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C. M. Wieland's Werke.

Dreizehnter Band.

Leipzig.G. J. Göschen'sche Verlagshandlung.1855.
Buchdruckerei der J. G. Cotta'schen Buchhandlung in Stuttgart und Augsburg.

Inhalt des ersten Theils. Seite

Erstes Buch. Demokritus unter den Abderiten.Erstes Kap. 
Vorläufige Nachrichten vom Ursprung der Stadt Abdera 
und dem Charakter ihrer Einwohner . . . . . . . . . 5
Zweites Kap. Demokritus von Abdera. Ob und wieviel 
seine Vaterstadt berechtigt war, sich etwas auf 
ihn einzubilden?. . . . . . . . . . . . . . . . . . 12
Drittes Kap. Was Demokrit für ein Mann war. Seine 
Reisen. Er kommt nach Abdera zurück. Was er 
mitbringt, und wie er aufgenommen wird. Ein Examen, 
das sie mit ihm vornehmen, welches zugleich eine 
Probe einer Abderitischen Conversation ist  . . . . 20
Viertes Kap. Das Examen wird fortgesetzt, und 
verwandelt sich in eine Disputation über die Schönheit,
wobei Demokriten sehr warm gemacht wird . . . . . . 27
Fünftes Kap. Unerwartete Auslösung des Knotens, 
mit einigen neuen Beispielen von Abderitischem Witz 40
Sechstes Kap. Eine Gelegenheit für den Leser, um 
sein Gehirn aus der schaukelnden Bewegung des 
vorigen Kapitels wieder in Ruhe zu setzen . . . . . 46
Siebentes Kap. Patriotismus der Abderiten. Ihre 
Vorneigung für Athen, als ihre Mutterstadt. Ein paar 
Proben von ihrem Atticismus, und von der unangenehmen 
Aufrichtigkeit des weisen Demokrit . . . . . . . . .49
Achtes Kap. Vorläufige Nachricht von den Abderitischen 
Schauspielwesen. Demokrit wird genöthigt, seine 
Meinung davon zu sagen . . . . . . . . . . . . . .  53
Neuntes Kap. Gute Gemüthsart der Abderiten, und wie 
sie sich an Demokrit wegen seiner Unhöflichkeit zu 
rächen wissen. Eine seiner Strafpredigten zur Probe. 
Die Abderiten machen ein Gesetz gegen alle Reisen, 
wodurch ein Seite Abderitisches Mutterkind hätte 
klüger werden können. Merkwürdige Art wie der 
Nomophylax Gryllus eine aus diesem Gesetz entstandene
Schwierigkeit auslöst . . . . . . . . . . . . . . . 61
Zehntes Kap. Demokrit zieht sich aufs Land zurück, 
und wird von den Abderiten fleißig besucht. Allerlei 
Raritäten, und eine Unterredung vom Schlaraffenlande 
der Sittenlehrer . . . . . . . . . . . . . . . . . .68
Eilftes Kap. Etwas von den Abderitischen Philosophen, 
und wie Demokrit das Unglück hat, sich mit ein paar 
wohlgemeinten Worten in sehr schlimmen Credit zu sehen81
Zwölftes Kap. Demokrat zieht sich weiter von Abdera 
zurück. Wie er sich in seiner Einsamkeit beschäftigt. 
Er kommt bei den Abderiten in den Verdacht daß er 
Zauberkünste treibe. Ein Experiment, das er bei dieser 
Gelegenheit mit den Abderitischen Damen macht, und 
wie es abgelaufen. . . . . . . . . . . . . .  . . . 91
Dreizehntes Kap. Demokrit soll die Abderitinnen die 
Sprache der Vögel lehren. Im Vorbeigehen eine Probe, 
wie sie ihre Tochter bildeten . . . . . . . . . . . 103
Zweites Buch. Hippokrates in Abdera.Erstes Kap. Eine 
Abschweifung über den Charakter und die Philosophie 
des Demokritus, welche wir den Leser nicht zu
überschlagen bitten . . . . . . . . . . . . . . . . 111
Zweites Kap. Demokrit wird eines schweren Verbrechens 
beschuldigt, und von einem seiner Verwandten damit 
entschuldigt, daß er seines Verstandes nicht recht 
mächtig sey. Wie er das Ungewitter, welches ihm der 
Priester Strobylus zubereiten wollte, noch zu rechter
Zeit ableitet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121
Drittes Kap. Eine kleine Abschweifung in die 
Regierungszeit Schach-Bahams des Weisen. Charakter 
des Rathsherrn Thrasyllus . . . . . . . . . . . . . 127
Viertes Kap. Kurze, doch hinlängliche, Nachrichten 
von den Abderitischen Sykophanten. Ein Fragment aus 
der Rede, worin Thrasyllus um die Bevogtung seines 
Vetters ansucht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131
Fünftes Kap. Die Sache wird auf ein medicinisches 
Gutachten ausgestellt. Der Senat läßt ein Schreiben 
an den Hippokrates abgehen. Der Arzt kommt in Abdera 
an, erscheint Seite vor Rath, wird vom Rathsherrn 
Thrasyllus zu einem Gastgebot gebeten, und hat — 
lange Weile. Ein Beispiel, daß ein Beutel voll 
Dariken nicht bei allen Leuten anschlägt . . . . . .140
Sechstes Kap. Hippokrates legt einen Besuch bei 
Demokraten ab. Geheimnachrichten von dem uralten 
Orden der Kosmopoliten. . . . . . . . . . . . . . . 146
Siebentes Kap. Hippokrates ertheilt den Abderiten 
seinen gutächtlichen Rath. Große und gefährliche 
Bewegungen, die darüber im Senat entstehen, und wie, 
zum Glück für das Abderitische Gemeinwesen, der 
Stundenrufer alles auf einmal wieder in Ordnung 
bringt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .152
Drittes Buch. Euripides unter den Abderiten.Erstes 
Kap. Die Abderiten machen sich fertig in die Komödie 
zu gehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .163
Zweites Kap. Nähere Nachrichten von dem Abderitischen 
Nationaltheater Geschmack der Abderiten. Charakter 
des Nomophylax Gryllus . . . . . . . . . . . . . . .168
Drittes Kap. Beiträge zur Abderitischen 
Literaturgeschichte. Nachrichten von ihren ersten 
theatralischen Dichtern, Hyperbolus, Paraspasmus, 
Antiphilus und Thlaps . . . . . . . . . . . . . . . 178
Viertes Kap. Merkwürdiges Beispiel von der guten 
Staatswirthschaft der Abderiten. Beschluß der 
Digression über ihr Theaterwesen . . . . . . . . . .186
Fünftes Kap. Die Andromeda des Euripides wird aufgeführt.
Großer Succeß des Nomophylax, und was die Sängerin
Eukolpis dazu beigetragen. Ein paar Anmerkungen über
die übrigen Schauspieler, die Chöre und die Decoration190
Sechstes Kap. Sonderbares Nachspiel, das die Abderiten 
mit einem unbekannten Fremden spielten, und dessen 
höchst unvermuthete Entwickelung . . . . . . . . . .199
Siebentes Kap. Was den Euripides nach Abdera geführt 
hatte, nebst einigen Geheimnachrichten von dem Hofe 
zu Pella . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .212
Achtes Kap. Wie sich Euripides mit den Abderiten benimmt.
Sie machen einen Anschlag auf ihn, wobei sich ihre 
politische Betriebsamkeit in einem starken Lichte zeigt, 
und Seite der ihnen um so gewisser gelingen muß, weil 
alle Schwierigkeiten, die sie dabei sehen, bloß 
eingebildet sind . . . . . . . . . . . . . . . . . .216
Neuntes Kap. Euripides besieht die Stadt, wird mit dem 
Priester Strobylus bekannt, und vernimmt von ihm die 
Geschichte der Latonenfrösche. Merkwürdiges Gespräch, 
welches bei dieser Gelegenheit zwischen Demokrat, dem 
Priester und dem Dichter vorfällt . . . . . . . . . 225
Zehntes Kap. Der Senat zu Abdera gibt dem Euripides, 
ohne daß er darum angesucht, Erlaubniß, eines seiner 
Stücke auf dem Abderitischen Theater aufzuführen. 
Kunstgriff,wodurch sich die Abderitische Kanzlei in 
solchen Fällen zu helfen pflegte. Schlaues Betragen 
des Nomophylax. Merkwürdige Art der Abderiten, einem, 
der ihnen im Wege stand, allen Vorschub zu thun . . 234
Eilftes Kap. Die Andromeda des Euripides wird endlich 
trotz aller Hindernisse von seinen eignen Schauspielern 
aufgeführt. Außerordentliche Empfindsamkeit der 
Abderiten, mit einer Digression, welche unter die 
lehrreichsten in diesem ganzen Werke gehört, und 
folglich von gar keinem Nutzen seyn wird . . . . . .239
Zwölftes Kap. Wie ganz Abdera vor Bewunderung und 
Entzücken über die Andromeda des Euripides zu Narren 
wurde. Philosophisch-kritischer Versuch über diese 
seltsame Art von Phrenesie, welche bei den Alten 
insgemein die Abderitische Krankheit genannt wird, 
— den Geschichtschreibern ergebenst zugeeignet . . .243

Geschichte der Abderiten.

Erster Theil.

Vorbericht.

Diejenigen, denen etwan daran gelegen seyn möchte, sich der Wahrheit der bei dieser Geschichte zum Grunde liegenden Thatsachen und charakteristischen Züge zu vergewissern, können — wofern sie nicht Lust haben, solche in den Quellen selbst, nämlich in den Werken eines Herodot, Diogenes Laërtius, Athenäus, Aelian, Plutarch, Lucian, Paläphatus, Cicero, Horaz, Petron, Juvenal, Valerius, Gellius, Solinus u. a. aufzusuchen, —sich aus den Artikeln Abdera und Demokritus in dem Bacchischen Wörterbuche überzeugen, daß diese Abderiten nicht unter die wahren Geschichten im Geschmacke der Lucianischen gehören. Sowohl die Abderiten, als ihr gelehrter Mitbürger Demokrit, erscheinen hier in ihrem wahren Lichte: und wiewohl der Verfasser, bei Ausfüllung der Lücken, Aufklärung der dunkeln Stellen, Hebung der wirklichen und Vereinigung der scheinbaren Widersprüche, die man in den vorbemeldeten Schriftstellern findet, nach unbekannten Nachrichten gearbeitet zu haben scheint, so werden doch scharfsinnige Leser gewahr werden, daß er in allem diesem einem Gewährsmanne gefolget ist, dessen Ansehen alle Aeliane und Athenäen zu Bowiegt, den und gegen dessen einzelne Stimme das Zeugniß einer ganzen Welt, und die Entscheidung aller Amphiktyonen, Areopagiten, Decemvirn, Centumvirn und Ducentumvirn, auch Doctoren, Magister und Baccalaureen, sammt und sonders ohne Wirkung ist, nämlich der Natur selbst.Sollte man dieses kleine Werk als einen, wiewohl geringen, Beitrag zur Geschichte des menschlichen Verstandes ansehen wollen, so läßt sich's der Verfasser sehr wohl gefallen; glaubt aber, daß es auch unter diesem so vornehm klingenden Titel weder mehr noch weniger sey, als was alle Geschichtbücher seyn müssen, wenn sie nicht sogar unter die schöne Melusine herabsinken, und mit dem schalsten aller Mährchen der Dame D'Aulnoy in einerlei Rubrik geworfen werden wollen.
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Erstes Buch.

Demokritus unter den Abderiten.

Erstes Kapitel.

Vorläufige Nachrichten vom Ursprung der Stadt Abdera und dem Charakter ihrer Einwohner.

Das Alterthum der Stadt Abdera in Thracien verliert sich in der fabelhaften Heldenzeit. Auch kann es uns sehr gleichgültig seyn, ob sie ihren Namen von Abdera, einer Schwester des berüchtigten Diomedes, Königs der Bistonischen Thracier, — welcher ein so großer Liebhaber von Pferden war, und deren so viele hielt, daß er und sein Land endlich von seinen Pferden aufgefressen wurde, —oder von Abderus, einem Stallmeister dieses Königs, oder von einem andern Abderus, der ein Liebling des Herkules gewesen seyn soll, empfangen habe.Abdera war, einige Jahrhunderte nach ihrer ersten Gründung, vor Alter wieder zusammengefallen: als Timesius von Klazomene, um die Zeit der einunddreißigsten Olympiade, es unternahm, sie wieder aufzubauen. Die wilden Thracier, welche keine Städte in ihrer Nachbarschaft aufkommen lassen wollten, ließen ihm nicht Zeit, die Früchte seiner Arbeit zu genießen. Sie trieben ihn wieder fort, und Abdera blieb unbewohnt und unvollendet, bis (ungefähr um das Ende der neunundfünfzigsten Olympiade) die Einwohner der Ionischen Stadt Teos — weil sie keine Lust hatten, sich dem Eroberer Cyrus zu unterwerfen — zu Schiffe gingen, nach Thracien segelten, und, da sie in einer der fruchtbarsten Gegenden desselben dieses Abdera schon gebauet fanden, sich dessen als einer verlassenen und niemanden zugehörigen Sache bemächtigten, auch sich darin gegen die Thracischen Barbaren so gut behaupteten, daß sie und ihre Nachkommen von nun an Abderiten hießen, und einen kleinen Freistaat ausmachten, der (wie die meisten Griechischen Städte) ein zweideutiges Mittelding von Demokratie und Aristokratie war, und regiert wurde — wie kleine und große Republiken von jeher regiert worden sind."Wozu (rufen unsre Leser) diese Deductionen des Ursprungs und der Schicksale der Stadt Abdera in Thracien? Was kümmert uns Abdera? Was liegt uns daran, zu wissen oder nicht zu wissen, wann, wie wo, warum, von wem, und zu was Ende eine Stadt, welche längst nicht mehr in der Welt ist, erbaut worden seyn mag?"Geduld! günstige Leser, Geduld, bis wir, eh' ich weiter forterzähle, über unsre Bedingungen einig sind. Verhüte der Himmel, daß man euch zumuthen sollte die Abderiten zu lesen, wenn ihr gerade was Nöthigeres zu thun oder was Besseres zu lesen habt! — "Ich muß auf eine Predigt studiren. — Ich habe Kranke zu besuchen. — Ich hab' ein Gutachten, einen Bescheid, eine Läuterung, einen unterthänigsten Bericht zu machen. —Ich muß recensiren. — Mir fehlen noch sechzehn Bogen an den vier Alphabeten, die ich meinem Verleger binnen acht Tagen liefern muß. —Ich hab' ein Joch Ochsen gekauft. — Ich hab' ein Weib genommen —" In Gottes Namen! Studirt, besucht, referirt, recensirt, übersetzt, kauft und freiet! —Beschäftigte Leser sind selten gute Leser. Bald gefällt ihnen alles, bald nichts; bald verstehen sie uns halb, bald gar nicht, bald (was noch schlimmer ist) unrecht. Wer mit Vergnügen und Nutzen lesen will, muß gerade sonst nichts andres zu thun noch zu denken haben. Und wenn ihr euch in diesem Falle befindet: warum solltet ihr nicht zwei oder drei Minuten daran wenden wollen, etwas zu wissen, was einem Salmasius, einem Bayle, — und, um aufrichtig zu seyn, mir selbst (weil mir nicht zu rechter Zeit einfiel, den Artikel Abdera im Bayle nachzuschlagen) eben so viele Stunden gekostet hat? Würdet ihr mir doch geduldig zugehört haben, wenn ich euch die Historie vom König in Böhmenland, der sieben Schlösser hatte, zu erzählen angefangen hätte.Die Abderiten also hätten (dem zufolge, was bereits von ihnen gemeldet worden ist) ein so feines, lebhaftes, witziges und kluges Völkchen seyn sollen, als jemals eines unter der Sonne gelebt habt."Und warum dieß?"Diese Frage wird uns vermuthlich nicht von den gelehrten unter unsern Lesern gemacht. Aber, wer wollte auch Bücher schreiben, wenn alle Leser so gelehrt wären als der Autor? Die Frage warum dieß? ist allemal eine sehr vernünftige Frage. Sie verdient, wo die Rede von menschlichen Dingen ist (mit den göttlichen ist's ein anderes), allemal eine Antwort; und wehe dem, der verlegen oder beschämt oder ungehalten wird, wenn er sich auf "warum dieß?" vernehmen lassen soll! Wir unsers Orts würden die Antwort ungefordert gegeben haben, wenn die Leser nicht so hastig gewesen wären. Hier ist sie!Teos war eine Athenische Colonie, von den zwölfen oder dreizehn eine, welche unter Anführung des Neleus, Kodrus Sohns, in Ionien gepflanzt wurden.Die Athener waren von jeher ein muntres und geistreiches Volk, und sind es noch, wie man sagt. Athener, nach Ionien versetzt, gewannen unter dem schönen Himmel, der dieses von der Natur verzärtelte Land umfließt, wie Burgunder-Reben durch Verpflanzung aufs Vorgebirge der guten Hoffnung. Vor allen andern Völkern des Erdbodens waren die Ionischen Griechen die Günstlinge der Musen. Homer selbst war, der größten Wahrscheinlichkeit nach, ein Ionier. Die erotischen Gesänge, die Milesischen Fabeln (die Vorbilder unsrer Novellen und Romane) erkennen Ionien für ihr Vaterland. Der Horaz der Griechen, Alkäos, die glühende Sappho; Anakreon, der Sänger — Aspasia, die Lehrerin — Apelles, der Maler der Grazien, waren aus Ionien; Anakreon war sogar ein geborner Tejer. Dieser letzte mochte etwa ein Jüngling von achtzehn Jahren seyn (wenn anders Barnes recht gerechnet hat), als seine Mitbürger nach Abdera zogen. Er zog mit ihnen, und zum Beweise, daß er seine den Liebesgöttern geweihte Leyer nicht zurückgelassen, sang er dort das Lied an ein Thracisches Mädchen (in Barnesens Ausgabe das einundsechzigste), worin ein gewisser wilder Thracischer Ton gegen die Ionische Grazie, die seinen Liedern eigen ist, auf eine ganz besondere Art absticht.Wer sollte nun nicht denken, die Tejer — in ihrem ersten Ursprung Athener —so lange Zeit in Ionien einheimisch — Mitbürger eines Anakreons —sollten auch in Thracien den Charakter eines geistreichen Volkes behauptet haben? Allein (was auch die Ursache davon gewesen seyn mag) das Gegentheil ist außer Zweifel. Kaum wurden die Tejer zu Abderiten, so schlugen sie aus der Art. Nicht daß sie ihre vormalige Lebhaftigkeit ganz verloren und sich in Schöpfe verwandelt hätten, wie Juvenal sie ungerechter Weise beschuldigt. Ihre Lebhaftigkeit nahm nur eine wunderliche Wendung; denn ihre Einbildung gewann einen so großen Vorsprung über ihre Vernunft, daß es dieser niemals wieder möglich war, sie einzuholen. Es mangelte den Abderiten nie an Einfällen: aber selten paßten ihre Einfälle auf die Gelegenheit wo sie angebracht wurden; oder kamen erst wenn die Gelegenheit vorbei war. Sie sprachen viel, aber immer ohne sich einen Augenblick zu bedenken was sie sagen wollten, oder wie sie es sagen wollten. Die natürliche Folge hiervon war, daß sie selten den Mund aufthaten, ohne etwas Albernes zu sagen. Zum Unglück erstreckte sich diese schlimme Gewohnheit auch auf ihre Handlungen; denn gemeiniglich schlossen sie den Käfig erst, wenn der Vogel entflogen war. Dieß zog ihnen den Vorwurf der Unbesonnenheit zu; aber die Erfahrung bewies, daß es ihnen nicht besser ging wenn sie sich besannen. Machten sie (welches sich ziemlich oft zutrug) irgend einen sehr dummen Streich, so kam es immer daher, weil sie es gar zu gut machen wollten; und wenn sie in den Angelegenheiten ihres gemeinen Wesens recht lange und ernstliche Berathschlagungen hielten, so konnte man sicher darauf rechnen, daß sie unter allen möglichen Entschließungen die schlechteste ergreifen würden.Sie wurden endlich zum Sprüchwort unter den Griechen. Ein Abderitischer Einfall, ein Abderitenstückchen, war bei diesen ungefähr, was bei uns ein Schildbürger- oder bei den Helvetiern ein Lalleburgerstreich ist; und die guten Abderiten ermangelten nicht, die Spötter und Lacher reichlich mit sinnreichen Zügen dieser Art zu versehen. Für itzt mögen davon nur ein paar Beispiele zur Probe dienen.Einsmals fiel ihnen ein, daß eine Stadt wie Abdera billig auch einen schönen Brunnen haben müsse. Er sollte in die Mitte ihres großen Marktplatzes gesetzt werden, und zu Bestreitung der Kosten wurde eine neue Auflage gemacht. Sie ließen einen berühmten Bildhauer von Athen kommen, um eine Gruppe von Statuen zu verfertigen, welche den Gott des Meeres auf einem von vier Seepferden gezogenen Wagen, mit Nymphen, Tritonen und Delphinen umgeben, vorstellte. Die Seepferde und Delphinen sollten eine Menge Wassers aus ihren Nasen hervorspringen. Aber wie alles fertig stand, fand sich daß kaum Wasser genug da war, um die Nase eines einzigen Delphins zu befeuchten; und als man das Werk spielen ließ, sah es nicht anders aus, als ob alle diese Seepferde und Delphinen den Schnupfen hätten. Um nicht ausgelacht zu werden, ließen sie also die ganze Gruppe in den Tempel des Neptuns bringen; und so oft man sie einem Fremden wies, bedauerte der Küster sehr ernsthaft im Namen der löblichen Stadt Abdera, daß ein so herrliches Kunstwerk aus Kargheit der Natur unbrauchbar bleiben müsse.Ein andermal erhandelten sie eine schöne Venus von Elfenbein, die man unter die Meisterstücke des Praxiteles zählte. Sie war ungefähr fünf Fuß hoch, und sollte auf einen Altar der Liebesgöttin gestellt werden. Als sie angelangt war, gerieth ganz Abdera in Entzücken über die Schönheit ihrer Venus; denn die Abderiten gaben sich für feine Kenner und schwärmerische Liebhaber der Künste aus. "Sie ist zu schön (riefen sie einhellig), um auf einem niedrigen Platze zu stehen; ein Meisterstück, das der Stadt so viel Ehre macht und so viel Geld gekostet hat, kann nicht zu hoch aufgestellt werden; sie muß das Erste seyn, was den Fremden beim Eintritt in Abdera in die Augen fällt." Diesem glücklichen Gedanken zufolge stellten sie das kleine niedliche Bild auf einen Obelisk von achtzig Fuß; und wiewohl es nun unmöglich war zu erkennen, ob es eine Venus oder eine Austernymphe vorstellen sollte, so nöthigten sie doch alle Fremden zu gestehen, daß man nichts Vollkommneres sehen könne.Uns dünkt, diese Beispiele beweisen schon hinlänglich, daß man den Abderiten kein Unrecht that, wenn man sie für warme Köpfe hielt. Aber wir zweifeln ob sich ein Zug denken läßt, der ihren Charakter stärker zeichnen könnte als dieser: daß sie (nach dem Zeugnisse des Justinus) die Frösche in und um ihre Stadt dergestalt überhand nehmen ließen, daß sie endlich selbst genöthiget wurden, ihren quäckenden Mitbürgern Platz zu machen, und, bis zu Austrag der Sache, sich unter dem Schutze des Königs Kassander von Macedonien an einen dritten Ort zu begeben.Dieß Unglück befiel die Abderiten nicht ungewarnt. Ein weiser Mann, der sich unter ihnen befand, sagte ihnen lange zuvor, daß es endlich so kommen würde. Der Fehler lag in der That bloß an den Mitteln, wodurch sie dem Uebel steuern wollten; wiewohl sie nie dazu gebracht werden konnten dieß einzusehen. Was ihnen gleichwohl die Augen hätte öffnen sollen, war: daß sie kaum etliche Monate von Abdera weggezogen waren, als eine Menge von Kranichen aus der Gegend von Geranien ankam, und ihnen alle ihre Frösche so rein wegputzte, daß eine Meile rings um Abdera nicht Einer übrig blieb, der dem wiederkommenden Frühling Brekekek Koax Koax entgegen gesungen hätte.
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Zweites Kapitel.

Demokritus von Abdera. Ob und wie viel seine Vaterstadt berechtigt war, sich etwas auf ihn einzubilden?

Keine Luft ist so dick, kein Volk so dumm, kein Ort so unberühmt, daß nicht zuweilen ein großer Mann daraus hervorgehen sollte, sagt Juvenal. Pindar und Epaminondas wurden in Böotien geboren, Aristoteles zu Stagira, Cicero zu Arpinum, Virgil im Dörfchen Andes bei Mantua, Albertus Magnus zu Lauingen, Martin Luther zu Eisleben, Sixtus der Fünfte im Dorfe Montalto in der Mark Ancona, und einer der besten Könige, die jemals gewesen sind, zu Pau in Bearn. Was Wunder, wenn auch Abdera, zufälliger Weise, die Ehre hatte, daß der größte Naturforscher des Alterthums, Demokritus, in ihren Mauern das Leben empfing!Ich sehe nicht, wie ein Ort sich eines solchen Umstandes bedienen kann, um Ansprüche an den Ruhm eines großen Mannes zu machen. Wer geboren werden soll, muß irgendwo geboren werden: das übrige nimmt die Natur auf sich; und ich zweifle sehr, ob, außer dem Lykurgus, ein Gesetzgeber gewesen, der seine Fürsorge bis auf den Homunculus ausgedehnt, und alle möglichen Vorkehrungen getroffen hätte, damit dem Staate wohl organisirte, schöne und seelenvolle Kinder geliefert würden. Wir müssen gestehen, in dieser Rücksicht hatte Sparta einiges Recht, sich mit den Vorzügen seiner Bürger Ehre zu machen. Aber in Abdera (wie beinahe in der ganzen Welt) ließ man den Zufall und den Genius walten,
— natale comes qui temperat astrum;
und wenn ein Protagoras oder Demokritus aus ihrem Mittel
entsprang, so war die gute Stadt Abdera gewiß eben so unschuldig
      daran, als Lykurgus und seine Gesetze, wenn in Sparta
ein Dummkopf oder eine Memme geboren wurde.
Diese Nachlässigkeit, wiewohl sie eine dem Staat äußerst angelegene Sache betrifft, möchte noch immer hingehen. Die Natur, wenn man sie nur ungestört arbeiten läßt, macht meistens alle weitere Fürsorge für das Gerathen ihrer Werke überflüssig. Aber wiewohl sie selten vergißt, ihr Lieblingswerk mit allen den Fähigkeiten auszurüsten, durch welche ein vollkommner Mensch ausgebildet werden könnte: so ist doch eben diese Ausbildung das, was sie der Kunst überläßt; und es bleibt also jedem Staate noch Gelegenheit genug übrig, sich ein Recht an die Vorzüge und Verdienste seiner Mitbürger zu erwerben.Allein auch hierin ließen die Abderiten sehr viel an ihrer Klugheit zu vermissen übrig; und man hätte schwerlich einen Ort finden können, wo für die Bildung des innern Gefühls, des Verstandes und des Herzens der künftigen Bürger weniger gesorgt worden wäre.Die Bildung des Geschmacks, d. i. eines feinen, richtigen und gelehrten Gefühls alles Schönen, ist die beste Grundlage zu jener berühmten Sokratischen Kalokagathie oder innerlichen Schönheit und Güte der Seele, welche den liebenswürdigen, edelmüthigen, wohlthätigen und glücklichen Menschen macht. Und nichts ist geschickter, dieses richtige Gefühl des Schönen in uns zu bilden, als — wenn alles, was wir von Kindheit an sehen und hören, schön ist. In einer Stadt, wo die Künste der Musen in der größten Vollkommenheit getrieben werden, in einer mit Meisterstücken der bildenden Künste angefüllten Stadt, in einem Athen geboren zu seyn, ist daher allerdings kein geringer Vortheil; und wenn die Athener zu Platons und Menanders Zeiten mehr Geschmack hatten als tausend andere Völker, so hatten sie es unstreitig ihrem Vaterlande zu danken.Abdera führte in einem Griechischen Sprüchworte (über dessen Verstand die Gelehrten, nach ihrer Gewohnheit, nicht einig sind) den Beinamen, womit Florenz unter den Italiänischen Städten prangt — die Schöne. Wir haben schon bemerkt, daß die Abderiten Enthusiasten der schönen Künste waren; und in der That, zur Zeit ihres größten Flors, das ist, eben damals, da sie auf einige Zeit den Fröschen Platz machen mußten, war ihre Stadt voll prächtiger Gebäude, reich an Malereien und Bildsäulen, mit einem schönen Theater und Musiksaal (Ωδειον) versehen, kurz, ein zweites Athen —bloß den Geschmack ausgenommen. Denn zum Unglück erstreckte sich die wunderliche Laune, von welcher wir oben gesprochen haben, auch auf ihre Begriffe vom Schönen und Anständigen. Latona, die Schutzgöttin ihrer Stadt, hatte den schlechtesten Tempel; Jason, der Anführer der Argonauten, hingegen (dessen goldenes Vließ sie zu besitzen vorgaben) den prächtigsten. Ihr Rathhaus sah wie ein Magazin aus, und unmittelbar vor dem Saale, wo die Angelegenheiten des Staats erwogen wurden, hatten alle Kräuter-, Obst- und Eierweiber von Abdera ihre Niederlage. Hingegen ruhte das Gymnasium, worin sich ihre Jugend im Ringen und Fechten übte, auf einer dreifachen Säulenreihe. Der Fechtsaal war mit lauter Schildereien von Berathschlagungen und mit Statuen in ruhigen oder tiefsinnigen Stellungen ausgeziert. Dafür aber stellte das Rathhaus den Vätern des Vaterlandes eine desto reizendere Augenweide dar. Denn wohin sie in dem Saal ihrer gewöhnlichen Sitzungen ihre Augen warfen, glänzten ihnen schöne nackende Kämpfer, oder badende Dianen und schlafende Bacchanten entgegen; und Venus mit ihrem Buhler, im Netze Vulcans allen Einwohnern des Olymps zur Schau ausgestellt (ein großes Stück, welches dem Sitz des Archons gegenüber hing), wurde den Fremden mit einem Triumphe gezeigt, der den ernsten Phocion selbst genöthiget hätte, zum erstenmal in seinem Leben zu lachen. Der König Lysimachus (sagten sie) habe ihnen sechs Städte und ein Gebiet von vielen Meilen dafür angeboten: aber sie hätten sich nicht entschließen können, ein so herrliches Stück hinzugeben, zumal da es —gerade die Höhe und Breite habe, um eine ganze Seite der Rathsstube einzunehmen; und überdieß habe einer ihrer Kunstrichter in einem weitläuftigen, mit großer Gelehrsamkeit angefüllten Werke die Beziehung des allegorischen Sinnes dieser Schilderei auf den Platz, wo sie stehe, sehr scharfsinnig dargethan.Wir würden nicht fertig werden, wenn wir alle Unschicklichkeiten, wovon diese wundervolle Republik wimmelte, berühren wollten. Aber noch eine können wir nicht vorbeigehen, weil sie einen wesentlichen Zug ihrer Verfassung betrifft, und keinen geringen Einfluß auf den Charakter der Abderiten hatte. In den ältesten Zeiten der Stadt war, vermuthlich einem Orphischen Institut zufolge, der Nomophylax oder Beschirmer der Gesetze (eine der obersten Magistratspersonen) zugleich Vorsänger bei den gottesdienstlichen Chören und Oberaufseher über das Musikwesen. Dieß hatte damals seinen guten Grund. Allein mit der Länge der Zeit ändern sich die Gründe der Gesetze; diese werden alsdann durch buchstäbliche Erfüllung lächerlich, und müssen also nach den veränderten Umständen umgegossen werden. Aber eine solche Betrachtung kam nicht in Abderitische Köpfe. Es hatte sich öfters zugetragen, daß ein Nomophylax erwählt wurde, der zwar die Gesetze ganz leidlich beschirmte, aber entweder schlecht sang, oder gar nichts von der Musik verstand. Was hatten die Abderiten zu thun? Nach häufigen Berathschlagungen machten sie endlich die Verordnung: der beste Sänger aus Abdera sollte hinfür allezeit auch Nomophylax seyn; und dabei blieb es so lange Abdera stand. Daß der Nomophylax und der Vorsänger zwei verschiedene Personen seyn könnten, war in zwanzig öffentlichen Berathschlagungen keiner Seele eingefallen.Es ist leicht zu erachten, daß die Musik, bei so bewandten Sachen, zu Abdera in großer Achtung stehen mußte. Alles in dieser Stadt war musikalisch; alles sang, flötete und leyerte. Ihre Sittenlehre und Politik, ihre Theologie und Kosmologie, war auf musikalische Grundsätze gebaut; ja, ihre Aerzte heilten sogar die Krankheiten durch Tonarten und Melodien. So weit scheint ihnen, was die Speculation betrifft, das Ansehen der größten Weisen des Alterthums, eines Orpheus, Pythagoras und Plato, zu Statten zu kommen. Aber in der Ausübung entfernten sie sich desto weiter von der Strenge dieser Philosophen. Plato verweist alle sanften und weichlichen Tonarten aus seiner Republik; die Musik soll seinen Bürgern weder Freude noch Traurigkeit einflößen; er verbannt mit den Ionischen und Lydischen Harmonien alle Trink- und Liebeslieder; ja die Instrumente selbst scheinen ihm so wenig gleichgültig, daß er vielmehr die vielsaitigen und die Lydische Flöte als gefährliche Werkzeuge der Ueppigkeit ausmustert, und seinen Bürgern nur die Leyer und die Cither, sowie den Hirten und dem Landvolke nur die Rohrpfeife, gestattet. So streng philosophirten die Abderiten nicht. Keine Tonart, kein Instrument war bei ihnen ausgeschlossen und — einem sehr wahren, aber sehr oft von ihnen mißverstandenen Grundsatze zufolge — behaupteten sie: daß man alle ernsthaften Dinge lustig, und alle lustigen ernsthaft behandeln müsse. Die Ausdehnung dieser Maxime auf die Musik brachte bei ihnen die widersinnigsten Wirkungen hervor. Ihre gottesdienstlichen Gesänge klangen wie Gassenlieder; allein dafür konnte man nichts Feierlicheres hören, als die Melodie ihrer Tänze. Die Musik zu einem Trauerspiele war gemeiniglich komisch; hingegen klangen ihre Kriegslieder so schwermüthig, daß sie sich nur für Leute schickten, die an den Galgen gehen. Ein Leyerspieler wurde in Abdera nur dann für vortrefflich gehalten, wenn er die Saiten so zu rühren wußte, daß man eine Flöte zu hören glaubte; und eine Sängerin mußte, um bewundert zu werden, gurgeln und trillern wie eine Nachtigall. Die Abderiten hatten keinen Begriff davon, daß die Musik nur insofern Musik ist, als sie das Herz rührt; sie waren über und über glücklich, wenn nur ihre Ohren gekitzelt, oder wenigstens mit nichtssagenden, aber vollen und oft abwechselnden Harmonien gestopft wurden. Diese Widersinnigkeit erstreckte sich über alle Gegenstände des Geschmacks; oder, richtiger zu reden, mit aller ihrer Schwärmerei für die Künste hatten die Abderiten gar keinen Geschmack; und es ahndete ihnen nicht einmal, daß das Schöne aus einem höhern Grunde schön sey, als weil es ihnen so beliebte.Indessen konnte gleichwohl Natur, Zufall und gutes Glück mit zusammengesetzten Kräften einmal so viel zuwege bringen, daß ein geborner Abderit Menschenverstand bekam. Aber wenigstens muß man gestehen, wenn sich so etwas begab, so hatte Abdera nichts dabei geholfen. Denn ein Abderit war ordentlicherweise nur insofern klug als er kein Abderit war; — ein Umstand, der uns ohne Mühe begreifen läßt, warum die Abderiten immer von demjenigen unter ihren Mitbürgern, der ihnen in den Augen der Welt am meisten Ehre machte, am wenigsten hielten. Dieß war keine ihrer gewöhnlichen Widersinnigkeiten. Sie hatten eine Ursache dazu, die so natürlich ist, daß es unbillig wäre, sie ihnen zum Vorwurf zu machen.Diese Ursache war nicht (wie einige sich einbilden), weil sie z. B. den Naturforscher Demokrit —lange zuvor eh' er ein großer Mann war mit dem Kreisel spielen, oder auf einem Grasplatze Purzelbäume machen gesehen hatten —Auch nicht, weil sie aus Neid oder Eifersucht nicht leiden konnten, daß einer aus ihrem Mittel klüger seyn sollte als sie. Denn —bei der untrüglichen Aufschrift der Pforte des Delphischen Tempels! —dieß zu denken hatte kein einziger Abderit Weisheit genug, oder er würde von dem Augenblick an kein Abderit mehr gewesen seyn.Der wahre Grund, meine Freunde, warum die Abderiten aus ihrem Mitbürger Demokrit nicht viel machten, war dieser weil sie ihn für — keinen weisen Mann hielten."Warum das nicht?"Weil sie nicht konnten."Und warum konnten sie nicht?"Weil sie sich alsdann selbst für Dummköpfe hätten halten müssen. Und dieß zu thun waren sie gleichwohl nicht widersinnig genug.Auch hätten sie eben so leicht auf dem Kopfe tanzen, oder den Mond mit den Zähnen fassen, oder den Cirkel quadriren können, als einen Menschen, der in allem ihr Gegenfüßler war, für einen weisen Mann halten. Dieß folgt aus einer Eigenschaft der menschlichen Natur, die schon zu Adams Zeiten bemerkt worden seyn muß, und gleichwohl, da Helvetius daraus folgerte —was daraus folgt, vielen ganz neu vorkam; die seit dieser Zeit niemanden mehr neu ist, und dennoch im Leben — alle Augenblicke vergessen wird.
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Drittes Kapitel.

Was Demokrit für ein Mann war. Seine Reisen. Er kommt nach Abdera zurück. Was er mitbringt, und wie er aufgenommen wird. Ein Examen, das sie mit ihm vornehmen, welches zugleich eine Probe einer Abderitischen Conversation ist.

Demokrit — ich denke nicht, daß es Sie gereuen wird, den Mann näher kennen zu lernen —Demokrit war ungefähr zwanzig Jahre alt, als er seinen Vater, einen der reichsten Bürger von Abdera, beerbte. Anstatt nun darauf zu denken, wie er seinen Reichthum erhalten oder vermehren, oder auf die angenehmste oder lächerlichste Art durchbringen wollte, entschloß sich der junge Mensch, solchen zum Mittel — der Vervollkommnung seiner Seele zu machen."Aber was sagten die Abderiten zu dem Entschluß des jungen Demokrit?"Die guten Leute hatten sich nie träumen lassen, daß die Seele ein anderes Interesse habe, als der Magen, der Bauch und die übrigen integranten Theile des sichtbaren Menschen. Also mag ihnen freilich diese Grille ihres Landsmanns wunderlich genug vorgekommen seyn. Allein, dieß war nun gerade was er sich am wenigsten anfechten ließ. Er ging seinen Weg fort, und brachte viele Jahre mit gelehrten Reisen durch alle festen Länder und Inseln zu, die man damals bereisen konnte. Denn wer seiner Zeit weise werden wollte, mußte mit eignen Augen sehen. Es gab noch keine Buchdruckereien, keine Journale, Bibliotheken, Magazine, Encyklopädien, Realwörterbücher, Almanache, und wie alle die Werkzeuge heißen, mit deren Hülfe man itzt, ohne zu wissen wie, ein Philosoph, ein Naturkundiger, ein Kunstrichter, ein Autor, ein Alleswisser wird. Damals war die Weisheit so theuer, und noch theurer als — die schöne Lais. Nicht jedermann konnte nach Korinth reisen. Die Anzahl der Weisen war sehr klein; aber die es waren, waren es auch desto mehr.Demokrit reisete nicht bloß um der Menschen Sitten und Verfassungen zu beschauen, wie Ulysses; nicht bloß um Priester und Geisterseher aufzusuchen, wie Apollonius; oder um Tempel, Statuen, Gemälde und Alterthümer zu begucken, wie Pausanias; oder um Pflanzen und Thiere abzuzeichnen und unter Classen zu bringen, wie Doktor Solander; sondern er reisete, um Natur und Kunst in allen ihren Wirkungen und Ursachen, den Menschen in seiner Nacktheit und in allen seinen Einkleidungen und Verkleidungen, roh und bearbeitet, bemalt und unbemalt, ganz und verstümmelt, und die übrigen Dinge in allen ihren Beziehungen auf den Menschen, kennen zu lernen. Die Raupen in Aethiopien (sagt Demokrit) sind freilich nur — Raupen. Was ist eine Raupe, um das erste, angelegenste, einzige Studium eines Menschen zu seyn? Aber, da wir nun einmal in Aethiopien sind, so sehen wir uns immer, nebenher, auch nach den Aethiopischen Raupen um. Es gibt eine Raupe im Lande der Seren, welche Millionen Menschen kleidet und nährt: wer weiß ob es nicht auch am Niger nützliche Raupen gibt?Mit dieser Art zu denken hatte Demokrit auf seinen Reisen einen Schatz von Wissenschaft gesammelt, der in seinen Augen alles Gold in den Schatzkammern der Könige von Indien und alle Perlen an den Hälsen und Armen ihrer Weiber werth war. Er kannte von der Ceder Libanons bis zum Schimmel eines Arkadischen Käses eine Menge von Bäumen, Stauden, Kräutern. Gräsern und Moosen; nicht etwa bloß nach ihrer Gestalt und nach ihren Namen, Geschlechtern und Arten: er kannte auch ihre Eigenschaften, Kräfte und Tugenden. Aber, was er tausendmal höher schätzte als alle seine übrigen Kenntnisse, er hatte allenthalben, wo er es der Mühe werth fand sich aufzuhalten, die Weisesten und die Besten kennen gelernt. Es hatte sich bald gezeigt, daß er ihres Geschlechtes war. Sie waren also seine Freunde geworden, hatten sich ihm mitgetheilt, und ihm dadurch die Mühe erspart, eignen Fleißes, Jahre lang und vielleicht doch vergebens, zu suchen, was sie mit Aufwand und Mühe, oder auch wohl nur glücklicherweise, schon gefunden hatten.Bereichert mit allen diesen Schätzen des Geistes und Herzens kam Demokrit, nach einer Reise von zwanzig Jahren, zu den Abderiten zurück, die seiner beinahe vergessen hatten. Er war ein feiner stattlicher Mann; höflich und abgeschliffen, wie ein Mann, der mit mancherlei Arten von Erdensöhnen umzugehen gelernt hat, zu seyn pflegt; ziemlich braungelb von Farbe; kam von den Enden der Welt, und hatte ein ausgestopftes Krokodil, einen lebendigen Affen, und viele andere sonderbare Sachen mitgebracht. Die Abderiten sprachen etliche Tage von nichts anderm, als von ihrem Mitbürger Demokrit, der wieder gekommen war und Affen und Krokodile mitgebracht hatte. Allein in kurzer Zeit zeigte sich's, daß sie sich in ihrer Meinung von einem so weit gereiseten Manne sehr verrechnet hatten.Demokrit war von den wackern Männern, denen er indessen die Besorgung seiner Güter anvertraut hatte, um die Hälfte betrogen worden; und gleichwohl unterschrieb er ihre Rechnungen ohne Widerrede. Natürlicher Weise mußte dieß der guten Meinung von seinem Verstande den ersten Stoß geben. Die Advokaten und Richter wenigstens, die sich zu einem einträglichen Processe Hoffnung gemacht hatten, merkten mit einem bedeutenden Achselzucken an, daß es bedenklich seyn würde, einem Manne, der seinem eigenen Hause so schlecht vorstehe, das gemeine Wesen anzuvertrauen. Indessen zweifelten die Abderiten nicht, daß er sich nun unter die Mitbewerber um ihre vornehmsten Ehrenämter stellen würde. Sie berechneten schon, wie hoch sie ihm ihre Stimme verkaufen wollten; gaben ihm eine Tochter, Enkelin, Schwester, Nichte, Base, Schwägerin zur Ehe; überschlugen die Vortheile, die sie zur Erhaltung dieser oder jener Absicht von seinem Ansehen ziehen wollten, wenn er einmal Archon oder Priester der Latona seyn würde, u. s. w. Aber Demokrit erklärte sich, daß er weder ein Rathsherr von Abdera noch der Ehegemahl einer Abderitin seyn wollte, und vereitelte dadurch abermal alle ihre Anschläge. Nun hoffte man wenigstens durch seinen Umgang in etwas entschädigt zu werden. Ein Mann, welcher Affen, Krokodile und zahme Drachen von seinen Reisen mitgebracht hatte, mußte eine ungeheure Menge Wunderdinge zu erzählen haben. Man erwartete, daß er von zwölf Ellen langen Riesen und von sechs Daumen hohen Zwergen, von Menschen mit Hunds- und Eselsköpfen, von Meerfrauen mit grünen Haaren, von weißen Negern, und blauen Centauren sprechen würde. Aber Demokrit log so wenig, und in der That weniger, als ob er nie über den Thracischen Bosporus gekommen wäre.Man fragte ihn, ob er im Lande der Garamanten keine Leute ohne Kopf angetroffen habe, welche die Augen, die Nase und den Mund auf der Brust trügen? und ein Abderitischer Gelehrter (der, ohne jemals aus den Mauern seiner Stadt gekommen zu seyn, sich die Miene gab, als ob kein Winkel des Erdbodens wäre den er nicht durchkrochen hätte) bewies ihm in großer Gesellschaft, daß er entweder nie in Aethiopien gewesen sey, oder dort nothwendig mit den Agriophagen, deren König nur Ein Auge über der Nase hat, mit den Sambern, die allezeit einen Hund zu ihrem König erwählen, und mit den Artabatiten, die auf allen Vieren gehen, Bekanntschaft gemacht haben müsse. Und wofern Sie bis in den äußersten Theil des abendländischen Aethiopien eingedrungen sind (fuhr der gelehrte Mann fort), so bin ich gewiß, daß Sie ein Volk ohne Nasen angetroffen haben, und ein anderes, wo die Leute einen so kleinen Mund führen, daß sie ihre Suppe durch Strohhalmen einschlürfen müssen.Demokrit betheuerte beim Kastor und Pollux daß er sich nicht erinnere diese Ehre gehabt zu haben.Wenigstens, sagte jener, haben Sie in Indien Menschen angetroffen, die nur ein einziges Bein auf die Welt bringen, aber demungeachtet wegen der außerordentlichen Breite ihres Fußes so geschwind auf dem Boden fortrutschten, daß man ihnen zu Pferde kaum nachkommen kann. Und was sagten Sie dazu, wie Sie an der Quelle des Ganges ein Volk antrafen, das ohne alle andre Nahrung vom bloßen Geruche wilder Aepfel lebt?O erzählen Sie uns doch, riefen die schönen Abderitinnen, erzählen Sie doch, Herr Demokrit! Was müßten Sie uns nicht erzählen können, wenn Sie nur wollten!Demokrit schwor vergebens, daß er von allen diesen Wundermenschen in Aethiopien und Indien nichts gesehen noch gehört habe.Aber was haben Sie denn gesehen, fragte ein runder dicker Mann, der zwar weder einzügig war wie die Agriophagen, noch eine Hundsschnauze hatte wie die Cymolgen, noch die Augen auf den Schultern trug wie die Omophthalmen, noch vom bloßen Geruche lebte wie die Paradiesvögel, aber doch gewiß nicht mehr Gehirn in seinem großen Schädel trug als ein Mexicanischer Colibri, ohne darum weniger ein Rathsherr von Abdera zu seyn — Aber was haben Sie denn gesehen, sagte Wanst, Sie, der zwanzig Jahre in der Welt herumgefahren ist, wenn Sie nichts von allem dem gesehen haben, was man in fernen Landen Wunderbares sehen kann?Wunderbares? versetzte Demokrit lächelnd. Ich hatte so viel mit Betrachtung des Natürlichen zu thun, daß ich für's Wunderbare keine Zeit übrig behielt.Nun, das gesteh' ich, erwiederte Wanst: das verlohnt sich auch der Mühe, alle Meere zu durchfahren und über alle Berge zu steigen, um nichts zu sehen als was man zu Hause eben so gut sehen konnte!Demokrit zankte sich nicht gern mit den Leuten um ihre Meinungen, am allerwenigsten mit Abderiten; und gleichwohl wollt' er auch nicht, daß es aussehen sollte als ob er gar nichts sagen könne. Er suchte unter den schönen Abderitinnen, die in der Gesellschaft waren, eine aus, an die er das richten könnte was er sagen wollte; und er fand eine mit zwei großen Junonischen Augen, die ihn, trotz seiner physiognomischen Kenntnisse, verführten, ihrer Eigenthümerin etwas mehr Verstand oder Empfindung zuzutrauen als den übrigen. Was wollten Sie, sagte er zu ihr, daß ich, zum Beispiel, mit einer Schönen, welche die Augen auf der Stirn oder am Ellbogen trüge, hätte anfangen sollen? Oder was würde mir's nun helfen, wenn ich noch so gelehrt in der Kunst wäre, das Herz einer — Menschenfresserin zu rühren? Ich habe mich immer zu wohl dabei befunden, mich der sanften Gewalt von zwei schönen Augen, die an ihrem natürlichen Platze stehen, zu überlassen, um jemals in Versuchung zu kommen das große Stierauge auf der Stirn einer Cyklopin zärtlich zu sehen.Die Schöne mit den großen Augen, zweifelhaft was sie aus dieser Anrede machen sollte, guckte dem Manne, der so sprach, mit stummer Verwunderung in den Mund, lächelte ihm ihre schönen Zähne vor, und sah sich zur rechten und linken Seite um, als ob sie den Verstand seiner Rede suchen wollte.Die übrigen Abderitinnen hatten zwar eben so wenig davon begriffen: weil sie aber aus dem Umstande, daß er sich gerade an die Großäugige gewendet hatte, schlossen, er habe ihr etwas Schönes gesagt, so sahen sie einander jede mit einer eignen Grimasse an. Diese rümpfte eine kleine Stumpfnase, jene zog den Mund in die Länge, eine dritte spitzte den ihrigen, eine vierte riß ein Paar kleine Augen auf, eine fünfte brüstete sich mit zurückgezogenem Kopfe, u. s. w.Demokrit sah es, erinnerte sich, daß er in Abdera war — und schwieg.
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Viertes Kapitel.

Das Examen wird fortgesetzt, und verwandelt sich in eine Disputation über die Schönheit, wobei Demokriten sehr warm gemacht wird.

