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C. M. Wieland's Werke.

Zwölfter Band.

Leipzig.G. J. Göschen'sche Verlagshandlung.1855.
Buchdruckerei der J. G. Cotta'schen Buchhandlung in Stuttgart und Augsburg.

Poetische Werke.

Inhalt.Seite

Pervonte oder die Wünsche . . . . . . . . . . 1
Der Vogelsang oder die drei Lehren . . . . . .65
Hann und Gulpenheh oder zu viel gesagt ist 
nichts gesagt. Eine morgenländische Erzählung 83
Die Wasserkufe . . . . . . . . . . . . . . . .95
Gedichte an Olympia . . . . . . . . . . . . . 127
Idris und Zenide. Ein romantisches Gedicht in 
fünf Gesängen . . . . . . . . . . . . . . . . 151
Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 339

Pervonte oder die Wünsche.

Erster Theil.

Es war einmal, ich denke zu Salern,
Ein König, Namens — ja! die Namen,
Die Namen, die vergess' ich gar zu gern'!
Am Ende sind's ja auch nur Rahmen
Und Schalen, — das Gemäld, der Kern
Macht Alles aus. Nennt ihn Astolfo, Holofern,
Hengst oder Horst — genug, daß in Salern
Ihm Niemand gern den Preis der Schönheit streitig machte.
Was Mancher in geheim vor seinem Spiegel dachte,
Ging zollfrei durch. Indessen, wie es geht,
Kam eine Zeit und kam mit schnellen Flügeln,
Worin bei seiner Majestät
Von allen einst so treudevoten Spiegeln
Nicht einer mehr den Dienst so gut wie sonst versah.
Zum Troste blieb ihm noch, sich täglich zu bespiegeln,
Die Erbprinzessin Vastola,
Die ihm — der ganze Hof beschwor's — so ähnlich sah,
Als wäre sie ihm aus den Augen ausgeschnitten.
Dieß war gewiß: aus Kappadocia
Und Pontus bis zum Land der wilden Britten
Und Hersen hatte sich der schönen Vastola
Von Allen, die auf Abenteuer ritten
Noch Keiner ungestraft genaht,
Und wer ins Aug' ihr sah, that eine kühne That.
So, (dachten sie) so sah die Heldenzucht der Alten,
So sahn die Omphale's, die Dejaniren aus,
Die eines Hercules Umarmung auszuhalten
Vermochten, forderten mit solchem trotzig kalten
Sich selbst bewußten Blick die Herrn der Welt heraus
Und tändelten, indeß im Kreis der Mägde
Der Göttersohn Flachs an den Rocken legte,
In seine Löwenhaut gehüllt,
Mit seiner Keul', als wär's ein Sonnenfächer.
Gott steh' uns bei! uns arme Schächer
Der Afterwelt, uns wirft ein bloßes Bild
In Gyps von Weibern dieses Schlages
Zehn Schritte weit! — Doch freilich, dazumal,
Ihr lieben Herrn, war's nicht wie heutiges Tages.
Umringt von Freiern ohne Zahl
Ging Vastola daher, sah ganze Legionen
Markgrafen, Grafen und Baronen
Erbötig, sollt' es auch ums bare Leben gehn,
Das Abenteuer zu bestehn.
Indessen war von diesen Freiern allen
Doch keiner schön genug, der Stolzen zu gefallen,
Geschweig' als Ehgemahl zur Rechten ihr zu stehn.
Zwar, daß die Herrn, vom Hoffnungsgeist belogen,
Sich athemlos an ihrem Wagen zogen,
Stand ihnen frei; mitunter wurden sie,
Um ihnen Athem zuzufächeln,
Wohl gar mit einem kaum bemerkbarn Lächeln
Zum Fortziehn gnädigere angefrischt:
Doch immer war darein, ich weiß nicht was, gemischt,
Das ihm die Kraft, die Anmuth, kurz, was Lächeln
Zum Lächeln macht, auf einmal wieder nahm,
So daß den Herrn nicht viel davon zu Gute kam.
Der König, der sich Großpapa begrüßen
Zu hören eben noch nicht mächtig lüstern war,
Ließ bis ins zweimal zehnte Jahr
Der mädchenhaften Lust sein Töchterchen genießen;
Und Vastola, der Abgott von Salern,
Indem sie rings umher die liebessiechen Herrn
An ihrer Sonnenglut, Schneemännchen gleich, zusammen
Hinschmelzen sah, blieb mitten in den Flammen,
Nach wahrer Salamanderart,
Stets unversengt, eiskalt und felsenhart.
Wir lassen nun, um weiter vorzugehen,
Die schöne Vastola mit ihrem Zauberstab'
Und hören, was im Walde sich begab,
Den wir dort rechter Hand die Höhen
Der Gegend von Salern mit Schatten decken sehen.
Da steht bei einem Bündel Reis
Ein junger Kerl. — Wer doch, zu Lob und Preis
Der Bildnerin Natur, den Burschen malen könnte!
So wie er da, im Kopfe krachend, stund,
Im dicksten Kopf, den je der weite Sund
Von einem Ochsenmaul' in zwei Halbkugeln trennte,
Mit rothem Haar garnirt, das kurz und borstig stund
Und um die platte Stirne rund
Wie angezünd'te Stoppeln brennte;
Die Ohren ellenlang, die Nase stach und weit,
Der Nacken kurz, die Schultern breit,
Der Rücken hoch und etwas krumm die Beine;
Mit einem Wort, der Cruditäten eine
Des alten Mütterchens, ein Kauz, für dessen Glück
Ich Bürge bin! — Denn wahrlich, das Geschick,
Sagt, was ihr wollt, verfährt doch immer billig
Und nimmt Figuren dieser Art
In seinen sondern Schutz, stets gut zu machen willig,
Was Mutter Isis dran gespart.
Der junge Kerl, so schön als wir ihn eben
Geschildert, war der einz'ge Erb' und Sohn
Von einer guten Frau, die manchen Winter schon
Im Wittwenstande sich und ihrem Sohn das Leben
Mit Spinnen fristete; ein braves flinkes Weib,
Das früh und spät sich Müh zu geben
Gewohnt ist, keinen Zeitvertreib
Als ihres Haspels Knarren kennet
Und sehr zufrieden ist, wenn auf dem kleinen Herd'
Ein wenig dürres Reis zur Mittagssuppe brennet,
Wirthschaftlich dann den Rest zusammenkehrt
Und in den Wärmer thut, der in der morschen Hütte
Dem Winterfrost nur dürftig wehrt.
Bei dieser Lebensart und Sitte
War ihre einz'ge Plage die,
Daß sie, mit aller ihrer Müh',
Aus ihrem lieben Sohn Pervonte
Nichts ziehen und zu nichts den Lümmel brauchen konnte.
Da war auch keine Spur von Neugier und Verstand,
Nichts ging in seinen Kopf, nichts ging ihm von der Hand;
Sein Werk war, Tage lang, mit halb geschlossnen Augen,
Am Ofen, auf die Streu der Länge nach gestreckt,
An seinen kurzen Fingern saugen
Und, wenn die Mutter ihn zur Arbeit scheltend weckt,
Sich über Rückenweh beklagen.
Drei Späne Holz zur Küche stöhnend tragen,
Auch dann und wann, wenn's Mutter ihm gebot,
Die Gänse aus dem Garten jagen,
War Alles, was das Faulthier sich mit Noth
Bereden ließ zum Haushalt beizutragen;
Im Uebrigen ein gutes Vieh,
Den nie der Kitzel stach, nach wann, warum und wie
Bei irgend einem Ding zu fragen,
Und den, ist nur sein Wanst, womit es sey, gefüllt,
Nichts weiter in der Welt bekümmert;
Das wahre Seitenstück zum Bild
Des Weisen beim Horaz, dem's mächtig gleich viel gilt,
Wozu die Götter wohl dieß schöne Rund gezimmert,
Dem Sonne, Mond und Stern stets unbewundert schimmert;
Kurz, der, fein warm und dicht in — Dummheit eingehüllt,
Nichts liebt und haßt, nichts billigt und nichts schilt.
Als eines Morgens nun die Mutter
Den Topf zum Feuer setzen will,
Gebrach's an Holz. Mein Flegel, mäuschenstill,
Saß auf der Schwell' und aß sein Brod und Butter.
Pervonte, sprach sie, sey einmal zu etwas gut
Du siehst, der Topf kann ohne Holz nicht kochen;
Frisch auf, mein Sohn! nimm deinen Hut,
Lauf in den Wald! da liegt vom Sturm gebrochen
Des dürren Reisigs viel umher;
Mach' einen Bündel draus, so schwer
Du tragen kannst! Auf! rege deine Glieder
Und mach' es hübsch und komm bald wieder.
Pervonte, der an diesem Morgen just
Bei guter Laune war, wie wenig Lieb' und Lust
Er auch zur Arbeit hat, so rafft er doch am Ende
Sich auf und schlendert in den Wald;
Steht da und gafft, als ob er gar besonders fände,
Wie so viel Bäume in den Wald
Gekommen; schreitet drauf zum Werk, spuckt in die Hände,
Kriecht im Gesträuch' herum und bringt so ziemlich bald
Sein Bündel dürres Holz zusammen;
Stellt sich dann hin dazu und denkt: Ja, wer mich nun
Mit meinem Bündel da in einem Hui zu Ammen
Nach Hause trüg'! — Allein da war nun nichts zu thun,
Als selbst den Bündel frisch auf seinen breiten Rücken
Zu nehmen und zu gehn. Die Sonne fing schon an,
Als er aus dem Gebüsch' hervor kam, stark zu drücken.
Von ungefähr erblickt er auf dem Plan
Drei Frauen, jung und schön von Farbe, Wuchs und Zügen,
Die schlafend an der Sonne liegen;
Bleibt stehn, betrachtet sie vom Haarband bis zum Schuh,
Drückt vor Behaglichkeit die kleinen Augen zu,
Guckt abermal und denkt so bei sich selber:
's ist Schade doch für diese Dirnen da,
So in der Sonne, wie die Kälber,
Zu liegen, unbeschirmt! Ist doch der Busch so nah';
Ich geh' und schneide Holz und steck' es in die Erde
Und mach' ein Obdach um sie her.
Nun sagt mir noch, daß auch der dümmste Bär
Nicht durch die Zaubermacht der Schönheit menschlich werde!
Gedacht, gethan! Er haut sechs Stangen oder acht,
Befestigt sie, so gut ihm möglich, macht
Ein grünes Dach um diese schönen Kinder
Und spreitet dann sein Wamms und Halstuch drüber hin.
Nie ging ihm, weil er lebt, geschwinder
Die Arbeit von der Faust. Und nun, in seinem Sinn
Sehr mit sich selbst vergnügt, schlägt er ein herzlich Lachen
Ob seinem Einfall' auf und gähnt aus vollem Rachen
So laut als eine Eselin,
Daß unsre Nymphen dran erwachen.
Bist du's, fragt ihn die eine, der so gut
Gewesen ist, uns dieses Dach zu machen?
Pervonte schmunzelt, läßt den abgegriffnen Hut
Im Kreis' um seinen Daumen treiben
Und spricht kein Wort, wie sanft ihm auch die Frage thut.
Dein gutes Herz soll unbelohnt nicht bleiben,
Fährt jene fort, das ist nun unsre Pflicht.
Vernimm, Pervonte, wir sind Feen.
Man legt uns viel zur Last; allein, das sollst du sehen,
Undankbar mindestens sind wir nicht.
Verlange, was du willst, es soll sogleich geschehen!
Mit diesem Wort verschwanden alle drei.
Pervonte guckt noch immer nach dem Orte,
Wo nichts mehr ist, und brummt bei sich: Ei, ei!
Um dieses Edelvolk! — Was sie mir gute Worte
Und Augen gab! ich dachte, wie geschwind
Sie mir den Sack mit Thalern füllen würde!
Nun seh' ich wohl, 's war Alles lauter Wind.
Mein Bursche kehrt zu seiner Bürde
Zurück, lupft auf, kratzt hinterm Ohr, beginnt
Am Ende doch den Bündel auszupacken,
Und wie er ihn so ziemlich drückend find't,
Spricht er: Da muß ich mich dich heim zu tragen placken
Ich wollte wohl, du müßtest mich
Nach Hause tragen!
Kaum entschlich
Pervonten dieses Wort, so scheint ein thierisch Leben
Auf einmal in dem Holz zu weben;
Der Bündel schlüpft, so sanft wie Flaum,
Dem Burschen zwischen seine Beine,
Hebt ihn empor und läuft euch über Stock und Steine
Mit ihm davon, so hurtig als ihn kaum
Der schnellste Klepper tragen konnte.
Ha, ha! das geht ja schön, ihr Feen! ruft Pervonte;
Ich sagt' es nur im Spaß', und ihr macht Ernst daraus!
Nun, weil's denn so ist, hott! mein Gäulchen, grad nach
                   Haus!
Der nächste Weg nach seiner Mutter Hütte
Ging durch die Stadt, am Schloß vorbei.
Nun denket euch den Lärm, den solche Reiterei
Da machen muß! Bei jedem Schritte
Nimmt Zulauf, Drang, Gelächter und Geschrei
So überhand, daß man sein eigen Wort nicht hörte.
Pervonte, den das Alles wenig scherte,
Trabt ruhig seines Weges fort.
Der Bündel, dem das Volk zu nah kommt, schlägt auf Mord
Bald links bald rechts und weiß sich Platz zu machen.
So langt denn, unter lautem Lachen
Der ganzen Stadt, mein Kauz am Schloßplatz' an.
Prinzessin Vastola und ihre Damen sahn
Durchs Fenster, wie der neue Reiter
Vorüber trabt und weil nun Ihre Hoheit just
Nicht mit dem rechten Fuß' heut' aus dem Bette stiegen,
Macht ihr die allgemeine Lust
Verdruß und Laune statt Vergnügen.
"Ha! (ruft sie laut genug, daß hört, wer Ohren hat)
Das lohnt sich auch der Müh, daß eine ganze Stadt
Um einen solchen Bärenhäuter
So närrisch thut!
Sein Pferd ist schlecht und doch für solchen Reiter,
Den Wechselbalg, den Unhold, noch zu gut!"
Pervonte's wohl gestreckte Ohren,
So dumm er sonsten war, verloren
Kein Wort von diesem Lob. — "So? Fräulein Isabell,
So? bin ich nicht nach Ihrem kleinen Schnabel?
Ich bin ein Wechselbalg, ein Unhold? — Wohl, Mamsell
Prinzessin, wär' ich wohl der große Bel zu Babel,
So wollt' ich, daß Sie gleich von mir
Mit Zwillingen zur Stelle schwanger ginge!
Dann sollte man doch sehn, eh Sie von Thür zu Thür
Mit Ihren Krabben betteln ginge,
Ob Sie dem Wechselbalg, der Ihr
So mißbehagt, nicht selbst sich an den Gürtel hinge!"
Mit diesen Worten sprengt mein Krauskopf stolz davon,
Verliert in drei Minuten schon
Die Stadt aus dem Gesicht' und reitet wohlbehalten,
Zu großem Schrecken seiner Alten,
Auf seinem Bündel Reis in ihre Wohnung ein.
Die gute Frau erschöpft sich ganz mit Fragen;
Allein der Gänsekopf weiß wenig drauf zu sagen,
Bringt klaren Unsinn auf die Bahn,
Fängt, weil er schon den Handel halb vergessen,
Sein Mährchen stets von vornen wieder an
Und, kurz, verwickelt sich in Bündeln und Prinzessen,
Bis er nicht mehr heraus sich helfen kann.
Die Mutter hört zuletzt zu fragen
Und er zu trätschen auf; man denkt nicht weiter dran;
Pervont bleibt, was er war, lebt ohne Zweck und Plan,
Gelüstet nichts, als täglich seinen Magen
Zu füllen und auf seinem Schragen
Zu slacken wie bisher, macht gutes Blut dabei,
Und alles Andre ist ihm völlig einerlei.
Indessen zu Salern im Schlosse stand es, leider!
So ruhig nicht. Vier Monden waren kaum
Vorbei, so muß bereits der Kammerschneider
Der schönen Vastola, ganz in geheim, mehr Raum
Für Ihrer Hoheit Weichen machen;
Zwar mit den Freiern spielt sie immer noch den Drachen:
Von allen keiner, der sich nur
Der kleinsten Gunst von ihr zu rühmen hätte.
Nichts desto minder schwillt zusehens ihr Contour,
Und kurz', man bringt (nicht ohne viel Gespötte
Und Achselzuckerei des Hofes und der Stadt)
Sie, die den Ruf der sprödsten Kälte hat,
Bei hohem Wohl — mit Zwillingen zu Bette.
Des Königs Wuth und der Prinzessin Scham,
Die billig es sehr übel nahm,
Daß gegen ihren Ruhm, so rein, so unbescholten,
Die Zwillinge als Zeugen gelten sollten;
Das wicht'ge Air der jungen Herrn
Markgrafen, Grafen und Baronen von Salern,
Als ob ein jeder hier viel zu verschweigen hätte,
Der seine Unschuld doch ganz in geheim bedaurt
Und auf den Schuldigen an diesem Wochenbette
In jedem andern hämisch laurt;
Die Stille in den Vorgemächern,
Der inhaltsschwere Blick, das Zischeln hinter Fächern,
Das Aergerniß der tugend-, ehr- und zucht-
Begabten Raths- und Bürgersweiber;
Der Jungfern Angst vor gleicher Wassersucht;
Die Scherze platter Zeitvertreiber
Und all die undankbare Müh
Der Herren der Akademie,
Um durch verschiedne Hypothesen,
Mit A + B und Kupfern ausstaffirt,
Ganz klärlich darzuthun: daß der Begriff vom Wesen
Des Dings die Möglichkeit unleugbar in sich führt,
Wie Vastola zwei Keimchen aufgelesen,
Die ihr, Gott weiß woher, ein Zephyr zugeführt,
Und die, in ihrem Leib allmählich evolvirt,
So weit gediehn, bis sie, wie sich gebührt,
Der holden Töchterchen zu rechter Zeit genesen:
Dieß Alles, und was Jedermann
Bei einem solchen Fall moralisiren kann;
Und daß der Großpapa vor Gift und Galle gelber
Wie eine Quitte wird und nicht verschmerzen kann,
Von einem ungenannten Mann
Sich so gefoppt zu sehn — versteht sich von sich selber.
Genug, die Hauptperson dabei
Betheurt mit reinestem Gewissen,
Daß die Begebenheit ihr unbegreiflich sey:
Und damit wird man sich für jetzt begnügen müssen.
Die beiden Töchterchen, die (wie wir Alle wissen)
Ein bloßer Wunsch gezeugt, die wuchsen nun heran.
Sie waren lieblich anzuschauen,
Und hätten Ammen, Kammerfrauen
Und Gouvernanten nichts gethan,
So hätten sie mit Gottes Segen
Ganz wackre Mädchen werden mögen.
Und als sie nun zum sechsten Mal
Die Rosen blühen sahn, da trat der Seneschall
(Ein Mann von großem Kopf) zum König,
Strich seinen Bauch und sprach: "Ich lese ziemlich wenig. —
Denn unser einem läßt die Amtsgeschäftigkeit
Zum Bücherlesen keine Zeit —
Indessen fällt mir bei, daß ich vorlängst gelesen,
(Wo? weiß ich nicht — ich denk' in einem Versebuch —
Ja, ja, so etwas ist's gewesen,
Sie nannten's, ist mir recht, Terentiens Eunuch)
"Es sey — wie heißen's doch auf Griechisch die Doctoren? —
So ein — so ein — Instinct den Kindern angeboren.
Der sie vermögend macht, aus einem ganzen Heer
Von Vätern flugs den wahren aufzuspüren."
Der Einfall, spricht der König, ist nicht leer,
Herr Seneschall, wir können's ja probiren.
Und ein Gebot geht aus, es soll am nächsten Fest
Vom kleinsten Junker an bis zu den Herrn mit Stäben,
Was Ahnen hat, nach Hofe sich erheben.
Die Zwillinge, die man nicht merken läßt
Warum, erscheinen auch. Man läßt bei offnen Thüren
In einem ungeheuren Saal
Die Herren allerseits vor ihnen defiliren
Zum ersten, andern, dritten Mal:
Doch, von Instinct ist nicht das Mindeste zu spüren.
Gut, spricht der Seneschall, wir sehen also klar,
Daß es von diesen keiner war;
Doch gegen mein System kann das noch nichts probiren.
Wir gäben, dächt' ich, nun den Bürgern einen Ball,
Vielleicht — Ei, ei, Herr Seneschall!
Ihr denkt nicht, was Ihr sagt, (fällt ihm sein Herr, der König,
Ins Wort) so tief kann meine Tochter nicht
Gesunken seyn! — Ich bitte unterthänig,
Versetzt der Seneschall; zu glauben ist es nicht —
Allein — was wollen wir? Gelegenheit macht Diebe,
Das Fleisch ist schwach und blind die Liebe,
Spricht mein Ovidius. — Da spricht er freilich wahr,
Versetzt der Fürst. Wohlan, den Ball gegeben!
Wir tanzen mit, Herr Seneschall, nicht wahr?
Man findet im gemeinen Leben
Oft manches feine Augenpaar
Und Busen, die sich noch aus eigner Kraft im Schweben
Zu halten wissen — kurz, erschlafften Magen thut
Auch grobe Kost mitunter gut.
Der Ball versammelt nun, was innerhalb den Pfählen
Der Stadt Salern zur schönen Welt sich zählt;
Allein der große Zweck wird abermal verfehlt.
Die beiden Grazien, mit Flinkern und Juwelen
Reich ausgeziert, sind, wie man schließen kann,
Zuerst dabei: umsonst! für keinen einz'gen Mann
Spricht die Natur ein Wort zu ihren Seelen.
Nun, sagt der Seneschall, ist nichts, was auf die Spur
Uns bringen kann, als ein Cocagne nur:
Dieß, Gnädigster, dieß muß den Ausschlag geben!
Top, ruft der Fürst, ich lieb' es für mein Leben:
Nur Anstalt gleich dazu gemacht,
Und daß nichts fehl' an Ueberfluß und Pracht,
Herr Seneschall!
Sogleich, am Fuß der großen Treppe,
Wird's bei Trompetenschall dem Volke kund gethan.
Man fährt, was eßbar ist, Gans, Ente, Truthan, Schneppe,
Kaninchen, Rebhuhn und Fasan,
Rindszungen, Schinken, Bretzeln, Wecken
Und Würste aller Art zu ganzen Fudern an,
Die Pyramide zu umstehen,
Die man an diesem Freudenfest
Dem Volk zu plündern überläßt.
Als nun, erharret mit Verlangen
Von jung und alt, der große Freudentag
Erschienen war, an dem, noch eh' er aufgegangen,
In ganz Salern kein Mensch im Bette lag,
Die Trommeln trommelten, Trompet' und Cymbeln klangen,
Rings um den großen Platz die Fenster überall
Schon mit geputzten Köpfen prangen,
Die ganze Stadt von Jubelschall
Ertönt, und wogenweis' in wimmelndem Gedränge
Aus allen Gassen schon die Menge
Sich auf den Platz ergoß, mit Augen voller Durst
Den Raub verschlang und kaum erwarten konnte,
Bis man zum Angriff blies; spricht zu Pervonte
Die Mutter: Geh du auch! Du wirst doch eine Wurst
Zum wenigsten von diesem Spaß' erhaschen;
Lauf, was du kannst!
Der Hof, der gern bei jedem Fest',
Um desto reizender zuletzt zu überraschen,
Fein lange auf sich warten läßt,
Der Hof war eben angekommen
Und hatte schichten weis' auf einem Schaugerüst,
Zu großem Trost des Volkes, Platz genommen;
Und was dem Volk dabei das Liebste ist,
Das sind die Zwillinge, die in gar schönen Mützen
Am Fuß der Pyramide sitzen.
Wie nun zum großen Reihentanz
Die Jugend hin sich stellt in einen bunten Kranz,
Kommt plötzlich mitten in den Haufen
Mein Rothkopf keuchend angelaufen.
Und nun hört Alle, was geschah!
Kaum werden sein, so schmutzig als er da
In seiner Jacke steht, mit ungekämmtem Haar
Und ohne Schuh,
Kaum werden sein die Kinderchen gewahr,
So laufen sie zu aller Welt Erstaunen
Mit offnen Armen auf ihn zu.
Hm! sagt' ich's nicht? beginnt in großer Ruh
Der alte Seneschall dem König zuzuraunen,
Hält mein Instinctus sich nicht gut?
Verdammt sey dein Instinct, fährt in der größten Wuth
Der König auf: — Was? Ich den Schimpf erleben?
Ha! meine Tochter! Mir! von einem solchen Strolch!
Von einem Schuft mir Enkelchen zu geben!
Das ist zu grob! — Gift, Feuer, Strang und Dolch
Sind zu gelinde noch, die Majestät zu rächen,
Die so entheiligt wird!
Die arme Vastola,
Sich keiner Schuld bewußt, will sprechen:
Allein der König droht, ihr Arm und Bein zu brechen.
Es war ihr Glück, daß er das Faß ersah,
Das, nach Gebrauch des Festes, neben
Der Pyramide stand, voll ziemlich saurem Wein,
Den man gesonnen war, die Herzen zu erfreun,
Dem Pöbel gnädige preiszugeben.
Man schlag den Boden aus und werfe sie hinein,
Ruft der ergrimmte Fürst: fort! ohne Widerstreben!
Sie und den herrlichen Galan
Und ihr Gezücht! fort, in den Ocean!
Des Königs strenges Wort wird ungesäumt vollzogen.
Man steckt die Kinderchen, die ganz erbärmlich schrein,
Und Vastola und ihn, den man, vom Schein betrogen,
Für ihren Buhler hält, stracks in das Faß hinein
Und überlässet sie den Winden und den Wogen.
—————

Zweiter Theil.

