkeiten zusammen, und morgen bei Sonnenaufgang stellet euch mit Weibern und Kindern, Pferden und Eseln, Rindern und Schafen, kurz mit Sack und Pack vor dem Jasontempel ein. Von da wollen wir, mit dem goldnen Vließe an unsrer Spitze, ausziehen, diesen von den Göttern verachteten Mauern den Rücken wenden, und in den weiten Ebnen des fruchtbaren Macedoniens einen andern Wohnort suchen, bis der Zorn der Götter sich gelegt haben, und uns oder unsern Kindern wieder vergönnt seyn wird, unter glücklichen Vorbedeutungen in das schöne Abdera zurückzukehren. Die verderblichen Mäuse, wenn sie nichts mehr zu zehren finden, werden sich unter einander selbst auffressen, und was die Frösche betrifft — denen mag Latona gnädig seyn! — Geht, meine Kinder, und macht euch fertig! Morgen, mit Aufgang der Sonne, werden alle unsre Drangsale ein Ende haben."Das ganze Volk jauchzte dem begeisterten Archon Beifall zu, und in einem Augenblick athmete wieder nur Eine Seele in allen Abderiten. Ihre leicht bewegliche Einbildungskraft stand auf einmal in voller Flamme. Neue Aussichten, neue Scenen von Glück und Freuden tanzten vor ihrer Stirne. Die weiten Ebnen des glücklichen Macedoniens lagen wie fruchtbare Paradiese vor ihren Augen ausgebreitet. Sie athmeten schon die mildern Lüfte, und sehnten sich mit unbeschreiblicher Ungeduld aus dem dicken froschsumpfigen Dunstkreise ihrer ekelhaften Vaterstadt heraus. Alles eilte sich zu einem Auszug zu rüsten, von welchem wenige Augenblicke zuvor kein Mensch sich hatte träumen lassen.Am folgenden Morgen war das ganze Volk von Abdera reisefertig. Alles was sie von ihren Habseligkeiten nicht mitnehmen konnten, ließen sie ohne Bedauern in ihren Häusern zurück; so ungeduldig waren sie an einen Ort zu ziehen, wo sie weder von Fröschen noch Mäusen mehr geplagt werden würden.Am vierten Morgen ihrer Auswanderung begegnete ihnen der König Kassander. Man hörte das Getöse ihres Zugs von weitem, und der Staub, den sie erregten, verfinsterte das Tageslicht. Kassander befahl den Seinigen Halt zu machen, und schickte jemand aus, sich zu erkundigen was es wäre.Gnädigster Herr, sagte der zurückkommende Abgeschickte, es sind die Abderiten, die vor Fröschen und Mäusen nicht mehr in Abdera zu bleiben wußten, und einen andern Wohnplatz suchen.Wenn's dieß ist, so sind's gewiß die Abderiten, sagte Kassander.Indem erschien Onokradias an der Spitze einer Deputation von Rathsmännern und Bürgern, dem König ihr Anliegen vorzutragen.Die Sache kam Kassandern und seinen Höflingen so lustig vor, daß sie sich, mit aller ihrer Höflichkeit, nicht enthalten konnten, den Abderiten laut ins Gesicht zu lachen; und die Abderiten, wie sie den ganzen Hof lachen sahen, hielten es für ihre Schuldigkeit mitzulachen.Kassander versprach ihnen seinen Schutz, und wies ihnen einen Ort an den Gränzen von Macedonien an, wo sie sich so lange aufhalten könnten, bis sie Mittel gefunden haben würden, mit den Fröschen und Mäusen ihres Vaterlandes einen billigen Vergleich zu treffen.Von dieser Zeit an weiß man wenig mehr als nichts von den Abderiten und ihren Begebenheiten. Doch ist so viel gewiß, daß sie einige Jahre nach dieser seltsamen Auswanderung (deren historische Gewißheit durch das Zeugniß des von Justinus in einen Auszug gebrachten Geschichtschreibers