Schweigen —ist zuweilen eine Kunst; aber doch nie eine so große, als uns gewisse Leute glauben machen wollen, die dann am klügsten sind wenn sie schweigen.Wenn ein weiser Mann sieht daß er es mit Kindern zu thun hat, warum sollt' er sich zu weise dünken, nach ihrer Art mit ihnen zu reden?Ich bin zwar (sagte Demokrit zu seiner neugierigen Gesellschaft) aufrichtig genug gewesen, zu gestehen, daß ich von allem, was man will das ich gesehen haben sollte, nichts gesehen habe: aber bilden Sie sich darum nicht ein, daß mir auf so vielen Reisen zu Wasser und zu Lande gar nichts aufgestoßen sey, das Ihre Neubegierde befriedigen könnte. Glauben Sie mir, es sind Dinge darunter, die Ihnen vielleicht noch wunderbarer vorkommen würden, als diejenigen wovon die Rede war.Bei diesen Worten rückten die schönen Abderitinnen näher und spitzten Mund und Ohren. Das ist doch ein Wort von einem gereisten Manne, rief der kurze dicke Rathsherr. Des Gelehrten Stirn entrunzelte sich durch die Hoffnung, daß er etwas zu tadeln und zu verbessern bekommen würde, Demokrit möchte auch sagen was er wollte.Ich befand mich einst in einem Lande; fing unser Mann an, wo es mir so wohl gefiel, daß ich in den ersten drei oder vier Tagen die ich darin zubrachte, unsterblich zu seyn wünschte, um ewig darin zu leben."Ich bin nie aus Abdera gekommen, sagte der Rathsmann; aber ich dachte immer, daß es keinen Ort in der Welt gäbe, wo es mir besser gefallen könnte als in Abdera. Auch geht es mir gerade wie Ihnen mit dem Lande, wo es Ihnen so wohl gefiel; ich wollte mit Freuden auf die ganze übrige Welt Verzicht thun, wenn ich nur ewig in Abdera leben könnte! —Aber warum gefiel es Ihnen nur drei rage lang so wohl in dem Lande?"Sie werden es gleich hören. Stellen Sie sich ein unermeßliches Land vor, dem die angenehmste Abwechslung von Bergen, Thälern, Wäldern, Hügeln und Auen unter der Herrschaft eines ewigen Frühlings und Herbstes, allenthalben wohin man sieht, das Ansehen des herrlichsten Lustgartens gibt: alles angebaut und bewässert, alles blähend und fruchtbar; allenthalben ein ewiges Grün, und immer frische Schatten und Wälder von den schönsten Fruchtbäumen, Datteln, Feigen, Citronen, Granaten, die ohne Pflege, wie in Thracien die Eicheln, wachsen; Haine von Myrten und Schasmin; Amors und Cytheräens Lieblingsblume nicht auf Hecken, wie bei uns, sondern in dichten Büscheln auf großen Bäumen wachsend, und voll aufgeblüht wie die Busen meiner schönen Mitbürgerinnen.(Dieß hatte Demokrit nicht gut gemacht; und es kann künftigen Erzählern zur Warnung dienen, daß man sich vorher wohl in seiner Gesellschaft umsehen muß, ehe man Complimente dieser Art wagt, so verbindlich sie auch an sich selbst klingen mögen. Die Schönen hielten die Hände vor die Augen und errötheten. Denn zum Unglück war unter den Anwesenden keine, die dem schmeichelhaften Gleichniß Ehre gemacht hätte; wiewohl sie nicht ermangelten sich aufzublähen so gut sie konnten.)— und diese reizenden Haine, fuhr er fort, vom lieblichen Gesang unzähliger Arten von Vögeln belebt, und mit tausend bunten Papagaien erfüllt, deren Farben im Sonnenglanz die Augen blenden. Welch ein Land! Ich begriff nicht, warum die Göttin der Liebe das felsige Cythere zu ihrem Wohnsitz erwählt hätte, da ein Land wie dieses in der Welt war. Wo hätten die Grazien angenehmer tanzen können, als am Sande von Bächen und Quellen, wo, zwischen kurzem dichtem Gras vom lebhaftesten Grün, Lilien und Hyacinthen, und zehntausend noch schönere Blumen, die in unsrer Sprache ohne Namen sind, freiwillig hervorblühen, und die Luft mit wollüstigen Wohlgerüchen erfüllen?Die schönen Abderitinnen waren, wie leicht zu erachten, mit einer nicht weniger lebhaften Einbildungskraft ausgestattet als die Abderiten; und das Gemälde, das ihnen Demokrit, ohne dabei an Arges zu denken, vorstellte, war mehr als ihre kleinen Seelchen aushalten konnten. Einige seufzten laut vor Behaglichkeit; andere sahen aus, als ob sie die wollüstigen Gerüche, die in ihrer Phantasie düfteten, mit Mund und Nase einschlürfen wollten; die schöne Juno sank mit dem Kopf auf ein Polster des Canapees zurück, schloß ihre großen Augen halb, und befand sich unvermerkt am blumigen Rand einer dieser schönen Quellen, von Rosen- und Citronenbäumen umschattet, aus deren Zweigen Wolken von ambrosischen Düften auf sie herabwallten. In einer sanften Betäubung von süßen Empfindungen begann sie eben einzuschlummern: als sie einen Jüngling, schön wie Bacchus und dringend wie Amor, zu ihren Füßen liegen sah. Sie richtete sich auf, ihn desto besser betrachten zu können, und sah ihn so schön, so zärtlich, daß die Worte, womit sie seine Verwegenheit bestrafen wollte, auf ihren Lippen erstarben. Kaum hatte sie —Und wie meinen Sie (fuhr Demokrit fort), daß dieses zauberische Land heißt, von dessen Schönheiten alles, was ich davon sagen könnte, Ihnen kaum den Schatten eines Begriffs geben würde? Es ist eben dieses Aethiopien, welches mein gelehrter Freund hier mit Ungeheuern von Menschen bevölkert, die eines so schönen Vaterlandes ganz unwürdig sind. Aber eine Sache, die er mir für wahr nachsagen kann, ist: daß es in ganz Aethiopien und Libyen (wiewohl diese Namen eine Menge verschiedener Völker umfassen) keinen Menschen gibt, der seine Nase nicht eben da trüge wo wir, nicht eben so viel Augen und Ohren hätte als wir, und kurz —Ein großer Seufzer von derjenigen Art, wodurch sich ein von Schmerz oder Vergnügen gepreßtes Herz Luft zu machen sucht, hob in diesem Augenblicke den Busen der schönen Abderitin, welche während Demokrit in seiner Rede fortfuhr, in dem Traumgesichte, worin wir sie zu belauschen Bedenken trugen (wie es scheint), auf einen Umstand gekommen war, an welchem ihr Herz auf die eine oder andere Art sehr lebhaft Antheil nahm. Da die übrigen Anwesenden nicht wissen konnten, daß die gute Dame einige hundert Meilen weit von Abdera unter einem Aethiopischen Rosenbaum in einem Meere der süßesten Wohlgerüche schwamm, tausend neue Vögel das Glück der Liebe singen hörte, tausend bunte Papagaien vor ihren Augen herumflattern sah, und zum Ueberfluß einen Jüngling mit gelben Locken und Korallenlippen zu ihren Füßen liegen hatte —so war es natürlich, daß man den besagten Seufzer mit einem allgemeinen Erstaunen empfing. Man begriff nichts davon, daß die letzten Worte Demokrits die Ursache einer solchen Wirkung gewesen seyn könnten. Was fehlt Ihnen, Lysandra? riefen die Abderitinnen aus Einem Munde, indem sie sich sehr besorgt um sie stellten. Die schöne Lysandra, die in diesem Augenblicke wieder gewahr wurde wo sie war, erröthete, und versicherte daß es nichts sey. Demokrit, der nun zu merken anfing was es war, versicherte, daß ein paar Züge frischer Luft alles wieder gut machen würden; aber in seinem Herzen beschloß er, künftig seine Gemälde nur mit Einer Farbe zu malen, wie die Maler in Thracien. Gerechte Götter! dacht' er, was für eine Einbildungskraft diese Abderitinnen haben!Nun, meine schönen Neugierigen, fuhr er fort, was meinen Sie, von welcher Farbe die Einwohner eines so schönen Landes sind."Von welcher Farbe? — Warum sollten sie eine andere Farbe haben als die übrigen Menschen? Sagten Sie uns nicht daß sie die Nase mitten im Gesichte trügen, und in allem Menschen wären, wie wir Griechen?"Menschen, ohne Zweifel; aber sollten sie darum weniger Menschen seyn, wenn sie schwarz oder olivenfarb wären?"Was meinen Sie damit?"Ich meine, daß die schönsten unter den Aethiopischen Nationen (nämlich diejenigen, die nach unserm Maßstabe die schönsten, das ist, uns die ähnlichsten sind) durchaus olivenfarb wie die Aegyptier, und diejenigen, welche tiefer im festen Lande und in den mittäglichsten Gegenden wohnen, vom Kopf bis zur Fußsohle so schwarz und noch ein wenig schwärzer sind als die Raben zu Abdera."Was Sie sagen! — Und erschrecken die Leute nicht vor einander, wenn sie sich ansehen?"Erschrecken? Warum dieß? Sie gefallen sich sehr mit ihrer Rabenschwärze, And finden daß nichts schöner seyn könne."O das ist lustig! —riefen die Abderitinnen. —Schwarz am ganzen Leibe, als ob sie mit Pech überzogen wären, sich von Schönheit träumen zu lassen! Was das für ein dummes Volk seyn muß! Haben sie denn keine Maler, die ihnen den Apollo, den Bacchus, die Göttin der Liebe und die Grazien malen? Oder könnten sie nicht schon von Homer lernen, daß Juno weiße Arme, Thetis Silberfüße, und Aurora Rosenfinger hat?"Ach, erwiederte Demokrit, die guten Leute haben keinen Homer; oder wenn sie einen haben, so dürfen wir uns darauf verlassen, daß seine Juno kohlschwarze Arme hat. Von Malern habe ich in Aethiopien nichts gehört. Aber ich sah ein Mädchen, dessen Schönheit unter seinen Landsleuten beinahe eben so viel Unheil anrichtete, als die Tochter der Leda unter den Griechen und Trojanern; und diese afrikanische Helena war schwärzer als Ebenholz."O beschreiben Sie uns doch dies Ungeheuer von Schönheit!" riefen die Abderitinnen, die, aus dem natürlichsten Grunde von der Welt, an dieser Unterredung unendlich viel Vergnügen fanden.Sie werden Mühe haben sich einen Begriff davon zu machen. Stellen Sie sich das völlige Gegentheil des griechischen Ideals der Schönheit vor: die Größe einer Grazie und die Fülle einer Demeter; schwarze Haare, aber nicht in langen wallenden Locken um die Schultern fließend, sondern kurz und von Natur kraus wie Schafwolle. Die Stirne breit und stark gewölbt; die Nase aufgestülpt, und in der Mitte des Knorpels flach gedrückt; die Wangen rund wie die Backen eines Trompeters, der Mund groß —Philinna lächelte, um zu zeigen, wie klein der ihrige sey.Die Lippen sehr dick und aufgeworfen, und zwei Reihen von Zähnen wie Perlenschnuren —Die Schönen lachten insgesammt, wiewohl sie keine andre Ursache dazu haben konnten, als ihre eignen Zähne zu weisen; denn was war sonst hier zu lachen?"Aber ihre Augen?" fragte Lysandra. —O was die betrifft, die waren so klein und so wasserfarbig, daß ich lange nicht von mir erhalten konnte, sie schön zu finden —"Demokrit ist für Homers Kuhaugen, wie es scheint," sagte Myris, indem sie einen höhnischen Seitenblick auf die Schöne mit den großen Augen warf.In der That (versetzte Demokrit, mit einer Miene, woraus ein Tauber geschlossen hätte daß er ihr die größte Schmeichelei sage), schöne Augen müßten sehr groß seyn, wenn ich sie zu groß finden sollte; und häßliche können, däucht mich, nie zu klein zu seyn.Die schöne Lysandra warf einen triumphirenden Blick auf ihre Schwestern, und schüttete dann eine ganze Glorie von Zufriedenheit aus ihren großen Augen auf den glücklichen Demokrit herab."Darf man wissen, was Sie unter schönen Augen verstehen?" — fragte die kleine Myris, indem sich ihre Nase merklich spitzte.Ein Blick der schönen Lysandra schien ihm zu sagen: Sie werden nicht verlegen seyn die Antwort auf diese Frage zu finden.Ich verstehe darunter Augen, in denen sich eine schöne Seele malt, sagte Demokrit.Lysandra sah albern aus, wie eine Person, der man etwas Unerwartetes gesagt hat, und die keine Antwort darauf finden kann. — "Eine schöne Seele!" — dachten die Abderitinnen alle zugleich. — "Was für wunderliche Dinge der Mann aus fernen Landen mitgebracht hat! Eine schöne Seele! Dieß ist noch über seine Affen und Papagaien!""Aber mit allen diesen Subtilitäten," sagte der dicke Rathsherr, "kommen wir von der Hauptsache ab. Mir däucht, die Rede war von der schönen Helene aus Aethiopien, und ich möchte doch wohl hören, was die ehrlichen Leute so Schönes an ihr finden konnten."Alles, antwortete Demokrit."So müssen sie gar keinen Begriff von Schönheit haben," sagte der Gelehrte.Um Vergebung, erwiederte der Erzähler; weil diese Aethiopische Helena der Gegenstand aller Wünsche war, so läßt sich sicher schließen, daß sie der Idee von Schönheit glich, die jeder in seiner Einbildung fand."Sie sind aus der Schule des Parmenides?" sagte der Gelehrte, indem er sich in eine streitbare Positur setzte.Ich bin nichts — als ich selbst, welches sehr wenig ist, erwiederte Demokrit halb erschrocken. Wenn Sie dem Wort Idee gram sind, so erlauben Sie mir mich anders auszudrücken. Die schöne Gulleru —so nannte man die Schwarze, von der wir reden —Gulleru? riefen die Abderitinnen, indem sie in ein Gelächter ausbrachen, das kein Ende nehmen wollte; Gulleru! welch ein Name! — Und wie ging es mit ihrer schönen Gulleru? fragte die spitznäsige Myris mit einem Blick und in einem Tone, der noch dreimal spitziger als ihre Nase war.Wenn Sie mir jemals die Ehre erweisen mich zu besuchen, antwortete der gereifte Mann mit der ungezwungensten Höflichkeit, so sollen Sie erfahren, wie es mit der schönen Gulleru gegangen ist. Jetzt muß ich diesem Herrn mein Versprechen halten. Die Gestalt der schönen Gulleru also —(Der schönen Gulleru, wiederholten die Abderitinnen und lachten von neuem, aber ohne daß Demokrit sich dießmal unterbrechen ließ.)— flößte zu ihrem Unglück den Jünglingen ihres Landes die stärkste Leidenschaft ein. Dieß scheint zu beweisen, daß man sie schön gefunden habe; und ohne Zweifel lag der Grund, weßwegen man sie schön fand, in allem dem, warum man sie nicht für häßlich hielt. Diese Aethiopier fanden also einen Unterschied zwischen dem was ihnen schön und was ihnen nicht schön vorkam; und wenn zehn verschiedene Aethiopier in ihrem Urtheile von dieser Helena übereinstimmten, so kam es vermuthlich daher, weil sie einerlei Begriff oder Modell von Schönheit und Häßlichkeit hatten."Dieß folgt nicht! sagte der Abderitische Gelehrte. Konnte nicht unter zehn jeder etwas Anderes an ihr liebenswürdig finden?"Der Fall ist nicht unmöglich; aber er beweist nichts gegen mich. Gesetzt, der eine hätte ihre kleinen Augen, ein anderer ihre schwellenden Lippen, ein dritter ihre großen Ohren bewundernswürdig gefunden: so setzt auch dieß immer eine Vergleichung zwischen ihr und andern Aethiopischen Schönen voraus. Die übrigen hatten Augen, Ohren und Lippen sowohl wie Gulleru. Wenn man also die ihrigen schöner fand, so mußte man ein gewisses Modell der Schönheit haben, mit welchem man zum Beispiel ihre Augen und andre Augen verglich; und dieß ist alles, was ich mit meinem Ideal sagen wollte."Indessen (erwiederte der Gelehrte) werden Sie doch nicht behaupten wollen, daß diese Gulleru schlechterdings die Schönste unter allen schwarzen Mädchen vor ihr, neben ihr und nach ihr gewesen sey? Ich meine, die Schönste in Vergleichung mit dem Modelle, wovon Sie sagten."Ich wüßte nicht, warum ich dieß behaupten sollte, versetzte Demokrit."Es konnte also eine geben, die zum Beispiel noch kleinere Augen, noch dickere Lippen, noch größere Ohren hatte?"Möglicherweise, so viel ich weiß."Und in Absicht dieser letztern gilt ohne Zweifel die nämliche Voraussetzung, und so ins Unendliche. Die Aethiopier hatten also kein Modell der Schönheit; man müßte denn sagen, daß sich unendlich kleine Augen, unendlich dicke Lippen, unendlich große Ohren denken lassen?"Wie subtil die Abderitischen Gelehrten sind! dachte Demokrit. Wenn ich eingestand, sagte er, daß es ein schwarzes Mädchen geben könne, welche kleinere Augen oder dickere Lippen hätte als Gulleru, so sagte ich damit noch nicht, daß dieses schwarze Mädchen den Aethiopiern darum schöner hätte vorkommen müssen als Gulleru. Das Schöne hat nothwendig ein bestimmtes Maß, und was über solches ausschweift, entfernt sich eben so davon, wie das, was unter ihm bleibt. Wer wird daraus, daß die Griechen in die Größe der Augen und in die Kleinheit des Mundes ein Stück der vollkommenen Schönheit setzen, den Schluß ziehen: eine Frau, deren Augapfel einen Daumen im Durchschnitt hielten, oder deren Mund so klein wäre, daß man Mühe hätte einen Strohhalm hineinzubringen, müßte von den Griechen für desto schöner gehalten werden?Der Abderit war geschlagen, wie man sieht, und fühlte daß er's war. Aber ein Abderitischer Gelehrter hätte sich eher erdrosseln lassen, als so was einzugestehen. Waren nicht Philinnen und Lysandren, und ein kurzer dicker Rathsherr da, an deren Meinung von seinem Verstand ihm gelegen war? Und wie wenig kostete es ihm, Abderiten und Abderitinnen auf seine Seite zu bringen! — In der That wußte er nicht sogleich, was er sagen sollte. Aber in fester Zuversicht, daß ihm noch was einfallen werde, antwortete er indessen durch ein höhnisches Lächeln; welches zugleich andeutete, daß er die Gründe seines Gegners verachte, und daß er im Begriff sey den entscheidenden Streich zu führen. "Ist's möglich, rief er endlich in einem Ton, als ob dieß die Antwort auf Demokrits letzte Rede sey, können Sie die Liebe zum Paradoxen so weit treiben, im Angesicht dieser Schönen zu behaupten, daß ein Geschöpf, wie Sie uns diese Gulleru beschrieben haben, eine Venus sey?"Sie scheinen vergessen zu haben, versetzte Demokrit sehr gelassen, daß die Rede nicht von mir und dieser Schönen, sondern von Aethiopien war. Ich behauptete nichts: ich erzählte nur was ich gesehen hatte. Ich beschrieb Ihnen eine Schönheit nach Aethiopischem Geschmack. Es ist nicht meine Schuld, wenn die Griechische Häßlichkeit in Aethiopien Schönheit ist. Auch seh' ich nicht, was mich berechtigen könnte, zwischen den Griechen und Aethiopiern zu entscheiden. Ich vermuthe es könnte seyn daß beide Recht hätten.Ein lautes Gelächter, dergleichen man aufschlägt wenn jemand etwas unbegreiflich Ungereimtes gesagt hat, wieherte dem Philosophen aus allen anwesenden Hälsen entgegen."Laß hören, lass' doch hören, rief der dicke Rathsherr indem er seinen Wanst mit beiden Händen hielt, was unser Landsmann sagen kann, um zu beweisen daß beide Recht haben! Ich höre für mein Leben gern so was behaupten. Wofür hätte man auch sonst euch gelehrte Herren? — Die Erde ist rund; der Schnee ist schwarz; der Mond ist zehnmal so groß als der ganze Peloponnes; Achilles kann keine Schnecke im Laufen einholen. —Nicht wahr, Herr Antistrepsiades? — Nicht wahr, Herr Demokrit? —Sie sehen, daß ich auch ein wenig in Ihren Mysterien eingeweiht bin. Ha, ha, ha!"Die sämmtlichen Abderiten und Abderitinnen erleichterten sympathetischerweise ihre Lungen abermals, und Herr Antistrepsiades, der einen Anschlag auf die Abendmahlzeit des jovialischen Rathsherrn gemacht hatte, unterstützte gefällig das allgemeine Gelächter mit lautem Händeklatschen.

Fünftes Kapitel.

Unerwartete Auflösung des Knotens, mit einigen neuen Beispielen von Abderitischem Witz.

Demokrit war in der Laune, sich mit seinen Abderiten, und den Abderiten mit sich, Kurzweile zu machen. Zu weise, ihnen irgend eine von ihren National- oder Individual-Unarten übel zu nehmen, konnt' er es sehr wohl leiden, daß sie ihn für einen überklugen Mann ansahen, der seinen Abderitischen Mutterwitz auf seiner langen Wanderschaft verdünstet hätte, und nun zu nichts gut wäre, als ihnen mit seinen Einfällen und Grillen etwas zu lachen zu geben. Er fuhr also, nachdem sich das Gelächter über den witzigen Einfall des dicken Rathsherrn endlich gelegt hatte, mit seinem gewöhnlichen Phlegma fort, wo ihn der kleine jovialische Mann unterbrochen hatte:Sagt' ich nicht, wenn die Griechische Häßlichkeit in Aethiopien Schönheit sey, so könnte wohl seyn daß beide Theile Recht hätten?"Ja, ja, das sagten Sie, und ein Mann steht für sein Wort."Wenn ich es gesagt habe, so muß ich's wohl behaupten; das versteht sich, Herr Antistrepsiades."Wenn Sie können."Bin ich etwan nicht auch ein Abderit? Und zudem brauch' ich hier nur die Hälfte meines Satzes zu beweisen, um das Ganze bewiesen zu haben: denn daß die Griechen Recht haben, darf nicht erst bewiesen werden; dieß ist eine Sache, die in allen Griechischen Köpfen schon längst ausgemacht ist. Aber daß die Aethiopier auch Recht haben, da liegt die Schwierigkeit! — Wenn ich mit Sophismen fechten, oder mich begnügen wollte meine Gegner stumm zu machen, ohne sie zu überzeugen, so würd' ich, als Anwalt der Aethiopischen Venus, die ganze Streitfrage dem innern Gefühl zu entscheiden überlassen. Warum, würd' ich sagen, nennen die Menschen diese oder jene Figur, diese oder jene Farbe schön? — Weil sie ihnen gefällt. — Gut; aber warum gefällt sie ihnen? —Weil sie ihnen angenehm ist. — Und warum ist sie ihnen angenehm? — O mein Herr, würde ich sagen, Sie müssen endlich aufhören zu fragen, oder — ich höre auf zu antworten. Ein Ding ist uns angenehm, weil es — einen Eindruck auf uns macht der uns angenehm ist. Ich fordre alle Ihre Grübler heraus, einen bessern Grund anzugeben. Nun würd' es lächerlich seyn, einem Menschen abstreiten zu wollen, daß ihm angenehm sey was ihm angenehm ist; oder ihm zu beweisen, er habe Unrecht sich wohlgefallen zu lassen, was einen wohlgefallenden Eindruck auf ihn macht. Wenn also die Figur einer Gulleru seinen Augen wohl thut, so gefällt sie ihm, und wenn sie ihm gefällt, so nennt er sie schön, oder es müßte gar kein solches Wort in seiner Sprache seyn. "Und wenn — und wenn ein Wahnwitziger Pferdeäpfel für Pfirschen äße?" sagt Antistrepsiades."Pferdeäpfel für Pfirschen! — Gut gesagt, bei meiner Ehre! gut gesagt," rief der Rathsherr. "Knacken Sie das auf Herr Demokrit!""Fi, Fi, doch, Demokrit," lispelte die schöne Myris, indem sie die Hand vor die Nase hielt; "wer wird auch von Pferdeäpfeln reden? Schonen Sie wenigstens unsrer Nasen!"Jedermann sieht, daß sich die schöne Myris mit diesem Verweise an den witzigen Antistrepsiades hätte wenden sollen, der die Pferdeäpfel zuerst aufgetragen hatte, und an den Rathsherrn, der Demokriten gar zumuthete sie aufzuknacken. Aber es war nun einmal darauf abgesehen, den gereisten Mann lächerlich zu machen. Der Instinct vertrat bei den sämmtlichen Anwesenden hierin die Stelle einer Verabredung, und Myris konnte diese schöne Gelegenheit zu einem Stich, der die Lacher auf ihre Seite brachte, unmöglich entwischen lassen. Denn gerade der Umstand, daß Demokrit, der ohnehin an den Aepfeln des Antistrepsiades genug zu schlucken hatte, noch obendrein einen Verweis deßwegen erhielt, kam den Abderiten und Abderitinnen so lustig vor, daß sie alle zugleich zu lachen anfingen, und sich völlig so gebärdeten, als ob der Philosoph nun aufs Haupt geschlagen sey und gar nicht wieder aufstehen könne.Zu viel ist zu viel. Der gute Demokrit hatte zwar in zwanzig Jahren viel erwandert: aber seitdem er aus Abdera gegangen war, war ihm kein zweites Abdera aufgestoßen; und nun, da er wieder drinn war, zweifelte er zuweilen auf einen oder zwei Augenblicke, ob er irgendwo sey? Wie war es möglich, mit solchen Leuten fertig zu werden?"Nun, Vetter?" —sagte der Rathsherr, "kannst du die Pferdeäpfel des Antistrepsiades nicht hinunter kriegen? Ha, ha, ha!"Dieser Einfall war zu Abderitisch, um die Zärtlichkeit der sämmtlichen gebogenen, stumpfen, viereckigen und spitzigen Nasen in der Gesellschaft nicht zu überwältigen.Die Damen kicherten ein zirpenden Hi, hi, hi, in das dumpfe donnernde Ha, ha, ha, der Mannspersonen.Sie haben gewonnen, rief Demokrit; und zum Zeichen daß ich mein Gewehr mit guter Art strecke, sollen Sie sehen, ob ich die Ehre verdient Ihr Landsmann und Vetter zu seyn. Und nun fing er an, mit einer Geschicklichkeit worin ihm kein Abderit gleich kam, von der untersten Note, stufenweise crescendo, bis zum Unisono mit dem Hi, hi, hi, der schönen Abderitinnen, ein Gelächter aufzuschlagen, dergleichen, so lange Abdera auf Thracischem Boden stand, nie erhört worden war.Anfangs machten die Damen Miene als ob sie Widerstand thun wollten; aber es war keine Möglichkeit gegen das verzweifelte Crescendo auszuhalten. Sie wurden endlich davon wie von einem reißenden Strom ergriffen; und da die Gewalt der Ansteckung noch dazu schlug, so kam es bald so weit, daß die Sache ernsthaft wurde. Die Frauenzimmer baten mit weinenden Augen um Barmherzigkeit. Aber Demokrit hatte keine Ohren, und das Gelächter nahm überhand. Endlich ließ er sich, wie es schien, bewegen, ihnen einen Stillstand zu bewilligen; allein in der That bloß, damit sie die Peinigung, die er ihnen zugedacht hatte, desto länger aushalten könnten. Denn kaum waren sie wieder ein wenig zu Athem gekommen, so fing er die nämliche Tonleiter, eine Terze höher, noch einmal zu durchlachen an, aber mit so vielen eingemischten Trillern und Rouladen, daß sogar die runzeligen Beisitzer des Höllengerichts, Minos, Aeakus und Rhadamanthus, in ihrem höllenrichterlichen Ornat, aus der Fassung dadurch gekommen wären.Zum Unglück hatten zwei oder drei von unsern Schönen nicht daran gedacht, ihre Personen gegen alle möglichen Folgen einer so heftigen Leibesübung in Sicherheit zu setzen. Scham und Natur kämpften auf Leben und Tod in den armen Mädchen. Vergebens flehten sie den unerbittlichen Demokrit mit Mund und Augen um Gnade an; vergebens forderten sie ihre vom Lachen gänzlich erschlafften Sehnen zu einer letzten Anstrengung auf. Die tyrannische Natur siegte, und in einem Augenblick sah man den Saal, wo sich die Gesellschaft befand, u**** W***** g*****Der Schrecken über eine so unversehene Naturerscheinung (die desto wunderbarer war, da das allgemeine Auffahren und Erstaunen der schönen Abderitinnen zu beweisen schien, daß es eine Wirkung ohne Ursache sey) unterbrach die Lacher auf etliche Augenblicke, um sogleich mit verdoppelter Gewalt wieder los zu drücken. Natürlicherweise gaben sich die erleichterten Schönen alle Mühe, den besondern Antheil, den sie an dieser Begebenheit hatten, durch Grimassen von Erstaunen und Ekel zu verbergen, und den Verdacht auf ihre schuldlosen Nachbarinnen fallen zu machen, welche durch unzeitige, aber unfreiwillige Schamröthe den unverdienten Argwohn mehr als zu viel bestärkten. Der lächerliche Zank, der sich darüber unter ihnen erhob; Demokrit und Antistrepsiades, die sich boshafterweise ins Mittel schlugen, und durch ironische Trostgründe den Zorn derjenigen, die sich unschuldig wußten, noch mehr aufreizten; und mitten unter ihnen allen der kleine dicke Rathsherr, der unter berstendem Gelächter einmal über das andere ausrief, daß er nicht die Hälfte von Thracien um diesen Abend nehmen wollte: alles dieß zusammen machte eine Scene, die des Griffels eines Hogarth würdig gewesen wäre, wenn es damals schon einen Hogarth gegeben hätte.Wir können nicht sagen, wie lange sie gedauert haben mag: denn es ist eine von den Tugenden der Abderiten, daß sie nicht aufhören können. Aber Demokrit, bei dem alles seine Zeit hatte, glaubte, daß eine Komödie, die kein Ende nimmt, die langweiligste unter allen Kurzwellen sey; — eine Wahrheit, von welcher wir (im Vorbeigehn gesagt) alle unsre Dramenschreiber und Schauspielvorsteher überzeugen zu können wünschen möchten — er packte also alle die schönen Sachen, die er zur Rechtfertigung der Aethiopischen Venus hätte sagen können, wofern er es mit vernünftigen Geschöpfen zu thun gehabt hätte, ganz gelassen zusammen, wünschte den Abderiten und Abderitinnen — was sie nicht hatten, und ging nach Hause, nicht ohne Verwunderung über die gute Gesellschaft, die man anzutreffen Gefahr lief, wenn man — einen Rathsherrn von Abdera besuchte.
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Sechstes Kapitel.

Eine Gelegenheit für den Leser, um sein Gehirn aus der schaukelnden Bewegung des vorigen Kapitels wieder in Ruhe zu setzen.

Gute, kunstlose, sanftherzige Gulleru —sagte Demokrit, da er nach Hause gekommen war, zu einer wohlgepflegten krauslockigen Schwarzen, die ihm mit offnen Armen entgegen eilte — komm an meinen Busen, ehrliche Gulleru! Zwar bist du schwarz wie die Göttin der Nacht; dein Haar ist wollicht und deine Nase platt; deine Augen sind klein, deine Ohren groß, und deine Lippen gleichen einer aufgeborstnen Nelke. Aber dein Herz ist rein und aufrichtig und fröhlich, und fühlt mit der ganzen Natur. Du denkst nie Arges, sagst nie was Albernes, quälst weder andre noch dich selbst, und thust nichts was du nicht gestehen darfst. Deine Seele ist ohne Falsch, wie dein Gesicht ohne Schminke. Du kennst weder Neid noch Schadenfreude; und nie hat sich deine ehrliche platte Nase gerümpft, um eines deiner Nebengeschöpfe zu höhnen oder in Verlegenheit zu setzen. Unbesorgt, ob du gefällst oder nicht gefällst, lebst du, in deine Unschuld eingehüllt, im Frieden mit dir selbst und der ganzen Natur; immer geschickt Freude zu geben und zu empfangen, und werth, daß das Herz eines Mannes an deinem Busen ruhe! Gute, sanftherzige Gulleru! Ich könnte dir einen andern Namen geben; einen schönen, klangreichen, Griechischen Namen, auf ane oder ide, arion oder erion: aber dein Name ist schön genug, weil er dein ist; und ich bin nicht Demokrit, oder die Zeit soll noch kommen, wo jedes ehrliche gute Herz dem Namen Gulleru entgegen schlagen soll!Gulleru begriff nicht allzuwohl, was Demokrit mit dieser empfindsamen Anrede haben wollte; aber sie sah, daß es eine Ergießung seines Herzens war, und so verstand sie gerade so viel davon, als sie vonnöthen hatte."War diese Gulleru seine Frau?"Nein."Seine Beischläferin?"Nein."Seine Sklavin?"Nach ihrem Anzug zu schließen, nein."Wie war sie denn angezogen?"So gut, daß sie ein Ehrenfräulein der Königin von Saba hätte vorstellen können. Schnüre von großen feinen Perlen zwischen den Locken und um Hals und Arme; ein Gewand voll schön gebrochner Falten, von dünnem feuerfarbnem Atlaß mit Streifen von welcher Farbe Sie wollen, unter ihrem Busen von einem reich gestickten Gürtel zusammen gehalten, den eine Agraffe von Smaragden schloß; und — was weiß ich alles —"Der Anzug war reich genug."Wenigstens können Sie mir glauben, daß, so wie sie war, kein Prinz von Senegal, Angola, Gambia, Kongo und Loango sie ungestraft angesehen hätte."Aber —"Ich sehe wohl, daß sie noch nicht am Ende Ihrer Fragen sind. — Wer war denn diese Gulleru? war es eben die, von welcher vorhin gesprochen wurde? Wie kam Demokrit zu ihr? Auf welchem Fuß lebte sie in seinem Hause? —Ich gesteh' es, dieß sind sehr billige Fragen; aber sie zu beantworten, seh' ich vor der Hand keine Möglichkeit. Denken Sie nicht, daß ich hier den verschwiegenen machen wolle, oder daß ein besonderes Geheimniß unter der Sache stecke. Die Ursache, warum ich sie nicht beantworten kann, ist die allereinfachste von der Welt. Tausend Schriftsteller befinden sich tausendmal in dem nämlichen Falle: nur ist unter tausend kaum Einer aufrichtig genug, in solchen Fällen die wahre Ursache zu bekennen. Soll ich Ihnen die meinige sagen? Sie werden gestehen, daß sie über alle Einwendung ist. Denn, kurz und gut — ich weiß selbst kein Wort von allem dem, was Sie von mir wissen wollen; und da ich nicht die Geschichte der schönen Gulleru schreibe, so begreifen Sie, daß ich in Absicht auf diese Dame zu nichts verbunden bin. Sollte sich (was ich nicht vorher sehen kann) etwa in der Folge Gelegenheit finden von Demokrit oder von ihr selbst etwas Näheres zu erkundigen; so verlassen Sie sich darauf, daß Sie alles von Wort zu Wort erfahren sollen.
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Siebentes Kapitel.

Patriotismus der Abderiten. Ihre Vorneigung für Athen, als ihre Mutterstadt. Ein paar Proben von ihrem Atticismus, und von der unangenehmen Aufrichtigkeit des weisen Demokrit.

Demokrit hatte noch keinen Monat unter den Abderiten gelebt, als er ihnen, und zuweilen auch sie ihm schon so unerträglich waren, als Menschen einander seyn müssen, die mit ihren Begriffen und Neigungen alle Augenblicke wider einander stoßen.Die Abderiten hegten von sich selbst und von ihrer Stadt und Republik eine ganz außerordentliche Meinung. Ihre Unwissenheit alles dessen, was außerhalb ihres Gebiets in der Welt Merkwürdiges seyn oder geschehen möchte, war zugleich eine Ursache und eine Frucht dieses lächerlichen Dünkels. Daher kam es denn durch eine sehr natürliche Folge, daß sie sich gar keine Vorstellung machen konnten, wie etwas recht oder anständig oder gut seyn könnte, wenn es anders als zu Abdera war, oder wenn man zu Abdera gar nichts davon wußte. Ein Begriff, der ihren Begriffen widersprach, eine Gewohnheit, die von den ihrigen abging, eine Art zu denken oder etwas ins Auge zu fassen, die ihnen fremd war, hieß ihnen, ohne weitere Untersuchung, ungereimt und belachenswerth. Die Natur selbst schrumpfte für sie in den engen Kreis ihrer eigenen Thätigkeit zusammen; und wiewohl sie es nicht so weit trieben, sich, wie die Japaner, einzubilden, außer Abdera wohnten lauter Teufel, Gespenster und Ungeheuer, so sahen sie doch wenigstens den Rest des Erdbodens und seiner Bewohner als einen ihrer Aufmerksamkeit unwürdigen Gegenstand an; und wenn sie zufälligerweise Gelegenheit bekamen etwas Fremdes zu sehen oder zu hören, so wußten sie nichts davon zu machen, als sich darüber aufzuhalten, und sich selbst Glück zu wünschen, daß sie nicht wären wie andre Leute. Dieß ging so weit, daß sie denjenigen für keinen guten Bürger hielten, der an einem andern Orte bessere Einrichtungen oder Gebräuche wahrgenommen hatte als zu Hause. Wer das Glück haben wollte ihnen zu gefallen, mußte schlechterdings so reden und thun, als ob die Stadt und Republik Abdera, mit allen ihren zugehörigen Stricken, Eigenschaften und Zufälligkeiten, ganz und gar untadelig und das Ideal aller Republiken gewesen wäre.Von dieser Verachtung gegen alles, was nicht Abderitisch hieß, war die Stadt Athen allein ausgenommen; aber auch diese vermuthlich nur deßwegen, weil die Abderiten, als ehmalige Tejer, ihr die Ehre erwiesen, sie für ihre Mutterstadt anzusehen. Sie waren stolz darauf, für das Thracische Athen gehalten zu werden; und wiewohl ihnen dieser Name nie anders als spottweise gegeben wurde, so hörten sie doch keine Schmeichelei lieber als diese. Sie bemühten sich, die Athener in allen Stücken zu copiren, und copirten sie genau — wie der Affe den Menschen. Wenn sie, um lebhaft und geistreich zu seyn, alle Augenblicke ins Possirliche fielen; wichtige Dinge leichtsinnig, und Kindereien ernsthaft behandelten; das Volk oder ihren Rath um jeder Kleinigkeit willen zwanzigmal versammelten, um lange, alberne Reden für und wider über Sachen zu halten, die ein Mann von alltäglichem Menschenverstand in einer Viertelstunde besser als sie entschieden hätte wenn sie unaufhörlich mit Projecten von Verschönerung und Vergrößerung schwanger gingen, und, so oft sie etwas unternahmen, immer erst mitten im Werke ausrechneten, daß es über ihre Kräfte gehe, wenn sie ihre halb Thracische Sprache mit Attischen Redensarten spickten; ohne den mindesten Geschmack eine ungeheure Leidenschaft für die Künste affectirten, und immer von Malerei und Statuen und Musik und Rednern und Dichtern schwatzten, ohne jemals einen Maler, Bildhauer, Redner oder Dichter, der des Namens werth war, gehabt zu haben; wenn sie Tempel bauten die wie Bäder, und Bäder die wie Tempel aussahen; wenn sie die Geschichte von Vulkans Netz in ihre Rathsstube, und den großen Rath der Griechen über die Zurückgabe der schönen Chryseis in ihre Akademie malen ließen; wenn sie in Lustspiele gingen, wo man sie zu weinen, und in Trauerspiele, wo man sie zu lachen machte; und in zwanzig ähnlichen Dingen glaubten die guten Leute Athener zu seyn, und waren — Abderiten.Wie erhaben der Schwung in diesem kleinen Gedicht ist, das Physignatus auf meine Wachtel gemacht hat! sagte eine Abderitin. — Sehen Sie, sprach der erste Archon von Abdera, die Façade von diesem Gebäude, welches wir zu unserm Zeughause bestimmt haben? Sie ist von dem besten Parischen Marmor. Gestehen Sie, daß Sie nie ein Werk von größerm Geschmack gesehen haben!Es mag der Republik schönes Geld kosten, antwortete Demokrit.Was der Republik Ehre macht, kostet nie zu viel, erwiederte der Archon, der in diesem Augenblick den zweiten Perikles in sich fühlte. Ich weiß, Sie sind ein Kenner, Demokrit; denn Sie haben immer an allem etwas auszusetzen. Ich bitte Sie, finden Sie mir einen Fehler an dieser Façade?Tausend Drachmen für einen Fehler, Herr Demokrit, rief ein junger Herr, der die Ehre hatte ein Neffe des Archon zu seyn, und vor kurzem von Athen zurückgekommen war, wo er sich aus einem Abderitischen Bengel für die Hälfte seines Erbgutes zu einem attischen Gecken ausgebildet hatte.Die Façade ist schön, sagte Demokrit ganz bescheiden; so schön, daß sie es auch zu Athen oder Korinth oder Syrakus seyn würde. Ich sehe, wenn's erlaubt ist so was zu sagen, nur Einen Fehler an diesem prächtigen Gebäude."Einen Fehler?" — sprach der Archon, mit einer Miene, die sich nur ein Abderit, der ein Archon war, geben konnte.Einen Fehler! Einen Fehler! wiederholte der junge Geck, indem er ein lautes Gelächter aufschlug."Darf man fragen, Demokrit, wie Ihr Fehler heißt?"Eine Kleinigkeit, versetzte dieser; nichts als daß man eine so schöne Façade — nicht sehen kann."Nicht sehen kann? Und wie so?"Je, beim Anubis! wie wollen Sie daß man sie vor allen den alten übel gebauten Häusern und Scheunen sehen soll, die hier ringsum zwischen die Augen der Leute und Ihre Façade hingesetzt sind?"Diese Häuser standen lang' ehe Sie und ich geboren wurden," sagte der Archon.Dergleichen Dialogen gab es, so lange Demokrit unter ihnen lebte, alle Tage, Stunden und Augenblicke."Wie finden Sie diesen Purpur, Demokrit? Sie sind zu Tyrus gewesen, nicht wahr?"Ich wohl, Madame, aber dieser Purpur nicht; dieß ist Coccinum, das Ihnen die Syrakuser aus Sardinien bringen und für Tyrischen Purpur bezahlen lassen."Aber wenigstens werden Sie doch diesen Schleier für Indischen Byssus von der feinsten Art gelten lassen?"Von der feinsten Art, schöne Atalanta, die man in Memphis und Pelusium verarbeiten läßt.Nun hatte sich der ehrliche Mann zwei Feindinnen in Einer Minute gemacht. Konnte aber auch was ärgerlicher seyn als eine solche Aufrichtigkeit?
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Achtes Kapitel.

Vorläufige Nachricht von dem Abderitischen Schauspielwesen. Demokrit wird genöthigt, seine Meinung davon zu sagen.

Die Abderiten wußten sich sehr viel mit ihrem Theater. Ihre Schauspieler waren gemeine Bürger von Abdera, die entweder von ihrem Handwerke nicht leben konnten, oder zu faul waren eines zu lernen. Sie hatten keinen gelehrten Begriff von der Kunst, aber eine desto größere Meinung von ihrer eignen Geschicklichkeit; und wirklich konnt' es ihnen an Anlage nicht fehlen, da die Abderiten überhaupt geborne Gaukler, Spaßmacher und Pantomimen waren, an denen immer jedes Glied ihres Leibes mit reden half, so wenig auch das, was sie sagten, zu bedeuten haben mochte.Sie besaßen auch einen eignen Schauspieldichter, Hyperbolus genannt, der (wenn man ihnen glaubte) ihre Schaubühne so weit gebracht hatte, daß sie der Athenischen wenig nachgab. Er war im Komischen so stark als im Tragischen, und machte überdieß die possierlichsten Satyrenspiele von der Welt, worin er seine eignen Tragödien so schnakisch parodirte, daß man sich, wie die Abderiten sagten, darüber bucklig lachen mußte. Ihrem Urtheile nach vereinigte er in seiner Tragödie den hohen Schwung und die mächtige Einbildungskraft des Aeschylus mit der Beredsamkeit und dem Pathos des Euripides, so wie in seinen Lustspielen des Aristophanes Laune und muthwilligen Witz mit dem feinen Geschmack und der Eleganz des Agathon. Die Behendigkeit, womit er von seinen Werken entbunden wurde, war das Talent, worauf er sich am meisten zu gute that. Er lieferte jeden Monat seine Tragödie, mit einem kleinen Possenspielchen zur Zugabe. Meine beste Komödie, sprach er, hat mir nicht mehr als vierzehn Tage gekostet, und gleichwohl spielt sie ihre vier bis fünf Stunden wohl gezählt.Da sey uns der Himmel gnädig! dachte Demokrit.Nun drangen die Abderiten immer von allen Seiten in ihn, seine Meinung von ihrem Theater zu sagen; und so ungern er sich mit ihnen über ihren Geschmack in Wortwechsel einließ, so konnt' er doch auch nicht von sich erhalten, ihnen zu schmeicheln, wenn sie ihm sein Urtheil mit gesammter Hand abnöthigten."Wie gefällt Ihnen diese neue Tragödie?"Das Sujet ist glücklich gewählt. Was müßte der Autor auch seyn, der einen solchen Stoff ganz zu Grunde richten sollte?"Fanden Sie sie nicht sehr rührend?"Ein Stück könnte in einigen Stellen sehr rührend und doch ein sehr elendes Stück seyn, sagte Demokrit. Ich kenne einen Bildhauer von Sicyon, der die Wuth hat, lauter Liebesgöttinnen zu schnitzen. Diese sehen überhaupt sehr gemeinen Dirnen gleich; aber sie haben alle die schönsten Beine von der Welt. Das ganze Geheimniß von der Sache ist, daß der Mann seine Frau zum Modelle nimmt, die, zum Glück für seine Venusbilder, wenigstens sehr schöne Beine vorzuweisen hat. So kann dem schlechtesten Dichter zuweilen eine rührende Stelle gelingen, wenn es sich gerade zutrifft, daß er verliebt ist, oder einen Freund verlor, oder daß ihm sonst ein Zufall zustieß, der sein Herz in eine Fassung setzt, die es ihm leicht macht, sich an den Platz der Person, die er reden lassen soll, zu stellen."Sie finden also die Hekuba unsers Dichters nicht vortrefflich?"Ich finde, daß der Mann vielleicht sein Bestes gethan hat. Aber die vielen, bald dem Aeschylus, bald dem Sophokles, bald dem Euripides ausgerupften Federn, womit er seine Blöße zu decken sucht, und die ihm vielleicht in den Augen mancher Zuhörer, denen jene Dichter nicht so gegenwärtig sind als mir, Ehre machen, schaden ihm in den meinigen. Eine Krähe, wie sie von Gott erschaffen ist, dünkt mich so noch immer schöner, als wenn sie sich mit Pfauen- und Fasanenfedern aufputzt. Ueberhaupt fordre ich von dem Verfasser eines Trauerspiels mit gleichem Rechte, daß er mir für meinen Beifall ein vortreffliches Trauerspiel, als von meinem Schuster, daß er mir für mein Geld ein Paar gute Stiefeln liefere: und wiewohl ich gern gestehe, daß es schwerer ist ein gutes Trauerspiel als gute Stiefeln zu machen; so bin ich darum nicht weniger berechtiget, von jedem Trauerspiele zu verlangen, daß es alle Eigenschaften habe die zu einem guten Trauerspiel, als von einem Stiefel, daß er alles habe was zu einem guten Stiefel gehört."Und was gehört denn, Ihrer Meinung nach, zu einem wohl gestiefelten Trauerspiele?" — fragte ein junger Abderitischer Patricius, herzlich über den guten Einfall lachend, der ihm, seiner Meinung nach, entfahren war.Demokrit unterhielt sich über diesen Gegenstand mit einem kleinen Kreise von Personen die ihm zuzuhören schienen, und fuhr, ohne auf die Frage des witzigen jungen Herrn Acht zu haben, fort. "Die wahren Regeln der Kunstwerke, sprach er, können nie willkürlich seyn. Ich fordre nichts von einem Trauerspiele, als was Sophokles von den seinigen fordert; und dieß ist weder mehr noch weniger, als die Natur und Absicht der Sache mit sich bringt. Einen einfachen wohldurchdachten Plan, worin der Dichter alles vorausgesehen, alles vorbereitet, alles natürlich zusammengefügt, alles auf Einen Punkt geführt hat; worin jeder Theil ein unentbehrliches Glied, und das Ganze ein wohl organisirter, schöner, frei und edel sich bewegender Körper ist! Keine langweilige Exposition, keine Episoden, keine Scenen zum Ausfüllen, keine Reden deren Ende man mit Ungeduld herbeigähnt, keine Handlungen die nicht zum Hauptzwecke arbeiten! Interessante, aus der Natur genommene Charaktere, veredelt, aber so, daß man die Menschheit in ihnen nie verkenne; keine übermenschlichen Tugenden, keine Ungeheuer von Bosheit! Personen, die immer ihren eigenen Individual-Begriffen und Empfindungen gemäß reden und handeln; immer so, daß man fühlt, nach allen ihren vorhergehenden und gegenwärtigen Umständen und Bestimmungen müssen sie im gegebenen Falle so reden, so handeln, oder aufhören zu seyn was sie sind."Ich fordre, daß der Dichter nicht nur die menschliche Natur kenne, insofern sie das Modell aller seiner Nachbildungen ist; ich fordre, daß er auch auf die Zuschauer Rücksicht nehme, und genau wisse durch welche Wege man sich ihres Herzens Meister macht; daß er jeden starken Schlag, den er auf solches thun will, unvermerkt vorbereite; daß er wisse wenn es genug ist, und, eh' er uns durch einerlei Eindrücke ermüdet, oder einen Affekt bis zu dem Grade, wo er peinigend zu werden anfängt, in uns erregt, dem Herzen kleine Ruhepunkte zur Erholung gönne, und die Regungen, die er uns mittheilt ohne Nachtheil der Hauptwirkung zu vermannichfaltigen wisse."Ich fordre von ihm eine schöne und ohne Aengstlichkeit mit äußerstem Fleiße polirte Sprache; einen immer warmen kräftigen Ausdruck, einfach und erhaben, ohne jemals zu schwellen noch zu sinken, stark und nervig, ohne rauh und steif zu werden, glänzend, ohne zu blenden; wahre Heldensprache, die immer der lebende Ausdruck einer großen Seele und unmittelbar vom gegenwärtigen Gefühl eingegeben ist, nie zu viel nie zu wenig sagt, und, gleich einem dem Körper angegoss'nen Gewand, immer den eigenthümlichen Geist des Redenden durchscheinen läßt."Ich fordre, daß derjenige, der sich unterwindet Helden reden zu lassen, selbst eine große Seele habe; und indem er durch die Allgewalt der Begeisterung in seinen Helden verwandelt worden ist, alles, was er ihm in den Mund legt, in seinem eignen Herzen finde. Ich fordre —"O Herr Demokrit —riefen die Abderiten, die sich nicht länger zu halten wußten —Sie können, da Sie nun einmal im Fordern sind, alles fordern was Ihnen beliebt. In Abdera läßt man sich mit wenigerm abfinden. Wir sind zufrieden, wenn uns ein Dichter rührt. Der Mann, der uns lachen oder weinen macht, ist in unsern Augen ein göttlicher Mann, mag er es doch anfangen wie er selbst will. Dieß ist seine Sache, nicht die unsrige! Hyperbolus gefällt uns, rührt uns, macht uns Spaß; und gesetzt auch, daß er uns mitunter gähnen machte, so bleibt er doch immer ein großer Dichter! Brauchen wir eines weitern Beweises?"Die Schwarzen an der Goldküste, sagte Demokrit, tanzen mit Entzücken zum Getöse eines armseligen Schaffells und etlicher Bleche, die sie gegeneinander schlagen. Gebt ihnen noch ein paar Kuhschellen und eine Sackpfeife dazu, so glauben sie in Elysium zu seyn. Wie viel Witz brauchte eure Amme, um euch, da ihr noch Kinder waret, durch ihre Erzählungen zu rühren? Das albernste Mährchen, in einem kläglichen Tone hergeleyert, war dazu gut genug. Folgt aber daraus, daß die Musik der Schwarzen vortrefflich, oder ein Ammenmährchen gleich ein herrliches Werk ist?"Sie sind sehr höflich, Demokrit!"Um Vergebung! Ich bin so unhöflich, jedes Ding bei seinem Namen zu nennen; und so eigensinnig, daß ich nie gestehen werde, alles sey schön und vortrefflich was man so zu nennen beliebt.Aber das Gefühl eines ganzen Volkes wird doch mehr gelten, als der Eigendünkel eines Einzigen?"Eigendünkel? Das ist es eben, was ich aus den Künsten der Musen verbannt sehen möchte. Unter allen den Forderungen, wovon die Abderiten ihren Günstling Hyperbolus so gütig loszählen, ist keine einzige, die nicht auf die strengste Gerechtigkeit gegründet wäre. Aber das Gefühl eines ganzen Volkes, wenn es kein gelehrtes Gefühl ist, kann und muß in unzähligen Fällen betrüglich seyn."Wie, zum Henker! (rief ein Abderit, der mit seinem Gefühl sehr wohl zufrieden schien) Sie werden uns am Ende wohl gar noch unsre fünf Sinne streitig machen."Das verhüte der Himmel! antwortete Demokrit. Wenn Sie so bescheiden sind keine weiteren Ansprüche zu machen als auf fünf Sinne, so wär' es die größte Ungerechtigkeit, Sie im ruhigen Besitze derselben stören zu wollen. Fünf Sinne sind allerdings, zumal wenn man alle fünf zusammennimmt, vollgültige Richter in allen Dingen, wo es darauf ankommt, zu entscheiden, was weiß oder schwarz, glatt oder rauh, weich oder hart, widerlich oder angenehm, bitter oder süß ist. Ein Mann, der nie weiter geht, als ihn seine fünf Sinne führen, geht immer sicher; und in der That, wenn Ihr Hyperbolus dafür sorgen wird, daß in seinen Schauspielen jeder Sinn ergötzt und keiner beleidiget werde, so stehe ich ihm für die gute Aufnahme, und wenn sie noch zehnmal schlechter wären als sie sind.Wäre Demokrit zu Abdera weiter nichts gewesen, als was Diogenes zu Korinth war, so möchte ihm die Freiheit seiner Zunge vielleicht einige Ungelegenheiten zugezogen haben. Denn so gern die Abderiten über wichtige Dinge spaßten, so wenig konnten sie ertragen, wenn man sich über ihre Puppen und Steckenpferde lustig machte. Aber Demokrit war aus dem besten Hause in Abdera, und, was noch mehr zu bedeuten hat, er war reich. Dieser doppelte Umstand machte, daß man ihm nachsah, was man einem Philosophen in zerrissenem Mantel schwerlich zu gut gehalten hätte. Sie sind auch ein unerträglicher Mensch, Demokrit! schnarrten die schönen Abderitinnen, und — ertrugen ihn doch.Der Poet Hyperbolus machte noch am nämlichen Abend ein entsetzliches Sinngedicht auf den Philosophen. Des folgenden Morgens lief es an allen Putztischen herum, und in der dritten Nacht ward es in allen Gassen von Abdera gesungen, denn Demokrit hatte eine Melodie dazu gesetzt.
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Neuntes Kapitel.

Gute Gemüthsart der Abderiten, und wie sie sich an Demokrit wegen seiner Unhöflichkeit zu rächen wissen. Eine seiner Strafpredigten zur Probe. Die Abderiten machen ein Gesetz gegen alle Reisen, wodurch ein Abderitisches Mutterkind hätte klüger werden können. Merkwürdige Art, wie der Nomophylax Gryllus eine aus diesem Gesetz entstandene Schwierigkeit auslöst.