Man denke nun sich eine Omphale,
Alkmene, Danae, Latone,
Kurz, Dame Vastola, von ihrem Schönheitsthrone
Herabgestürzt, der unwirthbaren See
In einer Tonne preisgegeben,
Mit Zwillingen, wozu sie um ihr Leben
Sich nicht bekennen kann und doch ein Mutterherz
Zu ihnen fühlt, und — was vor Scham und Schmerz
Sie zur Medea machen möchte —
Gesperrt zu einem solchen Hechte!
Und diesen feinen Seladon
(Das Ideal von einem Besenbinder)
So öffentlich zum Vater ihrer Kinder
Erklärt! — die Situation
War neu und einzig, soll' ich meinen;
Zumal wenn ihr den Raum bedenkt,
Der die Prinzessin und die Kleinen
Und unsern Kauz so nah zusammenschränkt,
Daß sie mit Armen und mit Beinen
Bei jedem neuen Wellenstoß
Sich mehr verwickeln, — seine Nase
All' Augenblick' in ihres Halstuchs Gaze
Behangen bleibt, und oft zwei Linien bloß
Den schönen Mund von seinem Rüssel trennen:
Das Alles sollte wohl die Obermeisterin
Der Spröden mürbe machen können!
Doch Vastola's erhabner Fürstensinn
Zeigt just im Unglück, wo die Blöße
Gemeiner Seelen sich am schnellsten offenbart,
Die Majestät der angestammten Art
In ihrer ganzen Heldengröße;
Zeigt durch den kalten Stolz, womit
Ihr Blick Pervonten niedertritt,
Daß Kränkungen ihr Herz nur höher schwellen.
"Pfui des Gedankens! ruft sie: Ich,
Bei einem solchen Alp mir Zwillinge bestellen?"
O meiner Treu! das könnt ihr sicherlich
Mir glauben, Frau, (versetzt der ungeschlachte Lümmel)
Den großen Spaß,
Gesperrt zu seyn mit Euch in dieses muff'ge Faß
Und zwischen Wasser, Luft und Himmel
Zu schaukeln, hätt' ich auch entbehren können. — Dumm!
Zu Euren Zwillingen als Vater stehn zu müssen!
Wenn Ihr nicht besser wißt warum,
Als ich —
"Was soll ich besser wissen,
Ich, die dich nie in meinem Leben sah?"
Was das betrifft, Frau Vastola,
Da möchtet Ihr die Wahrheit ziemlich sparen.
"Ah, nun besinn' ich mich — an deinen rothen Haaren
Und an dem weitgespaltnen Maul —
Bist du vielleicht der Schuft, der auf dem Steckengaul
Bei unserm Schloß vor sieben Jahren
Vorbeigeritten kam?"
Ei! freilich bin ich der!
Ich weiß es noch, als wär's von gestern her;
Besinne mich gar wohl, wie Ihr die Nase rümpftet
Und wie ein Rohrspatz auf mich schimpftet,
Und hießt mich Wechselbalg und Kauz und Murmelthier,
Und was vors Maul Euch kam. Es kroch mir übern Magen,
Das leugn' ich nicht; und, mit Respect zu sagen,
Da wünscht' ich Euch, Ihr möchtet stracks von mir
Mit Zwillingen ein wenig schwanger gehen.
Ihr solltet, dacht' ich, Spaß verstehen:
Wie Ihr draus Ernst gemacht und zu den Püppchen hier
Gekommen seyd, da mögt Ihr selber sehen!
Ich, wie Ihr wißt, bin rein von ihnen und von Euch.
Genug, ich hatt' es von den Feen,
Daß damals, was ich wünschte, gleich
Geschehen mußte.
"Wie? das hattest du von Feen?"
Nicht anders. Meine Reiterei
Auf einem Bündel Holz bei Eurem Schloß vorbei
Kam bloß daher.
"So hast du diese Gabe
Wohl immer noch?"
Nicht daß ich wüßte.
"Wie?
Du hast es nie erforscht?"
Der Anlaß gab sich nie.
Mag seyn, es ist vorbei, mag seyn vielleicht, ich habe
Sie noch; mir stieg es nie zu Kopf,
Das Ding erkundigen zu wollen:
An Suppe fehlt es nie in meiner Mutter Topf
Und nie dem Topf' an Holz; was hätt' ich wünschen sollen?
"Ein Philosoph von feinem Schrot!
Die Dummheit, wie ich seh, macht auch Diogenesse
So gut und besser, als die Noth,
Ruft Vastola: doch in der Presse,
Worin wir sind, da uns ein blasser Tod
Bei jedem Athemzug' in jeder Welle droht,
Wird deine Weisheit wohl nicht länger Anstand nehmen,
Zu sehn, daß Feen uns jetzt sehr zu Statten kämen.
Versuch' es! wünsche dir!"
Ich, wünschen? und wofür?
Ich bin ein Alp, ein Schuft, ein dummes Thier,
Ein Philosoph, hab' Eselsohren
Und hinten einen Sterz, nicht wahr?
Zum Wetter auch! die Schmeichelein sind rar!
Wenn Ihr nichts Bessers habt, so laßt mich ungeschoren!
Zum Wünschen, ja, da bin ich gut genug!
"Ei, ei, Pervonte, bist du klug?
Wer wird den Worten gleich die schlimmste Deutung geben?
Es war nicht so gemeint. Komm, Männchen, sey so gut!
Laß dich erbitten!"
So? nun, da es Noth Euch thut,
Nun könnt Ihr gute Worte geben!
Ich dachte ja, wir würden's noch erleben!
Allein, Pervonte hat sein Köpfchen auch, mein Schatz!
Wohlfeiler als um einen derben Schmatz
Wird meiner Mutter Sohn sich nimmermehr ergeben.
Schwer lag die Hand des Schicksals einmal nun
Auf Vastola: die Wahl, was hier zu thun,
Ist hart für eine Dejanire,
Allein, wiewohl sich Magen, Herz und Niere
Entgegensträubt — gut, daß der Grobian
Noch so begnügsam ist! eh sie die Wasserspinnen
Zu füttern sich bequemt, was hätte sie gethan?
Kurz, da dem Tode zu entrinnen
Kein ander Mittel war, hielt sie den Athem an,
Die Augen zu, und that, was sie nicht lassen konnte.
Ah! nur noch einen, ruft Pervonte:
Und nun, Madonna, eh die alte Tonne voll
Mit Wasser ist, sagt, was ich wünschen soll.
"Daß sie sich in die schönste kleine Barke
Verwandle, wohl versehn mit Allem, was uns Noth
Zur Seefahrt ist, und zwanzig tücht'ge starke
Matrosen drin, und ein Pilot,
An Bajens Ufer uns zu führen,"
Pervonte, wie ihr wißt, ein wenig schwach
Von Kopfe, läßt sich's repetiren
Und spricht den Wunsch von Wort zu Wort ihr nach.
Und wie er's sprach, verwandelt sich die Tonne
Ins schönste Schiff, worauf die liebe Sonne
Geschienen, seit Kleopatra
In einer Glorie von Reiz und Liebeswonne
Der Cydnus dem Anton entgegen schwimmen sah.
Von ihren Sinnen hielt sich Vastola belogen,
Da sie die seidnen Wimpel sah,
Die, Zephyrflügeln gleich, hoch in die Lüfte flogen;
Die Ruder ganz mit Silber überzogen,
Die Segel Purpur, Gold die Stangen sammt dem Rah,
Und jede Stang' umwebt mit einem Blumenkranze;
Das Rudervolk geputzt als wie zum Tanze,
Belebten Bildern gleich, die, ohne auszuruhn,
Die Arbeit nach dem Tact' in tiefster Stille thun;
Kurz, Alles so, wie man's erwarten konnte
Von einem Feenwerk.
Prinzessin Vastola,
Vor deren Augen hier geschah,
Was ihr ein Mährchen däucht, begonnte
Pervonten nun für etwas mehr,
Als was er schien und war, zu halten.
Doch er, er bleibt in seinen vor'gen Falten
Und bildet sich nicht minder und nicht mehr
Auf eine Gabe ein, die ihm so fremde sitzet,
Wie jener Eselin die Redeseligkeit.
Der große Schild, der ihn zu aller Zeit
Vor Fragen und vor Wünschen schützet,
Ist Wolfens goldnes: Ist was ist!
Das Schiff ist einmal da, und weil es ist, ist gegen
Sein Daseyn mit Gebühr kein Zweifel zu erregen.
Es scheint nur, dächt' ein Platonist;
Allein Pervont, der keiner ist,
Hält steif und fest sich, gegen zehn Platonen,
An die Realität der Mundprovisionen,
Womit das Schiff versehen war:
Die Möglichkeit, die kümmert ihn kein Haar;
Genug, wo Futter ist, da ist für ihn gut wohnen.
Indessen nun Pervont, für den nichts existirt,
Als was er schmeckt, das Magazin durchnistert,
Und Vastola, die Alles gleich verliert,
So bald sie's hat, nach neuen Wünschen lüstert,
Schwimmt unvermerkt die Barke fort, doublirt
Ein Vorgebirg' und langt bei gutem Wind' und Wetter
Vor Abend noch am schönsten Ufer an.
Es schien im Abendroth ein Sitz der Frühlingsgötter,
Ein Zaubergrund, ein wahres Tinian;
Doch, wie sie's in der Nähe sahn,
Da war's ein einsam Thal, von Hügeln eingeschlossen,
Mit Wäldchen hier und da und Büschen untermischt,
Wo Bäche unter Rosen flossen,
Und ungestört im Gras die Sommergrille zischt.
Hier, spricht die Dame, lass' uns landen,
Der Ort gefällt mir; doch, um leidlich hier zu seyn,
Mein guter Freund, fehlt, wie du siehst, allein,
Die Feen noch um einen Wunsch zu pfänden.
"Ha! ich versteh' Euch — meiner Treu!
Der Wunsch ist gut, ich bin dabei!
Daß alle Zweige hier, sobald wir es verlangen,
Voll Bretzeln und voll Leberwürste hangen,
Das wäre drollig! Meint ihr nicht?"
Still, Dummkopf! Muß ich denn mich ewig deiner schämen?
Ruft Vastola mit glühendem Gesicht.
Lass', eh die Feen dir die Gabe wieder nehmen,
Die du so schlecht verwaltest, mich
Im Wünschen deinen Platz vertreten;
Begnüge dich, mir nachzubeten:
Das Schiff verwandle — Hörst du? sprich
Mir jede Sylbe nach! — Das Schiff verwandle sich
Flugs in das schönste Schloß, das Augen sehen mögen!
Es sey mit Pracht und Eleganz meublirt,
Die Decken und die Fensterbögen
Mit Stuckatur und Malerei geziert,
Die Wände reich vergoldet und lackiert;
Nichts fehle drin, Gemälde, Marmorköpfe,
Bildsäulen, Basreliefs, Campan'sche Blumentöpfe,
Japanisches Geschirr, kurz, nichts, was sich gebührt,
Wenn unser eines für meublirt
Sich halten soll; und, weil's nur wünschen gilt, so ziehe
Sich rings ums Schloß ein großer Garten her,
Wo Alles ewig grün' und blühe
Und dufte, wie ein Balsammeer.
Auch wünsch' ich mir im dunkelsten der Büsche
Ein Marmorbad, so schön, daß Venus selbst sich gleich
Drin baden möcht', und einen Schwanenteich
Und einen Schmerlenbach, der sanft durch Blumen zische,
Und einen Hühnerhof und eine Meierei
Und hübsches Schäfervolk, dies Alles zu verwalten,
Und Jungfern, wie aus Leda's Ei
Gekrochen, und Lakein und — kurz, was Hof zu halten
Erfordert wird —
"He! ist's nicht bald vorbei?
Die Feen können's ja nicht all im Kopf behalten!
Ihr wollt auch gar zu viel auf einmal!" —
Aber, eh
Pervonte noch das letzte Wort vollendet,
Hebt ein Palast vor ihm sich luftig in die Höh,
Woran die Feerei all' ihre Kunst verschwendet:
Selbst die Prinzessin steht von seinem Glanz verblendet;
Der zu Salern, den sie zum Muster nahm,
War nur ein Bürgerhaus dagegen.
Pervonte starrt und gafft. Nun seh' ich, spricht Madame,
Nichts, was ich wünschen kann, geht über dein Vermögen.
Sie tritt hinein, die Kinder an der Hand,
Und auf der Treppe schon schallt ihr Musik entgegen;
Doch, was bei diesem neuen Segen
Pervonte weit das schönste fand,
War, daß für Viere schon gedeckt die Tafel stand.
Sie setzten sich; er aß, bis ihm das Athemholen
Beschwerlich ward, und schien von all dem Glanz',
Und von dem neuen Tag, den hundert Girandolen
Durch zwanzig Zimmer strahlten, ganz
Verblüfft und außer sich. Oft lacht er überlaut
Vor Freuden, rief: Die Feen sollen leben!
Ließ noch ein Glas sich auf ihr Wohlseyn geben
Und that mit seiner künft'gen Braut
Beim Nachtisch schon so heimlich und vertraut,
Daß Vastola vor seiner plumpen Hände
Zu ausdrucksvoller Zärtlichkeit
Den Sessel nach und nach bis an des Tisches Ende
Zu rücken nöthig fand. Und gleichwohl war es Zeit.
Sich zu gestehn, was alle Sprödigkeit
Und aller Stolz der Welt ihr nicht verbergen konnte.
Des Lustspiels Ausgang war zu klar.
So plump, so ungestalt Pervonte,
So dick sein Kopf, so roth sein struppicht Haar,
So eseltreiberhaft sein ganzes Ansehn war,
Was half es ihr? die Zwillinge, die Tonne
Entschieden ein für alle Mal
Ihr Schicksal; kurz, entweder eine Nonne,
Wo nicht, Pervonten zum Gemahl.
Nun freilich, eine Morgengabe,
Wie er zu geben hat, erleichtert sehr die Wahl.
Allein dann wieder ein Gemahl,
Wie er, für Vastola? — Ein Rabe
Am Wagen Cypriens gespannt zu einem Schwan'!
Es war zu arg, es ging unmöglich an!
Pervonte, spricht zuletzt die Dame, deine Feen
Sind sehr gefällig: aber doch,
Mein guter Freund, fehlt, däucht mich, etwas noch.
Du hast wohl nie im Spiegel dich gesehen?
Da, schau hinein und sey so billig, zu gestehen,
Wofern sie dich von Fuß auf um und um
Verwandelten, du könntest nichts verlieren!
"Verwandeln? mich? verwandeln! und warum?"
— Um schön zu seyn. — "Mein feines Lieb, darum,
Das glaubt mir, möcht' ich euch nicht einen Finger rühren.
Ich war mir selber immer recht.
Indessen, wenn euch ein Gefallen
Damit geschieht, meinethalben! Laßt vom Ballen
Zum Schopf mich seyn, wie Ihr mich haben mögt."
Nicht gar zu schön ist oft nur desto besser,
Denkt Vastola: sey immer ein Adon,
Nur muskelhaft dabei, wie Milo von Kroton;
Nicht allzu schlank; zwei Daumen höchstens größer,
Als ich — kurz, minder zart als derb und ritterlich,
So dist du schön genug für mich.
Daß Vastola nicht laut so offenherzig dachte,
Versteht sich. Rathet nun, was sie für Augen machte,
Da sie, von Wort zu Wort, Pervonten, wie sie sich
Ihn in Gedanken zugeschnitten,
Leibhaftig vor sich sah! so ganz aus einem Guss'!
Ein Ideal, worin Antinous
Und Hercules so um den Vorzug stritten,
Daß jeder siegt, und keiner weichen muß.
Ein lauter Schrei entfuhr ihr, von den Feen
Bei Wünschen, deren sie sich selber kaum bewußt
Zu seyn gewagt, sich so ertappt zu sehen.
Sie wurde roth bis an die Brust,
Sah hin und her, unruhig und verlegen,
Und hätte gern' ein wenig trotzen mögen.
Allein der Undank schrie zu laut.
Das Beste war, in seiner neuen Haut
Den jungen Herrn stillschweigend anzunehmen
Und sich der Mildigkeit der Götter nicht zu schämen.
Wir wollen's nur gradezu gestehn,
(Bedungen daß ihr guter Name
Nicht drunter leiden soll) die liebe junge Dame
Schien in der Dankbarkeit beinah zu weit zu gehn.
Drei Tage lang (und, wie wir schier besorgen,
Die Nächte auch) vom frühsten Sommermorgen,
(Daß Feerei dabei im Spiele war,
Ist sonnenklar!)
Drei Tage, wie gesagt, vom Morgen
Bis in die Nacht, war alle ihre Zeit
Dem holden Korydon geweiht.
Sie trug ihn, wie ein Kind die neu bescherte Puppe,
In ihrem neuen Eigenthum
Von Platz zu Platz wie im Triumph herum;
Wohin man sah, stand die verliebte Gruppe,
Strich Arm in Arm durchs Grüne oder saß
In Lauben oder lag beisammen tief im Gras,
Mit Küssen nur den Fluß der Stunden messend,
Sich selbst genug, sonst Alles rein vergessend.
Pervonte, der nunmehr der Prinz Pervonte hieß,
War übrigens so dumm geblieben,
Als wie er war, eh' ihn zum Amadis
Die Feen umgeschmelzt. Für seine Art zu lieben
Schien in gewissem Sinn
Der Schade klein, beträchtlich der Gewinn.
Hätt' er ihr etwa baß mit Witz die Zeit vertrieben?
Was uns in dieser Meinung stärkt,
Ist, daß acht Tage rein verflossen,
Eh Vastola den Mangel nur bemerkt.
Doch immer Einerlei wird endlich ausgenossen!
Die Spitze der Begier erkämpft sich im Genuß,
Dieß bringt Ersättigung, und dann folgt Ueberdruß;
Kurz, Amors Köcher war verschossen.
Ein Hercules, der ruhen muß,
Gibt wenig Trost; und ein Antinous,
Der nur die Zähne weist, ist, jenen abzulesen,
Nicht das geschickteste der Wesen.
Jetzt endlich merkt die Dame, wo es fehlt.
Ich dächte, spricht sie einst zu ihrem Cicisbeen,
Ich dächte, Freund, es wäre Zeit, die Feen
Um etwas anzugehn, woran dir's stark gebricht. —
"Was wäre das?"
Verstand! — Ein wenig mehr Gehirne,
Pervonte, sollte, dächt' ich, nicht
So übel gehn zu dieser schönen Stirne?
"Ein toller Wunsch! versetzt der Haubenstock:
Ich glaube gar, verzeih mir meine Sünden!
Ihr haltet mich für einen Sägeblock?
Warum nicht gar Verstand! Was gilt davon das Schock?
Ich hatte stets genug, um meinen Mund zu finden,
Und, wie Ihr wißt —
Still! ruft sie, still! (und hält
Aus Furcht, was Albernes zu hören,
Die Hand ihm vor den Mund) Freund, diese Waare fällt
Nicht ins Gewicht; du kannst die Dose zehnfach mehren,
Je mehr du hast, je leichter trägst du dran.
"Nun gut, mein Schatz, ich lasse mich belehren.
Was soll ich wünschen? Gebt mir's an."
Nichts als Verstand, Verstand, um zu verstehen!
Dieß einz'ge Wort sagt Alles.
"Nun wohlan,
So gebt mir denn Verstand, ihr Feen,
Und zwar vom guten; denn es heißt,
Es sey nicht Alles Gold, was gießt."
Ihr seht, beim ersten Wort' erhörten ihn die Feen,
Und mehr vielleicht, als Vastola
Am Ende selber gerne sah.
Prinzessin, spricht Pervont, wir haben
Der Wünsche nun genug. Der Feen Gütigkeit
Ist groß; doch immer neue Gaben
Erpressen, wäre Geiz und Unbescheidenheit.
Nichts ist nunmehr uns Noth als die Begnügsamkeit;
Allein mit dieser muß der Mensch sich selbst begaben.
Laß durch Genuß uns nun verdienen, was wir haben!
Uns lieben, Vastola, und Alles um uns her
Mit unserm Glück' erfreuen und beleben,
Sey unser Los! Was könnten wir noch mehr
Uns wünschen, oder was die Feen mehr uns geben?

Dritter Theil.