Trogus Pompejus B. 15. K. 2. außer allem Zweifel gesetzt wird) wieder nach Abdera zurückzogen. Allem Vermuthen nach müssen sie die Ratten in ihren Köpfen, die sonst immer mehr Spuk darin gemacht hatten als alle Ratten und Frösche in ihrer Stadt und Landschaft, in Macedonien zurückgelassen haben. Denn von dieser Epoche an sagt die Geschichte weiter nichts von ihnen, als daß sie, unter dem Schutze der Macedonischen Könige und der Römer, verschiedene Jahrhunderte durch ein stilles und geruhiges Leben geführt, und, da sie weder witziger noch dümmer gewesen als andre Municipalen ihresgleichen, den Geschichtschreibern keine Gelegenheit gegeben weder Böses noch Gutes von ihnen zu sagen.Um übrigens unsern geneigten Lesern eine vollkommne Probe unsrer Aufrichtigkeit zu geben, wollen wir ihnen unverhalten lassen, daß — wofern der ältere Plinius und sein aufgestellter Gewährsmann Varro hierin Glauben verdienten —Abdera nicht die einzige Stadt in der Welt gewesen wäre, die von so unansehnlichen Feinden, als Frösche und Mäuse sind, ihren natürlichen Einwohnern abgejagt wurden. Denn Varro soll nicht nur einer Stadt in Spanien erwähnen, die von Kaninchen, und einer andern, die von Maulwürfen zerstört worden, sondern auch einer Stadt in Gallien, deren Einwohner, wie die Abderiten, den Fröschen hätten weichen müssen. Allein, da Plinius weder die Stadt, welcher dieß Unglück begegnet seyn soll, mit Namen nennt, noch ausdrücklich sagt, aus welchem von den unzähligen Werken des gelehrten Varro er diese Anekdote genommen habe: so glauben wir der Ehrerbietung, die man diesem großen Manne schuldig ist, nicht zu nahe zu treten, wenn wir vermuthen, daß sein Gedächtniß (auf dessen Treue er sich nicht selten zu viel verließ) ihm für Thracien Gallien untergeschoben habe; und daß die Stadt, von welcher beim Varro die Rede war, keine andre gewesen als unser Abdera selbst.Und hiermit sey denn der Gipfel auf das Denkmal gesetzt, welches wir dieser einst so berühmten und nun schon so viele Jahrhunderte lang wieder vergess'nen Republik zu errichten ohne Zweifel von einem für ihren Ruhm sorgenden Dämon angetrieben worden; nicht ohne Hoffnung, daß es, ungeachtet es aus so leichten Materialien, als die seltsamen Launen und jovialischen Narrheiten der Abderiten, zusammengesetzt ist, so lange dauern werde, bis unsre Nation den glücklichen Zeitpunkt erreicht haben wird, wo diese Geschichte niemand mehr angehen, niemand mehr unterhalten, niemand mehr verdrießlich und niemand mehr aufgeräumt machen wird; mit Einem Worte, wo die Abderiten niemand mehr ähnlich sehen, und also ihre Begebenheiten eben so unverständlich seyn werden, als uns Geschichten aus einem andern Planeten seyn würden; ein Zeitpunkt, der nicht mehr weit entfernt seyn kann, wenn die Knaben der ersten Generation des neunzehnten Jahrhunderts nur um eben so viel weiser seyn werden, als die Knaben im letzten Viertel des achtzehnten sich weiser als die Männer des vorhergehenden dünken — oder wenn alle die Erziehungsbücher, womit wir seit zwanzig Jahren so reichlich beschenkt worden sind und täglich noch beschenkt werden, nur den zwanzigsten Theil der herrlichen Wirkungen thun, die uns die wohlmeinenden Verfasser hoffen lassen.
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Der Schlüssel