Es ist ordentlicherweise eine gefährliche Sache, mehr Verstand zu haben als seine Mitbürger. Sokrates mußt' es mit dem Leben bezahlen; und wenn Aristoteles noch mit heiler Haut davon kam, als ihn der Oberpriester Eurymedon zu Athen der Ketzerei anklagte, so kam es bloß daher, weil er sich in Zeiten aus dem Staube machte. Ich will den Athenern keine Gelegenheit geben, sagte er, sich zum zweitenmale an der Philosophie zu versündigen.Die Abderiten waren bei allen ihren menschlichen Schwachheiten wenigstens keine sehr bösartigen Leute. Unter ihnen hätte Sokrates so alt werden können als Homers Nestor. Sie hätten ihn für eine wunderliche Art von Narren gehalten, und sich über seine vermeintliche Thorheit lustig gemacht; aber die Sache bis zum Giftbecher zu treiben, war nicht in ihrem Charakter. Demokrit ging so scharf mit ihnen zu Werke, daß ein weniger joviales Volk die Geduld dabei verloren hätte. Gleichwohl bestand alle Rache, die sie an ihm nahmen, darin, daß sie (unbekümmert mit welchem Grunde) eben so übel von ihm sprachen als er von ihnen, alles tadelten was er unternahm, alles lächerlich fanden was er sagte, und von allem, was er ihnen rieth, gerade das Gegentheil thaten. "Man muß dem Philosophen durch den Sinn fahren, sagten sie; man muß ihm nicht weiß machen, daß er alles besser wisse als wir." — Und, dieser weisen Maxime zufolge, begingen die guten Leute eine Thorheit über die andre, und glaubten wie viel sie dabei gewonnen hätten, wenn es ihn verdrösse. Aber hierin verfehlten sie ihres Zweckes gänzlich. Denn Demokrit lachte dazu, und ward aller ihrer Neckereien wegen nicht einen Augenblick früher grau. —"O die Abderiten, die Abderiten! rief er zuweilen; da haben sie sich wieder selbst eine Ohrfeige gegeben, in Hoffnung, daß es mir weh thun werde!"Aber (sagten die Abderiten) kann man auch mit einem Menschen schlimmer daran seyn? Ueber alles in der Welt ist er andrer Meinung als wir. An allem, was uns gefällt, hat er etwas auszusetzen. Es ist doch sehr unangenehm, sich immer widersprechen zu lassen!Aber wenn ihr nun immer Unrecht habt? antwortete Demokrit. —Und laßt doch einmal sehen, wie es anders seyn könnte! —Alle eure Begriffe habt ihr eurer Amme zu danken; über alles denkt ihr noch eben so, wie ihr als Kinder davon dachtet. Eure Körper sind gewachsen, und eure Seelen liegen noch in der Wiege. Wie viele sind wohl unter euch, die sich die Mühe gegeben haben, den Grund zu erforschen, warum sie etwas wahr oder gut oder schön nennen? Gleich den Unmündigen und Säuglingen ist euch alles gut und schön, was eure Sinne kitzelt, was euch gefällt. Und auf was für kleinfügige, oft gar nicht zur Sache gehörende, Ursachen und Umstände kommt es an, ob euch etwas gefallen soll oder nicht! Wie verlegen würdet ihr oft seyn, wenn ihr sagen solltet, warum ihr dieß liebt und jenes hasset! Grillen, Launen, Eigensinn, Gewohnheit euch von andern Leuten gängeln zu lassen, mit ihren Augen zu sehen, mit ihren Ohren zu hören, und, was sie euch vorgepfiffen haben, nachzupfeifen —sind die Triebfedern, die bei euch die Stelle der Vernunft ersetzen. Soll ich euch sagen, woran der Fehler liegt? Ihr habt euch einen falschen Begriff von Freiheit in den Kopf gesetzt. Eure Kinder von drei oder vier Jahren haben freilich den nämlichen Begriff davon; aber dieß macht ihn nicht richtiger. Wir sind ein freies Volk, sagt ihr; und nun glaubt ihr, die Vernunft habe euch nichts einzureden. "Warum sollten wir nicht denken dürfen, wie es uns beliebt? lieben und hassen wie es uns beliebt? bewundern oder verachten was uns beliebt? Wer hat ein Recht uns zur Rede zu stellen, oder unsern Geschmack und unsre Neigungen vor seinen Richterstuhl zu fordern?" — Nun denn, meine lieben Abderiten, so denkt und faselt, liebt und haßt, bewundert und verachtet, wie, wenn und was euch beliebt! Begeht Thorheiten so oft und so viel euch beliebt! Macht euch lächerlich wie es euch beliebt! Wem liegt am Ende was daran? So lang' es nur Kleinigkeiten, Puppen und Steckenpferde betrifft, wär' es unbillig, euch im Besitze des Rechtes, eure Puppe und euer Steckenpferd nach Belieben zu putzen und zu reiten, stören zu wollen. Gesetzt auch, eure Puppe wäre häßlich, und das, was ihr euer Steckenpferd nennt, sähe von vorn und von hinten einem Oechslein oder Eselein ähnlich: was thut das? Wenn eure Thorheiten euch glücklich und niemand unglücklich machen, was geht es andre Leute an daß es Thorheiten sind? Warum sollte nicht der hochweise Rath von Abdera, in feierlicher Procession, einer hinter dem andern, vom Rathhause bis zum Tempel der Latona —Burzelbäume machen dürfen, wenn es dem Rath und dem Volke von Abdera so gefällig wäre? Warum solltet ihr euer bestes Gebäude nicht in einen Winkel, und eure schöne kleine Venus nicht auf einen Obelisk setzen dürfen? —Aber, meine lieben Landsleute, nicht alle eure Thorheiten sind so unschuldig wie diese; und wenn ich sehe, daß ihr euch durch eure Grillen und Aufwallungen Schaden thut, so müßt' ich euer Freund nicht seyn, wenn ich still dazu schweigen könnte. Zum Beispiel, euer Frosch- und Mäusekrieg mit den Lemniern, der unnöthigste und unbesonnenste der jemals angefangen wurde, um einer Tänzerin willen? — Es fiel in die Augen, daß ihr damals unter dem unmittelbaren Einfluß eures bösen Dämons waret, da ihr ihn beschlosset; alles half nichts, was man euch dagegen vorstellte. Die Lemnier sollen gezüchtigt werden, hieß es; und, wie ihr Leute von lebhafter Einbildung seyd, so schien euch nichts leichter, als euch von ihrer ganzen Insel Meister zu machen. Denn die Schwierigkeiten einer Sache pflegt ihr nie eher in Erwägung zu nehmen, als bis euch eure Nase daran erinnert. Doch dies alles möchte noch hingegangen seyn, wenn ihr nur wenigstens die Ausführung eurer Entwürfe einem tüchtigen Mann aufgetragen hättet. Aber den jungen Aphron zum Feldherrn zu machen, ohne daß sich irgend ein möglicher Grund davon erdenken ließ, als weil eure Weiber fanden, daß er in seiner prächtigen neuen Rüstung so schön wie ein Paris sey, und —über dem Vergnügen, einen großen feuerfarbenen Federbusch auf seinem hirnlosen Kopfe nicken zu sehen — zu vergessen, daß es nicht um ein Lustgefecht zu thun war: dieß, läugnet's nur nicht, dieß war ein Abderitenstreich! Und nun, da ihr ihn mit dem Verlust eurer Ehre, eurer Galeeren und eurer besten Mannschaft bezahlt habt, was hilft es euch, daß die Athener, die ihr euch in ihren Thorheiten zum Muster genommen habt, eben so sinnreiche Streiche, und zuweilen mit eben so glücklichem Ausgang zu spielen pflegen?In diesem Tone sprach Demokrit mit den Abderiten, so oft sie ihm Gelegenheit dazu gaben; aber, wiewohl dieß sehr oft geschah, so konnten sie sich doch unmöglich gewöhnen, diesen Ton angenehm zu finden. "So geht es, sagten sie, wenn man naseweisen Jünglingen erlaubt, in der weiten Welt herumzureisen, um sich ihres Vaterlandes schämen zu lernen, und nach zehn oder zwanzig Jahren mit einem Kopfe voll ausländischer Begriffe als Kosmopoliten zurückzukommen, die alles besser wissen als ihre Großväter, und alles anderswo besser gesehen haben als zu Hause. Die alten Aegyptier, die niemand reisen ließen eh' er wenigstens fünfzig Jahre auf dem Rücken hatte, waren weise Leute!"Und eilends gingen die Abderiten hin, und machten ein Gesetz: daß kein Abderitensohn hinfort weiter als bis an den Korinthischen Isthmus, länger als ein Jahr, und anders als unter der Aufsicht eines bejahrten Hofmeisters von Altabderitischer Abkunft, Denkart und Sitte, sollte reisen dürfen. "Junge Leute müssen zwar die Welt sehen, sagte das Decret: aber eben darum sollen sie sich an jedem Orte nicht länger aufhalten, als bis sie alles, was mit Augen da zu sehen ist gesehen haben. Besonders soll der Hofmeister genau bemerken, was für Gasthöfe sie angetroffen, wie sie gegessen, und wie viel sie bezahlen müssen; damit ihre Mitbürger sich in der Folge diese ersprießlichen Geheimnachrichten zu nutze machen können. Ferner soll (wie das Decret weiter sagt), zu Ersparung der Unkosten eines allzu langen Aufenthalts an Einem Orte, der Hofmeister dahin sehen, daß der junge Abderit in keine unnöthigen Bekanntschaften verwickelt werde. Der Wirth oder der Hausknecht, als an dem Orte einheimische und unbefangene Personen können ihm am besten sagen, was da Merkwürdiges zu sehen ist, wie die dasigen Gelehrten und Künstler heißen, wo sie wohnen, und um welche Zeit sie zu sprechen sind; dieß bemerkt sich der Hofmeister in sein Tagebuch; und dann läßt sich in zwei oder drei Tagen, wenn man die Zeit wohl zu Rathe hält, vieles in Augenschein nehmen."Zum Unglück für dieses weise Decret befanden sich ein paar Abderitische junge Herren von großer Wichtigkeit eben außer Landes, als es abgefaßt und (nach alter Gewohnheit) dem Volk auf den Hauptplätzen der Stadt vorgesungen wurde. Der eine war der Sohn eines Krämers, der durch Geiz und niederträchtige Kunstgriffe in seinem Gewerbe binnen vierzig Jahren ein beträchtliches Vermögen zusammengekratzt und kraft desselben seine Tochter (das häßlichste und dümmste Thierchen von ganz Abdera) kürzlich an einen Neffen des kleinen dicken Rathsherrn, dessen oben rühmliche Erwähnung gethan worden, verheirathet hatte. Der andere war der einzige Sohn des Nomophylax, und sollte, um seinem Vater je eher je lieber in diesem Amte beigeordnet werden zu können, nach Athen reisen und sich mit dem Musikwesen daselbst genauer bekannt machen; während daß der Erbe des Krämers, der ihn begleiten wollte, mit den Putzmacherinnen und Sträußermädchen allda genauere Bekanntschaft zu machen gesonnen war. Nun hatte das Decret an den besondern Fall, worin sich diese jungen Herren befanden, nicht gedacht. Die Frage war also, was zu thun sey? Ob man auf eine Modification des Gesetzes antragen, oder beim Senat bloß um Dispensation für den vorliegenden Fall ansuchen sollte?Keines von beiden, sagte der Nomophylax, der eben mit Aufsetzung eines neuen Tanzes auf das Fest der Latona fertig und außerordentlich mit sich selbst zufrieden war. Um etwas am Gesetze zu ändern, müßte man das Volk deßwegen zusammenberufen; und dieß würde unsern Mißgünstigen nur Gelegenheit geben die Mäuler aufzureißen. Was die Dispensation betrifft, so ist zwar an dem, daß man die Gesetze meistens um der Dispensationen willen macht; und ich zweifle nicht, der Senat würde uns ohne Schwierigkeit zugestehen, was jeder in ähnlichen Fällen kraft des Gegenrechtes fordern zu können wünscht. Indessen hat doch jede Befreiung das Ansehen einer erwiesenen Gnade; und wozu haben wir nöthig uns Verbindlichkeiten aufzuhalsen? Das Gesetz ist ein schlafender Löwe, bei dem man, so lang' er nicht aufgeweckt wird so sicher als bei einem Lamme vorbeischleichen kann. Und wer wird die Unverschämtheit oder die Verwegenheit haben, ihn gegen den Sohn des Nomophylax aufzuwecken?Dieser Beschirmer der Gesetze war, wie wir sehen, ein Mann, der von den Gesetzen und von seinem Amte sehr verfeinerte Begriffe hatte, und sich der Vortheile, die ihm das letztere gab, fertig zu bedienen wußte. Sein Name verdient aufbehalten zu werden. Er nannte sich Gryllus, des Cyniskus Sohn.
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Zehntes Kapitel.

Demokrit zieht sich aufs Land zurück, und wird von den Abderiten fleißig besucht. Allerlei Raritäten, und eine Unterredung vom Schlaraffenlande der Sittenlehrer.

Demokrit hatte sich, da er in sein Vaterland zurückkam, mit dem Gedanken geschmeichelt, demselben, mittelst alles dessen, um was sich sein Verstand und sein Herz indessen gebessert hatte, nützlich werden zu können. Er hatte sich nicht vorgestellt, daß es mit den Abderitischen Köpfen so gar übel stände, als er es nun wirklich fand. Aber da er sich einige Zeit unter ihnen aufgehalten, sah er augenscheinlich, daß es ein eitles Unternehmen gewesen wäre, sie verbessern zu wollen. Alles war bei ihnen so verschoben, daß man nicht wußte wo man die Verbesserung anfangen sollte. Jeder ihrer Mißbräuche hing an zwanzig andern; es war unmöglich Einen davon abzustellen, ohne den ganzen Staat umzuschaffen. Eine gute Seuche (dacht' er), welche das ganze Völkchen — bis auf etliche Duzend Kinder, die gerade groß genug wären um der Ammen entbehren zu können — von der Erde vertilgte, wäre das einzige Mittel, das der Stadt Abdera helfen könnte; den Abderiten ist nicht zu helfen!Er beschloß also sich mit guter Art von ihnen zurückzuziehen, und ein kleines Gut zu bewohnen, das er in ihrer Gegend besaß, und mit dessen Benutzung und Verschönerung er sich die Stunden beschäftigte, die ihm sein Lieblingsstudium, die Erforschung der Naturwirkungen, übrig ließ. Aber zum Unglück für ihn lag dieß Landgut zu nahe bei Abdera. Denn weil die Lage desselben ungemein schön, und der Weg dahin einer der angenehmsten Spaziergänge war, so sah er sich alle Tage Gottes von einem Schwarm Abderiten und Abderitinnen (lauter Vettern und Basen) heimgesucht, welche das schöne Wetter und den angenehmen Spaziergang zum Vorwande nahmen, ihn in seiner glücklichen Einsamkeit zu stören.Wiewohl Demokrit den Abderiten wenigstens nicht besser gefiel als sie ihm, so war doch die Wirkung davon sehr verschieden. Er floh sie, weil sie ihm lange Weile machten; und sie suchten ihn, weil sie sich die Zeit dadurch vertrieben. Er wußte die seinige anzuwenden; sie hingegen hatten nichts Besseres zu thun."Wir kommen Ihnen in Ihrer Einsamkeit die Zeit kürzen zu helfen," sagten die Abderiten.Ich pflege in meiner eigenen Gesellschaft sehr kurze Zeit zu haben, sagte Demokrit."Aber wie ist es möglich, daß man immer so allein seyn kann? rief die schöne Pithöka, Ich würde vor langer Weile vergehen, wenn ich einen einzigen Tag leben sollte ohne Leute zu sehen."Sie versprachen sich, Pithöka; von Leuten gesehen zu werden, wollten Sie sagen."Aber (fuhr einer heraus), woher nehmen Sie, daß unser Freund lange Weile hat? Sein ganzes Haus ist mit Seltenheiten angefüllt. Mit Ihrer Erlaubniß, Demokrit — Lassen Sie uns doch die schönen Sachen sehen, die Sie auf Ihrer Reise gesammelt haben."Nun ging das Leiden des armen Einsiedlers erst recht an. Er hatte in der That eine schöne Sammlung von Naturalien aus allen Reichen der Natur mitgebracht: ausgestopfte Thiere und Vögel, getrocknete Fische, seltene Schmetterlinge, Muscheln, Versteinerungen, Erze u. s. w. Alles war den Abderiten neu; alles erregte ihr Erstaunen. Der gute Naturforscher wurde in einer Minute mit so viel Fragen übertäubt, daß er, wie Fama, aus lauter Ohren und Zungen hätte zusammengesetzt seyn müssen, um auf alles antworten zu können."Erklären Sie uns doch, was dieses ist? wie es heißt? woher es ist? wie es zugeht? warum es so ist?"Demokrit erklärte so gut er konnte und wußte; aber den Abderiten wurde nichts klärer dadurch; es war ihnen vielmehr als begriffen sie immer weniger von der Sache je mehr er sie erklärte. Seine Schuld war es nicht!"Wunderbar! Unbegreiflich! Sehr wunderbar!" — war ihr ewiger Gegenklang.So natürlich als etwas in der Welt! erwiederte er ganz kaltsinnig."Sie sind gar zu bescheiden, Vetter! oder vermuthlich wollen Sie nur, daß man Ihnen desto mehr Complimente über Ihren guten Geschmack und über Ihre großen Reisen machen soll!"Setzen Sie sich deßwegen in keine Unkosten, meine Herren und Damen! Ich nehme alles für empfangen an."Aber es mag doch eine angenehme Sache seyn, so tief in die Welt hineinzureisen?" — sagte ein Abderit."Und ich dächte gerade das Gegentheil, erwiederte ein anderer. — Nehmen Sie alle die Gefahren und Beschwerlichkeiten, denen man täglich ausgesetzt ist, die schlimmen Straßen, die schlechten Gasthöfe, die Sandbänke, die Schiffbrüche, die wilden Thiere, Krokodile, Einhörner, Greifen und geflügelte Löwen, von denen in der Barbarei alles wimmelt! —""Und dann, was hat man am Ende davon (fiel ein Matador von Abdera ein), wenn man gesehen hat wie groß die Welt ist? Ich dächte, das Stück, das ich selbst davon besitze, käme mir dann so klein vor, daß ich keine Freude mehr daran haben könnte.""Aber rechnen Sie für nichts, so viel Menschen zu sehen?" — erwiederte der erste."Und was sieht man denn da? Menschen! Die konnte man zu Hause sehen. Es ist allenthalben wie bei uns.""Ei, hier ist gar ein Vogel ohne Füße!" rief ein junges Frauenzimmer."Ohne Füße? — Und der ganze Vogel nur eine einzige Feder! das ist erstaunlich! — sprach eine andere. Begreifen Sie das?""Ich bitte Sie lieber Demokrit, erklären Sie uns, wie er gehen kann da er keine Füße hat?""Und wie er mit einer einzigen Feder fliegt?""O, was ich am liebsten sehen möchte, sagte eine von den Basen, das wäre ein lebendiger Sphinx! — Sie müssen deren wohl viele in Aegypten gefunden haben?""Aber ist's möglich, ich bitte Sie, daß die Weiber und Töchter der Gymnosophisten in Indien — wie man sagt —Sie verstehen mich doch, was ich fragen will?"Nicht ich, Frau Salabanda!"O Sie verstehen mich gewiß! Sie sind ja in Indien gewesen? Sie haben die Weiber der Gymnosophisten gesehen?O ja, und Sie können mir glauben, daß die Weiber der Gymnosophisten weder mehr noch weniger Weiber sind als die Weiber der Abderiten."Sie erweisen uns viel Ehre. Aber dieß ist nicht, was ich wissen wollte. Ich frage, ob es wahr ist, daß sie —" Hier hielt Frau Salabanda eine Hand vor ihren Busen, und die andere — kurz, sie setzte sich in die Stellung der Mediceischen Venus, um dem Philosophen begreiflich zu machen, was sie wissen wollte. "Nun verstehen Sie mich doch?" sagte sie.Ja, Madame, die Natur ist nicht karger gegen sie gewesen als gegen andre. Welch eine Frage das ist!"Sie wollen mich nicht verstehen, loser Mann! Ich dächte doch, ich hätte Ihnen deutlich genug gesagt, daß ich wissen möchte, ob es wahr sey daß sie —weil Sie doch wollen, daß ich's Ihnen unverblümt sage — so nackend gehen als sie auf die Welt kommen?""Nackend! — riefen die Abderitinnen alle auf einmal. Da wären sie ja noch unverschämter als die Mädchen in Lacedämon! Wer wird auch so was glauben?"Sie haben Recht, sagte der Naturforscher: die Weiber der Gymnosophisten sind weniger nackend als die Weiber der Griechen in ihrem vollständigsten Anzuge; sie sind vom Kopf bis zu den Füßen in ihre Unschuld und in die öffentliche Ehrbarkeit eingehüllt."Wie meinen Sie das?"Kann ich mich deutlicher erklären?"Ach, nun versteh' ich Sie! Es soll ein Stich sein! Aber Sie scherzen doch wohl nur mit Ihrer Ehrbarkeit und Unschuld. Wenn die Weiber der Gymnosophisten nicht haltbarer gekleidet sind, so — müssen sie entweder sehr häßlich, oder die Männer in ihrem Lande sehr frostig seyn."Keines von beiden. Ihre Weiber sind wohl gebildet, und ihre Kinder gesund und voller Leben; ein unverwerfliches Zeugniß zu Gunsten ihrer Väter, däucht mich!"Sie sind ein Liebhaber von Paradoxen, Demokrit, sprach der Matador; aber Sie werden mich in Ewigkeit nicht überreden, daß die Sitten eines Volkes desto reiner seyen, je nackender die Weiber desselben sind."Wenn ich ein so großer Liebhaber von Paradoxen wäre als man mich beschuldigt, so würde es mir vielleicht nicht schwer fallen, Sie dessen durch Beispiele und Gründe zu überführen. Aber ich bin dem Gebrauch der Gymnosophistinnen nicht günstig genug, um mich zu seinem Vertheidiger aufzuwerfen. Auch war meine Meinung gar nicht, das zu sagen was mich der scharfsinnige Kratylus sagen läßt. Die Weiber der Gymnosophisten schienen mir nur zu beweisen, daß Gewohnheit und Umstände in Gebräuchen dieser Art alles entscheiden. Die Spartanischen Töchter, weil sie kurze Röcke, und die am Indus, weil sie gar keine Röcke tragen, sind darum weder unehrbarer noch größerer Gefahr ausgesetzt, als diejenigen, die ihre Tugend in sieben Schleier einwickeln. Nicht die Gegenstände, sondern unsre Meinungen von denselben, sind die Ursache unordentlicher Leidenschaften. Die Gymnosophisten, welche keinen Theil des menschlichen Körpers für unedler halten als den andern, sehen ihre Weiber, wiewohl sie bloß in ihr angebornes Fell gekleidet sind, für eben so gekleidet an, als die Skythen die ihrigen, wenn sie ein Tigerkatzenfell um die Lenden hangen haben."Ich wünschte nicht, daß Demokrit mit seiner Philosophie so viel über unsre Weiber vermöchte, daß sie sich solche Dinge in den Kopf setzten," — sagte ein ehrenfester steifer Abderit, der mit Pelzwaaren handelte."Ich auch nicht," — stimmte ein Leinwandhändler ein.Ich wahrlich auch nicht, sagte Demokrit, wiewohl ich weder mit Pelzen noch Leinwand handle."Aber Eins erlauben Sie mir noch zu fragen, lispelte die Base, die so gern lebendige Sphinxe gesehen haben möchte: Sie sind in der ganzen Welt herumgekommen; und es soll da viele wunderbare Länder geben, wo alles anders ist als bei"Ich glaube kein Wort davon," murmelte der Rathsherr, indem er, wie Homers Jupiter, das ambrosische Haar auf seinem weisheitsschwangern Kopfe schüttelte."Sagen Sie mir doch, fuhr die Base fort, in welchem unter allen diesen Ländern gefiel es Ihnen am besten?"Wo könnt' es einem besser gefallen, als — zu Abdera?"O wir wissen schon daß dieß Ihr Ernst nicht ist. Ohne Complimente! antworten Sie der jungen Dame wie Sie denken," — sagte der Rathsherr.Sie werden über mich lachen, erwiederte Demokrit: aber weil Sie es verlangen, schöne Klonarion, so will ich Ihnen die reine Wahrheit sagen. Haben Sie nie von einem Lande gehört, wo die Natur so gefällig ist, neben ihren eigenen Verrichtungen auch noch die Arbeit der Menschen auf sich zu nehmen? Von einem Lande, wo ewiger Friede herrscht? wo niemand Knecht und niemand Herr, niemand arm und jedermann reich ist; wo der Durst nach Golde zu keinen Verbrechen zwingt. weil man das Gold zu nichts gebrauchen kann; wo eine Sichel ein eben so unbekanntes Ding ist als ein Schwert; wo der Fleißige nicht für den Müßiggänger arbeiten muß, wo es keine Aerzte gibt weil niemand krank wird, keine Richter weil es keine Händel gibt, keine Händel weil jedermann zufrieden ist, und jedermann zufrieden ist, weil jedermann alles hat was er nur wünschen kann; — mit Einem Worte, von einem Lande, wo alle Menschen so fromm wie die Lämmer, und so glücklich wie die Götter sind? — Haben Sie nie von einem solchen Lande gehört?"Nicht, daß ich mich erinnerte."Das nenn' ich ein Land Klonarion! Da ist es nie zu warm und nie zu kalt, nie zu naß und nie zu trocken; Frühling und Herbst regieren dort nicht wechselsweise, sondern, wie in den Gärten des Alcinous, zugleich in ewiger Eintracht. Berge und Thäler, Wälder und Auen sind mit allem angefüllt, was des Menschen Herz gelüsten kann. Aber nicht etwa, daß die Leute sich die Mühe geben müßten die Hasen zu jagen, die Vögel oder Fische zu fangen, und die Früchte zu pflücken, die sie essen wollen; oder daß sie die Gemächlichkeiten, deren sie genießen, erst mit vielem Ungemach erkaufen müßten. Nein! alles macht sich da von selbst. Die Rebhühner und Schnepfen fliegen einem gespickt und gebraten um den Mund, und bitten demüthig daß man sie essen möchte; Fische von allen Arten schwimmen gekocht in Teichen von allen möglichen Brühen, deren Ufer immer voll Austern, Krebse, Pasteten, Schinken und Ochsenzungen liegen. Hasen und Rehböcke kommen freiwillig herbeigelaufen, streifen sich das Fell über die Ohren, stecken sich an den Bratspieß, und legen sich, wenn sie gar sind, von selbst in die Schüssel. Allenthalben stehen Tische, die sich selbst decken; und weich gepolsterte Ruhebettchen laden allenthalben zum Ausruhen vom — Nichtsthun und zu angenehmen Ermüdungen ein. Neben denselben rauschen kleine Bäche von Milch und Honig, von Cyprischem Wein, Citronenwasser und andern angenehmen Getränken; und über sie her wölben sich, mit Rosen und Jasmin untermengt, Stauden voller Becher und Gläser, die sich, so oft sie ausgetrunken werden, gleich von selbst wieder anfüllen. Auch gibt es da Bäume, die statt der Früchte kleine Pastetchen, Bratwürste, Mandelkrapfen und Buttersemmeln tragen; andere, die an allen Aesten mit Geigen, Harfen, Cithern, Theorben, Flöten und Waldhörnern behangen sind, welche von sich selbst das angenehmste Concert machen, das man hören kann. Die glücklichen Menschen, nachdem sie den wärmern Theil des Tages verschlafen und den Abend vertanzt, versungen und verscherzt haben, erfrischen sich dann in kühlen marmornen Bädern, wo sie von unsichtbaren Händen sanft gerieben, mit feinem Byssus, der sich selbst gesponnen und gewebt hat, abgetrocknet, und mit den kostbarsten Essenzen, die aus den Abendwolken herunterthauen, eingebalsamt werden. Dann legen sie sich auf schwellende Polster um volle Tafeln her, und essen und trinken und lachen, singen und tändeln und küssen die ganze Nacht durch, die ein ewiger Vollmond zum sanftern Tage macht; und — was doch das angenehmste ist —"O gehen Sie, Herr Demokrit, Sie haben mich zum Besten! Was Sie mir da erzählen, ist ja das Mährchen vom Schlaraffenlande, das ich tausendmal von meiner Amme gehört habe, wie ich noch ein kleines Mädchen war."Aber Sie finden doch auch, Klonarion, daß sich's gut in diesem Lande leben müßte?"Merken Sie denn nicht, daß unter allem diesem eine geheime Bedeutung verborgen liegt? sagte der weise Rathsmann; vermuthlich eine Satyre auf gewisse Philosophen, welche das höchste Gut in der Wollust suchen."Schlecht gerathen, Herr Rathsherr! dachte Demokrit."Ich erinnere mich in den Amphiktyonen des Teleklides eine ähnliche Beschreibung des goldnen Alters gelesen zu haben," sagte Frau Salabanda.Das Land, das ich der schönen Klonarion beschrieb, sprach der Naturforscher, ist keine Satyre: es ist das Land, in welches von jedem Duzend unter euch weisen Leuten zwölf sich im Herzen hineinwünschen und nach Möglichkeit hinein arbeiten, und in welches uns eure Abderitischen Sittenlehrer hinein declamiren wollen; wenn anders ihre Declamationen irgend einen Sinn haben."Ich möchte wohl wissen, wie Sie dieß verstehen! sagte der Rathsherr, der (vermög' einer vieljährigen Gewohnheit, nur mit halben Ohren zu hören, und sein Votum im Rath schlummernd von sich zu geben) sich nicht gern die Mühe nahm einer Sache lange nachzudenken.Sie lieben eine starke Beleuchtung, wie ich sehe, Herr Rathsmeister, erwiederte Demokrit. Aber zu viel Licht ist zum Sehen eben so unbequem als zu wenig. Helldunkel ist, däucht mich, gerade so viel Licht, als man braucht, um in solchen Dingen weder zu viel noch zu wenig zu sehen. Ich setze zum voraus, daß Sie überhaupt sehen können. Denn wenn dieß nicht wäre, so begreifen Sie wohl, daß wir beim Lichte von zehntausend Sonnen nicht besser sehen würden, als beim Schein eines Feuerwurms."Sie sprechen von Feuerwürmern? — sagte der Rathsherr, indem er bei dem Worte Feuerwurm aus einer Art von Seelenschlummer erwachte, in welchen er über dem Gaffen nach Salabandens Busen, während Demokrit redete, gefallen war. — Ich dachte wir sprächen von den Moralisten.Von Moralisten oder Feuerwürmern, wie es Ihnen beliebt, versetzte Demokrit. Was ich sagen wollte, um Ihnen die Sache, wovon wir sprachen, deutlich zu machen, war dieß: ein Land, wo ewiger Friede herrscht, und wo alle Menschen in gleichem Grabe frei und glücklich sind; wo das Gute nicht mit dem Bösen vermischt ist, Schmerz nicht an Wollust und Tugend nicht an Untugend gränzt, wo lauter Schönheit, lauter Ordnung, lauter Harmonie ist — mit Einem Wort, ein Land, wie Ihre Moralisten den ganzen Erdboden haben wollen, ist entweder ein Land, wo die Leute keinen Magen und keinen Unterleib haben, oder es muß schlechterdings das Land seyn, das uns Teleklides schildert, aus dessen Amphiktyonen ich (wie die schöne Salabanda sehr wohl bemerkt hat) meine Beschreibung genommen habe. Vollkommene Gleichheit, vollkommene Zufriedenheit mit dem Gegenwärtigen, immerwährende Eintracht — kurz, die Saturnischen Zeiten, wo man keine Könige, keine Priester, keine Soldaten, keine Rathsherren, keine Moralisten, keine Schneider, keine Köche, keine Aerzte und keine Scharfrichter braucht, sind nur in dem Lande möglich, wo einem die Rebhühner gebraten in den Mund fliegen, oder (welches ungefähr eben so viel sagen will) wo man keine Bedürfnisse hat. Dieß ist, wie mich däucht, so klar, daß es demjenigen, dem es dunkel ist, durch alles Licht im Feuerhimmel nicht klärer gemacht werden könnte. Gleichwohl ärgern sich Ihre Moralisten darüber, daß die Welt so ist wie sie ist, und wenn der ehrliche Philosoph, der die Ursachen weiß warum sie nicht anders seyn kann, den Aerger dieser Herren lächerlich findet, so begegnen sie ihm als ob er ein Feind der Götter und Menschen wäre; welches zwar an sich selbst noch lächerlicher ist, aber zuweilen da, wo die milzsüchtigen Herren den Meister spielen, einen ziemlich tragischen Ausgang nimmt."Aber was wollen Sie denn, daß die Moralisten thun sollen?"Die Natur erst ein wenig kennen lernen, ehe sie sich einfallen lassen es besser zu wissen als sie; verträglich und duldsam gegen die Thorheiten und Unarten der Menschen seyn, welche die ihrigen dulden müssen; durch Beispiele bessern, statt durch frostiges Gewäsche zu ermüden, oder durch Schmähreden zu erbittern; keine Wirkungen fordern, wovon die Ursachen noch nicht da sind, und nicht verlangen daß wir die Spitze eines Berges erreicht haben sollen, ehe wir hinauf gestiegen sind."So unsinnig wird doch niemand sign?" — sagte der Abderiten einer.So unsinnig sind neun Zehntheile der Gesetzgeber, Projectmacher, Schulmeister und Weltverbesserer auf dem ganzen Erdenrund alle Tage! — sagte Demokrit.Die zeitverkürzende Gesellschaft, welche die Laune des Naturforschers unerträglich zu finden anfing, begab sich nun wieder nach Hause, und dahlte unterwegs, beim Glanz des Abendsterns und einer schönen Dämmerung, von Sphinxen, Einhörnern, Gymnosophisten und Schlaraffenländern; und so viel Mannichfaltigkeit auch unter allen den Albernheiten, welche gesagt wurden, herrschte, so stimmten doch alle darin überein: daß Demokrit ein wunderlicher, einbildischer, überkluges, tadelsüchtiger, wiewohl bei allem dem ganz kurzweiliger Sonderling sey. — Sein Wein ist das Beste, was man bei ihm findet, sagte der Rathsherr.Gütiger Anubis! dachte Demokrit da er wieder allein war: was man nicht mit diesen Abderiten reden muß, um sich — die Zeit von ihnen vertreiben zu lassen!
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Eilftes Kapitel.

Etwas von den Abderitischen Philosophen, und wie Demokrit das Unglück hat, sich mit ein paar wohlgemeinten Worten in sehr schlimmen Credit zu setzen.

Daß man sich aber gleichwohl nicht einbilde, als ob alle Abderiten ohne Ausnahme durch ein Gelübde oder durch einen Bürgereid verbunden gewesen seyen, nicht mehr Verstand zu haben als ihre Großmütter, Ammen und Rathsherren! Abdera, die Nebenbuhlerin von Athen, hatte auch Philosophen, das heißt, sie hatte Philosophen — wie sie Maler und Dichter hatte. Der berühmte Sophist Protagoras war ein Abderit gewesen, und hatte eine Menge Schüler hinterlassen, die ihrem Meister zwar nicht an Witz und Beredsamkeit gleichkamen, aber ihm dafür auch an Eigendünkel und Albernheit desto überlegener waren.Diese Herren hatten sich eine bequeme Art von Philosophie zubereitet, vermittelst welcher sie ohne Mühe auf jede Frag' eine Antwort fanden, und von allem was unter und über der Sonne ist so geläufig schwatzten, daß — insofern sie nur immer Abderiten zu Zuhörern hatten — die guten Zuhörer sich festiglich einbildeten, ihre Philosophen wüßten sehr viel mehr davon als sie selbst; wiewohl im Grunde der Unterschied nicht so groß war, daß ein vernünftiger Mann eine Feige darum gegeben hatte. Denn am Ende lief es doch immer darauf hinaus, daß der Abderitische Philosoph, etliche lange nichtsbedeutende Wörter abgerechnet, gerade so viel von der Sache wußte, als derjenige unter allen Abderiten, — der am wenigsten davon zu wissen glaubte.Die Philosophen, vermuthlich weil sie es für zu klein hielten, in den Detail der Natur herab zu steigen, geben sich mit lauter Aufgaben ab, die außerhalb der Grenzen des menschlichen Verstandes liegen. Bis in diese Region, dachten sie, folgt uns niemand, als — wer unsersgleichen ist; und was wir auch den Abderiten davon vorsagen, so sind wir wenigstens gewiß, daß uns niemand Lügen strafen kann.Zum Beispiel, eine ihrer Lieblingsmaterien war die Frage: "Wie, warum und woraus die Welt entstanden sey?""Sie ging aus einem Ei hervor," sagte einer: "der Aether war das Weiße, das Chaos der Dotter, und die Nacht brütete es aus.""Sie ist aus Feuer und Wasser entstanden," sagte ein andrer."Sie ist gar nicht entstanden," sprach der dritte. "Alles war immer so wie es ist, und wird immer so bleiben wie es war."Diese Meinung fand in Abdera wegen ihrer Bequemlichkeit vielen Beifall. Sie erklärt alles, sagten sie, ohne daß man nöthig hat, sich erst lange den Kopf zu zerbrechen. Es ist immer so gewesen, war die gewöhnliche Antwort eines Abderiten, wenn man ihn nach der Ursache oder dem Ursprung einer Sache fragte; und wer sich daran nicht ersättigen wollte, wurde für einen stumpfen Kopf angesehen."Was ihr Welt nennt," sagte der vierte, "ist eigentlich eine ewige Reihe von Welten, die, wie die Häute einer Zwiebel, übereinander liegen, und sich nach und nach ablösen."Sehr deutlich gegeben, riefen die Abderiten, sehr deutlich! Sie glaubten den Philosophen verstanden zu haben, weil sie sehr gut wußten, was eine Zwiebel war."Chimäre! sprach der fünfte. Es gibt freilich unzählige Welten; aber sie entstehen aus der ungefähren Bewegung untheilbarer Sonnenstäubchen, und es ist viel Glück, wenn, nach zehntausendmal tausend übelgerathenen, endlich eine heraus kommt, die noch so leidlich vernünftig aussieht wie die unsrige.""Atomen geb' ich zu, sprach der sechste; aber keine Bewegung von Ungefähr und ohne Richtung. Die Atomen sind nichts, oder sie haben bestimmte Kräfte und Eigenschaften, und, je nachdem sie einander ähnlich oder unähnlich sind, ziehen sie einander an, oder stoßen sich zurück. Daher machte der weise Empedokles (der Mann, der, um die wahre Beschaffenheit des Aetna zu erkundigen, sich weislich in den Schlund desselben hineingestürzt haben soll) Haß und Liebe zu den ersten Ursachen aller Zusammensetzungen; und Empedokles hat Recht.""Um Vergebung, meine Herren, ihr habt alle Unrecht, sprach der Philosoph Sisamis. In Ewigkeit wird weder aus eurem mystischen Ei, noch aus euerm Bündniß zwischen Feuer und Wasser, noch aus euern Atomen, noch aus euern Homöomerien, eine Welt herauskommen, wenn ihr keinen Geist zu Hülfe nehmt. Die Welt ist (wie jedes andre Thier) eine Zusammensetzung von Materie und Geist. Der Geist ist es, der dem Stoffe Form gibt; beide sind von Ewigkeit her vereinigt: und, so wie einzelne Körper aufgelöst werden, sobald der Geist, der ihre Theile zusammenhielt, sich zurückzieht; so würde, wenn der allgemeine Weltgeist aufhören könnte das Ganze zu umfassen und zu beleben, Himmel und Erde im nämlichen Augenblick in einen einzigen, ungeheuern, gestaltlosen, finstern und todten Klumpen zusammenfallen."Davor wolle Jupiter und Latona seyn! riefen die Abderiten, nicht ohne sich zu entsetzen, wie sie den Mann eine so fürchterliche Drohung ausstoßen hörten.Es hat keine Gefahr, sagte der Priester Strobylus: so lange wir die Frösche der Latona in unsern Mauern haben, soll es der Weltgeist der Sisamis wohl bleiben lassen, solchen Unfug in der Welt anzurichten."Meine Freunde, sprach der achte, der Weltgeist des weisen Sisamis ist mit den Atomen, Homöomerien, Zwiebeln und Eiern meiner Collegen von gleichem Schlage. Einen Demiurg müssen wir annehmen, wenn wir eine Welt haben wollen: denn ein Gebäude setzt einen Baumeister oder wenigstens einen Zimmermeister voraus; und nichts macht sich von sich selbst, wie wir alle wissen."Aber man spricht doch alle Tage: dieß wird schon von sich selbst kommen, oder von sich selbst gehen — sagten die Abderiten."Man spricht wohl so, antwortete jener: allein, wo habt ihr jemals gesehen, daß es wirklich so erfolgt wäre? Ich habe freilich unsre Archonten wohl tausendmal sagen hören: es wird sich schon geben! es wird schon kommen! dieß oder jenes wird sich schon machen! Aber wir hatten gut warten: es gab sich nicht, kam nicht, und machte sich nicht."Nur allzuwahr, was die Werke unsrer Archonten betrifft (sagte ein alter Schuhflicker, der für einen Mann von Einsicht beim Volke galt, und große Hoffnung hatte bei der nächsten Wahl Zunftmeister zu werden); aber mit den Werken der Natur, wie die Welt ist, mag es doch wohl anders bewandt seyn. Warum sollte die Welt nicht eben so gut aus dem Chaos hervorwachsen können, wie ein Pilz aus der Erde wächst?"Meister Pfriem, versetzte der Philosoph, zum Zunftmeister soll Er meine und aller meiner Vettern Stimme haben; aber keine Einwürfe gegen mein System, wenn ich bitten darf. Die Pilze wachsen freilich von selbst aus der Erde hervor, weil — weil — weil sie Pilze sind: aber eine Welt wächst nicht von selbst, weil sie kein Pilz ist. Versteht Er mich nun, Meister Pfriem?Alle Anwesenden lachten von Herzen, daß Meister Pfriem so abgeführt war. "Die Welt ist kein Pilz; dieß ist klar wie Tageslicht, riefen die Abderiten; da ist nichts einzuwenden, Meister Pfriem!"Verzweifelt! murmelte der künftige Zunftmeister; aber so geht es, wenn man sich mit den Herren abgibt, welche beweisen können, daß der Schnee weiß ist. "Schwarz ist, wolltet ihr sagen, Nachbar." Ich weiß, was ich gesagt habe und was ich sagen wollte, antwortete Meister Pfriem; und ich wünschte nur, daß die Republik —"Vergess' Er die vierzehn Stimmen nicht, die ich Ihm verschaffe, Meister Pfriem!" rief der Philosoph. —Wohl, wohl! alles wohl! Aber Demiurg — das klingt mir bald so wie Demagog; und ich will weder Demagogen noch Demiurgen haben; ich bin für die Freiheit, und wer ein guter Abderit ist, der schwinge seinen Hut und folge mir!Und hiermit ging Meister Pfriem davon (denn der Leser merkt von selbst, daß alles dieß in einer Halle von Abdera gesprochen wurde), und einige müßige Tölpel, die ihn allerwegen zu begleiten pflegten, folgten ihm.Aber der Philosoph, ohne zu thun als ob er es gewahr werde, fuhr fort: "Ohne einen Baumeister, einen Demiurg, oder wie ihr ihn nennen wollt, läßt sich vernünftigerweise keine Welt bauen. Aber, merket wohl, es kam auf den Demiurg an, ob und wie er bauen wollte; und laßt sehen wie er es anfing, Stellt euch die Materie als einen ungeheuern Klumpen von vollkommen dichtem Krystall vor; und den Demiurg, wie er mit einem großen Hammer von Diamant diesen Klumpen auf Einen Schlag in so viele unendlich kleine Stückchen zerschmettert, daß sie durch den leeren Raum viele Millionen Kubikmeilen herum stieben. Natürlicherweise brachen sich diese unendlich kleinen Stückchen Krystall auf verschiedene Art; und indem sie, mit der ganzen Heftigkeit der Bewegung, die ihnen der Schlag mit dem diamantenen Hammer gab, auf tausendfache Art wider einander fuhren, und sich unter einander auf allen Seiten stießen, schlugen und rieben, so entstand daraus nothwendig eine unzählige Menge Körperchen von allerlei unregelmäßigen Figuren: dreieckige, viereckige, achteckige, vieleckige und runde. Aus den runden wurde Wasser und Luft, welche nichts anders als verdünntes Wasser ist; aus den dreieckigen Feuer; aus den übrigen die Erde; und aus diesen vier Elementen setzt die Natur, wie ihr wißt, alle Körper in der Welt zusammen."Das ist wunderbar, sehr wunderbar! aber es begreift sich doch, sagten die Abderiten. Ein Klumpen Krystall, ein diamantener Hammer, und ein Demiurg, der den Krystall so meisterhaft in Stücken schlägt, daß aus den Splittern, ohne seine weitere Bemühung, eine Welt entsteht! In der That die scharfsinnigste Hypothese, die man sehen kann, und gleichwohl so simpel, daß man dächte, man hätte sie alle Augenblicke selbst erfinden können!"Ich erkläre mittelst dieser so simpeln Voraussezung alle möglichen Wirkungen der Natur," — sagte der Philosoph mit selbstzufriednem Lächeln.Nicht ein Wespennest, rief ein neunter, Dämonax genannt, der den Behauptungen seiner Mitbrüder bisher mit stillschweigender Verachtung zugehört hatte. Es gehören andre Kräfte und Anstalten dazu, ein so großes, so schönes, so wundervolles Werk, als dieses Weltgebäude ist, zu Stande zu bringen. Nur ein höchst vollkommener Verstand konnte den Plan davon erfinden; wiewohl ich gern gestehe, daß zur Ausführung geringere Werkmeister hinlänglich waren. Er überließ sie verschiedenen Classen der subalternen Götter, wies einer jeden Classe ihren besondern Kreis an, in welchem sie arbeitet, und begnügte sich, die allgemeine Aufsicht über das Ganze zu führen. Es ist lächerlich, den Ursprung der Weltkörper, des Erdbodens, der Pflanzen, der Thiere, und alles dessen, was in Luft und Wasser ist, aus Atomen oder Sympathien oder ungefährer Bewegung, oder einem einzigen Hammerschlag erklären zu wollen. Geister sind es, welche in den Elementen herrschen, die Sphären des Himmels drehen, die organischen Körper bilden, das Frühlingsgewand der Natur mit Blumen sticken, und die Früchte des Herbstes in ihren Schooß ausgießen. Kann etwas faßlicher und angenehmer seyn als diese Theorie? Sie erklärt alles; sie leitet jede Wirkung aus einer ihr angemessenen Ursache ab; und durch sie begreift man die, in jedem andern System unerklärbare, Kunst der Natur eben so leicht, als man begreift, wie Zeuxis oder Parrhasius mit ein wenig gefärbter Erde eine bezaubernde Landschaft oder ein Bad der Diana erschaffen kann.Was für eine schöne Sache es um die Philosophie ist! sagten die Abderiten. Alles was man daran aussetzen möchte, ist, daß einem unter so viel feinen Theorien die Wahl sauer wird.Indessen machte doch der Pythagoräer, der alles durch Geister bewerkstelligte, das meiste Glück. Die Poeten, die Maler und alle übrigen Schutzverwandten der Musen, mit dem sämmtlichen Frauenzimmer von Abdera an ihrer Spitze, erklärten sich für — die Geister; doch unter der Bedingung, daß es ihnen erlaubt seyn müsse, sie in so angenehme Gestalten, als jedem gefällig sey, einzukleiden.Ich bin nie ein besonderer Freund der Philosophie gewesen (sagte der Priester Strobylus), und aus Ursache! Aber weil doch die Abderiten ihr Grübeln über das Wie und Warum der Dinge nun einmal nicht lassen können, so habe ich gegen die Physik des Dämonax noch immer am wenigsten einzuwenden; unter den gehörigen Einschränkungen verträgt sie sich so ziemlich mit —"O sie verträgt sich mit allem in der Welt, sagte Dämonax; dieß ist eben die Schönheit davon!"Endlich nahm Demokrit das Wort: soll ich euch, lieben Freunde, nach allen den feinen und kurzweiligen Sachen, die ihr bereits gehört habt, nun auch meine geringe Meinung sagen? Wenn es euch etwa wirklich darum zu thun seyn sollte, die Beschaffenheit der Dinge, die euch umgeben, kennen zu lernen, so däucht mich ihr nehmt einen ungeheuern Umweg. Die Welt ist sehr groß; und von dem Standorte, woraus wir in sie hineingucken, nach ihren vornehmsten Provinzen und Hauptstädten, ist es so weit, daß ich nicht wohl begreife, wie sich einer von uns einfallen lassen kann, die Karte eines Landes aufzunehmen, wovon ihm (sein angebornes Dörfchen ausgenommen) alles übrige, ja sogar die Gränzen unbekannt sind. Ich dächte, ehe wir Kosmogonien und Kosmologien träumten, setzten wir uns hin und beobachteten, zum Beispiel, den Ursprung einer Spinnewebe; und dieß so lange, bis wir so viel davon herausgebracht hätten, als fünf Menschensinne, mit Verstand angestrengt, daran entdecken können. Ihr werdet zu thun finden, das könnt ihr mir auf mein Wort glauben. Aber dafür werdet ihr auch erfahren, daß euch diese einzige Spinnewebe mehr Aufschluß über das große System der Natur, und würdigere Begriffe von seinem Urheber geben wird, als alle die feinen Weltsysteme, die ihr zwischen Wachen und Schlaf aus eurem eignen Gehirn herausgesponnen habt.Demokrit meinte dieß im ganzen Ernst; aber die Philosophen von Abdera glaubten, daß er ihrer spotten wolle. Er versteht nichts von der Pneumatik, sagte der eine. Von der Physik noch weniger, sagte der andere. Er ist ein Zweifler — er glaubt keine Grundtriebe — keinen Weltgeist — keinen Demiurg — keinen Gott! — sagte der dritte, vierte, fünfte, sechste und siebente. Man sollte solche Leute gar nicht im gemeinen Wesen dulden, sagte der Priester Strobylus.
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Zwölftes Kapitel.

Demokrit zieht sich weiter von Abdera zurück. Wie er sich in seiner Einsamkeit beschäftigt. Er kommt bei den Abderiten in den Verdacht daß er Zauberkünste treibe. Ein Experiment, das er bei dieser Gelegenheit mit den Abderitischen Damen macht, und wie es abgelaufen.

Bei dem allen war Demokrit ein Menschenfreund in der ächtesten Bedeutung des Wortes. Denn er meinte es gut mit der Menschheit, und freute sich über nichts so sehr, als wenn er irgend etwas Böses verhüten, oder etwas Gutes thun, veranlassen oder befördern konnte. Und wiewohl er glaubte, daß der Charakter eines Weltbürgers Verhältnisse in sich schließe, denen im Collisionsfall alle andern weichen müßten: so hielt er sich doch darum nicht weniger verbunden, als ein Bürger von Abdera, an dem Zustande seines Vaterlandes Antheil zu nehmen, und, so viel er könnte, zu dessen Verbesserung beizutragen. Allein, da man den Leuten nur insofern Gutes thun kann, als sie dessen fähig sind: so fand er sein Vermögen durch die unzähligen Hindernisse, die ihm die Abderiten entgegensetzten, in so enge Gränzen eingeschlossen, daß er Ursache zu haben glaubte, sich für eine der entbehrlichsten Personen in dieser kleinen Republik anzusehen. Was sie am nöthigsten haben, dacht' er, und das Beste was ich an ihnen thun könnte, wäre sie vernünftig zu machen. Aber die Abderiten sind freie Leute. Wenn sie nicht vernünftig seyn wollen, wer kann sie nöthigen?Da er nun bei so bewandten Umständen wenig oder nichts für die Abderiten als Abderiten thun konnte, so hielt er sich für hinlänglich gerechtfertigt, wenn er wenigstens seine eigne Person in Sicherheit zu bringen suchte, und einen so großen Theil als immer möglich von derjenigen Zeit rettete, die er der Erfüllung seiner weltbürgerlichen Pflichten schuldig zu seyn meinte.Weil nun seine bisherige Freistätte entweder nicht weit genug von Abdera entfernt war, oder wegen ihrer Lage und anderer Bequemlichkeiten so viel Reiz für die Abderiten hatte, daß er, ungeachtet seines Aufenthalts auf dem Lande, sich doch immer mitten unter ihnen befand: so zog er sich noch ein paar Stunden weiter in einen Wald, der zu seinem Gute gehörte, zurück, und bauete sich in die wildeste Gegend desselben ein kleines Haus, wo er die meiste Zeit — in der einsamen Ruhe, die das eigene Element des Philosophen und des Dichters ist — dem Erforschen der Natur und der Betrachtung oblag.Einige neuere Gelehrten —ob Abderiten oder nicht, wollen wir hierbei unentschieden lassen — haben sich von den Beschäftigungen dieses Griechischen Bacons in seiner Einsamkeit wunderliche, wiewohl auf ihrer Seite sehr natürliche Begriffe gemacht. — "Er arbeitete am Stein der Weisen," sagt Borrichins, und er fand ihn, und machte Gold." — Zum Beweis davon berufe er sich darauf, daß Demokrit ein Buch von Steinen und Metallen geschrieben habe.Die Abderiten, seine Zeitgenossen und Mitbürger, gingen noch weiter; und ihre Vermuthungen — die in Abderitischen Köpfen gar bald zur Gewißheit wurden —gründeten sich auf eben so gute Schlüsse, als jener des Borrichius. Demokrit war von Persischen Magiern erzogen worden: er war zwanzig Jahre in den Morgenländern herumgereist; hatte mit Aegyptischen Priestern, Chaldäern, Brachmanen und Gymnosophisten Umgang gepflogen, und war in allen ihren Mysterien eingeweiht; hatte tausend Arkane von seinen Reisen mit sich gebracht, und wußte zehntausend Dinge, wovon niemals etwas in eines Abderiten Sinn gekommen war. — Machte dieß alles zusammengenommen nicht den vollständigsten Beweis, daß er ein ausgelernter Meister in der Magie und allen davon abhängenden Künsten seyn mußte? — Der ehrwürdige Vater Delrio hätte Spanien, Portugal und Algarbien auf die Hälfte eines Beweises wie dieser zu Asche verbrennen lassen.Aber die guten Abderiten hatten noch nähere Beweisthümer in Händen, daß ihr gelehrter Landsmann — ein wenig hexen könne. Er sagte Sonnen- und Mondfinsternisse, Mißwachs, Seuchen und andre zukünftige Dinge zuvor. Er hatte einem verbuhlten Mädchen aus der Hand geweissagt, daß sie — zu Falle kommen, und einem Rathsherrn von Abdera, dessen ganzes Leben zwischen Schlafen und Schmausen getheilt war, daß er — an einer Unverdaulichkeit sterben würde; und beides war genau eingetroffen. Ueberdieß hatte man Bücher mit wunderlichen Zeichen in seinem Cabinette gesehen; man hatte ihn bei allerlei, vermuthlich magischen, Operationen mit Blut von Vögeln und Thieren angetroffen, man hatte ihn verdächtige Kräuter kochen sehen; und einige junge Leute wollten ihn sogar in später Nacht — bei sehr blassem Mondschein — zwischen Gräbern sitzend überschlichen haben. "Um ihn zu schrecken hatten wir uns in die scheußlichsten Larven verkleidet, sagten sie: Hörner, Ziegenfüße, Drachenschwänze, nichts fehlte uns, um leibhafte Feldteufel und Nachtgespenster vorzustellen; wir bliesen sogar Rauch aus Nasen und Ohren, und machten es so arg um ihn herum, daß ein Hercules vor Schrecken hätte zum Weibe werden mögen. Aber Demokrit achtete unser nicht; und, da wir es ihm endlich zu lange machten, sagte er bloß: nun, wird das Kinderspiel noch lange währen?"Da sieht man augenscheinlich, sagten die Abderiten, daß es nicht recht richtig mit ihm ist! Geister sind ihm nichts Neues; er muß wohl wissen, wie er mit ihnen steht!Er ist ein Zauberer; nichts kann gewisser seyn, sagte der Priester Strobylus; wir müssen ein wenig besser Acht auf ihn geben!"Man muß gestehen, daß Demokrit, entweder aus Unvorsichtigkeit, oder (welches glaublicher ist) weil er sich wenig aus der Meinung seiner Landsleute machte, zu diesen und andern bösen Gerüchten einige Gelegenheit gab. Man konnte in der That nicht lange unter den Abderiten leben, ohne in Versuchung zu gerathen, ihnen etwas auszuheften. Ihr Vorwitz und ihre Leichtgläubigkeit auf der einen Seite, und die hohe Einbildung, die sie sich von ihrer eigenen Scharfsinnigkeit machten, auf der andern, forderten einen gleichsam heraus; und überdieß war auch sonst kein Mittel, sich für die lange Weile, die man bei ihnen hatte, zu entschädigen. Demokrit befand sich nicht selten in diesem Falle; und da die Abderiten albern genug waren, alles, was er ihnen ironischer weise sagte, im buchstäblichen Sinne zu nehmen, so entstanden daher die vielen ungeräumten Meinungen und Mährchen, die auf seine Rechnung in der Welt herumliefen, und noch viele Jahrhunderte nach seinem Tode von andern Abderiten für baares Geld angenommen, oder wenigstens ihm selbst unbilligerweise zur Last gelegt wurden.Er hatte sich, unter andern, auch mit der Physiognomik abgegeben, und theils aus seinen eigenen Beobachtungen, theils aus dem was ihm andere von den ihrigen mitgetheilt, sich eine Theorie davon gemacht, von deren Gebrauch er (sehr vernünftig, wie uns däucht) urtheilte, daß es damit eben so wie mit der Theorie der poetischen oder irgend einer andern Kunst beschaffen sey: denn so wie noch keiner durch die bloße Wissenschaft der Regeln ein guter Dichter oder Künstler geworden sey, und nur derjenige, welchen angebornes Genie, emsiges Studium, hartnäckiger Fleiß und lange Uebung zum Dichter oder Künstler gemacht, geschickt sey, die Regeln seiner Kunst recht zu verstehen und anzuwenden; so sey auch die Theorie der Kunst, aus dem Aeußerlichen des Menschen auf das Innerliche zu schließen, nur für Leute von großer Fertigkeit im Beobachten und Unterscheiden brauchbar, für jeden andern hingegen eine höchst ungewisse und betrügliche Sache; und eben darum müsse sie als eine von den geheimen Wissenschaften oder großen Mysterien der Philosophie immer nur der kleinen Zahl der Epopten vorbehalten bleiben.Diese Art von der Sache zu denken bewies, daß Demokrit kein Charlatan war: aber den Abderiten bewies sie bloß, daß er ein Geheimniß aus seiner Wissenschaft mache. Daher ließen sie nicht ab, ihn, so oft sich die Rede davon gab, zu necken und zu plagen, daß er ihnen etwas davon entdecken sollte. Besonders drückte dieser Vorwitz die Abderitinnen. Sie wollten von ihm wissen — an was für äußerlichen Merkmalen ein getreuer Liebhaber zu erkennen sey? ob Milon von Krotona eine sehr große Nase gehabt habe? ob eine blasse Farbe ein nothwendiges Zeichen eines Verliebten sey? — und hundert andere Fragen dieser Art, mit denen sie seine Geduld so sehr ermüdeten, daß er endlich, um ihrer los zu werden, auf den Einfall kam, sie ein wenig zu erschrecken.Aber das haben Sie sich wohl nicht vorgestellt, sagte Demokrit, daß die Jungferschaft ein untrügliches Merkzeichen in den Augen haben könnte?"In den Augen? riefen die Abderitinnen. O! das ist nicht möglich! Warum just in den Augen?"Es ist nicht anders, versetzte er; und was Sie mir gewiß glauben können, ist, daß mir dieses Merkmal schon öfters von den Geheimnissen junger und alter Schönen mehr entdeckt hat, als sie Lust gehabt haben würden mir von freien Stücken anzuvertrauen.Der zuversichtliche Ton, womit er dieß sagte, verursachte einige Entfärbungen; wiewohl die Abderitinnen (die in allen Fällen, wo es auf die gemeine Sicherheit ihres Geschlechts ankam, einander getreulich beizustehen pflegten) mit großer Hitze darauf bestanden, daß sein vorgeblichem Geheimniß eine Chimäre sey.Sie nöthigen mich durch Ihren Unglauben, daß ich Ihnen noch mehr sagen muß, fuhr der Philosoph fort. Die Natur ist voll solcher Geheimnisse, meine schönen Damen; und wofür sollt' ich auch, wenn es sich der Mühe nicht verlohnte, bis nach Aethiopien und Indien gewandert seyn? Die Gymnosophisten, deren Weiber — wie Sie wissen —nackend gehen, haben mir sehr artige Sachen entdeckt."Zum Beispiel?" sagten die Abderitinnen.Unter andern ein Geheimniß, welches ich, wenn ich ein Ehemann wäre, lieber nicht zu wissen wünschen würde."Ach nun haben wir die Ursache, warum sich Demokrit nicht verheirathen will," — rief die schöne Thryallis.Als ob wir nicht schon lange wüßten, sagte Salabanda, daß es seine Aethiopische Venus ist, die ihn für unsere Griechische so unempfindlich macht. — Aber Ihr Geheimniß, Demokrit, wenn man es keuschen Ohren anvertrauen darf?"Zum Beweise, daß man es darf, will ich es den Ohren aller gegenwärtigen Schönen anvertrauen, antwortete der Naturforscher. Ich weiß ein unfehlbares Mittel, wie man machen kann, daß ein Frauenzimmer, im Schlafe, mit vernehmlicher Stimme alles sagt was sie auf dem Herzen hat."O gehen Sie, riefen die Abderitinnen, Sie wollen uns bang machen; aber —wir lassen uns nicht so leicht erschrecken."Wer wird auch an Erschrecken denken, sagte Demokrit, wenn von einem Mittel die Rede ist, wodurch einer jeden ehrlichen Frau Gelegenheit gegeben wird, zu zeigen, daß sie keine Geheimnisse hat, die ihr Mann nicht wissen dürfte?"Wirkt Ihr Mittel auch bei Unverheiratheten?" —fragte eine Abderitin, die weder jung noch reizend genug zu seyn schien, um eine solche Frage zu thun.Es wirkt vom zehnten Jahre an bis zum achtzigsten, erwiederte er, ohne Beziehung auf irgend einen andern Umstand, worin sich ein Frauenzimmer befinden kann.Die Sache fing an ernsthaft zu werden. — Aber Sie scherzen nur, Demokrit? sprach die Gemahlin eines Thesmotheten, nicht ohne eine geheime Furcht des Gegentheils versichert zu werden.Wollen Sie die Probe machen, Lysistrata?"Die Probe? — Warum nicht? — Vorausbedungen, daß nichts Magisches dazu gebraucht wird. Denn mit Hülfe Ihrer Talismane und Geister könnten Sie eine arme Frau sagen machen was Sie wollten."Es haben weder Geister noch Talismane damit zu thun. Alles geht natürlich zu. Das Mittel, das ich gebrauche, ist die simpelste Sache von der Welt.Die Damen fingen an, bei allen Grimassen von Herzhaftigkeit, wozu sie sich zu zwingen suchten, eine Unruhe zu verrathen, die den Philosophen sehr belustigte. —"Wenn man nicht wüßte, daß Sie ein Spötter sind, der die ganze Welt zum Besten hat. — Aber darf man fragen, worin Ihr Mittel besteht?"Wie ich Ihnen sagte, die natürlichste Sache von der Welt. Ein ganz kleines unschädliches Ding, einem schlafenden Frauenzimmer aufs Herzgrübchen gelegt, das ist das ganze Geheimniß: aber es thut Wunder, Sie können mirs glauben! Es macht reden, so lange noch im innersten Winkel des Herzens was zu entdecken ist.Unter sieben Frauenzimmern, die sich in der Gesellschaft befanden, war nur Eine, deren Miene und Gebärde unverändert die nämliche blieb wie vorher. Man wird denken, sie sey alt, oder häßlich, oder gar tugendhaft gewesen; aber nichts von allem diesem! Sie war — taub."Wenn Sie wollen, daß wir Ihnen glauben sollen, Demokrit, so nennen Sie Ihr Mittel."Ich will es dem Gemahl der schönen Thryallis ins Ohr sagen, sprach der boshafte Naturkündiger.Der Gemahl der schönen Thryallis war, ohne blind zu seyn, so glücklich, als Hagedorn einen Blinden schätzt dessen Gemahlin schön ist. Er hatte immer gute Gesellschaft, oder wenigstens was man zu Abdera so nannte, in seinem Hause. Der gute Mann glaubte, man finde so viel Vergnügen an seinem Umgang, und an den Versen die er seinen Besuchen vorzulesen pflegte. In der That hatte er das Talent, die schlechtesten Verse, die er machte, nicht übel zu lesen; und weil er mit vieler Begeisterung las, so wurde er nicht gewahr, daß seine Zuhörer, anstatt auf seine Verse Acht zu geben, mit der schönen Thryallis liebäugelten. Kurz, der Rathsherr Smilax war ein Mann, der eine viel zu gute Meinung von sich selbst hatte, um von der Tugend seiner Gemahlin eine schlimme zu hegen.Er bedachte sich also keinen Augenblick, dem Geheimniß sein Ohr darzubieten.Es ist weiter nichts, flüsterte ihm der Philosoph ins Ohr, als die Zunge eines lebendigen Frosches, die man einer schlafenden Dame auf die linke Brust legen muß. Aber Sie müssen sich beim Ausreißen wohl in Acht nehmen, daß nichts von den daran hängenden Theilen mitgeht, und der Frosch muß wieder ins Wasser gesetzt werden."Das Mittel mag nicht übel seyn, sagte Smilax leise; nur Schade daß es ein wenig bedenklich ist! Was würde der Priester Strobylus dazu sagen?Sorgen Sie nicht dafür, versetzte Demokrit: ein Frosch ist doch keine Diana, der Priester Strobylus mag sagen was er will. Und zudem geht es dem Frosche ja nicht ans Leben."Ich darf es also weiler geben?" — fragte Smilax.Von Herzen gern! Alle Mannspersonen in der Gesellschaft dürfen es wissen; und ein jeder mag es ungescheut allen seinen Bekannten entdecken; nur mit der Bedingung, daß es keiner weder seiner Frau noch seiner Geliebten wieder sage.Die guten Abderitinnen wußten nicht was sie von der Sache glauben sollten. Unmöglich schien sie ihnen nicht; und was sollte auch Abderiten unmöglich scheinen? —Ihre gegenwärtigen Männer oder Liebhaber waren nicht viel ruhiger; jeder setzte sich heimlich vor, das Mittel ohne Aufschub zu probiren, und jeder (den glücklichen Smilax ausgenommen) besorgte, gelehrter dadurch zu werden als er wünsche."Nicht wahr, Männchen — sagte Thryallis zu ihrem Gemahl, indem sie ihn freundlich auf die Backen klopfte, du kennst mich zu gut, um einer solchen Probe nöthig zu haben?""Der meinige sollte sich so etwas einfallen lassen, sagte Lagiska. Eine Probe setzt Zweifel voraus, und ein Mann, der an der Tugend seiner Frau zweifelt" —— Ist ein Mann, der Gefahr läuft seine Zweifel in Gewißheit verwandelt zu sehen, setzte Demokrit hinzu, da er sah, daß sie einhielt. — Das wollten Sie doch sagen, schöne Lagiska?"Sie sind ein Weiberfeind," riefen die Abderitinnen allzumal, aber vergessen Sie nicht, daß wir in Thracien sind, und hüten Sie sich vor dem Schicksal des Orpheus!"Wiewohl dieß im Scherz gesagt wurde, so war doch Ernst dabei. Natürlicher Weise läßt man sich nicht gern ohne Noth schlaflose Nächte machen; eine Absicht, von welcher wir den Philosophen um so weniger frei sprechen können, da er die Folgen seines Einfalles nothwendig voraussehen mußte. Wirklich gab diese Sache den sieben Damen so viel zu denken, daß sie die ganze Nacht kein Auge zuthaten; und da das vorgebliche Geheimniß den folgenden Tag in ganz Abdera herum lief, so verursachte er dadurch etliche Nächte hinter einander eine allgemeine Schlaflosigkeit.Indessen brachten die Weiber bei Tage wieder ein, was ihnen bei Nacht abging: und weil verschiedene sich nicht einfallen ließen, daß man ihnen das Arkanum, wenn sie am Tage schliefen, eben so gut appliciren könne als bei Nacht, und daher ihr Schlafzimmer zu verriegeln vergaßen, so bekamen die Männer unverhofft Gelegenheit, von ihren Froschzungen Gebrauch zu machen. Lysistrata, Thryallis, und einige andere, die am meisten dabei zu wagen hatten, waren die ersten, an denen die Probe, mit dem Erfolg den man leicht voraussehen kann, gemacht wurde.Aber eben dieß stellte in kurzem die Ruhe in Abdera wieder her. Die Männer dieser Damen, nachdem sie das Mittel zwei- oder dreimal ohne Erfolg gebraucht hatten, kamen in vollem Sprunge zu unserm Philosophen gelaufen, um sich zu erkundigen, was dieß zu bedeuten hätte. — So? rief er ihnen entgegen, hat die Froschzunge ihre Wirkung gethan? Haben Ihre Weiber gebeichtet? — Kein Wort, keine Sylbe, sagten die Abderiten. —Desto besser! rief Demokrit: triumphiren Sie darüber! Wenn eine schlafende Frau mit einer Froschzunge auf dem Herzen nichts sagt, so ist es ein Zeichen, daß sie — nichts zu sagen hat. Ich wünsche Ihnen Glück, meine Herren! Jeder von Ihnen kann sich rühmen, daß er den Phönix der Weiber in seinem Hause besitze.Wer war glücklicher als unsere Abderiten! Sie liefen so schnell als sie gekommen waren wieder zurück, fielen ihren erstaunten Weibern um den Hals, erstickten sie mit Küssen und Umarmungen, und bekannten nun freiwillig was sie gethan hatten, um sich von der Tugend ihrer Hälften (wiewohl wir davon schon gewiß waren, sagten sie) noch gewisser zu machen.Die guten Weiber wußten nicht ob sie ihren Sinnen glauben sollten. Aber, wiewohl sie Abderitinnen waren, hatten sie doch Verstand genug sich auf der Stelle zu fassen, und ihren Männern ein so unzärtliches Mißtrauen, als dasjenige war dessen sie sich selbst anklagten, nachdrücklich zu verweisen. Einige trieben die Sache bis zu Thränen; aber alle hatten Mühe die Freude zu verbergen, die ihnen eine so unverhoffte Bestätigung ihrer Tugend verursachte; und wiewohl sie, der Anständigkeit wegen, auf Demokriten schmähen mußten, so war doch keine, die ihn nicht dafür hätte umarmen mögen, daß er ihnen einen so guten Dienst geleistet hatte. Freilich war dieß nicht was er gewollt hatte. Aber die Folgen dieses einzigen unschuldigen Scherzes mochten ihn lehren, daß man mit Abderiten nicht behutsam genug scherzen kann.Indessen (wie alle Dinge dieser Welt mehr als Eine Seite haben) so fand sich auch, daß aus dem Uebel, welches unser Philosoph den Abderiten wider seine Pflicht zugefügt hatte, gleichwohl mehr Gutes entsprang, als man vermuthlich hätte erwarten können, wenn die Froschzungen gewirkt hätten. Die Männer machten die Weiber durch ihre unbegränzte Sicherheit, und die Weiber die Männer durch ihre Gefälligkeit und gute Laune glücklich. Nirgends in der Welt sah man zufriednere Ehen als in Abdera. Und bei allem dem waren die Stirnen der Abderiten so glatt, und — die Ohren und Zungen der Abderitinnen so keusch, als bei andern Leuten.
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Dreizehntes Kapitel.