Fürs erste Probestück bewährte, dächten wir
Pervont die neue Feengabe
Nicht übel durch dieß Wort. Auch ihr,
Der schönen Vastola, bedünkt es selbst, sie habe
Nun nichts zu wünschen mehr, als was Horaz sich dort
Genügsam von Mercur erbittet.
An diesem zauberischen Ort
Mit jeder Gunst des Glückes überschüttet,
An einen schönen Mann von Amorn angekittet,
Der fast bis zur Abgötterei
Sie liebt und nun auch klug ist und gesittet
Und von Gefühl so zart, als hätten statt mit Brei
Mit lauter Rosen ihn die Grazien aufgefüttert;
Von Allem, was bei Hof das Leben uns verbittert,
Von Zwang und langer Weile frei;
Kurz, glücklich, wie man es auf Erden
Gewöhnlich nur im Traume pflegt zu werden,
Was könnte Vastola, wie weit ihr Herz auch sey,
Noch wünschen, daß ein Gott zu ihrem Glücke lege,
Als daß es ewig dauern möge?
Vier Wochen lang, bei Tage wie bei Nacht,
(Wir müssen es zu ihrem Ruhm gestehen)
Vier ganzer Wochen lang wird an die guten Feen
Nicht mehr als an den Mann im Mond gedacht:
So sinnreich weiß Pervonte das Vergnügen,
Das jeder neue Tag ihr macht,
Der Phantasie der Schönen anzuschmiegen,
So leise jeden Wunsch gleich wieder einzuwiegen,
Bevor er recht in ihrer Brust erwacht.
Allein — wie könnten wir's verhehlen? —
Am ersten Tag der fünften Woche schon
Begann ich weiß nicht welch ein matter Farbenton
Dem Glück der Liebe was von seinem Glanz zu stehlen.
Zwar machte die Natur auch dießmal keinen Sprung,
Und, wie vom Mittagslicht zum Schein der Dämmerung,
Schlich sie bei Vastola durch unmerkbare Grade
Vom Vollgenuß zur Sättigung.
Kurz, es entdeckte sich, daß eine eigne Gnade
Dazu gehört, um fern von Hof und Stadt
In einem Dörfchen sich bei Laune zu erhalten.
Wie viel Verdienste auch der Prinz Pervonte hat,
Wie weislich (nach der Warnung unsrer Alten)
Er mit der süßen Schwärmerei
Der Hochgefühle hauszuhalten
Versteht, wie mancherlei Gestalten
Er auch dem ew'gen Einerlei
Zu geben weiß, — ein Glück, das schon so lange neu
Zu scheinen aufgehört, wie sollt' es nicht ermatten?
Wie könnte sie, mit einem Gatten,
Wär's auch im Paradies', allein,
Beständig ihm und sich genugsam seyn?
Gewohnt, sich stets von mehr als hundert
Verehrern, deren Zahl tagtäglich sich erneut,
Gefolgt, geschmeichelt und bewundert
Zu sehn, wie käme nicht in dieser Einsamkeit
(Wo von den ewigen einschläfernden Gefühlen
Ununterbrochner Zärtlichkeit
Nichts Neues, Fremdes sie zerstreut)
Die Lust sie wieder an, der Jugend Rosenzeit
Ein wenig muntrer zu verspielen?
Das Schäferleben hier verdient den Namen kaum,
(Spricht sie bei sich) es gleicht dem Schattenleben
Elysiums, und ist, um ihm sein Recht zu geben,
Sehr wenig besser, als ein Traum.
Der schönste Hirt, der unterm schönsten Baum
Mir ewig gegenüber sitzet
Und seine Zärtlichkeit mir in die Augen blitzet,
Sagt mir zuletzt kein Sterbenswörtchen mehr,
Als wenn's ein Bild von Alabaster wäre.
Wo nimmt es wohl Pervonte her,
Daß unser eine sich von Zartgefühlen nähre?
Er, der so klug sich denkt, er will
(Ich muß des närr'schen Einfalls lachen)
Zu einer Hirtin in Arkadien mich machen?
Doch länger halt' ich ihm nicht still!
Ich bin des Schattenreichs der Linden und der Buchen,
Des Wiesendufts, des Schlafs am rieselnden Krystall,
Des Mondscheins und der Nachtigall
Von Herzen satt. Man muß, zumal mit meinem Fall,
Ja wohl von Allem was versuchen,
Wenn sich der Anlaß gibt, und Bessers uns gebricht:
Es war ein hübscher Traum, Pervont, ich leugn' es nicht,
Man träumt nicht stets so angenehme Sachen;
Nur sey es mir erlaubt, auch wieder aufzuwachen!
Ihr seht, der Monolog verspricht
Pervontens Glücke wenig Dauer.
Seit sein Palast ihr nur ein Vogelbauer,
Und sein Arkadien ein Bauergütchen däucht,
Hat seine Seligkeit den Mittagspunkt erreicht
Und wird nun schnellen Schritts zum Untergang sich neigen.
Schon fängt sie an, bei einem Hirtenfest,
Wo sein Geschmack mit Glanz sich sehen läßt,
Ein schläfriges Gesicht zu zeigen,
Das mitten im erzwungnen Lächeln gähnt
Und nach des Festes Schluß sich unverhohlen sehnt.
Der arme Mann beklagt sich selber
Und sie noch mehr: doch schickt er sich darein
Und wird darum nicht magerer, noch gelber.
"Ein schönes Weib kann auch nicht stets ersetzbar seyn,
Ein ander Mal vielleicht wird's besser mir gelingen."
So tröstet er sich selbst; allein
Die Zeit will dieses Mal ihm keine Rosen bringen.
Die Launen nehmen überhand
Und täuschen seinen besten Willen.
Oft werden aus den Launen Grillen,
Die er, auch wenn er sie verstand,
Zu schwichtigen nicht immer rathsam fand.
Um Vastola's Gelüste zu vergnügen,
Müßt' einer, denkt er, Tag und Nacht
Den Feen in den Ohren liegen,
Und wen sein Herz nicht glücklich macht,
Den kann man nicht ins Glück hinein betrügen.
Von diesem Augenblick beschließt
Pervonte, der nicht gern' ins Faß der Danaiden
Vergebens volle Eimer gießt,
Mit dieser Frohne sich nicht länger zu ermüden.
Ich, denkt er, war mit meinem Los zufrieden;
Des reinsten Glückes Quelle fließt
Für sie und mich: will sie sich glücklich machen lassen,
Wohl ihr! — wo nicht, so seh sie selber zu!
Ich kann mit diesem Amt mich länger nicht befassen;
Ich sorge nun für meine eigne Ruh'.
In diesem Selbstgespräch war etwas üble Laune.
Man weiß, sie malt die Dinge gern ins Braune.
Im Grunde war Pervont ein guter Mann,
Das heißt, so eine fromme, zahme,
Weichherz'ge Creatur, aus welcher eine Dame,
Wie Vastola, was ihr bequem ist machen kann.
Kaum merkt sie also, daß der Wärmemesser
Von seiner Liebe bis auf lau
Zu fallen droht, so stimmt die schlaue Frau
Die Saiten um. — "Pervont, du siehst heut blässer,
(Spricht sie mit einem Blick der wärmsten Zärtlichkeit)
Es ist, als ob ich weiß nicht was dir fehle,
Dein Auge wölket sich, du scheinst zerstreut
Und anderswo, du suchst die Einsamkeit;
Am Ende, Freund, ist's nichts als Atonie der Seele,
Die leicht zu heben ist. Du kommst seit ein'ger Zeit
Kaum aus dem Hause; Luftveränderung mein Lieber,
Vertreibt vielleicht dieß kleine Nervenfieber.
Ich statt' in unserm Dorf' ein hübsches Bräutchen aus,
Der Bräut'gam ist ein feiner Junggeselle,
Ich selbst vertrete Mutterstelle
Und sorge für den Hochzeitschmaus:
Darf ich zu diesem Fest dich bitten?"
Der Blick, der Ton, womit die Zauberin
Dieß sagt, erheitert stracks Pervontens düstern Sinn.
Wer liebt wohl mehr, als er, den Sitz der milden Sitten
Der goldnen Zeit, die frohen Schäferhütten,
Für ihn das Schätzbarste von allem seinem Gut'!
Und daß ihm Vastola aus eignem freien Triebe
Den Antrag thut, so freundlich an der Liebe
Des jungen Brautpaars Antheil nimmt,
Sich selbst mit ihrem Glück beschäftigt
Und sich dabei das Mutteramt bestimmt:
Wie mächtig wird dadurch der süße Wahn bekräftigt,
Daß, trotz der Eitelkeit, die sich zuweilen regt,
Ein gutes Herz in ihrem Busen schlägt!
Wie schnell entwölken sich die finstern Augenbrauen!
Wie dankt sein Blick, sein Mund ihr diese reine Lust!
Wie innig presset sich sein Herz an ihre Brust!
Mit stillem Jubel sieht die listigste der Frauen
Den leichten Sieg, den über Manneskraft
Und Mannesklugheit ihr die Weiberlist verschafft.
Das Hirtenfest geht nun nach Herzenslust von Statten.
Pervonte, den das Glück der neuen Gatten
Kaum minder als sie selber glücklich macht,
Feir't seine eigne Hochzeitnacht
Und hängt mit wonnevollem Blicke
An Vastola. Die Schlaue hascht im Flug
Den günstigsten der Augenblicke
Und spricht zu ihm: Mein Schatz, wir haben lang genug
Den Feen nichts mehr vorgetragen;
Sie können sich, zumal da sie so willig sind,
Nicht über unsere Bescheidenheit beklagen.
Nun aber hab' ich was, mein Kind;
Und wär' es auch nur eine von den Grillen,
Die einer jungen Frau das leichte Hirnchen drillen,
So weiß ich doch, du bist ein zu getreuer Hirt',
Um ein Verlangen nicht zu stillen,
Das nur ein Wort dich kosten wird.
Sag' an, Geliebte, spricht Pervonte,
(So kirr' in diesem Nu, als Juno einst den Herrn
Der Welt auf Jda machen konnte)
Dein Wink ist mein Gesetz. Wofern,
Was du begehrst, die Macht der guten Feen
Nicht übersteigt, so nimm es für geschehen.
Mich plagt, erwiedert sie, die Sehnsucht, mein Salern,
Woraus ich schon so lang verstoßen bin, zu sehen.
Heut' ist des Königs Fest: er gibt ein prächtig Mahl,
Und dann ist Tanz im großen Rittersaal.
Nun, Männchen, thu mir den Gefallen
Und wünsche dich mit mir zur Stunde nach Salern,
So prächtig ausgeschmückt, daß allen
Den steifen Damen und den unverschämten Herrn,
Die uns ins Weiße sehen wollen,
Die Augen übergehen sollen;
Und wenn wir uns an ihrem Vorwitz satt
Erlustigt, und, uns auszufinden,
Der König selbst, was nur am Hofe Athem hat,
Uns auf den Hals schickt, plötzlich schwinden
Wir wieder weg und sind in heiler Haut
Schon wieder hier, noch eh der Morgen graut.
Pervonte, der sich noch vor Kurzem schlecht erbaut
Durch diesen Wunsch gefunden hätte,
In diesem Augenblick vergnügt und liebetraut
Mit Vastola auf einem Ruhebette,
Wie könnt' er jetzt den rein gestimmten Ton
Des Einklangs ihrer Herzen stören
Und einem solchen Weib die kleine Freude wehren?
Kaum ist der rasche Wunsch aus seinem Mund' entflohn,
So däucht ihn auch die Hörner schon
Im Schlosse zu Salern zu hören.
Sie sehen einen Saal, mit allen Zubehören
Zu einem Königsfest, sich selber mitten drin,
Er einem Sultan gleich, sie einer Kaiserin
Von Hindostan, mit blitzenden Karfunkeln
So dicht besät, daß sie der Kerzen Schein verdunkeln.
Das Hofgesind sperrt Mund und Augen auf,
Drängt sich hinzu, drückt wieder auf die Seite,
Fragt flüsternd, was die Vision bedeute,
Begreift es nicht, und Niemand fällt darauf,
Den Lümmel, dem noch jetzt die treuen Bürger fluchen,
In diesem Großsultan' und Fräulein Vastola,
Die man in einem Fass' im Meere schaukeln sah,
In dieser Kaiserin zu suchen,
Der, wo sie geht, gleich Alles schüchtern weicht,
Und die, im leichten Tanz von ihm daher geführet,
An Wuchs und Majestät mehr einer Göttin gleicht
Als einem Erdenkind.
Der Hof indeß verlieret
Vor Ungeduld, zu wissen, wer sie sind,
Und welche Windesbraut sie nach Salern geführet,
Beinahe den Verstand. Die Sache wird zuletzt
Ein Staatsgeschäft, nachdem aus gnädigster Befehle
Der Seneschall, so fein als eine dicke Seele,
Wie er, nur immer kann, dem Sultan zugesetzt
Und nichts von ihm als Wendungen und Schrauben
Zurück erhielt. Der Fürst verliert nun ganz
Die königliche Contenanz.
Ihr Schranzen, fängt er an den Alten anzuschnauben,
Ihn selbst, mit Gunst, Herr Oberschranz,
Mit eingeschlossen, habt nicht mehr Verstand als Kälber;
Ich sehe wohl, am Ende muß ich selber
Das Beste thun. Und nun, nachdem er einen Tanz
Mit Vastola gethan und alle seine Künste
Und Grazien, zu Majestät geprägt,
In einer zierlichen Chaconne ausgelegt,
Entbietet er der Göttin seine Dienste
Mit so galantem Schwung' und macht es ihr so schwer,
Mit guter Art sich von ihm los zu winden,
Daß sie genöthigt ist, ihn auf die Frage, Wer?
Mit einer Antwort zu verbinden.
Wie? spricht sie, kennen Sie von zwanzig Wochen her
Die arme Vastola nicht mehr?
Der König prallt zurück, und augenblicks verschwinden
Die Fremden aus dem Saal. So grimmig als ein Bär
Tobt Seine Majestät im ganzen Schloss' umher
Und droht, sein Hofgesind mit eigener Hand zu schinden,
Entdeckt man nicht die Spuren ihrer Flucht,
Bevor die letzten Sterne schwinden.
Allein umsonst wird Schloß und Stadt durchsucht;
Sie sind Gespenstern gleich verschwunden,
Und nirgendswo wird ihre Spur gefunden.
Prinzessin Vastola hingegen fand den Spaß
Zu lustig, es dabei verbleiben
Zu lassen. Sollte sie die Zeit sich nicht vertreiben,
Da sie nur wollen darf? Und Alles also, was
Pervont damit gewann, die erste ihrer Grillen
Zu füttern, war, daß nun das vorbesagte Faß
Der Danaiden voll zu füllen
Noch eher möglich schien, als seiner Dame Willen.
Was sie begehrt, ist immer — nur ein Spaß,
Ihm ist's so leicht, ihr diesen Spaß zu machen,
Ihm, der nur wünschen darf. Vernunft wird ohne Frucht
An einem Köpfchen, wie das ihre war, versucht:
Sobald er ernsthaft spricht, erwiedert sie mit Lachen;
Und gute Laune, Fröhlichkeit,
Muthwille selbst (dieß hat sie aufgefunden)
Macht ihre Stärke aus; sein Ernst wird jederzeit
Mit diesen Waffen überwunden,
Denn immer lohnt Gefälligkeit
Ihr jede kleine Lust, die er durch sie empfunden.
Ein Kranz, von ihrer Hand gebunden,
Mit Freundlichkeit gereicht, ein Blümchen, eine Frucht,
Von ihrem schönen Aug' in goldnen Morgenstunden
Für ihn im Garten ausgesucht
Und noch versüßt durch einen dieser Küsse,
Die sie allein nur küssen kann,
Was braucht es mehr, damit der gute Mann
Zu Allem, was sie wünschen kann,
Sich dankbarlich verbunden halten müsse?
Der erste Wunsch, den wenig Tage drauf
Die schöne Vastola vom Stapel
Der Wünsche laufen ließ, flog in geradem Lauf
Zur stolzen Königsstadt Neapel.
Hier läßt sie sich als Erbin von Salern
Mit ihrem schönen Mann' in solchem Glanze sehen,
Daß selbst die Königin nicht gern,
Wo sie ist, sichtbar wird. Der Werth von ganz Salern
Schien im Juwelenbusch auf ihrem Hut zu wehen,
Und jeder Knopf an ihrem Kleide war
Der bare Preis von einem kleinen Leben.
Auch mußte sich Pervont, wiewohl sich jedes Haar
An ihm dagegen sträubt, zu gleicher Pracht verstehen.
Mit Gold bedeckt umrauscht sie, wo sie gehen,
Das Wimmeln einer Heeresschaar
Von großen, zierlichen und schmucken
Leibdienern aller Art, von Läufern und Heiducken.
Der prächtigste Palast, das schönste Gartenhaus
Zu Pausilipp war nicht für sie zu theuer;
An jedem Galatage, bei jeder Kirchenfeier
Sticht Vastola die andern Fürsten aus,
Ist ihr Gefolg das schimmerndste von allen,
Macht ihrer Wagen Glanz die Pracht der andern fallen,
Ist ihr Geschirr das reichste, und ihr Zug
Der schönste, aber gleichwohl beides
Für ihre Eitelkeit nie ungemein genug.
Ob Alles dieß den Zahn des Neides
Auf Vastola gewetzt, kann keine Frage seyn:
Auch wendete Pervont gar viel dagegen ein,
Sie stritten öfters sich selbst hinter den Gardinen;
Wiewohl sich leicht errathen läßt,
Daß Fehden dieser Art, wie hitzig sie auch schienen,
Der Dame Regiment nur zu befesten dienen.
Inzwischen nahte sich ein weltberühmtes Fest,
Der Hochzeittag des Doge von Venedig,
Der sich das Meer don Adria vermählt.
Natürlich wird sie hier noch eines Wunsches ledig.
"Es wird so viel von diesem Fest' erzählt:
Es nicht zu sehn, mein Schatz, in meinem ganzen Leben,
So lieb du mir auch bist, könnt' ich dir's nicht vergeben."
Was soll Pervonte thun? Um eine Kleinigkeit
Wie diese mit dem holden Weibe brechen?
Es geht nicht am! — "Befiehl, es ist die höchste Zeit,
Die Barke in die See zu stechen,
Die uns vor einem Jahr an Bajens Strand gebracht!
Sie segelt leicht und schnell und bringt noch diese Nacht
Dem Marcusplatz' uns gegenüber."
Pervont, wiewohl er zehnmal lieber
In sein Arkadien, wo ihm so wohl ist, sich
Mit ihr (zusammt dem prallen Schwanenbette,
Worauf er eben lag) zurück gewünschet hätte,
Fügt sich mit guter Art und wird auch dankbarlich,
Nach ihrem Brauch, dafür mit einem Kuß beseligt.
Die Barke wird sogleich befehligt.
Sie steigen ein, sie langen an.
Das Fest beginnt. Schon füllt mit ausgeschmückten Nachen
Sich der Canal, schon drängt sich Kahn an Kahn:
Da schwimmt, begrüßt aus hundert Feuerrachen,
In träger Majestät der Bucentaur heran;
Die Reihen trennen sich, dem Stolzen Raum zu machen,
Und fei'rlich-lustig wird die launenvolle Braut,
Die unbezähmbarste der Widerbellerinnen,
Dem alten Herrn im Horne angetraut.
Vor Wonne kommt der Pöbel fast von Sinnen,
Wiewohl man ihn bei diesem Hochzeitfest
(Wie überall) die Geiger zahlen läßt.
Prinzessin Vastola ergetzte sich nicht wenig
An diesem prächt'gen Possenspiel:
Doch, was dabei am besten ihr gefiel,
War, daß ihr Feenschiff an Form und Pracht der König
Der Gondeln, deren wimmelndes Gewühl
Das Meer verdeckt, und sie allein die Schöne
Des Festes schien; so unverwandt
Und gierig hielten stets Venetiens blonde Söhne
Die Augen nur auf sie gespannt.
Frau Vastola, Dank sey den unerschöpfbarn Feen,
Wird bald genug auch hier von Jedermann gekannt.
Venedig hatte, seit Sanct Marcus Thürme stehen,
Noch keine fremde Frau wie Vastola gesehen;
Noch keine, die so prächt'ge Assembleen
Und Bälle gab, das Gold für bloßen Kies
Zu achten schien, den hungrigen Harpyen
Von Brocantirern so freigebig sich erwies
Und mittelmäßige Copien
So theuer sich für echt verkaufen ließ.
Die Dame muß den Stein der Weisen haben,
(So dachte man) und gieriger als Raben
Fällt Alles zu und frißt so lang sich satt,
Als die Verschwenderin noch was zu geben hat.
Pervonten wird zuletzt dieß Leben unerträglich.
Oft denkt er, wie Horaz: O, wer bei magerm Kohl'
In seiner Hütte säß' und fühlte sich behäglich!
Frau Vastola bemerkt es nur zu wohl,
Daß ein Gewitter sich um seine Stirne ziehet,
Und eh die Wolke platzt und Blitze sprühet,
Wär's, däucht ihr, klüger, ihm den Antrag selbst zu thun.
Pervonte, (spricht sie einst und schlingt die runden Arme
Um seinen Nacken) auszuruhn
Von diesem langen Fastnachtsschwarme
Ist's hohe Zeit; ich fühl's so sehr, als du!
Komm', eilen wir der Freistatt wieder zu,
Wo wir, geheilt von diesem ew'gen Streben
Der Phantasie, uns selbst und unsrer Liebe leben.
Wo ist in diesem Augenblick'
Ein Mann so froh, wie er? Was gleicher seinem Glück'?
Er glaubt das holde Weib von allein eiteln Wesen
Auf immer aus dem Grund genesen.
Wie segnet er den löblichen Entschluß!
Wie dankbar drückt er sie an seinen Busen!
Komm, mein Pervont, spricht sie mit einem Kuß;
Die reine Landluft sey für uns, was Lethens Fluß
Den frommen Schatten! Dort, im Schoße stiller Musen,
Am Mutterbusen der Natur .
Und an dem deinen, mein Pervonte, soll in süßen,
Schuldlosen Freuden nun mein Leben, wie ein Bach
Durch stille Rosenbüsche, fließen!
Die Freude preßt ein wollustvolles Ach
Ihm aus der Brust, von ihrem schönen Munde
Zu hören, was er hört; und zu derselben Stunde
Trägt sie das Zauberschiff zurück nach ihrem Gut.
Sechs Tage machte nun der glückliche Pervonte
In seiner Vastola Gesellschaft gutes Blut;
Sechs Tage lang bleibt sie bei frohem Muth,
Sich selber gleich, empfindsam, sanft und gut;
Allein das war auch alles, was sie konnte!
Am siebenten fällt ihr auf einmal ein,
Sie habe — Gäste eingeladen.
Man kann doch, spricht sie, auch nicht stets in einem Hain
Zu lauter Nymphen, Oreaden
Und Schäfern eingeschlossen seyn!
Auch siehst du leicht, da mir so viele Ehre
Zu Napel und Venedig widerfuhr,
Daß es von mir nicht schön gewesen wäre,
Zu thun, als lebten wir auf unserm Gute nur
Für uns allein. Es mußte dich beschämen
Wie mich, mein Schatz, hätt' ich dem leisesten Verdacht',
Als wären wir zu karg, um Gäste aufzunehmen,
Bei unsern Freunden Raum gemacht.
Ich hab' indeß mit gutem Vorbedacht
Nur bloß die Wichtigsten gebeten,
Den Kern der schönen Welt an Alter, Geist und Rang.
Pervonte hört dieß Alles sehr betreten
Mit Achselzucken an, sein Kinn wird ellenlang,
Die Lippe bebt, schon fängt der Kamm sich an zu röthen;
Allein ein liebevoller Blick
Aus diesen Augen, die noch niemals fehl gebeten,
Bringt plötzlich zur Besinnung ihn zurück:
Ein Blick, so arglos, sanft und unbefangen,
Als wäre, was sie angestellt,
Das tadelloseste Benehmen von der Welt,
Was ist mit einem Weib wie dieses anzufangen?
Mein Kind, versetzt der arme Herr Gemahl,
Wenn du mich kennst, so weißt du, das Getümmel
Der großen Welt ist niemals meine Wahl:
Mit dir allein in diesem schönen Thal
Bin ich, sofern' ich dich zufrieden seh', im Himmel.
Du denkst in diesem Stücke nicht
Wie dein Pervont: du findest mehr Behagen
An höfischem Geräusch', und ihm ist's immer Pflicht,
Dir keinen Wunsch, den du gerecht nennst, abzuschlagen.
Der Dame scheint dieß Wort ein Stich;
Sie fühlt es wenigstens, und also glaubt sie, sich
Mit Ernst vertheidigen zu müssen.
Ihr halb erwachendes Gewissen
Will eingeschläfert seyn; kurz, Vastola beweist,
Sie habe Recht, mit so viel Witz und Geist,
Daß, sich mit ihr herum zu fechten,
Pervonten wenig edel däucht,
Und sie mit ihrem Haberechten,
Zu künft'gem Präjudiz' in ähnlichen Gefechten,
Was sie gesucht, im Wege Rechts erreicht.
Im Hauptwerk' übrigens (ein Punkt, worauf vielleicht
Pervonte Rücksicht nahm) war nichts dadurch verloren.
Denn kurz und gut, bevor die schönen Horen
Dem Sonnenwagen zwier die Pforten aufgethan,
Langt eine Ladung schon von feinen Herrn und Damen,
Die von Neapel her mit gutem Winde kamen,
In Vastola's prachtvollem Vorhof' an.
Das Leben, das nunmehr erfolgte, zu beschreiben,
Das würde mir und euch die Zeit gar schlecht vertreiben.
Genug, die Damen und die Herrn
Sind (wie uns Vastola sie angerühmt) der Kern
Der schönen Welt in Parthenope!,
Und hatten, Paar und Paar an Amors seidner Koppel,
Sich in geheim hierher bestellt,
Im Vollgenuß von allen guten Dingen
Bei Vastola den Sommer zuzubringen.
Natürlich hatten sie nicht dazu sich bestellt,
Um ihre edle Zeit sich thöricht zu betrügen.
Das Land war hier nur als Verzierung da,
Und auch nicht eine dieser Schönen
Schien nach der Grabschrift sich zu sehnen:
"Auch ich lebt' in Arkadia!"
Man will in diesen stillen Gründen
Die Stadt (die man aus langer Weile zwar
Verlassen hat) vollständig wieder finden.
Beim Auszug wähnte wohl die ganze hohe Schaar,
Die in der Stadt nicht länger zu gedeihen
Vermocht', unsäglich auf die Landluft sich zu freuen,
Die ihnen was ganz Neues war.
Die reine frische Luft, der Duft der Blüthenhaine;
Der Wiesen Schmelz, der Wälder grüne Nacht,
Der Nachtigallen Sang im stillen Mondenscheine,
Kurz, Alles das, wonach Guarini lüstern macht,
(Der diese Dinge uns so zauberisch ins Feine
Zu malen weiß) im lieblichsten Vereine,
Wer glaubte nicht, ins Feenland
Zu ziehn? — Allein das Alles fand
Sich in der Wirklichkeit ganz anders. Denn bei Tage
War Sonnenglanz der blöden Augen Plage,
Auch kränkt der Blumen Duft die ekeln Nasen sehr;
Daß Morgenthau an zarten Wangen nage,
Ist ausgemacht; der Brust ist Abendluft zu schwer,
Und, dem Triumph der Sonn' im Aufgang zuzusehen,
Wär's Noth, nach durchgewachter Nacht
Sechs Stunden früher aufzustehen,
Als man vom ersten Schlaf' erwacht.
Man fliegt demnach in Tag und Nacht
Die Freuden alle durch, auf die man sich gefreuet,
Und nun, wie billig, wird nicht weiter dran gedacht.
Das vor'ge Leben wird an ihrer Statt erneuet.
Hier träte nun der Fall der alten Seelenpein,
Der Langweil', augenscheinlich ein:
Allein dafür weiß Vastola zu sorgen.
Den armen Feen wird vom Morgen
Zur Mitternacht, von Mitternacht zum Morgen
Nicht eine Stunde Ruh vergönnt.
Die Stadt hat nichts, was man Vergnügen nennt,
Das nicht bei Vastola sich besser wieder fände;
Theater und Concert, Ballet und Opera,
Was Aug' und Ohr von einem Ende
Der Welt zum andern je kurzweiligs hört' und sah,
Mit einem Wunsch' ist Alles da!
Und bis zur Sättigung der Gäste
Folgt Spiel auf Spiele, Fest auf Feste.
Auch hielten sie den ew'gen Sinnenschmaus,
Der Feenkunst zu Trotz, nicht in die Länge aus,
Thät Amor nicht dabei das Beste.
Pervont, an dem von seinem ersten Stand
Noch manche Ueberbleibsel kleben,
Und welcher, als er um Verstand
Zu bitten sich gemüssigt fand,
Die Feen bat, vom besten ihm zu geben,
Pervonte, der Natur getreu,
Fand diese Art, sich selbst zu überfüllen
Und in dem buntsten Einerlei
Von Sinnenrausch den Geist herum zu drillen,
So lästig, daß er sich dem alten Sisyphus
Den Felsen, den er schon so lange wälzen muß,
Für diese ganze Zeit viel lieber abzunehmen
Entschlossen hätte, als zum tödtlichen Verdruß
Der Rolle, die sein Weib um einen schalen Kuß
Ihn spielen macht, sich länger zu bequemen.
Er zieht allmählich sich mit guter Art zurück,
Gewiß, man werde sich nicht mächtig nach ihm sehnen,
Sein platter Ernst, sein finstrer Blick,
Der Zwang, den Herrn und Fraun nicht ins Gesicht zu
                       gähnen,
Kurz, Alles, was ihn lächerlich
In ihren Augen macht und ihrer Lust gefährlich,
Macht seine Gegenwart für Alle sehr entbehrlich,
Noch eh der zwölfte Tag verstrich:
Zumal nachdem, getäuscht von seinem Aeußerlichen,
Zwei Damen oder drei (sich schwesterlich in ihn
Zu theilen, in Geheim verglichen)
Den Gimpel in ihr Garn zu ziehn
Vergebens Mühe sich gegeben;
Ein Unfall, der in ihrem Leben
Zum ersten Mal sie traf, uno den ein hübscher Mann
Durch schnelle Flucht allein vergüten kann.
Selbst seine Vastola scheint ihn mit höflich kalten
Formalitäten mehr zu scheuchen als zu halten;
Im Grunde hielt sie ihn aus bloßer Weiberlist.
Denn leider! können wir euch länger nicht verhalten,
Daß es ganz richtig nicht mit ihrem Herzen ist.
Daß Sympathie sie mit Pervonten nicht verbunden,
Habt ihr schon ohne uns vermuthlich ausgefunden;
Daß sie dem wundervollen Mann',
In welchen durch der Feen Gunst Pervonte
Verwandelt ward, sich nicht versagen konnte,
Begreift sich: doch, daß dann und wann
Der gute Hausverstand, womit besagte Feen
Auf sein Begehren ihn versehen,
Ihr lästig fiel, ist auch nicht zweifelhaft.
Zwar liebt' er sie mit einer Leidenschaft,
Die ziemlich nah' an Schwäche gränzte;
Und gleichwohl hieß er ihr nicht selten grillenhaft;
Auch war es nicht der Witz, wodurch Pervonte glänzte.
Was Wunder denn, wenn ihre Neigung sich
In Jahr und Tag ein wenig abgemattet
Befand, und ein Adon in ihre Gunst sich schlich,
Dem ihr Gemahl an jedem Vorzug wich,
Worin sich Witz und feiner Weltsinn gattet;
Ein junger Mann, der die Verführungskunst
Seit manchem Frühling schon zu seinem einz'gen Fache
Gemacht, die Liebe nicht als eine Herzenssache,
Sie bloß als Spiel der Phantasie,
Als Sache des Geschmacks und einverstandner Sinne
Behandelt und — zwar immer spät und früh
Darauf bedacht, wie er ihr Herz gewinne —
Stets ohne Anspruch scheint, sich nie
Zur Unzeit aufdringt, nie im Styl der hohen Minne
Von seiner Liebe spricht, kurz, sie wie eine Spinne
So fein umwebt und an sich zieht,
Daß sie, indem sie nur zu scherzen
Vermeint, sich unvermerkt mit überraschtem Herzen
In — seinem Arm gefangen sieht,
War's ihre Schuld, daß unter den Adonen,
Die ihr Neapel zugesandt,
Zum Unglück sich ein solcher Mann befand?
Und daß sie schon acht Tag' in Freiheit auf dem Land
Stets unter einem Dache wohnen?
Daß täglich sich ein neuer Zug entdeckt,
Der die Befreundung ihrer Seelen
Bestätigt; jeden Tag ein Reiz, der noch versteckt
Geblieben war, sich zeigt, daß Niemand im Erzählen
Ihn übertrifft, daß Niemand keiner lacht,
Als Signor Claudio, noch schöner tanzt und singet,
Gewandter reitet, höher springet,
Die Cither besser spielt und schneller Verse macht?
Wo lebte wohl vom Arno bis zur Brente
Die Vastola, die solchem Uebermaß
Gefälliger und reizender Talente
Acht Tage widerstehen könnte?
Die unsrige, die selbst nicht wenige besaß,
Fand desto leichter durch die seinen sich gewonnen.
Von Allem diesem wurde zwar
Vor lauter Ehrlichkeit Pervonte nichts gewahr,
Doch sind die Vastolen zuweilen unbesonnen;
Und wirklich ist es hohe Zeit,
Daß eine Reis' in dringenden Geschäften
Von seinen Augen sie befreit,
Seitdem, so oft sie sich lang' auf die ihren heften,
Sie zeugen ihrer Schuld darin zu sehn sich scheut.
Pervont ist nun entfernt und hat den Scherzen, Freuden
Und Liebesgöttern Platz gemacht,
In voller Freiheit sich zu letzen und zu weiden.
Auf jeden schönen Tag folgt eine schöne Nacht.
Vergnügen wechselt mit Vergnügen,
Genuß wird von Genuß gepreßt,
Und Amor, der hier Niemand seufzen läßt,
Belustigt sich mit leichten Siegen.
Er ruft auch unsern Mann zu Vastola zurück.
Allein ihr kalter Gruß schlägt gleich beim ersten Blick'
Ihm alle Lebensgeister nieder.
Er sieht in ihm den Urlaub, schnurstracks wieder
Zu gehen, sieht, indem er um sich schaut,
Sein Mißgeschick an jeder Stirn geschrieben,
Und das Gefühl, das ihn von Hause weggetrieben,
Treibt ihn beinah' aus seiner Haut.
Man hatte seiner sich so bald noch nicht versehen,
Sein Anblick stört der Gäste frohen Muth;
Indeß, da er zum Schatz der guten Feen
Den Schlüssel hat, so ist er doch zu etwas gut.
Es gänzlich mit ihm zu verderben,
Wär' unklug. Vastola läßt also sich herab,
Beim ersten Anlaß, der sich gab,
Durch einen süßen Kuß um seine Gunst zu werden;
Durch einen Kuß, den für die halbe Welt,
Gäb' ihn das Herz, er nicht zu theuer hält.
"Mein Schatz, spricht sie zu ihm, ich bin, wie du, der Feste
Von Herzen satt; der Landluft nur allein
Werd' ich, wie du, nie überdrüssig seyn.
Es ladet einer unsrer Gäste
Uns nach Sorrent zum Traubenlesen ein:
Meinst du nicht auch, es wär' an uns nicht fein,
Ihm diese Freude zu versagen?
Ich mache dann in den Novembertagen
Von da wohl einen kleinen Flug
Nach Rom, vielleicht auch nach Venedig
Aufs Carneval. — Nur ist nicht Gold genug
In meinem kleinen Schatz zu einem solchen Zug.
Noch einen Wunsch, mein Kind, so bist du meiner ledig
Ein mäßig Beutelchen, das von Zechinen schwillt
Und, wenn es leer ist, stets von selbst sich wieder füllt.
Mir würd' ein großer Dienst durch diesen Wunsch geschehen,
Mir, der nichts ärgern Ueberdruß
Als rechnen macht; und was verschlüg's den Feen?"
Von Herzen gern, versetzt, indem er sie umarmt,
Pervont mit nassem Blick': ich hoffe, meine Feen
(Wiewohl wir sie, die Wahrheit zu gestehen,
Nicht sehr geschont) sind noch nicht so verarmt,
Mir diesen letzten Wunsch für dich nicht nachzusehen.
Kaum spricht Pervont ihn aus, so ist er schon erfüllt.
Der goldgewirkte Beutel schwillt
Von lauter wichtigen Zechinen
Und schrumpft, wie oft und ernstlich ihnen
Auch zugesprochen wird, doch niemals wieder ein.
Die Reisezeit bricht nun herein.
Pervonte sieht mit ziemlich schiefen Mienen
Der Anstalt zu und rührt euch keinen Finger nicht.
Ich sehe wohl, mein Bester, spricht
Frau Vastola mit halb verbiss'nem Lachen,
Du hast nicht große Lust, die Reise mitzumachen;
Ich hätte dich zwar gern dabei,
Allein von Pflichten spricht mein Herz dich immer frei;
Ersetze dich nach deiner eignen Weise,
Mein Schatz, und bleibe (raunt sie leise
Mit Lächeln ihm ins Ohr) und bleibe mir getreu!
Adieu, Madame! Glück auf die Reise!
Erwiedert ihr Pervont, eilt in sein Kämmerlein
Und schiebt den Riegel vor — Ihr denkt vielleicht, den
                       Kragen
Sich abzuschneiden — aber, nein!
Er geht — dem Himmel Dank zu sagen;
Und kaum ist Vastola mit sechs gestopften Wagen
Und ihrem Sack voll Feengold
Im großen Trott zum Thor' hinausgerollt,
So wirft sich, ohn' ihr nachzusehen,
Der Mann auf beide Kniee hin
Und spricht aus voller Brust: Hört mich, ihr gute Feen,
An denen ich, trotz meinem bessern Sinn,
So oft durch Wünschen mich vergangen,
Hört meinen letzten Wunsch! Nehmt Alles wieder hin,
Was ich von eurer Huld empfangen,
Und setzt in diesem Augenblick
Mich in den Stand, worin ich war, zurück,
Als ich zu wünschen angefangen!
Kaum hat er diesen Wunsch gethan,
So fängt das Schloß zu beben an;
Es blitzt und kracht, und vor ihm stehen
Die nämlichen drei schönen Feen,
Die für sein freundliches Bemühn
Die Wünschelgabe ihm verliehn.
"Du sollst, was du begehrest, haben,
Spricht ihn der Feen eine an,
Es ist die beste unsrer Gaben,
Und du verdienst, sie zu empfahn!
Nur den Verstand, den du gehörig zu verwalten
Gelernt hast, sollst du, uns zu Ehren, noch behalten!"
Und mit den Feen sieht er Haus
Und Hof und Gärten, Buchen, Linden
Und Meierei und Dorf verschwinden;
Er sieht in blaches Feld hinaus,
Und — die Komödie ist aus.
Auf einmal steht er in der Mitte
Der alten mütterlichen Hütte,
Sieht wieder fast so plump und kraus
Wie an demselben Morgen aus,
Da scheltend, einer Wurst zu Lieb,
Die Mutter nach der Stadt ihn trieb.
Er findet sie an ihrem Rocken.
Vor Wunder will das Blut ihr stocken.
Ihm däucht, was ihm in Jahresfrist
Und drüber widerfahren ist,
Ein langer wunderlicher Traum,
Und er besinnt sich dessen kaum.
Ich hatt' es, spricht er, von den Feen;
Ich wünschte nur, so war's geschehen.
Auch wünscht' ich Euch, zum Zeitvertreib
Von einem launenvollen Weib,
Den Tag lang, Gott verzeih mir's! viel
Gar tolles Zeug; ein Schattenspiel
Von kunterbunten Siebensachen,
Ihr müßtet krank Euch drüber lachen!
Genug, ich wünschte mich zuletzt,
So wie ich bin, zu Euch versetzt
Und hoff', es nun nicht schlimm zu machen;
Ich bring' Euch aus dem Feenland
Gesunden derben Hausverstand,
Nothfeste Schultern, tücht'ge Hände,
Und mit dem Wünschen hat's ein Ende.
————

"Gut! Aber noch ist Jemand da,
Von dessen Schicksal wir was Näheres zu wissen
Berechtigt sind. Die arme Vastola
Wird, da sie sich's am wenigsten versah,
Pervontes letzten Wunsch zu grausam büßen müssen!
Denn, daß sie, seit die guten Feen
Die andern Wünsche ungeschehen
Gemacht, beim ersten Pferdewechsel,
Wie sie den Beutel zog, nur Häcksel
Statt funkelnder Ducaten fand,
Das gibt schon Jedem sein Verstand.
Ihr prächt'ges Reisekleid sogar,
Ja Alles, bis aufs Hemde, war
(So wie Pervontens ganze Habe)
Bekanntlich bloße Feengabe
Und fiel demnach dem armen Weib'
Auf einmal wie versengt vom Leib." —
Doch, sorget nicht, so weit soll's niemals mit ihr kommen!
Wir haben ihr mit gutem Vorbedacht
Schon einen Rückenhalt an Claudio gemacht;
Der hätt' auf allen Fall sich ihrer angenommen.
Allein sie braucht auch diesen Schüler nicht.
Denn, kurz, (um euch nicht aufzuhalten)
Sobald der Feenzauber bricht,
So stellt sich Alles in den alten
Naturstand her, und Vastola
Ist, was sie war, bevor der Possen
Ihr durch Pervontens Wunsch geschah;
Sieht sich, vom vor'gen Glanz' umflossen,
Umringt von Damen und von Herrn,
Die Zier des Hofes zu Salern;
Ist ihres Vaters Liebling wieder,
Ist wieder oder gilt für eine reine Magd,
So gut als eh' ihr klaffend Mieder
Verletzter Zucht sie angeklagt;
Die Zwillingstöchter fliegen wieder
Zurück ins luft'ge Feenland;
Kurz, Alles setzet sich in seinen alten Stand.
Nur hielten es die Feen, die so willig
Ein volles Jahr des Fräuleins Uebermuth
Gefröhnt, zu ihrer Besserung für gut
Und wenigstens zur Züchtigung für billig,
Von jenem Glück, womit ihr Leichtsinn solch ein Spiel
Getrieben, ihr gerade noch so viel
Erinnerung und Nachgefühl zu lassen,
Als nöthig war, sich selbst dafür zu hassen,
Daß sie aus eigner Schuld verlor,
Was Fürstenstand und Hof ihr nicht ersetzen können.
Stets schwebt ihr, mitten in dem ew'gen Ringelrennen
Nach wesenloser Lust, das schöne Traumbild vor,
Wovon die Farben nie ermatten;
In ihrem größten Glanz, beim üppigsten Genuß
Der Welt, dem Zwang und Ueberdruß
In kurzer Zeit den Reiz genommen hatten,
Scheint sie sich selber oft ein abgeschiedner Schatten
Und ruft mit Wehmuth aus: Du arme Vastola,
Auch du warst in Arkadia!
—————

Der Vogelsang

oder

die drei Lehren.