zur

Abderiten-Geschichte.

1781.

Als die Homerischen Gedichte unter den Griechen bekannt worden waren, hatte das Volk —das in vielen Dingen mit seinem schlichten Menschenverstande richtiger zu sehen pflegt als die Herren mit bewaffneten Augen — gerade Verstand genug, um zu sehen daß in diesen großen heroischen Fabeln, ungeachtet des Wunderbaren, Abenteuerlichen und Unglaublichen, womit sie reichlich durchwebt sind, mehr Weisheit und Unterricht fürs praktische Leben liege, als in allen Milesischen Ammenmährchen; und wir sehen aus Horazens Brief an Lollius, und aus dem Gebrauch, welchen Plutarch von jenen Gedichten macht und zu machen lehrt, daß noch viele Jahrhunderte nach Homer die verständigsten Weltleute unter Griechen und Römern der Meinung waren, daß man, was recht und nützlich, was unrecht und schädlich sey, und wie viel ein Mann durch Tugend und Weisheit vermöge, so gut und noch besser aus Homers Fabeln lernen könne, als aus den subtilsten und beredtesten Sittenlehrern. Man überließ es alten Kindsköpfen (denn die jungen belehrte man eines Bessern), an dem bloßen materiellen Theil der Dichtung kleben zu bleiben; verständige Leute fühlten und erkannten den Geist, der in diesem Leibe webte, und ließen sich's nicht einfallen, scheiden zu wollen was die Muse untrennbar zusammengefügt hatte, das Wahre unter der Hülle des Wunderbaren, und das Nützliche, durch eine Mischungskunst, die nicht allen geoffenbart ist, vereinbart mit dem Schönen und Angenehmen.Wie es bei allen menschlichen Dingen geht, so ging es auch hier. Nicht zufrieden, in Homers Gedichten warnende oder aufmunternde Beispiele, einen lehrreichen Spiegel des menschlichen Lebens in seinen mancherlei Ständen, Verhältnissen und Scenen zu finden, wollten die Gelehrten späterer Zeiten noch tiefer eindringen, noch mehr sehen als ihre Vorfahren; und so entdeckte man (denn was entdeckt man nicht, wenn man sich's einmal in den Kopf gesetzt hat etwas zu entdecken?) in dem was nur Beispiel war Allegorie, in allem, sogar in den bloßen Maschinen und Decorationen des poetischen Schauplatzes, einen mystischen Sinn, und zuletzt in jeder Person, jeder Begebenheit, jedem Gemälde, jeder kleinen Fabel, Gott weiß was für Geheimnisse von Hermetischer, Orphischer und Magischer Philosophie, an die der gute Dichter gewiß so wenig gedacht hatte, als Virgil, daß man zwölfhundert Jahre nach seinem Tode mit seinen Versen die bösen Geister beschwören würde.Inmittelst wurde es unvermerkt zu einem wesentlichen Erforderniß eines epischen Gedichts (wie man die größern und heroischen poetischen Fabeln zu nennen pflegt), daß es außer dem natürlichen Sinn und der Moral, die es beim ersten Anblick darbot, noch einen andern geheimen und allegorischen haben müsse. Wenigstens gewann diese Grille bei den Jtalienern und Spaniern die Oberhand; und es ist mehr als lächerlich, zu sehen, was für eine undankbare Mühe sich die Ausleger oder auch wohl die Dichter selbst geben, um aus einem Amadis und Orlando, aus Triffins befreitem Italien oder Camoens' Lusiade, ja sogar aus dem Adone des Marino, alle Arten metaphysischer, politischer, moralischer, physischer und theologischer Allegorien herauszuspinnen.Da es nun nicht die Sache der Leser war, in diese Geheimnisse aus eigner Kraft einzudringen, so mußte man ihnen, wenn sie so herrlicher Schätze nicht verlustig werden sollten, nothwendig einen Schlüssel dazu geben; und dieser war eben die Exposition des allegorischen oder mystischen Sinnes; wiewohl der Dichter gewöhnlicherweise erst wenn er mit dem ganzen Werke fertig war, daran dachte was für versteckte Aehnlichkeiten und Beziehungen sich etwa aus seinen Dichtungen herauskünsteln lassen könnten.Was bei vielen Dichtern bloße Gefälligkeit gegen eine herrschende Mode war, über welche sie sich nicht hinwegzusetzen