Demokrit soll die Abderitinnen die Sprache der Vögel lehren. Im Vorbeigehen eine Probe, wie sie ihre Töchter bildeten.

Ein andermal geschah es, daß sich unser Philosoph an einem schönen Frühlingsabend mit einer Gesellschaft in einem von den Lustgärten befand, womit die Abderiten die Gegend um ihre Stadt verschönert hatten."Wirklich verschönert?" — Dieß nun eben nicht: denn woher hätten die Abderiten nehmen sollen, daß die Natur schöner ist als die Kunst, und daß zwischen künsteln und verschönern ein Unterschied ist? — Doch davon soll nun die Rede nicht seyn.Die Gesellschaft lag auf weichen mit Blumen bestreuten Rasen, unter einer hohen Laube, im Kreise herum. In den Zweigen eines benachbarten Baums sang eine Nachtigall. Eine junge Abderitin von vierzehn Jahren schien etwas dabei zu empfinden, wovon die übrigen nichts empfanden. Demokrit bemerkte es. Das Mädchen hatte eine sanfte Gesichtsbildung und Seele in den Augen. Schade für dich, daß du eine Abderitin bist! dacht' er. Was sollte dir in Abdera eine empfindsame Seele? Sie würde dich nur unglücklich machen. Doch es hat keine Gefahr! Was die Erziehung deiner Mutter und Großmutter an dir unverdorben gelassen hat, werden die Söhnchen unsrer Archonten und Rathsherren, und was diese verschonen, wird das Beispiel deiner Freundinnen zu Grunde richten. In weniger als vier Jahren wirst du eine Abderitin seyn wie die andern; und wenn du erst erfährst, daß eine Froschzunge auf dem Herzgrübchen nichts zu bedeuten hat —Was denken Sie, schöne Nannion? sagte Demokrit zu dem Mädchen."Ich denke, daß ich mich dort unter die Bäume setzen möchte, um dieser Nachtigall recht ungestört zuhören zu können."Das alberne Ding! sagte die Mutter des Mädchens. Hast du noch keine Nachtigall gehört?"Nannion hat Recht," sagte die schöne Thryallis; ich selbst höre für mein Leben gern den Nachtigallen zu. Sie singen mit einem solchen Feuer, und es ist etwas so Eigenes in ihren Modulationen, daß ich schon oft gewünscht habe, zu verstehen was sie damit sagen wollen. Ich bin gewiß, man würde die schönsten Dinge von der Welt hören. Aber Sie, Demokrit, der alles weiß, sollten Sie nicht auch die Sprache der Nachtigallen verstehen?"Warum nicht? antwortete der Philosoph mit seinem gewöhnlichen Phlegma: und die Sprache aller übrigen Vögel dazu!"Im Ernste?"Sie wissen ja, daß ich immer im Ernste rede."O das ist allerliebst! Geschwind, übersetzen Sie uns was aus der Sprache der Nachtigallen! Wie hieß das, was diese dort sang, als Nannion so davon gerührt wurde?"Das läßt sich nicht so leicht ins Griechische übersetzen als Sie denken, schöne Thryallis. Es gibt keine Redensarten in unsrer Sprache, die dazu zärtlich und feurig genug wären."Aber wie können Sie denn die Sprache der Vögel verstehen, wenn Sie nicht auf Griechisch wieder sagen können, was Sie gehört haben?"Die Vögel können auch kein Griechisch, und verstehen einander doch?"Aber Sie sind kein Vogel, wiewohl Sie ein loser Mann sind, der uns immer zum Besten hat."Daß man in Abdera doch so gern Arges von seinem Nächsten denkt! Indessen verdient Ihre Antwort, daß ich mich näher erkläre. Die Vögel verstehen einander durch eine gewisse Sympathie, welche ordentlicher Weise nur unter gleichartigen Geschöpfen Statt hat. Jeder Ton einer singenden Nachtigall ist der lebende Ausdruck einer Empfindung, und erregt in der zuhörenden unmittelbar den Unisono dieser Empfindung. Sie versteht also, vermittelst ihres eignen innern Gefühls, was ihr jene sagen wollte; und gerade auf die nämliche Weise versteh' ich sie auch."Aber wie machen Sie denn das?" — fragten etliche Abderitinnen.Die Frage war, nachdem Demokrit sich bereits so deutlich erklärt hatte, gar zu Abderitisch, als daß er sie ihnen so ungenossen hätte hingehen lassen können. Er besann sich einen Augenblick.Ich verstehe ihn, — sagte die kleine Nannion leise."Du verstehst ihn, du naseweises Ding? — schnarrte ihre Mutter das arme Mädchen an: — nun, lass' hören, Puppe, was verstehst du denn davon?"Ich kann es nicht zu Worte bringen; aber ich empfind' es, däucht mich, erwiederte Nannion."Sie ist, wie Sie hören, noch ein Kind, sagte die Mutter; wiewohl sie so schnell aufgeschossen ist, daß viele Leute sie für meine jüngere Schwester angesehen haben. Aber halten wir uns nicht mit dem Geplapper eines läppischen Mädchens auf, das noch nicht weiß was es sagt!"Nannion hat Gefühl, sagte Demokrit; sie findet den Schlüssel zur allgemeinen Sprache der Natur in ihrem Herzen, und vielleicht versteht sie mehr davon als —"O mein Herr, ich bitte Sie, machen Sie mir die kleine Närrin nicht noch einbildischer! sie ist ohnedieß naseweis und schnippisch genug —"Bravo, dachte Demokrit; nur so fortgefahren! Auf diesem Wege möchte noch Hoffnung für den Kopf und das Herz der kleinen Nannion seyn."Bleiben wir bei der Sache! (fuhr die Abderitin fort, die, ohne jemals recht gewußt zu haben wie und warum, die unerkannte Ehre hatte Nannions Mutter zu seyn.) Sie wollten uns ja erklären wie es zuginge, daß Sie die Sprache der Vögel verstehen?"Wir sind den Abderitinnen die Gerechtigkeit schuldig, nicht zu bergen, daß sie alles, was Demokrit von seiner Kenntniß der Vögelsprache gesagt hatte, für bloße Prahlerei hielten. Aber dieß hinderte nicht, daß die Fortsetzung dieses Gesprächs nicht etwas sehr Unterhaltendes für sie gehabt hätte: denn sie hörten von nichts lieber reden, als von Dingen, die sie nicht glaubten und doch glaubten: als da ist von Sphinxen, Meermännern, Sibyllen, Kobolden, Popanzen, Gespenstern, und allem was in diese Rubrik gehört; und die Sprache der Vögel gehörte auch dahin, dachten sie.Es ist ein Geheimniß, erwiederte Demokrit, das ich von dem Oberpriester zu Memphis lernte, da ich mich in die Aegyptischen Mysterien einfuhren ließ. Er war ein langer hagerer Mann, hatte einen sehr langen Namen, und einen noch längeren eisgrauen Bart, der ihm bis an den Gürtel reichte. Sie würden ihn für einen Mann aus der andern Welt gehalten haben, so feierlich und geheimnißvoll sah er in seiner spitzigen Mütze und in seinem schleppenden Mantel.Die Aufmerksamkeit der Abderiten nahm merklich zu. Nannion, die sich ein wenig weiter zurückgesetzt hatte, lauschte mit dem linken Ohr der Nachtigall entgegen; aber von Zeit zu Zeit schoß sie einen dankvollen Seitenblick auf den Philosophen, welchen dieser, so oft die Mutter auf ihren Busen sah oder ihren Hund küßte, mit aufmunterndem Lächeln beantwortete.Das ganze Geheimniß, fuhr er fort, besteht darin: man schneidet unter einer gewissen Constellation sieben verschiedenen Vögeln (deren Namen ich nicht entdecken darf) die Hälse ab, läßt ihr Blut in eine kleine Grube, die zu dem Ende in die Erde gemacht wird, zusammenfließen, bedeckt die Grube mit Lorberzweigen, und —geht seines Weges. Nach Verfluß von einundzwanzig Tagen kommt man wieder, deckt die Grube auf, und findet einen kleinen Drachen von seltsamer Gestalt. der aus der Fäulniß des vermischten Blutes entstanden ist. —"Einen Drachen!" — riefen die Abderitinnen mit allen Merkmalen des Erstaunens.Einen Drachen, wiewohl nicht viel größer als eine gewöhnliche Fledermaus. Diesen Drachen nehmen Sie, schneiden ihn in kleine Stücke, und essen ihn mit etwas Essig, Oel und Pfeffer, ohne das mindeste davon übrig zu lassen; gehen darauf zu Bette, decken sich wohl zu, und schlafen einundzwanzig Stunden in einem Stücke fort. Darauf erwachen Sie wieder, kleiden sich an, gehen in Ihren Garten oder in ein Wäldchen. und erstaunen nicht wenig, indem Sie sich augenblicklich auf allen Seiten von Vögeln umgeben und gegrüßt finden, deren Sprache und Gesang Sie so gut verstehen, als ob Sie alle Tage Ihres Lebens nichts als Elstern, Gänschen und Truthühner gewesen wären.Demokrit erzählte den Abderitinnen alles dieß mit einer so gelassenen Ernsthaftigkeit, daß sie sich um so weniger entbrechen konnten ihm Glauben beizumessen, da er (ihrer Meinung nach) die Sache unmöglich mit so vielen Umständen hätte erzählen können, wenn sie nicht wahr gewesen wäre. Indessen wußten sie jetzt doch gerade nur so viel davon als nöthig war, um desto ungeduldiger zu werden alles zu wissen —"Aber, fragten sie, was für Vögel sind es denn, die man dazu braucht? Ist der Sperling, der Finke, die Nachtigall, die Elster, die Wachtel, der Rabe, der Kibitz, die Nachteule u. s. f. auch darunter? Wie sieht der Drache aus? Hat er Flügel? Wie viele hat er deren? Ist er gelb, oder grün, oder blau, oder rosenfarben? Speit er Feuer? Beißt oder sticht er nicht, wenn man ihn anrühren will? Ist er gut zu essen? Wie schmeckt er? Wie verdaut er sich? Was trinkt man dazu?" — Alle diese Fragen, womit der gute Naturforscher von allen Seiten bestürmt wurde, machten ihm so warm, daß er sich endlich am kürzesten aus dem Handel zu ziehen glaubte, wenn er ihnen gestände, er habe die ganze Historie nur zum Scherz ersonnen."O, dieß sollen Sie uns nicht weiß machen! — riefen die Abderitinnen: Sie wollen nur nicht daß wir hinter Ihre Geheimnisse kommen. Aber wir werden Ihnen keine Ruhe lassen, verlassen Sie sich darauf! Wir wollen den Drachen sehen, betasten, beriechen, kosten, und mit Haut und Knochen aufessen, oder — Sie sollen uns sagen, warum nicht!"
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Zweites Buch.

Hippokrates in Abdera.

Erstes Kapitel.

Eine Abschweifung über den Charakter und die Philosophie des Demokritus, welche wir den Leser nicht zu überschlagen bitten.

Wir wissen nicht, wie Demokrit es angefangen, um sich die neugierigen Weiber vom Halse zu schaffen. Genug, daß uns diese Beispiele begreiflich machen, wie ein bloßer zufälliger Einfall Gelegenheit habe geben können, den unschuldigen Naturforscher in den Ruf zu bringen, als ob er Abderit genug gewesen sey, alle die Mährchen, die er seinen albernen Landsleuten aufheftete, selbst zu glauben. Diejenigen, die ihm dieß zum Vorwurf nachgesagt haben, berufen sich auf seine Schriften. Aber schon lange vor den Zeiten des Vitruvius und Plinius wurden eine Menge unächter Bächlein mit vielbedeutenden Titeln unter seinem Namen herumgetragen. Man weiß, wie gewöhnlich diese Art von Betrug den müßigen Graeculis der spätern Zeiten war. Die Namen Hermes, Trismegistus, Zoroaster, Orpheus, Pythagoras, Demokritus, waren ehrwürdig genug, um die armseligen Geburten schaler Köpfe verkäuflich zu machen; insonderheit nachdem die Alexandrinische Philosophenschule die Magie in eine Art von allgemeiner Achtung, und die Gelehrten in den Geschmack gebracht hatte, sich bei den Ungelehrten das Ansehen zu geben als ob sie gewaltige Wundermänner wären, die den Schlüssel zur Geisterwelt gefunden hätten, und für die nun in der ganzen Natur nichts Geheimes sey. Die Abderiten hatten den Demokrit in den Ruf der Zauberei gebracht, weil sie nicht begreifen konnten, wie man ohne ein Hexenmeister zu seyn so viel wissen könne, als sie — nicht wußten; und spätere Betrüger fabricirten Zauberbücher in seinem Namen, um von jenem Ruf bei den Dummköpfen ihrer Zeit Vortheile zu ziehen.Ueberhaupt waren die Griechen große Liebhaber davon, mit ihren Philosophen den Narren zu treiben. Die Athener lachten herzlich, als ihnen der witzige Possenreißer Aristophanes weiß machte, Sokrates halte die Wolken für Göttinnen, messe aus, wie viele Flohfüße hoch ein Floh springen könne, lasse sich, wenn er meditiren wolle, in einem Korbe aufhängen, damit die anziehende Kraft der Erde seine Gedanken nicht einsauge u. s. w., und es dünkte sie überaus kurzweilig, den Mann, der ihnen immer die Wahrheit und also oft unangenehme Dinge sagte, wenigstens auf der Bühne platte Pedantereien sagen zu hören. Und wie mußte sich nicht Diogenes (der unter den Nachahmern des Sokrates noch am meisten die Miene seines Originals hatte) von diesem Volke, das so gern lachte, mißhandeln lassen! Sogar der begeisterte Plato und der tiefsinnige Aristoteles blieben nicht von Anklagen frei, wodurch man sie zu dem großen Haufen der alltäglichen Menschen herabzusetzen suchte. Was Wunder also, daß es dem Manne nicht besser ging, der so verwegen war, mitten unter Abderiten Verstand zu haben!Demokrit lachte zuweilen, wie wir alle, und würbe vielleicht, wenn er zu Korinth oder Smyrna oder Syracus oder an irgend einem andern Orte der Welt gelebt hätte, nicht mehr gelacht haben, als jeder andre Biedermann, der sich, aus Gründen oder von Temperaments wegen, aufgelegter fühlt die Thorheiten der Menschen zu belachen als zu beweinen. Aber er lebte unter Abderiten. Es war einmal die Art dieser guten Leute, immer etwas zu thun, worüber man entweder lachen oder weinen oder ungehalten werden mußte: und Demokrit lachte, wo ein Phocion die Stirne gerunzelt, ein Cato gepoltert, und ein Swift zugepeitscht hätte. Bei einem ziemlich langen Aufenthalt in Abdera konnte ihm also die Miene der Ironie wohl eigenthümlich werden: aber daß er im buchstäblichen Verstande immer aus vollem Halse gelacht habe, wie ihm ein Dichter, der die Sachen gern übertreibt, nachsagt dieß hätte wenigstens niemand in Prosa sagen sollen.Doch diese Nachrede möchte immer hingehen, zumal da ein so gepriesener Philosoph wie Seneca unsern Freund Demokrit über diesen Punct rechtfertigt, und sogar nachahmenswürdig findet. "Wir müssen uns dahin bestreben, sagt Seneca, daß uns die Thorheiten und Gebrechen des großen Haufens sammt und sonders nicht hassenswürdig, sondern lächerlich vorkommen; und wir werden besser thun, wenn wir uns hierin den Demokrit als den Heraklit zum Muster nehmen. Dieser pflegte, so oft er unter die Leute ging, zu weinen: jener, zu lachen; dieser sah in allem unserm Thun eitel Noth und Elend; jener eitel Tand und Kinderspiel. Nun ist es aber freundlicher, das menschliche Leben anzulachen als es anzugrinsen; und man kann sagen, daß sich derjenige um das Menschengeschlecht verdienter macht, der es belacht, als der es bejammert. Denn jener läßt uns doch noch immer ein wenig Hoffnung übrig; dieser hingegen weint alberner Weise über Dinge, die er bessern zu können verzweifelt. Auch zeigt derjenige eine größere Seele, der, wenn er einen Blick über das Ganze wirft, sich nicht des Lachens —als jener, der sich der Thränen nicht enthalten kann; denn er gibt dadurch zu erkennen, daß alles, was andern groß und wichtig genug scheint um sie in die heftigsten Leidenschaften zu setzen, in seinen Augen so klein ist, daß es nur den leichtesten und kaltblütigsten unter allen Affekten in ihm erregen kann."Im Vorbeigehen, däucht mich, die Entscheidung des Sophisten Seneca habe Verstand; wiewohl er vielleicht besser gethan hätte, seine Gründe weder so weit herzuholen, noch in so gekünstelte Antithesen einzuschrauben. Doch, wie gesagt, der bloße Umstand, daß Demokrit unter Abderiten lebte, und über Abderiten lachte, macht den Vorwurf, von welchem die Rede ist (wie übertrieben er auch seyn mag), zum erträglichsten unter allem was unserm Weisen aufgebürdet worden. Läßt doch Homer die Götter selbst über einen weit weniger lächerlichen Gegenstand — über den hinkenden Vulcan, der aus der gutherzigen Absicht, Friede unter den Olympiern zu stiften, den Mundschenken macht — in ein unauslöschliches Gelächter ausbrechen! Aber das Vorgeben, daß Demokrit sich selbst freiwillig des Gesichts beraubt habe, und die Ursachen, warum er das gethan haben soll, dieß setzt auf Seiten derjenigen, bei denen es Eingang finden konnte, eine Neigung voraus, die wenigstens ihrem Kopfe wenig Ehre macht.Und was für eine Neigung mag denn das seyn? —Ich will es euch sagen, lieben Freunde, und gebe der günstige Himmel, daß es nicht gänzlich in den Wind gesagt seyn möge!Es ist die armselige Neigung, jeden Dummkopf, jeden hämischen Buben für einen unverwerflichen Zeugen gelten zu lassen, sobald er einem großen Manne irgend eine überschwängliche Ungereimtheit nachsagt, welche sogar der alltäglichste Mensch bei fünf gesunden Sinnen zu begehen unfähig wäre.Ich möchte nicht gern glauben, daß diese Neigung so allgemein sey als die Verkleinerer der menschlichen Natur behaupten: aber dieß wenigstens lehrt die Erfahrung, daß die kleinen Anekdoten, die man von großen Männern auf Unkosten ihrer Vernunft circuliren zu lassen pflegt, sehr leicht bei den meisten Eingang finden. Doch vielleicht ist dieser Hang im Grunde nicht sträflicher als das Vergnügen, womit die Sternseher Flecken in der Sonne entdeckt haben? Vielleicht ist es bloß das Unerwartete und Unbegreifliche, was die Entdeckung solcher Flecken so angenehm macht? Außerdem findet sich auch nicht selten, daß die armen Leute, indem sie einen großen Manne Widersinnigkeiten andichten, ihm (nach ihrer Art zu denken) noch viel Ehre zu erweisen glauben; und dieß mag wohl, was die freiwillige Blindheit unsers Philosophen betrifft, der Fall bei mehr als Einem Abderitischen Gehirne gewesen seyn."Demokrit beraubte sich des Gesichtes, sagt man, damit er desto tiefer denken könnte. Was ist hierin so Unglaubliches? Haben wir nicht Beispiele freiwilliger Verstümmelungen von ähnlicher Art. Kombabus — Origenes —"Gut! — Kombabus und Origenes warfen einen Theil ihrer selbst von sich, und zwar einen Theil, den wohl die meisten (im Fall der Noth) mit allen ihren Augen, und wenn sie deren so viel als Argus hätten, erkaufen würden. Allein sie hatten auch einen großen Beweggrund dazu. Was gibt der Mensch nicht um sein Leben! Und was thut oder leidet man nicht, um der Günstling eines Fürsten zu bleiben, oder gar eine Pagode zu werden! — Demokrit hingegen konnte keinen Beweggrund von dieser Stärke haben. Es möchte noch hingehen, wenn er ein Metaphysiker oder ein Poet gewesen wäre. Dieß sind Leute, die zu ihrem Geschäfte des Gesichts entbehren können. Sie arbeiten am meisten mit der Einbildungskraft, und diese gewinnt sogar durch die Blindheit. Aber wann hat man jemals gehört, daß ein Beobachter der Natur, ein Zergliederer, ein Sternseher, sich die Augen ausgestochen hätte, um desto besser zu beobachten, zu zergliedern und nach den Sternen zu sehen?Die Ungereimtheit ist so handgreiflich, daß Tertullian die angebliche That unsers Philosophen aus einer andern Ursache ableitet, die ihm aber zum wenigsten eben so ungereimt hätte vorkommen müssen, wenn er nicht gerade vonnöthen gehabt hätte, die Philosophen, die er zu Boden legen wollte, in Strohmänner zu verwandeln. "Er beraubte sich der Augen, sagt Tertullian, weil er kein Weib ansehen konnte, ohne ihrer zu begehren." — Ein feiner Grund für einen Griechischen Philosophen aus dem Jahrhunderte des Perikles! Demokrit, der sich gewiß nicht einfallen ließ weiser seyn zu wollen als Solon, Anaxagoras, Sokrates, hatte auch vonnöthen zu einem solchen Mittel seine Zuflucht zu nehmen! Wahr ist's: der Rath des letztern (der Demokriten gewiß nichts Unbekanntes war, weil er Verstand genug hatte, sich ihn selbst zu geben) verfängt wenig gegen die Gewalt der Liebe; und einem Philosophen, der sein ganzes Leben dem Erforschen der Wahrheit widmen wollte, war allerdings sehr viel daran gelegen, sich vor einer so tyrannischen Leidenschaft zu hüten. Allein von dieser hatte auch Demokrit, wenigstens in Abdera, nichts zu besorgen. Die Abderitinnen waren zwar schön; aber die gütige Natur hatte ihnen die Dummheit zum Gegengift ihrer körperlichen Reizungen gegeben. Eine Abderitin war nur schön bis sie — den Mund aufthat, oder bis man sie in ihrem Hauskleide sah. Leidenschaften von drei Tagen waren das Aeußerste, was sie einem ehrlichen Manne, der kein Abderit war, einflößen konnte; und eine Liebe von drei Tagen ist einem Demokrit am Philosophiren so wenig hinderlich, daß wir vielmehr allen Naturforschern, Zergliederern, Meßkünstlern und Sternsehern demüthig rathen wollten, sich dieses Mittels, als eines vortrefflichen Recepts gegen Milzbeschwerungen, öfters zu bedienen, wenn nicht zu vermuthen wäre, daß diese Herren zu weise sind eines Rathes vonnöthen zu haben. Ob Demokrit selbst die Kraft dieses Mittels zufälliger Weise bei einer oder der andern von den Abderitischen Schönen, die wir bereits kennen gelernt, versucht haben möchte, können wir aus Mangel authentischer Nachrichten weder bejahen noch verneinen. Aber daß er, um gar nicht oder nicht zu stark von so unschädlichen Geschöpfen eingenommen zu werden, und weil er auf allen Fall sicher war daß sie ihm die Augen nicht auskratzen würden, — schwach genug gewesen sey, sich solche selbst auszukratzen; dieß mag Tertullian glauben so lang es ihm beliebt; wir zweifeln sehr, daß es jemand mitglauben wird.Aber alle diese Ungereimtheiten werden unerheblich, wenn wir sie mit demjenigen vergleichen, was ein sonst in seiner Art sehr verdienter Sammler von Materialien zur Geschichte des menschlichen Verstandes die Philosophie des Demokritus nennt. Es würde schwer seyn, von einem Haufen einzelner Trümmer, Steine und zerbrochner Säulen, die man als vorgebliche Ueberbleibsel des großen Tempels zu Olympia aus unzähligen Orten zusammengebracht hätte, mit Gewißheit zu sagen, daß es wirklich Trümmer dieses Tempels seyen. Aber was würde man von einem Manne denken, der — wenn er diese Trümmer, so gut es ihm in der Eile möglich gewesen wäre, auf einander gelegt, und mit etwas Lehm und Stroh zusammengeflickt hätte — ein so armseliges Stückwerk, ohne Plan, ohne Fundament, ohne Größe, ohne Symmetrie und Schönheit, für den Tempel zu Olympia ausgeben wollte?Ueberhaupt ist es gar nicht wahrscheinlich, daß Demokrit ein System gemacht habe. Ein Mann, der sein Leben mit Reisen, Beobachtungen und Versuchen zubringt, lebt selten lange genug, um die Resultate dessen was er gesehen und erfahren in ein kunstmäßiges Lehrgebäude zusammenzufügen. Und in dieser Rücksicht könnte wohl auch Demokrit, wiewohl er über ein Jahrhundert gelebt haben soll, noch immer zu früh vom Tod überrascht worden seyn. Aber, daß ein solcher Mann, mit dem durchdringenden Verstande und mit dem brennenden Durste nach Wahrheit, den ihm das Alterthum einhellig zuschreibt, fähig gewesen sey, handgreiflichen Unsinn zu behaupten, ist noch etwas weniger als unwahrscheinlich. "Demokrit" (sagt man uns) "erklärte das Daseyn der Welt lediglich aus den Atomen, dem leeren Raum, und der Nothwendigkeit oder dem Schicksal. Er fragte die Natur achtzig Jahre lang, und sie sagte ihm kein Wort von ihrem Urheber, von seinem Plan, von seinem Endzweck? Er schrieb den Atomen allen einerlei Art von Bewegung zu, und wurde nicht gewahr, daß aus Elementen, die sich in parallelen Linien bewegen, in Ewigkeit keine Körper entstehen können? Er läugnete, daß die Verbindung der Atomen nach dem Gesetze der Aehnlichkeit geschehe; er erklärte alles in der Welt aus einer unendlich schnellen aber blinden Bewegung, und behauptete gleichwohl daß die Welt ein Ganzes sey?" u. s. w. Diesen und andern ähnlichen Unsinn setzt man auf seine Rechnung: citiret den Stobäus, Sextus, Censorinus; und bekümmert sich wenig darum, ob es unter die möglichen Dinge gehöre, daß ein Mann von Verstand (wofür man gleichwohl den Demokrit ausgibt) so gar erbärmlich räsonniren könnte. Freilich sind große Geister von der Möglichkeit sich zu irren, oder unrichtige Folgerungen zu ziehen, eben so wenig frei als kleine; wiewohl man gestehen muß, daß sie unendlichemal seltner in diese Fehler fallen, als es die Liliputer gern hätten: aber es gibt Albernheiten die nur ein Dummkopf zu denken oder zu sagen fähig ist, so wie es Unthaten gibt die nur ein Schurke begehen kann. Die besten Menschen haben ihre Anomalien, und die weisesten leiden zuweilen eine vorübergehende Verfinsterung; aber dieß hindert nicht, daß man nicht mit hinlänglicher Sicherheit von einem verständigen Manne sollte behaupten können: daß er gewöhnlich, und besonders bei solchen Gelegenheiten, wo auch die dümmsten allen den ihrigen zusammenraffen, wie ein Mann von Verstand verfahren werde.Diese Maxime könnte uns, wenn sie gehörig angewendet würde, im Leben manches rasche Urtheil, manche von wichtigen Folgen begleitete Verwechslung des Scheins mit der Wahrheit ersparen helfen. Aber den Abderiten half sie nichts. Denn zum Anwenden einer Maxime wird gerade das Ding erfordert — das sie nicht hatten. Die guten Leute behalfen sich mit einer ganz andern Logik als vernünftige Menschen; und in ihren Köpfen waren Begriffe associirt, die, wenn es keine Abderiten gäbe, sonst in aller Ewigkeit nie zusammenkommen würden. Demokrit untersuchte die Natur der Dinge, und bemerkte Ursachen gewisser Naturbegebenheiten ein wenig früher als die Abderiten: also war er ein Zauberer. — Er dachte über alles anders als sie, lebte nach andern Grundsätzen, brachte seine Zeit auf eine ihnen unbegreifliche Art mit sich selbst zu, — also war es nicht recht richtig in seinem Kopfe; der Mann hatte sich überstudirt, und man besorgte, daß es einen unglücklichen Ausgang mit ihm nehmen werde. — Solche Schlüsse machen die Abderiten aller Zeiten und Orte!
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Zweites Kapitel.

Demokrit wird eines schweren Verbrechens beschuldigt, und von einem seiner Verwandten damit entschuldigt, daß er seines Verstandes nicht recht mächtig sey. Wie er das Ungewitter, welches ihm der Priester Strobylus zubereiten wollte, noch zu rechter Zeit ableitet.

Was hört man von Demokriten? —sagten die Abderiten unter einander. —"Schon sechs ganzer Wochen will niemand nichts von ihm gesehen haben. —Man kann seiner nie habhaft werden; oder wenn man ihn endlich trifft, so sitzt er in tiefen Gedanken und ihr habt eine halbe Stunde vor ihm gestanden, habt mit ihm gesprochen, und seyd wieder weggegangen, ohne daß er es gewahr worden ist. Bald wühlt er in den Eingeweiden von Hunden und Katzen herum; bald kocht er Kräuter, oder steht mit einem großen Blasebalg in der Hand vor einem Zauberofen, und macht Gold, oder noch was Aerger's. Bei Tage klettert er wie eine Gemse die steilsten Klippen des Hämus hinan, um — Kräuter zu suchen, als ob es deren nicht genug in der Nähe gäbe; und bei Nacht, wo sogar die unvernünftigen Geschöpfe der Ruhe pflegen, wickelt er sich in einen Skythischen Pelz, und guckt, beim Kastor! durch ein Blaserohr nach den Sternen."Ha, ha, ha! Man könnte sich's nicht närrischer träumen lassen! Ha, ha, ha! — lachte der kurze dicke Rathsherr.Es ist bei allem dem Schade um den Mann, sagte der Archon von Abdera; man muß gleichwohl gestehen daß er viel weiß.Aber was hat die Republik davon? — versetzte ein Rathsherr, der sich mit Projecten, Verbesserungsvorschlägen und Deductionen veralteter Ansprüche eine hübsche runde Summe von der Republik verdient hatte, und in Kraft dessen immer aus vollen Backen von seinen Verdiensten um das Abderitische Wesen prahlte, wiewohl das Abderitische Wesen sich durch alle seine Projecte, Deductionen und Verbesserungen nicht um hundert Drachmen besser befand.Es ist wahr (sprach ein andrer), mit seiner Wissenschaft läuft es auf lauter Spielwerk hinaus; nichts Gründliches! In minimis maximus!Und dann sein unerträglicher Stolz! seine Widersprechungssucht! sein ewiges Vernünfteln und Tadeln und Spötteln!Und sein schlimmer Geschmack!Von der Musik wenigstens versteht er nicht den Kuckuck, sagte der Nomophylax.Vom Theater noch weniger, rief Hyperbolus.Und von der hohen Ode gar nichts, sagte Physignathus.Er ist ein Charlatan, ein Windbeutel —Und ein Freigeist obendrein, schrie der Priester Strobylus; ein ausgemachter Freigeist, ein Mensch der nichts glaubt, dem nichts heilig ist! Man kann ihm beweisen, daß er einer Menge Frösche die Zunge bei lebendigem Leibe ausgerissen hat.Man spricht stark davon, daß er deren etliche sogar lebendig zergliedert habe, sagte jemand.Ist's möglich? rief Strobylus mit allen Merkmalen des äußersten Entsetzens; sollte dieß bewiesen werden können? Gerechte Latona! wozu diese verfluchte Philosophie einen Menschen nicht bringen kann! Aber, sollt' es wirklich bewiesen werden können?Ich geb' es wie ich es empfangen habe, erwiederte jener.Es muß untersucht werden, schrie Strobylus, hochpreislicher Herr Archon! Wahlweise Herren! — ich fordre Sie hiermit im Namen der Latona auf! Die Sache muß untersucht werden!Wozu eine Untersuchung? sagte Thrasyllus, einer von den Häuptern der Republik, ein naher Anverwandter und vermuthlicher Erbe des Philosophen. Die Sache hat ihre Richtigkeit. Aber sie beweist weiter nichts, als was ich, leider! schon seit geraumer Zeit an meinem armen Vetter wahrgenommen habe, — daß es mit seinem Verstande nicht so gut steht als zu wünschen wäre. Demokrit ist kein schlimmer Mann; er ist kein Verächter der Götter: aber er hat Stunden da er nicht bei sich selber ist. Wenn er einen Frosch zergliedert hat, so wollt' ich für ihn schwören daß er den Frosch für eine Katze ansah.Desto schlimmer! sagte Strobylus.In der That, desto schlimmer —für seinen Kopf und für sein Hauswesen! — fuhr Thrasyllus fort. Der arme Mann ist in einem Zustande, wobei wir nicht länger gleichgültig bleiben können. Die Familie wird sich genöthiget sehen die Republik um Hülfe anzurufen. Er ist in keiner Betrachtung fähig sein Vermögen selbst zu verwalten. Er wird bevogtet werden müssen.Wenn dieß ist — sagte der Archon mit einer bedenklichen Miene — und hielt inne.Ich werde die Ehre haben, Ihre Herrlichkeit näher von der Sache zu unterrichten, versetzte der Rathsherr Thrasyllus.Wie? Demokrit sollte nicht bei Verstande seyn? rief einer von den Anwesenden. Meine Herren von Abdera, bedenken Sie wohl was Sie thun! Sie sind in Gefahr, dem ganzen Griechenland ein großes Lachen zuzubereiten. Ich will meine Ohren verloren haben, wenn Sie einen verständigern Mann diesseits und jenseits des Hebrus finden, als diesen nämlichen Demokrit! Nehmen Sie sich in Acht, meine Herren! die Sache ist kitzlicher als Sie vielleicht denken.Unsre Leser erstaunen — aber wir wollen ihnen sogleich aus dem Wunder helfen. Derjenige, der dieß sagte, war kein Abderit. Es war ein Fremder aus Syrakus, und (was die Rathsherren von Abdera in Respect erhielt) ein naher Verwandter des ältern Dionysius, der sich vor kurzem zum Fürsten dieser Republik aufgeworfen hatte.Sie können versichert seyn, antwortete der Archon dem Syrakuser, daß wir nicht weiter in der Sache gehen werden als wir Grund finden.Ich nehme zu viel Antheil an der Ehre, welche der erlauchte Syrakuser meinem Vetter durch seine gute Meinung erweist, sagte Thrasyllus, als daß ich nicht wünschen sollte, sie bestätigen zu können. Es ist wahr, Demokrit hat seine hellen Augenblicke; und in einem solchen wird ihn der Prinz gesprochen haben. Aber leider! es sind nur Augenblicke —So müssen die Augenblicke in Abdera sehr lang seyn, fiel der Syrakuser ein.Hoch- und wohlweise Herren, sagte der Priester Strobylus, die Umstände mögen beschaffen seyn wie sie wollen, bedenken Sie daß die Rede von einem lebendig zergliederten Frosche ist! Die Sache ist wichtig, und ich dringe auf Untersuchung. Denn davor sey Latona und Apollo, daß ich fürchten sollte —Beruhigen Sie sich, Herr Oberpriester, fiel ihm der Archon ins Wort — der (unter uns gesagt) selbst ein wenig im Verdachte stand, von den Fröschen der Latona nicht so gesund zu denken, wie man in Abdera davon denken mußte. —Auf die erste Anregung, welche von Seiten der Vorsteher des geheiligten Teiches beim Senat gemacht werden wird, sollen die Frösche alle gebührende Genugthuung erhalten!Der Syrakuser benachrichtigte Demokriten unverzüglich von allem, was in dieser Gesellschaft gesprochen worden war.Laß den fettesten jungen Pfau im Hühnerhofe würgen, und an den Bratspieß stecken, sagte Demokrit zu seiner Haushälterin, und benachrichtige mich wenn er gar ist.Des nämlichen Abends, als sich Strobylus zu Tische setzte, ward der gebratne Pfau in einer silbernen Schüssel, als ein Geschenk Demokrits, aufgetragen. Als man ihn öffnete, siehe, da war er mit hundert goldnen Dariken gefüllt. Es muß doch nicht so gar übel mit dem Verstande des Mannes stehen, dachte Strobylus.Das Mittel wirkte unverzüglich was es wirken sollte. Der Oberpriester ließ sich den Pfau herrlich schmecken, trank Griechischen Wein dazu, strich die hundert Dariken in seinen Beutel, und dankte der Latona für die Genugthuung, die sie ihren Fröschen verschafft hatte.Wir haben alle unsre Fehler, sagte Strobylus des folgenden Tages in einer großen Gesellschaft. Demokrit ist zwar ein Philosoph; aber ich finde doch, daß er es so übel nicht meint als ihn seine Feinde beschuldigen. Die Welt ist schlimm, man hat wunderliche Dinge von ihm erzählt: aber ich denke gern das Beste von jedermann. Ich hoffe sein Herz ist besser als sein Kopf! Es soll nicht gar zu richtig in dem letztern seyn, und ich glaub' es selbst. Einem Menschen in solchen Umständen muß man viel zu gut halten. Ich bin gewiß, daß er der feinste Mann in ganz Abdera wäre, wenn ihm die Philosophie den Verstand nicht verdorben hätte!Strobylus fing durch diese Rede zwei Fliegen mit Einer Klappe. Er entledigte sich seiner Verbindlichkeit gegen unsern Philosophen, da er von ihm als von einem guten Manne sprach, und machte sich ein Verdienst um den Rathsherrn Thrasyllus, indem er es auf Unkosten seines Verstandes that. Woraus zu ersehen ist, daß der Priester Strobylus, bei aller seiner Einfalt oder Dummheit (wenn man es so nennen will) ein schlauer Gast war.
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Drittes Kapitel.

Eine kleine Abschweifung in die Regierungszeit Schach-Baham des Weisen. Charakter des Rathsherrn Thrasyllus.

Es gibt eine Art von Menschen, die man viele Jahre lang kennen und beobachten kann, ohne mit sich selbst einig zu werden, ob man sie in die Classe der schwachen oder der bösen Leute setzen soll. Kaum haben sie einen Streich gemacht, dessen kein Mensch von einiger Ueberlegung fähig zu seyn scheint, so überraschen sie uns durch eine so wohl ausgedachte Bosheit, daß wir, mit allem guten Willen von ihrem Herzen das Beste zu denken, uns in der Unmöglichkeit befinden, die Schuld auf ihren Kopf zu legen. Gestern nahmen wir es für ausgemacht an, daß Herr Quidam so schwach von Verstand sey, daß es Sünde wäre ihm seine Ungereimtheiten zu Verbrechen zu machen; heute überführt uns der Augenschein, daß der Mann zu übelthätig ist um ein bloßer Dummkopf zu sein; wir sehen keinen Ausweg, ihn von der Schuld eines bösen Willens frei zu sprechen. Aber kaum haben wir hierüber unsre Partei genommen, so sagt oder thut er etwas, das uns wieder in unsre vorige Hypothese zurückwirft, oder wenigstens in eine der unangenehmsten Seelenlagen, in die Verlegenheit setzt, nicht zu wissen was wir von dem Manne denken, oder — wenn unser Unstern will daß wir mit ihm zu thun haben müssen — was wir mit ihm anfangen sollen.Die geheime Geschichte von Agra sagt, daß der berühmte Schach-Baham sich einmals mit einem seiner Omrahs in diesem Falle befunden habe. Der Omrah wurde beschuldigt, daß er Ungerechtigkeiten ausgeübt habe.So soll er gehangen werden, sagte Schach-Baham."Aber, Sire, hielt man ihm entgegen, der arme Kurli ist ein so schwacher Kopf, daß noch die Frage ist, ob er den Unterschied zwischen Recht und Link deutlich genug einsieht, um zu wissen ob er eine Ungerechtigkeit begeht oder nicht."Wenn dies ist, sagte Schach-Baham, so schickt ihn ins Narrenhospital."Gleichwohl, Sire, da er Verstand genug hat einem Wagen mit Heu auszuweichen, und bei einem Pfeiler, an dem er sich den Kopf zerschellen könnte, vorbeizugehen, weil er wohl merkt, daß der Pfeiler nicht bei ihm vorbeigehen werde —"Merkt er das? rief der Sultan; beim Barte des Propheten, so sagt mir nichts weiter. Morgen soll man sehen, ob Justiz in Agra ist."Indessen gibt es Leute, die Eure Majestät versichern werden, daß der Omrah — seine Dummheit ausgenommen, die ihn zuweilen boshaft macht — der ehrlichste Mann von der Welt ist.""Um Vergebung! (fiel ein andrer von den anwesenden Höflingen ein) gerade das Gegentheil! Kurli hat alles, was noch gut an ihm ist, seiner Dummheit zu danken. Er würde zehnmal schlimmer seyn als er ist, wenn er Verstand genug hätte zu wissen wie er's anfangen sollte."Wißt ihr auch, meine Freunde, daß in allem, was ihr mir da sagt, kein Menschenverstand ist? versetzte Schach-Baham. Vergleicht euch erst mit euch selbst, wenn ich bitten darf! Kurli, spricht dieser, ist ein böser Mann weil er dumm ist. —Nein, spricht jener, er ist dumm weil er boshaft ist. — Gefehlt, spricht der dritte; er würde ein schlimmerer Mann seyn, wenn er nicht so dumm wäre. — Wie wollt ihr, daß unser einer aus diesem Galimathias klug werde? Da entscheide mir einmal jemand, was ich mit ihm anfangen soll! Denn entweder ist er zu boshaft fürs Narrenhospital, oder zu dumm für den Galgen."Dieß ist es eben, sagte die Sultanin Darejan. Kurli ist zu dumm um sehr boshaft zu seyn; und doch würde Kurli noch weniger boshaft seyn als er ist, wenn er weniger dumm wäre."Der Henker hole den räthselhaften Kerl! rief Schach-Baham. Da sitzen wir und zerbrechen uns die Köpfe, um ausfindig zu machen ob er ein Esel oder ein Schurke sey; und am Ende werdet ihr sehen daß er beides ist. — Alles wohl überlegt, wißt ihr was ich thun will? —Ich will ihn laufen lassen! Seine Bosheit und seine Dummheit werden einander die Wage halten. Er wird, insofern er nur kein Omrah ist, weder durch diese noch jene großen Schaden thun. Die Welt ist weit; laß ihn laufen, Itimadulet! Aber vorher soll er kommen und sich bei der Sultanin bedanken! Nur noch vor drei Minuten wollt' ich ihm keine Feige um seinen Hals gegeben haben!Man hat lange nicht ausfindig machen können, warum Schach-Baham den Beinamen des Weisen in den Geschichtsbüchern von Hindostan führt. Aber nach dieser Entscheidung kann es keine Frage mehr seyn. Alle sieben Weisen aus Griechenland hätten den Knoten nicht besser auflösen können, als ihn Schach-Baham — zerhieb.Der Rathsherr Thrasyllus hatte das Unglück, einer von diesen (zum Glück der Welt) nicht sogar gewöhnlichen Menschen zu seyn, in deren Kopf und Herzen Dummheit und Bosheit, nach dem Ausdruck des Sultans, einander die Wage halten. Seine Anschläge auf das Vermögen seines Verwandten waren nicht von gestern her. Er hatte darauf gezählt, daß Demokrit nach einer so langen Abwesenheit gar nicht wiederkommen würde; und auf diese Voraussetzung hatte er sich die Mühe gegeben, einen Plan zu machen, den die Wiederkunft desselben auf eine sehr unangenehme Art vereitelte. Thrasyllus, dessen Einbildung schon daran gewöhnt war, das Erbgut Demokrits für einen Theil seines eignen Vermögens anzusehen, konnte sich nun nicht so leicht gewöhnen anders zu denken. Er betrachtete ihn also als einen Räuber, der ihm das Seinige vorenthalte. Aber unglücklicherweise hatte dieser Räuber — die Gesetze auf seiner Seite.Der arme Thrasyllus durchsuchte alle Winkel in seinem Kopfe, ein Mittel gegen diesen ungünstigen Umstand zu finden; und suchte lange vergebens. Endlich glaubte er in der Lebensart seines Vetters einen Grund, auf den er bauen könnte, gefunden zu haben. Die Abderiten waren schon vorbereitet! dachte Thrasyllus; denn daß Demokrit ein Narr sey, war zu Abdera eine gemeine Sache. Es kam also nur noch darauf an, dem großen Rath legaliter darzuthun, daß seine Narrheit von derjenigen Art sey, welche den damit behafteten unfähig macht sein eigner Herr zu seyn. Dieß hatte nun einige Schwierigkeiten. Mit seinem eignen Verstande würde Thrasyllus schwerlich durchgekommen seyn. Aber in solchen Fällen finden seinesgleichen für ihr Geld immer einen Spitzbuben, der ihnen seinen Kopf leiht; und dann ist es so viel als ob sie selbst einen hätten.
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Viertes Kapitel.

Kurze, doch hinlängliche, Nachrichten von den Abderitischen Sykophanten. Ein Fragment aus der Rede, worin Thrasyllus um die Bevogtung seines Vetters ansuchte.