Vor ungefähr fünfhundert Jahren
Und drüber lebt' in meinem Schwabenland'
Ein reicher Erdensohn, von Namen unbekannt
(Weil seine Ahnen stets geheim geblieben waren)
Und drum kurzweg der reiche Hans genannt.
Von Gottes Gnaden hatte der
Ein schönes Schloß, das Bessern einst als er
Zum Aufenthalt gedient — man weiß nicht wie, gewonnen;
Wie nun einmal in dieser Unterwelt
Nichts lange seinen Herrn behält,
Und, was ein braver Mann begonnen,
Durch einen schlechten wieder fällt;
Genug, Hans hatt' es nun gewonnen,
Das schönste Schloß, das von der lieben Sonnen
Je angeschienen ward, seitdem
Es Schlösser gibt. Es lag gar wunderangenehm,
Gebaut von schönen Quadersteinen,
Geräumig, stattlich und bequem;
Von ferne konnt's das schönste Kloster scheinen.
Ich sage nichts von all dem seinen
Geräthe drin, den langen Reihn
Von Sälen, Zimmern, groß und klein,
Und wie das ringsum Alles schimmert
Und widerscheint und blitzt und flimmert
Von Silber, Gold und edelm Stein;
Nichts von den Kellern voller Wein,
Von weißen, purpurnen und gelben,
Aus Wälschland, Frankreich und vom Rhein,
Noch von den Kammern und Gewölben,
Bis oben an mit Allein voll,
Was, nach dem alten Spruch', ein Weiser
Gern' haben, leicht entbehren soll.
Ein Wort für tausend, selbst der Kaiser
Zu Wien in seinem alten Schloß
(Geleit' ihn Gott auf seinen Reisen!)
Hat kaum mehr Reichthum aufzuweisen,
Als Hans in seiner Burg verschloß.
Wie er's handhabte und genoß,
Das wird sich in der Folge weisen.
Und eine schöne Treppe ging
Vom Schloss' herab in einen Garten,
Der hundert Morgen wohl umfing.
Den wie ein Gärtner zu beschreiben,
Damit geschäh' euch, wie ich weiß,
Kein großer Dienst; drum lass' ich's bleiben:
Genug, es war ein Paradeis.
Alles, was Aug' und Gaum und Nase
Gelüsten kann, das fand man hier,
Nicht blos im Treibhaus' hinter Glase
Frei stand es da im frischen Grase,
Und blüht' und reifte für und für.
Auch war in diesem Blumenreich
Die Luft so heilsam, rein und weich,
Daß Leute, die zum Sterben lagen,
Auf ihrem Bette hierher getragen
Und unter Bäume auf den Rasen
Gelegt, in einer Nacht genasen.
Es geht doch, sagt mir, was ihr wollt,
Nichts über Wald- und Gartenleben
Und schlürfen ein dein trinkbar Gold,
O Morgensonn', und sorglos schweben
Daher im frischen Blumenduft'
Und, mit dem sanften Weben
Der freien Luft,
Als wie aus tausend offnen Sinnen
Dich in sich ziehn, Natur, und ganz in dir zerrinnen!
— — — —

Wo war ich? — Gutes Volk, verzeiht!
Ich ließ euch doch nicht lange warten?
Der Abweg ist zum Glück nicht weit;
Wir sind ja noch in Hansens Garten.
Der war nun, wie gesagt, ein zweites Paradeis;
Und mitten drinnen stand ein siebenfacher Kreis
Von alten himmelhohen Linden,
Die ihre Aeste wechselsweis
So vielfach in einander winden,
So dicht, daß ihre grüne Nacht
Den hellen Tag zur Dämmrung macht.
Im engsten Kreise zog ein Kranz von Rosenhecken
Sich her um einen vollen Ouell,
Der, kalt wie Eis und spiegelhell,
Sein perlend Wasser in ein Becken
Von grünem Marmor goß. Des Sommers strengste Glut,
Der schärfste Strahl der schwülen Mittagsstunde,
Erlosch in diesem kühlen Grunde;
Ein lieblich scharfer Geist erfrischet hier das Blut,
Frischt Laub und Gras und nährt mit ew'ger Fülle
Den immer grünen Hain; und wie in seine Stille
Ein Denker tritt, so freut er sich, allein,
Und ist's ein Liebender, so wünscht er, zwei zu seyn.
Nun merket auf! — Ein Vögelein
Kam jeden Abend, jeden Morgen
Und füllte diesen Ort mit lieblichem Gesang'.
Es sang in dichtem Laub verborgen,
Und aller Vögel Sang und Klang
Verstummte flugs, sobald es sang.
Der Vogel schien, so anzusehen,
An Federn ein gemeiner Spatz
Und kleiner noch: doch, zum Ersatz
Für beides, hatten ihn die Feen
Begabt, zu singen frank und froh
Ballade, Virelay, Rondeau
Und tausend schöne Melodeien,
Die einem Leib und Seel' erfreuen.
Da war kein Schmerz noch Gram so groß,
Der nicht in seinem Sang zerfloß;
Ihn singen hören oder trinken
Aus Lethe's Flut, war einerlei.
Sang er von Liebe, (zumal im Mai)
So war's unmöglich, nicht zu sinken
In wonnigliche Träumerei;
Und sang er Freud' im bunten Kranz,
Gleich hob sich jeder Fuß zum Tanz';
Und wenn er Ritterthaten sang,
Ward einem stracks nach Kämpfen bang.
Der Vogel hatte noch was Sonderlichs an sich;
Denn, wie er von dem Garten wich,
Fiel alles Laub, die schönen Bäume
Verdorrten um die Quelle her,
Die schöne Quelle sprang nicht mehr,
Und jede Blum' erstarb im Keime;
Das ganze Paradeis verschwand,
Nichts blieb als Fels und dürrer Sand,
Hans, dem dieß Alles zugehörte,
Kam täglich einmal, zweimal auch,
Gewackelt in den Hain, und hörte
Dem Vogel zu. Das war sein Brauch,
Sobald er Morgens aus dem Bette
Gestiegen war und kurz vor Licht;
Doch, daß er was empfunden hätte,
Das war nun seine Sache nicht.
Denn essen und trinken zum Zerplatzen
Und schlafen und im — Kopfe kratzen
und täglichstags sein Porcellan
Und seine goldnen Becher wischen
Und mit dem Amtmann' und Caplan
Die Dame ziehn und Karten mischen,
Auch dann und wann in Wintertagen
Ein Häschen durch die Saaten jagen
Und slacken auf dem Ruhebett'
Und. wenn ihm Alles sonst will fehlen,
Sich schließen in sein Cabinet
Und seine Rosenobel zählen —
Dieß Hansens Thun und Lassen war
Zwölf Monat lang in jedem Jahr'.
Einst stand der lappichte Geselle
Und wusch die Augen aus der Quelle;
Da wirbelt aus dem Laub hervor
Dieß Liedchen in sein dickes Ohr:
"Ihr Ritter und ihr Frauen zart,
So roth von Mund und Wang',
Und junge Knappen edler Art,
Horcht alle meinem Sang!
Seyd eurem Liebchen treu und hold;
Und dient ihr um der Minne Sold,
So sey's auf lebenslang!
"Dem Mann, der ohne Liebe bleibt,
Und doch vor innerm Drang
Sich rastlos hin und wieder treibt,
Ist's in der Haut so bang'!
Ist Alles ihm so kalt, so todt!
Er ist wie Wangen ohne Noth
Und Geigen ohne Klang.
"Doch Liebe sonder Ehre wär'
Ein Feuer ohne Glanz,
Ein Sommerwölkchen, bunt und leer,
Ein welker Blumenkranz.
Ein Biederherz ist wahr und frei,
Und wenn es liebt, so liebt es treu
Und gibt sich rein und ganz.
"Was hebt uns bis zum Götterrang?
Das thut die Liebe, traun!
Drum horchet alle meinem Sang',
Ihr Ritter und ihr Fraun!
Wollt ihr den echten Minnesold,
Seyd eurem Liebchen treu und hold
Und liebt auf lebenslang!"
Hans, der nicht fern' am Brunnen stand,
Horcht nach dem Sänger unverwandt;
Denkt bei sich selbst: Potz Stern, das wäre
Ein Tausch! Der König, wie ich höre,
Liebt die Musik; er gäbe mir,
Wenn ich den Vogel ihm verehre,
Wohl einen Meierhof dafür!
Zwar singt er hübsch; allein, was schere
Ich mich um seine Dudelei?
Kommt doch zuletzt nichts 'raus dabei!
Der Vogel hörte Wort für Wort,
Was jener mit sich selbst gesprochen,
Und sang aus voller Kehle:
"O du holder Ort,
Was so Arges hast du wohl verbrochen,
Daß du einem dienst, der deinen Werth nicht fühlt,
Der, solang' er lebt, nie in den Ring gestochen,
Nie des Ruhmes, nie der Liebe Preis erhielt?
Fallt, ihr schönen Erker, Thurme, Hallen,
Und ihr grüne dichte Bäume, laßt es fallen,
Euer Laub! und du, die zwischen Blumen spielt,
Kühle Quelle, höre auf zu wallen
Und vertrockne, daß dieß Immergrün
Sterb', und alle Blumen stracks verblühn!
Unter euren Schatten, hohe Linden,
Gingen wackre Ritter einst und edle Herrn,
Und aus euch, ihr Rosen, Kränze binden
Sah ich Frauen, schöner als der Morgenstern!
Und sie hörten meine Lieder gern;
Denn sie hatten Lieb' im Herzen! desto lieber
War ich ihnen und mein Liederspiel,
Und vor wonniglichem pressendem Gefühl
Gingen manche klare Aeuglein über;
Und der liederwerthen Thaten wurden viel,
Viel gethan, und mancher Dank erstritten,
Und sie lohnten deß der Lieb' und mir;
Denn noch wohnten adelige Sitten,
Ritterschaft, Gesang und Minne hier.
Und es sollte nun mich nicht verdrießen,
Daß mich so ein Schuft besitzen soll?
Der dieß Alles hat und vom Genießen
Nichts versteht — ein roher, grober Knoll,
Der sich selbst nur lebt und seinen Lüsten,
Nichts begehrt, als ewig Bauch und Kisten
Anzufüllen, fühllos bei Gesange bleibt
Und die Zeit dabei mit Gähnen sich vertreibt!"
So sang das Vögelein und flog davon.
Gut, schimpfe nur, du kleiner Hurensohn,
(Denkt Hans) du sollst mir jedes Wort bezahlen,
Und mit Provision!
Als nun der Abend kam, kam mit den letzten Strahlen
Auch, wie gewohnt, mein Vögelein
Zurück in seinen lieben Hain,
Sein frohes Abendlied zu singen.
Indessen hatte Hans die Linde und den Ast,
Wo es zu sitzen pflag, sehr wohl in's Aug gefaßt
Und überall so viel geheime Schlingen
Im Laub versteckt, daß sich das arme Ding,
Sowie's geflogen kam, in einer Schleife fing.
Der Schalk, von einer grünen Mauer
Verborgen, eilt herzu, sobald er's zappeln hört,
Macht den Gefangnen los, der tausend Kronen werth
Ihm unter Brüdern däucht, und steckt ihn in ein'n Bauer.
Der Sänger spricht: Ich seh' es schon,
So wie der Herr, so auch der Lohn.
Das hab' ich nun für all mein Singen!
Doch, dürft' ich's sagen, wohlgethan
War's eben nicht, mich so zu fahn;
Es wird Euch wenig Rosen bringen.
"Du sollst nur desto baß mir singen!
Sonst sangst du oder schwiegst auch still:
Jetzt sollst du singen, wann ich will."
Da (sprach der Vogel) irrt Er sich!
Der Käfig ist mir stark zuwider.
Ich liebe freien Himmel, ich,
Und Wald und Wiesen; setze mich,
Wo mir's beliebt im Grünen nieder
Und wiege mich nach Herzenslust
Auf meinem Ast'; und, sing' ich Lieder,
So sing' ich sie aus freier Brust.
Drum, lieber Herr, seyd nun so bieder
Und schenkt mir meine Freiheit wieder:
Denn, glaubt mir, da geht nichts davon,
Im Bauer sing' ich keinen Ton.
"Dem (spricht der Laur) ist bald gerathen;
So dreh' ich dir den Hals, mein Sohn,
Und esse dich für einen Braten."
O Herr, das lohnte wahrlich nicht
Die Mühe, nur den Tisch zu decken;
Bin gar ein kleiner magrer Wicht,
Ich blieb' Euch zwischen den Zähnen stecken,
Bis in den Magen käm' ich nicht.
Mein guter Junker, laßt mich leben!
Was hättet Ihr von meinem Tod'?
Euch kann er wenig Vortheil geben,
Und mir ist länger leben noth.
Am End' ist doch nichts über leben!
"Hör' auf zu bitten, sag' ich dir;
Mit Bitten kriegt man nichts von mir."
Nun (spricht der Vogel) seh' ich wohl,
Das alte Sprichwort ist nicht hohl:
Mit groben Leuten höflich seyn,
Heißt Wasser gießen auf einen Stein;
Der Stein wird nicht durch Wasser weich,
Der Laur nicht mild durch Höflichkeit.
Doch sagt ein andrer Spruch zugleich:
Der Weise schickt sich in die Zeit.
Drum, Lieber, macht den Bauer auf
Und laßt mir wieder meinen Lauf:
Will euch zum Dank drei Dinge lehren,
Die nie ein Mann von eurem Stamm
Gewußt, von Sinn gar wundersam;
Die sollen Euch groß Gut gewähren!
"Was gibst du mir zum Unterpfand?"
Mein Ehrenwort, versetzt der Sänger;
Es gilt für bar im ganzen Land.
Wohl, denkt der schlaue Vogelfänger,
Es kann doch was dahinter seyn;
Ich nehm' es mit, kann Alles brauchen:
Und du, hochweises Vögelein,
Sollst dir die Füßchen bald verstauchen;
Bis morgen bist du wieder mein!
Somit schiebt er den Bauer auf
Und läßt dem Vogel seinen Lauf.
Der schnurrt heraus aus seiner Höhle,
So froh wie eine arme Seele,
Die aus des Fegfeurs Flammennacht
Ein frommer Klausner frei gemacht.
Er hüpft und tanzt im Kreis' umher,
Als ob er neu geboren wär,
Setzt dann, indeß der Junker paßt,
Sich wohlgemuth auf einen Ast.
Nun spitz' die Ohren, edler Knecht!
Merk jedes Wort und fass' es recht,
So wird dir's bringen viel Gewinn,
Es liegt darin ein großer Sinn!
Glaub nicht gleich Alles, was du hörst!
"Daß du dem Geier im Schnabel wärst!
Versetzt der Junker grimmiglich;
Das wußt' ich lange ohne dich!"
Gut, bis du's brauchst, halt's warm indessen!
So etwas ist gar leicht vergessen.
"Nun seh' ich wohl, mein saubrer Gast,
Daß du mich nur zum Besten hast.
Das Erste, was du mich gelehrt,
Ist keinen rothen Heller werth!
Du hast den Lohn umsonst genommen.
Doch sey's! laß nur das Andre kommen!"
Merk wohl aufs Wort, (der Vogel spricht)
Du wirst es brauchen! — Weine nicht
Um etwas, das du nicht gehabt!
Hans schreit: "Da haben wir's ertappt!
Ein fein Arcanum, Gott verdamm' es!
Daß ich der erste meines Stammes
Seyn sollte, der von dir das noch
Erst lernen müßte! Hätt' ich doch
Den Schelmenhals dir umgedreht!"
Der Wunsch (spricht jener) kommt zu spät.
Indessen, daß du sehen magst,
Wie ungerecht du mich verklagst,
Sey nochmals beides dir empfohlen!
Soll ich dir's etwa wiederholen?
Von Herzen gern! —
"Du mußt mich wohl,
(Schreit Hans) um so mit mir zu walten,
Für einen großen Esel halten!
Denn, hätt' ich auch ein Haupt von Kohl,
Mit Spreu gefüllt, so kahler Lehren,
Zum Henker! könnt' ich doch entbehren.
Doch, weil du nun im Vortheil bist,
Lass' immer noch das Letzte hören!
Wer weiß, ob's nicht das Beste ist?"
Das, spricht der Vogel, könnte seyn.
Nur fass' es wohl! — Es gleicht dem Stein
Der Weisen. Wer den machen kann,
Der wird gewiß kein armer Mann!
Merk' auf mit Fleiß! wiewohl es heut
Zu spät kommt, kann's zu andrer Zeit
Dir viel vergebliche Reu' ersparen,
Narr, was du in den Händen hast,
Halt fest und lass' es nimmer fahren!
Wie Hans dieß hört, ergrimmt er fast.
So, schreit er, hältst du dein Versprechen?
O! könnt' ich dir die Beine brechen!
Ist dieß dein Wort? ist dieß mein Dank?"
Nun, guter Freund, was soll der Zank?
Gab ich dir nicht drei goldne Lehren?
Was kannst du wohl noch mehr begehren?
"Ein fein Geschenk, bei meiner Treu!
Man dächte, was dahinter sey!
Ich wußt' in meinen Kindertagen
Dergleichen schockweis' aufzusagen."
So gut als irgend eine Gans,
Versetzt der Vogel. Mein guter Hans,
Die Augen aus dem Kopf gegeben
Mit Freuden hättest lieber du
Und beide Ohren noch dazu,
(Wärst du gescheidt) als mir das Leben.
"Wie so? wie so? Was hätte mir's
Geholfen, dich zum Koch zu tragen?"
Gar viel geholfen hätte dir's,
Unglücklicher! In meinem Magen
Hättst du gefunden einen Stein,
Drei Unzen schwer und hell an Schein
Wie Diamant, der auf der Stätte
Zum reichsten Mann gemacht dich hätte.
Denn, wer den Stein besitzt, der weiß,
Was künftig ist, und was vergangen;
Die Geister kommen auf sein Geheiß;
Er darf nur wünschen, nur verlangen,
So steht es da, ist Alles sein!
Dein guter Engel gab dir ein
Mich heute noch am Spieß zu braten;
Hättst du gefolgt, der Stein war dein!
Doch einem Narrn ist nicht zu rathen.
Hans, wie er diese Nachricht hört,
Sich wüthend in die Haare fährt,
Schlägt mit der Faust sich vor den Magen,
Zerreißt sein Wamms und seinen Kragen
Von Spitzen, hundert Thaler werth,
Und füllt den Wald mit lauten Klagen.
Der Vogel sieht in großer Ruh
Dem Spuk von seinem Baume zu;
Sagt nicht ein Wort, bis Mantel, Kragen
Und Wamms und Wange, Bart und Haar
Sich Hans zerfetzt hat ganz und gar.
Drauf ruft er: Narr, hör' auf zu zagen;
Der Schade darf dich so nicht plagen;
Es ist kein Wort von Allem wahr,
Was ich vom Stein dir vorgetragen.
"Wie? was? So wär's nur Lug und Trug?"
Du sagtest ja, du seyst so klug,
Man könne dir nichts Neues sagen?
Du wissest Alles schon vorher?
Als du mich fingst, du dummer Bär,
Da war ich keine Unze schwer;
Wo käme denn in meinem Magen
Ein Kiesel von drei Unzen her?
"Nun seh' ich's freilich nur zu sehr,
Erwiedert Hans mit nassem Blicke;
Wer aber hätt' auch solche Tücke
Dir zugetraut?"
Begreifst du nun,
Wie Narren sich selber Schaden thun?
Thor! Worte sind nur leere Schalen;
Der Sinn ist Alles, der Sinn, der Sinn!
Allein für dich ist keiner drin!
Die Lehre magst du nun bezahlen!
Du wußtest Alles längst zuvor —
Was half dein Wissen? Pinsel, Thor!
Hättst du verstanden es auszuüben,
Dein Kragen und Wamms wär ganz geblieben!
So merk nun meine Lehren dir
Und sieh dich künftig besser für.
Sie kommen dir hoch genug zu stehen!
Hiermit leb wohl, auf Wiedersehen!
Der Vogel flog davon und soll
Noch wieder kommen. Dumm und toll
Steht Hans; ihm ist, als ob ihm träume:
Und, wie er steht, o, wundervoll!
Fällt alles Laub, die schönen Bäume
Verdorren plötzlich rings umher.
Die schöne Quelle springt nicht mehr,
Die Blumen sterben all' im Keime,
Weg ist das ganze Feenland,
Und ihm bleibt nichts als dürrer Sand.
—————

Hann und Gulpenheh

oder

zu viel gesagt ist nichts gesagt.

Eine morgenländische Erzählung.
Es war einmal zu Samarkand
Ein junger Schneider, Hann genannt:
Der hat ein' feines junges Weib
Sich zugelegt für seinen Leib;
Die liebt' er wie sein Augenpaar;
Denkt, weil sie schwarz von Augen war
Und schlanker als ein Lilienstängel
Und hatte langes seidnes Haar
Und glatte rosenrothe Wängel
Und überdieß kaum zwanzig Jahr,
Sein Weibchen sey ein ganzer Engel.
"Das ist nun — was man heißen kann
Gedacht — als wie ein junger Schneider,"
Ruft mancher hier; denkt nicht daran,
Daß es Minuten gibt, wo, leider!
Ein Salomon mit aller seiner List
Nicht weiser als ein junger Schneider ist.
In einem solchen Augenblicke
Spricht Hann zu seinem Schatz: Du trautes liebes Weib!
Was würd' aus mir, wenn ich erleben müßte,
Daß dieser schöne warme Leib,
Von Todesfrost in eine Büste
Verwandelt, kalt und athemlos
In meinen Armen läg'! O, beim Gedanken bloß
Rinnt mir's wie Eis durch Adern und Gebeine!
Das schwör' ich dir — erleb' ich armer Mann
Den Jammer einst — auf deinem Grabessteine
Lieg' ich neun Tage lang und weine
Und weine — bis ich nicht mehr kann!
"Und ich, mein trauter, süßer Mann,
Versetzt das junge Weib, sollt' ich das Unglück haben
Und dich verlieren, bester Hann,
Lebendig ließ' ich mich mit meinem Hann begraben!"
Das ist ein Weib! — denkt Hann entzückt,
Indem er an sein Herz sie drückt:
Zu zweifeln fällt ihm gar nicht ein!
Sie sagt's ja — also muß es seyn!
Seitdem sich beide so verglichen,
War ungefähr ein Jahr verstrichen:
Und eines Abends, wie sie so
Allein bei ihrem Pilau saßen
Und, auf die Nacht zum voraus froh,
Des Lebens Sorgen ganz vergaßen,
Geschah's, daß Gulpenheh, die schöne Schneiderin,
Indem sie in verliebtem Sinn
Mehr nach dem Mann' als in die Schüssel guckte,
Ein kleines Bein hinunter schluckte.
Groß war die Noth! — Der arme Hann
Springt ängstlich zu, thut, was er kann,
Klopft mit der Faust ihr auf den Rücken,
Versucht's heraus zu ziehn,
Versucht's hinab zu drücken;
Umsonst ist alles sein Bemühn!
Das schöne Weibchen muß ersticken.
Verzweifeln will der arme Mann!
Allein, da ist kein Rath noch Mittel.
Schon liegt sie da im Sterbekittel,
Zwar etwas blau, doch noch so schön;
Er hält's nicht aus, sie anzusehn!
Frau Gulpenheh ruht nun in kühler Erde,
und Hann mit wüthender Geberde
Wälzt sich auf ihrem Grab', und ächzt so laut und bang,
Daß man auf tausend Schritt' ihn hörte;
Entschlossen festiglich, neun ganzer Tage lang
(Nach seinem Schwur') auf ihrem Grab zu weilen.
Und es begab sich, daß Aissa, der Prophet,
Vorüber ging; und wie das laute Heulen
Vom Grabe her ihn störet im Gebet,
Tritt er hinzu und fragt den Mann, der auf dem Grabe
Sich wälzt und heult, was Leides ihm geschah?
Der Schneider spricht: Ach Herr! in diesem Grabe da,
Da liegt ein Schatz, den ich verloren habe;
Das beste Weib! ein Weib, das mich so sehr geliebt!
Ein Weib —ach! Herr, ein Weib, wie's nun kein andres gibt!
Und heute hab' ich sie begraben!
Spricht der Prophet zu ihm: Nun, weil so bang dir ist
Nach deinem Weib', Hann — so habe,
Was du zu haben würdig bist!
Und wie er's sprach, schlug er mit seinem Stabe
Aufs Grab, und, siehe da! es öffnet seinen Schlund,
Und Gulpenheh, frisch und gesund,
Steigt aus dem Grab' und wirft sich mit Entzücken
Dem Männchen an die Brust. Das war ein Wiedersehn!
Ein Freudenrausch! ein Herzen und ein Drücken!
Ihr dächtet, hättet ihr's gesehn,
Sie würden beide sich mit Küssen gar ersticken.
Und danken will nun auch das liebestrunkne Paar
Dem Wundermann, durch den ihm solches Heil geschehen;
Allein der ward nicht mehr gesehen.
Nun erst wird Hann gewahr,
Daß Gulpenheh, in ziemlich lüftigs Leinen
Kaum übers Knie gehüllt, nicht so gekleidet war,
Um in der Stadt (wiewohl's schon dunkelt) zu erscheinen.
"Licht meiner Augen, spricht der gute Mann zu ihr,
Verbirg dich hinter diesen Steinen,
Indessen ich nach Hause lauf' und dir
Die Kleider hole. — Der Mond beginnt zu scheinen —
Sey ohne Furcht! ich bin gleich wieder hier,"
Dem Winde gleich lief Hann davon,
Indem so kam des Sultans Sohn
Von ungefähr des Wegs gezogen,
Und vieler Fackeln greller Schein
Glänzt vor ihm in die Nacht hinein.
Und bei der Fackeln Schein gewahren
Die Diener eine Frau mit los gebundnen Haaren,
Halb nackend — die, um nicht gesehen zu seyn,
Sich schüchtern hinter dem Gemäuer
Verbirgt und das Gesträuch, so gut sie kann, zum Schleier
Von derben Nuditäten macht,
Die durch das Dunkelhell der Fackeln und der Nacht
Noch zehnmal nackender und zehnmal weißer scheinen,
Als wie sie sind.
Der Königssohn macht Halt
Und nähert sich allein der reizenden Gestalt,
Die, um zum wenigsten den Busen zu verzäunen,
Genöthigt ist den Alabasterglanz
Von zwei untadeligen Beinen
Der Lüsternheit der Männeraugen ganz,
Wiewohl erröthend, Preis zu geben.
Der Königssohn, anstatt die Hand vors Aug zu heben,
Verschlingt das schöne Weib mit seinen Blicken schier.
Wie? spricht er, wie? so viele Schönheit hier,
Zu solcher Zeit, in solchem Stand' und Orte?
"Mein Herr, versetzt die Schneiderin,
Das Negligé, worin ich bin,
Gestattet nicht so viele Worte."
Der Prinz erkennt die Billigkeit
Der Weigerung in einer solchen Lage
Und reicht ihr stracks sein eignes Ueberkleid!
Und — "Schöne Frau, nur eine Frage!
Bist du vermählt? — Denn, falls du ledig bist,
So komm' und geh wie eine Morgensonne
In meinem Harem auf! Mach' eines Prinzen Wonne,
Der ohne dich nicht mehr zu leben fähig ist."
Die schöne Gulpenheh darf nur eines Blickes,
Den Umfang und Gehalt des angebornen Glückes,
Und wie es sich zur Schneiderei
Des armen Hann verhält, zu sehen und zu messen:
Und, ach! mit diesem Blick' ist Hann und Lieb' und Treu'
Und Schwur und Grab und Alles rein vergessen!
Herr, spricht sie, ich bin frei, und thut, wie Ihr gesagt,
Mit Eurer dienstergebnen Magd!
Sie ist bereit, für Euch allein zu leben.
Top! ruft der Königssohn, läßt ihr ein Handpferd geben,
Und fröhlich zieht bei Fackelschein
Die schöne Gulpenheh in seinen Harem ein.
Kaum ist sie fort, so kommt, in vollen Freuden,
Mein Hann, bringt Alles mit, was seine Frau zu kleiden
Vonnöthen war — und keine Frau ist da!
Er sucht, er ruft, er will von Sinnen kommen.
Ein Räuber hat sie weggenommen,
Denkt er und trifft so ziemlich nah;
Doch, daß sie selbst darein gewilligt hätte,
Der Argwohn kam in seine Seele nicht.
"O, warum führt' ich sie nicht lieber von der Stätte,
So nackt sie war! O weh mir armen Wicht'!
In welchem Jammer wird sie schweben,
Das treue Weib! der ohne mich zu leben
So schrecklich war, daß sie lebendig sich
Mit mir begraben lassen wollte!
Dich, Phönix aller Weiber, sollte
Ein fremder Arm umfahn? — O, sicherlich,
In diesem Augenblick zerfleischt sie ihre Wangen,
Zerrauft ihr schönes seidnes Haar,
Was sag' ich? ist der Schmach wohl gar
Durch einen Dolch in ihre Brust entgangen!"
Betrogner Hann! dein trautes Weibchen war
Nichts weniger als in Gefahr,
Sich selbst so grausam mitzuspielen:
Die lag gar angenehm und warm
Dem schönen Königssohn' im Arm',
Und dachte, ganz von neuen Lustgefühlen
Betrunken, wahrlich nicht an dich und deinen Harm.
Hann sucht zu Samarkand indessen
Und rings umher, mit Angst und Müh',
Und mit Gefahr, oft ohne Essen
Zu Bett zu gehen, sein Liebchen spät und früh';
Hofft immer noch, Aissa werde sie
Zurück zu ihm zu bringen nicht vergessen.
Zuletzt erkundigt er von einem, der dabei
Gewesen war, wie Alles sich begeben,
Und daß sein trautes Weib, mit wenig Widerstreben,
Dem Sohn des Sultans sich ergeben
Und seines Harems Krone sey.
Hann, immer noch von ihrer Treu'
Im Herzen überzeugt, läuft brennend, wie ein echter
Enthusiast, In einem Sprung bis zum Palast,
Drückt keuchend durch Trabanten, Wächter
Und Knaben sich hindurch, fragt ängstlich Jedermann
Nach seinem Weibe wie nach seinem Leben,
Sprengt endlich selbst den Prinzen an
Und fleht, das treue Weib ihm doch zurück zu geben.
Der Prinz, ein guter Herr, — vielleicht auch wohl
                       bereits
Der schönen Gulpenheh (nachdem von ihrem Reiz
Genuß und Zeit die Blüthe abgestreift)
Ein wenig satt — sobald er nur begreift,
Was ihm der Schneider will, erzählt ihm die Geschichte
Mit mildem Ton' und gnädigem Gesichte.
Sie war vielleicht vor Angst nicht recht bei sich
Und hat im Schrecken Euch für ihren Hann genommen,
Erwiedert Hann: genug, man laß sie kommen!
Sie ist mein Weib! Sie wird — o, sicherlich!
Ihr werdet's sehn! mit brünstigem Vergnügen,
Sobald sie mich erblickt, mir in die Arme fliegen.
Gut, spricht der Prinz, ihr sollt einander sehn,
Und ich will nur von ferne stehn.
Die Dame kommt. Der gute Schneider,
Geblendet durch die Pracht der goldgestickten Kleider
Und den Juwelenglanz, erkennt sein Weibchen kaum,
Und Alles scheint dem armen Mann' ein Traum.
Doch Gulpenheh beim ersten Blick'
Erkennt ihn nur zu wohl, fährt einen Schritt zurück,
Wird wechselnd blaß und feuerroth;
Allein der Witz, den sie als Weib zum Los bekommen,
Verläßt sie nicht in dieser Noth.
Der Prinz, sobald er wahrgenommen,
Daß sie erblaßt, rückt schnell heran
Und fragt sie: Kennest du den Mann?
Ja wohl (versetzt die zärtlichste der Weiber)
Erkenn' ich ihn! Es ist derselbe Räuber,
Der, als ich ungefähr im Fußweg' auf ihn stieß,
Mit Fäusten, die ich lange noch empfunden,
Mich nach den Gräbern schleppt' und nackend stehen ließ,
Als Eure Hoheit mich gefunden.
Der arme Hann, wie er sein trautes Weib
So reden hört, wird kalt am ganzen Leib;
Sein Blick erstarrt, die Kniee schwanken,
Die Haare richten sich auf seinem Kopf' empor,
Der offne Mund verstummt, ihm schwinden die Gedanken.
Der ganze Hof, in einem Chor',
Erkennt die offenbaren Zeugen
Der überwiesnen Schuld in seinem Blick' und Schweigen.
Man führ' ihn stracks zum Kadi, spricht
Der Königssohn. Hann wird gebunden
Und abgeführt. Der Richter hält Gericht:
Die schöne Dame zeugt; Hann widerspricht ihr nicht;
Was soll das Leben ihm? Kurz, schuldig wird erfunden
Der arme Mann und, wie es sich gebührt,
Gleich vom Gerichtshof weg zum Galgen hingeführt.
Was schützte nun des Armen Hals und Ehre,
Der zitternd an der Leiter steht,
Wenn nicht — Aissa, der Prophet,
Zu gutem Glück vorbei gegangen wäre?
Wie eines Engels Glanz ist seine Gegenwart.
Der Mann ist ohne Schuld, ruft er, an dessen Leben
Man sich vergreifen will, deß kann ich Zeugniß geben!
Die Asa's halten ein, und alles Volk erstarrt,
Wie es dieß Wort aus einem Munde höret,
In welchem nie Betrug erfunden ward;
Und alles Volk mit Hann und dem Propheten kehret
Zurück nach dem Palast. Das goldne Thor
Eröffnet sich; der Sultan tritt hervor,
Sein Sohn mit ihm. Aissa, hoch geehret
Bei Hof und in der Stadt, spricht mit Prophetenmacht;
Herbei wird Gulpenheh gebracht;
Um sie und den Propheten schließen
Die andern einen Kreis. Von ihrer Schuld gedrückt
Hebt sie die Augen auf, erblickt
Den Wundermann und sinkt entseelt zu seinen Füßen.
Hann wird mit Gold und Ehren überhäuft,
Frau Gulpenheh ins Grab zurück geschleift;
Dort mag sie bis zum jüngsten Tage rasten!
Ihr lieber Mann fühlt keinen Drang
Im Herzen mehr, nur neun Secunden lang
Auf ihrer Gruft zu weinen und zu fasten.
—————