wagten, wurde für andre wirklicher Zweck und Hauptwerk. Der berühmte Zodiacus vitae des sogenannten Palingenius, die Argenis des Barkley, Spencers Feenkönigin, die neue Atlantis der Dame Manley, die Malabarischen Prinzessinnen, das Mährchen von der Tonne, die Geschichte von Johann Bull, und eine Menge andrer Werke dieser Art, woran besonders das sechzehnte und siebzehnte Jahrhundert fruchtbar gewesen ist, waren ihrer Natur und Absicht nach allegorisch, und konnten also ohne Schlüssel nicht verstanden werden; wiewohl einige derselben, z. B. Spencers Feenkönigin und die allegorischen Satyren des Dr. Swift, so beschaffen sind, daß eine jede verständige und der Sachen kundige Person den Schlüssel dazu ohne fremde Beihülfe in ihrem eignen Kopfe finden kann.Diese kurze Deduction wird mehr als hinlänglich seyn, um denen, die noch nie daran gedacht haben, begreiflich zu machen, wie es zugegangen sey, daß sich unvermerkt eine Art von gemeinem Vorurtheil und wahrscheinlicher Meinung in den meisten Köpfen festgesetzt hat, als ob ein jedes Buch, das einem satirischen Roman ähnlich sieht, mit einem versteckten Sinn begabt sey, und also einen Schlüssel nöthig habe.Daher hat denn auch der Herausgeber der gegenwärtigen Geschichte, wie er gewahr wurde, daß die meisten unter der großen Menge von Lesern, welche sein Werk zu finden die Ehre gehabt hat, sich fest überzeugt hielten, daß noch etwas mehr dahinter stecken müsse als was die Worte beim ersten Anblick zu besagen scheinen, und also einen Schlüssel zu der Abderitengeschichte, als ein unentbehrliches Bedürfniß zu vollkommner Verständniß des Buches, zu erhalten wünschten, sich dieses ihm häufig zu Ohren kommende Verlangen seiner Leser keineswegs befremden lassen; sondern er hat es im Gegentheil für eine Aufmerksamkeit die er ihnen schuldig sey gehalten, demselben, so viel an ihm lag, ein Genüge zu thun, und ihnen, als einen Schlüssel, oder statt des verlangten Schlüssels (welches im Grunde auf Eins hinausläuft), alles mitzutheilen, was zu gründlicher Verständniß und nützlichem Gebrauch dieses zum Vergnügen aller Klugen und zur Lehre und Züchtigung aller Narren geschriebenen Werkes dienlich seyn kann.Zu diesem Ende findet er nöthig, ihnen vor allen Dingen die Geschichte der Entstehung desselben, unverfälscht und mit den eignen Worten des Verfassers (eines zwar wenig gekannten, aber seit dem Jahr 1753 sehr stark gelesenen Schriftstellers) mitzutheilen."Es war (so lautet sein Bericht)— es war ein schöner Herbstabend im Jahr 177*; ich befand mich allein in dem obern Stockwerk meiner Wohnung und sah — (warum sollt' ich mich schämen zu bekennen wenn mir etwas Menschliches begegnet?) vor langer Weile zum Fenster hinaus; denn schon seit vielen Wochen hatte mich mein Genius gänzlich verlassen. Ich konnte weder denken noch lesen. Alles Feuer meines Geistes schien erloschen, alle meine Laune, gleich einem flüchtigen Salze, verduftet zu seyn. Ich war oder fühlte mich wenigstens dumm, aber ach! ohne an den Seligkeiten der Dummheit Theil zu haben, ohne einen einzigen Gran von dieser stolzen Zufriedenheit mit sich selbst, dieser unerschütterlichen Ueberzeugung, welche gewisse Leute versichert, daß alles was sie denken, sagen, träumen und im Schlaf reden, wahr, witzig, weise, und in Marmor gegraben zu werden würdig sey — einer Ueberzeugung, die den ächten Sohn der großen Göttin wie ein Muttermal, kennbar und zum glücklichsten aller Menschen macht. Kurz, ich fühlte meinen Zustand, und er lag schwer auf mir; ich schüttelte mich vergebens; und es war (wie gesagt) so weit mit mir gekommen, daß ich durch ein ziemlich unbequemes kleines Fenster in die Welt hinausguckte, ohne zu wissen was ich sah, oder etwas zu sehen das des Wissens oder Sehens werth gewesen wäre."Auf einmal war mir, als höre ich