Es gab damals zu Abdera eine Art von Leuten, die sich von der Kunst nährten, schlimme Händel so zurechte zu machen, daß sie wie gut aussahen. Sie gebrauchten dazu nur zwei Hauptkunstgriffe: entweder sie verfälschten das Factum, oder sie verdrehten das Gesetz. Weil diese Lebensart sehr einträglich war, so legte sich nach und nach eine so große Menge von müßigen Leuten darauf, daß die Pfuscher zuletzt die Meister verdrängten. Die Profession verlor dadurch von ihrem Ansehen. Man nannte diejenigen, die sich damit abgaben, Sykophanten, weil die meisten so arme Schelme waren, daß sie für eine Feige alles sagten was man wollte.Indessen, da die Sykophanten wenigstens den zwanzigsten Theil der Einwohner von Abdera ausmachten, und die Leute gleichwohl nicht bloß von Feigen leben konnten: so reichten die gewöhnlichen Gelegenheiten, wobei die Rechtshändel zu entstehen pflegen, nicht mehr zu. Die Vorfahren der Sykophanten hatten gewartet, bis man sie um ihren Beistand ansprach. Aber bei dieser Methode hätten ihre Nachfolger hungern oder graben müssen: denn betteln war in Abdera nicht erlaubt; welches (im Vorbeigehen zu sagen) das einzige war, was die Fremden an der Abderitischen Polizei zu loben fanden. Nun waren die Sykophanten zum Graben zu faul; folglich blieb den meisten kein andres Mittel übrig, als — die Händel, die sie führen wollten, selbst zu machen.Weil die Abderiten Leute von sehr hitziger Gemüthsart und von geringer Besonnenheit waren, so fehlt' es dazu nie an Gelegenheit. Jede Kleinigkeit gab also einen Handel; jeder Abderit hatte seinen Sykophanten: und so wurde wieder eine Art von Gleichgewicht hergestellt, wodurch sich die Profession um so mehr in Ansehen erhielt, weil die Nacheiferung große Talente entwickelte.Abdera gewann dadurch den Ruhm, daß die Kunst Facta zu verfälschen und Gesetze zu verdrehen in Athen selbst nicht so hoch gebracht worden sey: und dieser Ruhm wurde in der Folge dem Staat einträglich. Denn wer einen ungewöhnlich, schlimmen Handel von einiger Wichtigkeit hatte, verschrieb sich einen Abderitischen Sykophanten; und es müßte nicht natürlich zugegangen seyn, wenn der Sykophant eher von einem solchen Clienten abgelassen hätte, bis nichts mehr an ihm abzunagen war.Doch dieß war noch nicht der größte Vortheil, den die Abderiten von ihren Sykophanten zogen. Was diese Leute in ihren Augen am vorzüglichsten machte, war — die Bequemlichkeit, eine jede Schelmerei ausführen zu können, ohne sich selbst dabei bemühen zu müssen oder sich mit der Justiz abzuwerfen. Man brauchte die Sache nur einem Sykophanten zu übergeben, so konnte man, gewöhnlicher Weise, des Ausgangs wegen ruhig seyn. Ich sage gewöhnlicher Weise; denn freilich gab es mitunter auch Fälle, wo der Sykophant, nachdem er sich erst von seinem Clienten tüchtig hatte bezahlen lassen, gleichwohl heimlich dem Gegentheil zu seinem Rechte verhalf: aber dieß geschah auch niemals, als wenn dieser wenigstens zwei Drittel mehr gab als der Client.Uebrigens konnte man nichts Erbaulicher's sehen als das gute Vernehmen, worin zu Abdera die Sykophanten mit den Magistratspersonen standen. Die einzigen, die sich übel bei dieser Eintracht befanden, waren — die Clienten. Bei allen andern Unternehmungen, so gefährlich und gewagt sie auch immer seyn mögen, bleibt doch wenigstens eine Möglichkeit mit ganzer Haut davon zu kommen. Aber ein Abderitischer Client war immer gewiß um sein Geld zu kommen, er mochte seinen Handel gewinnen oder verlieren. Nun rechteten die Leute zwar darum weder mehr noch weniger; allein ihre Justiz kam dabei in einen Ruf, gegen welchen nur Abderiten gleichgültig seyn konnten. Denn es wurde zu einem Sprüchwort in Griechenland, demjenigen, dem man das Aergste an den Hals wünschen wollte, einen Proceß in Abdera zu wünschen.Aber, beinahe hätten wir über den Sykophanten vergessen, daß die Rede von den Absichten des Rathsherrn Thrasyllus auf das Vermögen unsers Philosophen, und von den Mitteln war, wodurch er seinen vorhabenden Raub unter dem Schutze der Gesetze zu begehen versuchen wollte.Um den geneigten Leser mit keiner langweiligen Umständlichkeit aufzuhalten, begnügen wir uns zu sagen, daß Thrasyllus die Sache seinem Sykophanten auftrug. Es war einer von den geschicktesten in ganz Abdera; ein Mann, der die gemeinen Kunstgriffe seiner Mitbrüder verachtete, und sich viel darauf zu gut that, daß er, seitdem er sein edles Handwerk trieb, ein paar hundert schlimme Händel gewonnen hatte, ohne jemals eine einzige directe Lüge zu sagen. Er steifte sich auf lauter unläugbare Facta; aber seine Stärke lag in der Zusammensetzung und im Helldunkeln. Demokrit hätte in keine bessern Hände fallen können. Wir bedauern nur, daß wir, weil die Acten des ganzen Processes längst von Mäusen gefressen worden, außer Stande sind, jungen neu angehenden Sykophanten zum Besten, die Rede vollständig mitzutheilen, worin dieser Meister in der Kunst dem großen Rathe zu Abdera bewies, daß Demokrit seines Vermögens entsetzt werden müsse. Alles, was von dieser Rede übrig geblieben, ist ein kleines Bruchstück, welches uns merkwürdig genug scheint, um, zur Probe wie diese Herren eine Sache zu wenden pflegten, ein paar Blätter in dieser Geschichte einzunehmen."Die größten, die gefährlichsten, die unerträglichsten aller Narren (sagte er) sind die räsonnirenden Narren. Ohne weniger Narren zu seyn als andre, verbergen sie dem undenkenden Haufen die Zerrüttung ihres Kopfes durch die Fertigkeit ihrer Zunge, und werden für weise gehalten, weil sie zusammenhangender rasen als ihre Mitbrüder im Tollhause. Ein ungelehrter Narr ist verloren, sobald es so weit mit ihm gekommen ist daß er Unsinn spricht. Bei dem gelehrten Narren hingegen sehen wir gerade das Widerspiel. Sein Glück ist gemacht und sein Ruhm befestiget, sobald er Unsinn zu reden oder zu schreiben anfängt. Denn die meisten, wiewohl sie sich ganz eigentlich bewußt sind daß sie nichts davon verstehen, sind entweder zu mißtrauisch gegen ihren eigenen Verstand, um gewahr zu werden daß die Schuld nicht an ihnen liegt; oder zu dumm um es zu merken, und also zu eitel, um zu gestehen daß sie nichts verstanden haben. Je mehr also der gelehrte Narr Unsinn spricht, desto lauter schreien die dummen Narren über Wunder, desto emsiger verdrehen sie sich die Köpfe, um Sinn in dem hochtönenden Unsinn zu finden. Jener, gleich einem durch den öffentlichen Beifall angefrischten Luftspringer, thut immer desto verwegnere Sätze, je mehr ihm zugeklatscht wird: diese klatschen immer stärker, um den Gaukler noch größere Wunder thun zu sehen. Und so geschieht es oft, daß der Schwindelgeist eines Einzigen ein ganzes Volk ergreift, und daß, so lange die Mode des Unsinns dauert, dem nämlichen Manne Altäre aufgerichtet werden, den man zu einer andern Zeit, ohne viele Umstände mit ihm zu machen, in einem Hospital versorgt haben würde."Glücklicher Weise für unsere gute Stadt Abdera ist es so weit mit uns noch nicht gekommen. Wir erkennen und bekennen alle aus Einem Munde, daß Demokrit ein Sonderling, ein Phantast, ein Grillenfänger ist. Aber wir begnügen uns über ihn zu lachen; und dieß ist es eben worin wir fehlen. Jetzt lachen wir über ihn, aber wie lange wird es währen, so werden wir anfangen etwas Außerordentliches in seiner Narrheit zu finden? Vom Erstaunen zum Bewundern ist nur ein Schritt; und haben wir diesen erst gethan — Götter! wer wird uns sagen können wo wir aufhören werden? — Demokrit ist ein Phantast, sprechen wir jetzt und lachen. Aber was für ein Phantast ist Demokrit? Ein eingebildeter starker Geist, ein Spötter unsrer uralten Gebräuche und Einrichtungen; ein Müßiggänger, dessen Beschäftigungen dem Staate nicht mehr Nutzen bringen als wenn er gar nichts thäte; ein Mann, der Katzen zergliedert, der die Sprache der Vögel versteht, und den Stein der Weisen sucht; ein Nekromant, ein Schmetterlingsjäger, ein Sterngucker! — Und wir können noch zweifeln, ob er eine dunkle Kammer verdient? Was würde aus Abdera werden, wenn seine Narrheit endlich ansteckend würde? Wollen wir lieber die Folgen eines so großen Uebels erwarten, als das einzige Mittel vorkehren wodurch wir es verhüten könnten? Zu unserm Glücke geben die Gesetze dieses Mittel an die Hand. Es ist einfach, es ist rechtmäßig, es ist unfehlbar. Ein dunkles Kämmerchen, hochweise Väter, ein dunkles Kämmerchen! so sind wir auf einmal außer Gefahr, und Demokrit mag rasen so viel ihm beliebt."Aber, sagen seine Freunde — denn so weit ist es schon mit uns gekommen, daß ein Mann, den wir alle für unsinnig halten, Freunde unter uns hat — Aber, sagen sie, wo sind die Beweise, daß seine Narrheit schon zu jenem Grade gestiegen sey, den die Gesetze zu einem dunkeln Kämmerchen erfordern? — Wahrhaftig! wenn wir, nach allem was wir schon wissen, noch Beweise fordern, so wird er glühende Kohlen für Goldstücke ansehen, oder die Sonne am Mittag mit einer Laterne suchen müssen, wenn wir überzeugt werden sollen. Hat er nicht behauptet daß die Liebesgöttin in Aethiopien schwarz sey? Hat er unsere Weiber nicht bereden wollen, nackend zu gehen wie die Weiber der Gymnosophisten? Versicherte er nicht neulich in einer großen Gesellschaft, die Sonne stehe still, die Erde überwälze sich dreihundert und fünfundsechzigmal des Jahrs durch den Thierkreis; und die Ursache, warum wir bei ihren Burzelbäumen nicht ins Leere hinausfielen, sey, weil mitten in der Erde ein großer Magnet liege, der uns, gleich eben so vielen Feilspänen, anziehe, wiewohl wir nicht von Eisen sind? —Doch, ich will gern zugeben, daß dieß alles Kleinigkeiten sind. Man kann närrische Dinge reden, und kluge thun. Wollte Latona, daß der Philosoph sich in diesem Falle befände! Aber (mir ist es leid, daß ich es sagen muß) seine Handlungen setzen einen so ungewöhnlichen Grad von Wahnwitz voraus, daß alle Niesewurz in der Welt zu wenig seyn würde, das Gehirn zu reinigen worin sie ausgeheckt werden. Um die Geduld des erlauchten Senats nicht zu ermüden, will ich aus unzähligen Beispielen nur zwei anführen, deren Gewißheit gerichtlich erwiesen werden kann, falls sie ihrer Unglaublichkeit wegen in Zweifel gezogen werden sollten."Vor einiger Zeit wurden unserm Philosophen Feigen vorgesetzt, die, wie es ihm däuchte, einen ganz besondern Honiggeschmack hatten. Die Sache schien ihm von Wichtigkeit zu seyn. Er stand vom Tisch auf, ging in den Garten, ließ sich den Baum zeigen von welchem die Feigen gelesen worden waren, untersuchte den Baum von unten bis oben, ließ ihn bis an die Wurzeln ausgraben, erforschte die Erde worin er stand, und (wie ich nicht zweifle) auch die Constellation, in der er gepflanzt worden war. Kurz, er zerbrach sich etliche Tage lang den Kopf darüber, wie und welchergestalt die Atomen sich mit einander vergleichen müßten, wenn eine Feige nach Honig schmecken sollte. Er ersann eine Hypothese, verwarf sie wieder, fand eine andre, dann die dritte und vierte; und verwarf alle wieder, weil ihm keine scharfsinnig und gelehrt genug zu seyn schien. Die Sache lag ihm so sehr am Herzen, daß er Schlaf und Essenslust darüber verlor. Endlich erbarmte sich seine Köchin über ihn. Herr, sagte die Köchin, wenn Sie nicht so gelehrt wären, so hätte Ihnen wohl längst einfallen müssen warum die Feigen nach Honig schmeckten — Und warum denn? fragte Demokrit. — Ich legte sie, um sie frischer zu erhalten, in einen Topf, worin Honig gewesen war, sagte die Köchin; dieß ist das ganze Geheimniß, und da ist weiter nichts zu untersuchen, dächt' ich. — Du bist ein dummes Thier, rief der mondsüchtige Philosoph. Eine feine Erklärung, die du mir da gibst! Für Geschöpfe deinesgleichen mag sie vielleicht gut genug seyn; aber meinst du daß wir uns mit so einfältigen Erklärungen befriedigen lassen? Gesetzt, die Sache verhielte sich wie du sagst, was geht das mich an? Dein Honigtopf soll mich wahrlich nicht abhalten, nachzuforschen, wie die nämliche Naturbegebenheit auch ohne Honigtopf hätte erfolgen können. Und so fuhr der weise Mann fort, der Vernunft und seiner Köchin zu Trotz, eine Ursache, die nicht tiefer als in einem Honigtopfe lag, in dem unergründlichen Brunnen zu suchen, worin (seinem Vorgeben nach) die Wahrheit verborgen liegt; bis eine andre Grille, die seiner Phantasie in den Wurf kam, ihn zu andern vielleicht noch ungeräumtern Nachforschungen verleitete."Doch, wie lächerlich auch diese Anekdote ist, so ist sie doch nichts gegen die Probe von Klugheit, die er ablegte, als im abgewichenen Jahre die Oliven in Thracien und allen angränzenden Gegenden mißrathen waren. Demokrit hatte das Jahr zuvor (ich weiß nicht, ob durch Punctation oder andre magische Künste) herausgebracht, daß die Oliven, die damals sehr wohlfeil waren, im folgenden Jahre gänzlich fehlen würden. Ein solches Vorwissen würde hinlänglich seyn, das Glück eines vernünftigen Mannes auf seine ganze Lebenszeit zu machen. Auch hatte es anfangs das Ansehen, als ob er diese Gelegenheit nicht entwischen lassen wollte; denn er kaufte alles Oel im ganzen Lande zusammen. Ein Jahr darauf stieg der Preis des Oels (theils des Mißwachses wegen, theils weil aller Vorrath in Demokrits Händen war) viermal so hoch als es ihm gekostet hatte. Nun gebe ich allen Leuten, welche wissen, daß Vier viermal mehr als Eins sind, zu errathen, was der Mann that. — Können Sie sich vorstellen, daß er unsinnig genug war, seinen Verkäufern ihr Oel um den nämlichen Preis, wie er es von ihnen erhandelt hatte, zurückzugeben? Wir wissen auch, wie weit die Großmuth bei einem Menschen, der seiner Sinne mächtig ist, gehen kann. Aber diese That lag so weit außer den Gränzen der Glaubwürdigkeit, daß die Leute, die dabei gewannen, selbst die Köpfe schüttelten, und gegen den Verstand des Mannes, der einen Haufen Gold für einen Haufen Nußschalen ansah, Zweifel bekamen, die, zum Unglück für seine Erben, nur zu wohl gegründet waren."
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Fünftes Kapitel.

Die Sache wird auf ein medicinisches Gutachten ausgestellt. Der Senat läßt ein Schreiben an den Hippokrates abgehen. Der Arzt kommt in Abdera an, erscheint vor Rath, wird vom Rathsherrn Thrasyllus zu einem Gastgebot gebeten, und hat — lange Weile. Ein Beispiel, daß ein Beutel voll Dariken nicht bei allen Leuten anschlägt.

So weit geht das Fragment, und wenn man von einem so kleinen Theile auf das Ganze schließen könnte, so hätte der Sykophant allerdings mehr als einen Korb voll Feigen von dem Rathsherrn Thrasyllus verdient. Seine Schuld war es wenigstens nicht, wenn der hohe Rath von Abdera unsern Philosophen nicht zu einem dunkeln Kämmerchen verurtheilte. Aber Thrasyllus hatte Mißgönner im Senat; und Meister Pfriem, der inzwischen Zunftmeister geworden war, behauptete mit großem Eifer: daß es wider die Freiheiten von Abdera laufen würde, einen Bürger für wahnwitzig zu erklären, eh' er von einem unparteiischen Arzte so befunden worden sey."Wohl, rief Thrasyllus, meinetwegen kann man den Hippokrates selbst über die Sache sprechen lassen! Ich bin's wohl zufrieden."Sagten wir nicht oben, daß die Dummheit des Rathsherrn Thrasyllus seiner Bosheit die Wage gehalten habe? — Es war ein dummer Streich von ihm, sich in einer so mißlichen Sache auf den Hippokrates zu berufen. Aber freilich fiel es ihm auch nicht ein, daß man ihn beim Worte nehmen würde.Hippokrates, sagte der Archon, ist allerdings der Mann, der uns am besten aus diesem bedenklichen Handel ziehen könnte. Zu gutem Glücke befindet er sich eben zu Thasos; vielleicht läßt er sich bewegen, zu uns herüber zu kommen, wenn wir ihn im Namen der Republik einladen lassen.Thrasyllus entfärbte sich ein wenig, da er hörte, daß man Ernst aus der Sache machen wollte. Aber die Mehrheit der Stimmen fiel dem Archon bei. Man schickte unverzüglich einen Deputirten mit einem Einladungsschreiben an den Arzt ab, und brachte den Rest der Session damit zu, sich über die Ehrenbezeugungen zu berathschlagen, womit man ihn empfangen wollte."Dieß war doch so Abderitisch nicht" —werden die Aerzte denken, die sich vielleicht unter unsern Lesern befinden. Aber wo sagten wir denn, daß die Abderiten gar nichts gethan hätten, was auch einem vernünftigen Volke anständig seyn würde? Indessen lag doch der wahre Grund, warum sie dem Hippokrates so viel Ehre erweisen wollten, keineswegs in der Hochachtung, die sie für ihn empfanden, sondern lediglich in der Eitelkeit, für Leute gehalten zu werden, die einen großen Mann zu schätzen wüßten. Und überdieß, merkten wir nicht schon bei einer andern Gelegenheit an, daß sie von jeher außerordentliche Liebhaber von Feierlichkeiten gewesen?Die Abgeordneten hatten Befehl, dem Hippokrates nichts weiter zu sagen, als daß der Senat von Abdera seiner Gegenwart und seines Ausspruchs in einer sehr wichtigen Angelegenheit vonnöthen habe; und Hippokrates konnte sich, mit aller seiner Philosophie, nicht einbilden, was für eine wichtige Sache dieß seyn könnte. Denn wozu (dacht' er) haben sie nöthig, ein Geheimniß daraus zu machen? Der Senat von Abdera kann doch schwerlich in corpore mit einer Krankheit befallen seyn, die man nicht gern kund werden läßt?Indessen entschloß er sich um so williger zu dieser Reise, weil er schon lange gewünscht hatte, Demokriten persönlich kennen zu lernen. Aber wie groß war sein Erstaunen, da ihm — nachdem er mit großem Gedräng eingeholt und vor den versammelten Rath geführt worden war — von dem regierenden Archon in einer wohlgesetzten Rede zu wissen gethan wurde: "Daß man ihn bloß darum nach Abdera berufen habe, um die Wahnsinnigkeit ihres Mitbürgers Demokrit zu untersuchen, und gutächtlich zu berichten, ob ihm noch geholfen werden könne, oder ob es nicht schon so weit mit ihm gekommen sey, daß man ihn ohne Bedenken für bürgerlich todt erklären könne?"Dieß muß ein andrer Demokrit seyn, dachte der Arzt anfangs. Aber die Herren von Abdera ließen ihn nicht lange in diesem Zweifel. — Gut, gut, sprach er bei sich selbst: bin ich nicht in Abdera? Wie man auch so was vergessen kann!Hippokrates ließ ihnen nichts von seinem Erstaunen merken. Er begnügte sich, den Senat und das Volk von Abdera zu loben, daß sie eine so große Empfindung von dem Werth eines solchen Mitburgers hätten, um seine Gesundheit als eine Sache, woran dem gemeinen Wesen gelegen sey, anzusehen. "Wahnwitz (sagte er mit großer Ernsthaftigkeit) ist ein Punkt, worin die größten Geister und die größten Schöpse zuweilen zusammen treffen. Wir wollen sehen!"Thrasyllus lud den Arzt zur Tafel ein, und hatte die Höflichkeit, ihm die feinsten Herren und die schönsten Frauen in der Stadt zur Gesellschaft zu geben. Aber Hippokrates, der ein kurzes Gesicht und keine Lorgnette hatte, wurde nicht gewahr, daß die Damen schön waren; und so kam es denn, ohne Schuld der guten Geschöpfe, die sich (zum Ueberfluß) in die Wette herausgeputzt hatten, daß sie nicht völlig den Eindruck auf ihn machten, den sie sich sonst versprechen konnten. Es war wirklich Schade daß er nicht besser sah. Für einen Mann von Verstand ist der Anblick einer schönen Frau allemal etwas sehr Unterhaltendes; und wenn die schöne Frau erwas Dummes sagt (welches den schönen Frauen zuweilen so gut begegnen soll als den häßlichen), macht es einen merklichen Unterschied, ob man sie nur hört oder ob man sie zugleich sieht. Denn im letzten Falle ist man immer geneigt, alles, was sie sagen kann, vernünftig oder artig oder wenigstens erträglich zu finden. Da die Abderitinnen diesen Vortheil bei dem kurzsichtigen Fremden verloren; da er genöthigt war, von ihrer Schönheit durch den Eindruck, den sie auf seine Ohren machten, zu urtheilen: so war freilich nichts natürlicher, als daß der Begriff, den er dadurch von ihnen bekam, demjenigen ziemlich ähnlich war, den sich ein Tauber mittelst eines Paars gesunder Augen von einem Concerte machen würde. —Wer ist die Dame, die jetzt mit dem witzigen Herrn sprach? — fragte er den Thrasyllus leise. — Man nannte ihm die Gemahlin eines Matadors der Republik. — Er betrachtete sie nun mit neuer Aufmerksamkeit. Verzweifelt! (dacht' er bei sich selbst) daß ich mir die verwünschte Austerfrau nicht aus dem Kopfe bringen kann, die ich neulich vor meinem Hause zu Larissa mit einem Molossischen Eseltreiber scherzen hörte!Thrasyllus hatte geheime Absichten auf unsern Aesculap. Seine Tafel war gut, sein Wein verführerisch, und zum Ueberfluß ließ er Milesische Tänzerinnen kommen. Aber Hippokrates aß wenig, trank Wasser, und hatte in Aspasiens Hause zu Athen weit schönere Tänzerinnen gesehen. Es wollte alles nichts verfangen. Dem weisen Mann begegnete etwas, das ihm vielleicht in vielen Jahren nicht begegnet war: er hatte lange Weile, und es schien ihm nicht der Mühe werth, es den Abderiten zu verbergen.Die Abderitinnen bemerkten also, ohne großen Aufwand von Beobachtungskraft, was er ihnen deutlich genug sehen ließ; und natürlicherweise waren die Glossen, die sie darüber machten, nicht zu seinem Vortheil. Er soll sehr gelehrt seyn, flüsterten sie einander zu. Schade daß er nicht mehr Welt hat! — Was ich gewiß weiß ist dieß, daß mir der Einfall nie kommen wird, ihm zu Liebe krank zu werden, sagte die schöne Thryallis.Thrasyllus machte inzwischen Betrachtungen von einer andern Art. So ein großer Mann dieser Hippokrates seyn mag, dacht' er, so muß er doch seine schwache Seite haben. Aus den Ehrenbezeugungen, womit ihn der Senat überhäufte, schien er sich nicht viel zu machen. Das Vergnügen liebt er auch nicht. Aber ich wette, daß ihm ein Beutel voll neuer funkelnder Dariken diese sauertöpfische Miene vertreiben soll!Sobald die Tafel aufgehoben war, schritt Thrasyllus zum Werke. Er nahm den Arzt auf die Seite, und bemühte sich (unter Bezeigung des großen Antheils, den er an dem unglücklichen Zustande des Verwandten nehme), ihn zu überzeugen: daß die Zerrüttung seines Gehirns eine so kundbare und ausgemachte Sache sey, daß nichts, als die Pflicht allen Formalitäten der Gesetze genug zu thun, den Senat bewogen habe, eine Thatsache, woran niemand zweifle, noch zum Ueberfluß durch den Ausspruch eines auswärtigen Arztes bestätigen zu lassen. "Da man Sie aber gleichwohl in die Mühe gesetzt hat, eine Reise zu uns zu thun, die Sie vermuthlich ohne diese Veranlassung nicht unternommen haben würden, so ist nichts billiger, als daß derjenige, den die Sache am nächsten angeht, Sie wegen des Verlustes, den Sie durch Verabsäumung Ihrer Geschäfte dabei erleiden, in etwas schadlos halte. Nehmen Sie diese Kleinigkeit als ein Unterpfand einer Dankbarkeit an, von welcher ich Ihnen stärkere Beweise zu geben hoffe. —"Ein ziemlich runder Beutel, den Thrasyllus bei diesen Worten dem Arzt in die Hand drückte, brachte diesen aus der Zerstreuung zurück, womit er die Rede des Rathsherrn angehört hatte."Was wollen Sie, daß ich mit diesem Beutel machen soll? fragte Hippokrates mit einem Phlegma, welches den Abderiten völlig aus der Fassung setzte: Sie wollten ihn vermuthlich Ihrem Haushofmeister geben. Sind Ihnen solche Zerstreuungen gewöhnlich? Wenn dieß wäre, so wollt' ich Ihnen rathen, mit Ihrem Arzte davon zu sprechen. — Aber Sie erinnerten mich vorhin an die Ursache, warum ich hier bin. Ich danke Ihnen dafür. Mein Aufenthalt kann nur sehr kurz seyn; und ich darf den Besuch nicht länger aufschieben, den ich, wie Sie wissen, dem Demokrit schuldig bin." Mit diesen Worten machte der Aesculap seine Verbeugung und verschwand.Der Rathmann hatte in seinem Leben nie so dumm ausgesehen, als in diesem Augenblicke. — Wie hätte sich aber auch ein Abderitischer Rathsherr einfallen lassen sollen, daß ihm so etwas begegnen könnte? Das sind doch keine Zufälle, auf die man sich gefaßt hält!
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Sechstes Kapitel.

Hippokrates legt einen Besuch bei Demokriten ab. Geheimnachrichten von dem uralten Orden der Kosmopoliten.

Hippokrates traf, wie die Geschichte sagt, unsern Naturforscher bei der Zergliederung verschiedener Thiere an, deren innerlichen Bau und animalische Oekonomie er untersuchen wollte, um vielleicht auf die Ursachen gewisser Verschiedenheiten in ihren Eigenschaften und Neigungen zu kommen. Diese Beschäftigung bot ihnen reichen Stoff zu einer Unterredung an, welche Demokriten nicht lange über die Person des Fremden ungewiß ließ. Ihr gegenseitiges Vergnügen über eine so unvermuthete Zusammenkunft war der Größe ihres beiderseitigen Werthes gleich, aber auf Demokrits Seite um so viel lebhafter, je länger er in seiner Abgeschiedenheit von der Welt des Umgangs mit einem Wesen seiner Art hatte entbehren müssen.Es gibt eine Art von Sterblichen, deren schon von den Alten hier und da unter dem Namen der Kosmopoliten Erwähnung gethan wird, und die —ohne Verabredung, ohne Ordenszeichen, ohne Loge zu halten, und ohne durch Eidschwüre gefesselt zu seyn — eine Art von Brüderschaft ausmachen, welche fester zusammenhängt als irgend ein anderer Orden in der Welt. Zwei Kosmopoliten kommen, der eine von Osten, der andere von Westen, sehen einander zum erstenmale, und sind Freunde; — nicht vermöge einer geheimen Sympathie, die vielleicht nur in Romanen zu finden ist; — nicht, weil beschworne Pflichten sie dazu verbinden; —sondern, weil sie Kosmopoliten sind. In jedem andern Orden gibt es auch falsche oder wenigstens unwürdige Brüder: in dem Orden der Kosmopoliten ist dieß eine Unmöglichkeit; und dieß ist, däucht uns, kein geringer Vorzug der Kosmopoliten vor allen andern Gesellschaften, Gemeinheiten, Innungen, Orden und Brüderschaften in der Welt. Denn wo ist eine von allen diesen, welche sich rühmen könnte, daß sich niemals ein Ehrsüchtiger, ein Neidischer, ein Geiziger, ein Wucherer, ein Verleumder, ein Prahler, ein Heuchler, ein Zweizüngiger, ein heimlicher Ankläger, ein Undankbarer, ein Kuppler, ein Schmeichler, ein Schmarotzer, ein Sklave, ein Mensch ohne Kopf oder ohne Herz, ein Pedant, ein Mückenfänger, ein Verfolger, ein falscher Prophet, ein Heuchler, ein Gaukler, ein Plusmacher und ein Hofnarr in ihrem Mittel befunden habe? Die Kosmopoliten sind .die einzigen, die sich dessen rühmen können. Ihre Gesellschaft hat nicht vonnöthen, durch geheimnißvolle Ceremonien und abschreckende Gebräuche, wie ehmals die Aegyptischen Priester, die Unreinen von sich auszuschließen. Diese schließen sich selbst aus; und man kann eben so wenig ein Kosmopolit scheinen wenn man es nicht ist, als man sich ohne Talent für einen guten Sänger oder Geiger ausgeben kann. Der Betrug würde an den Tag kommen, sobald man sich hören lassen müßte. Die Art, wie die Kosmopoliten denken, ihre Grundsätze, ihre Gesinnungen, ihre Sprache, ihr Phlegma ihre Wärme, sogar ihre Launen, Schwachheiten und Fehler, lassen sich unmöglich nachmachen, weil sie für alle, die nicht zu ihrem Orden gehören, ein wahres Geheimniß sind. Nicht ein Geheimniß, das von der Verschwiegenheit der Mitglieder, oder von ihrer Vorsichtigkeit nicht behorcht zu werden, abhängt; sondern ein Geheimniß, auf welches die Natur selbst ihren Schleier gedeckt hat. Denn die Kosmopoliten könnten es ohne Bedenken bei Trompetenschall durch die ganze Welt verkündigen lassen, und dürften sicher darauf rechnen, daß außer ihnen selbst kein Mensch etwas davon begreifen würde. Bei dieser Bewandtniß der Sache ist nichts natürlicher, als das innige Einverständniß und das gegenseitige Zutrauen, das sich unter zwei Kosmopoliten sogleich in der ersten Stunde ihrer Bekanntschaft festsetzt. Pylades und Orestes waren, nach einer zwanzigjährigen Dauer ihrer durch alle Arten von Prüfungen und Opfern bewährten Freundschaft, nicht mehr Freunde, als es jene von dem Augenblick an, da sie einander erkennen, sind. Ihre Freundschaft hat nicht vonnöthen durch die Zeit zur Reife gebracht zu werden; sie bedarf keiner Prüfungen: sie gründet sich auf das nothwendigste aller Naturgesetze, auf die Nothwendigkeit, uns selbst in demjenigen zu lieben, der uns am ähnlichsten ist.Man würde etwas wo nicht Unmögliches, doch gewiß Ungereimtes von uns verlangen, wenn man erwartete, daß wir uns über das Geheimniß der Kosmopoliten deutlicher herauslassen sollten. Denn es gehört (wie wir deutlich genug zu vernehmen gegeben haben) zur Natur der Sache, daß alles, was man davon sagen kann, ein Räthsel ist, wozu nur die Glieder dieses Ordens den Schlüssel haben. Das Einzige, was wir noch hinzusetzen können, ist, daß ihre Anzahl zu allen Zeiten sehr klein gewesen, und daß sie, ungeachtet der Unsichtbarkeit ihrer Gesellschaft, von jeher einen Einfluß in die Dinge dieser Welt behauptet haben, dessen Wirkungen desto gewisser und dauerhafter sind, weil sie kein Geräusch machen, und meistens durch Mittel erzielt werden, deren scheinbare Richtung die Augen der Menge irre macht. Wem dieß ein neues Räthsel ist — den ersuchen wir lieber fortzulesen, als sich mit einer Sache, die ihn so wenig angeht, ohne Noth den Kopf zu zerbrechen.Demokrit und Hippokrates gehören beide zu dieser wunderbaren und seltnen Art von Menschen. Sie waren also schon lange, wiewohl unbekannterweise, die vertrautesten Freunde gewesen; und ihre Zusammenkunft glich vielmehr dem Wiedersehn nach einer langen Trennung, als einer neuangehenden Verbindung. Ihre Gespräche, nach welchen der Leser vielleicht begierig ist, waren vermuthlich interessant genug um der Mittheilung werth zu seyn. Aber sie würden uns zu weit von den Abderiten entfernen, die der eigentliche Gegenstand dieser Geschichte sind. Alles, was wir davon zu sagen haben, ist: daß unsre Kosmopoliten den ganzen Abend und den größten Theil der Nacht in einer Unterredung zubrachten, wobei ihnen die Zeit sehr kurz wurde; und daß sie ihrer Gegenfüßler, der Abderiten und ihres Senats und der Ursache warum sie den Hippokrates hatten kommen lassen, so gänzlich darüber vergaßen, als ob niemals so ein Ort und solche Leute in der Welt gewesen wären.Erst des folgenden Morgens, da sie nach einem leichten Schlaf von wenigen Stunden wieder zusammenkamen, um auf einer an die Gärten Demokrits gränzenden Anhöhe der Morgenluft zu genießen, erinnerte der Anblick der unter ihnen im Sonnenglanz liegenden Stadt den Hippokrates, daß er in Abdera Geschäfte habe. "Kannst du wohl errathen, sagte er zu seinem Freunde, zu welchem Ende mich die Abderiten eingeladen haben."Die Abderiten haben dich eingeladen? rief Demokrit. Ich hörte doch diese Zeit her von keiner Seuche, die unter ihnen wüthe! Es ist zwar eine gewisse Erbkrankheit, mit der sie alle sammt und sonders, bis auf sehr wenige, von alten Zeiten her behaftet sind; aber —"Getroffen, getroffen, guter Demokrit, dieß ist die Sache!"Du scherzest, erwiederte unser Mann: die Abderiten sollten zum Gefühl, wo es ihnen fehlte, gekommen seyn? Ich kenne sie zu gut. Darin liegt eben ihre Krankheit, daß sie dieß nicht fühlen. —"Indessen, sagte der andre, ist nichts gewisser, als daß ich jetzt nicht in Abdera wäre, wenn die Abderiten nicht von dem nämlichen Uebel, wovon du sprichst, geplagt würden. Die armen Leute!"Ah! nun versteh' ich dich! Deine Berufung konnte eine Wirkung ihrer Krankheit seyn, ohne daß sie es selbst wußten. Lass' dich sehen! — Ha! da haben wir's. Ich wette, sie haben dich kommen lassen, um dem ehrlichen Demokrit so viel Aderlässe und Niesewurz zu verordnen, als er vonnöthen haben möchte, um ihresgleichen zu werden! Nicht wahr? —"Du kennst deine Leute vortrefflich, wie ich sehe, Demokrit: aber um so kaltblütig von ihrer Narrheit zu reden, muß man so daran gewöhnt seyn wie du."Als ob es nicht allenthalben Abderiten gäbe. —"Aber Abderiten in diesem Grade! Vergib mir, wenn ich deinem Vaterlande nicht so viel Nachsicht schenken kann als du. Indessen versichre dich, sie sollen mich nicht umsonst zu sich berufen haben!"
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Siebentes Kapitel.

Hippokrates ertheilt den Abderiten seinen gutächtlichen Rath. Große und gefährliche Bewegungen, die darüber im Senat entstehen, und wie zum Glück für das Abderitische Gemeinwesen, der Stundenrufer alles auf einmal wieder in Ordnung bringt.

Die Zeit kam heran, wo der Aesculap dem Senat von Abdera seinen Bericht erstatten sollte. Er kam, trat mitten unter die versammelten Väter, und sprach mit einer Wohlredenheit, die alle Anwesenden in Erstaunen setzte:"Friede sey mit Abdera! Edle, Feste, Fürsichtige und Weise, liebe Herren und Abderiten! Gestern lobte ich Sie wegen Ihrer Fürsorge für das Gehirn Ihres Mitbürgers Demokrit; heute rathe ich Ihnen wohlmeinend, diese Fürsorge auf Ihre ganze Stadt und Republik zu erstrecken. Gesund an Leib und Seele zu seyn, ist das höchste Gut, das Sie sich selbst, Ihren Kindern und Ihren Bürgern verschaffen können; und dieß wirklich zu thun, ist die erste Ihrer obrigkeitlichen Pflichten. So kurz mein Aufenthalt unter Ihnen ist, so ist er doch schon lang genug, um mich zu überzeugen, daß sich die Abderiten nicht so wohl befinden als es zu wünschen wäre. Ich bin zwar zu Kos geboren und wohne bald zu Athen, bald zu Larissa, bald anderswo; jetzt zu Abdera, morgen vielleicht auf dem Wege nach Byzanz; aber ich bin weder ein Koer noch ein Athener, weder ein Larisser noch Abderit, ich bin ein Arzt. So lang' es Kranke auf dem Erdboden gibt, ist meine Pflicht so viele gesund zu machen als ich kann. Die gefährlichsten Kranken sind die, die nicht wissen daß sie krank sind; und dieß ist, wie ich finde, der Fall der Abderiten. Das Uebel liegt für meine Kunst zu tief; aber was ich rathen kann, um die Heilung vorzubereiten, ist dieß! Senden Sie mit dem ersten guten Winde sechs große Schiffe nach Anticyra. Meinetwegen können sie, mit welcherlei Waaren es den Abderiten beliebt, dahin befrachtet werden; aber zu Anticyra lassen Sie alle sechs Schiffe so viel Niesewurz laden, als sie tragen können ohne zu sinken. Man kann zwar auch Niesewurz aus Galatien haben, die etwas wohlfeiler ist; aber die von Anticyra ist die beste. Wenn die Schiffe angekommen seyn werden, so versammeln Sie das gesammte Volk auf Ihrem großen Markte; stellen Sie, mit Ihrer ganzen Priesterschaft an der Spitze, einen feierlichen Umgang zu allen Tempeln in Abdera an, und bitten die Götter, daß sie dem Senat und dem Volke zu Abdera geben möchten, was dem Senat und dem Volke zu Abdera fehlt. Sodann kehren Sie auf den Markt zurück, und theilen den sämmtlichen Vorrath von Niesewurz, auf gemeiner Stadt Unkosten, unter alle Bürger aus; auf jeden Kopf sieben Pfund; nicht zu vergessen, daß den Rathsherrn, welche (außerdem was sie für sich selbst gebrauchen) noch für so viele andre Verstand haben müssen, eine doppelte Portion gereicht werde! Die Portionen sind stark, ich gesteh' es; aber eingewurzelte Uebel sind hartnäckig, und können nur durch lange anhaltenden Gebrauch der Arznei geheilt werden. Wenn Sie nun dieses Vorbereitungsmittel, nach der Vorschrift, die ich Ihnen geben will, durch die erforderliche Zeit gebraucht haben werden, dann überlasse ich Sie einem andern Arzte. Denn, wie gesagt, die Krankheit der Abderiten liegt zu tief für meine Kunst. Ich kenne fünfzig Meilen rings um Abdera nur einen einzigen Mann, der Ihnen von Grund aus helfen könnte, wenn Sie sich geduldig und folgsam in seine Cur begeben wollten. Der Mann heißt Demokrit, Damasippens Sohn. Stoßen Sie sich nicht an den Umstand, daß er zu Abdera geboren ist! Er ist darum kein Abderit, dieß können Sie mir auf mein Wort glauben; oder wenn Sie mir nicht glauben wollen, so fragen Sie den Delphischen Gott. Er ist ein gutherziger Mann, der sich ein Vergnügen daraus machen wird, Ihnen seine Dienste zu leisten. Und hiermit, meine Herren und Bürger von Abdera, empfehle ich Sie und Ihre Stadt den Göttern. Verachten Sie meinen Rath nicht, weil ich ihn umsonst gebe; es ist der beste, den ich jemals einem Kranken, der sich für gesund hielt, gegeben habe.Als Hippokrates dieß gesagt hatte, machte er dem Senat eine höfliche Verbeugung, und ging seines Weges.Niemals — sagt der Geschichtschreiber Hekatäus, ein desto glaubwürdigerer Zeuge, weil er selbst ein Abderit war — niemals hat man zweihundert Menschen, alle zugleich, in einer so sonderbaren Stellung gesehen, als diejenige des Senats von Abdera in diesem Augenblicke war; es müßten nur die zweihundert Phönicier seyn, welche Perseus durch den Anblick des Kopfs der Medusa auf einmal in eben so viele Bildsäulen verwandelte, als ihm ihr Anführer seine theuer erworbene Andromeda mit Gewalt wieder abjagen wollte. In der That hatten sie alle möglichen Ursachen von der Welt, auf etliche Minuten versteinert zu werden. Beschreiben zu wollen, was in ihren Seelen vorging, würde vergebliche Mühe seyn. Nichts ging in ihnen vor; ihre Seelen waren so versteinert als ihre Leiber. Mit dummem sprachlosem Erstaunen sahen sie alle nach der Thür, durch welche der Arzt sich zurückgezogen hatte; und auf jedem Gesichte drückte sich zugleich die angestrengte Bemühung und das gänzliche Unvermögen aus, etwas von dieser Begebenheit zu begreifen.Endlich schienen sie nach und nach, einige früher, einige später, wieder zu sich selbst zu kommen. Sie sahen einander mit großen Augen an; fünfzig Mäuler öffneten sich zugleich zu der nämlichen Frage, und fielen wieder zu, weil sie sich aufgethan hatten, ehe sie wußten was sie fragen wollten. Zum Henker, meine Herren, rief endlich der Zunftmeister Pfriem, ich glaube gar, der Quacksalber hat uns mit seiner doppelten Portion Niesewurz zu Narren! — Ich versah mir gleich vom Anfang nichts Gutes zu ihm, sagte Thrasyllus. — Meiner Frau wollt' er gestern gar nicht einleuchten, sprach der Rathsherr Smilax. — Ich dachte gleich es würde Übel ablaufen, wie er von den sechs Schiffen sprach, die wir nach Anticyra senden sollten, sagte ein anderer — Und die verdammte Ernsthaftigkeit, womit er uns alles das vordeclamirte, rief ein fünfter; ich gestehe, daß ich mir gar nicht einbilden konnte, wo es hinaus laufen würde. — Ha, ha, ha! ein lustiger Zufall, so wahr ich ehrlich bin! meckerte der kleine dicke Rathsherr, indem er sich vor Lachen den Bauch hielt. Gestehen wir, daß wir fein abgeführt sind! Ein verzweifelter Streich! Das hätt' uns nicht begegnen sollen! Ha, ha, ha! — Aber wer konnte sich auch zu einem solchen Manne so etwas versehen? rief der Nomophylax. —Ganz gewiß ist er auch einer von euern Philosophen, sagte Meister Pfriem. Der Priester Strobylus hat wahrlich so Unrecht nicht! Wenn es nicht wider unsre Freiheiten wäre, so wollt' ich der erste seyn, der darauf antrüge, daß man alle diese Spitzköpfe zum Lande hinaus jagte."Meine Herren, fing jetzt der Archon an, die Ehre der Stadt Abdera ist angegriffen, und anstatt daß wir hier sitzen und uns wundern oder Glossen machen, sollten wir mit Ernst darauf denken, was uns in einer so kitzlichen Sache zu thun geziemt. Vor allen Dingen sehe man wo Hippokrates hingekommen ist!"Ein Rathsdiener, der zu diesem Ende abgeschickt wurde, kam nach einer ziemlichen Weile mit der Nachricht zurück, daß er nirgends mehr anzutreffen sey.Ein verfluchter Streich! riefen die Rathsherren aus Einem Munde; wenn er uns nun entwischt wäre! — Er wird doch kein Hexenmeister seyn, sagte der Zunftmeister Pfriem, indem er nach einem Amulet sah, das er gewöhnlich zu seiner Sicherheit gegen böse Geister und böse Augen bei sich zu tragen pflegte.Bald darauf wurde berichtet, man habe den fremden Herrn auf seinem Maulesel ganz gelassen hinter dem Tempel der Dioskuren nach Demokrits Landgut zutraben sehen.Was ist nun zu thun, meine Herren? sagte der Archon.Ja — allerdings! — was nun zu thun ist — was nun zu thun ist? — dieß ist eben die Frage! riefen die Rathsherren indem sie einander ansahen. Nach einer langen Pause zeigte sich's, daß die Herren nicht wußten, was nun zu thun war.Der Mann steht in großem Ansehen beim König von Macedonien, fuhr der Archon fort; er wird in ganz Griechenland wie ein zweiter Aesculap verehrt! Wir könnten uns leicht in böse Händel verwickeln, wenn wir einer, wiewohl gerechten, Empfindlichkeit Gehör geben wollten. Bei allem dem liegt mir die Ehre von Abdera —Ohne Unterbrechung, Herr Archon! fiel ihm der Zunftmeister Pfriem ein; die Ehre und Freiheit von Abdera kann niemanden näher am Herzen liegen als mir selbst. Aber, alles wohl überlegt, seh' ich wahrlich nicht, was die Ehre der Stadt mit dieser Begebenheit zu thun haben kann. Dieser Harpokrates und Hypokritus, wie er sich nennt, ist ein Arzt; und ich habe mein Tage gehört, daß ein Arzt die ganze Welt für ein großes Siechhaus und alle Menschen für seine Kranken ansieht. Ein jeder spricht und handelt wie er's versteht; und was einer wünscht das glaubt er gern. Hypokritus möcht' es, denk' ich, wohl leiden wenn wir alle krank wären, damit er desto mehr zu heilen hätte. Nun denkt er, wenn ich sie nur erst dahin bringen kann daß sie meine Arzneien einnehmen, dann sollen sie mir krank genug werden. Ich heiße nicht Meister Pfriem, wenn dieß nicht das ganze Geheimniß ist!Meiner Seele! getroffen! rief der kleine dicke Rathsherr; weder mehr noch weniger! Der Kerl ist so närrisch nicht! — Ich wette, wenn er kann, schickt er uns alle möglichen Flüsse und Fieber an den Hals, bloß damit er den Spaß habe, uns für unser Geld wieder gesund zu machen! Ha, ha, ha!"Aber vierzehn Pfund Niesewurz auf jeden Rathsherrn! rief einer von den Aeltesten, dessen Gehirn, nach seiner Miene zu urtheilen, schon völlig ausgetrocknet seyn mochte. Bei allen Fröschen der Latona, das ist zu arg! Man muß beinahe auf den Argwohn kommen, daß etwas mehr dahinter steckt!Vierzehn Pfund Niesewurz auf jeden Rathsherrn! wiederholte Meister Pfriem, und lachte aus vollem Halse. Und für jeden Zunftmeister, setzte Smilax mit einem bedeutenden Ton hinzu.Das bitt' ich mir aus, rief Meister Pfriem; er sagte kein Wort von Zunftmeistern.Aber das versteht sich doch wohl von selbst, versetzte jener; Rathsherren und Zunftmeister, Zunftmeister und Rathsherren; ich sehe nicht, warum die Herren Zunftmeister hierin was besonders haben sollten.Wie, was? rief Meister Pfriem mit großem Eifer: ihr seht nicht was die Zunftmeister vor den Rathsherren besonders haben? — Meine Herren, Sie haben es gehört! — Herr Stadtschreiber, ich bitt' es zum Protokoll zu nehmen!Die Zunftmeister standen alle mit großem Gebrumm von ihren Sitzen auf."Sagt' ich nicht, rief der alte hypochondrische Rathsmeister, daß etwas mehr hinter der Sache stecke? Ein geheimer Anschlag gegen die Aristokratie — Aber die Herren haben sich ein wenig zu früh verrathen."Gegen die Aristokratie? schrie Pfriem mit verdoppelter Stimme: gegen welche Aristokratie? Zum Henker, Herr Rathsmeister, seit wann ist Abdera eine Aristokratie? Sind wir Zunftmeister etwa nur an die Wand hingemalt? Stellen wir nicht das Volk vor? Haben wir nicht seine Rechte und Freiheiten zu vertreten? Herr Stadtschreiber, zum Protokoll, daß ich gegen alles Widrige protestire und dem löblichen Zunftmeisterthum sowohl als gemeiner Stadt Abdera ihre Rechte vorbehalte.Protestirt! protestirt! schrien die Zunftmeister alle zusammen.Reprotestirt! reprotestirt! schrien die Rathsherren.Der Lärm nahm überhand. "Meine Herren, rief der regierende Archon so laut er konnte, was für ein Schwindel hat Sie überfallen? Ich bitte, bedenken Sie wer Sie sind und wo Sie sind! Was werden die Eierweiber und Obsthändlerinnen da unten von uns denken, wenn sie uns wie die Zahnbrecher schreien hören?"Aber die Stimme der Weisheit verlor sich ungehört in dem betäubenden Getöse. Niemand hörte sein eigen Wort.Zu gutem Glück war es seit undenklichen Zeiten in Abdera gebräuchlich, auf den Punkt zwölf Uhr durch die ganze Stadt zu Mittag zu essen; und vermöge der Rathsordnung mußte, so wie eine Stunde abgelaufen war, eine Art von Herold vor die Rathsstube treten, und die Stunde ausrufen.Gnädige Herren, rief der Herold mit der Stimme des Homerischen Stentors, die zwölfte Stunde ist vorbei!"Stille! der Stundenrufer!" — Was rief er? —"Zwölfe, meine Herren, zwölfe vorbei!" — Schon zwölfe? — Schon vorbei? — So ist es hohe Zeit!Der größte Theil der gnädigen Herren war zu Gaste gebeten. Das glückliche Wort Zwölfe versetzte sie also auf einmal in eine Reihe angenehmer Vorstellungen, die mit dem Gegenstand ihres Zankes nicht in der mindesten Verbindung standen. Schneller als die Figuren in einem Guckkasten sich verwandeln, stand eine große Tafel, mit einer Menge niedlicher Schüsseln bedeckt, vor ihrer Stirn; ihre Nasen weideten sich zum voraus an Düften von bester Vorbedeutung; ihre Ohren hörten das Geklapper der Teller; ihre Zunge kostete schon die leckerhaften Brüten; in deren Erfindung die Abderitischen Köche mit einander wetteiferten: kurz, das unwesentliche Gastmahl beschäftigte alle Kräfte ihrer Seelen; und auf einmal war die Ruhe des Abderitischen Staats wieder hergestellt."Wo werden Sie heute speisen?" — Bei Polyphonten. — "Dahin bin ich auch geladen." — Ich erfreue mich über die Ehre Ihrer Gesellschaft! — "Sehr viel Ehre für mich!" — Was werden wir diesen Abend für eine Komödie haben? — "Die Andromeda des Euripides." —Also ein Trauerspiel! — "O! mein Lieblingsstück! — Und eine Musik! Unter uns, der Nomophylax hat etliche Chöre selbst gesetzt. Sie werden Wunder hören!"Unter so sanften Gesprächen erhoben sich die Väter von Abdera in eilfertigem aber friedsamem Gewimmel vom Rathhause, zu großer Verwunderung der Eierweiber und Obsthändlerinnen, welche kurz zuvor die Wände der Rathsstube von ächtem Thracischem Geschrei widerhallen gehört hatten.Alles dieß hatte man dir zu danken, wohlthätiger Stundenrufer! Ohne deine glückliche Dazwischenkunft würde wahrscheinlicherweise der Zank der Rathsherren und Zunftmeister, gleich dem Zorn des Achilles (so lächerlich auch seine Veranlassung war), in ein Feuer ausgebrochen seyn, welches die schrecklichste Zerrüttung, wo nicht gar den Umsturz der Republik Abdera hätte verursachen können!Wenn jemals ein Abderit mit einer öffentlichen Ehrensäule belohnt zu werden verdient hatte, so war es gewiß dieser Stundenrufer. Zwar muß man gestehen, der große Dienst, den er in diesem Augenblick seiner Vaterstadt leistete, verliert seine ganze Verdienstlichkeit durch den einzigen Umstand, daß er nur zufälligerweise nützlich wurde. Denn der ehrliche Mann dachte, da er zur gesetzten Zeit maschinenmäßig Zwölfe rief, an nichts weniger als an die unabsehbaren Uebel, die er dadurch von dem gemeinen Wesen abwendete. Aber dagegen muß man auch bedenken, daß seit undenklichen Zeiten kein Abderit sich auf eine andre Weise um sein Vaterland verdient gemacht hatte. Wenn es sich daher zutrug, daß sie etwas verrichteten, das durch irgend einen glücklichen Zufall der Stadt nützlich wurde, so dankten sie den Göttern dafür; denn sie fühlten wohl, daß sie als bloße Werkzeuge oder gelegentliche Ursachen mitgewirkt hatten. Indessen ließen sie sich doch das Verdienst des Zufalls so gut bezahlen als ob es ihr eigenes gewesen wäre; oder, richtiger zu reden, eben weil sie sich keines eignen Verdienstes dabei bewußt waren, ließen sie sich das Gute, was der Zufall unter ihrem Namen that, auf eben dem Fuß bezahlen, wie ein Mauleseltreiber den täglichen Verdienst seines Esels einzieht.Es versteht sich, daß die Rede hier bloß von Archonten, Rathsherrn und Zunftmeistern ist. Denn der ehrliche Stundenrufer mochte sich Verdienste um die Republik machen so viel oder so wenig er wollte; er bekam seine sechs Pfennige des Tages in guter Abderitischer Münze, und — Gott befohlen!
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Drittes Buch.

Euripides unter den Abderiten.

Erstes Kapitel.

Die Abderiten machen sich fertig in die Komödie zu gehen.

Es war bei den Rathsherren von Abdera eine alte hergebrachte Gewohnheit und Sitte, die vor Rath verhandelten Materien unmittelbar darauf bei Tische (es sey nun daß sie Gesellschaft hatten oder mit ihrer Familie allein speisten) zu recapituliren und zu einer reichen Quelle entweder von witzigen Einfällen und spaßhaften Anmerkungen, oder von patriotischen Stoßseufzern, Klagen, Wünschen, Träumen, Aussichten, u. d. gl. zu machen; zumal wenn etwa in dem abgefaßten Rathsschlusse die Verschwiegenheit ausdrücklich empfohlen worden war.Aber dießmal — wiewohl das Abenteuer der Abderiten mit dem Fürsten der Aerzte sonderbar genug war, um einen Platz in den Jahrbüchern ihrer Republik zu verdienen — wurde an allen Tafeln, wo ein Rathsherr oder Zunftmeister obenan saß, des Hippokrates und Demokrits eben so wenig gedacht, als ob gar keine Männer dieses Namens in der Welt gewesen wären. In diesem Stücke hatten die Abderiten einen ganz besondern Public-Spirit, und ein feineres Gefühl, als man ihnen in Betracht ihres gewöhnlichen Eigendünkels hätte zutrauen sollen. In der That konnte ihre Geschichte mit dem Hippokrates, man hätte sie wenden und coloriren mögen wie man gewollt, auf keine Art, die ihnen Ehre machte, erzählt werden. Das Sicherste war, die Sache auf sich beruhen zu lassen, und zu schweigen.Die heutige Komödie machte also dießmal, wie gewöhnlich, den Hauptgegenstand der Unterhaltung aus. Denn seitdem sich die Abderiten, nach dem Beispiel ihres großen Musters, der Athener, mit einem eignen Theater versehen, und (ihrer Gewohnheit nach) die Sache so weit getrieben hatten, daß den größten Theil des Jahres hindurch alle Tage irgend eine Art von Schauspiel bei ihnen zu sehen war: so wurde in Gesellschaften, sobald die übrigen Gemeinplätze, Wetter, Putz und Stadtneuigkeiten, erschöpft waren, unfehlbar entweder von der Komödie die gestern gespielt worden war, oder von der Komödie die heute gespielt werden sollte, gesprochen — und die Herren von Abdera wußten sich (besonders gegen Fremde) nicht wenig damit, daß sie ihren Mitbürgern eine so schöne Gelegenheit zu Verfeinerung ihres Witzes und Geschmacks, einen so unerschöpflichen Stoff zu unschuldigen Gesprächen in Gesellschaften, und besonders dem schönen Geschlecht ein so herrliches Mittel gegen die Leib und Seele verderbende lange Weile verschafft hätten.Wir sagen es nicht um zu tadeln, sondern zum verdienten Lobe der Abderiten, daß sie ihr Komödienwesen für wichtig genug hielten, die Aufsicht darüber einem besondern Rathsausschusse zu übergeben, dessen Vorsitzer immer der zeitige Nomophylax, folglich einer der obersten Väter des Vaterlandes, war. Dieß war unstreitig sehr löblich. Alles, was man mit Recht an einer so schönen Einrichtung aussetzen konnte, war, daß es darum nicht um ein Haar besser mit ihrem Komödienwesen stand. Weil nun die Wahl der Stücke von der Rathsdeputation abhing, und die Erfindung der Komödienzettel unter die ansehnliche Menge von Erfindungen gehört, die den Vorzug der Neuern vor den Alten außer allem fernern Widerspruch setzen: so wußte das Publicum — ausgenommen wenn ein neues Abderitisches Originalstück aufs Theater gebracht wurde —selten vorher, was gespielt werden würde. Denn wiewohl die Herren von der Deputation eben kein Geheimniß aus der Sache machten, so mußte sie doch, ehe sie publik wurde, durch so manchen schiefen Mund und durch so viele dicke Ohren gehen, daß fast immer ein Qui pro quo herauskam, und die Zuhörer, wenn sie zum Beispiel die Antigone des Sophokles erwarteten, die Erigone des Physignatus für lieb und gut nehmen mußten — woran sie es denn auch selten oder nie ermangeln ließen.Was werden sie uns heut für ein Stück geben? war also jetzt die allgemeine Frage in Abdera — eine Frage, die an sich selbst die unschuldigste Frage von der Welt war, aber durch einen einzigen kleinen Umstand erzabderitisch wurde; nämlich, daß die Antwort schlechterdings von keinem praktischen Nutzen seyn konnte. Denn die Leute gingen in die Komödie, es mochte ein altes oder ein neues, gutes oder schlechtes Stück gespielt werden.Eigentlich zu reden gab es für die Abderiten gar keine schlechten Stücke; denn sie nahmen alles für gut: und eine natürliche Folge dieser unbegränzten Gutmüthigkeit war, daß es für sie auch keine guten Stücke gab. Schlecht oder gut, was ihnen die Zeit vertrieb war ihnen recht, und alles was wie ein Schauspiel aussah, vertrieb ihnen die Zeit. —Jedes Stück also, so elend es war, und so elend es gespielt worden seyn mochte, endigte sich mit einem Geklatsche das gar nicht aufhören wollte. Alsdann ertönte auf einmal durchs ganze Parterre ein allgemeines: wie hat Ihnen das heutige Stück gefallen? und wurde stracks durch ein eben so allgemeines: sehr wohl! beantwortet.So geneigt auch unsre werthen Leser seyn mögen, sich nicht leicht über etwas zu wundern, was wir ihnen von den Jdiotismen unsers Thracischen Athens erzählen können: so ist doch dieser eben erwähnte Zug etwas so ganz Besonderes, daß wir besorgen müssen keinen Glauben zu finden, wofern wir ihnen nicht begreiflich machen, wie es zugegangen, daß die Abderiten mit einer so großen Neigung zu Schauspielen es gleichwohl zu einer so hohen unbeschränkten dramatischen Apathie oder vielmehr Hedypathie bringen konnten, daß ihnen ein elendes Stück nicht nur kein Leiden verursachte, sondern sogar eben (oder doch beinahe eben) so wohl that als ein gutes.Man wird uns, wenn wir das Räthsel auflösen sollen, eine kleine Ausschweifung über das ganze Abderitische Theaterwesen erlauben müssen.Wir sehen uns aber genöthigt, uns von dem günstigen und billig denkenden Leser vorher eine kleine Gnade auszubitten, an deren großmüthiger Gewährung ihm selbst am Ende noch mehr gelegen ist als uns. Und dieß ist: aller widrigen Eingebungen seines Kakodämons ungeachtet, sich ja nicht einzubilden, als ob hier, unter verdeckten Namen, die Rede von den Theaterdichtern, den Schauspielern, und dem Parterre seiner lieben Vaterstadt die Rede sey. Wir läugnen zwar nicht, daß die ganze Abderitengeschichte in gewissem Betracht einen doppelten Sinn habe: aber ohne den Schlüssel zu Aufschließung des geheimen Sinnes, den unsere Leser von uns selbst erhalten sollen, würden sie Gefahr laufen, alle Augenblicke falsche Deutungen zu machen. Bis dahin also ersuchen wir siePer genium, dextramque, Deosque Penates, sich aller unnachbarlichen und unfreundlichen Anwendungen zu enthalten, und alles was folgt, so wie dieß ganze Buch, in keiner andern Gemüthsverfassung zu lesen, als womit sie irgend eine andre alte oder neue unparteiische Geschichtserzählung lesen würden.
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Zweites Kapitel.