Die Wasserkufe.

Die Wasserkufe

oder

der Einsiedler und die Seneschallin von Aquilegia.

"Wer fest auf seinen Füßen steht,
Der sehe zu, daß er nicht falle!"
Die Warnung, liebe Brüder, geht
Euch an und mich, und, ohne Ausnahm', Alle:
Nur ist das "Siehe zu" zwar leicht gesagt,
Allein, das Wie? ist, was die Weisen plagt.
Wer freilich stets in einem hohlen Baume,
Mit einem Klotz an jedem Bein,
Sich aufhält, stößt den Fuß gewiß an keinen Stein
Und kommt nicht leicht zu Fall — es wäre denn im Traume:
Gesorgt ist für die Sicherheit
Dadurch; allein wo bleibt die Thätigkeit?
Der Mensch ist nicht zum Stehn, er ist zum Wandeln,
Zum Laufen, wenn es gilt, zum Unternehmen, Handeln
Und Wagen auf der Welt, und Gehn
Ist sein Beruf, trotz allen großen, kleinen,
Vieleckigen und runden Anstoßsteinen,
Die überall in seinem Wege stehn.
Gebraucht er dann die Augen nicht — zum Sehn,
So ist es seine Schuld! — Er gehe fest und munter
(Nicht sorglos) seinen Weg; und stolpert er mitunter,
Ja, fiel' er siebenmal in einer einz'gen Nacht
Den Kopf zuerst in einen Wasserkübel,
Nun, immerhin, auch das ist nicht so übel!
Er wird dadurch vielleicht behutsamer gemacht
Und findet, ihn heraus zu ziehen, am Ende
Wohl gar, wie Bruder Lutz, zwei Alabasterhände.
—————

Ihr nickt schon, wie ich seh' —Ihr wollt, (und das mit
                       Recht)
Der Dichter soll, statt zu moralisiren,
(Dieß könnt ihr selbst, gut oder schlecht)
Euch, wie Homer, frisch in die Sache führen.
So hört denn an! — In einer engen Schlucht
Im Pyrnerwald lebt' einst (wofern es leben
Zu nennen ist) ein Mann, der auf der Flucht
Aus einer Welt, wo Alles, vor und neben
Und hinter ihm, zum Bösen ihn versucht,
In diese Wildnis sich begeben,
Um seinen thier'schen Theil durch strenge Klausnerzucht,
Durch Fasten und Kasteien und übern Wolken Schweben
Zur geistigen Natur, wo möglich, zu erheben.
Schneewasser war sein Trank, sein Brod der Eiche Frucht,
Und Wurzeln seine Leckerbissen;
Ein glatter Stein lag, wenn er schlief, als Kissen
Ihm unterm Haupt — Kurz, Bruder Lutz
(So hieß der Biedermann) bringt über dreißig Jahre
Bereits, dem Höllenwurm und seinem Fleisch zu Trutz,
In dieser Felsenkluft, als wie in seiner Bahre,
Ein traurig Leben hin, das (wie er glaubensvoll
Versichert ist) ihn einst zum Halbgott machen soll.
Natürlich schlummerten in seinem öden Winkel
In solcher Zeit und bei so magerer Diät
Die bösen Lüste ein: doch desto ärger bläht
Den guten Mann der leid'ge Eigendünkel,
Der in der Abgeschiedenheit
Bei Fasten und Kastein gewöhnlich wohl gedeiht.
Schon schmeichelt Bruder Lutz sich selbst, den Sanct Antonen
und Paulen an Verdienst beinahe gleich zu seyn;
Schon sieht er einen goldnen Schein
Um seine Scheitel ihm für eine Tugend lohnen,
Vor welcher, was die Welt mit diesem Namen ehrt,
In seinem Wahn, wie Rauch im Sonnenglanz zerfährt.
In diesem süßen Trug stört, wider sein Verhoffen,
Ihn einst ein göttlich Traumgesicht.
Ihm däucht, er seh' den Himmel plötzlich offen,
Ihn überschütt' ein Strom von empyre'schem Licht,
Und, gleich gebrochnen Donnerschlägen,
Schall' eine Stimm' ihm diese Wort' entgegen:
Wer hoch zu stehen wähnt, ist seinem Falle nah!
Willst du an Tugend dich weit übertroffen sehen,
So brauchst du nicht sehr weit zu gehen,
Geh nur zum Seneschall von Aquilegia.
Der arme Bruder Lutz erwacht in kaltem Schweiße
Bei diesen Worten. Welch ein Fall!
Mich, spricht er, der mit solchem Ernst und Fleiße
Sein Heil geschafft, mich soll ein Seneschall,
Ein schnödes Kind der Welt, an Tugend übertreffen?
Und gleichwohl hör' ich noch im Ohr den Wiederhall
Des Schreckenswortes Seneschall!
Wie könnte mich die Himmelsstimme äffen?
Entschlossen greift er stracks nach seinem Knotenstab,
Und, einem wandernden Gespenste ziemlich ähnlich,
Steigt er aus seinem Felsengrab
(Nachdem er mit Gebet und Kreuzen, wie gewöhnlich,
Sich wohl verwahrt) hervor und wallet ohne Ruh,
Von Wasser bloß und hartem Brod gelabet,
Dem stolzen Aquileja zu.
Und nah' am Stadtthor kommt ein prächt'ger Zug getrabet,
Ein großer schöner Mann, mit Scharlach angethan,
Auf einem reichgeschmückten Gaule
In seiner Mitte. Lutz spricht einen Bürger an
Und hört mit aufgesperrtem Maule,
Bestürzt, als donnert' ihm aufs Neu
Die Himmelsstimm' ins Ohr: der Mann im Scharlachpelze
Und mit der schweren Kettenlast von Schmelze
Wohl sechsfach um den Hals, der stolze Weltling —sey
Der Seneschall von Aquilej.
Nun wohl! wenn Pracht und Hoffahrt nicht verdammen,
So geht man, denkt er, leicht ins Reich der Himmel ein,
Und Satans Schwefelpfuhl mag schlecht bevölkert seyn!
Indessen rafft er sich zusammen,
Drängt durch die Menge sich an diesen stolzen Mann,
Nennt sich als Bruder Lutz und spricht, um Gottes willen,
Um Dach und Fach in seinem Haus' ihn an.
"Mein Bruder, müßt' ich nicht gleich eine Pflicht erfüllen,
Erwiedert ihm mit Ehrerbietigkeit
Der Seneschall, gern nähm' ich mir die Zeit,
Dich selber in mein Haus zu führen;
Allein mich rufen Amtsgebühren.
Nimm diesen Fingerreif, trag' ihn zu meiner Frau
Und sag': ich bitte sie, dich ganz so aufzunehmen,
Als wär' ich's selbst. Nimm hin und trau
Mir auf mein Wort, sie wird dich nicht beschämen."
Der Ritter reicht aus seinem Scharlachpelz
Den Ring ihm dar und gibt dann seinem Gaul die Sporen,
Und Lutz sagt kaum sein Gott vergelt's!
So hat er schon den Herrn aus dem Gesicht verloren.
Betroffen, aber nicht von seinem Wahn bekehrt,
Trabt Bruder Lutz nun schnurstracks nach dem Hause
Des Seneschalls. — Was er da sieht, empört
Sein düstres Auge, was er hört,
Sein ungewohntes Ohr; er denkt: "In diesem Hause
Lebt Alles ja in Saus' und Brause!
Von Gold und Silber, Elfenbein
Und Marmor schimmern alle Wände;
Das Hausgeräth glänzt wie polirter Stein;
Für einen Erzbischof wär' hier nichts zu gemein,
Auch nimmt der Diener Zahl kein Ende.
Du lieber Gott! soll das das Haus des Mannes seyn,
Vor dessen Tugend sich die meine
So tief zur Erde bücken muß?
Ich traue kaum dem Augenscheine!
Und gleichwohl hab' ich erst den Fuß
Hereingesetzt — Lutz, Lutz, wie wird das enden?
Das Beste wäre wohl, gleich wieder umzuwenden."
Indem der Eremit so mit sich selber spricht,
Kommt eine Frau, gar fein von Angesicht,
So weiß wie frischer Schnee, wie Rosen roth von Wangen,
Von hohem Wuchs, von Armen zart und rund,
Die Augen himmelblau, Rubin der kleine Mund,
In silbernem Gewand, mit Ringen und mit Spangen
Geschmückt an Ohr und Hals und Hand,
Aus einer Thür' hervorgegangen,
Den Fremden, der im Vorsaal wartend stand,
Als Frau des Hauses zu empfangen.
Bei ihrem Anblick bleibt ihm kaum so viel Verstand,
Den Fingerring ihr zitternd in die Hand
Zu geben und mit Stottern herzusagen,
Was ihr Gemahl ihm aufgetragen.
Die Seneschallin spricht: Mein Bruder! dein Empfang
In diesem Hause soll dich lehren,
Wie wir den Mann, der dich empfohlen, ehren;
Komm nur, der Speisesaal erwartet dich schon lang'.
Und mit dem Wort' ergreift sie seine rauhe Tatze
Und führet ihn in einen schönen Saal,
Wo er die Tafel schon mit einem reichen Mahl
Belastet sieht, gerade zu dem Platze
Des Seneschalls. Hier, spricht sie, setze dich
Als Herr vom Hause neben mich
Und wähle dir aus diesen Speisen
Und von den Weinen dort, wie sie mein Keller gibt,
(Weinkenner pflegen sie zu preisen)
Ohn' allen Zwang, was dir beliebt.
Bei Sanct Hilarion, denkt Lutz, ich bin betrogen!
Mit einem falschen Traumgesicht
Hat mich der böse Geist belogen.
Wie? dieser Mann, der so dem Glück im Schoße sitzt,
So üppig Tafel hält, ein solches Haus besitzt
Und solch ein Weib, — er soll nach fünfzig Jahren,
In lauter Wollust Tag und Nacht
So epikurisch zugebracht,
Gerades Wegs gen Himmel fahren?
Da wäre ja kein ärgrer Thor, als ich!
Ich, der, um meine arme Seele
Zu retten, dreißig Jahre mich
In einer wahren Bärenhöhle
Mit Fasten und mit Geißeln quäle!
Weil Lutz so mit sich selber spricht,
Sieht ihm die Dame lächelnd ins Gesicht;
Laß, sagt sie, dir's belieben! wähle!
Was ist dir, Freund? Du siehst ja aus,
Als wärst du noch nicht recht zu Haus?
Frau, spricht der Klausner, laßt euch weisen,
Daß einen solchen Tisch kein Diener Gottes führt,
Der, seine Seele baß zu speisen,
Sein Fleisch mit Lust mortificirt.
Ich leb' in meinem Wald von Mispeln und von Nüssen,
Wie meinem Klausnerstand gebührt,
Und mache wirklich mir schon daraus ein Gewissen,
Daß ich, indem ich Athem zog,
Den Dunst so vieler Leckerbissen
Nicht ohne Wollust in mich sog.
Verzeihe, heil'ger Mann, daß ich zu streng dich finde,
Versetzt die Frau: die Creatur
Ist doch zu unserm Dienste nur
Geschaffen, und gewiß, nicht alle Lust ist Sünde;
Wohin du blickst, im Umfang der Natur,
Da siehst du ihre Quellen stießen,
Und nichts entheiligt uns, was wir mit Zucht genießen.
Indeß, wenn dir geringre Kost behagt,
So iß — von diesem Kohl mit deiner Magd!
Du wirst dich so nur desto besser schicken,
Den Lehnstuhl meines Herrn hier neben mir zu drücken.
Wir leben beide, ich und er,
Bloß von Gemüs' und Brod seit manchem Jahre her.
Ist's möglich? ruft der Waldmann; ich erstaune!
Wie kämet ihr zu einer solchen Laune?
"Ein feierliches Gelübd, vielleicht zu rasch gethan,
Als von zwei Kindern wir das eine in der Bahre,
Das andre schon dem Tod' im Rachen sahn,
Verbindet uns auf sieben Jahre
Zu dieser Lebensart."
Wozu denn also (fällt
Der Klausner ein) wozu in aller Welt
Der Unrath da von üppigen Gerichten,
Pasteten, Fischen, Wildbret und so fort?
Ihr Anblick, glaubt mir auf mein Wort,
Ist nicht geschickt, die Eßlust zu vernichten.
Und wär' es, spricht die Frau, so übel denn gethan,
Wenn's bloß zu einer kleinen Uebung wäre?
Du weißt, es liegt gar viel daran,
Daß man, was uns die Pflicht verbietet, leicht entbehre.
Wie mancher Hungrige, erwiedert Bruder Lutz,
Hätt' aus dem Ueberfluß gesättigt werden mögen!
Auch kommt er jedesmal den Dürftigen zu Nutz,
Versetzt die schöne Frau. Wir haben viel Vermögen,
Und dieß und unser Stand scheint uns die kleine Last
Von einer Tafel aufzulegen,
An welcher jeder fremde Gast,
Den uns der Zufall schickt, sich wohl bewirthet finde.
Der Klausner fühlt die Stärke ihrer Gründe
Und schweigt; indeß von Zeit zu Zeit sein Blick
Mit Lüsternheit in jede Schüssel tauchet,
Die würzhaft ihm entgegen rauchet.
Kaum hält er mit Gewalt der Düfte Reiz zurück,
Die so verführerisch um seine Nüstern weben,
Daß an der rechten Hand mit einer Art von Krampf
Die Finger vor Begier sich zu verlängern streben.
Die Dame sieht den schweren Kampf
Des Stolzes mit der Lust und kommt den schier Besiegten
Mit einem Blick zu Hülf'. Er spiegelt sich beschämt
In ihrem heitern, still vergnügten,
Begierdenfreien Aug' und zähmt
Zuletzt doch mit Gewalt das Gieren
Der Sinnlichkeit, durch die er nahe war
Auf einmal dreißig lange Jahr'
Enthaltung und Verdienst so schändlich zu verlieren.
Sie speisen beide nun stillschweigend ihren Kohl
Und trinken klares Brunnenwasser
Dazu — ein Trank, der keine Weiberhasser
Zu machen pflegt. Auch thut der Klausner wohl,
Der schönen Wirthin in die blauen,
Lammfrommen Augen nicht zu oft hinein zu schauen:
Denn schuldlos möchten sie zuletzt Gelegenheit
Zu Aergerniß der armen Seele geben!
Ein Sinn beginnt bereits allmählich aufzuleben,
Der in der Abgeschiedenheit
Durch stetes Ringen — sich vom Leibe los zu streben,
Durch magre Kost und strenge Disciplin
Schon gänzlich abgetödtet schien.
Zum Glück war's eben Zeit, die Tafel aufzuheben.
Lutz spricht ein langes Gratias,
Und freundlich gibt ihm beim Entlaß
Die Seneschallin zu verstehen,
Er habe nun bis Abend freien Paß,
Die — heil'gen Leiber zu besehen,
Woran die Patriarchenstadt
(Wie billig) keinen Mangel hat.
Mein Lutz, nachdem er sich in Aquilejens Gassen
Nach allen Kirchen und Capellen umgeschaut
Und auf dem Grab der heil'gen Hermonassen
Und Chrysogonen sich nach Möglichkeit erbaut,
Kommt ziemlich matt von seinen frommen Reisen,
Kurz eh die Dämmerung begann,
Zurück und sucht in Demuth an,
Ihm einen Winkel anzuweisen,
Ein Obdach nur, wo ihm, damit er ruhen kann,
Der Wind nicht um die Ohren sause.
Das schlechtste Kämmerchen in diesem Fürstenhause
Ist, spricht er, schon zu gut für mich.
Ich kenne meine Pflicht, erwiedert
Die edle Frau, indem sie sich
Zu einem Diener kehrt: es heißt, wer sich erniedert,
Der wird erhöhet — Zeigt dem Herrn sein Schlafgemach.
Der Diener Gottes dankt, von seines Herren wegen,
Der edeln Frau, ertheilt ihr seinen Segen
Und folgt getrost dem Menschendiener nach.
Doch wie bestürzt, bei einer Lampe Schimmer,
Auf einmal in ein prächtig Zimmer
Sich vor ein Bette von Damast
Geführt zu sehn, worin für viere seines Gleichen
Raums übrig war, einander auszuweichen!
Bis an des Zimmers Decke fast
Mit leichten aufgeduns'nen Pfühlen
Und Kissen aufgeschmückt, steht es, gleich einem Thron
Des Hymens da, für einen Königssohn
Ein schöner Tummelplatz zu süßen Liebesspielen.
Verblüfft, als würde ihm die Kehle zugeschnürt,
Spricht Bruder Lutz zu dem, der ihn geführt:
Hier ist gewiß ein Irrthum vorgefallen;
So bettet man nur Seneschallen!
Ich weiß recht gut, was mir gebührt.
Der Diener bleibt dabei, er hab' ihn recht geführt,
Und schleicht sich weg. Mein Waldmann lehnet
Sich an das Bett' und denkt: Was ist zu thun?
Ziemt's einem Mann, wie ich, in Eiderdun zu ruhn?
Daß Satanas mich hier aufs Eis zu führen wähnet,
Ist klar genug. Sey denn auf deiner Hut, Freund Lutz!
Und doch — wie, wenn ich nun, dem Höllenwurm zum Trutz
Den Kopf zu oberst mich in diese Grube stürzte?
Bei meinem spitzigen Capuz!
Ich will es thun — Und mit dem Wort' entschürzte
Der Bruder sein Gewand, zieht Schuh' und Strümpfe
                       aus,
Und thut, mit einem Wort, als wär' er hier zu Haus.
"Warum auch machtest du dir ein Gewissen draus?
Dem Teufel seinen Spaß zu rauben,
Darfst du ja nur auf Stein zu liegen glauben!
Der Glaube machte dir schon manche bittre Pein
Zur Lust: sollt' es nicht möglich seyn,
Dich, umgekehrt, durch Wollust zu kasteien?"
Lutz scheint des Einfalls sich zu freuen
Und ist schon im Begriff, sich vollends auszuziehn,
Als etwas, wie ein knisternd Rauschen, ihn
Auf einmal stutzen macht. Er sieht, was es bedeute,
Und plötzlich öffnet an der Seite
Sich eine Teppichthür', und —täuscht ihn nicht der Schein
Der Lampe? sollt' es gar ein treuflich Blendwerk seyn?
Die Seneschallin tritt in leichtem Nachtgewande
So zuversichtlich in ihr Schlafgemach herein,
Als wüßte sie gewiß, sie sey allein.
Lutz — der beinahe schon im Stande
Der Urnatur sich zeigt — in seinem Werk gestört,
Sobald er Jemand kommen hört,
Bekreuzigt sich mit beiden Tatzen,
Reißt schnell die Decke auf und plumpet wie ein Stein
In lauter Flaum bis übers Ohr hinein:
Doch durch die Federkraft der schwellenden Matratzen
Taucht er bald wieder auf und steckt den Kopf heraus.
Die Lampe leuchter hell, es ist — er kann nicht zweifeln —
Es ist die schöne Frau vom Haus',
Allein für ihn (er sagt ihr's grad' heraus)
Der furchtbarste von allen Teufeln.
Was willst du? schreit er ihr, sich kreuzend in die Quer'
Und in die Läng', im Exorcisten-Ton entgegen,
Was, Satanskind, ist dein Begehr?
Kommst du, in mir den Reiz der Sünde aufzuregen,
So hebe dich von hier! —
Ereifre dich
Nicht ohne Noth, versetzt mit unbefangnem Blicke
Die schöne Frau, indem sie sich
Am Bett' in einem Armstuhl senkt
Und, unbekümmert, was der Klausner von ihr denkt,
Sich nach und nach von jedem Kleidungsstücke,
Das noch entbehrlich ist, befreit,
Was hast du? fährt sie fort, was setzt dich so in Flammen?
Hier, denk' ich, ist nichts zu verdammen.
Es ist um Schlafengehens Zeit,
Dieß ist mein Schlafgemach, dieß, wo du liegst, mein Bette.
Du, dem dein Stand die Lieb' als Pflicht gebeut,
Wie dachtest du nicht gleich, ich hätte
Nicht, was ich that, gethan, hätt' ich dazu kein Recht?
Verzeihung! spricht mein Lutz in einem sanftern Tone;
Sey billig, edle Frau, und schone
Auch meiner! Alle Schuld trägt ganz allein der Knecht,
Der mich in dieses Zimmer führte!
Ich sagt' ihm gleich, daß es sich nicht gebührte!
Sich nicht gebührt? — Und was gebührt sich dann,
Versetzt die Frau, wenn dieß sich nicht gebührt? —Mein Mann
Hat (wie du sagtest) mir ausdrücklich anbefohlen,
Dir so zu thun, als wär' er selbst an deiner Statt:
Was thu' ich nun, als was er mir befohlen hat?
Ich bin in meiner Pflicht; und, könnten wir ihn holen,
Um Richter zwischen uns zu seyn,
Gewiß, ich würde Recht bekommen!
Allein wo bleibt die Zucht? fällt Bruder Lutz ihr ein.
"Die Zucht? Wie könnte die bei uns gefährdet seyn?
Ich räume dir, als einem biedern, frommen
Und heil'gen Mann, nach deinem Ruf' und Schein,
Des Mannes Platz, den Alle, die ihn kennen,
Den bravsten aller Männer nennen,
An meinem Tisch', auf meinem Lager ein
Und sollte mich in dir betrogen haben können?
Doch, deine Sach' ist das, nicht meine, Bruder Lutz!
Ich lege mich, wie jede Nacht, an meinen
Gewohnten Platz; —leg du dich ruhig in dem deinen
Zurecht, empfiehl dich in den Schutz
Der heil'gen Engel, Freund, und schlafe sanft bis morgen!
Von mir hast du nichts zu besorgen!"
Gereizt durch dieses Wortes stolzen Sinn,
Gewohnt, in seinen kleinen Kriegen
Mit Satanas fast immer obzusiegen,
Und durch zwei Ellen Raum von der Versucherin
Hinlänglich, wie er hofft, geschieden,
Gibt Bruder Lutz sich endlich auch zufrieden,
Legt sich aufs rechte Ohr und kehrt in stolzer Ruh
Der schönen Frau die blinde Seite zu.
Sie, ihres Orts — ihr Recht ihr widerfahren
Zu lassen —liegt (wiewohl ein Weib in besten Jahren)
So still auf ihrem Platz' und athmet euch so leicht,
Ihr Bettgenoss' hätt' ihrentwegen
Von einem Fliegenfuß die Tritte hören mögen.
"Wacht oder schlummert sie vielleicht?
Es ist doch sonderbar, auch nicht ein Glied zu regen!"
Lutz, dem der holde Schlaf sich immer noch versagt,
Fühlt sich vom Vorwitz stark geplagt,
Nach ihrer Seite hin sein linkes Ohr zu spitzen.
Ihr denkt, was kann es ihm verschlagen oder nützen,
Zu wissen, ob sie wacht? — Er selber denkt vielleicht
Sich nichts dabei; allein in seiner Lage
Ist Vorwitz keine kleine Plage.
Genug, er horcht so lange, bis ihn däucht,
Sie rege sich. Zu sehn, was es bedeute,
Dreht Lutz, so leis' er kann, sich auf die linke Seite
und hält den Athem — Doch die Dame regt sich nicht,
Er irrte sich. —Indeß ist Wachen seine Pflicht;
Zumal, da er, wie still er auch zu liegen
Sich vorsetzt, doch, aus Furcht, der schlaue Höllenwicht
Könnt' unvermerkt ihn in die Kluppe kriegen,
Noch nicht zum Schlafen kommen kann.
Die Wahrheit ist, dem armen Mann
War wohl noch nie so eng' in seinem Felle.
Man denke sich an seine Stelle!
Fünf Spannen nur entfernt von einem solchen Weib
So stille wie im Sarg zu liegen,
Ist wahrlich nur ein schlechter Zeitvertreib
Und mehr Kasteiung als Vergnügen,
Ihm däucht, er lieg' auf lauter Kannenkraut,
Ihm kröchen zwischen Fleisch und Haut
Zehn tausend Aemsen, die wie Nadelspitzen stechen:
Er kann zuletzt sich länger nicht entbrechen,
Sich hin und her zu wälzen, überlaut
Gleich einem Büßenden zu seufzen und zu stöhnen
Und Arm und Fuß so lange auszudehnen,
Bis endlich sich der Zwischenraum verliert,
Und sein gebognes Knie die Dame sanft berührt.
Sie thut beim ersten Mal', als ob sie nichts bemerke:
Doch, wie sie fühlt, daß ihre Nachsicht ihn
Verwegner mach' und seinen Wahn bestärke,
Beginnt sie schnell sich weiter wegzuziehn.
Er fühlt den Wink. Sein Stolz eilt der bedrängten
                       Tugend
Zu Hülf'; er ruft in seiner Noth sogar
Die ganze Eremitenschaar
Der Thebaide an. — Von seiner frühen Jugend
Schon dreißig Jahre ward er öfters zwar versucht,
Doch nie besiegt und sollte nun die Frucht
So vieler Büßungen, Nachmachen, Fasten, Schmerzen
So kindisch, wie ein unbekielter Gauch,
In einem Augenblick verscherzen?
Doch freilich hatte Satan auch
Ihm nie den Streich gespielt und sich zu ihren Kämpfen
So einen Kampfplatz und — den Muth, der ihn beseelt,
Durch Zartgefühl und Menschlichkeit zu dämpfen —
So eine Maske sich gewählt!
Vergebens raffet er die letzte Kraft zusammen;
Auch die ist nun erschöpft und ganz dahin.
Mag (denkt er) mich, wer nie erlag verdammen!
Und wälzt sich, wie auf Fegfeursflammen,
Der schlummernden Versucherin
So nahe, daß sie ihm, zu sehr von seinen bösen
Gedanken überzeugt, den Tat dafür zu lesen
Sich länger nicht erwehren kann.
Zwei Ellen Abstand, dächt' ich, heil'ger Mann,
Sey (spricht sie) unter uns schon ausgemacht gewesen?
Beweisest du dich so der Ehre werth,
Die, wie es scheint, dir über dein Verdienen
In diesem Hause widerfährt?
Du kommst mit gleißnerischen Mienen,
An frommen Worten reich, an echter Tugend leer,
Gleich einem Sohn von Sanct Anton hierher,
Des besten Mannes Achtung zu erschleichen,
Und findest nun, zur Schmach von Allen deines Gleichen,
Die erste Probe schon zu schwer!
Sie sagte noch viel Andres mehr;
Doch diese Züchtigung geht ganz an ihm verloren.
Der Teufel, der ihn plagt, hat keine Ohren,
Hört nicht ihr Bitten, fürchtet nicht ihr Dräun.
Vergebens sucht sie ihn mit Macht zurück zu drücken;
Nichts hemmt sein strafbares Entzücken:
Er will, er muß, betheurt er, glücklich seyn.
Ein altes Sprichwort sagt: Oft glaubt ein Mann zu
                       fischen
Und krebst. Des Wortes Wahrheit fand
Mein Eremit bewährt. — Aus weiser Vorsicht stand
Ein tiefes Marmorbecken zwischen
Dem Bette und der Seitenwand,
Mit Wasser angefüllt bis an den hohlen Rand.
Wie nun mein Lutz die frevelhafte Hand
An ihren Busen legt, faßt sie mit starken Armen
Ihn um den Leib und schleudert ohn' Erbarmen
Ihn in den Wassertrog hinab.
Es war nach Niklastag, als dieses sich begab.
Vor Schrecken halb entseelt, aus einem warmen
Und prallen Schwanenbett' in dieses nasse Grab
So plötzlich sich gestürzt zu finden,
Versucht er, eh' ihm noch die Sinne vollends schwinden,
Aus der verwünschten Kufe sich
Durch eigne Kraft empor zu winden.
Vergebens müht und quält der Tropf sich jämmerlich;
Sie ist zu tief, und er an Armen und an Füßen
Zu sehr erstarrt. — Hier magst du eine Weile büßen,
Ruft ihm die schöne Dame zu
Und legt sich ruhig hin. — O! (wimmert er) wenn du,
Wie an Gestalt, ein Engel bist an Sitten,
So laß dich, edle Frau, erbitten
Und reiche mir die Hand! Dir schwör' ich's heilig zu,
Von nun an hast du gute Ruh
Vor mir; ich bin vom Frost am ganzen Leib betäubet.
Hilf mir heraus! Es ist die höchste Zeit.
Wir kennen nun bereits die Frau des Seneschallen;
An Unschuld, Unbefangenheit
Und Güte glich ihr weit und breit
Nicht eine schöne Frau von Allen.
Thut sie ihm gleich nicht Alles zu Gefallen,
So reicht sie ihm doch willig ihre Hand,
Hilft freundlich ihm heraus und treibet
Die Menschlichkeit so weit, daß sie mit Leinenwand
Ihn trocknet, ihm die starren Glieder reibet,
Mit ihrer warmen Hand ihn streichelt, drückt und preßt
Und ihn so nah' an sich, als schicklich, liegen läßt.
Der alte Klosterherr, dem wir dieß nacherzählen,
Läßt sie (wir wollen es dem Leser nicht verhehlen)
Noch weiter gehn. Sie selber, sagt er, schlang
Sich um den halb Erfrornen so gedrang
Mit Arm und Beinen her, so wie in brünst'gen Ringen
Verliebte Drachen sich umschlingen,
Wie Venus beim Lucrez sich um den Kriegsgott schmiegt:
Allein ich wette gleich, der Klosterbruder lügt.
Die Seneschallin ist gewiß zu klug und bieder,
Zu viel in dem zu thun, was sie aus Pflicht nur thut.
Sobald sie also merkt, sein aufgethautes Blut
Erweiche die gewärmten Muskeln wieder,
So schiebt sie ihn zurück und wünscht ihm gute Nacht.
Allein die Flamme war nun wieder angefacht,
Und eh sie dreimal zehn Minuten älter waren,
Zeigt sich's, sie habe viel zu gut von ihm gedacht
Und durch die Art, wie sie mit ihm verfahren,
Aus Uebel Aerger noch gemacht.
Kurz, Teufel-Amor ist mit seiner ganzen Macht
Dem Klausner in den Leib gefahren;
Kein Schelten treibt ihn mehr zu Paaren.
Er stürmt, mit Bitten erst und endlich gar mit Dräun,
Noch heft'ger als zuvor auf ihre Langmuth ein;
Und, will sie nicht des Satyrs Opfer seyn,
So muß sie abermal ihn um den Gürtel fassen
Und in die Kuf' ihn springen lassen.
Da liegt der arme Wicht nun wieder winselnd da,
Und Alles, was bereits geschah,
Geschieht von Wort zu Wort nun wieder:
Er steigt an ihrer Hand aus seinem nassen Grab,
Sie trocknet mit Flanell ihn ab,
Wärmt ihn in ihrem Arm, reibt die erstarrten Glieder,
Schiebt ihn sodann an seinen Platz zurück
Und spricht mit mildem Ton und Blick:
Nun, Bruder, gute Nacht, und komme mir nicht wieder!
Ein solches Uebermaß von Güte und Geduld
Brächt' einen wilden Caraiben,
Denkt ihr, zurück zum Pflichtgefühl:
Bei unserm Klausner, meine Lieben,
Bewirkte sie das Widerspiel.
Der Böse, der, (zur Warnung aller Frommen)
Seitdem die Seneschallin sich
Zu ihm gelegt, ihn in Besitz genommen,
Treibt nun sein Werk gar meisterlich
In Lutzens Kopf, — wiewohl so einem schwachen
Verblüfften Kopf' aus X ein U zu machen
Kein großes Kunststück ist. — "Lutz, noch verzage nicht,
Spricht er, (und Lutz glaubt mit sich selbst zu sprechen,
Indem Asmodi zu ihm spricht)
Was Liebe wagt, ist stets ein ländliches Verbrechen.
Wie? sollte sie den Frevel nicht verzeihn,
Der ihrer Reize Macht bezeuget,
Und nicht dem Frevler selbst zuletzt gewogen seyn,
Den Sprödigkeit nicht kühlt, und Widerstand nicht beuget?
Gewiß, sie sträubt sich nur aus Wohlstand und zum Schein.
Denkst du, sie finde sich nicht innerlich geschmeichelt,
Daß sich ein Mann wie du so weit bei ihr vergißt?
Verlaß dich drauf, ihr Kaltsinn ist geheuchelt!
Denn, wenn sie dir nicht heimlich günstig ist,
Wofür denn hätte sie so liebreich dich gestreichelt,
An ihrem Busen dich gewärmet und gepflegt?
Wie kalt sie auch zu scheinen trachtet,
(Und jede, die sich selbst ein wenig achtet,
Nimmt diese Larve vor) in diesem Busen schlägt
Ein Herz, das nur nach Anlaß schmachtet,
Für Alles, was sie dir zu leiden aufgelegt,
Dich zu entschädigen." — Mit solcherlei Gedanken
Setzt' ihm der Feind so lange zu,
Bis sein Entschluß, nicht mehr der Seneschallin Ruh
Zu stören, allgemach zu wanken
Beginnt. Daneben stellt er ihm (ihr wißt,
Was für ein Bildner Teufel-Amor ist!)
Die Reize, die noch frisch ihm im Gedächtniß liegen,
So warm und wollustathmend dar,
Daß, wer so nah dem Urbild war,
Um die Versuchung zu besiegen
Gewiß ein zweiter Sanct Anton
Und etwas mehr gewesen wäre.
Lutz, weit entfernt von einer solchen Ehre,
War ein alltäglicher gemeiner Menschensohn,
Und ließ zum dritten Mal sich von Asmodi fangen.
Nun denkt er jetzt, als ein erfahrner Mann,
Die Sache feiner anzufangen.
Er schraubt allmählich sich hinzu, so leis' er kann,
und schmiegt, kaum fühlbar, sich an ihren weichen Rücken.
Sie merkt ihn nicht — unfehlbar schlummert sie,
Gewiß zu seyn, legt er so leise, wie
Der West ein Veilchen küßt, den Athem bis zum Sticken
Verhaltend, anfangs nur drei Finger auf ihr Knie
Und wagt's, es erst unendlich sanft zu drücken,
Dann stärker nach und nach, und da sie sich nicht regt,
Zuletzt die ganze Hand allmählich fortzurücken.
"Nur herzhaft, Bruder Lutz! sie wacht mit Fleiß nicht auf,"
Raunt Amor mit dem Pferdehufe
Ihm zu. Und dreister wagt, von einer kleinen Stufe
Zur andern, sich die kühne Hand hinauf.
Auf ein Mal wacht die Seneschallin auf,
Und Bruder Lutz — liegt in der Kufe.
"Unsinniger und undankbarer Gast,
So ist denn Alles ganz an dir verloren,
Was du in dieser Nacht bereits erfahren hast?
Schon zwei Mal bist du fast
Für deine Lüsternheit in dieser Kuf' erfroren,
Schon zweimal hab' ich deiner Reu getraut,
Dich aus mitleidigem Gemüthe
An meinem Busen aufgethaut,
Und so vergiltst du meine Güte?
Ich warnte dich zum letzten Mal;
Du konntest, wie ich's dir empfahl,
Den Rest der Nacht in Unschuld dich am Schlafe
Erholen; doch, du wolltest's noch ein Mal
Versuchen; leide nun die Strafe
Der schwer verletzten Pflicht des Gastrechts und der Zucht,
Der bösen Lüste bittre Frucht!
Ich seh', an dir wird Güte schlecht verwendet.
Du hast mein Haus, hast deinen Stand geschändet,
Hast einen edeln Mann, dem du nicht würdig bist
Der Schuhe Riemen aufzulösen,
Gehöhnt, soviel in deinen Kräften ist;
Denn, wär' ich stärker nicht gewesen
Als du, wie dürft' ich ihm, der morgen wieder kommt,
Je wieder in die Augen schauen?
O, schrie der starre Lutz zähnklappernd, all dieß frommt
Mir jetzt nicht! Rette mich, du beste aller Frauen,
Erst aus des kalten Todes Klauen,
Dann sprich, so viel du willst!
Die Seneschallin stand
Ein wenig an, bis sie in ihrem Herzen fand,
Gerade, weil sie ihn zu hassen
Versucht war, dürfe sie ihn nicht verderben lassen.
Sie reicht zum dritten Mal ihm ihre starke Hand,
Und eingedenk des Worts, das ihr Gemahl gesprochen,
Fängt sie, sobald der Tropf, wie ein begoss'ner Hahn,
Aus seinem Bad' hervor gekrochen,
Ihn, wie sie zwei Mal schon gethan,
Zu trocknen und zu reiben an,
Doch ohne daß aus ihrem schönen Munde
Ein einzig Wort des Trosts noch Vorwurfs geht.
Es brauchte dieses Mal wohl eine halbe Stunde,
Bis Lutz, von ihr gerieben und gebäht,
Sogar in ihren weichen Rosenarmen
Vermögend ist zum Leben zu erwarmen.
Doch endlich, als es ihr mit vieler Müh gelang,
Spricht der erstaunte Lutz aus vollem Herzensdrang:
Frau, wenn du nicht vielmehr, wie Alles mir zu glauben
Befiehlt, ein heil'ger Engel bist,
Ich bin, nun seh' ich's, nur ein armer sünd'ger Christ,
Kaum so zu heißen werth, und ließ durch Satans List
Und meinen stolzen Wahn mir meine Krone rauben.
Doch wolltest du, bevor ich dich von mir
Befreie, mir nur eine Frag' erlauben? —
So frage, spricht die Frau.
"Du bist so gut und mild,
So keusch und fromm, wie ein lebendig Gnadenbild,
Was konnte dich (verzeihe mir!) bewegen,
So grausam über mein Vermögen
Mich zu versuchen? Einen fremden Mann,
Von dessen Tugend du nicht mehr erwarten solltest,
Als man von Fleisch und Blut mit Recht erwarten kann,
Wenn du ihm so begegnen wolltest,
So traulich in dein Bett und selbst in deinen Arm
Zu nehmen? — Sehr verzeihlich ist mein Frevel!
Ein Heil'ger würd' an meinem Platze warm
Geworden seyn! Was Wunder, wenn sich Schwefel
Entzündet, der zu nah' am Feuer steht?
Auf eine Probe, die kein Mann besteht,
Die Tugend eines Mannes stellen,
Und wenn sie, wie natürlich, sich vergeht,
In schwere Strafe sie verfällen,
Das nenn' ich — edle Frau, verzeiht,
Beleidigung der Menschlichkeit."
Und du, (erwiedert ihm die Frau) von früher Jugend
Zu Uebungen der reinsten Engelstugend
Gewöhnt, du nennst die Probe, der ich mich
Heut' unterwarf, zu schwer nicht nur für dich,
Für Jeden, der auf keiner höhern Stufe
Als der des Menschen steht? —Wohlan, so wisse dann,
Die dir mit Recht verhaßte Wasserkufe
Ist sieben Jahre schon bestimmt für einen Mann,
Den, fünfzig Meilen weit im Umkreis, wer ihn kennet
(Ich sagte dir's bereits) der Männer bravsten nennet,
Mit einem Wort, für meinen eignen Mann.
Das nämliche Gelübd', auf unsers Kindes Bahre
Mit Thränen angelobt, das uns auf sieben Jahre
Enthaltung auferlegt, schließt auch die Clausel ein,
Die dich, mein Bruder, so empöret.
Der Einfall mit der Wasserkuf' ist sein;
Und wenn ihm ja was Menschlichs widerfähret,
So hat er mir's zur Pflicht gemacht,
Daß ich durch eben diese Kufe,
Die drei Mal dich zurecht' gebracht,
Ihn wieder zur Besinnung rufe.
Dir that ich pünktlich, was er mir befohlen hat:
Ich nahm dich auf, als käm' er selbst an deiner Statt,
Wie du, dem Anschein nach, es werth zu seyn verhießest;
Und da du dich zu großer Ungebühr
Von Satans Engel reizen ließest,
Da widerfuhr nicht mehr noch minder dir
Als ihm in solchem Fall'. Auch zeigt' ich mich, wie billig,
Zu diesen kleinen Diensten willig,
Die ich dem Seneschall zu leisten schuldig bin.
In diesem Allem, Freund, find' ich in meinem Sinn
Nichts, das mit Recht zu tadeln wäre:
Aus Weibespflicht und Menschenpflicht
That ich, was ich gethan, und meine Schuld ist's nicht,
Daß du dem Klausnerstand so wenig Ehre
Gemacht. Wer hätte das von dir sich vorgestellt?
Dem heil'gen Mann, der sich der argen Welt
Schon dreißig Jahr' entzog, um bloß im Geist zu leben,
Kann, dacht' ich, solch ein Kampf (wenn Kampf auch nöthig ist)
Erwünschten Anlaß nur zum leichten Siege geben.
Daß du so weit zurück geblieben bist,
Beweiset just nicht viel fürs abgeschiedne Leben.
Hier schweigt die schöne Frau. Bei ihrer Rede hängt
Mein Klausner, von Gedanken, die einander
Verklagen und entschuldigen, gedrängt,
Den Kopf, und ziemlich lange fand er
Die Sprache nicht, so voll und so verengt
War seine Brust. Ihm rollen dicke Zähren
In seinen Bart, er seufzt und blickt empor
Und kann sich länger nicht erwehren,
Die Seneschallin zu belehren,
Was für ein Wort, vom Himmel in sein Ohr
Gedonnert, ihn aus seiner lieben
Einsiedelei heraus getrieben:
Was ich erfuhr, beweiset nur zu klar,
Setzt er hinzu, daß es ein Wort vom Himmel war.
Mein Bruder, spricht die Frau, wenn dich in deinem Winkel
Beim Drang zur Heiligung ein wenig Eigendünkel
Beschlich, so hat vielleicht ein Stand, worin ein Mann,
Um seine Tugend recht zu schätzen,
Sich selbst nicht auf die Probe setzen,
Sich nicht an Bessern messen kann,
Die Abgeschiedenheit, nicht wenig Schuld daran.
Der Seneschall und ich, wir leben
Auf unserm Posten in der Welt;
Fest überzeugt, wir sind dahin gestellt,
Mit stillem redlichem Bestreben
Nicht mehr noch weniger als unsre Pflicht zu thun:
Und wenn wir uns verbunden schätzen,
Zu halten, was ein rasches Wort zur Pflicht
Uns machte, so geschah es nicht,
Als ob wir großen Werth in diese Opfer setzten;
Genug, ein Biedermann erfüllt, was er verspricht,
Wenn's möglich ist. Mit gleich einfält'gem Willen
Sind wir, wie uns Gelegenheit
Gegeben wird, nicht weniger bereit,
Gemeinre Pflichten zu erfüllen.
Wir, die uns um den Ruf und Schein der Heiligkeit
In unsrer Einfalt nie bewarben,
Wir theilen unsern Ueberfluß
Mit Allen gern, die unverschuldet darben;
Und was wir uns für sie entziehn, ist uns Genuß.
Nie sieht man uns den Anlaß meiden,
Uns mit den Fröhlichen zu freun
Und mit den Leidenden zu leiden.
Wer unsre Hülfe braucht, kann ihrer sicher seyn;
Und, während wir uns dieß und das versagen,
Ergetzen wir uns oft an fremden Hochzeittagen.
Denn, unter uns, ich bin die Juno Pronuba
Von manchem wackern Paar' in Aquilegia,
Das ohne mich den Weg zum Ehebette
Aus Armuth nie gefunden hätte.
In Allem diesem thun wir nichts als unsre Pflicht
Und spiegeln uns in unsrer Tugend nicht.
An eitelm Ruhm' ist wenig uns gelegen.
Auch sind wir nicht für unsre Mängel blind:
Denn Alles, Bruder, was wir auch zu thun vermögen,
Ist immer weniger, als was wir schuldig sind.
—————