eine Stimme — ob es Wahrheit oder Täuschung war, will ich nicht entscheiden — die mir zurief: setze dich und schreibe die Geschichte der Abderiten!"Und plötzlich ward es Licht in meinem Kopfe. — Ja, ja, dacht' ich, die Abderiten! Was kann natürlicher seyn? Die Geschichte der Abderiten will ich schreiben! Wie war es doch möglich, daß mir ein so simpler Einfall nicht schon längst gekommen ist? Und nun setzte ich mich auf der Stelle hin, und schrieb, und schlug nach, und compilirte, und ordnete zusammen, und schrieb wieder; und es war eine Lust zu sehen, wie flink mir das Werk von den Händen ging."Indem ich nun so im besten Schreiben war (fährt unser Verfasser in seiner treuherzigen Beichte fort), kam mir in einem Capriccio, oder Laune, oder wie man's sonst nennen will, der Einfall, meiner Phantasie den Zügel schießen zu lassen, und die Sachen so weit zu treiben als sie gehen könnten. Es betrifft ja nur die Abderiten, dacht' ich, und an den Abderiten kann man sich nicht versündigen: sie sind ja doch am Ende weiter nichts als ein Pack Narren; die Albernheiten, die ihnen die Geschichte zur Last legt, sind groß genug, um das Ungereimteste, was du ihnen andichten kannst, zu rechtfertigen."Ich gesteh' es also unverhohlen, — und wenn's unrecht war, so verzeihe mir's der Himmel! — ich strengte alle Stränge meiner Erfindungskraft bis zum Reißen an, um die Abderiten so närrisch denken, reden und sich betragen zu lassen, als es nur möglich wäre. Es ist ja schon über zweitausend Jahre, daß sie allesammt todt und begraben sind, sagte ich zu mir selbst; es kann weder ihnen noch ihrer Nachkommenschaft schaden, denn auch von dieser ist schon lange kein Gebein mehr übrig."Zu diesem allem kam noch eine andre Vorstellung, die mich durch einen gewissen Schein von Gutherzigkeit einnahm. Je närrischer ich sie mache, dacht' ich, je weniger habe ich zu besorgen, daß man die Abderiten für eine Satyre halten, und Anwendungen davon auf Leute machen wird, die ich doch wohl nicht gemeint haben kann, da mir ihr Daseyn nicht einmal bekannt ist. — Aber ich irrte mich sehr, indem ich so schloß. Der Erfolg bewies, daß ich unschuldigerweise Abbildungen gemacht hatte, da ich nur Phantasien zu malen glaubte."Man muß gestehen, dieß war einer der schlimmsten Streiche, die einem Autor begegnen können, der keine List in seinem Herzen hat, und, ohne irgend eine Seele ärgern oder betrüben zu wollen, bloß sich selbst und seinem Nebenmenschen die lange Weile zu vertreiben sucht. Gleichwohl war dieß, was dem Verfasser der Abderiten schon mit den ersten Kapiteln seines Werkleins begegnete. Es ist vielleicht keine Stadt in Deutschland, und so weit die natürlichen Gränzen der Deutschen Sprache gehen (welches, im Vorbeigehen gesagt, eine größere Strecke Landes ist, als irgend eine andre Europäische Sprache inne zu haben sich rühmen kann), wo die Abderiten nicht Leser gefunden haben sollten; und wo man sie las, da wollte man die Originale zu den darin vorkommenden Bildern gesehen haben."In tausend Orten (sagt der Verfasser), wo ich weder selbst jemals gewesen bin noch die mindeste Bekanntschaft habe, wunderte man sich, woher ich die Abderiten, Abderitinnen und Abderismen dieser Orte und Enden so genau kenne; und man glaubte, ich müßte schlechterdings einen geheimen Briefwechsel oder einen kleinen Cabinetsteufel haben, der mir Anekdoten zutrüge, die ich mit rechten Dingen nicht hätte erfahren können. Nun wußte ich (fuhr er fort) nichts gewisser, als daß ich weder diesen noch jenen hatte: folglich war klar wie Tageslicht, daß das alte Völkchen der Abderiten nicht so gänzlich ausgestorben war, als ich mir eingebildet hatte."Diese Entdeckung veranlaßte den Autor Nachforschungen anzustellen, welche er für unnöthig gehalten, so lang' er bei Verfassung seines Werkes mehr seine