Nähere Nachrichten von dem Abderitischen Nationaltheater. Geschmack der Abderiten. Charakter des Nomophylax Gryllus.

Als die Abderiten beschlossen hatten, ein stehendes Theater zu haben, wurde zugleich aus patriotischen Rücksichten festgesetzt, daß es ein Nationaltheater seyn sollte. Da nun die Nation, wenigstens dem größten Theile nach, aus Abderiten bestand, so mußte ihr Theater nothfolglich ein Abderitisches werden. Dieß war natürlicher Weise die erste und unheilbare Quelle alles Uebels.Der Respect, den die Abderiten für die heilige Stadt der Minerva, als ihre vermeinte Mutter, trugen, brachte es zwar mit sich, daß die Schauspiele der sämmtlichen Athenischen Dichter, nicht weil sie gut waren (denn das war eben nicht immer der Fall), sondern weil sie von Athen kamen, in großem Ansehen bei ihnen standen. Und anfangs konnte auch, aus Mangel einer genugsamen Anzahl einheimischer Stücke, beinahe nichts andres gegeben werden. Allein eben deßwegen hielt man, sowohl zur Ehre der Stadt und Republik Abdera, als mancherlei anderer Vortheile wegen, für nöthig eine Komödien- und Tragödienfabrik in ihrem eigenen Mittel anzulegen, und diese neue poetische Manufactur — in welcher Abderitischer Witz, Abderitische Gefühle, Abderitische Sitten und Thorheiten als eben so viele rohe Nationalproducte zu eigenem Gebrauch dramatisch verarbeitet werden sollten — wie guten und weisen Regenten und Patrioten zusteht, auf alle mögliche Art aufzumuntern.Dieß auf Kosten des gemeinen Seckels zu bewerkstelligen, ging aus zwei Ursachen nicht wohl an; erstens, weil dieser Seckel, vermöge der Art wie er verwaltet wurde, fast immer weniger enthielt als man herausnehmen wollte; und zweitens, weil es damals noch nicht Mode war die Zuschauer bezahlen zu lassen, sondern das Aerarium die Unkosten des Theaters tragen mußte, und also ohnedieß bei diesem neuen Artikel schon genug auszugeben hatte. Denn an eine neue Auflage auf die Bürgschaft war, vor der Hand und bis man wußte wie viel Geschmack sie dieser neuen Lustbarkeit abgewinnen würde, nicht zu denken. Es blieb also kein ander Mittel, als die Authentischen Dichter auf Unkosten des Geschmacks gemeiner Stadt aufzumuntern; d. i. alle Waaren die sie gratis liefern würden, für gut zu nehmen — nach dem alten Sprüchworte: geschenktem Gaul sieh nicht ins Maul; oder, wie es die Abderiten gaben: wo man umsonst ißt, wird immer gut gekocht.Was Horaz von seiner Zeit in Rom sagt:Scribimus indocti doctique poemata passim, galt nun von Abdera im superlativsten Grade. Weil es einem zum Verdienst angerechnet wurde wenn er ein Schauspiel schrieb, und weil schlechterdings nichts dabei zu wagen war: so machte Tragödien wer Athem genug hatte, ein paar Duzend zusammengeraffte Gedanken in eben so viele von Bombast strotzende Perioden aufzublasen; und jeder platte Spaßmacher versuchte es, die Zwerchfelle der Abderiten, auf denen er sonst in Gesellschaften oder Weinhäusern getrommelt hatte, jetzt auch einmal vom Theater herab zu bearbeiten.Diese patriotische Nachsicht gegen die Nationalproducte hatte eine natürliche Folge, die das Uebel zugleich vermehrte und fortdauernd machte. So ein gedankenleeres, windiges, aufgeblasenes, ungezogenes, unwissendes und aller Anstrengung unfähiges Völkchen es auch um die jungen Patricier von Abdera war, so ließ sich doch gar bald einer von ihnen, wir wissen nicht ob von seinem Mädchen oder von seinen Schmarotzern, oder auch von seinem eignen angestammten Dünkel weiß machen, daß es nur an ihm liege, dramatische Epheukränze zu erwerben so gut als ein anderer. Dieser erste Versuch wurde mit einem so glänzenden Erfolg gekrönt, daß Blemmias (ein Neffe des Archon Onolaus), ein Knabe von siebzehn Jahren, und, was in der Familie des Onolaus nichts Ungewöhnliches war, ein notorisches Ganshaupt, ein unwiderstehliches Jucken in seinen Fingern fühlte auch ein Bocksspiel zu machen, wie man damals das Ding hieß, das wir jetzt ein Trauerspiel zu schelten pflegen. Niemals seitdem Abdera auf Thracischem Boden stand, hatte man ein dümmeres Nationalproduct gesehen: aber der Verfasser war ein Neffe des Archon, und so konnt' es ihm nicht fehlen. Der Schauplatz war so voll, daß die jungen Herren den schönen Abderitinnen auf dem Schooße sitzen mußten; die gemeinen Leute standen einander auf den Schultern. Man hörte alle fünf Acte in unverwandter dumm wartender Stille an; man gähnte, seufzte, wischte sich die Stirne, rieb die Augen, hatte hündische lange Weile —und hörte zu; und wie nun endlich das lang' erseufzte Ende kam, wurde so abscheulich geklatscht, daß etliche zartnervige Muttersöhnchen das Gehör darüber verloren.Nun war's klar, daß es keine so große Kunst seyn müsse eine Tragödie zu machen, weil sogar der junge Blemmias eine gemacht hatte. Jedermann konnte sich ohne große Unbescheidenheit eben so viel zutrauen. Es wurde ein Familienehrenpunkt, daß jedes gute Haus wenigstens mit einem Sohne, Neffen, Schwager oder Vetter mußte prangen können, der die National-Schaubühne mit einer Komödie oder einem Bocksspiel, oder wenigstens mit einem Singspielchen beschenkt hatte. Wie groß dieß Verdienst seinem innern Gehalte nach etwa sey, daran dachte niemand; Gutes, Mittelmäßiges und Elendes lief in Einer Heerde untereinander her. Es bedurfte, um ein schlechtes Stück zu schützen, keiner Cabale. Eine Höflichkeit war der andern werth. Und weil die Herren allerseits Eselsöhrchen hatten: so konnte keinem einfallen, dem andern das berühmte Auriculas asini Mida rex habet zuzuflüstern.Man kann sich leicht vorstellen, daß die Kunst bei dieser Duldsamkeit nicht viel gewonnen haben werde. Aber was kümmerte die Abderiten das Interesse der Kunst? Genug, daß es für die Ruhe ihrer Stadt und das allerseitige Vergnügen zuträglicher war, dergleichen Dinge friedlich und schiedlich abzuthun.Da kann man sehen, pflegte der Archon Onolaus zu sagen, wie viel darauf ankommt, daß man ein Ding beim rechten Ende nimmt! Das Komödienwesen, das zu Athen alle Augenblicke die garstigsten Händel anrichtet, ist zu Abdera ein Band des allgemeinen guten Vernehmens und der unschuldigste Zeitvertreib von der Welt. Man geht in die Komödie, man ergötzt sich auf die eine oder andere Art, entweder mit Zuhören, oder mit seiner Nachbarin, oder mit Träumen und Schlafen, wie es einem jeden beliebt; dann wird geklatscht, jedermann geht zufrieden nach Hause, und gute Nacht!Wir sagten vorhin, die Abderiten hätten sich mit ihrem Theater so viel zu thun gemacht, daß sie in Gesellschaften beinahe von nichts als von der Komödie gesprochen, und so verhielt sich's auch wirklich. Aber wenn sie von Theaterstücken und Vorstellungen und Schauspielern sprachen, so geschah es nicht, um etwa zu untersuchen was daran in der That beifallswürdig seyn möchte oder nicht. Denn, ob sie sich ein Ding gefallen oder nicht gefallen lassen wollten, das hing (ihrer Meinung nach) lediglich von ihrem freien Willen ab; und, wie gesagt, sie hatten nun einmal eine Art von schweigender Abrede mit einander getroffen, ihre einheimischen dramatischen Manufacturen aufzumuntern. "Man sieht doch recht augenscheinlich," (sagten sie), "was es auf sich hat, wenn die Künste an einem Orte aufgemuntert werden. Noch vor zwanzig Jahren hatten wir kaum zwei oder drei Poeten, von denen, außer etwa an Geburtstagen oder Hochzeiten, kein Mensch Notiz nahm. Jetzt, seit den zehn bis zwölf Jahren daß wir ein eignes Theater haben, können wir schon über sechshundert Stücke, groß und klein in einander gerechnet, aufweisen, die alle auf Abderitischem Grund und Boden gewachsen sind."Wenn sie also von ihren Schauspielen schwatzten, so war es nur, um einander zu fragen, ob, zum Beispiel, das gestrige Stück nicht schön gewesen sey? und einander zu antworten: ja, es sey sehr schön gewesen — und was die Schauspielerin, welche die Jphigenia oder Andromache vorgestellt (denn zu Abdera wurden die weiblichen Rollen von wirklichen Frauenzimmern gespielt, und das war eben nicht so Abderitisch), für ein schönes neues Kleid angehabt habe? Und das gab dann Gelegenheit zu tausend kleinen interesssen Anmerkungen, Reden und Gegenreden, über den Putz, die Stimme, den Anstand, den Gang, das Tragen des Kopfs und der Arme, und zwanzig andre Dinge dieser Art, an den Schauspielern und Schauspielerinnen. Mitunter sprach man auch wohl von dem Stücke selbst, sowohl von der Musik als von den Worten (wie sie die Poesie davon nannten), das ist, ein jedes sagte, was ihm am besten oder wenigsten gefallen hätte; man hob die vorzüglich rührenden und erhabnen Stellen aus; tadelte auch wohl hier und da einen Ausdruck, ein allzu niedriges Wort, oder einen Gedanken, den man übertrieben oder anstößig fand. Aber immer endigte sich die Kritik mit dem ewigen Abderitischen Refrain: es bleibt doch immer ein schönes Stück — und hat viel Moral in sich. Schöne Moral! pflegte der kurze dicke Rathsherr hinzuzusetzen — und immer traf sich's, daß die Stücke, die er ihrer schönen Moral wegen selig pries, gerade die elendesten waren.Man wird vielleicht denken: da die besondern Ursachen, die man zu Abdera gehabt habe, alle einheimischen Stücke, ohne Rücksicht auf Verdienst und Würdigkeit, aufzumuntern, bei auswärtigen nicht stattgefunden, so hätte doch wenigstens die große Verschiedenheit der Athenischen Schauspieldichter, und der Abstand eines Astydamas von einem Sophokles etwas dazu beitragen sollen, ihren Geschmack zu bilden, und ihnen den Unterschied zwischen gut und schlecht, vortrefflich und mittelmäßig, besonders den mächtigen Unterschied zwischen natürlichem Beruf und bloßer Prätension und Nachäfferei, zwischen dem muntern, gleichen, aushaltenden Gang des wahren Meisters, und dem Stelzenschritt oder dem Nachkeichen, Nachhinken und Nachkriechen der Nachahmer — anschaulich zu machen. Aber, fürs erste, ist der Geschmack eine Sache, die sich ohne natürliche Anlage, ohne eine gewisse Feinheit des Seelenorgans, womit man schmecken soll, durch keine Kunst noch Bildung erlangen läßt; und wir haben gleich zu Anfang dieser Geschichte schon bemerkt, daß die Natur den Abderiten diese Anlage ganz versagt zu haben schien. Ihnen schmeckte alles. Man fand auf ihren Tischen die Meisterstücke des Genie's und Witzes mit dem Abgang der schalsten Köpfe, den Tagelöhnerarbeiten der elendesten Pfuscher, unter einander liegen. Man konnte ihnen in solchen Dingen weiß machen was man wollte; und es war nichts leichter, als einem Abderiten die erhabenste Ode von Pindar für den ersten Versuch eines Anfängers, und umgekehrt das sinnloseste Geschmier, wenn es nur den Zuschnitt eines Gesangs in Strophen und Antistrophen hatte, für ein Wer von Pindar zu geben. Daher war bei einem jeden neuen Stücke, das ihnen zu Gesicht kam, immer ihre erste Frage: von wem? und man hatte hundert Beispiele, daß sie gegen das vortrefflichste Werk gleichgültig geblieben waren, bis sie erfahren hatten daß es einem berühmten Namen zugehöre.Dazu kam noch der Umstand, daß der Nomophylax Gryllus, des Cyniskus Sohn, der an der Errichtung des Abderitischen Nationaltheaters den meisten Antheil gehabt hatte und der Oberaufseher über ihr ganzes Schauspielwesen war, Anspruch machte ein großer Musikverständiger und der erste Componist seiner Zeit zu seyn — ein Anspruch, gegen welchen die gefälligen Abderiten um so weniger einzuwenden hatten, weil er ein sehr populärer Herr war, und weil seine ganze Compositionskunst in einer Anzahl melodischer Formen oder Leisten bestand, die er allen Arten von Texten anzupassen wußte, so daß nichts leichter war, als seine Melodien zu singen und auswendig zu lernen.Die Eigenschaft, auf welche sich Gryllus am meisten zu gut that, war seine Behendigkeit im Componiren. — "Nu, wie gefällt Ihnen meine Jphigenia, Hekuba, Alceste (oder was es sonsten war), he?" — O, ganz vortrefflich, Herr Nomophylax, —"Gelt: da ist doch reiner Satz! fließende Melodie! hä, hä, hä! Und wie lange denken Sie daß ich daran gemacht habe? — Zählen Sie nach! — Heute haben wir den dreizehnten — Den vierten Morgens um fünf Uhr — Sie wissen ich bin früh auf —setzt' ich mich an mein Pult und fing an — und gestern Punkt zehn Uhr Vormittags macht' ich den letzten Strich! — Nun zählen Sie nach, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10, 11, 12, —macht, wie Sie sehen, nicht volle neun Tage, und darunter zwei Rathtage, und zwei oder drei wo ich zu Gaste gebeten war; andre Geschäfte nicht gerechnet — Hm! was sagen Sie? Heißt das nicht fix gearbeitet? — Ich sag' es eben nicht um mich zu rühmen: aber das getrau' ich mir, wenn's eine Wette gälte, daß kein Componist im ganzen Europäischen und Asiatischen Griechenland eher mit einem Stücke fertig werden soll als ich! — Es ist nichts! Aber es ist doch so eine eigne Gabe die ich habe, hä, hä, hä!"Wir hoffen, unsre Leser sehen den Mann nun vor sich, und wenn sie einige Anlage zur Musik haben, so muß ihnen seyn, sie hätten ihn bereits seine ganze Jphigenia, Hekuba und Alceste herunterorgeln gehört.Nun hatte dieser große Mann noch nebenher die kleine Schwachheit, daß er keine Musik gut finden konnte als —seine eigene. Keiner von den besten Tonsetzern zu Athen, Theben, Korinth u. s. w. konnt' es ihm zu Danke machen. Den berühmten Damon selbst, dessen gefällige, geistreiche und immer zum Herzen sprechende Art zu componiren außerhalb Abdera alles was eine Seele hatte bezauberte, nannte er unter seinen Vertrauten nur den Bänkelsängercomponisten. Bei dieser Art zu denken, und vermöge der unendlichen Leichtigkeit womit er seinen musikalischen Laich von sich gab, hatte er nun binnen wenig Jahren zu mehr als sechzig Stücken von berühmten und unberühmten Athenischen Schauspieldichtern die Musik gemacht. Denn die Abderitischen Nationalproducte überließ er meistens seinen Schülern und Nachahmern, und begnügte sich bloß mit der Revision ihrer Arbeit. Freilich fiel seine Wahl, wie man denken kann, nicht immer auf die besten Stücke; die Hälfte wenigstens waren mißlungene bombastische Nachahmungen des Aeschylus, oder abgeschmackte Possenspiele, Jahrmarktsstücke, die von ihren Verfassern selbst bloß für die Belustigung des untersten Pöbels bestimmt waren. Aber genug, der Nomophylax, ein Haupt der Stadt, hatte sie componirt; sie wurden also unendlich beklatscht; und wenn sie denn auch bei der öftern Wiederholung mitunter gähnen und hojanen machten daß die Kinnladen hätten auseinander gehen mögen, so versicherte man einander doch beim Herausgehen sehr tröstlich: es sey gar ein schönes Stück und gar eine schöne Musik gewesen!Und so vereinigte sich denn alles bei diesen griechenzenden Thaciern, nicht nur gegen die Arten und Stufen des Schönen, sondern gegen den innern Unterschied des Vortrefflichen und Schlechten selbst, jene mechanische Kaltsinnigkeit hervorzubringen, wodurch sie sich als durch einen festen Nationalcharakterzug von allen übrigen polizirten Völkern des Erdbodens auszrichneten; eine Kaltsinnigkeit, die dadurch desto sonderbarer wurde, weil sie ihnen gleichwohl die Fähigkeit ließ, zuweilen von dem wirklich Schönen auf eine gar seltsame Art afficirt zu werden — wie man in kurzem aus einem merkwürdigen Beispiel ersehen wird.
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Drittes Kapitel.

Beiträge zur Abderitischen Literargeschichte. Nachrichten von ihren ersten theatralischen Dichtern, Hyperbolus, Paraspasmus, Antiphilus und Thlaps.

Bei aller dieser anscheinenden Gleichgültigkeit, Toleranz, Apathie, Hedypathie, oder wie man's nennen will, müssen wir uns die Abderiten gleichwohl nicht als Leute ohne allen Geschmack vorstellen. Denn ihre fünf Sinne hatten sie richtig und voll gezählt: und wiewohl ihnen unter den angegebenen Umständen Alles gut genug schmeckte, so däuchte sie doch, dieses oder jenes schmecke ihnen besser als ein andres; uns so hatten sie denn ihre Lieblingsstücke und Lieblingsdichter so gut als andre Leute.Damals, als ihnen der kleine Verdruß mit dem Arzt Hippokrates zustieß, waren unter einer ziemlichen Anzahl von Theaterdichtern, welche Handwerk davon machten (die Freiwilligen nicht gerechnet), vornehmlich zwei im Besitz der höchsten Gunst des Abderitischen Publicums. Der eine machte Tragödien und eine Art Stücke, die man jetzt komische Opern nennt; der andere, Namens Thlaps, fabricirte eine Art von Mitteldingen, wobei einem weder wohl noch weh geschah, wovon er der erste Erfinder war; und die deßwegen nach seinem Namen Thlapspödien genannt wurden.Der erste war eben der Hyperbolus, dessen schon zu Anfang dieser eben so wahrhaften als wahrscheinlichen Geschichte als des berühmtesten unter den Abderitischen Dichtern gedacht worden ist. Er hatte sich zwar auch in den übrigen Gattungen hervorgethan; die außerordentliche Parteilichkeit seiner Landsleute für ihn hatte ihm in allen den Preis zuerkannt: und eben dieser Vorzug erwarb ihm den hochtrabenden Zunamen Hyperbolus; denn von Haus aus nannte er sich Hegesias.Der Grund, warum dieser Mensch ein so besonderes Glück bei den Abderiten machte, war der natürlichste von der Welt — nämlich eben der, weßwegen er und seine Werke an jedem andern Orte der Welt als in Abdera ausgepfiffen worden wären. Er war unter allen ihren Dichtern derjenige, in welchem der eigentliche Geist von Abdera, mit allen seinen Jdiotismen und Abweichungen von den schönern Formen, Proportionen und Lineamenten der Menschheit am leibhaftesten wohnte; derjenige, mit dem alle übrigen am meisten sympathisirten; der immer alles just so machte wie sie es auch gemacht haben würden, ihnen immer das Wort aus dem Munde nahm, immer das eigentliche Pünktchen traf wo sie gekitzelt seyn wollten; mit Einem Worte, der Dichter nach ihrem Sinn und Herzen! Und das nicht etwa in Kraft eines außerordentlichen Scharfsinns, oder als ob er sich ein besondres Studium daraus gemacht hätte, sondern lediglich, weil er unter allen seinen Brüdern im Marsyas am meisten —Abderit war. Bei ihm durfte man sich darauf verlassen, daß der Gesichtspunkt, woraus er eine Sache ansah, immer der schiefste war woraus sie gesehen werden konnte; daß er zwischen zwei Dingen allemal die Aehnlichkeit gerade da fand, wo ihr wesentlichster Unterschied lag; daß er je und allezeit feierlich aussehen würde wo ein vernünftiger Mensch lacht, und lachen würde, wo es nur einem Abderiten einfallen kann zu lachen, u. s. w. Ein Mann, der des Abderitischen Genius so voll war, konnte natürlicher Weise in Abdera alles seyn was er wollte. Auch war er ihr Anakreon, ihr Alcäus, ihr Pindar, ihr Aeschylus, ihr Aristophanes, und seit kurzem arbeitete er an einem großen National-Heldengedicht in achtundvierzig Gesängen, die Abderiade genannt — zu großer Freude des ganzen Abderitischen Volkes! Denn, sagten sie, ein Homer ist das einzige was uns noch abgeht; und wenn Hyperbolus mit seiner Abderiade fertig seyn wird, so haben wir Ilias und Odysse in Einem Stücke beisammen; und dann laß die andern Griechen kommen, und uns noch über die Achseln ansehen, wenn sie das Herz haben! Sie sollen uns dann einen Mann stellen, dem wir nicht einen aus unserm Mittel entgegenstellen wollen!Indessen war doch die Tragödie das eigentliche Fach des Hyperbolus. Er hatte deren hundertundzwanzig (vermuthlich auch groß und klein in einander gerechnet) verfertigt — ein Umstand, der ihm bei einem Volke, das in allen Dingen nur auf Anzahl und körperlichen Umfang sah, allein schon einen außerordentlichen Vorzug geben mußte. Denn von allen seinen Nebenbuhlern hatte es keiner auch nur auf das Drittel dieser Zahl bringen können. Ungeachtet ihn die Abderiten wegen des Bombasts seiner Schreibart ihren Aeschylus zu nennen pflegten, so wußte er sich selbst doch nicht wenig mit seiner Originalität. Man weise mir, sprach er, einen Charakter, einen Gedanken, ein Gefühl, einen Ausdruck, in allen meinen Werken, den ich aus einem andern genommen hätte! —Oder aus der Natur, setzte Demokrit hinzu —"O! (rief Hyperbolus) was das betrifft, das kann ich Ihnen zugeben, ohne daß ich viel dabei verliere. Natur! Natur! Die Herren klappern immer mit ihrer Natur und wissen am Ende nicht was sie wollen. Die gemeine Natur — und die meinen Sie doch —gehört in die Komödie, ins Possenspiel, in die Thlapsödie, wenn Sie wollen! Aber die Tragödie muß über die Natur gehen, oder ich gebe nicht eine hohle Nuß darum." Von den seinigen galt dieß im vollsten Maß. So wie seine Personen hatte nie ein Mensch ausgesehen, nie ein Mensch gefühlt, gedacht, gesprochen noch gehandelt. Aber das wollten die Abderiten eben — und daher kam es auch, daß sie unter allen auswärtigen Dichtern am wenigsten aus dem Sophokles machten. "Wenn ich aufrichtig sagen soll, wie ich denke, —sagte einst Hyperbolus in einer vornehmen Gesellschaft, wo über diese Materie auf gut Abderitisch räsonnirt wurde —ich habe nie begreifen können, was an dem Oedipus oder an der Elektra des Sophokles, besonders was an seinem Philoktet so Außerordentliches seyn soll. Für einen Nachfolger eines so erhabnen Dichters wie Aeschylus, fällt er wahrlich gewaltig ab! Nun ja, Attische Urbanität, die streit' ich ihm nicht ab! Urbanität so viel Sie wollen! Aber der Feuerstrom, die wetterleuchtenden Gedanken, die Donnerschläge, der hinreißende Wirbelwind — kurz, die Riesenstärke, der Adlersflug, der Löwengrimm, der Sturm und Drang, der den wahren tragischen Dichter macht, wo ist der?" — Das nenn' ich wie ein Meister von der Sache sprechen, sagte einer von der Gesellschaft. — O, über solche Dinge verlassen Sie sich auf das Urtheil des Hyperbolus, rief ein andrer; wenn er's nicht verstehen sollte! — Er hat hundertundzwanzig Tragödien gemacht, flüsterte eine Abderitin einem Fremden in's Ohr; er ist der erste Theaterdichter von Abdera!Indessen hatte es doch unter allen seinen Nebenbuhlern, Schülern und Candatarien ihrer zweien geglückt, ihn auf dem tragischen Thron, auf den ihn der allgemeine Beifall hinaufgeschwungen, wanken zu machen — dem einen durch ein Stück, worin der Held gleich in der ersten Scene des ersten Acts seinen Vater ermordet, im zweiten seine leibliche Schwester heirathet, im dritten entdeckt daß er sie mit seiner Mutter gezeugt hatte, im vierten sich selber Ohren und Nase abschneidet und im fünften, nachdem er die Mutter vergiftet und die Schwester erdrosselt, von den Furien unter Blitz und Donner in die Hölle geholt wird — dem andern durch eine Niobe, worin außer einer Menge Ω! Ω! Αι, Αι! φεν, ψεν, und Ελελελελεν, und einigen Blasphemien, wobei den Zuhörern die Haare zu Berge standen, das ganze Stück in lauter Handlung und Pantomime gesetzt war. Beide Stücke hatten den erstaunlichsten Effect gethan. — Nie waren binnen drei Stunden so viele Schnupftücher voll geweint worden, seit ein Abdera in der Welt war. — Nein, es ist nicht zum Aushalten, schluchzten die schönen Abderitinnen — Der arme Prinz! wie er heulte, wie er sich herumwälzte! Und die Rede, die er hielt, da er sich die Nase abgeschnitten hatte, rief eine andere — Und die Furien, die Furien, schrie eine dritte — ich werde vier Wochen lang kein Auge vor ihnen zuthun können! — Es war schrecklich, ich muß gestehen, sagte die vierte; aber, o die arme Niobe! wie sie mitten unter ihren über einander hergewälzten Kindern da steht, sich die Haare ausrauft, sie über die dampfenden Leichen hinstreut, dann sich selbst auf sie hinwirft, sie wieder beleben möchte, dann in Verzweiflung wieder auffährt, die Augen wie feurige Räder im Kopfe herum rollt, dann mit ihren eigenen Nägeln die Brust aufreißt, und Hände voll Bluts unter entsetzlichen Verwünschungen gen Himmel wirft! — Nein, so was Rührendes muß nie gesehen worden seyn! Was das für ein Mann seyn muß, der Paraspasmus, der Stärke genug hatte, so eine Scene aufs Theater zu bringen! — Nun, was die Stärke anbetrifft, sagte die schöne Salabanda, darauf läßt sich eben nicht immer so sicher schließen. Ich zweifle, ob Paraspasmus alles halten würde was er zu versprechen scheint; große Prahler schlechte Fechter. —Man kannte die schöne Salabanda für eine Frau, die so was nicht ohne Grund sagte; und dieser geringfügige Umstand brachte so viel zuwege, daß die Niobe des Paraspasmus bei der zweiten Vorstellung nicht mehr die Hälfte der vorigen Wirkung that; ja der Dichter selbst konnte sich in der Folge nicht wieder von dem Schlag erholen, den ihm Salabanda durch ein einziges Wort in der Einbildungskraft der Abderitinnen gegeben hatte.
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Indessen blieb ihm und seinem Freunde Antiphilus doch immer die Ehre, der Tragödie zu Abdera einen neuen Schwung gegeben zu haben, und die Erfinder zweier neuer Gattungen, der griesgramischen und der pantomimischen, zu seyn, in welchen den Abderitischen Dichtern eine Laufbahn eröffnet wurde, wo es um so viel sichrer war Lorbern einzuernten, da im Grunde nichts leichter ist als —Kinder zu erschrecken, und seine Helden vor lauter Affect — gar nichts sagen zu lassen.Wie aber die menschliche Unbeständigkeit sich an allem, was in seiner Neuheit noch so angenehm ist, gar bald ersättiget, so fingen auch die Abderiten bereits an es überdrüssig zu werden, daß sie immer und alle Tage gar schön finden sollten, was ihnen in der That schon lange gar wenig Vergnügen machte: als der junge Thlaps auf den Einfall kam, Stücke aufs Theater zu bringen, die weder Komödie noch Tragödie noch Posse, sondern eine Art von lebendigen Abderitischen Familiengemälden wären; wo weder Helden noch Narren, sondern gute ehrliche hausgebackne Abderiten auftreten, ihren täglichen Stadt-, Markt-, Haus- und Familiengeschäften nachgehen, und vor einem löblichen Spectatorium gerade so handeln und sprechen sollten, als ob sie auf der Bühne zu Hause wären; und es sonst keine Leute in der Welt gäbe als sie. Man sieht, daß dieß ungefähr die nämliche Gattung war, wodurch sich Menander in der Folge so viel Ruhm erwarb. Der Unterschied bestand bloß darin: daß er Athener und jener Abderiten auf die Bühne brachte; und daß er Menander, und jener Thlaps war. Allein da dieser Unterschied den Abderiten nichts verschlug, oder vielmehr gerade zu Thlapsens Vortheil gereichte, so wurde sein erstes Stück in dieser Gattung mit einem Entzücken aufgenommen, wovon man noch kein Beispiel gesehen hatte. Die ehrlichen Abderiten sahen sich selbst zum erstenmal auf der Schaubühne in puris Naturalibus, ohne Stelzen, ohne Löwenhäute, ohne Keule, Scepter und Diadem, in ihren gewöhnlichen Hauskleidern, ihre gewöhnliche Sprache redend, nach ihrer angebornen eigenthümlichen Abderitischen Art und Weise lieben und leben, essen und trinken, freien und sich freien lassen u. s. w., und das war eben was ihnen so viel Vergnügen machte. Es ging ihnen wie einem jungen Mädchen, das sich zum erstenmal in einem Spiegel sieht; sie konnten's gar nicht genug bekommen. Die vierfache Braut wurde vierundzwanzigmal hinter einander gespielt, und eine lange Zeit wollten die Abderiten nichts als Thlapsödien sehen. Thlaps, dem es nicht so frisch von der Faust ging wie dem großen Hyperbolus und dem Nomophylax Gryllus, konnte deren nicht so viele fertig machen, als sie von ihm zu haben wünschten. Aber da er seinen Mitbrüdern einmal den Ton angegeben hatte, so fehlte es ihm nicht an Nachahmung. Alles legte sich auf die neue Gattung; und in weniger als drei Jahren waren alle möglichen Sujets und Titel von Thlapsödien so erschöpft, daß es wirklich ein Jammer war die Noth der armen Dichter zu sehen, wie sie drucks'ten und schwitzten, um aus dem Schwamme, den schon so viele vor ihnen ausgedrückt hatten, noch einen Tropfen trübes Wasser herauszupressen.Die natürliche Folge davon war, daß unvermerkt alle Dinge wieder ins gehörige Gleichgewicht kamen. Die Abderiten, die, nach ziemlich allgemeiner menschlicher Weise, anfangs für jede Gattung eine ausschließende Neigung faßten, fanden endlich, daß es nur desto besser sey, wenn sie dem Ueberdruß durch Abwechslung und Mannichfaltigkeit wehren könnten. Die Tragödien, gemeine, griesgramische und pantomimische, die Komödien, Operetten und Possenspiele kamen wieder in Umlauf; der Nomophylax componirte die Tragödien des Euripides: und Hyperbolus (zumal da ihm das Project Abderitischer Homer zu werden im Kopfe steckte) ließ sich's, weil's doch nicht zu andern war, am Ende gern gefallen, die höchste Gunst des Abderitischen Parterre mit Thlapsen zu theilen; zumal, da dieser durch die Heirath mit der Nichte eines Oberzunftmeisters seit kurzem eine wichtige Person geworden war.
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Viertes Kapitel.

Merkwürdiges Beispiel von der guten Staatswirthschaft der Abderiten. Beschluß der Digression über ihr Theaterwesen.

Ehe wir von dieser Abschweifung zum Verfolg unsrer Geschichte zurückkehren, möchte es nöthig seyn, dem geneigten Leser einen kleinen Zweifel zu benehmen, der ihm während vorstehender kurzen Abschattung des Abderitischen Schauspielwesens aufgestoßen seyn möchte.Es ist nicht wohl zu begreifen, wird man sagen, wie das Aerarium von Abdera, dessen Einkünfte eben nicht so gar beträchtlich seyn konnten, eine so ansehnliche Nebenaufgabe, wie ein tägliches Schauspiel mit allen seinen Artikeln ist, in die Länge habe bestreiten können; gesetzt auch, daß die Dichter ohne Sold noch Lohn, aus purem Patriotismus, oder um die bloße Ehre gedient hätten. Wofern aber dieß letztere war, wird man kaum glaublich finden, daß es so manchen Theaterdichter von Profession in Abdera gegeben, und daß der große Hyperbolus, mit allem seinem Patriotismus und Eigennutz, es bis auf einhundertundzwanzig dramatische Stücke sollte getrieben haben.Um nun den günstigen Leser nicht ohne Noth aufzuhalten, wollen wir ihm nur gleich unverhohlen gestehen, daß ihre Theaterdichter keineswegs umsonst arbeiteten (denn das große Gesetz: "dem Ochsen, der da drischt, sollst du nicht das Maul verbinden!" ist ein Naturgesetz, dessen allgemeine Verbindlichkeit auch sogar die Abderiten fühlten), und daß, vermöge einer besondern Finanzoperation, das Stadtärarium des Theaters halben eigentlich keine neue Ausgabe zu bestreiten hatte, sondern dieser Aufwand größtentheils an andern nöthigern und nützlichern Artikeln erspart wurde.Die Sache verhielt sich so. Sobald die Gönner des Theaters sahen, daß die Abderiten Feuer gefaßt hatten, und Schauspiele zum Bedürfniß für sie geworden waren, ermangelten sie nicht, dem Volke durch die Zunftmeister vorstellen zu lassen: daß das Aerarium einem so großen Zuwachs von Ausgaben ohne neue Einnahmsquellen oder Einziehung andrer Ausgaben nicht gewachsen sey. Dieß veranlaßte denn, daß eine Commission niedergesetzt wurde, welche, nach mehr als sechzig zahlbaren Sitzungen, endlich einen Entwurf einer Einrichtung des gemeinen Abderitischen Theaterwesens vor Rath legte, den man so gründlich und wohl ausgesonnen fand, daß er stracks in einer allgemeinen Versammlung der Bürgerschaft zu einem Fundamentalgesetz der Stadt Abdera gestempelt wurde.Wir würden uns ein Vergnügen daraus machen, dieses Abderitische Meisterstück auch vor unsre Leser zu legen, wenn wir ihnen Geduld genug zutrauen dürften es zu lesen. Sollte aber irgend ein gemeines Wesen in oder außer dem heiligen Römischen Reiche die Mittheilung desselben wünschen: so ist man erbötig, solche auf erfolgte Requisition, gegen bloße Erstattung der Schreibauslagen unentgeldlich mitzutheilen. Alles was wir hier davon sagen können, ist: daß, vermöge dieser Einrichtung sine aggravio Publici, —durch bloße Ersparung einer Menge anderer Ausgaben, die man freilich in jedem andern Staate für nöthiger und nützlicher als die Unterhaltung eines Nationaltheaters angesehen hätte —hinlängliche Fonds ausgemacht wurden, "die Abderiten wöchentlich viermal mit Schauspielen zu tractiren; sowohl Dichter, Schauspieler und Orchester, als die Herren Deputirten und den Nomophylax gehörig zu remuneriren; und überdieß noch die beiden untersten Classen der Zuschauer bei jeder Vorstellung viritim mit einem Pfennigbrot und zwei trocknen Feigen zu gratificiren." — Der einzige Fehler dieser schönen Einrichtung war, daß die Herren von der Commission sich in Berechnung der Einnahme und Ausgabe (wegen deren Richtigkeit man sich auf ihre bekannte Dexterität verließ) um achtzehntausend Drachmen (ungefähr dritthalbtausend Thaler schwer Geld) verrechnet hatten, die das Aerarium mehr bezahlen mußte, als die angewiesenen Fonds betrugen. Das war nun freilich kein ganz gleichgültiger Rechnungsverstoß! Indessen waren die Herrn von Abdera gewohnt, so glattweg und bona fide bei ihrer Staatswirthschaft zu Werke zu gehen, daß etliche Jahre verstrichen, bis man gewahr wurde, woran es liege, daß sich alle Jahre ein Deficit von zweitausendfünfhundert Thalern in der Hauptrechnung ergab. Wie man es endlich mit vieler Mühe herausgebracht hatte, fanden die Häupter für nöthig, die Sache vor das gesammte Volk zu bringen, und pro forma auf Einziehung der Schaubühne anzutragen. Allein die Abderiten gebärdeten sich zu diesem Vorschlag, als ob man ihnen Wasser und Feuer nehmen wolle. Kurz, es wurde ein Plebiscitum errichtet, daß die jährlich abgängigen dritthalb Talente aus dem gemeinen Schatz, der im Tempel der Latona niedergelegt war, genommen werden sollten; und derjenige, der sich künftig unterfangen würde, auf Abschaffung der Schaubühne anzutragen, sollte für einen Feind der Stadt Abdera angesehen werden.Die Abderiten glaubten nun ihre Sache recht klug gemacht zu haben, und pflegten gegen Fremde sich viel darauf zu gut zu thun, daß ihre Schaubühne jährlich achtzig Talente (achtzig tausend Thaler) und gleichwohl der Bürgerschaft von Abdera keinen Heller koste. "Es kommt alles auf eine gute Einrichtung an, sagten sie. Aber dafür haben wir auch ein Nationaltheater, wie kein andres in der Welt seyn muß!" — Das ist eine große Wahrheit, sagte Demokrit; solche Dichter, solche Schauspieler, solche Musik, und wöchentlich viermal, für achtzig Talente! Ich wenigstens habe das an keinem andern Orte in der Welt angetroffen.Was man ihnen lassen mußte, war, daß ihr Theater für eines der prächtigsten in Griechenland gelten konnte. Freilich hatten sie dem Könige von Macedonien ihr bestes Amt versetzt, um es bauen zu können. Aber da ihnen der König zugestanden, daß der Amtmann, der Amtsschreiber und der Rentmeister allezeit Abderiten bleiben sollten, so konnte ja niemand was dagegen einzuwenden haben.Wir bitten es den Lesern ab, wenn sie mit dieser allgemeinen Nachricht von dem Abderitischen Theaterwesen zu lange aufgehalten worden sind. Die Schauspielstunde ist inzwischen herbeigekommen, und wir versetzen uns also ohne weiters in das Amphitheater dieser preiswürdigen Republik, wo der geneigte Leser nach Gefallen, entweder bei dem kleinen dicken Rathsherrn, oder bei dem Priester Strobylus, oder bei dem Schwätzer Antistrepsiades, oder bei irgend einer von den schönen Abderitinnen, mit welchen wir sie in den vorigen Kapiteln bekannt gemacht haben, Platz zu nehmen belieben wird.
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Fünftes Kapitel.

Die Andromeda des Euripides wird ausgeführt. Großer Succeß des Nomophylax, und was die Sängerin Eukolpis dazu beigetragen. Ein paar Anmerkungen über die übrigen Schauspieler, die Chöre und die Decoration.

Das Stück, das diesen Abend gespielt wurde, war die Andromeda des Euripides, eines von den sechzig oder siebzig Werken dieses Dichters, wovon nur wenige kleine Späne und Splitter der Vernichtung entronnen sind. Die Abderiten trugen, ohne eben sehr zu wissen warum, große Ehrerbietung für den Namen Euripides und alles was diesen Namen trug. Verschiedene seiner Tragödien oder Singspiele (wie wir sie eigentlich nennen sollten) waren schon öfters aufgeführt, und allemal sehr schön gefunden worden. Die Andromeda, eines der neuesten, wurde jetzt zum erstenmal auf die Abderitische Schaubühne gebracht. Der Nomophylax hatte die Musik dazu gemacht, und (wie er seinen Freunden ziemlich laut ins Ohr sagte) dießmal sich selbst übertroffen; das heißt, der Mann hatte sich vorgesetzt, alle seine Künste auf einmal zu zeigen, und darüber war ihm der gute Euripides unvermerkt ganz aus den Augen gekommen. Kurz, Herr Gryllus hatte sich selbst componirt; unbekümmert, ob seine Musik den Text, oder der Text seine Musik zu Unsinn mache — welches denn gerade der Punkt war, der auch die Abderiten am wenigsten kümmerte. Genug, sie machte großen Lärm, hatte (wie seine Brüder, Vettern, Schwäger, Clienten und Hausbedienten, als sämmtliche Kenner, versicherten) sehr erhabne und rührende Stellen, und wurde mit dem lautesten entschiedensten Beifall aufgenommen. Nicht, als ob nicht sogar in Abdera noch hier und da Leute gesteckt hätten, die — weil sie vielleicht etwas dünnere Ohren auf die Welt gebracht als ihre Mitbürger, oder weil sie anderswo was Besseres gehört haben mochten — einander unter vier Augen gestanden: daß der Nomophylax, mit aller seiner Anmaßung ein Orpheus zu seyn, nur ein Leyermann, und das beste seiner Werke eine Rhapsodie ohne Geschmack und meistens auch ohne Sinn sey. Diese Wenigen hatten sich ehemals sogar erkühnt, etwas von dieser ihrer Heterodoxie ins Publicum erschallen zu lassen; aber sie waren jedesmal von den Verehrern der Gryllischen Muse so übel empfangen worden, daß sie, um mit heiler Haut davon zu kommen, für gut befanden, sich in Zeiten der Majorität zu submittiren; und nun waren diese Herren immer die, die bei den elendesten Stellen am ersten und lautesten klatschten.Das Orchester that dießmal sein Aeußerstes, um sich seines Oberhauptes würdig zu zeigen. "Ich hab' ihnen aber auch alle Hände voll zu thun gegeben," sagte Gryllus, und schien sich viel darauf zu gut zu thun, daß die armen Leute schon im zweiten Act keinen trocknen Faden mehr am Leibe hatten.Im Vorbeigehen gesagt, das Orchester war eines von den Instituten, worin die Abderiten es mit allen Städten in der Welt aufnahmen. Das erste, was sie einem Fremden davon sagten, war: daß es hundert und zwanzig Köpfe stark sey. "Das Athenische, pflegten sie mit bedeutendem Accent hinzu zu setzen, soll nur achtzig haben: aber freilich mit hundert und zwanzig Mann läßt sich auch was ausrichten!" — Wirklich fehlte es unter so vielen nicht an geschickten Leuten, wenigstens an solchen, aus denen ein Vorsteher, wie — in Abdera keiner war noch seyn konnte, etwas hätte machen können. Aber was half das ihrem Musikwesen? Es war nun einmal im Götterrathe beschlossen, daß im Thracischen Athen nichts an seinem Platze, nichts seinem Zweck entsprechend, nichts recht und nichts ganz seyn sollte. Weil die Leute wenig für ihre Mühe hatten, so glaubte man auch nicht viel von ihnen fordern zu können; und weil man mit einem jeden zufrieden war, der sein Bestes that (wie sie's nannten), so that niemand sein Bestes. Die Geschickten wurden lässig, und wer noch auf halbem Weg war, verlor den Muth und zuletzt auch das Vermögen weiter zu kommen. Wofür hätten sie sich am Ende auch Mühe um Vollkommenheit geben sollen, da sie für Abderitische Ohren arbeiteten? —Freilich hatten die leidigen Fremden auch Ohren: aber sie hatten doch keine Stimme zu geben; fanden es auch nicht einmal der Mühe werth, oder waren zu höflich oder zu politisch, gegen den Geschmack von Abdera Sturm laufen zu wollen. Der Nomophylax, so dumm er war, merkte zwar selbst so gut wie ein andrer, daß es nicht so recht ging wie es sollte. Aber außerdem, daß er keinen Geschmack hatte, oder (welches auf Eins hinaus lief) daß ihm nichts schmeckte, was er nicht selbst gekocht hatte, und er also immer die rechten Mittel, wodurch es besser werden konnte, verfehlte — war er auch zu träge und zu ungeschmeidig, sich mit andern auf die gehörige Art abzugeben. Vielleicht mocht' er's auch am Ende wohl leiden, daß er, wenn sein Leyerwerk (wie wohl zuweilen geschah) sogar den Abderiten nicht recht zu Ohren gehen wollte, die Schuld aufs Orchester schieben, und die Herren und Damen, die ihm ehrenhalber ihr Compliment deßwegen machten, versichern konnte: daß nicht eine Note, so wie er sie gedacht und geschrieben habe, vorgetragen worden sey. Allein das war doch immer nur eine Feuerthüre für den Nothfall. Denn aus dem naserümpfenden Tone, womit er von allen andern Orchestern zu sprechen pflegte, und aus den Verdiensten, die er sich um das Abderitische beilegte, mußte man schließen, daß er so gut damit zufrieden war, als es — einem patriotischen Nomophylax von Abdera ziemte.Wie es aber auch mit der Musik dieser Andromeda und ihrer Ausführung beschaffen seyn mochte: gewiß ist, daß in langer Zeit kein Stück so allgemein gefallen hatte. Dem Sänger, der den Perseus spielte, wurde so gewaltig zugeklatscht, daß er mitten in der schönsten Scene aus dem Tone kam, und in eine Stelle aus dem Kyklops sich verirrete. Andromeda — in der Scene, wo sie, an den Felsen gefesselt, von allen ihren Freunden verlassen und dem Zorn der Nereiden Preis gegeben, angstvoll das Auftauchen des Ungeheuers erwartet — mußte ihren Monolog dreimal wiederholen. Der Nomophylax konnte seine Freude über einen so glänzenden Erfolg nicht bändigen. Er ging von Reihe zu Reihe herum, den Tribut von Lob einzusammeln, der ihm aus allen Lippen entgegen schallte; und mitten unter der Versicherung daß ihm zu viel Ehre widerfahre, gestand er, daß er selbst mit keinem seiner Spielwerke (wie er seine Opern mit vieler Bescheidenheit zu nennen beliebte) so zufrieden sey wie mit dieser Andromeda.Indessen hätt' er doch, um sich selbst und den Abderiten Gerechtigkeit zu erweisen, wenigstens die Hälfte des glücklichen Erfolgs auf Rechnung der Sängerin Eukolpis setzen müssen, die zwar vorher schon im Besitz zu gefallen war, aber als Andromeda Gelegenheit fand, sich in einem so vortheilhaften Lichte zu zeigen, daß die jungen und alten Herren von Abdera sich gar nicht satt an ihr —sehen konnten. Denn da war so viel zu sehen, daß ans Hören gar nicht zu denken war. Eukolpis war eine große wohlgedrehte Figur — zwar um ein Namhaftes materieller, als man in Athen zu einer Schönheit erforderte —aber in diesem Stücke waren die Abderiten (wie in vielen andern) ausgemachte Thracier; und ein Mädchen, aus welchem ein Bildhauer in Sicyon zwei gemacht hätte, war nach ihrem angenommenen Ebenmaß ein Wunder von einer Nymphenfigur. Da die Andromeda nur sehr dünn angezogen seyn durfte, so hatte Eukolpis, die sich stark bewußt war, worin eigentlich die Kraft ihres Zaubers liege, eine Draperie von rosenfarbnem Koischem Zeug erfunden, unter welcher, ohne daß der Wohlstand sich allzusehr beleidigt finden konnte, von den schönen Formen, die man an ihr bewunderte, wenig oder nichts für die Zuschauer verloren ging. Nun hatte sie gut singen. Die Composition hätte, wo möglich, noch abgeschmackter, und ihr Vortrag noch zehnmal fehlerhafter seyn können; immer würde sie ihren Monolog haben wiederholen müssen, weil das doch immer der ehrlichste Vorwand war, sie desto länger mit lüsternen Blicken — betasten zu können. Wahrlich, beim Jupiter, ein herrliches Stück! sagte einer zum andern mit halb geschloss'nen Augen; ein unvergleichliches Stück! — Aber finden Sie nicht auch, daß Eukolpis heute wie eine Göttin singt? — "O über allen Ausdruck! Es ist, beim Anubis! nicht anders als ob Euripides das ganze Stück bloß um ihrentwillen gemacht hätte!" — der junge Herr, der dieß sagte, pflegte immer beim Anubis zu schwören, um zu zeigen daß er in Aegypten gewesen sey.Die Damen, wie leicht zu erachten, fanden die neue Andromeda nicht ganz so wundervoll als die Mannspersonen. — "Nicht übel! Ganz artig! sagten sie. Aber wie kommt's, daß die Rollen dießmal so unglücklich ausgetheilt wurden? Das Stück verlor dadurch. Man hätte die Rollen vertauschen und die Mutter der dicken Eukolpis geben sollen! Zu einer Kassiopeia hätte sie sich trefflich geschickt." —Gegen ihren Anzug, Kopfputz u. s. w. war auch viel zu erinnern. — Sie war nicht zu ihrem Vortheil aufgesetzt — der Gürtel war zu hoch, und zu stark geschürzt — und besonders fand man die Ziererei ärgerlich, immer ihren Fuß zu zeigen, auf dessen unproportionirte Kleinheit sie sich ein wenig zu viel einbilde, — sagten die Damen, die aus dem entgegengesetzten Grunde die ihrigen zu verbergen pflegten. Indessen kamen doch Frauen und Herren sämmtlich darin überein, daß sie überaus schön singe, und daß nichts niedlicher seyn könne als die Arie, worin sie ihr Schicksal bejammerte. Eukolpis, wiewohl ihr Vortrag wenig taugte, hatte eine gute, klingende und biegsame Stimme; aber was sie eigentlich zur Lieblingssängerin der Abderiten gemacht hatte, war die Mühe, die sie sich mit ziemlichem Erfolge gegeben, den Nachtigallen gewisse Läufer und Tonsärge abzulernen, in welchen sie sich selbst und ihren Zuhörern so wohl gefiel, daß sie solche überall, zu rechter Zeit und zur Unzeit, einmischte, und immer damit willkommen war. Sie mochte zu thun haben was sie wollte, zu lachen oder zu weinen, zu klagen oder zu zürnen, zu hoffen oder zu fürchten; immer fand sie Gelegenheit, ihre Nachtigallen anzubringen, und war immer gewiß beklatscht zu werden, wenn sie gleich die besten Stellen damit verdorben hatte.Von den übrigen Personen, die den Perseus als den ersten Liebhaber, den Agenor, vormaligen Liebhaber der Andromeda, den Vater, die Mutter und einen Priester des Neptuns vorstellten, finden wir nicht viel mehr zu sagen, als daß man im Einzelnen zwar sehr viel an ihnen auszusetzen hatte, im Ganzen aber sehr wohl mit ihnen zufrieden war. Perseus war ein schön gewachs'ener Mensch, und hatte ein großes Talent einen — Abderitischen Pickelhäring zu machen. Der vorerwähnte Kyklops, im Satyrenspiele dieses Namens, war seine Meisterrolle. Er spielt den Perseus gar schön, sagten die Abderitinnen; nur Schade daß ihm immer unvermerkt der Kyklops dazwischen kommt. —Kassiopeia, ein kleines zieraffiges Ding, voll angemaßter Grazien, hatte keinen einzigen natürlichen Ton; aber sie galt alles bei der Gemahlin des zweiten Archon, hatte eine gar drollige Manier kleine Liedchen zu singen, und that ihr Bestes. — Der Priester des Neptuns brüllte einen ungeheuern Matrosenbaß; und Agenor — sang so elend als einem zweiten Liebhaber zusteht. Er sang zwar auch nicht besser, wenn er den ersten machte; aber weil er sehr gut tanzte, so hatte er eine Art von Freibrief erhalten, desto schlechter singen zu dürfen. Er tanzt sehr schön, war immer die Antwort der Abderiten, wenn jemand anmerkte, daß sein Krächzen unerträglich sey; indessen tanzte Agenor nur selten, und sang hingegen in allen Singspielen und Operetten.Um die Schönheit dieser Andromeda ganz zu übersehen, muß man sich noch zwei Chöre, einen von Nereiden, und einen von den Gespielinnen der Andromeda, einbilden, beide aus verkleideten Schuljungen bestehend, die sich so ungebärdig dazu anschickten, daß die Abderiten (zu ihrem großen Troste) genug und satt zu lachen bekamen. Besonders that der Chor der Nereiden, durch die Erfindungen, die der Nomophylax dabei angebracht hatte, die schnurrigste Wirkung von der Welt. Die Nereiden erschienen mit halbem Leib aus dem Wasser hervorragend, mit falschen gelben Haaren, und mit mächtigen falschen Brüsten, die von fern recht natürlich wie —ausgestopfte Bälle und also sich selbst vollkommen gleich sahen. Die Symphonie, unter welcher diese Meerwunder herangeschwommen kamen, war eine Nachahmung des berühmten Wreckeckeck Koax Koax in den Fröschen des Aristophanes; und, um die Illusion vollkommner zu machen, hatte Herr Gryllus verschiedene Kuhhörner angebracht, die von Zeit zu Zeit einfielen, um die auf ihren Schneckenmuscheln blasenden Tritonen nachzuahmen.Von den Decorationen wollen wir, beliebter Kürze halben, weiter nichts sagen, als daß sie — von den Abderiten sehr schön gefunden wurden. Insonderheit bewunderte man einen Sonnenuntergang, den sie vermittelst eines mit langen Schwefelhölzern besteckten Windmühlenrades zuwege brachten; welches einen guten Effect gethan hätte, sagten sie, wenn es nur ein wenig schneller umgetrieben worden wäre. Bei der Art, wie Perseus mit seinen Merkurstiefeln aufs Theater angeflogen kam, wünschten die Abderitischen Kenner, daß man die Stricke, in denen er hing, luftfarbig angestrichen hätte, damit sie nicht so gar deutlich in die Augen gefallen wären.
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Sechstes Kapitel.