Hier schweigt sie abermal. Lutz läßt die Ohren hängen,
Sein hageres Gesicht scheint sich noch zu verlängen,
Allein sein Dünkel schrumpft in sich hinein.
Lutz, denkt er, Lutz! du bist doch nur ein armer Sünder,
Und wahr das Wort: So ihr nicht werdet wie die Kinder,
So geht ihr nicht ins Reich der Himmel ein.
Die Seneschallin kann nunmehr den Rest der Nacht
In tiefer Ruh' an seiner Seite liegen,
Und wie's der erste Strahl im Zimmer dämmern macht,
Sieht Lutz sie durch die Teppichwand sich schmiegen.
Er selber kriecht in seinen Pilgerrock,
Wirft einen Blick, mit dem ein kleines Fieber
Ihn schüttelt, auf die Kufe gegenüber,
Nimmt eilend seinen Knotenstock,
Läßt bei der gnäd'gen Frau sich melden,
Empfiehlt, demüthiger, als einem Tugendhelden
Geziemt, sich selbst in ihr Gebet
Und wandert nun, viel weniger gebläht,
Als da er kam, mit manchem Wurm in seiner Seele
Und manchem Pfahl im Fleisch, nach seiner Bärenhöhle.
—————

Gedichte an Olympia. .

Nimm aus der Hand der Dankbarkeit und Treue,
Schutzgöttin meines Musenspiels,
Die Blumen huldreich an, die Kinder des Gefühls,
Die ich in diesem Strauß zum zweiten Mal Dir weihe.

I. Zweierlei Götterglück.

Am 24. October 1777.

1.

Der Götterstand —sprach einst von seinem Wolkenthron
Der Sultan im Olymp zu Majens schönem Sohn —
Der Götterstand, Herr Sohn, um ihm sein Recht zu geben,
Ist (unter uns) beim Styx! ein schales Leben.
Ja, wer nur nicht dazu geboren wär',
Und allenfalls auf acht bis vierzehn Tage,
Da ließ' ich's gelten! Aber mehr
Wird Unsrer Deität am Ende sehr zur Plage.
Man kriegt zuletzt des Weihrauchs so genug!
Und für und für zum Dudeldum der Sphären
Die Grazien tanzen sehn, die Musen singen hören,
Und immer Ganymed mit seinem Nektarkrug,
Ich sage dir, man kriegt's genug!
Dann noch dazu den ew'gen Litaneien
Des Erdenvolkes die Ohren herzuleihen!
"Zeus, gib mir dieß! Zeus, gib mir das!"
Ein tolles Galimathias
Von Bitten ohne Sinn und Maß
Um nichts und wieder nichts, oft um Unmöglichkeiten!
"Es sind ja (sagen sie) dir lauter Kleinigkeiten!
Ein wenig Sonnenschein zu meiner Wäsche nur!"
"Zwei Regentage bloß für meine trockne Flur!"
Ruft Mann und Frau aus hellem Munde
In einem Haus', in einer Stunde.
Der Dedschial hör' alle das Gebrüll!
Thät' ich ein einzig Mal, was Jeder haben will,
Es richtete die Welt und mich zu Grunde.
Kurz, trauter Sohn, die Stiefeln angeschnürt!
Steig', eh' ich hier des Gähnens müde werde,
Ein wenig nieder auf die Erde,
Zu sehn, ob man dort sich besser amüsirt!"
Mercur gehorcht, und, ohne anzufragen,
Ob Juno nach dem Erdenplan
Was zu bestellen hat, und ohne Donnerwagen
Schleicht Jupiter sich weg und wird bei Leda — Schwan.

2.

Von feinerem Gefühl getrieben
Vertauschte mit dem Hirtenstand
Apollo den Olymp. Er stieg herab und fand
Die Menschen, die man ihm bald gar zu gut beschrieben,
Bald gar zu schlimm, wie's immer pflegt zu gehn,
Erträglich erst und endlich gar zum Lieben.
Die Leutchen, mußt' er sich gestehn,
Gewännen näher angesehn;
Und setzte man sich nur auf gleichen Fuß mit ihnen,
So wären sie doch ganz was Andres, als sie schienen,
Da er aus seinen Wolkenhöhn
Wer weiß wie schief auf sie herunter schielte,
Mit einem Wort': Apoll, sobald er Mensch sich fühlte,
Entdeckte — was er nie als Göttersohn gewußt —
Es schlage was in seiner linken Brust;
Und unvermerkt, mit lauter Scherz und Spielen,
Lernt seine Gottheit auch für arme Menschlein fühlen,
Nimmt fröhlich Theil an ihrer Lust,
Entdeckt sogar, auch das sey wahre Lust,
Und von der besten Art, mit Andern sich betrüben,
Kurz, schmeckt die Wollust, da zu seyn,
Zum ersten Male ganz und rein
Und merkt zuletzt — (was ihm bisher geheim geblieben)
Die Kunst von Allem dem sey — Lieben.
Was von Thessaliens Volk Apoll
Nicht Alles lernte! Tausend Sachen,
Wovon euch Göttern nie ein Wörtchen träumen soll:
Den losen Scherz, das wohlgemuthe Lachen,
Gedrückt von keinem Zwanggesetz,
Und ohne Absicht, ohne Schraube,
Das trauliche, gutlaunige Geschwätz
Beim Abendstern in einer Sommerlaube,
Und o! den großen Talisman,
Mehr freie Herzen zu gewinnen,
Als Mahmud oder Dschingiskhan
Sich Sklaven durch sein Schwert gewann,
Den Zauber, den die Charitinnen
Cytherens Gürtel eingewebt,
Was jeden Mangel deckt und jeden Reiz erhebt,
Gefälligkeit. — Sey einer von uns Allen,
Verlange nichts voraus, — wir werden dir gefallen,
So wie du uns gefällst! — Die erste Schäferin,
Die, ohne daß sie auf ihn zielte,
In frohem Muth' und dumpfem Sinn
Das Herz ihm aus dem Busen spielte,
Ward seine Sittenlehrerin.
"Ein bloßer Hirt — ist's möglich? — vorgezogen
Dem schönsten Gott?" — Das schrie um Rache! — Schon
Ergriff sein Zorn den mächt'gen Pythonsbogen;
Zu gutem Glück' entfloh der Sehn' ein sanfter Ton.
Er stutzt, und plötzlich kommt ein Einfall angeflogen,
Der seinen Eifer kühlt und bald zum Mittel wird,
Das Ziel, wornach er lüstet, zu erreichen.
Halt! denkt er, bist du hier was Andres als ein Hirt?
Was forderst du voraus vor deines Gleichen?
Dem Hirten, der gefällt, muß Gott und Halbgott weichen,
Der nicht gefällt! Versuch's, gewinne sie!
Das Herz ist frei, und Lieb' erzwingt sich nie.
Stracks geht er hin und macht aus seinem Bogen
Ein Werkzeug des Gefühls; der Dolmetsch süßer Pein,
Die neue Leier, liegt, mit Saiten straff bezogen,
In seinem Arm' und schwirret durch den Hain.
Herbeigelockt von ihren süßen Tönen
Versammeln sich um ihn die Hirten und die Schönen,
Ein Jedes will des Wunders Zeuge seyn.
Bald wirkt der Zauber, Arme schlingen
In Arme sich, den Füßen wachsen Schwingen,
Der ungelehrte Tanz dreht rasch sich um ihn her,
Und wer war glücklicher, als er!
Wie lieben Alle nun den Schöpfer ihrer Freuden!
Er ist, wiewohl in Schäfertracht,
Ein Gott für sie! Er hat sie glücklicher gemacht.
Wie freundlich nun ihm jede Hirtin lacht!
Wie drängt man sich, um nah' an ihm zu weiden!
Und wenn am warmen Abendglanz'
Im Rosenbusch, zu Chloens Füßen —
Indeß die Holde manchen süßen
Verstohlnen Blick am halbgeflochtnen Kranz'
Herunterschlüpfen läßt — wenn dann die sanfte Leier
Der Liebe Schmerzen mit gedämpftem Klang
So zärtlich klagt, stets näher sein Gesang
Ans Herz sich schmiegt, das durch den leichten Schleier
Stets höher schlägt, und nun, wenn sich in vollem Feuer
Der Harmonieenstrom ergießt,
In süßem Mitgefühl zerfließt:
O, welche Wonne ist's — in diesem Augenblicke
Ein Mensch und nur ein Mensch zu seyn!
Wie wenig ist Genuß in ungetheiltem Glücke!
In ihren Freuden selbst sind Götter stets —allein.
Apoll behielt in seinem Hirtenstande
Vom Gott' allein des Wohlthuns edle Macht.
Mit jedem Tag' erwacht
Das Volk am Peneusstrande
Zu neugeborner Lust.
Ein feineres Gefühl entfaltet sich ganz leise
In jeder Brust,
Man sieht und hört nicht mehr nach alter Weise,
Der Nebel fällt vom Antlitz der Natur,
Und, o! wie schön, wie neu ist Wald und Flur!
Man fühlt sich selbst in allen Wesen leben,
Vom Blümchen, das der Erd' entspringt,
Zum Vogel, der in hohen Wipfeln singt,
Scheint Alles uns vom Seinen was zu geben,
Verwebt uns Alles mit ins allgemeine Weben.
Der holde Geist der Eintracht schlingt
Sein goldnes Band um Alle, stimmt die Herzen
Zu sanften Freuden, süßen Schmerzen;
Die lange Weile flieht, und nur zu leicht beschwingt
Entfliehen jetzt, man weiß nicht wie, die Stunden,
Die man vordem so drückend lang gefunden.