eigne Phantasie und Laune als Geschichte und Urkunden zu Rathe gezogen hatte. Er durchstöberte manche große und kleine Bücher ohne sonderlichen Erfolg, bis er endlich in der sechsten Dekade des berühmten Hafen Slawkenbergius S. 864 folgende Stelle fand, die ihm einigen Aufschluß über diese unerwarteten Ereignisse zu geben schien."Die gute Stadt Abdera in Thracien (sagt Slawkenbergius am angeführten Orte), ehmals eine große, volkreiche, blühende Handelsstadt, das Thracische Athen, die Vaterstadt eines Protagoras und Demokritus, das Paradies der Narren und der Frösche, diese gute schöne Stadt Abdera — ist nicht mehr. Vergebens suchen wir sie in den Landkarten und Beschreibungen des heutigen Thraciens; sogar der Ort, wo sie ehmals gestanden, ist unbekannt, oder kann wenigstens nur durch Muthmaßungen angegeben werden."Aber nicht so die Abderiten! Diese leben und weben noch immerfort, wiewohl ihr ursprünglicher Wohnsitz längst von der Erde verschwunden ist. Sie sind ein unzerstörbares, unsterbliches Völkchen; ohne irgendwo einen festen Sitz zu haben, findet man sie allenthalben; und wiewohl sie unter allen Völkern zerstreut leben, haben sie sich doch bis auf diesen Tag rein und unvermischt erhalten, und bleiben ihrer alten Art und Weise so getreu, daß man einen Abderiten, wo man ihn auch antrifft, nur einen Augenblick zu sehen und zu hören braucht, um eben so gewiß zu sehen und zu hören daß er ein Abderit ist, als man es zu Frankfurt und Leipzig, Konstantinopel und Aleppo einem Juden anmerkt daß er ein Jude ist."Das Sonderbarste aber, und ein Umstand, worin sie sich von den Israeliten, Beduinen, Armeniern und allen andern unvermischten Völkern wesentlich unterscheiden, ist dieses: daß sie sich ohne mindeste Gefahr ihrer Abderitheit mit allen übrigen Erdbewohnern vermischen, und, wiewohl sie allenthalben die Sprache des Landes, wo sie wohnen, reden, Staatsverfassung, Religion und Gebräuche mit den Nichtabderiten gemein haben, auch essen und trinken, handeln und wandeln, sich kleiden und putzen, sich frisiren und parfümiren, purgiren und klysterisiren lassen, kurz, alles was zur Nothdurft des menschlichen Lebens gehört ungefähr ebenso machen — wie andre Leute; daß sie, sage ich, nichtsdestoweniger in allem, was sie zu Abderiten macht, sich selbst so unveränderlich gleich bleiben, als ob sie von jeher durch eine diamantne Mauer, dreimal so hoch und dick als die Mauern des alten Babylon, von den vernünftigen Geschöpfen auf unserm Planeten abgesondert gewesen wären. Alle andern Menschen-Racen verändern sich durch Verpflanzung, und zwei verschiedne bringen durch Vermischung eine dritte hervor. Aber an den Abderiten, wohin sie auch verpflanzt wurden und so viel sie sich auch mit andern Völkern vermischt haben, hat man nie die geringste wesentliche Veränderung wahrnehmen können. Sie sind allenthalben immer noch die nämlichen Narren, die sie vor zweitausend Jahren zu Abdera waren: und wiewohl man schon längst nicht mehr sagen kann, siehe, hier ist Abdera oder da ist Abdera; so ist doch in Europa, Asia, Afrika und Amerika, so weit diese großen Erdviertel policirt sind, keine Stadt, kein Marktflecken, Dorf noch Dörfchen, wo nicht einige Glieder dieser unsichtbaren Genossenschaft anzutreffen seyn sollten." — So weit besagter Hafen Slawkenbergius."Nachdem ich diese Stelle gelesen hatte, fährt unser Verfasser fort, hatte ich nun auf einmal den Schlüssel zu den vorbesagten Erfahrungen, die mir ersten Anblicks so unerklärbar vorgekommen waren; und so wie der Slawkenbergische Bericht das, was mir mit den Abderiten begegnet war, begreiflich machte, so bestätigte dieses hinwieder die Glaubwürdigkeit von jenem. Die Abderiten hatten also einen Samen hinterlassen, der in allen Landen aufgegangen war, und sich in eine sehr zahlreiche Nachkommenschaft