Sonderbares Nachspiel, das die Abderiten mit einem unbekannten Fremden spielten, und dessen höchst unvermuthete Entwickelung.

Sobald das Stück geendigt war, und das betäubende Klatschen ein wenig nachließ, fragte man einander, wie gewöhnlich: nun, wie hat Ihnen das Stück gefallen? und erhielt überall die gewöhnliche Antwort: sehr wohl! Einer von den jungen Herren, der für einen vorzüglichen Kenner galt, richtete die große Frage auch an einen etwas bejahrten Fremden, der in einer der mittlern Reihen saß, und dem Ansehen nach kein gemeiner Mann zu seyn schien. Der Fremde, der sich's vielleicht schon gemerkt hatte was man zu Abdera auf eine solche Frage antworten mußte, war so ziemlich bald mit seinem "sehr wohl" heraus: aber weil seine Miene diesen Beifall etwas verdächtig machte, und sogar eine unfreiwillige, wiewohl ganz schwache Bewegung der Achseln, womit er ihn begleitete, für ein Achselzucken ausgedeutet werden konnte, so ließ ihn der junge Abderitische Herr nicht so wohlfeil durchwischen. — "Es scheint, sagte er, das Stück hat Ihnen nicht gefallen? Es passirt doch für eine der besten Piecen von Euripides!"Das Stück mag nicht so übel seyn, erwiederte der Fremde."So haben Sie vielleicht an der Musik etwas auszusetzen?"An der Musik? — O was die Musik betrifft, die ist eine Musik — wie man sie nur zu Abdera hört."Sie sind sehr höflich! In der That, unser Nomophylax ist ein großer Mann in seiner Art."Ganz gewiß!"So sind Sie vermuthlich mit den Schauspielern nicht zufrieden?"Ich bin mit der ganzen Welt zufrieden."Ich dächte doch, die Andromeda hätte ihre Rolle scharmant gemacht?"O sehr scharmant!"Sie thut einen großen Effect: nicht wahr?"Das werden Sie am besten wissen; ich bin dazu nicht mehr jung genug."Wenigstens gestehen Sie doch, daß Perseus ein großer Schauspieler ist?"In der That, ein hübscher wohlgewachs'ner Mensch."Und die Chöre? das waren doch Chöre, die dem Meister Ehre machten! Finden Sie zum Beispiel den Einfall, wie die Nereiden eingeführt werden, nicht ungemein glücklich?"Der Fremde schien des Abderiten satt zu seyn. Ich finde, versetzte er mit einiger Ungeduld, daß die Abderiten glücklich sind, an allen diesen Dingen so viel Freude zu haben.Mein Herr, sagte der Gelbschnabel in einem spöttelnden Tone, gestehen Sie nur, daß das Stück die Ehre und das Glück nicht gehabt hat, Ihren Beifall zu erhalten."Was ist Ihnen an meinem Beifall gelegen? Die Majora entscheiden."Da haben Sie recht. Aber ich möchte doch um Wunders willen hören, was Sie denn gegen unsre Musik oder gegen unsre Schauspieler einwenden könnten."Könnten? sagte der Fremde etwas schnell, hielt aber gleich wieder an sich — Verzeihen Sie mir, ich mag niemand sein Vergnügen abdisputiren. Das Stück, wie es da gespielt wurde, hat zu Abdera allgemein gefallen; was wollen Sie mehr?"Nicht so allgemein, da es Ihnen nicht gefallen hat!"Ich bin ein Fremder —"Fremd oder nicht, Ihre Gründe möcht' ich hören! Hi, hi, hi! Ihre Gründe, mein Herr, Ihre Gründe! Die werden doch wenigstens keine Fremden seyn? Hi, hi, hi, hi!"Dem Fremden fing die Geduld an auszugehen. Junger Herr, sagte er, ich habe für meinen Antheil an Ihrem Schauspiel bezahlt; denn ich habe geklatscht wie ein andrer. Lassen Sie's damit gut seyn! Ich bin im Begriff wieder abzureisen. Ich habe meine Geschäfte.Ei, ei, sagte ein andrer Abderitischer junger Mensch der dem Gespräch zugehört hatte, Sie werden uns ja nicht schon verlassen wollen? Sie scheinen ein großer Kenner zu seyn: Sie haben unsre Neugier, unsre Lehrbegierde (er sagte dieß mit einem dumm-naseweisen Hohnlächeln) gereizt; wir lassen Sie wahrlich nicht gehen, bis Sie uns gesagt haben, was Sie an dem heutigen Singspiel zu tadeln finden. Ich will nichts von den Worten sagen; aber ich bin Kenner; aber die Musik, dächt' ich, war doch unvergleichlich?Das müßten am Ende doch wohl die Worte entscheiden, wie Sie's nennen, sagte der Fremde."Wie meinen Sie das? Ich denke Musik ist Musik, und man braucht nur Ohren zu haben, um zu hören was schön ist."Ich gebe Ihnen zu, wenn Sie wollen, erwiederte jener, daß schöne Stellen in dieser Musik sind; es mag überhaupt eine gelehrte, nach allen Regeln der Kunst zugeschnittene, schulgerechte, artikelmäßige Musik seyn; ich habe dagegen nichts; ich sage nur, daß es keine Musik zur Andromeda des Euripides ist!"Sie meinen, daß die Worte besser ausgedrückt seyn sollten?"O die Worte sind zuweilen nur zu sehr ausgedrückt; aber im Ganzen, meine Herren, im Ganzen ist der Sinn und Ton des Dichters verfehlt. Der Charakter der Personen, die Wahrheit der Leidenschaften und Empfindungen, das eigene Schickliche der Situationen — das, was die Musik seyn kann und seyn muß, um Sprache der Natur, Sprache der Leidenschaft zu seyn — was sie seyn muß, damit der Dichter auf ihr wie in seinem Elemente schwimme, und emporgetragen, nicht ersäuft werde — das alles ist durchaus verfehlt — kurz, das Ganze taugt nichts! — Da haben Sie meine Beichte in drei Worten!"Das Ganze, schrien die beiden Abderiten, das Ganze taugt nichts! Nun, das ist viel gesagt! Wir möchten wohl hören, wie Sie das beweisen wollten?"Die Lebhaftigkeit, womit unsre beiden Verfechter ihres vaterländischen Geschmacks dem graubärtigen Fremden zusetzten, hatte bereits verschiedne andre Abderiten herbeigezogen; jedermann wurde aufmerksam auf einen Streit, der die Ehre ihres Nationaltheaters zu betreffen schien. Alles drängte sich hinzu; und der Fremde, wiewohl er ein langer stattlicher Mann war, fand für nöthig sich an einen Pfeiler zurückzuziehen, um wenigstens den Rücken frei zu behalten.Wie ich das beweisen wollte? erwiederte er ganz gelassen: ich werde es nicht beweisen! Wenn Sie das Stück gelesen, die Aufführung gesehen, die Musik gehört haben, und können noch verlangen, daß ich Ihnen mein Urtheil davon beweisen soll: so würd' ich Zeit und Athem verlieren, wenn ich mich weiter mit Ihnen einließe.Der Herr ist, wie ich höre, ein wenig schwer zu befriedigen, sagte ein Rathsherr, der sich ins Gespräch mischen wollte, und dem die beiden jungen Abderiten aus Respect Platz machten. — Wir haben doch hier in Abdera auch Ohren! Man läßt zwar jedem seine Freiheit; aber gleichwohl —Wie? was? was gibt's da? schrie der kurze dicke Rathsherr, der auch herbeigewatschelt kam: hat der Herr da etwas wider das Stück einzuwenden? Das möcht' ich hören! ha ha, ha! Eins der besten Stücke, mein Treu! die seit langem aufs Theater gekommen sind! Viel Action! Viel — ä! ä! — Was ich sage! Ein schön Stück! Und schöne Moral!Meine Herren, sagte der Fremde, ich habe Geschäfte. Ich kam hierher, um ein wenig auszurasten; ich habe geklatscht wie's der Landesgebrauch mit sich bringt, und wäre still und friedlich wieder meines Weges gegangen, wenn mich diese jungen Herren hier nicht auf die zudringlichste Art genöthigt hätten ihnen meine Meinung zu sagen."Sie haben auch vollkommenes Recht dazu, erwiederte der andre Rathsherr, der im Grunde kein großer Verehrer des Nomophylax war, und aus politischen Ursachen seit einiger Zeit auf Gelegenheit lauerte ihm mit guter Art weh zu thun. Sie sind ein Kenner der Musik, wie es scheint, und —"Ich spreche nach meiner Ueberzeugung, sagte der Fremde.Die Abderiten um ihn her wurden immer lauter.Endlich kam Herr Gryllus, der von fern gehört hatte daß die Rede von seiner Musik war, in eigner Person dazu. Er hatte eine ganz eigne Art die Augen zusammenzuziehen, die Nase zu rümpfen, die Achseln zu zucken, zu grinsen und zu meckern, wenn er jemand, mit dem er sich in einen Wortwechsel einließ, seine Verachtung zum Voraus zu empfinden geben wollte. — "So? sagte er, hat meine Composition nicht das Glück dem Herrn zu gefallen? — Er ist also ein Kenner? Hä, hä, hä! — versteht ohne Zweifel die Setzkunst? Ha?"Es ist der Nomophylax — sagte jemand dem Fremden ins Ohr — um ihn durch die Entdeckung des hohen Rangs des Mannes, von dessen Werke er so ungünstig geurtheilt hatte, auf einmal zu Boden zu schlagen.Der Fremde machte dem Nomophylax sein Compliment, wie's in Abdera Sitte war, und schwieg."Nun, ich möchte doch hören, was der Herr gegen die Composition vorzubringen hätte? Für die Fehler des Orchesters geb' ich kein gut Wort; aber hundert Drachmen für einen Fehler in der Composition! Hä, hä, hä! Nun! Lassen Sie hören!"Ich weiß nicht was Sie Fehler nennen, sagte der Fremde; meines Bedünkens hat die ganze Musik, wovon die Rede ist, nur Einen Fehler."Und der ist?" grins'te der Nomophylax naserümpfend —Daß der Sinn und Geist des Dichters durchaus verfehlt ist, antwortete der Fremde.So? Nichts weiter? Hä, hä, hä, hä! Ich hätte also den Dichter nicht verstanden? Und das wissen Sie? Denken Sie daß wir hier nicht auch Griechisch verstehen? Oder haben Sie dem Poeten etwa im Kopfe gesessen? hi, hi, hi!"Ich weiß was ich sage, versetzte der Fremde; und wenn's denn seyn muß, so erbiet' ich mich, von Vers zu Vers durchs ganze Stück mein Urtheil zu Olympia vor dem ganzen Griechenlande zu beweisen.Das möchte zu viel Umstände machen, sagte der politische Rathsherr."Es braucht's auch nicht, rief der Nomophylax. Morgen geht ein Schiff nach Athen; ich schreibe an den Euripides, an den Dichter selbst! schicke ihm die ganze Musik! Der Herr wird das Stück doch wohl nicht besser verstehen wollen als der Dichter selbst? — Sie alle hier unterschreiben sich als Zeugen. — Euripides soll selbst den Ausspruch thun!"Die Mühe können Sie sich ersparen, sagte der Fremde lächelnd; denn, um dem Handel mit Einem Wort ein Ende zu machen, der Euripides, an den Sie appeliren — bin ich selbst.Unter allen möglichen schlimmen Streichen, welche Euripides dem Nomophylax von Abdera hätte spielen können, war unstreitig der schlimmste, daß er — in dem Augenblicke, da man an ihn als an einen Abwesenden appellirte — in eigner Person da stand. Aber wer konnte sich auch einen solchen Streich vermuthen? Was, zum Anubis! hatte er in Abdera zu thun? Und gerade in dem Augenblicke, wo man lieber den Lernäischen Drachen gesehen hätte als ihn? Wär' er, wie man doch natürlicher Weise glauben müßte, zu Athen gewesen, wo er hin gehörte — nun so wäre alles seinen ordentlichen Weg gegangen. Der Nomophylax hätte seine Musik mit einem hübschen Briefe begleitet, und seinem Namen alle seine Titel und Würden beigefügt. Das hätte doch wirken müssen! Euripides hätte eine urbane Attische Antwort gegeben; Gryllus hätte sie in ganz Abdera lesen lassen: und wer hätte ihm dann den Sieg über den Fremden streitig machen wollen? — Aber daß der Fremde, der naseweise kritische Fremde, der ihm so frisch ins Gesicht gesagt hatte, was in Abdera niemand einem Nomophylax in Gesicht sagen durfte, Euripides selbst war: das war einer von den Zufällen, auf die ein Mann wie er sich nicht gefaßt gehalten hatte, und die vermögend wären, jeden andern als — einen Abderiten zu Schanden zu machen.Der Nomophylax wußte sich zu helfen; indessen betäubte ihn doch der erste Schlag auf einen Augenblick. Euripides! rief er und prallte drei Schritte zurück; und Euripides, riefen im nämlichen Augenblicke der politische Rathsherr, der kurze dicke Rathsherr, die beiden jungen Herren und alle Umstehenden, indem sie ganz erstaunt herumguckten, als ob sie sehen wollten, aus welcher Wolke Euripides so auf einmal mitten unter sie herabgefallen sey.Der Mensch ist nie ungeneigter zu glauben, als wenn er von einer Begebenheit überrascht wird, an die er gar nicht als eine mögliche Sache gedacht hatte. — Wie? Das sollte Euripides seyn? Der nämliche Euripides, von dem die Rede war? der die Andromeda gemacht? an den der Nomophylax zu schreiben drohte? — Wie konnte das zugehen?Der politische Rathsherr war der erste, der sich aus dem allgemeinen Erstaunen erholte. — Ein glücklicher Zufall, wahrhaftig, rief er, beim Kastor! ein glücklicher Zufall, Herr Nomophylax! So brauchen Sie Ihre Musik nicht abschreiben zu lassen, und ersparen einen Brief.Der Nomophylax fühlte die ganze Wichtigkeit des Moments: und wenn der ein großer Mann ist, der in einem solchen entscheidenden Augenblick auf der Stelle die einzige Partei ergreift, die ihn aus der Schwierigkeit ziehen kann, so muß man gestehen, daß Gryllus eine starke Anlage hatte, ein großer Mann zu seyn. — Euripides! rief er — Wie? Der Herr sollte so auf einmal Euripides geworden seyn? Hä, hä, hä! Der Einfall ist gut! Aber wir lassen uns hier in Abdera nicht so leicht Schwarz für Weiß geben. —Das wäre lustig, sagte der Fremde, wenn ich mir in Abdera das Recht an meinem Namen streitig machen lassen müßte."Verzeihen Sie, mein Herr, fiel der Sykophant des Thrasyllus ein, nicht das Recht an Ihren Namen, sondern das Recht, sich für den Euripides auszugeben, auf den der Nomophylax provocirte. Sie können Euripides heißen; ob Sie aber Euripides sind, das ist eine andre Frage."Meine Herren, sagte der Fremde, ich will alles seyn was Ihnen beliebt, wenn Sie mich nur gehen lassen wollen. Ich verspreche Ihnen, mit diesem Schritte gehe ich den geradesten Weg, den ich finden werde, zu Ihrem Thore hinaus, und der Nomophylax soll mich — componiren, wenn ich in meinem Leben wieder komme!Nä, nä, nä, rief der Nomophylax, das geht so hurtig nicht! Der Herr hat sich für den Euripides ausgegeben, und nun da er sieht daß es Ernst gilt, tritt er auf die Hinterbeine — Nä! so haben wir nicht gewettet! Er soll nun beweisen daß er Euripides ist, oder — so wahr ich Gryllus heiße —"Erhitzen Sie sich nicht, Herr College, sagte der politische Rathsherr. Ich bin zwar kein Physiognomist: aber der Fremde sieht mir doch völlig darnach aus daß er Euripides seyn könnte; und ich wollte maßgeblich rathen, piano zu gehen."Mich wundert, fing einer von den Umstehenden an, daß man hier so viel Worte verlieren mag, da der ganze Handel in Ja und Nein entschieden seyn könnte. Da, oben über dem Portal, steht ja die Büste des Euripides leibhaftig. Es braucht ja nichts weiter, als zu sehen, ob der Fremde der Büste gleich sieht."Bravo, bravo! schrie der kleine dicke Rathsherr; das ist doch ein Wort von einem gescheidten Manne! Ha, ha, ha! Die Büste! das ist gar keine Frage, die Büste muß den Ausspruch thun — wiewohl sie nicht reden kann, ha, ha, ha, ha, ha!"Die umstehenden Abderiten lachten alle aus vollem Halse über den witzigen Einfall des kurzen runden Männchens, und nun lief alles was Füße hatte dem Portale zu. Der Fremde ergab sich mit guter Art in sein Schicksal, ließ sich von vorn und hinten betrachten, und Stück für Stück mit seiner Büste vergleichen so lange sie wollten. Aber leider! die Vergleichung konnte unmöglich zu seinem Vortheil ausfallen; denn besagte Büste sah jedem andern Menschen oder Thier ähnlicher als ihm."Nun, schrie der Nomophylax triumphirend — was kann der Herr nun zu seinem Vorstand sagen?"Ich kann etwas sagen (versetzte der Fremde, den die Komödie nachgerade zu belustigen anfing), woran von Ihnen allen keiner zu denken scheint: wiewohl es eben so wahr ist, als daß Sie — Abderiten und ich Euripides bin."Sagen, sagen! grins'te der Nomophylax; man kann freilich viel sagen wenn der Tag lang ist, hä, hä, hä! — Und was kann der Herr sagen?"Ich sage, daß diese Büste dem Euripides ganz und gar nicht ähnlich sieht."Nein, mein Herr, rief der dicke Rathsherr, das müssen Sie nicht sagen! Die Büste ist eine schöne Büste; sie ist von weißem Marmor wie Sie sehen, Marmor von Paros, straf' mich Jupiter! und kostet uns hundert baare Dariken Species, das können Sie mir nachsagen! — Es ist ein schönes Stück von unserm Stadtbildhauer — Ein geschickter berühmter Mann! — nennt sich Moschion — werden von ihm gehört haben? — ein berühmter Mann! — Und, wie gesagt; alle Fremden, die noch zu uns gekommen sind, haben die Büste bewundert! Sie ist ächt, das können Sie mir nachsagen! Sie sehen ja selbst, es steht mit großen goldnen Buchstaben darunter ΕΥΙΠΙΔΗΣ."Meine Herren, sagte der Fremde, der alle seine angeborne Ernsthaftigkeit zusammennehmen mußte um nicht auszubersten: darf ich nur eine einzige Frage thun?"Von Herzen gern," riefen die Abderiten.Gesetzt, fuhr jener fort, es entstände zwischen mir und meiner Büste ein Streit darüber, wer mir am ähnlichsten sehe — wem wollen Sie glauben, der Büste oder mir?"Das ist eine curiose Frage," sagte der Abderiten einer sich hinter den Ohren kratzend. — "Eine captiose Frage, beim Jupiter! rief ein andrer: nehmen Sie sich in Acht, was Sie antworten, hochgeachtet Herr Rathsherr!"Ist der dicke Herr ein Rathsherr dieser berühmten Republik? — fragte der Fremde mit einer Verbeugung —so bitte ich sehr um Verzeihung! Ich gestehe, die Büste ist ein schönes glattes Werk, von schönem Parischem Marmor; und wenn sie mir nicht ähnlich sieht, so kommt es wohl bloß daher, weil Ihr berühmter Stadtbildhauer die Büste schöner gemacht hat als die Natur —mich. Es ist immer ein Beweis seines guten Willens, und der verdient alle meine Dankbarkeit.Dieses Compliment that eine große Wirkung; denn die Abderiten hatten's gar zu gern, wenn man fein höflich mit ihnen sprach. — Es muß doch wohl Euripides selber seyn, murmelte einer dem andern ins Ohr; und der dicke Rathsherr selbst bemerkte, bei nochmaliger Vergleichung der Büste mit dem Fremden, daß die Bärte einander vollkommen ähnlich waren.Zu gutem Glücke kam der Archon Onolaus und sein Neffe Onobulus dazu, der den Euripides zu Athen hundertmal gesehen und öfters gesprochen hatte. Die Freude des jungen Onobulus über eine so unverhoffte Zusammenkunft, und seine positive Bejahung, daß der Fremde wirklich der berühmte Euripides sey, hieb den Knoten auf einmal durch; die Abderiten versicherten nun einer den andern: sie hätten's ihm gleich beim ersten Blick angesehen.Der Nomophylax, wie er sah, daß Euripides gegen seine Büste Recht behielt, machte sich seitwärts davon. —Ein verdammter Streich! brummte er zwischen den Zähnen vor sich her: wozu brauchte er aber auch so hinterm Berge zu halten? Wenn er wußte daß er Euripides war, warum ließ er sich mir nicht präsentiren? Da hätte alles einen ganz andern Schwung genommen!Der Archon Onolaus, der in solchen Fällen gemeiniglich die Honneurs der Stadt Abdera zu machen pflegte, lud den Dichter mit großer Höflichkeit ein das Gastrecht bei ihm zu nehmen, und bat sich zugleich von dem politischen und dicken Rathsherrn die Ehre auf den Abend aus, welches beide mit vielem Vergnügen annahmen."Dacht' ich's nicht gleich? (sagte der dicke Rathsherr zu einem der Umstehenden) Der leibhafte Euripides! Bart, Nase, Stirn, Ohrenläppchen, Augenbrauen, alles auf ein Haar! Man kann nichts Gleichers sehen! Wo doch wohl der Nomophylax seine Sinne hatte? Aber, — ja, ja, er mochte wohl ein bischen zu tief — Hm! Sie verstehen mich? — Cantores amant humores — Ha, ha, ha, ha!" — Basta! Desto besser, daß wir den Euripides bei uns haben! Was ich sage, ein feiner Mann, beim Jupiter! und der uns viel Spaß machen soll! Ha, ha, ha!"
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Siebentes Kapitel.

Was den Euripides nach Abdera geführt hatte, nebst einigen Geheimnachrichten von dem Hofe zu Pella.

So möglich es an sich selbst war, daß sich Euripides zu Abdera befinden konnte, und eben so gut in dem Augenblicke, wo der Nomophylax Gryllus auf ihn provocirte als in jedem andern — und so gewohnt man dergleichen unvermutheter Erscheinungen auf dem Theater ist:: so begreifen wir doch wohl, daß es eine andre Bewandtniß hat, wenn sich eine solche Erscheinung im Parterre ereignet; und es ist solchenfalls der Majestät der Geschichte gemäß, den Leser zu verständigen, wie es damit zugegangen sey. Wir wollen alles was wir davon wissen getreulich berichten: und sollte dem scharfsinnigen Leser demungeachtet noch einiger Zweifel übrig bleiben, so müßte es nur die allgemeine Frage betreffen, die sich bei jeder Begebenheit unter und über dem Monde aufwerfen läßt; nämlich, warum zum Beispiel just von einer Mücke, und just von dieser individuellen Mücke, just in dieser Secunde —dieser zehnten Minute —dieser sechsten Nachmittagsstunde, dieses zehnten Augusts — dieses 1778sten Jahres gemeiner Zeitrechnung, just diese nämliche Frau oder Fräulein von *** nicht ins Gesicht, nicht in den Nacken, Ellnbogen, Busen, nicht auf die Hand, noch in die Ferse u. s. w., sondern gerade vier Daumen hoch über der linken Kniescheibe gestochen worden u. s. w. —und da bekennen wir ohne Scheu, daß wir auf dieses Warum nichts zu antworten wissen. — Fragt die Götter! könnten wir allenfalls mit einem großen Manne sagen: aber weil dieses offenbar eine heroische Antwort wäre, so halten wir's für anständiger, die Sache lediglich auf sich beruhen zu lassen.Also — was wir wissen. Der König Archelaus in Macedonien, ein großer Liebhaber der schönen Künste und der schönen Geister (wie man damals gewisse verzärtelte Kinder der Natur nicht nannte, und wie man heutiges Tages einen jeden nennt, von dem man nicht sagen kann was er ist)— dieser König Archelaus war auf den Einfall gekommen ein eignes Hofschauspiel zu haben; und vermöge einer Zusammenkettung von Umständen, Ursachen, Mitteln und Zwecken, woran niemanden mehr viel gelegen seyn kann, hatte er den Euripides unter sehr vortheilhaften Bedingungen vermocht, mit einer Gesellschaft ausgesuchter Schauspieler, Virtuosen, Baumeister, Maler und Maschinisten, kurz mit allem, was zu einem vollständigen Theaterwesen gehört, nach Pella an sein Hoflager zu kommen, und die Aufsicht über die neue Hofschaubühne zu übernehmen.Auf dieser Reise war jetzt Euripides mit seiner ganzen Gesellschaft begriffen; und wiewohl der Weg über Abdera weder der einzige noch der kürzeste war, so hatte er ihn doch genommen, weil er Lust hatte, eine wegen des Witzes ihrer Einwohner so berühmte Republik mit eignen Augen zu sehen. Wie es aber gekommen, daß er just an dem nämlichen Tage eingetroffen, da der Nomophylax seine Andromeda zum erstenmale gab, davon können wir, wie gesagt, keine Rechenschaft geben. Dergleichen Apropos tragen sich häufiger zu als man denkt: und es ist wenigstens kein größeres Mirakel, als daß, zum Beispiel, der junge Herr von **eben im Begriff war seine Beinkleider hinauszuziehen, als unvermuthet seine Nätherin ins Zimmer trat, die seidnen Strümpfe, die er ihr zu stopfen geschickt hatte, zu überbringen — welches, wie Sie wissen, die Veranlassung zu einer zufälligen Begebenheit war, die in seiner hohen Familie wenigstens eben so große Bewegungen verursachte, als die unvorbereitete Erscheinung des Euripides in dem Abderitischen Parterre. Wer sich über so was wundern kann, muß sich nicht viel auf die ΔΑΙΜΟΝΙΑ verstehen, wie eben dieser Euripides sagt.Uebrigens, wenn wir sagten, daß der König Archelaus ein großer Liebhaber der schönen Künste und schönen Geister gewesen sey, so muß das eben nicht so genau und im strengsten Sinne der Worte genommen werden: denn es ist eigentlich nur so eine Art zu reden, und dieser Herr war im Grunde nichts weniger als ein Liebhaber der schönen Künste und schönen Geister. Das Wahre davon war: daß besagter König Archelaus seit einiger Zeit öfters lange Weile hatte — weil ihn alle seine vormaligen Belustigungen, als da sind —F**, G**, H**, J**, K**, L**, M** u. s. w., nicht länger belustigen wollten. Ueberdem war er ein Herr von großer Ambition, der sich von seinem Oberkammerherrn hatte sagen lassen, daß es schlechterdings unter die Zuständigkeiten eines großen Fürsten gehöre, Künste und Wissenschaften in seinen Schutz zu nehmen. Denn, sagte der Oberkammerherr, Ihre Majestät werden bemerkt haben, daß man niemals eine Statue, oder ein Brustbild eines großen Herrn auf einer Medaille u. s. w. sieht, an dessen rechter Hand nicht eine Minerva stände, neben einem Trophäe von Panzern, Fahnen, Spießen und Morgensternen — zur Linken knien immer etliche geflügelte Jungen oder halbnackte Mädchen, mit Pinsel und Palet, Winkelmaß, Flöte, Leyer und einer Rolle Papier in den Händen, die Künste vorstellend, die sich dem großen Herrn gleichsam zur Protection empfehlen; oben darüber aber schwebt eine Fama mit der Trompete am Mund, anzudeuten, daß Könige und Fürsten sich durch den Schutz, den sie den Künsten angedeihen lassen, einen unsterblichen Ruhm erwerben u. s. w.Der König Archelaus hatte also die Künste in seinen Schutz genommen: und demzufolge wissen uns die Geschichtschreiber ein Langes und Breites davon zu erzählen, wie viel er gebaut habe, und wie viel er auf Malerei und Bildhauerei, auf schöne Tapeten und andere schöne Möbeln verwandt; und wie alles bis auf die Commodität, bei ihm habe Hetrurisch seyn müssen; und wie er berühmte Künstler, Virtuosen und schöne Geister an seinen Hof berufen habe u. s. w., welches alles (sagen sie) er um so mehr that, weil ihm daran gelegen war, das Andenken der Uebelthaten auszulöschen, durch die er sich den Weg zum Throne, zu dem er nicht geboren war, gebahnt hatte — wie Euer Edeln aus Ihrem Bayle mit Mehrerm ersehen können.Nach dieser kleinen Abschweifung kehren wir zu unserm Attischen Dichter zurück, den wir unter einem schimmernden Cirkel von Abderiten und Abderitinnen vom ersten Range, unter einem grünen Pavillon im Garten des Archon Onolaus antreffen werden.
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Achtes Kapitel.

Wie sich Euripides mit den Abderiten benimmt. Sie machen einen Anschlag auf ihn, wobei sich ihre politische Betriebsamkeit in einem starken Lichte zeigt, und der ihnen um so gewisser gelingen muß, weil alle Schwierigkeiten, die sie dabei sehen, bloß eingebildet sind.

Es ist oben schon bemerkt worden, daß Euripides schon lange, wiewohl unbekannter Weise, bei den Abderiten in großem Ansehen stand. Jetzt, sobald es erschollen war, daß er in Person zugegen sey, war die ganze Stadt in Bewegung. Man sprach von nichts als von Euripides. — "Haben Sie den Euripides schon gesehen? — Wie sieht er aus? — Hat er eine große Nase? Wie trägt er den Kopf? Was hat er für Augen? Er spricht wohl in lauter Versen? Ist er stolz?" — und hundert solche Fragen machte man einander schneller als es möglich war auf Eine zu antworten. Die Neugier, den Euripides zu sehen, zog noch außer denen, die der Archon hatte bitten lassen, verschiedene herbei die nicht geladen waren. Alles drängte sich um den guten glatzköpfigen Dichter her, um zu beaugenscheinigen ob er auch so aussehe, wie sie sich vorgestellt hatten daß er aussehen müsse. Verschiedne, insonderheit unter den Damen, schienen sich zu wundern, daß er am Ende doch gerade so aussah wie ein andrer Mensch. Andre bemerkten, daß er viel Feuer in den Augen habe; und die schöne Thryallis raunte ihrer Nachbarin ins Ohr, man seh' es ihm stark an daß er ein ausgemachter Weiberfeind sey. Sie machte diese Bemerkung mit einem Ausdruck von anticipirtem Vergnügen über den Triumph, den sie sich davon versprach, wenn ein so erklärter Feind ihres Geschlechts die Macht ihrer Reizungen würde bekennen müssen.Die Dummheit hat ihr Sublimes so gut als der Verstand, und wer darin bis zum Absurden gehen kann, hat das Erhabne in dieser Art erreicht, welches für gescheidte Leute immer eine Quelle von Vergnügen ist. Die Abderiten hatten das Glück im Besitz dieser Vollkommenheit zu seyn. Ihre Ungereimtheit machte einen Fremden anfangs wohl zuweilen ungeduldig; aber sobald man sah, daß sie so ganz aus Einem Stücke war, und (eben darum) so viel Zuversicht und Gutmüthigkeit in sich hatte: so versöhnte man sich gleich wieder mit ihnen, und belustigte sich oft besser an ihrer Albernheit als an andrer Leute Witz.Euripides war in seinem Leben nie bei so guter Laune gewesen, als bei diesem Abderitenschmause. Er antwortete mit der größten Gefälligkeit auf alle ihre Fragen, lachte über alle ihre platten Einfälle, ließ jeden so hoch gelten als er sich selbst würdigte, und erklärte sich sogar über ihr Theater und Musikwesen so billig, daß jedermann vollkommen mit ihm zufrieden war. — "Ein feiner Gast! raunte der politische Rathsherr der Dame Salabanda, die über ihm saß, ins Ohr; der tritt leise auf!" — "Und so höflich, so bescheiden, als ob er kein großer Kopf wäre!" erwiederte Salabanda. — "Der drolligste Mann von der Welt, beim Jupiter!" sagte der kurze dicke Rathsherr, beim Aufstehen von Tische; "ein recht kurzwelliger Mann! Hätt's ihm nicht zugetraut, mein Seel!" — Die Damen, die er schön gefunden hatte, waren dafür so höflich, und thaten, als ob sie ihn um zwanzig Jahre jünger fänden als er war, kurz, man war ganz von ihm bezaubert, und bedauerte nur, daß man die Ehre und das Vergnügen ihn in Abdera zu sehen, nicht länger haben sollte. Denn Euripides blieb dabei, daß er sich nicht aufhalten könne.Endlich nahm Frau Salabanda den politischen Rathsherrn und den jungen Onobulus auf die Seite. "Was meinen Sie, sagte sie, wenn wir ihn dahin bringen könnten, daß er uns seine Andromeda gäbe? Er hat seine eigne Truppe bei sich. Es sollen ganz außerordentliche Virtuosen seyn." — Onobulus fand den Einfall göttlich. — Ich hatte ihn eben selbst gehabt, sagte der politische Rathsherr, und war im Begriff es Ihnen vorzutragen. Aber es wird Schwierigkeiten absetzen. Der Nomophylax — "O, dafür lassen Sie mich sorgen, fiel Salabanda ein; ich will ihm schon warm machen!"Für meinen Oheim steh' ich, sagte Onobulus; und noch in dieser Nacht will ich unter unsern jungen Leuten eine Partei zusammentrommeln, die Lärms genug in der Stadt machen soll."Nur nicht zu hitzig, munkelte der politische Rathsherr mit dem Kopfe wackelnd; wir wollen uns nichts merken lassen! Erst das Terrain sondirt, und fein leise aufgetreten! Das ist was ich immer sage.""Aber, wir haben keine Zeit zu verlieren, Herr Froschpfleger! Euripides geht fort —"Wir wollen ihn schon aufhalten, erwiederte Salabanda; er soll morgen bei mir seyn! — Eine Gartenpartie, und alle unsre hübschen Leute dazu eingeladen — kassen Sie nur mich machen; es soll gewiß gehen.Frau Salabanda passirte in Abdera für eine gar weise Frau. Sie war stark in Politicis und hatte großen Einfluß auf den Archon Onolaus. Der Oberpriester war ihr Oheim, und fünf oder sechs Rathsherren, die sie in ihrer Freundschaft zählte, gaben selten eine andre Meinung im Rathe von sich, als die sie ihnen des Abends zuvor eingetrichtert hatte. Ueberdieß standen ihr die Liebhaber der schönen Thryallis, mit der sie im engsten Vertrauen lebte, gänzlich zu Gebote: nichts von ihren eignen zu sagen, deren sie immer einige hatte die auf Hoffnung dienten, und also so geschmeidig waren wie Handschuhe. Ihr Haus, das unter die besten in der Stadt gehörte, war der Ort, wo alle Geschäfte vorbereitet, alle Händel geschlichtet, und alle Wahlen ins Reine gebracht wurden: mit Einem Worte, Frau Salabanda machte in Abdera was sie wollte.Euripides, ohne die mindeste Absicht, Gebrauch von der Wichtigkeit dieser Frau zu machen, hatte sich diesen Abend so gut bei ihr insinuirt, als ob er zum wenigsten eine Froschpflegerstelle auf dem Korn gehabt hätte. Brachte sie ein politisches Weidsprüchlein als einen Gedanken vor, so fand er, daß es eine sehr scharfsinnige Bemerkung sey, citirte sie den Simonides oder Homer, so bewunderte er ihr Talent Verse zu declamiren. Sie hatte .ihn mit einigen Stellen seiner Werke aufgezogen, die ihn zu Athen in den bösen Ruf eines Weiberfeindes gesetzt; und er hatte, indem er sich gegen sie und die schöne Thryallis verbeugte, versichert, daß es sein Unglück sey nicht eher nach Abdera gekommen zu seyn. Kurz, er hatte sich so aufgeführt, daß Frau Salabanda bereit war einen Aufstand zu erregen, falls ihr mit dem politischen Rathsherrn eingefädeltes Project durch kein gelinderes Mittel hätte durchgesetzt werden können.Man säumte nicht, sich vor allen Dingen des Archons zu versichern, der gewöhnlich bald gewonnen war, wenn man ihm sagte, daß eine Sache der Republik Abdera zu großem Ruhm gereichen und dem Volke sehr angenehm seyn werde. Aber, weil er ein Herr war der seine Ruhe liebte, so erklärte er sich: er überlasse es ihnen, alles in die gehörigen Wege einzuleiten; er seines Orts möchte sich mit niemand deßwegen überwerfen, am wenigsten mit dem Nomophylax, der ein Grobian sey und unter dem Volk einen starken Anhang habe. — "Wegen des Volkes machen sich Eure Herrlichkeit keine Sorge, flüsterte ihm der Rathsherr zu; das will ich durch die dritte Hand schon stimmen lassen wie wir's nur wünschen können." — Und ich, sagte Salabanda, nehme die Rathsherren auf mich. — Wir wollen sehen, sprach der Archon, indem er zur Gesellschaft zurückkehrte.Sey'n Sie ruhig, sprach die Dame zum politischen Rathsherrn, indem sie ihn auf die Seite nahm: ich kenne den Archon. Wenn man ihn haben will, so muß man ihm nur des Abends von einer Sache sprechen, und wenn er Nein gesagt hat, des Morgens wieder kommen und, ohne den Mund zu verkrümmen, so reden als ob er Ja gesagt habe, und ihm dabei zeigen daß man des Erfolgs gewiß ist, so kann man sich auf ihn verlassen wie auf Gold. Es ist nicht das erstemal, daß ich ihn auf diese Art dran gekriegt habe."Sie sind eine schlaue Frau, versetzte der Herr Froschpfleger, indem er sie sachte auf den runden Arm klopfte. — Was Sie leise auftreten! — Aber man wird merken daß wir etwas vorhaben — und das könnte nachtheilig seyn. — Wir müssen piano gehn!"In diesem Augenblick trippelten ein paar Abderitinnen herbei, denen bald alle übrigen von der Gesellschaft folgten, um zu hören wovon die Rede sey. Der politische Rathsherr schlich sich weg."Nun, wie gefällt euch Euripides? sagte Frau Salabanda: nicht wahr, das ist ein Mann?"O ein scharmanter Mann! riefen die Abderitinnen.Nur Schade daß er so kahl ist — setzte eine hinzu; und daß ihm ein paar Zähne fehlen, sagte die andre.Närrchen, desto weniger kann er dich beißen, sagte die dritte: und weil dieß ein witziger Einfall war, so lachten sie alle herzlich darüber.Ist er schon verheirathet? fragte ein junges Ding, das so aussah, als ob es, wie ein Pilz, in einer einzigen Nacht aus dem Boden aufgeschossen wäre.Möchtest du ihn etwa haben? antwortete ein andres Fräulein spöttisch; ich denke, er hat schon Urenkel zu verheirathen.O die will ich dir überlassen, sagte jene schnippisch; und der Stich war desto wespenartiger, weil das besagte Fräulein, wiewohl sie so jung that als ein Mädchen von achtzehn, wenigstens ihre vollen fünfunddreißig auf dem Nacken trug."Kinder, unterbrach sie Frau Salabanda, von dem allen ist jetzt die Rede nicht. Es ist was ganz andres auf dem Tapete. Wie gefiel' es euch, wenn ich den fremden Herrn beredete etliche Tage hier zu bleiben, und uns mit der Truppe, die er bei sich hat, eine seiner Komödien zu geben?"O das ist herrlich! riefen die Abderitinnen alle vor Freuden aufhüpfend; o ja, wenn Sie das machen könnten!"Das will ich schon machen können, versetzte Salabanda; aber ihr müßt alle dazu helfen!O ja, o ja! schnatterten die Abderitinnen; und nun liefen sie in hellem Haufen auf den Euripides zu, und schrien alle auf einmal: o ja, Herr Euripides, Sie müssen uns eine Komödie spielen! Wir lassen Sie nicht gehen, bis Sie uns eine Komödie gespielt haben. Nicht wahr? Sie versprechen's uns?Der arme Mann, dem die Zumuthung auf den Hals kam wie ein Kübel Wassers auf den Kopf, trat ein paar Schritte zurück, und versicherte sie, es sey ihm nie in den Sinn gekommen in Abdera Komödie zu spielen, er müsse seine Reise beschleunigen, u. s. w. Aber das half alles nichts — O Sie müssen, schrien die Abderitinnen; wir lassen Ihnen keine Ruhe; Sie sind viel zu artig, als daß Sie uns was abschlagen sollten. Wir wollen Sie so schön bitten —"Im Ernst," sagte Frau Salabanda, "wir haben einen Anschlag auf Sie gemacht" — Und der nicht zu Wasser werden soll, fiel Onobulus ein, oder ich will nicht Onobulus heißen.Was gibt's? was gibt's? fragte der politische Rathsherr, der den Unwissenden machte, indem er langsam und mit unstetem Blick hinzuschlich; was haben Sie mit dem Herrn vor? — Der kurze dicke Rathsherr kam auch herbei gewatschelt. "Ich glaube gar, straf' mich! Sie wollen alle auf einmal sein Herz mit Arrest beschlagen, ha, ha, ha!" — schrie er und lachte, daß er sich die Seiten halten mußte. Man verständigte ihm, wovon die Rede sey. — "Ha, ha, ha, ha! ein schöner Gedanke! straf' mich Jupiter! da komm' ich gewiß auch, das versprech' ich Ihnen! Der Meister selbst! das muß der Mühe werth seyn! wird recht viel Ehre für Abdera seyn, Herr Euripides, große Ehre! haben uns glücklich zu schätzen, daß unsre Leute von so einem geschickten Mann profitiren sollen!" — Noch ein paar Herren von Bedeutung machten ihm ungefähr das nämliche Compliment.Euripides, wiewohl er den Einfall nicht so übel fand sich diese Lust mit den Abderiten zu machen, spielte noch immer den Erstaunten, und entschuldigte sich damit, daß er dem König Archelaus versprochen habe seine Reise zu beschleunigen."Ei, was! sagte Onobulus, Sie sind ein Republicaner, und eine Republik hat ein näheres Recht an Sie.""Sagen Sie dem Könige nur, schnarrte die schöne Myris, daß wir Sie so gar schön gebeten haben. Er soll ein galanter Herr seyn. Er wird Ihnen nicht übel nehmen, daß Sie sechs Frauenzimmern auf einmal nichts abschlagen konnten."O du, Tyrann der Götter und der Menschen, Amor! rief Euripides im Ton der Tragödie, indem er zugleich die schöne Thryallis ansah."Wenn das Ihr Ernst ist, sagte Thryallis, mit der Miene einer Person, die nicht gewohnt ist weder abzuweisen noch abgewiesen zu werden; wenn das Ihr Ernst ist, so beweisen Sie es dadurch daß Sie sich von mir erbitten lassen."Dieß "von mir" verdroß die andern Abderitinnen. Wir wollen nicht unbescheiden seyn, sagte eine, indem sie die Lippen einzog, und auf die Seite sah. — Man muß dem Herrn nichts zumuthen was ihm unmöglich ist, sagte eine andre.Um Ihnen Vergnügen zu machen, meine schönen Damen, sprach der Dichter, könnte mir das Unmögliche möglich werden.Weil dieß Unsinn war, so gefiel es allgemein. Onobulus war hurtig mit seiner Schreibtafel heraus, um sich den Gedanken aufzunotiren. Die Weiber und Mädchen warfen einen Blick auf Thryallis, als ob sie sagen wollten: ätsch! er hat uns auch schön geheißen! Madame braucht sich eben nicht so viel auf ihre Atalantenfigur einzubilden; er bleibt so gut um unsertwillen hier als um ihrentwillen.Salabanda machte endlich dem Handel ein Ende, indem sie sich bloß die Gefälligkeit ausbat, daß er ihr und ihren Freunden, die alle seine großen Verehrer seyen, nur noch den morgenden Tag schenken möchte. Weil Euripides im Grunde nicht zu eilen hatte und sich in Abdera sehr gut amusirte, so ließ er sich nicht lange bitten, eine Einladung anzunehmen, die ihm hübsche Beiträge zu — Possenspielen für den Hof zu Pella versprach. Und so ging denn die Gesellschaft, auf die Ehre sich morgen bei Frau Salabanda wieder zu sehen, gegen Mitternacht in allerseitigem Vergnügen auseinander.
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Neuntes Kapitel.

Euripides besieht die Stadt, wird mit dem Priester Strobylus bekannt, und vernimmt von ihm die Geschichte der Latonenfrösche. Merkwürdiges Gespräch, welches bei dieser Gelegenheit zwischen Demokrit, dem Priester und dem Dichter vorfällt.

Inzwischen führte Onobulus, in Begleitung etlicher junger Herren seines Schlages, seinen Gast in der Stadt herum, um ihm alles was darin sehenswürdig wäre zu zeigen. Unterwegs begegnete ihnen Demokrit, mit welchem Euripides schon von langem her bekannt war. Sie gingen also mit einander; und da die Stadt Abdera ziemlich weitläufig war, so hatten die beiden Alten Gelegenheit genug, von den jungen Herren zu profitiren, die immer den Mund offen hatten, über alles entschieden, alles wußten, und sich gar nicht zu Sinne kommen ließen, daß es ihresgleichen in Gegenwart von Männern anständiger sey zu hören als sich hören zu lassen.Euripides hatte also diesen Morgen genug zu hören und zu sehen. Die jungen Abderiten, die nie weiter als bis an die äußersten Schlagbäume ihrer Vaterstadt gekommen waren, sprachen von allem, was sie ihm zeigten, als von Wundern die gar nicht ihresgleichen in der Welt hätten. Onobulus hingegen, der die große Reise gemacht hatte, verglich alles mit dem, was er in eben dieser Art zu Athen, Korinth und Syrakus gesehen, und brachte in einem albernen Tone von Entschuldigung eine Menge lächerlicher Ursachen hervor, warum diese Dinge in Athen, Korinth und Syrakus schöner und prächtiger wären als in Abdera.Junger Herr, sagte Demokrit, es ist hübsch daß Sie Ihre Vater- und Mutterstadt in Ehren halten; aber wenn Sie uns einen Beweis davon geben wollen, so lassen Sie Athen, Korinth und Syrakus aus dem Spiele. Nehmen wir jedes Ding wie es ist, und keine Vergleichung, so braucht's auch keine Entschuldigung.Euripides fand alles, was man ihm zeigte, sehr merkwürdig; und das war es auch. Denn man zeigte ihm eine Bibliothek, worin viele unnütze und ungelesene Bücher, ein Münzcabinet, worin viel abgegriffene Münzen, ein reiches Spital, worin viel übelverpflegte Arme, ein Arsenal, worin wenig Waffen, und einen Brunnen, worin noch weniger Wasser war. Man zeigte ihm auch das Rathhaus, wo die gute Stadt Abdera so wohl berathen wurde, den Tempel des Jasons, und ein vergoldetes Widderfell, welches sie, wiewohl wenig Gold mehr daran zu sehen war, für das berühmte goldne Vließ ausgaben. Sie nahmen auch den alten rauchigen Tempel der Latona in Augenschein, und das Grabmal des Abderus, der die Stadt zuerst erbauet haben sollte, und die Galerie, wo alle Archonten von Abdera in Lebensgröße gemalt standen, und einander alle so ähnlich sahen, als ob der folgende immer die Copie von dem vorübergehenden gewesen wäre. Endlich, da sie alles gesehen hatten, führte man sie auch an den geheiligten Teich, worin auf Unkosten gemeiner Stadt die größten und fettesten Frösche gefüttert wurden die man je gesetzen hat, und die, wie der Oberpriester Strobylus sehr ernsthaft versicherte, in gerader Linie von den Lyrischen Bauern abstammten, die der umherirrenden, nirgends Ruhe findenden und vor Durst verschmachtenden Latona nicht gestatten wollten aus einem Teiche, der ihnen zugehörte, zu trinken, und dafür von Jupiter zur Strafe ihrer Ungeschlachtheit in Frösche verwandelt wurden.O Herr Oberpriester, sagte Demokrit, erzählen Sie doch dem fremden Herrn die Geschichte dieser Frösche, und wie es zugegangen, daß der geheiligte Teich aus Lucien über das Ionische Meer herüber bis nach Abdera versetzt worden ist, welches, wie Sie wissen, eine ziemliche Strecke Wegs über Länder und Meere ausmacht, und (wenn man so sagen darf) beinahe ein noch größeres Wunder ist, als die Froschwerdung der Lycischen Bauern selbst.Strobylus sah Demokriten und dem Fremden mit einem bedenklichen Blick unter die Augen. Weil er aber nichts darin sehen konnte, das ihn berechtigt hätte sie für Spötter zu erklären, welche nicht verdienten zu so ehrwürdigen Mysterien zugelassen zu werden: so bat er sie, sich unter einen großen wilden Feigenbaum zu setzen, der eine Seite des kleinen Latonentempels beschattete, und erzählte ihnen hierauf mit eben der Treuherzigkeit, womit man die alltäglichste Begebenheit erzählen kann, alles was er von der Sache zu wissen glaubte."Die Geschichte des Latonendienstes in Abdera, sagte er, verliert sich im Nebel des grauesten Alterthums. Unsre Vorfahren, die Tejer, die sich vor ungefähr hundertundvierzig Jahren von Abdera Meister machten, fanden ihn bereits seit undenklichen Zeiten eingeführt; und dieser Tempel hier ist vielleicht einer der ältesten in der Welt, wie Sie schon aus seiner Bauart und andern Zeichen eines hohen Alterthums schließen können. Es ist, wie Sie wissen, nicht erlaubt, mit strafbarem Vorwitz den heiligen Schleier aufzuheben, den die Zeit um den Ursprung der Götter und ihres Dienstes geworfen hat. Alles verliert sich in Zeiten, wo die Kunst zu schreiben noch nicht erfunden war. Allein die mündliche Ueberlieferung, die von Vater zu Sohn durch so viele Jahrhunderte fortgepflanzt wurde, ersetzt den Abgang schriftlicher Urkunden mehr als hinlänglich, und macht, so zu sagen, eine lebendige Urkunde aus, die dem todten Buchstaben billig noch vorzuziehen ist. Diese Tradition sagt: als die vorerwähnte Verwandlung der Lycischen Bauern vorgegangen, hätten die benachbarten Einwohner und einige von den besagten Bauern selbst, welche an dem Frevel der übrigen keinen Theil genommen, als Zeugen des vorgegangenen Wunders, Latonen mit ihren noch an der Brust liegenden Zwillingen, Apollo und Diana, für Gottheiten erkannt, ihnen an dem Teiche, wo die Verwandlung geschehen, einen Altar errichtet, auch die Gegend und das Gebüsche, das den Teich umgab, zu einem Hain geheiligt. Das Land hieß damals noch Milia, und die in Frösche verwandelten Bauern waren also, eigentlich zu reden, Milier; als aber lange Zeit hernach Lycus, Pandions des Zweiten Sohn, sich mit einer Attischen Colonie des Landes bemächtigte, bekam es von ihm den Namen Lycia, und der ältere Name verlor sich gänzlich. Bei dieser Gelegenheit verließen die Einwohner der Gegend, wo der Altar und Hain der Latona stand, weil sie sich der Herrschaft des besagten Lycus nicht unterwerfen wollten, ihr Vaterland, setzten sich zu Schiffe, irrten eine Zeit lang auf dem Aegeischen Meere herum, und ließen sich endlich zu Abdera nieder, welches kurz zuvor durch die Pest beinahe gänzlich entvölkert worden war. Bei ihrem Abzuge schmerzte sie, wie die Tradition sagt, nichts so sehr, als daß sie den geheiligten Hain und Teich der Latona zurücklassen mußten. Sie sannen hin und her, und fanden endlich, das Beste wäre, einige junge Bäume aus dem besagten Haine mit Wurzeln und Erde, und eine Anzahl von Fröschen aus dem besagten Teich in einer Tonne voll geheiligten Wassers mitzunehmen. Sobald sie zu Abdera anlangten, war ihre erste Sorge einen neuen Teich zu graben, welches eben dieser ist den Sie hier vor sich sehen."Sie leiteten einen Arm des Flusses Nestus in denselben, und besetzten ihn mit den Abkömmlingen der in Frösche verwandelten Lycier oder Milier, die sie in dem geweihten Wasser mit sich gebracht hatten. Um den neuen Teich her, dem sie sorgfältig die völlige Gestalt und Größe des alten gaben, pflanzten sie die mitgebrachten heiligen Bäume, weiheten sie aufs neue der Latona zum Hain, bauten ihr diesen Tempel, und verordneten einen Priester, der den Dienst desselben versehen, und des Hains und Teiches warten sollte, welche sich auf diese Weise, ohne ein so großes Wunder als Herr Demokrit für nöthig hielt, aus Lycien nach Abdera versetzt fanden. Dieser Tempel, Hain und Teich erhielt sich, vermöge der Ehrfurcht welche sogar die benachbarten wilden Thracier für denselben hegten, durch alle Veränderungen und Unfälle, denen Abdera in der Folge unterworfen war, bis die Stadt endlich von den Tejern, unsern Vorfahren, zu den Zeiten des großen Cyrus wiederhergestellt, und (wie man ohne Ruhmredigkeit sagen kann) zu einem Glanz erhoben wurde, daß sie keine Ursache hat irgend eine andre in der Welt zu beneiden.Sie reden wie ein wahrer Patriot, Herr Oberpriester, sagte Euripides. Aber wenn es erlaubt wäre, eine bescheidene Frage zu thun —"Fragen Sie was Sie wollen, fiel ihm Strobylus ein; ich werde Gott Lob! nie verlegen seyn Antwort zu geben."Mit Euer Ehrwürden Erlaubniß also, fuhr Euripides fort; die ganze Welt kennt die edle Denkart und die Liebe zur Pracht und zu den schönen Künsten, die den Tejischen Abderiten eigen ist, und wovon ihre Stadt überall die merkwürdigsten Beweise darstellt. Wie kommt es also, da zumal die Tejer schon von alten Zeiten her im Ruf einer besondern Ehrfurcht für Latonen stehen, daß die Abderiten nicht auf den Gedanken gekommen sind, ihr einen ansehnlichen Tempel aufzubauen?"Ich vermuthete mir diesen Einwurf," sagte Strobylus mit einem Lächeln, wobei er die Augenbrauen in die Höhe zog und mächtig weise aussehen wollte.Es soll kein Einwurf seyn, versetzte Euripides, sondern eine bescheidene Frage."Ich will sie Ihnen beantworten, sagte der Priester. Ohne Zweifel wäre es der Republik leicht gewesen, der Latona als einer Göttin vom ersten Rang einen so prächtigen Tempel aufzubauen, wie sie dem Jason, der doch nur ein Heros ist, gebaut hat. Aber sie hat mit Recht geglaubt, daß es der Ehrfurcht, die wir der Mutter des Apollo und der Diana schuldig sind, gemäßer sey, ihren uralten Tempel zu lassen wie sie ihn gefunden; und er ist und bleibt demungeachtet der oberste und heiligste Tempel von Abdera, was auch immer der Priester Jasons dagegen einwenden mag."Strobylus sagte dieses letzte mit einem Eifer und einem Crescendo il Forte, daß Demokrit für nöthig fand ihn zu versichern, daß dieß wenigstens bei allen Gesunddenkenden eine ausgemachte Sache sey."Indessen, fuhr der Oberpriester fort, hat die Republik gleichwohl solche Beweise ihrer besondern Devotion für den Tempel der Latona und dessen Zubehörden gegeben, daß gegen die Lauterkeit ihrer Absichten nicht der geringste Zweifel übrig seyn kann. Sie hat zu Versehung des Dienstes nicht nur ein Collegium von sechs Priestern, deren Vorsteher zu seyn ich unwürdiger Weise die Ehre habe, sondern auch aus dem Mittel des Senats drei Pfleger des heiligen Teichs angeordnet, von welchen der erste allezeit eines von den Häuptern der Stadt ist. Ja, sie hat, aus Beweggründen deren Richtigkeit streitig zu machen nicht länger erlaubt ist, die Unverletzlichkeit der Frösche des Latonenteichs auf alle Thiere dieser Gattung in ihrem ganzen Gebiet ausgedehnt, und zu diesem Ende das ganze Geschlecht der Störche, Kraniche und aller andern Froschfeinde aus ihren Gränzen verbannt."Wenn die Versicherung, daß es nicht länger erlaubt ist an der Richtigkeit dieses Verfahrens zu zweifeln, mir nicht die Zunge bände, sagte Demokrit, so würde ich mir die Freiheit nehmen zu erinnern, daß selbiges mehr in einer zwar an sich selbst löblichen, aber doch aufs äußerste getriebenen Deisidämonie, als in der Natur der Sache, oder der Ehrfurcht, die wir der Latona schuldig sind, gegründet zu seyn scheint. Denn in der That ist nichts gewisser, als daß die Frösche zu Abdera und in der Gegend umher, die den Einwohnern bereits sehr beschwerlich sind, mit der Zeit sich unter einem solchen Schutze so überschwänglich vermehren werden, daß ich nicht begreife, wie unsre Nachkommen sich mit ihnen werden vergleichen können. Ich rede hier bloß menschlicher Weise, und unterwerfe meine Meinung dem Urtheil der Obern, wie einem rechtgesinnten Abderiten zukommt.Daran thun Sie wohl, sagte Strobylus, es mag nun Ihr Ernst seyn oder nicht; und Sie würden, nehmen Sie mir's nicht übel, noch besser thun, wenn Sie dergleichen Meinungen gar nicht laut werden ließen. Uebrigens kann nichts lächerlicher seyn als sich vor Fröschen zu fürchten; und unter dem Schutz der Latona können wir, denke ich, gefährlichere Feinde verachten, als diese guten unschuldigen Thierchen jemals seyn könnten, wenn sie auch unsre Feinde würden.Das sollt' ich auch denken, sagte Euripides. Mich wundert, wie einem so großen Naturforscher als Demokrit unbekannt seyn kann, daß die Frösche, die sich von Insecten und kleinen Schnecken nähren, dem Menschen vielmehr nützlich als schädlich sind.Der Priester Strobylus nahm diese Anmerkung so wohl auf, daß er von diesem Augenblick an ein hoher Gönner und Beförderer unsers Dichters wurde. Die Herren hatten sich kaum von ihm beurlaubt, so ging er in einige der besten Häuser, und versicherte, Euripides sey ein Mann von großen Verdiensten. Ich habe sehr wohl bemerkt, sagte er, daß er mit Demokriten nicht zum Besten steht; er gab ihm ein- oder zweimal tüchtig auf die Kolbe. Er ist wirklich ein hübscher verständiger Mann — für einen Poeten.
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Zehntes Kapitel.