3.

Der Ruhm, dieß Wunder zu erneun,
Olympia, der seltne Ruhm, sey Dein!
Der schönste aller Deiner Preise!
Wohl Dir, die in dem Weihrauchkreise
Der Erdengötter nicht den hohen Sinn verlor
Für Freiheit und Natur, nach alter deutscher Sitte
Sich einen Wald zum Ruhesitz erkor
Und in der moosbedeckten Hütte,
Wenn tief im nächtlich stummen Hain
Auf offnem Herd die heil'ge Flamme lodert,
Sich glücklich fühlt und nichts vom Schicksal fodert.
Des Waldes Geister sehn den ungewohnten Schein
Ringsum die hohen Buchen weißen
Und nähern freundlich sich und heißen
Willkommen Dich in ihrem stillen Reich.
Wir spüren sie bald leichten Nebeln gleich
Um halbbestrahlte Erlen lauschen,
Bald über uns durch hohe Wipfel rauschen.
Ein leises Grauen schleicht um unsre Brust,
Doch stört es nicht, erhöht nur unsre Lust.
Wir singen — um Dich her im Kreise
Gelagert — nach der schönen Weise,
Die dir, Olympia, die Musen eingehaucht,
"Zaydens Schmerz bei ihres Mohren Klagen,"
Und fühlen unser Herz im Busen höher schlagen:
Bis jetzt der Herd mit trüberm Feuer raucht,
Und späte Sterne, die durch schwarze Wipfel blinken,
Uns in die Burg zurück zu unsern Zellen winken.
Was ist's, das uns Olympiens hehren Wald
Zum Zaubergarten macht, zum Tempel schöner Freuden,
Zu dem man eilt, um zögernd draus zu scheiden?
Sie selbst! — O! würde sie zu ihrem Aufenthalt
Der rauhsten Alpe Gipfel wählen,
Der rauhsten Alpe würde bald
Kein Reiz der schönsten Berge fehlen.
Ja, zöge sie bis an den Anadir,
Wohin sie gehen mag, die Musen folgen ihr,
Ihr einen Pindus zu bereiten.
Sie, von Olympien stets geliebt, gepflegt, geschützt,
Belohnen sie durch ihre Gaben itzt.
Sie schweben ihr in ihren Einsamkeiten,
Wenn sie im Morgenthau die Pfade der Natur
Besuchet, ungesehn zur Seiten
Und leiten sie auf ihre schönste Spur.
Und wenn sie, in begeisterndem Entzücken,
An einen Stamm gelehnt, mit liebender Begier,
Was sie erblickt und fühlt, sich sehnet auszudrücken,
So reichen sie den Bleistift ihr.
Sie sind's, die am harmonischen Clavier
Der leichten Finger Flug beleben;
Und wer als sie vermöchte ihr
Die Melodieen einzugeben,
Von denen das Gefühl der lautre Urquell ist,
Die tief im Herzen widerklingen,
Die man beim ersten Mal' erhascht und nie vergißt
Und niemals müde wird zu hören und zu singen?
O Fürstin, fahre fort, aus Deinem schönen Hain
Dir ein Elysium zu schaffen!
Was hold den Musen ist, soll da willkommen seyn!
Doch Allen, die in deine Wildniß gaffen
Und nichts darin als — Bäume sehn,
Dem ganzen Midasstamm der frost'gen langen Weile
Mit ihrem Troß, dem Uhu und der Eule,
Und ihrer Schwesterschaft von Gänschen und von Krähn,
Sey Deine Luft zu rein! Das traur'ge Völkchen weile
Stets an des Berges Fuß; und führt das böse Glück
Es ja hinauf, so kehr' es bald zurück
Und banne selber sich aus Deiner Republik!
Und so, Natur, und ihr, geliebte Pieriden,
Pflegt eurer großen Priesterin!
Ihr sey das schönste Los des Erdenglücks beschieden,
Zur Lust an euch ein immer offner Sinn,
Ein immer fühlend Herz und eine Quelle drin,
Die nie versiegt, von süßem innern Frieden!
Was sonst die Sterblichen zu wünschen sich ermüden,
Ist gleich der Flut im Faß der Danaiden:
Und schöpften sie äonenlang hinein,
Es würde niemals voller seyn.

II. Wettstreit der Malerei und Musik.

Im Jahre 1781.

Zwei Musen, deren Zwist zu steuern
Drei weise Männer unsrer Zeit
Viel Aufwand von Beredsamkeit
Und Witz gemacht, begannen ihren Streit
Am vierundzwanzigsten des Weinmonds zu erneuern.
Den andern Musen ward die Weile lang dabei;
Es schien, als ob der Zwist zu mehr nicht nütze sey,
Als beider Galle zu versäuern.
Ihr Kinder, sprach zuletzt der schöne Gott des Lichts,
Laßt eure Zungen einmal feiern!
In diesem Streit, ich kann's beim Styx betheuern,
Hilft Lock' und Wolf und Plato selber nichts,
Als eure Eifersucht vergeblich anzufeuern;
Denn so viel zeigt sich angesichts,
Du kannst nicht malen, sie nicht leiern.
Was jede kann, ist gut in seiner Art,
Ihr wirket einzeln viel und drei Mal mehr gepaart;
Doch, welche mehr? soll jetzt die That entscheiden.
Laßt sehn und hören, was ihr könnt,
Um einer Fürstin, die euch beiden
Gleich hold ist — (Jhren Namen nennt
Euch euer Herz)— und die von ihrem schönen Leben
Euch immer wechselsweis den schönsten Theil gegönnt,
Was sie um euch verdient, Unsterblichkeit, zu geben.
Ich bin bereit, rief Polyhymnia.
Und Alles schwieg und lag in stiller Feier;
Und jedes Herz schlug höher, jedes Auge sah
Entzückt empor, da ihrer goldnen Leier
Die Harmonie bald zaubrisch süß entfloß,
Bald majestätisch sich wie Meereswogen wälzte,
Bald Feuerströmen gleich aus Donnerwolken schoß;
Die Seelen bald in Liebeswehmuth schmelzte,
Bald kühn und stolz, mit immer höherm Flug,
Dem Adler gleich, zum Sitz der Götter trug.
Die Aganippe vor Vergnügen
Hielt ihren Strom zurück, es schien der Lorberhain
Zum himmlischen Getön die Wipfel hinzubiegen,
Und in den Lüften hielt im Fliegen
Der Vögel Schaar auf einmal lauschend ein.
Die Musen sahn einander an und schwiegen,
Apollo lächelte, und Polyhymnia,
Die, was man ihr verschwieg, in jeder Miene sah,
Verbirgt in Kalliopens Busen
Ihr glühendes Gesicht. Ein ander Mal, mein Kind,
Vergiß nicht, spricht der Gott der Musen,
Daß selbst der Götter Ohren — blind,
Und alle deine Zaubereien
Nur lieblicher Tumult und dunkle Räthsel sind,
Wenn andre Musen dir nicht ihre Sprache leihen.
Jetzt warf er einen Blick dahin,
Wo, mit Palett' und Pinsel in den Händen,
Apellens schöne Lehrerin
Beschäftigt stand ein Bildniß zu vollenden,
Das mit dem letzten Pinselstrich
Ins Leben sprang und ganz in allen Zügen
Der Fürstin, die er liebte, glich.
Zu ihren Füßen sah man liegen,
Was größern Glanz ihr schuldig war, als gab,
Den Fürstenhut, den goldnen Hirtenstab;
Ihr huldigten, mit einer Blumenkette
Umschlungen von den Grazien.
Die Musenkünste in die Wette
Und alle milde Tugenden;
Und über ihr, aus eines Volkes Mitten,
Von ihr als Mutter einst beglückt,
Sah man die Töchter Zeus, die demuthsvollen Bitten,
Vom frommen Dank' emporgeschickt,
Mit heißen Wünschen für ihr Leben
Hinauf zum Thron des Göttervaters schweben.
Die Musen hatten kaum das Bild erblickt,
So flogen sie, die Schwester zu umarmen.
Es ist Olympia! rief jeder Mund entzückt:
Und Klio trug das Bild in ihren Armen
Die Stirn des Musenbergs hinauf
Und hing es am Altar des ew'gen Ruhmes auf.

III. Am ersten Tage des Jahres 1782.

Wenn es wahr ist, was die frommen Alten
Sangen, und was Alle, die in Dir,
Beste Fürstin, glücklich sind, was wir
Alle aus Gefühl so gern für Wahrheit halten,
Wenn die guten Fürsten Geniusse sind,
Die in menschlichen Gestalten
Unter uns das Götteramt verwalten;
Die der Tafel, wo der Nektar rinnt,
Sich begaben, bloß uns irdischem Gesind'
Auch, damit wir unsers Leids vergessen,
Dann und wann ein Tröpfchen zuzumessen:
Wenn dieß Wahrheit ist, Olympia,
O! so bleib' uns lange hold und nah!
So ermüde nicht, bei uns zu weilen!
Denn, verließest Du uns. alle edleren
Schönern Freuden, die mit Dir wir theilen,
Musen, Künste, Scherze, Grazien,
Spannten flugs, Dir nachzueilen,
Ihre Flügel aus und ließen uns allein.
Also laß die Lust in Deine Sphären,
Holde Göttin, wieder heim zu kehren,
Uns zu lieb' noch weit verschoben seyn!
Lang' umtanze noch der schönen Horen
Bunter Cirkel Dich und gieße, neu geboren,
Frische Blumen stets in Deinen Tritt:
Und wenn endlich doch das Heimweh nach dem Himmel
Dich besiegt, so nimm aus diesem Weltgetümmel,
Nimm uns, wenn Du auffliegst, alle mit!
—————

IV. Am 24. October 1784.

Der Wonnetag, der Dich geboren,
Erhabne Fürstin, kam heran,
Und, Dir mit leerer Hand zu nahn
Mich billig schämend, rief ich Floren,
Die freundlichste der milden Horen,
Um eine Handvoll Blumen an.
Du weißt, daß unter andern Gaben
Wir Dichter auch das Vorrecht haben,
Daß alle Geister, braun und weiß,
Aus Luft und Wellen, Thal und Hainen,
Uns auf den ersten Wink erscheinen.
Es braucht da keinen Zauberkreis,
Noch Zauberrauch, noch Zauberworte,
Noch Fallbrett, noch geheime Pforte;
Es braucht, um aus der andern Welt
Sie stracks herunter zu citiren,
Vor keinem Ball, von Dunst geschwellt,
Erst Stroh und Wolle anzuschüren;
Noch läßt man, sie zu attrahiren,
Sich um sein bares, blankes Geld
Von Mesmern erst magnetisiren:
Kurz, ohne Schwarzkunst und Magie,
Theosophie und Panurgie
Und andre Kunstmaschinerie
Muß über, unter und auf der Erden
Gott, Göttin, Halbgott und Genie
Uns, wenn wir rufen, sichtbar werden.
Kaum also, daß der Ruf geschah,
So stand, auf ihrem luft'gen Wagen
Von Schmetterlingen hergetragen,
Die Göttin leibhaft vor mir da:
Doch nicht in jenem Blumenkleide,
Worin sie uns im Mai entzückt,
Wenn, trotz dem funkelndsten Geschmeide,
Ein bloßer Strauß die Augenweide
Der losen Liebesgötter schmückt.
Anstatt der leichten Seide drückt
Ein Zobelpelz die zarten Glieder;
Er hängt in Falten steif und schwer
Um jeden ihrer Reize her
und zieht sie schier zur Erde nieder;
Und wie ein frisches Rosenpaar
Im Lenz ihr ganzer Hauptschmuck war,
So wackelt jetzt von Straußgefieder
Ein bunter Busch auf ihrem Haar
Bei jedem Schritte hin und wieder.
Zwar prangt ihr reiches Unterkleid
Mit tausend niedlichen Bouqueten,
Die mit Geschmack und Leichtigkeit
Sich zierlich in einander ketten;
Auch breitet sich ein großer Strauß
Von Anemonen, Veilchen, Nelken
Und Rosen, welche nie verwelken,
Gar stolz an ihrem Busen aus;
Man schwüre drauf, er sey natürlich
Und blüh' und dufte: aber, ach
Die Blumen blühen nur figürlich!
Sie wurden unter B**s Dach
Von jungen, züchtigen Brigitten
(Gleich rein an Fingern und an Sitten)
An einem langen Arbeitstisch'
Aus Leinewand und altem Plüsch
Und dünnem Taffent ausgeschnitten.
Ich sehe, sprach die Göttin, Freund,
Daß dir zu einem solchen Feste,
Wie alle Götter heut vereint,
Mein Aufzug etwas seltsam scheint.
Du siehst das Werk der frühen Fröste:
So hausen die Octoberweste!
Fürwahr, es ist bejammernswerth,
Wie sie in meinem Eigenthume
Geschaltet, Alles umgekehrt,
Entfärbt, zerknickt, versengt, zerstört;
So daß ich gegen mein Costume
Sogar mich selber, mit Verdruß,
In Contrebande kleiden muß.
Denn, leider! auch nicht eine Blume
Blieb mir anstatt der Händevoll,
Womit ich dich bedienen soll.
Ein einzig Röschen, spät geboren,
Wärmt' ich an meinem Busen auf;
Wie viele Sorge wandt' ich drauf!
Das letzte Lieblingskind von Floren
War für Olympiens Fest erkoren;
Du hättest ihr's in voller Pracht
In meinem Namen dargebracht;
Und auch dieß Röschen — ist erfroren!
Soviel ich mich erinnern kann,
Sah Flora hier mich lächelnd an,
Indem ich mit gesenkten Ohren
Kopfschüttelnd ihr vorüber stand
Und Antwort suchte und nicht fand.
In einem Nu erfüllt mein Zimmer
Mit süßem Duft' ein bunter Schimmer,
Dem ähnlich, der im Sonnenlicht
Aus einem Tulpenfelde bricht.
Behangen sind mit Blumenketten
Die Wänd' umher, ein Baldachin
Von Hyacinthen und Tazetten
Umwölbt die Blumenkönigin,
Und tausend junge Zephyretten,
An Flügeln Amors Psyche gleich,
An Farben gleich den Schmetterlingen,
Umfächeln sie mit seidnen Schwingen
Und bilden mir ihr Zauberreich.
Du Sohn des alten Schwans am Bober,
(So hör' ich, wie die Göttin spricht)
Der vierundzwanzigste October
Bedarf entlehnten Schmuckes nicht.
Ihm wird so leicht von andern Tagen
Sich keiner gleich zu stellen wagen;
Ihm, der des Engels stolzen Flug
Bestrahlte, der ins Erdeleben
Olympien einst herunter trug!
Verdiensts und Ruhms für ihn genug,
Sein Haupt vor andern zu erheben!
Indeß, wiewohl, an diesem Fest'
Ihr Zeichen meiner Gunst zu geben,
Die Zeit mir freie Hand nicht läßt,
Nichts soll in fünfzig künft'gen Lenzen
Die nie ermüdende Begier,
Olympien zu gefallen, ihr
Getreu zu seyn, in mir begränzen.
Ihr Hain sey künftig mein Revier;
Ihn soll ein ew'ger Frühling kränzen,
Und wo sie hinblickt, wo sie harrt,
Soll Florens stille Gegenwart
Ihr überall entgegen glänzen!
Mein bestes Nachtigallen-Chor
Soll ihr Erwachen laut begrüßen,
Und Blumen immer neu hervor
Aus jedem ihrer Tritte sprießen.
Will sie sich selbst Gesellschaft seyn,
Soll plötzlich sie im stillen Hain
Der schönste Rosenbusch umweben;
In seiner Blätter leisem Beben
Schein' ihr ein Genius zu schweben
Und lade sie zum Denken ein.
Wird ihre Hand den Reißstift halten,
So soll auf immer neuer Spur
In tausend wechselnden Gestalten
Die unerschöpfliche Natur
Vor ihren Augen sich entfalten!
Euch übergeb' ich ihre Flur,
Ihr holde Geisterchen! Vertheilet
Euch schwarmweis' überall darin;
Und wo, mit einem Plan' im Sinn',
Olympia im Gehn verweilet,
Da zaubert ein Elysium hin!
Mit diesem Wort verschwand der Baldachin
Von Hyacinthen und Tazetten,
Die schöne Blumenkönigin
Und alle ihre Zephyretten.
Frau Göttin, rief ich ihr, (ihr, die so viel versprach,
So wenig that) indem sie aufflog, nach:
Versprechen zeugt von gutem Willen;
Es kostet nichts und klingt doch fein;
Vergiß nicht, wenigstens die Hälfte zu erfüllen.
Wir wollen dir noch immer dankbar seyn.
—————

V. Am 24. October 1790.

Die Dankbarkeit, der Menschen erste Pflicht,
Ist, wie man, ohne sehr zu lästern,
Behaupten mag, der Götter Tugend nicht.
Die Grazien nehm' ich aus und ihre holden Schwestern,
Das heil'ge dreimal Drei, das auf dem Pindus thront,
Die freundlichsten der Götter und Göttinnen.
Die bloße Lust, womit man ihnen dient, belohnt
Schon durch sich selbst: uns wird an Herz und Sinnen
So wohl dabei, so leicht, so warm, so frei!
Die liebe Zeit, die insgemein wie Blei
Auf Adams Kindern liegt, scheint mit den Charitinnen
Und Musen immer nur zu schnell uns zu entrinnen,
Und kurz, das Wenigste, was wir durch sie gewinnen,
Ist hier — ein Himmelreich und dort —Unsterblichkeit.
Drum dächt' ich auch, (mit Gunst der werthen Christenheit!)
Wir blieben noch, solang' es uns gedeiht,
In diesem Stück' ein wenig — Heiden
Und schafften unsre Seligkeit,
Anstatt mit Angst und Herzbeklommenheit,
Im Dienst der Grazien — mit Freuden.
—————

Beschworen sey er denn an diesem goldnen Tag,
Der dich, Olympia, der Welt und uns gegeben,
Beim heil'gen Drei und Neun, der festliche Vertrag,
Solang die Parzen noch an unserm Daseyn weben,
Den Musen und den Grazien zu leben!
Sie haben von des Lebens Morgen an
So viel für dich, du hast so viel für sie gethan:
Wie sollte durch dieß wechselseit'ge Geben
Und Nehmen jenes Blumenband,
Das euch umschlingt, nicht unverwelklich dauern?
Was sag' ich? Führten sie nicht selbst an ihrer Hand
Dich in ihr zweites Vaterland
Im Jubel ein? — in jene stolzen Mauern,
Wo Göttin Rom, die Herrscherin der Welt,
Noch unter Trümmern sitzt, die Herz und Mark durchschauern,
Und den Kolossen gleich, von ihnen aufgestellt,
Die Heldengeister Roms noch ihren Fall betrauern;
Wo jeder Athemzug, geschwellt
Von dieser Zauberluft, den Funken
Des Hochgefühls, das uns zu Göttern macht,
Selbst in der engsten Brust zur hellen Flamme facht.
Doch, darf wohl ein Profaner sich entblöden,
Olympia, von dem, was du gesehn, zu reden?
Der Arme, dem das Heiligthum der Kunst
Stets unzugangbar blieb! Dem, ach! aus tiefer Ferne
Dieß Alles nur in blauem Dunst,
Traumähnlich oder gar gleich einem Nebelsterne,
Gespenstern gleich, die im Erscheinen fliehn,
Geahnet nur, ach! nicht gesehn, erschien!
Ihm ziemt es, mit religiösem Schweigen
Sich vor der Glücklichen zu beugen,
Die bis ins Heiligste der ew'gen Tempel drang,
Der höchsten Kunst der Neuern und der Alten,
Mit eignen Augen sah die göttlichen Gestalten,
Mit eignem Ohr den himmlischen Gesang
Der Musen hörte, Jahre lang
Mit Nektar und Ambrosia sich nährte
Und, als sie endlich — voll der Götterspeise, nicht
Gesättigt — wieder zu uns kehrte,
Beim ersten Wiedersehn, aus ihrem Angesicht
(Den Jüngern gleich, die Tabors Glanz verklärte)
Von Allem, was ihr Aug' in jenem Götterlicht
Gesehn, den Wiederschein in meine Seele strahlte
Und, o! so ganz sie selbst, so ganz Olympia,
Vor meinen Augen stand, wie sie —Angelika,
Der Grazien vierte Schwester, malte!
————
Ihr holde Drei, nehmt meinen Dank dafür,
Daß ihr Olympien und unser Glück in ihr
Uns wieder gabt! —Und wenn, was ich von euch gesungen,
Und wenn um eueren Altar
Ein Blumenkranz von mir geschlungen
Euch je nicht ungefällig war,
So hört mich jetzt! —Laßt die Erinnerungen
Aus jenem schönen Doppeljahr
Gleich Platons göttlichen Ideen
In einem ew'gen Traum vor ihrer Seele stehen!
Sein Zauber wirke stets auf ihre Phantasie,
Belebe stets ihr Herz, erneue
Mit jedem Morgen sich und streue
Nicht eignen Reiz auf Alles um sie her.
So, holde Grazien, geleitet sie durchs Leben,
Und (meinem kleinen Ich sein Recht nicht zu vergeben)
So laßt, in Belvedere's Hain,
Auch mich von Allem dem noch lange Zeuge seyn!

Idris und Zenide.

Ein romantisches Gedicht in fünf Gesängen.

1767.

Vorrede

Das folgende Gedicht ist der erste Versuch, den der Verfasser in einer Art von Stanzen, die den Ottave rime der Italiener ähnlich sind, gewagt hat.Der Unterschied besteht darin, daß in den Stanzen, worin Bojardo, Ariost, die beiden Tasso's, Marino und so viele Andere gedichtet haben, alle Zeilen gleich viel Sylbenfüße zählen, daß alle Reime weiblich sind, und daß die beiden Reime, an welche die ersten sechs Zeilen gebunden sind, immer auf einerlei Art alterniren, so daß immer die dritte und fünfte Zeile auf die erste, die vierte und sechste aber auf die zweite reimen: da hingegen in den Stanzen des Idris 1) Jamben von acht und neun, zehn und eilf, zwölf und dreizehn Sylben, nach Gutbefinden gebraucht werden; 2) die zwei Reime der sechs ersten Zeilen, ebenfalls nach Willkür, bald wechselsweise verschränkt, bald auf jede andre mögliche Art zusammengeordnet sind, und endlich 3) männliche und weibliche Reime abwechseln und nach Belieben die erste oder letzte Stelle der Stanze einnehmen können.Diese Freiheit, welche die Natur unsrer etwas ungeschmeidigen Sprache bei einem ersten Versuche, wo nicht nothwendig zu machen, doch wenigstens zu entschuldigen schien, kann in den Händen eines Dichters, der mit einem Ohr für Wohlklang und Numerus begabt ist, zu einer reichen Quelle musikalischer Schönheiten werden, wozu diese freiere Art von Stanzen einen wahren Vorzug vor den strengen Ottave rime erhält. Die Monotonie der letztern, die in einem großen Gedichte endlich sehr ermüden müßte, wird dadurch vermieden, und ein weit schönerer Periodenbau, mit einer sehr mannigfaltigen, oft nachahmenden, immer dem Ohre gefälligen Eurythmie und Singbarkeit (wenn ich so sagen darf) in diese Versart gebracht; Vortheile, wovon ganz gewiß kein geringer Theil des Vergnügens abhängt, welches auch solche Leser, die der Prosodie und Versification ganz unkundig sind, an Idris und Oberon gefunden haben.Was das Gedicht selbst betrifft, so erhielt es sein Daseyn größten Theils in den Jahren 1766 und 67 — oft nach langen Unterbrechungen und unter dem Drucke eines öffentlichen Amtes, dessen Geschäfte geschickter waren, die Musen und Grazien zu verscheuchen als anzulocken. Die Dichtkunst war damals für den Verfasser eine Art von Nepenthe, womit er, wie sein Horaz, von Zeit zu Zeit ein süßes Vergessen der Mühseligkeiten des geschäftigen Lebens einschlürfte. Die Besuche, die ihm seine Muse nur verstohlner Weise geben konnte, waren selten und kurz; es war ihm also auch dabei mehr um sein eigenes Vergnügen als um fremden Beifall uno Ruhm zu thun, und dieß hatte ohne Zweifel in die Wahl des Stoffs und die Art der Behandlung desselben (worüber er sich in den ersten Stanzen hinlänglich erklärt hat) einen Einfluß, der dieses Gedicht vielleicht zu mehr Nachsicht berechtiget, als es unter andern Umständen fordern könnte.
Wirklich führte der Geist Capriccio —
ille sciens animos et pectora versans
Spiritus, a capreis montanis nomen adeptus,den Verfasser unvermerkt weiter, als er anfangs zu geben gedachte. Was ein bloßer Einfall war, wurde durch das Vergnügen, das mit einer nicht ganz unglücklichen Bekämpfung unzähliger Schwierigkeiten verbunden ist, unvermerkt zu einer angenehmen Beschäftigung. Indessen war doch schon bei der ersten Ausgabe dieser fünf Gesänge seine Meinung, daß sie eine Art von Gegenstück zu den Vier Facardins des Grafen Anton Hamilton bleiben sollten: und es war blosser Scherz, ala er versprach, den Idris zu vollenden, sobald drei Kunstrichter und drei Prüden sich zu einer Bittschrift um Vollendung desselben unterzeichnen würden. Er bildete sich damals wenig ein, daß man ihn jemals beim Worte nehmen würde, und kann sich jetzt (Was auch feine Freunde sagen mögen) noch weit weniger vorstellen, daß Jemand, nach Verfluß von beinahe dreißig Jahren, noch grausam genug seyn könnte, ein solches Versprechen gegen ihn geltend zu machen.
Alles, wozu er sich verbunden hielt, war, von den vielen und mannigfaltigen Flecken, womit die erste Ausgabe behaftet war, die folgenden nach und nach, soviel ihm möglich war, zu reinigen. Indessen hat es ihm mit aller auf die letzte Auspolirung verwendeten Zeit und Mühe dennoch nicht gelingen wollen, sich selbst ein Genüge zu thun; und Leser, die in ihren Forderungen an einen Dichter strenger sind, als die meisten es zu seyn pflegen, werden hier und da noch genug kleine Unregelmäßigkeiten finden, die sich nicht wegpoliren lassen wollten, und die an einem ersten Versuch in einer so schwierigen Versart vielleicht zu übersehen sind, aber keinem Andern zur Entschuldigung gereichen können.
—————

Erster Gesang,

1.

Für welchen Gott, für welchen Göttersohn,
O Muse, slimmest du, in Kalliopens Schleier
Vermummt, die ungelehr'ge Leier
Zum Heldenlied' in kriegerischem Ton?
Versuch' es nicht! Sie bleibt den Grazien getreuer!
Wenn du Rinaldo singst, tönt sie Endymion:
Sie weigert sich, castilischen Guitarren
Den Ruhm der Amadis und Cide nachzuschnarren.

2.

Die Welt ist längst der Kurzweil satt,
Den zornigen Achill, die zärtlichen Aeneen
Mit andern Namen auferstehen
Und lächerlich verkappt in neuer Tracht zu sehen.
Was im Homer das Recht uns zu gefallen hat,
Wird in der Neuern Mund oft schwülstig, öfter platt:
Und doch sich neue Bahnen brechen
Heißt in ein Nest gelehrter Wespen stechen.

3.

Schreckt diese Furcht dich nicht, und fühlt
Dein Busen Muth genug, so wage dich in Welten,
Worin die Phantasie als Königin befiehlt,
Wo alle Dinge nur, so viel wir wollen, gelten.
Dem allgemeinen Ohr, für das der Dichter spielt,
Mißfällt die Wahrheit oft, das Ungereimte selten:
Bedien' einmal die Welt nach ihrer Art
Und zeige, daß Vernunft sich auch mit Thorheit paart.

4.

Vom dummen Ernst wird zwar dieß Bündniß angeschwärzet:
Doch sey es! Steht dir nur die Laune zu Gebot
Von deinem Hamilton, dem Zärtlichkeit und Spott
Aus schwarzen Augen lacht, halb Faun, halb Liebesgott;
Der Zephyrn gleich um alle Blumen scherzet,
Um alle buhlt, doch nur die schönsten herzet
Und, daß sein kleines Horn die Nymphen nicht erschreckt,
Es unter Rosen schlau versteckt.

5.