ausgebreitet hatte: und da man beinahe allenthalben die Charaktere und Begebenheiten der alten Abderiten für Abbildungen und Anekdoten der neuen ansah; so erwies sich dadurch auch die seltsame Eigenschaft der Einförmigkeit und Unveränderlichkeit, welche dieses Volk, nach dem angeführten Zeugnisse, von andern Völkern des festen Landes und der Inseln des Meeres unterscheidet."Die Nachrichten, die mir hierüber von allen Orten zukamen, gereichten mir aus einem doppelten Grunde zu großem Trost: erstens, weil ich mich nun auf einmal von allem innerlichen Vorwurf, den Abderiten vielleicht zu viel gethan zu haben, erleichtert fand; und zweitens, weil ich vernahm, daß mein Werk überall (auch von den Abderiten selbst) mit Vergnügen gelesen und besonders die treffende Aehnlichkeit zwischen den alten und neuen bewundert werde, welche den letztern, als ein augenscheinlicher Beweis der Aechtheit ihrer Abstammung, allerdings sehr schmeichelhaft seyn mußte. Die Wenigen, welche sich beschwert haben sollen, daß man sie zu ähnlich geschildert habe, kommen in der That gegen die Menge derer, die zufrieden sind, in keine Betrachtung; und auch diese Wenigen thäten vielleicht besser, wenn sie die Sache anders nähmen. Denn da sie, wie es scheint, nicht gern für das angesehen seyn wollen was sie sind, und sich deßwegen in die Haut irgend eines edlern Thieres gesteckt haben: so erfordert die Klugheit, daß sie ihre Ohren nicht selbst hervorstrecken, um eine Aufmerksamkeit auf sich zu erregen, die nicht zu ihrem Vortheil ausfallen kann."Auf der andern Seite aber ließ ich mir auch den Umstand, daß ich die Geschichte der alten Abderiten gleichsam unter den Augen der neuern schrieb, zu einem Beweggrunde dienen, meine Einbildungskraft, die ich anfangs bloß ihrer Willkür überlassen hatte, kürzer im Zügel zu halten, mich vor allen Carricaturen sorgfältig zu hüten, und den Abderiten, in allem was ich von ihnen erzählte, die strengste Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Denn ich sah mich nun als den Geschichtschreiber der Alterthümer einer noch fortblühenden Familie an, welche berechtigt wäre, es übel zu vermerken, wenn man ihren Vorfahren irgend etwas ohne Grund und gegen die Wahrheit aufbürdete."Die Geschichte der Abderiten kann also mit gutem Fug als eine der wahresten und zuverlässigsten, und eben darum als ein getreuer Spiegel betrachtet werden, worin die neuern ihr Antlitz beschauen, und, wenn sie nur ehrlich gegen sich selber seyn wollen, genau entdecken können, inwiefern sie ihren Vorfahren ähnlich sind. Es wäre sehr überflüssig, von dem Nutzen, den das Werk in dieser Rücksicht so lange als es noch Abderiten geben wird — und dieß wird vermuthlich lange genug seyn — stiften kann und muß, viele Worte zu machen. Wir bemerken also nur, daß es beiläufig auch noch diesen Nutzen haben könnte, die Nachkömmlinge der alten Deutschen unter uns behutsamer zu machen, sich vor allem zu hüten was den Verdacht erwecken könnte, als ob sie entweder aus Abderitischem Blute stammten, oder aus übertriebner Bewundrung der Abderitischen Art und Kunst und daher entspringender Nachahmungssucht, sich selbst Aehnlichkeiten mit diesem Volke geben wollten, wobei sie aus vielerlei Ursachen wenig zu gewinnen hätten.Und dieß, werthe Leser, wäre also der versprochne Schlüssel zu diesem merkwürdigen Originalwerke, mit beigefügter Versicherung, daß nicht das kleinste geheime Schubfach darin ist, welches Sie mit diesem Schlüssel nicht sollten aufschließen können; und wofern Ihnen jemand ins Ohr raunen wollte, daß noch mehr darin verborgen sey, so können Sie sicherlich glauben, daß er entweder nicht weiß was er sagt, oder nichts Gutes im Schilde führt.— SAPIENTIA PRIMA EST STULTITIA CARUISSE. —
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Anmerkungen