Der Senat zu Abdera gibt dem Euripides, ohne daß er darum angesucht Erlaubnis, eines seiner Stücke auf dem Abderitschen Theater auszuführen. Kunstgriff, wodurch sich die Abderitische Kanzlei in solchen Fällen zu helfen pflegte. Schlaues Betragen des Nomophylax. Merkwürdige Art der Abderiten, einem, der ihnen im Wege stand, allen Vorschub zu thun.

Nachdem Euripides die Wahrzeichen von Abdera sämmtlich in Augenschein genommen hatte, führte man ihn nach dem Garten der Salabanda, wo er den Rathsherrn ihren Gemahl (einen Mann, der bloß wegen seiner Gemahlin bemerkt wurde), und eine große Gesellschaft von Abderitischem Beau-Monde fand, alle sehr begierig zu sehen, wie man es machte, um Euripides zu seyn.Euripides sah nur Ein Mittel sich mit Ehren aus der Sache zu ziehen; und das war — in so guter Abderitischer Gesellschaft nicht Euripides — sondern so sehr Abderit zu seyn als ihm nur immer möglich war. Die wackern Leute wunderten sich, ihn so gleichartig mit ihnen selbst zu finden. Es ist ein scharmanter Mann, sagten sie; man dächte, er wäre sein Leben lang in Abdera gewesen.Die Cabale der Dame Salabanda ging inzwischen tapfer ihren Gang, und des folgenden Morgens war schon die ganze Stadt des Gerüchtes voll, der fremde Dichter würde mit seinen Leuten eine Komödie aufführen, wie man in Abdera noch keine gesehen habe.Es war ein Rathstag. Die Herren versammelten sich, und einer fragte den andern, wann Euripides sein Stück geben würde? Keiner wollte was davon wissen, wiewohl jeder positiv versicherte, daß bereits die Zurüstungen dazu gemacht würden.Als der Archon die Sache in Vortrag brachte, formalisirten sich die Freunde des Nomophylax nicht wenig darüber. "Wozu," sagten sie, "braucht's uns noch zu fragen, ob wir erlauben wollen was schon beschlossen ist, und wovon jedermann als von einer ausgemachten Sache spricht?"Einer der hitzigsten behauptete, daß der Senat eben deßwegen Nein dazu sagen, und dadurch zeigen sollte daß er Meister sey."Das wäre mir ein sauberes Participium, rief der Zunftmeister Pfriem; weil die ganze Stadt für die Sache bordirt ist, und die fremden Komödianten zu hören wünscht, so soll der Senat Nein dazu sagen? Ich behaupte gerade das Gegentheil. Eben weil das Volk sie zu hören wünscht, so sollen sie aufspielen! Fox Populus, Fox Deus! Das ist immer mein Simplum gewesen, und soll es bleiben, so lange ich Zunftmeister Pfriem heißen werde!"Die meisten traten auf des Zunftmeisters Seite. Der politische Rathsherr zuckte die Achseln, sprach dafür und dawider, und beschloß endlich: wenn der Nomophylax nichts dabei zu erinnern hätte, so glaubte er, man könnte für dießmal connivendo geschehen lassen, daß die Fremden auf dem Stadttheater spielten.Der Nomophylax hatte bisher bloß die Nase gerümpft, gegrins't, seinen Knebelbart gestrichen, und einige abgebrochene Worte mit unvermischtem Hä, hä, hä, gemeckert. Er mochte nicht gern dafür angesehen werden, als ob ihm daran gelegen sey die Sache zu hintertreiben. Allein, je mehr er's verbergen wollte, desto stärker fiel's in die Augen. Er schwoll zusehend's auf, wie ein Truthahn dem man ein rothes Tuch vorhält; und endlich, da er entweder bersten oder reden mußte, sagte er: "Die Herren mögen nun glauben was sie wollen — aber ich bin wirklich der erste, der das neue Stück zu hören wünscht. Ohne Zweifel hat der Poet den Text und die Musik selbst gemacht, und da muß es ja wohl ein ganzes Wunderding seyn. Indessen, weil er sich nicht aufhalten kann, wie man sagt, so seh' ich nicht, wie man mit den Decorationen wird fertig werden können. Und wenn wir zu den Chören unsre Leute hergeben sollen, wie zu vermuthen ist, so bedaur' ich, daß ich sagen muß, vor vierzehn Tagen wird nicht daran zu denken seyn."Dafür lassen wir den Euripides sorgen, sagte einer von den Vätern, aus deren Sprachröhren die Stimme der Dame Salabanda sprach: man wird ihm ohnehin ehrenhalber die ganze Direction seines Schauspiels überlassen müssen. — Den Rechten eines zeitigen Nomophylax und der Theatercommission in alle Wege unpräjudicirlich, setzte der Archon hinzu."Ich bin alles zufrieden," sagte Gryllus; "die Herren wollen was Neues — Gut! Gut! wünsche daß es wohl bekomme! Bin selbst begierig das Ding zu hören, wie gesagt. Es kommt freilich alles bloß darauf an, ob man Glauben an die Leute hat — verstehen Sie mich? — Indessen wird Recht Recht, und Musik Musik bleiben; und ich wette was die Herren wollen, die Terzen und Quinten und Octaven der Herren Athener werden gerade so klingen wie die unsrigen, hä, hä, hä, hä!"Es ging also mit einem großen Mehr durch: "daß den fremden Komödianten, ein-für allemal, und ohne daß dieser Fall zu einiger Consequenz sollte gezogen werden können, erlaubt seyn sollte, eine Tragödie auf der National-Schaubühne aufzuführen, und daß ihnen hierzu von Seiten der Theaterdeputation aller Vorschub gethan, und die Kosten von der Casse bestritten werden sollten." — Allein, weil der Ausdruck "erlaubt seyn sollte" dem Euripides, der nichts verlangt hatte, sondern sich bloß erbitten lassen, hätte anstößig seyn können: so veranstaltete Frau Salabanda, daß der Rathsschreiber (der ihr besonderer Freund und Diener war) im Bescheid die Worte "erlaubt seyn sollte" in "ersucht werden sollte," und die fremden Komödianten in den berühmten Euripides verwandelte — Alles übrigens dem Rathschluß und der Kanzlei unpräjudicirlich und citra consequentiam.So wie der Senat auseinanderging, begab sich der Nomophylax zum Euripides, überschüttete ihn mit Complimenten, bot ihm seine Dienste an, und versicherte ihn, daß ihm aller möglicher Vorschub gethan werden sollte um sein Stück recht bald aufführen zu können. Die Wirkung dieser Versicherung war, daß ihm, ohne daß jemand Schuld daran haben wollte, alle möglichen Hindernisse in den Weg gelegt wurden, und daß es immer an allem fehlte was er nöthig hatte. Beschwerte er sich, so wies ihn immer einer an den andern, und jeder betheuerte seine Unschuld und seinen guten Willen, indem er ganz deutlich zu verstehen gab, daß der Fehler bloß an diesem oder jenem liege, der eine Viertelstunde zuvor seinen guten Willen eben so stark betheuert hatte.Euripides fand die Abderitische Art, allen möglichen Vorschub zu thun, so beschwerlich, daß er sich nicht entbrechen konnte, der Dame Salabanda am Morgen des dritten Tages zu erklären: seine Meinung sey, sich mit dem ersten Winde, woher er auch blasen möchte, wieder einzuschiffen, wofern sie nicht einen Rathsschluß auswirkte, der den Herren von der Commission anbeföhle ihm keinen Vorschub zu thun. Da der Archon, wiewohl eigentlich alle executive Gewalt von ihm abhing, kein Mann von Execution war, so war das einzige Mittel in dieser Noth, den Zunftmeister Pfriem und den Priester Strobylus, welche sehr viel beim Volke vermochten, in Bewegung zu setzen. Salabanda übernahm beides mit so guter Wirkung, daß binnen Tag und Nacht alles, was von Seiten der Theatercommission besorgt werden mußte, fertig und bereit war; welches um so leichter geschehen konnte, da Euripides seine eignen Decorationen bei sich hatte, und also beinahe nichts weiter zu thun war, als sie dem Abderitischen Theater anzupassen.
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Eilftes Kapitel.

Die Andromeda des Euripides wird endlich trotz aller Hindernisse von seinen eignen Schauspielern aufgeführt. Ausserordentliche Empfindsamkeit der Abderiten, mit einer Digression, welche unter die lehrreichsten in diesem ganzen Werke gehört, und folglich von gar keinem Nutzen seyn wird.

Die Abderiten hatten ein neues Stück erwartet, und waren daher übel zufrieden, da sie hörten, daß es eben die Andromeda war, die sie vor wenig Tagen schon gesehen zu haben glaubten. Noch weniger wollten ihnen anfangs die fremden Schauspieler einleuchten, deren Ton und Action so natürlich war, daß die guten Leute — gewohnt ihre Helden und Heldinnen wie Besessene herumfahren zu sehen, und schreien zu hören wie der verwundete Mars in der Iliade — gar nicht wußten was sie daraus machen sollten. Das ist eine wunderliche Art zu agiren, flüsterten sie einander zu; man merkt gar nicht daß man in der Komödie ist; es klingt ja ordentlich als ob die Leute ihre eignen Rollen spielten. Indessen bezeugten sie doch ihr Erstaunen über die Decorationen, die zu Athen von einem berühmten Meister in der Theaterperspectiv gemalt waren; und da die meisten in ihrem Leben nichts Gutes in dieser Art gesehen hatten, so glaubten sie bezaubert zu seyn, wie sie das Ufer des Meers, den Felsen wo Andromeda angefesselt war, und den Hain der Nereiden an einer kleinen Bucht auf der einen Seite, und den Palast des Königs Cepheus in der Ferne auf der andern, so natürlich vor sich sahen, daß sie geschworen hätten, es sey alles wirklich und wahrhaftig so wie es sich darstellte. Da nun überdieß die Musik vollkommen nach dem Sinne des Dichters, und also das alles war, was die Musik des Nomophylax Gryllus — nicht war; da sie immer gerade aufs Herz wirkte, und ungeachtet der größten Einfalt und Singbarkeit doch immer neu und überraschend war: so brachte alles dieß, mit der Lebhaftigkeit und Wahrheit der Declamation und Pantomime und mit der Schönheit der Stimmen und des Vortrags vereinigt, einen Grad von Täuschung bei den guten Abderiten hervor, wie sie noch in keinem Schauspiel erfahren hatten. Sie vergaßen gänzlich, dass sie in ihrem Nationaltheater saßen, glaubten unvermerkt mitten in der wirklichen Scene der Handlung zu seyn, nahmen Antheil an dem Glück und Unglück der handelnden Personen, als ob es ihre nächsten Blutsfreunde gewesen wären, betrübten und ängstigten sich, hofften und fürchteten, liebten und haßten, weinten und lachten, wie es dem Zauberer, unter dessen Gewalt sie waren, gefiel; — kurz, Andromeda wirkte so außerordentlich auf sie, daß Euripides selbst gestand, noch niemals des Schauspiels einer so vollkommnen Empfindsamkeit genossen zu haben.Wir bitten — in Parenthesi —die empfindsamen Frauenzimmerchen und Jüngelchen unserer vor lauter Empfindsamkeit höchst unempfindsamen Zeit sehr um Verzeihung! Aber es war in der That unsre Meinung nicht, durch diesen Zug der außerordentlichen Empfindsamkeit der Abderiten — Ihnen einen Stich zu geben — und gleichsam dadurch einigen Zweifel gegen ihren guten Verstand bei ihnen selbst oder bei andern Leuten zu erwecken. — In ganzem Ernst, wir erzählen die Sache bloß wie sie sich zutrug; und wem eine so große Empfindsamkeit an Abderiten befremdlich vorkommt, den ersuchen wir höflichst — zu bedenken, daß sie, bei aller ihrer Abderitheit, am Ende doch Menschen waren wie andere; ja, in gewissem Sinne, nur desto mehr Menschen — je mehr Abderiten sie waren. Denn gerade ihre Abderitheit machte, daß es eben so leicht war sie zu betrügen, als die Vögel, die in die gemalten Trauben des Zeuxis hinein pickten; indem sie sich jedem Eindruck, besonders den Täuschungen der Kunst, viel ungewahrsamer und treuherziger überließen, als feinere und kältere, folglich auch gescheidtere Leute zu thun pflegen, welche man so leicht nicht verhindern kann, durch den Zauberdunst, den man um sie her macht, durchzusehen.Uebrigens macht der Verfasser dieser Geschichte hier die Anmerkung: "die große Disposition der Abderiten, sich von den Künsten der Einbildungskraft und der Nachahmung täuschen zu lassen, sey eben nicht das, was er am wenigsten an ihnen liebe." Er mag aber wohl dazu seine besondern Ursachen gehabt haben.In der That haben Dichter, Tonkünstler, Maler, einem aufgeklärten und verfeinerten Publicum gegenüber, schlimmes Spiel; und gerade die eingebildeten Kenner, die unter einem solchen Publicum immer den größten Haufen ausmachen, sind am schwersten zu befriedigen. Anstatt der Einwirkung still zu halten, thut man alles was man kann um sie zu verhindern. Anstatt zu genießen was da ist, raisonnirt man darüber was da seyn könnte. Anstatt sich zur Illusion zu bequemen, wo die Vernichtung des Zaubers zu nichts dienen kann als uns eines Vergnügens zu berauben, setzt man ich weiß nicht welche kindische Ehre darein, den Philosophen zur Unzeit zu machen; zwingt sich zu lachen, wo Leute, die sich ihrem natürlichen Gefühl überlassen, Thränen im Auge haben, und, wo diese lachen, die Nase zu rümpfen, um sich das Ansehen zu geben als ob man zu stark oder zu fein oder zu gelehrt sey, um sich von so was aus seinem Gleichgewicht setzen zu lassen.Aber auch die wirklichen Kenner verkümmern sich selbst den Genuß, den sie von tausend Dingen, die in ihrer Art gut sind, haben könnten, durch Vergleichungen derselben mit Dingen anderer Art; Vergleichungen, die meistens ungerecht und immer wider unsern eignen Vortheil sind. Denn das was unsre Eitelkeit dabei gewinnt, ein Vergnügen zu verachten, ist doch immer nur ein Schatten, nach welchem wir schnappen indem uns das Wirkliche entgeht.Wir finden daher, daß es allezeit unter noch rohen Menschen war, wo die Söhne des Musengottes jene großen Wunder thaten, wovon man noch immer spricht ohne recht zu wissen was man sagt. Die Wälder in Thracien tanzten zur Leyer des Orpheus, und die wilden Thiere schmiegten sich zu seinen Füßen, nicht weil er — ein Halbgott war, sondern weil die Thracier — Bären waren, nicht, weil er übermenschlich sang, sondern weil seine Zuhörer wie bloße Naturmenschen hörten; kurz, aus eben dem Grunde, warum (nach Forsters Bericht) eine Schottische Sackpfeife die guten Seelen von Tabiti in Entzücken setzte.Die Anwendung dieser nicht sehr neuen, aber sehr praktischen Bemerkung, die man so oft gehört hat und doch fast immer aus der Acht läßt, wird der geneigte Leser selbst machen; wenn's ihm beliebt. Unser eignes Gewissen mag uns sagen, ob und in wie fern wir in andern Dingen mehr oder weniger Thracier und Abderiten sind: aber wenn wir's in diesem einzigen Punkte wären, so möcht' es nur desto besser für uns — und freilich auch für den größten Theil unsrer poetischen Sackpfeifer seyn.
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Zwölftes Kapitel.

Wie ganz Abdera vor Bewunderung und Entzücken über die Andromeda des Euripides zu Narren wurde. Philosophisch-kritischer Versuch über diese seltsame Art von Phrenesie, welche bei den Alten insgemein die Abderitische Krankheit genannt wird, — den Geschichtschreibern ergebenst zugeeignet.

Als der Vorhang gefallen war, sahen die Abderiten noch immer mit offnem Aug' und Munde nach dem Schauplatze hin; und so groß war ihre Verzückung, daß sie nicht nur ihrer gewöhnlichen Frage: wie hat Ihnen das Stück gefallen? vergaßen; sondern sogar des Klatschens vergessen haben würden, wenn Salabanda und Onolaus (die bei der allgemeinen Stille am ersten wieder zu sich selbst kamen) nicht eilends diesem Mangel abgeholfen, und dadurch ihren Mitbürgern die Beschämung erspart hätten, gerade zum erstenmale, wo sie wirklich Ursache dazu hatten, nicht geklatscht zu haben. Aber dafür brachten sie auch das Versäumte mit Wucher ein. Denn sobald der Anfang gemacht war, wurde so laut und so lange geklatscht, bis kein Mensch mehr seine Hände fühlte. Diejenigen, die nicht mehr konnten, pausirten einen Augenblick, und fingen dann wieder desto stärker an, bis sie von andern, die inzwischen ausgeruht hatten, wieder abgelöst wurden.Es blieb nicht bei diesem lärmenden Ausbruch ihres Beifalls. Die guten Abderiten waren so voll von dem, was sie gehört und gesehen hatten, daß sie sich genöthigt fanden, ihrer Ueberfüllung noch auf andere Weise Luft zu machen. Verschiedene blieben im Nachhausegehen auf öffentlicher Straße stehen, und declamirten überlaut die Stellen des Stücks, wovon sie am stärksten gerührt worden waren. Andre, bei denen die Leidenschaft so hoch gestiegen war daß sie singen mußten, fingen zu singen an, und wiederholten, wohl oder übel, was sie von den schönsten Arien im Gedächtniß behalten hatten. Unvermerkt wurde (wie es bei solchen Gelegenheiten zu gehen pflegt) der Parorysmus allgemein; eine Fee schien ihren Stab über Abdera ausgestreckt, und alle seine Einwohner in Komödianten und Sänger verwandelt zu haben. Alles was Odem hatte sprach, sang, trällerte, leyerte und pfiff, wachend und schlafend, viele Tage lang nichts als Stellen aus der Andromeda des Euripides. Wo man hin kam, hörte man die große Arie — O du, der Götter und der Menschen Herrscher, Amor u. s. w., und sie wurde so lange gesungen, bis von der ursprünglichen Melodie gar nichts mehr übrig war, und die Handwerksbursche, zu denen sie endlich herabsank, sie bei Nacht auf der Straße nach eigner Melodie brüllten.Wenn der Rath nicht (wie so viele andre die uns von den Weisen gegeben werden) den einzigen Fehler hätte — daß er nicht praktikabel ist, so würden wir eilen was wir könnten, allen Menschen den Rath zu geben: "niemals von irgend einer Begebenheit, die ihnen erzählt wird, ein Wort zu glauben." Denn unzählige Erfahrungen, die wir hierüber seit mehr als dreißig Jahren gemacht, haben uns überzeugt, daß an solchen Erzählungen ordentlicherweise kein Wort wahr ist: und wir wissen uns im ganzen Ernste nicht eines einzigen Falles zu besinnen, wo eine Sache, wiewohl sie sich erst vor wenigen Stunden zugetragen, nicht von jedem, der sie erzählte, anders, und also (weil doch ein Ding nur auf Eine Art wahr ist) von jedem falsch erzählt worden wäre.Da es diese Bewandniß mit Dingen hat, die zu unsrer Zeit, an dem Orte unsers Aufenthalts, und beinahe vor unsern sichtlichen Augen geschehen sind: so kann man leicht ermessen, wie es um die historische Treue und Zuverlässigkeit solcher Begebenheiten stehen müsse, die sich vor langer Zeit zugetragen, und für die wir keine andre Gewähr haben, als was uns davon in geschriebenen oder gedruckten Büchern vorgespiegelt wird. Weiß der liebe Gott, wie sie da der armen ehrlichen Wahrheit mitspielen, und was von ihr übrig bleiben kann, wenn sie ein paar tausend Jahre lang durch alle die verfälschenden Fortpflanzungsmittel von Traditionen, Chroniken, Jahrbüchern, pragmatischen Geschichten, kurzen Inbegriffen, historischen Wörterbüchern, Anekdotensammlungen u. s. w. und durch so manche gewaschene oder ungewaschene Hände von Schreibern und Abschreibern, Setzern und Uebersetzern, Censoren und Correctoren u. s. w. durchgebeutelt, geseigt und gepreßt worden ist! Ich meines Orts bin durch die genauere Betrachtung dieser Umstände schon lange bewogen worden ein Gelübde zu thun, keine andre Geschichte zu schreiben, als von Personen, an deren Existenz — und von Begebenheiten, an deren Zuverlässigkeit — keinem Menschen in der Welt etwas gelegen seyn kann.Was mich zu dieser kleinen Expectoration veranlaßt, ist gerade die Begebenheit die wir vor uns haben, und die von den verschiedenen Schriftstellern, welche ihrer Erwähnung thun, so seltsam behandelt und mißhandelt worden ist, als ein gutherziger nichts Arges wähnender Leser sich vorstellen kann.Da ist nun, zum Beispiel, dieser Yorick, dieser Erfinder, Vater, Protoplastus und Prototypus aller empfindsamen Reisen und empfindelnden Wandersleute, die ohne Beutel und Tasche, ja ohne nur ein Paar Schuhsohlen darüber abgenutzt zu haben, empfindsame Reisen, wer weiß wohin? bloß in der Absicht gethan haben, um mit deren Beschreibung ihre Bier- und Tabaksrechnung zu saldiren —ich sage, da ist nun dieser Yorick, der, um ein hübsches Kapitelchen in sein berühmtes Sentimental Journey daraus zu machen, diese nämliche Begebenheit so zubereitet hat, daß sie zwar so wunderbar und abenteuerlich als ein Feenmährchen geworden ist, aber auch darüber alle ihre individuelle Wahrheit, und sogar alle Abderitische Familienähnlichkeit verloren hat.Man höre nur an! —"Die Stadt Abdera (sagt er) war die schändlichste und gottloseste Stadt in gang Thracien — wimmelte und drudelte von Giftmischerei, Verschwörungen, Meuchelmord, Schmähschriften, Pasquillen und Tumult. Bei hellem Tage war man seines Lebens nicht sicher; bei Nacht war's noch ärger. Nun begab sich's (fährt er fort), als der Gräuel aufs höchste gestiegen war, daß man zu Abdera die Andromeda des Euripides vorstellte. Sie gefiel allen Zuschauern; aber von allen Stellen, die dem Volke gefielen, wirkte keine stärker auf seine Imagination als die zärtlichen Naturzüge, die der Dichter in die rührende Rede des Perseus verwebt hatte —
O du, der Götter und der Menschen Herrscher, Amor!
Alle Welt sprach den folgenden Tag in Jamben, und von nichts als der rührenden Anrede des Perseus: o Amor, du der Götter und der Menschen Herrscher! In jeder Gasse von Abdera, in jedem Hause: o Amor, o Amor! — In jedem Munde u. s. w. nichts als: o du, der Götter und der Menschen Herrscher, Amor. Das Feuer griff um sich, und die ganze Stadt, gleich dem Herzen eines einzigen Mannes, öffnete sich der Liebe. Kein Droguist konnte einen Skrupel Niesewurz los werden — kein Waffenschmied hatte das Herz, ein einziges Werkzeug des Todes zu schmieden —Freundschaft und Tugend begegneten sich auf den Gassen —das goldne Alter kehrte zurück, und schwebte über der Stadt Abdera. Jeder Abderit nahm sein Haberrohr, und jede Abderitin verließ ihr Purpurgewebe, und setzte sich keusch und horchte auf den Gesang."In der That ein sehr schönes Kapitelchen! Alle jungen Knaben und Mädchen fanden es deliciös — "O Amor, Amor! der Götter und der Menschen Herrscher, Amor!" — Und daß ein einziger Vers aus dem Euripides — ein Vers, wie wahrlich, bei beiden Ohren des Königs Midas! der geringste unter euern Haberrohrsängern sich alle Augenblicke zwanzig auf Einem Beine stehend zu machen getrauen kann — ein Wunder gewirkt haben soll, das alle Priester, Propheten und Weisen der ganzen Welt mit gesammter Hand nicht im Stande gewesen sind nur ein einzigesmal zu bewirken — das Wunder, eine so schändliche, heillose und gottvergessene Stadt und Republik, wie Abdera gewesen seyn soll, auf einmal in ein unschuldiges, liebevolles Arkadien zu verwandeln —das gefällt freilich den gauchhaarigen, empfindsamen, gelbschnäbligen Turteltäubchen und Turteltaubern! Nur Schade, wie gesagt, daß am ganzen Histörchen, so wie es Bruder Yorick erzählt, kein wahres Wort ist.Das ganze Geheimniß ist: der wunderliche Mensch war verliebt als er sich das alles einbildete; und so schrieb er (wie es jedem ehrlichen Amoroso und Virtuoso, Steckenpferdler und Mondritter zu gehen pflegt) alles was er sich einbildete für Wahrheit hin. Nur ist's nicht hübsch an ihm, daß er — um seinem Leibgötzen und Fetisch, Amor, ein desto größeres Compliment zu machen — den armen Abderiten das ärgste nachsagt, was sich von Menschen denken und sagen läßt. Aber das ganze Griechische und Römische Alterthum soll auftreten und zeugen, ob jemals so etwas auf die guten Leute gebracht worden sey! Sie hatten freilich, wie man weiß, ihre Launen und Mucken, und, was man im eigentlichen Verstande Klugheit und Weisheit nennt, war nie ihre Sache gewesen: aber ihre Stadt deßwegen zu einer Mördergrube zu machen, das geht ein wenig über die Gränzen der berüchtigten Dichterfreiheit, die (so einen großen Tummelplatz man ihr auch immer zugestehen will) doch am Ende, wie alle andern Dinge in der Welt, ihre Gränzen haben muß.Lucian von Samosata, im Eingang seines berühmten Büchleins, wie man die Geschichte schreiben müßte — wenn man könnte, erzählt die Sache ganz anders, wiewohl, mit seiner Erlaubniß, nicht viel richtiger als Yorick. Er muß, wie es scheint, etwas vom König Archelaus und von der Andromeda des Euripides und von der seltsamen Schwärmerei, die sich der Abderiten bemächtigte, gehört haben; und daß man zuletzt genöthigt war, den Hippokrates zu Hülfe zu rufen, damit er alles zu Abdera wieder ins alte Geleis setzen möchte — Und nun sehe man einmal, wie der Mann das alles durcheinander wirft! — "Der Komödiant Archelaus (der damals so viel war, als wenn man dei uns Brockmann, oder Schröter, oder der deutsche Garrick sagt)— dieser Archelaus kam in den Tagen des Königs Lysimachus nach Abdera, und gab die Andromeda des Euripides. Es war gerade ein außerordentlich heißer Sommertag. Die Sonne brannte den Abderiten auf ihre Köpfe, die wahrlich ohnehin schon warm genug waren. Die ganze Stadt brachte ein starkes Fieber aus der Komödie nach Hause. Am siebenten Tage brach sich bei den meisten die Krankheit entweder durch heftiges Nasenbluten oder einen starken Schweiß; hingegen blieb ihnen eine seltsame Art von Zufall davon zurück. Denn wie das Fieber vorbei war, überfiel sie allesammt ein unwiderstehlicher Drang, tragische Verse zu declamiren. Sie sprachen in lauter Jamben, schrien wo sie standen und gingen aus vollem Halse ganze Tiraden aus der Andromeda daher, sangen den Monolog des Perseus" u. s. w.Lucian, nach seiner spöttischen Art, macht sich sehr lustig mit der Vorstellung, wie närrisch es ausgesehen haben müsse, alle Straßen in Abdera von bleichen, entbauchten, und vom siebentägigen Fieber ausgemergelten Tragikern wimmeln zu sehen, die aus allen ihren Leibeskräften: "du aber, der Götter und der Menschen Herrscher, Amor! u. s. w." gesungen, und er versichert, diese Epidemie habe so lange gedauert, bis der Winter und eine eingefallene große Kälte dem Unwesen endlich ein Ende gemacht.Man muß gestehen, Lucians Art den Hergang zu erzählen, hat vor der Yorick'schen vieles voraus. Denn so seltsam dieses Abderitische Fieber scheinen mag, so werden doch alle Aerzte gestehen, daß es wenigstens möglich, und alle Dichter, daß es charaktermäßig ist. Es gilt also davon, was die Jtaliener zu sagen pflegen: Se non è vero, è ben trovata. Aber wahr ist's freilich nicht; wie schon aus dem einzigen Umstand erhellt, daß um die Zeit, da sich diese Begebenheit in Abdera zugetragen haben soll, eigentlich kein Abdera mehr war, weil die Abderiten schon einige Jahre zuvor ausgezogen waren, und ihre Stadt den Fröschen und Ratten überlassen hatten.Kurz, die Sache begab sich — wie wir sie erzählt haben: und wenn man den Paroxysmus, der die Abderiten nach der Andromeda des Euripides überfiel, ein Fieber nennen will: so war es wenigstens von keiner andern Art als das Schauspielfieber, womit wir bis auf diesen Tag manche Städte unsers werthen Deutschen Vaterlandes behaftet sehen. Das Uebel lag nicht sowohl im Blute, als in der Abderitheit der guten Leute überhaupt.Indessen ist nicht zu läugnen, daß es bei einigen, bei denen es mehr Zunder und Nahrung als bei andern finden mochte, ernsthaft genug wurde um des Arztes zu bedürfen; woraus denn vermuthlich in der Folge der Irrthum Lucians entstanden seyn mag, die ganze Sache für eine Art von hitzigem Fieber zu halten. Zum Glück befand sich Hippokrates noch in der Nähe: und da er die Natur der Abderiten schon ziemlich kennen gelernt hatte, so setzten etliche Centner Niesewurz alles in kurzem wieder in den alten Stand — das ist, die Abderiten hörten auf: o du, der Götter und der Menschen Herrscher, Amor! zu singen, und waren nun sammt und sonders wieder — so weise als zuvor.

Anmerkungen zu den Abderiten erster Theil.

Erstes Buch.

1.

S. 5. Z. 12. Diomedes — — von seinen Pferden aufgefressen — Paläphatus in seinem Buche von unglaublichen Dingen erklärt auf diese Weise die Fabel, daß dieser Fürst seine Pferde mit Menschenfleisch gefüttert habe, und ihnen endlich selbst von Hercules zur Speise vorgeworfen worden sey. W.S. 9. Z. 1. Anakreons Lied, worin ein Mädchen als Thracisches Füllen dargestellt wird, ist den Kritikern allerdings verdächtig gewesen, auf eine feinere, geistreichere Weise aber ist die Unächtheit desselben nie erklärt worden, als hier von Wieland. S. 9. Z. 18. Wie Juvenal sie beschuldigt. Sat. 10, 50.

2.

S. 13. Z. 20. Protagoras — Ein berühmter Sophist von Abdera (etwas älter als Demokritus), welchen Cicero dem Hippias, Prodikus, Gorgias, und also den größten Männern seiner Profession an die Seite setzt. W.S. 15. Z. 21. Der Fechtsaal —— ausgeziert — Was hier von den Abderiten gesagt wird, erzählen andere alte Schriftsteller von der Stadt Alabandus. S. Coel. Rhodog. Lect. Ant. L. XXVI. Cap. 25. W.S. 20. Z. 6. Eine Eigenschaft — — aus der Helvetius folgerte — Helvetius ging in seinem praktischen System von der Selbstliebe aus, als einem von der Natur uns eingepflanzten Gefühl, und folgerte unter vielem andern auch dies daraus, daß jeder Mensch von sich selbst den höchsten Begriff habe und in Andern nur sein Bild schätze. G.

3.

S. 21. Z. 16. Nicht jedermann konnte nach Korinth reisen, war ein Sprüchwort bei den Griechen, dessen sich auch Horaz bediente (Epp. I. 17, 36), und dessen Sinn ist: nicht jedem gelingt das Schwierige (Erasmi Adagia IV. 4, 68.) Da hier die schöne Lais damit in Verbindung gebracht ist, so hat Wieland wohl an folgende Sage von dem Ursprunge dieses Sprüchwortes gedacht. Korinth war eine sehr reiche Stadt, hatte viel Luxus und viele — Hetären, die daselbst unter dem Schutze der Venus standen. Die berühmteste von allen war Lais, aber auch die theuerste. Wollte man nun ihretwegen nach Korinth reisen, so mußte man reich seyn: sonst kam man allenfalls nach Korinth, aber nicht zu Lais. G.S. 24. Z. 17. Garamanten. Agriophagen u. s. w. — Solinus, c. XXX., auch Plinius, Mela, und andere Alte und Neuere, welche uns alle die Wundermenschen, von denen hier die Rede ist, für wirkliche Geschöpfe Gottes zu geben kein Bedenken tragen. W.

4.

S. 34. Z. 16. Homers Kuhaugen — Eins der Beiwörter, wodurch Homer die Götterkönigin auszeichnet, ist βοωπις, die Farrenäugige, um ihre großen und lebhaften Augen anzudeuten. Myris muß den Ausdruck eben so anstößig gefunden haben als die sonstigen Uebersetzer. G.S. 35. Z. 26. Parmenides — Parmenides von Elea wird für den Erfinder der Lehre von den Ideen oder wesentlichen Urbildern gehalten, welche Plato in sein System aufgenommen, und sich zu eigen gemacht hat, daß man sie gewöhnlich nach seinem Namen zu nennen pflegt. W.S. 39. Z. 26. Anristrepsiades — Anspielung auf den Strepsiades in den Aristophanischen Wolken, der sich auf ähnliche Paradoxen einließ als hier angeführt werden. Die Behauptung, daß Achilles keine Schnecke im Laufen einholen könne, rührt von einem Trugschluß des Eleaten Zenon her. Dieser Trugschluß ist unter dem Namen des Achilles bekannt. G.

8.

S. 51. Z. 12. Satyrenspiele — Griechische Possenspiele, die mit der Opera buffa der Wälschen einige Aehnlichkeit hatten, und wovon uns der Cyklops des Euripides, das einzige übrig gebliebene Stück dieser Art, einen Begriff gibt. W.S. 58. Z. 26. Die Schwarzen an der Goldküste — Diese wurde freilich für uns erst durch Johann von Santarem und Peter Escobar im J. 1471 entdeckt. Lebte aber Hanno wenigstens 500 Jahre vor Christus und kam auf seiner Entdeckungsreise an der Westküste von Afrika bis zum Vorgebirge der drei Spitzen, was Bougainville sehr wahrscheinlich gemacht hat; so könnte Demokrit jene Küste, zwar nicht diesem Namen, doch aber der Lage nach gekannt haben. G.

9.

S. 65. Z. 7. Die Athener eben so sinnreiche Streiche — Die Athener hatten zu ihrem Kriege mit Megara keinen bessern Grund (wenn man dem Aristophanes glauben dürfte), als daß etliche junge Herren von Megara, um die Entführung einer Megarischen Hetäre zu rächen, ein paar junge Dirnen von der nämlichen Profession aus Aspasiens Pflanzschule entführt hatten. Aspasia vermochte alles über den Perikles, Perikles alles in Athen, und so wurde den Megarern der Krieg angekündigt. W.

10.

S. 77. Z. 27. Die Amphiktyonen des Teleklides — Dieser Komödiendichter war ein Zeitgenoß des Aristophanes. Die Lebenszeit Demokrits nimmt man von 457 bis 353 vor Chr. G. an. G.S. 78. Z. 1. Beschreibung des goldenen Alters — Frau Salabanda sagte die Wahrheit. Lange vor dem Hammel der Madame Daulnoy machte Lucian in seiner wahren Geschichte, und lange vor Lucian machten die Griechischen Komödiendichter, Metagenes, Pherekrates, Teleklides, Krates und Kratinus, Beschreibungen vom Schlaraffenlande und vom Schlaraffenleben, worin sie sich in die Wette beeiferten, der ausschweifendsten Einbildungskraft eines neuern Mährchenmachers nichts übrig zu lassen. Die kühnsten Züge im Gemälde, welches Demokrit davon macht, sind aus den Fragmenten genommen, die uns Athenäus im sechsten Buche seines Gastmahls davon aufbehalten hat. W.

11.

S. 81. Z. 19. Protagoras — Eigendünkel und Albernheit erkennt man an dem einzigen Zuge hinlänglich, daß er einstmals ganz Athen in das Lykeion einlud, um ihn über jede mögliche Frage, die man in irgend einer Wissenschaft ihm vorlegen möchte, diskutiren zu hören. G.S. 82. Z. 20. Sie ging aus einem Ei hervor — Um denjenigen Lesern, welche weder den Diogenes Laertius, noch Bruckers oder eine neuere Geschichte der Philosophie gelesen haben, irrige Vermuthungen zu ersparen, erinnert der Verfasser, daß alle hier vorkommenden Hypothesen sich eines sehr ehrwürdigen Alterthums, und zum Sheil einer Menge Verfechter und Anhänger rühmen können. Die Meinung unsers Demokrit ist die einzige, welche, vermuthlich bloß weil sie die vernünftigste ist, keine Secte gemacht hat. W.S. 84. Z. 6. Homöomerien (von όμοιος gleichartig und μερος Theil) hießen in den Systemen des Anaxagoras und Empedokles die allerkleinsten Theile des Weltstoffes, von derselben Natur wie das, was sich nachher im Großen daraus bildete, im Grunde aiso Elemente im Kleinen. Die Art der Ausbildung erklärte Empedokles durch den Satz: Freundschaft ist die Ursache der Bewegung, welche die Materie von einander scheidet. Dieß heißt nichts anders als: die gleichartigen Theile sammeln sich mittelst der Bewegung zu einander, nachdem die ungleichartigen Theile sich von einander geschieden haben. G.

12.

S. 93. Z. 2. Demokrit von Persischen Magiern erzogen — Xerxes, der bei seinem Kriegszuge gegen die Griechen einige Tage zu Abdera bei Demokrits Vater sein Hauptquartier gehabt, hatte damals den noch sehr jungen Demokrit lieb gewonnen, und zu dessen besserer Erziehung ein paar von den Magiern, die er bei sich hatte, zurückgelassen. W.Diogen. Laert.S. 95. Z. 25. Epopten — Epopten (Anschauer) hießen diejenigen, welche nach ausgestandener Prüfung zum Anschauen der großen Mysterien zu Eleusis zugelassen wurden. W.S. 96. Z. 5. Milon von Krotona — Ein Mann, von dessen wunderbarer Leibesstärke und Gefrässigkeit die fabelhaften Graeculi erstaunliche Dinge zu erzählen wissen; zum Beispiel, daß er einen wohlgemästeten Ochsen dreihundert Schritte weit auf den Schultern getragen, und, nachdem er ihn mit einem einzigen Faustschlag todt gemacht, in einem Tage aufgefressen habe. W.

13.

S. 108. Z. 19. Kleiner Drache von seltsamer Gestalt u. s. w. — Plinius, der in seiner Natur- und kunstgeschichte Wahres und Falsches ohne Unterschied zusammengetragen hat, erzählt im neunundvierzigsten Kapitel seines zehnten Buchs in ganzem Ernst: Demokrit habe in einer seiner Schriften gewisse Vögel benennet, aus deren vermischtem Blut eine Schlange entstehe, welche die Eigenschaft habe, daß derjenige, der sie esse (ob mit Essig und Oel, sagt er nicht), von Stund' an alles verstehe, was die Vögel mit einander reden. Wegen dieser und anderer ähnlicher Albernheiten, wovon (wie er sagt) die Schriften des Demokrit wimmeln, liest er ihm an einem andern Orte seines Werkes den Text sehr schulmeisterhaft. Aber Gellius (Noct. Atticar. L. X. Cap, 12.) vertheidigt unsern Philosophen mit besserm Grund, als Plinius ihn verurtheilt. Was konnte Demokrit dafür, daß die Abderiten dumm genug waren, alles, was er im Ernste sagte, für Ironie, und alles, was er scherzweise sagte, für Ernst zu nehmen? Oder, wie konnt' er verhindern, daß nicht lange nach seinem Tode Abderitische Köpfe tausend Albernheiten, an die er nie gedacht hatte, unter seinem Namen und Ansehen an andere Abderiten verkauften? Was für klägliches Zeug ließ ihn nicht erst im Jahre 1646 Magnenus in seinem Democritus redivivus sagen! Und was müssen nicht die Leute in der andern Welt von sich sagen lassen! W.S. 109. Z. 6. Truthühner — Dies ist wohl ein Irrthum des Uebersetzers. Denn wer weiß nicht, daß die Truthühner dem Aristoteles selbst unbekannt waren, und unbekannt seyn mußten, weil sie erst aus Westindien zu uns und in die übrigen Theile unsrer Halbkugel gekommen sind! S. Buffon Histoire naturelle des Oiseaux, T. III. p. 187 u. f. W.

Zweites Buch.

1.

S. 112, Z. 19. Wie viele Flohfüsse hoch ein Floh springen könne — Nichts ist möglicher, als daß Sokrates wirklich einmal etwas gesagt haben konnte, das zu diesem Aristophanischen Spaß Anlaß gegeben. Er durfte nur in einer Gesellschaft, wo die Rede von Größe und Kleinheit war, den Irrthum angemerkt haben, den man gewöhnlich begeht, da man von Groß und Klein als von wesentlichen Eigenschaften spricht, und nicht bedenkt, daß es bloß auf den Maßstab ankommt, ob eben dasselbe Ding groß oder klein seyn soll. Er konnte nach seiner scherzhaften Art gesagt haben: man habe Unrecht, den Sprung eines Flohs nach der Attischen Elle zu messen; man müsse, um die Schnellkraft des Flohs mit derjenigen eines Luftspringers zu vergleichen, nicht den menschlichen Fuß, sondern den Flohfuß zum Maß nehmen, wenn man anders den Flöhen Gerechtigkeit widerfahren lassen wolle — und dergleichen. Nun brauchte nur ein Abderit in der Gesellschaft zu seyn, so können wir sicher darauf rechnen, daß er es als eine große Ungereimtheit, die dem Philosophen entfahren sey, nach seiner eignen Art wieder erzählt haben werde: und wenn gleich Aristophanes klug genug war zu begreifen, daß Sokrates etwas Kluges gesagt haben werde, so war es doch für einen Mann von seiner Profession und zu seiner Absicht, den Philosophen lächerlich zu machen, schon genug, daß man diesem Einfall eine Wendung geben konnte, wodurch er geschickt wurde, die Zwerchfelle der Athener, welche (den Geschmack und den Witz abgerechnet) ziemlich Abderiten waren, einen Augenblick zu erschüttern. W.S. 113. Z. 20. Ein Dichter, der die Sachen gern übertreibt —Perpetuo risu pulmonem agitare solebatDemocritus. — Juvenal. Sat. X. 33. W.S. 114. Z. 1. Heraklit zum Muster nehmen — Man pflegt das Leben des Herakleitos dem des Demokritos entgegen zu setzen, wie man den Styl beider sich entgegensetzen kann, der bei jenem dunkel, gedrängt, schwerfällig, bei diesem klar, leicht, fließend, war. Von jenem sagt man, daß er beständig über die Welt geweint, dieser beständig über sie gelacht habe. Beide hätten dann etwas Gescheidteres thun können, beide thaten es aber ohne Zweifel nicht. Herakleitos aber war von melancholischer Gemüthsart und sah nur den ewigen Fluß der Dinge, Demokritos war von sanguinischer Gemüthsart, zuweilen gewiß launig und schalkhaft, und schien doch einigen Grund gefunden zu haben, worauf er bei dem ewigen Wandel der Dinge sicher fußen könne. G.S. 114. Z. 17. Nur den — — Affect erregen kann. — Bei allem dem erklärt sich doch Seneca bald darauf, daß es noch besser und einem weisen Manne anständiger sey, die herrschenden Sitten und Fehler der Menschen sanft und gleichmüthig zu ertragen, als darüber zu lachen und zu weinen. Mich dünkt, er hätte mit wenig Mühe finden können, daß es — noch was bessers gibt als dies Bessere. Warum immer lachen, immer weinen, immer zürnen, oder immer gleichgültig seyn? Es gibt Thorheiten, welche belachenswerth sind; es gibt andere, die ernsthaft genug sind um dem Menschenfreunde Seufzer auszupressen; andre, die einen Heiligen zum Unwillen reizen könnten; endlich noch andre, die man der menschlichen Schwachheit zu gut halten soll. Ein weiser und guter Mann (nisi pituita molesta est, wie Horaz weislich ausbedingt) lacht oder lächelt, bedauert oder beweint, entschuldigt oder verzeiht, je nachdem es Personen und Sachen, Ort und Zeit mit sich bringen. Denn lachen und weinen, lieben und hassen, züchtigen und loslassen, hat seine Zeit, sagt Salomo, welcher älter, klüger und besser war als Seneca mit allen seinen Antithesen. W.S. 116. Z. 6. Origines, Kirchenvater, geb. im 3ten Jahrhundert, zu Alexandria, soll sich, weil er die Stelle bei Matthäus 19, 12. mißverstanden, selbst entmannt haben. G.S. 116. Z. 24. Tertullian, auch ein Kirchenvater, geb. zu Carthago im 3ten Jahrhundert. Die hier angeführte Stelle s. Apolog. c. 46. W.S. 177. Z. 8. Der Rath des Sokrates — Memorab. Socrat. Lib. I. Cap. 3. Num. 14. W.S. 119. Z. 10. Demokrit — — erklärte bloß aus Atomen u. s. w. Seit die Abderiten erschienen, wo Wieland sich nur auf Brucker berufen konnte, hat man auch den Demokrit richtiger beurtheilt, und durch Buhle, Tennemann, Carus, Krug u. A. ist ihm sein Recht geworden. Bleibt er gleich ein Atheist, so nahm er doch Naturgesetze an, ja entdeckte sie, Aber schon Cicero (N. D. 1, 24) verstand ihn nicht. G.S. 120. Z. 1. Liliputer, diese Zwerglein unter den Zwergen sind seit Gullivers Reisen von Swift als das Kleinste menschlicher Kleinheit bekannt. G.

2.

S. 125. Z. 20. Pfau — Hier scheint sich eine Unrichtigkeit in den Text eingeschlichen zu haben. Der Pfau war vor Alexanders Eroberung des Persischen Reiches ein unbekannter Vogel in Griechenland. Und da er nachmals aus Asien nach Europa überging, war er anfangs so selten, daß man ihn zu Athen um Geld sehen ließ. Jedoch wurde er in kurzer Zeit (nach dem Ausdruck des Komödienschreibers Antiphanes) so gemein als die Wachteln. In der üppigen Epoche von Rom wurde deren eine unendliche Menge daselbst erzogen, und der Pfau machte ein vorzügliches Gericht auf den römischen Tafeln aus. Woher der Herr von Buffon genommen hat, daß die Griechen keine Pfauen gegessen, weiß ich nicht: das Gegentheil hätte ihm eine Stelle aus dem Poeten Alexis beim Athenäus beweisen können. Indessen wäre doch, wenn es vor Alexandern keine Pfauen in Europa gegeben hätte, gewiß, daß Demokrit dem Priester Strobylus keinen gebratnen Pfau hätte schicken können; man müßte denn voraussetzen, daß dieser Naturforscher unter andern Seltenheiten auch Pfauen aus Indien mitgebracht hätte. Und warum sollte man dieß nicht voraussetzen können? Im Nothfall könnten uns auch die alten Samischen Münzen, auf denen man neben der Juno einen Pfau abgebildet sieht, aus der Schwierigkeit helfen — wenn es der Mühe werth wäre. W.S. 125. Z. 26. Dariken — Eine Persische Goldmünze, die von Cyaxares II. oder Darius aus Medien, nach der Eroberung Babylons, zuerst soll geschlagen worden seyn. W.

4.

S. 189. Z. 24. Verkäufern ihr Oel — — — zurückzugeben — Wie ungleich sich doch die nämliche Sache erzählen läßt! Von eben dieser That, die unser Sykophant für den vollständigsten Beweis eines verrückten Gehirns hält, spricht Plinius als bon einer höchst edeln und der Philosophie Ehre machenden Handlung. Demokrit war viel zu gutherzig, um sich aus Unkosten andrer, die nicht so viel entbehren konnten, wie er, bereichern zu wollen. Ihre ängstliche Unruhe und Verzweiflung, einen so großen Gewinnst verfehlt zu haben, rührte ihn: er gab ihnen ihr Oel, oder das daraus gelöste Geld zurück, und begnügte sich den Abderiten gezeigt zu haben, daß es nur von ihm abhange Reichthümer zu erwerben, wenn er es der Mühe werth hielte. In diesem Lichte sieht Plinius die Sache an; und in der That muß man ein Abderit, ein Sykophant und ein Schurke zugleich seyn, um so wie unser Sykophant davon zu sprechen. W.

5.

S. 141. Z. 17. Einladungsschreiben an Hippokrates — Es befindet sich noch etwas unter dieser Rubrik in den Ausgaben der Werke des Hippokrates. Es ist aber ohne allen Zweifel untergeschoben, und die Arbeit irgend eines schalen Graeculus späterer Zeiten; so wie die ganze Erzählung von der Zusammenkunft dieses Arztes mit Demokrit in einem der unächten Briefe, die den Namen des erstern führen. W.S. 148. Z. 12. Keine Lorgnette hatte — Denen, welche sich etwa hierüber wundern möchten, dienet zur Nachricht, daß die Lorgnetten damals — noch nicht erfunden waren. W.

7.

S. 134. Z. 19. Hekatäus von Abdera — Zum Unglück sind alle seine Werke verloren gegangen. S. Antiq. Recherches sur Hecatée de Milet, Tom. IX. des Mém. de Littérat. W.Die Fragmente desselben gesammelt und das Beste über ihn gesagt findet man von Creuzer: Historicorum graecorum antiquassimorum fragmenta. Heidelb. 1806. G.

Drittes Buch.

1.

S. 166. Z. 22. Dramatische Apathie könnte man, nach Campe, durch dramatischen Gleichmuth übersetzen; für Hedypathie möchte ich in komischer Beziehung Lustseuche vorschlagen, deren üble Wirkung war, daß sie alles schön fanden. G.

2.

S. 170. Z. 18. Bocksspiel, Tragödie nämlich, von τραγος Bock und ώδη Gesang. Die dramatische Poesie entwickelte sich nämlich aus den Chorgesängen an den Bacchusfesten und den lustigen Wettgesängen bei Weinlese und Keltern, wobei der Preis des Siegers ein Bock war.Ich bemerke gleich hier für dieses ganze Buch, daß Wieland in Ansehung des Schauspielwesens viel modernisirt hat. In allem, wo Ironie bei ihm zum Grunde liegt, kommt es ihm auf Verletzung der Costüme nie an, wenn er auf seine Zeitgenossen desto mehr zu wirken hoffen konnte. Manche Punkte sind aber auch seit seiner Zeit erst in ein helleres Licht gesetzt worden, und über etliche ist man noch nicht einig. G.

3.

S. 182. Z. 5. Caudatarien, von cauda, Schwanz, komisch statt Anhänger. G.S. 181. Z. 22. Thlapsens erstes Stück — Es hieß Eugamia, oder die vierfache Braut. Eugamia war von ihrem Vater an einen, von der Mutter an den andern, und von einer Tante, an deren Erbschaft ihr gelegen war, an den dritten Mann versprochen worden. Am Ende kam heraus, daß das voreilige Mädchen sich selbst in der Stille bereits an einen vierten verschenkt hatte. W.

5.

S. 195. Z. 7. Draperie von rosenfarbnem Koischem Zeug. Die Schleier, die man auf der Insel Kos verfertigte, waren ihrer Durchsichtigkeit wegen berühmt. G.

7.

S. 212. Z. 16. Majestät der Geschichte. Ein Ausdruck, welchen Wieland von einem französischen Schriftsteller entlehnt, der ihn gerade damals bei einer so sehr unbedeutenden Gelegenheit gebraucht hatte, daß unserm Dichter schien, er könne fortan nur zu komischem Gebrauche dienen, den er selbst auch hier davon machen wollte. G.

8.

S. 217. Z. 10. Euripides —— Weiberfeind — Es ist bekannt, daß dieses häßliche Laster dem Euripides, wiewohl unverdienter Weise, Schuld gegeben wurde. W.S. 119. Z. 7. Froschpfleger — der Rathsherr war einer von den Fürsorgern des geheiligten Froschgrabens, welches in Abdera eine sehr ansehnliche Stelle war. Man nannte sie die Batrachotrophen, welches zu Deutsch sehr füglich durch Froschpfleger gegeben werden kann. W.

9.

S. 227. Z. 17. Von den Lycischen Bauern. S. Ovid. Metam. 13. 336, 635. G.S. 232. Z. 18. Deisidämonie — Der Apostel Paul bedient sich des von diesem Worte abgeleiteten Beiwortes, da er die Athener, ironischer oder wenigstens zweideutiger Weise, wegen ihrer unbegränzten Religiosität zu loben scheint. Apostelgeschichte XVII, 22. Man könnte es Götterfurcht oder Dämonenfurcht übersetzen. W.

11.

S. 240. Z. 22. Die empfindsamen Frauenzimmerchen u. s. w. — Man vergesse nicht daß dies Im Jahre 1777 geschrieben worden. W.[Damals hatte durch Goethe's Werther und Millers Siegwart eine empfindelnde Periode begonnen, die mit dem sonstigen Sturm und Drange (nach einem Schauspiel dieses Titels von Klinger) in der damaligen schönen Literatur einen seltsamen Contrast bildete.] G.S. 241. Z. 28. Anstatt sich zur Illusion zu bequemen, — Es versteht sich von selbst, daß der Dichter das Seinige gethan haben muß, um die Illusion zu bewirken und zu unterhalten: denn sonst hat er freilich kein Recht, von uns zu verlangen, daß wir, ihm zu Gefallen, thun sollen, als ob wir sähen, was er uns nicht zeigt, fühlten, was er uns nicht fühlen macht u. s. w. W.

12.

S. 247. Z. 14. O Amor, du — — Herrscher — Aufrichtig zu reden, dieser Vers ist der einzige rührende in dem ganzen Fragment der Rede des Perseus, das zufälliger Weise noch vorhanden ist, wie unsre des Griechischen kundigen Leser selbst urtheilen mögen — denn so lauten die Worte:
Αλλ' ω τνρανε Θεων τε χάνuρωπων, Ερως,
Η μη διδασχε τα χαχα ψαινεσeαι χαλα,
Η τοις ερωσιν, ών σν δημιοσνγος ει,
Μοζoονσι μοζoονς εντνζως συνεaπονει, χ. τ. λ. W.
Du aber, der Götter und der Menschen Herrscher, Amor, entweder lehr' uns, daß das Schöne uns nicht schön erscheine (ich lese χαλά statt χαχα), oder hilf der leidenden Liebe, deren Schöpfer du bist, den Schmerz leichter ertragen. G.
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