des zweiten Theils.

Viertes Buch.

4.

S. 19. Z. 19. Die Dame Struthion — Wir wissen wohl daß dies nicht à. la Grecque gesprochen ist; aber die Dame Struthion ist wie Frau Damon in unsern Komödien: und was liegt dem Leser daran, wie die Zahnärztin mit ihrem eigenen Namen geheißen haben mag? W.

6.

S. 33. Z. 20. Philippen — Goldstücke mit dem Brustbild des Königes Philippos von Macedonien. G.

9.

S. 58. Z. 8. Onoskiamachie — Eselsschattenkrieg, mit Anspielung auf die älteste Parodie Homers, die Batrachomyomachie, Frosch- und Mäuse-Krieg. G.

12.

S. 90. Z. 17. Feigenredner — Komische Uebersetzung von Sykophant. G.

13.

Gorgias, aus Leontium in Sicilien, scharfsinniger Kopf und spitzfindiger Dialektiker, einer der berühmtesten Sophisten. G.

Fünftes Buch.

1.

S. 121. Z. 8. Deisibatrachie — Froschfurcht, mit Anspielung auf die früher erwähnte Deisidämonie, um das falsch Religiöse noch lächerlicher darzustellen. G.

2.

S. 130. Z. 4. Ich rede blos menschlicher Weise — Dieser Wendung bedient sich Platon öfters, wahrscheinlich zur Sicherstellung gegen Priester und Vorsteher der Mysterien. Uebrigens kommt schon bei Homer vor, das manches in der Sprache der Götter anders heiße als in der Sprache der Menschen, welches zu erklären hier der Ort nicht ist. G.

4.

S. 142. Z. 27. Insel Atlantis, die der Urwelt angehört, ist nach den Nachrichten, welche Platon davon im Kritias und Timäos gegeben hat, bei einer der Katastrophen der Urwelt völlig untergegangen. G.S. 143. Z. 3. Wanderungen der Insel Delos — Delos soll anfänglich eine schwimmende Insel gewesen seyn. Heute, heißt es, hatten Schiffer sie hier gesehen, morgen war sie nicht mehr da; sie war also erst άδηλος, verborgen, und wurde erst δηλος, d. i. offenbar, nachdem Apollon und Artemis auf ihr geboren waren. S. den Hymnus des Kallimachos auf Delos. G.

7.

S. 180. Z. 2. Batrachosebisten — Froschselige. G.

8.

S. 185. Z. 27. Batrachophagen — Froschfresser. G. 
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