Durch ein verwickeltes Gewinde
Von Feerei und Wundern fortgeführt,
Sey, wer dich liest, besorgt, wie er heraus sich finde,
Und nahe stets dem Ziel' — indem er es verliert;
Er fühle, daß Natur sogar in Mährchen rührt,
Und daß Geschmack und Witz mit Allem sich verbinde.
Er folge sonder Zwang, wohin die Phantasie
Ihn führt, lächl' oft und gähn', ist's möglich, nie.

6.

Verbirg ihm stets die unwillkommnen Züge
Der strafenden Satir' in schlaue Tändelei;
Man lese dich, man suche nichts dabei,
Als wie man angenehm sich um die Zeit betrüge,
Und finde, still beschämt, daß deine Schilderei
Nicht halb so viel als die Erfindung lüge.
Ersetzen ist der Musen erste Pflicht,
Doch spielend geben sie den besten Unterricht.

7.

Es dürfte, was du malst, die schöne Unschuld lesen,
Trotz aller Furcht, die schüchternen Agnesen
Hans Jakob Rousseau eingejagt.
Die ist gewiß vorher verführt gewesen,
Die dich, getreuer Hirt, der Kuppelei verklagt.
Die wahre Tugend ist nicht trotzig, nicht verzagt
Und wagt es, ohne sich zu wenig zuzutrauen,
Den keuschen Idris selbst im Bade anzuschauen.

8.

Gesetzt, sie fühlt bei dem Gemälde schon
Was Menschliches; so dient es ihr zur Lehre;
Sie denkt: Wie ging' es erst, wenn ich die Nymphe wäre?
Und läuft, im Falle selbst, nur hurtiger davon.
Was Jtiphalln betrifft, der spricht nur Spröden Hohn,
Und diese wehren sich mit Recht um ihre Ehre.
Vielleicht daß ihn, von seinem Spott bewegt,
Brigittens Zunft durch Bess'rung widerlegt.

9.

Die Tadler, Muse, scheue nicht;
Das Schöne selbst gefällt nicht Allen.
Wie? wenn dich auch Pantil, die Wanze, sticht?
Was hälfe dir das Lob der Buden und der Hallen?
O, möchtest du, wenn dir die Menge Lorbern flicht,
Dem echten Kenner nicht mißfallen,
Der ohne Schalkheit prüft, zum Tadel langsam ist
Und jede Schwierigkeit, die du besiegt, ermißt!

10.

Den Aristarchen liegt die Pflicht des Tadelns ob;
Sie sitzen zu Gericht und dürfen nichts verzeihen.
Dem Züchtling zwar dünkt stets die Peitsche grob,
Doch lacht die Welt nur mehr, je mehr die Dunse schreien.
Verdiene, wenn du kannst, des strengen Richters Lob,
Doch, ohne dich vor seinem Ernst zu scheuen.
Sein Tadel nützt der Kunst, und ging' er auch zu weit,
So schadet ihm, nicht dir, die Unbescheidenheit.

11.

Gefällst du endlich nicht, stimmt Welt und Kenner ein,
Dich deines Diensts zu überheben:
So mag dein Trost in diesem Unfall seyn,
Daß du, bei süßer Müh, mir viele Lust gegeben.
Du machst, o Muse, doch das Glück von meinem Leben,
Und hört dir Niemand zu, so singst du mir allein.
Und so beginne nun in ungestörtem Frieden
Das schöne Abenteur von Idris und Zeniden.

12.

Es sank aus unbewölkten Lüften,
Nach einem schwülen Tag, der Abend sanft herab;
Die Blumen, denen er das Leben wieder gab,
Durchbalsamten die Flur mit süßen Frühlingsdüften;
Die Weste kühlten sich an Silberbächen ab
Und luden hier und da die Nymphen in den Grüften
Bei Lunens jüngferlichem Schein
Zum stillen Bad' und leichten Tänzen ein.

13.

Um diese Zeit, da Tag und Nacht sich gattet,
Stieg, wie die Chronik sagt, in einem Myrtenwald'
Ein junger Ritter ab. Er schien sehr abgemattet:
Doch hätte, wie er war, an Anstand und Gestalt
Don Galaor, Jacondo und Rinald,
Ja selbst Medor den Preis ihm ohne Kampf gestattet.
Er glich in Stahl dem Freund der Göttin von Cythere,
Und ohne Rüstung schien's, als ob er Amor wäre.

14.

Er hatte, seit Aurorens goldne Pforten
Dem Tag sich aufgethan, bis jetzt in einem fort
Die Reise fortgesetzt, die ihm gerathen worden.
Sein Pferd, ein edles Thier vom ritterlichen Orden,
Flog Rehen gleich und doch im schnellen Flug
Des Ritters Ungeduld nicht schnell genug:
Er ritte noch, wofern' ihn Raspinette,
Die keinen Fuß mehr fühlt nicht abgemahnet hätte.

15.

Herr Ritter, sagte Raspinette,
Die Trägheit, wie Ihr wißt, ist sonst mein Fehler nicht,
Ich lauf' im Fall der Noth mit Greifen in die Wette;
Allein Ihr spannt, bis Sehn' und Bogen bricht.
Wir rennen, seit aus ihres Alten Bette
Aurora stieg, bis bald zum Sternenlicht:
Mehr ist zu viel; mir klebt die Zung' am Rachen;
Wir könnten, dächt' ich, hier wohl eine Pause machen.

16.

Seht Ihr die Quellen dort, die durch den jungen Hain,
Beblümt an jedem Bord, sich, Kränzen ähnlich, winden?
Bequemer kann kein Platz, selbst in den stillen Gründen
Elysiums, zum Uebernachten seyn.
Ich würde frisches Gras an dieser Quelle finden,
Und Ihr, Herr Ritter, schließt bei ihrem Murmeln ein.
Ihr könntet, unterm Duft von jenen Myrtenbäumen,
Recht angenehm von Eurem Fräulein träumen.

17.

Der schöne Ritter hört des klugen Pferdes Wort,
Steigt ab, läßt Raspinetten grasen
Und sucht am blumenvollen Bord
Des fließenden Krystalls' auf sammetweichem Rasen,
Zur Lagerstatt sich einen schönen Ort,
Wo, sanft von Zephyrn aufgeblasen,
Sich volle Rosenbüsch' in wilden Lauben ziehn
Und wie Rubin im Abendschimmer glühn.

18.

Im Mittel dieser Rosenhecken
Ergoß das Wasser sich auf goldbestäubtem Sand'
Aus manchem kleinen Arm' in ein geraumes Becken,
Mit Marmor ausgelegt, doch nichts von Menschenhand.
Es schien gemacht, die Badlust zu erwecken.
Der Ritter hatte kaum die Augen hingewandt,
So fiel ihm ein, sich hier ein wenig abzukühlen
Und seinen schönen Leib vom Sommerstaub zu spülen.

19.

Er schnallt den Harnisch ab, legt Helm und Lanze nieder
Und überläßt der lauen Flut
Den frischen Reiz der jugendlichen Glieder.
Ihr unbefleckter Schnee, getuscht mit Rosenblut,
Scheint aus den Spiegelwellen wieder,
So wie der Sonne Bild von glattem Marmor thut.
Ihm hätte kaum (die Wahrheit zu gestehen)
Die alte Vesta selbst kaltblütig zugesehen.

20.

Der keusche Ritter glaubt in diesem stillen Bade
Allein zu seyn und unbelauscht;
Er plätschert wie ein Aal: als plötzlich vom Gestade
Ein raschelndes Getös' ihm in die Ohren rauscht.
Es war — was rathet ihr? — die lieblichste Najade,
An deren Anblick je ein Triton sich berauscht:
Es hatte sie, auf Klee am Ufer hingestreckt,
Aus einem leichten Traum sein Plätschern aufgewecket.

21.

Man kennt aus Gabalis glaubwürdigen Berichten
Die Reize der Ondinen schon;
Auch Rubens liebte sie um Amphitritens Thron
In großen Gruppen aufzuschichten,
So wohl genährt, so üppig und (mit Züchten)
So nackt, daß einem Mann davon
Die Augen übergehn. Wir sollten also denken,
Ihr könntet uns die Müh', ihn zu copiren, schenken.

22.

Viel Tritons hatten ihr vergeblich nachgetrachtet,
Viel Faunen manche Nacht umsonst für sie durchwacht;
Der schönste ward von ihr nicht schön genug geachtet;
Zeus hätte sich umsonst zum Schwan für sie gemacht.
Doch ungerochen wird Cupido nie verachtet!
Ihr Stündchen kam, da sie's am wenigsten gedacht:
Und freilich dürft' es auch der Sprödesten auf Erden
Gefährlich seyn, so überrascht zu werden.

23.

Sie stutzt, erröthet, will entfliehn
Und bleibt, indem sich schon die schönen Knöchel heben,
Wie in der Flucht versteint, halb überm Boden schweben:
Ein fremder Zauber scheint auf unsern Paladin
Den abgewandten Blick mit Macht zurückzuziehn;
Sie muß dem stärkern Gott sich überwunden geben;
Sie steht und saugt mit gierig offnen Blicken
Der Liebe süßes Gift und schmerzendes Entzücken.

24.

Der Augenblick, da uns ein schöner Gegenstand
Die ersten Seufzer lehrt, gibt uns ein neues Wesen;
Er macht die Wunder wahr, die wir in Dichtern lesen,
Flößt Klötzen Seelen ein, nimmt Weisen den Verstand;
Ein Busen sey so kalt wie Alpenschnee gewesen
Und härter als der Diamant,
So zwingt ihn Amors Hauch, in Flammen aufzuwallen
Und sehnsuchtsvoll zu steigen und zu fallen.

25.

Ja, Liebe, deine Macht ist groß und wunderbar!
Wer darf im Kampf mit dir zu siegen sich getrauen?
Die Nymphe, die noch kaum so unempfindlich war,
Vor jungen Faunen floh und ohne Frost und Grauen
Nicht fähig war den Flußgott anzuschauen,
Der, hingestreckt auf Schilf, in seinem Schlaf sogar
Ihr schrecklich schien, — wünscht jetzt sich hundert Augen,
Den Reiz, der sie bethört, auf einmal einzusaugen.

26.

Der schöne Paladin, in seinem Wahn' allein,
(Denn unsre Lauscherin verbargen noch die Hecken)
Denkt nicht daran, ihr etwas zu verstecken;
Und mehr, als nöthig war, in einer Brust von Stein,
In Hektors Mutter selbst, Begierden aufzuwecken,
Ist ihrem Blick' erlaubt, als glatt wie Elfenbein
Sich aus der Flut die schönen Hüften heben,
Schön, wie die Maler sie dem jungen Bacchus geben.

27.

Es wallt der schwarzen Locken Nacht
Entfesselt um den Marmornacken;
Bei seines Rückens Glanz, der Schwanen schamroth macht
Scheint spiegelnd Silber grau wie Schlacken;
Die ungeschwächte Jugend lacht
Aus seinem schwarzen Aug' und glüht auf seinen Backen;
Sein Arm, voll Kraft, bespannt mit straffen Sehnen,
Beut Männern Trotz und — Schutz bedrängten Schönen.

28.

Der Nymphe trüber Blick erlischt in feuchter Glut,
Ihr Busen athmet schwer von pressendem Verlangen;
Ein geistig Feuer schleicht durch ihr elektrisch Blut
Und gibt dem ganzen Leib die Farbe ihrer Wangen;
Des Liebesgottes voll und seiner süßen Wuth
Eilt sie hervor, den Jüngling zu umfangen.
Er hört ein Rascheln, stutzt, erschrickt,
Und plötzlich wird von ihm die schöne Nymph' erblickt.

29.

Man konnte nichts verführerisches sehen,
Und manche Heil'ge ward von weniger berückt;
Zumal, da das Costume der Töchter von Nereen
Sie, als zum Ueberfluß mit eignem Reiz geschmückt,
Gar wenig mit geborgtem drückt.
Doch Idris, unser Held, bewaffnet mit Ideen,
Blieb kalt und sah — aus Tugend oder Wahn —
Die schöne Nixe gar mit Widerwillen an.

30.

Aus Tugend oder Wahn? Ist nicht ein Drittes möglich?
Vielleicht macht Treue bloß, mit etwas Stolz gepaart,
Den jungen Mann so unbeweglich?
Vielleicht ist's Liebe selbst, und von der schönsten Art,
Was seine Brust vor schwächerm Reiz verwahrt?
Genug, ihr Anblick wird ihm plötzlich unerträglich;
Er wendet sich und flieht. Mit thränenvollem Blick'
Eilt sie ihm nach und ruft den Fliehenden zurück.

31.

O fliehe nicht, ruft sie mit zauberischem Ton,
(Denn Amor haucht aus ihrer süßen Kehle)
Verweile, schöner Göttersohn;
Beweise nicht durch Sprödigkeit und Hohn,
Daß deinem Reiz die höchste Zierde fehle!
Ein schöner Leib verspricht auch eine schöne Seele.
O, fliehe nicht aus nie berührten Armen,
Die jetzt zum ersten Mal von Amors Glut erwarmen!

32.

Nie hat an dieser Brust, die dir entgegen wallt,
Ein Gott noch Sterblicher gelegen.
Vergeblich suchten sie durch Jugend und Gestalt,
Durch Schmeicheln, Flehn und ganze Thränenregen
Mein Mitleid wenigstens statt Liebe zu erregen:
Ihr Bitten fand mich taub, ihr Feuer spröd' und kalt;
Sie nannten mich ein Bild, zum Sehn allein zu brauchen,
Denn es bedurfte dich, mir Liebe einzuhauchen.

33.

Und, o, wie dank' ich jetzt dem seligen Geschick,
Das deinen Anblick mir gegeben!
Erst, seit ich lieb', erst seit dem Augenblick,
Da ich dich sah, begann mein wahres Leben.
Wie wünsch' ich jetzt die öde Zeit zurück,
Da ich den Pflanzen glich, die an der Erde kleben!
Mir ist, ich sey erst jetzt aus jener kalten Nacht,
Dich anzuschauen, aufgewacht.

34.

Komm, fährt sie fort und streckt mit reizenden Gebärden
Die Arme nach ihm aus vor zärtlicher Begier;
Komm, theil' Unsterblichkeit und Götterglück mit mir!
Empfang' und gib das Glück, geliebt zu werden!
O, fliehe nicht, du zögest mich nach dir,
Flögst du bis an den Saum der Erden:
Flieh, wenn du willst, zum schwarzen Höllenbach',
Ich folge dir ins Reich der Schatten nach.

35.

Der Jüngling steht und hört, was Götter zu bethören
Vermögend war, und fühlt sich unbewegt!
Die Schöne, die ihr Herz mir selbst entgegen trägt,
Die fähig ist, sich selbst so zu entehren,
Wird eh' ein Bild, in dessen Brust nichts schlägt,
Als mich (so spricht er stolz) aus meiner Ruhe stören:
Wo Augen ohne Scham in offne Arme winken,
Läßt die Begierde stracks die Flügel sinken.

36.

Doch wär' auch dieses nicht, so würde doch von mir
Die Liebesgöttin selbst nicht mehr als du erhalten.
Du bist so schön als sie; mein Mund gesteht es dir,
Mein Herz fühlt nichts davon. Die lieblichsten Gestalten
(Und machten sie Aurorens schwachen Alten
Von neuem jung, und Jupitern zum Stier,)
Sind ohne Reiz für mich, seit ich die Schöne kenne,
Für die ich, ungeliebt und ohne Hoffnung, brenne.

37.

Er spricht's und flieht aufs neu; allein sie hält ihn schon
Mit Armen, weiß wie Schnee und weich wie Flaum, umschlungen.
Aus Fesseln dieser Art hätt' auch Alkmenens Sohn
Sich nicht so leicht, als aus des Riesen Geryon
Dreifachen Armen, los gerungen;
Hier wird der Stärkste nur am leichtesten bezwungen;
Wo Tugend und Natur sich bis ans Leben gehen,
Verzehrt der Widerstand die Kraft zum Widerstehen.

38.

Zwar bleibt sein Wille unverführt;
Doch Alles, was er sieht und höret und berührt,
Er wolle oder nicht, berauschet seine Sinnen:
Ihr wollustschwerer Blick, ihr süßer Athem schürt
Die Flammen an, die schon in seinen Adern rinnen;
Wie Xenophons Arasp wird er zwei Seelen innen,
Bei deren ungelegnem Zwist
Die schöne Feindin siegt, und er verrathen ist.

39.

Er rafft in dieser Noth die letzte Kraft zusammen
Und ruft, so laut er nur vor kurzem Athem kann,
Den Gegenstand von seinen keuschen Flammen,
Nach ritterlichem Brauch, um schnellen Beistand an.
Ob sie ihn hörte, zweifelt man;
Doch wird darum kein Weiser ihn verdammen:
Sein brünstiges Gebet hielt ihm ihr Bildniß vor,
Und dieses half sogleich der bessern Seel' empor.

40.

Ihn däucht, er sehe sie, von Götterglanz umgeben,
Gleich einem Genius, mit aufgeregter Hand,
Zu seinem Schutz auf einer Wolke schweben.
Mehr braucht' es nicht, ihm Kraft zu neuem Widerstand
Und einen andern Lauf dem regen Blut zu geben.
Er ringet, bis es ihm vom zauberischen Band,
Worein die Nais ihn verstricket,
Auf einen Augenblick sich los zu machen glücket.

41.

Sie stutzt; allein sie war bereits zu weit gegangen,
Um bei so schönen Spiel gleich muthlos still zu stehn;
Der Kampf scheint ihre Glut nur stärker aufzuwehn,
Gibt ihren Augen Feu'r, Karmin den Rosenwangen,
Entwickelt jeden Reiz, und macht sie noch so schön.
Sie rüstet sich, den Streit von neuem anzufangen,
Und Amor weiß, zu wessen Ehre,
Wenn nicht ein Mittelsmann dazu gekommen wäre.

42.

Ein Jüngling zeigte sich, der an Gestalt und Tracht,
An stolzem Wuchs' und männlich starken Sehnen,
Dem Halbgott glich, dem Sohn der Wundernacht,
Die dreifach war und doch der zärtlichen Alkmenen
Nur eine schien; ein Hektor in der Schlacht,
Ein Faun beim Schmaus, ein Paris bei den Schönen;
Dem ersten Anblick nach die Pest der Ungeheuer,
Doch weit ein größrer Freund der sanften Abenteuer.

43.

Ein fleckig Tigerfell mit Klauen von Smaragd
Ist sein Gewand und schlägt die starken Lenden;
Und, was sein Putz dem Auge nicht versagt,
Ist blühend, jugendlich, voll Kraft und zum Verblenden;
Aus seinen Augen strahlt ein Muth, der Alles wagt
Und von Begierde schwillt, sein Leben zu verschwenden;
Ihm war an Willen und Vermögen
Im Dienst' um Minnesold kein Ritter überlegen.

44.

Er reiste seinen Weg durch unsern Wald, nicht weit
Von da, wo wir die Kämpfenden gelassen:
Als das Getös von diesem seltnen Streit'
Ihm würdig schien, den Fußweg zu verlassen.
Zu einer Heldenthat den Anlaß zu verpassen,
War seine Sache nicht, zumal um Abendzeit.
Er eilt, er kommt, er sieht —Ist's möglich? Soll er trauen?
Ist es ein Blendwerk nicht, was seine Augen schauen?

45.

Die Nymph' erschrickt vor einem Mann,
Der hier nicht nöthig war, daß ihr die Haare stehen,
Sie hätte wohl das Thier vom Ländchen Gevaudan,
Den Schrecken Galliens, so gern' als ihn gesehen.
Zu gutem Glück war ihr die Kunst der Feen
Nicht unbekannt; hilft nichts, so hilft ein Talisman.
Sie spritzt mit hohler Hand ihm Wasser an die Hüfte,
Und sprach: Erhebe dich als Uhu in die Lüfte!

46.

Sie ruft's und zweifelt nicht an einer Zauberkraft,
Der Luft und See gehorsam waren;
Allein hier hätte selbst Urgandens Wissenschaft
Die Gränzen ihrer Macht erfahren.
Der Held bleibt, wie er war, steht unbesorgt und gafft
Die Reizungen, die sie mit ihren langen Haaren
Verbergen will und nicht verbergen kann,
Mit Lüsternheit und feuchten Augen an.

47.

Inzwischen hat, aus ihrem Arm' entronnen,
Ihr spröder Liebling Luft gewonnen.
Sie schickt ihm ans Gestad (allwo er, in der Hut
Des rosigen Gesträuchs, am letzten Strahl der Sonnen,
Halb angekleidet, matt und keuchend ruht)
Mit thränenvollem Aug' und Wangen ohne Blut
Noch einen Seufzer nach, wie wenn von Amors Bogen
Ein Pfeil die Luft durchzischt, und stürzt sich in die Wogen.

48.

Der Mann im Tigerfell, nachdem er lang geharrt
Und nach dem Ort, wo ihm ihr Reiz unsichtbar ward,
Mit unverwandtem Blick vergebens hingestarrt,
Sucht jetzt auf seinem Ruhebette
Den Jüngling auf, an dessen Stätte
Er klüger, wie ihn däucht, sich ausgeführet hätte.
Sie grüßen sich, sie geben sich die Hand
Und thun, als Ritter, gleich beim ersten Blick bekannt.

49.

Herr Ritter (spricht zu unsem Paladine
Sein neuer Freund und streckt sich neben ihn ins Grüne)
Was Eurer Herrlichkeit in ihren Adern fleußt,
Ist wohl kein Blut? — Verzeiht, ich rede dreist;
Allein Ihr haltet nicht, was Eure gute Miene
Die Kennerinnen hoffen heißt.
Sich aus dem schönsten Arm mit Abscheu los zu reißen,
Kann Euer Plato selbst, fürwahr! nicht Tugend heißen.

50.

Verbindet uns die Ritterpflicht,
Für jedes schöne Kind, das unsern Schutz bespricht,
Gefahr und Wunden zu verlachen,
Und, Damen zu befrein, mit kühnem Angesicht
Durch Riesen, flammenschwangre Drachen,
Ja durch die Hölle selbst uns einen Weg zu machen;
Wie kann es sich mit ihr vertragen,
Den angebornen Kampf der Liebe auszuschlagen?

51.

Ein Abenteuer fliehn, dem sich die Blödigkeit
Von jedem unversuchten Knaben
Gewachsen fühlt, ist einem Mann von Gaben
und Muth, wie Ihr, Herr Ritter, seyd,
Nicht zu verzeihn: es müßte denn der Neid
Von einer Zauberin die Hand im Spiele haben.
Wenn dieses ist, bedaur' ich Euch von Herzen;
Die Menschlichkeit verbeut, in solchem Fall zu scherzen.

52.

Der schöne Held, beleidigt durch den Ton,
Womit der Fremde spricht, mißt ihn mit Wuth im Blicke
Vom Wirbel bis zum Fuß. Nichtswerther Erdensohn,
Ruft er ergrimmt und faßt ihn am Genicke:
Wenn nicht ein Strom von Blut den pöbelhaften Hohn
In deinem Hals' erstickt, so dank' es deinem Glücke!
Die Nacktheit ist dein Schirm; du solltest dich entblöden,
In ritterlichem Schmuck' aus diesem Ton zu reden!

53.

Eh' du so trotzig thust, spricht jener lächelnd nur,
Lern deinen Mann erst besser kennen!
Versuch's, ich kann dir leicht der Waffen Vortheil gönnen;
Die Nymphen sollen doch nicht minder diese Flur
Das Grab des neuen Atys nennen.
Vernimm, daß Itiphall, so wie ihn die Natur
Bewaffnet hat, und ohne Speer und Degen,
Die Helden deiner Art ins Grüne pflegt zu legen.

54.

Nimm deine Keul', es ist genug geprahlt!
Versetzt der Held und zieht mit ruhigern Geberden
Sein diamantnes Schwert, das gleich der Sonne strahlt;
Und nun begann ein Kampf, wie auf der weiten Erden
Noch nie gesehen ward und nie gesehn soll werden,
Solang der Tag die Welt mit sieben Farben malt.
Sie schienen sich an Muth, an Kraft und Kunst zu gleichen
Und gleich entschlossen, eh zu fallen, als zu weichen.

55.

Ein Kieselregen, der den Tag
Uns zu vermauern scheint, fällt nicht so rasch und dichte
Auf eine Flur voll goldner Sommerfrüchte,
Des Schnitters Reichthum, hin, der kaum zu fliehn vermag;
Als mit zerschmetterndem Gewichte,
Ergrimmt und rastlos, Schlag auf Schlag
Die Streiter wechselsweis' erschüttert
Und rings umher den halben Hain zersplittert.

56.

Allein, trotz ihrer Wuth, die jeder neue Streich
Mehr anzuflammen scheint, will's keinem doch gelingen,
Die kleinste Wunde nur dem Gegner anzubringen.
Umsonst erschöpfet ihr, erboste Kämpfer, euch!
Des Sieges Wage steht auf beiden Seiten gleich:
Hält Idris durch den Schwung der stärksten aller Klingen
Den schweren Stahl wie Binsenrohr von sich,
So sieht er Itiphalln fest gegen Hieb und Stich.

57.

Sie sehn erstaunt sich an indeß für neue Kräfte
Der Kampf verschnaubt, und traun den Sinnen kaum.
Mischt Zauberei sich ins Geschäfte?
Ist's Blendwerk? Wäre nicht der mattre Lauf der Säfte,
Der steife Arm, der ausgesogne Gaum,
Sie hielten's beide schier für einen bloßen Traum.
Doch, was es sey, sie sind entschlossen,
Noch einen Gang zu thun, trotz allen Carabossen!

58.

Wie wenn aus Aeols wildem Heer
Zwei von den wildesten, mit aufgeblasnen Backen
Auf offner See sich bei den Flügeln packen;
Sie schütteln sich; es weht, von Ungwittern schwer,
Ihr wirbelnd Haar um Stirn' und Nacken,
Und unter ihnen braust das aufgeschwollne Meer;
Die Nymphen fliehn in schüchternem Gewimmel,
Und, aus dem Schlaf geschreckt, schaun Götter aus dem Himmel:

59.

So stoßen, unerschöpft an Muth,
Mit angestrengtem Arm die Kämpfer auf einander.
Es fochten nicht mit größrer Wuth
Um ein entlaufnes Weib die Helden am Skamander;
Kein Amadis, kein Kaloander
That mehr, als Itiphall und als sein Gegner thut,
Um durch den Fall von einem unter beiden
Den edeln Wettstreit zu entscheiden.

60.

Umsonst! Auf beider Schutz bedacht,
Scheint eine höhre Macht des Schattenkriegs zu spotten:
Sie kämpfen noch, da schon die braune Nacht
Die halbe Welt von Mohnsaft trunken macht,
Und Titans Zug, in Amphitritens Grotten,
Von seinem Tagewerk den Himmel durchzutrotten
Auf einer Lilienstreu verschnaubt
Und aus der Nymphen Hand ambrosisch Futter raubt.

61.

Doch welch ein Wunder unterbricht
Das eitle Fechterspiel? — Ein Glanz, wovon die Quelle
Verborgen bleibt, ein überirdisch Licht,
Macht plötzlich um sie her die falben Schatten helle.
Bestürzt schaut Idris auf; doch der im Tiegerfelle
Reicht lächelnd ihm die Hand und spricht:
Herr Ritter, wie Ihr seht, taugt unser Streit zum Lachen
So wenig als zum Ernst, wir wollen Friede machen!

62.

Wir kennen uns nunmehr, und (stimmt Ihr anders ein)
Soll diese Nacht, wiewohl mit Zwietracht angefangen,
Weil Amor Euch mißfällt, der Freundschaft heilig seyn.
Wischt nur den Heldenschweiß von Euren schönen Wangen
Und ruhet aus: Ihr seht, wir haben Wein,
Und was die Augen nur verlangen;
Auf Reisen, wo das Essen schmeckt,
Ist's sehr bequem, wenn sich der Tisch von selber deckt.

63.

Kaum spricht er aus, so steht, wie auf sein Winken,
Ein aufgeschmücktes Gastmahl da,
Die Schüsseln Gold aus Angola,
Die Tafel Elfenbein, der Fuß Korallenzinken;
Und, was Herr Itiphall hierbei am liebsten sah,
Ein Schenktisch von Krystall, wo frische Weine blinken.
Die Helden setzen sich, nachdem sie sich geküßt,
Und essen ohne Scheu, was aufgetragen ist.

64.

Um ihre Tafellust zu mehren,
Läßt unsichtbar, vermuthlich aus den Sphären,
Sich ein Concert von Instrumenten hören.
So war das Glück der guten Feenzeit!
Die ganze Geisterwelt stand auf den Wink bereit;
Man ritt in einem Tag wohl tausend Meilen weit;
Nachts stieg ein Gnom' herauf, im Wald' euch aufzutischen,
Und Nymphen gab's in allen Büschen.

65.

Der muntre Itiphall, zur Freude stets gefaßt
Und durch sein Glück verwöhnt, mit Amorn nur zu scherzen,
Bemerkt an seinem schönen Gast
Den unverhehlbaren Contrast
Erzwungner Fröhlichkeit und innerlicher Schmerzen.
Zwar Idris lächelt auch, doch nur mit halbem Herzen;
Er scheint zerstreut, er seufzt und weiß es nicht
Und starrt aus offnem Aug', als säh' er ein Gesicht.

66.

Nun, junger Freund, was drückt Euch auf der Brust?
Ruft Itiphall ihm zu: wer wird bei vollen Flaschen
Von Perserwein, dem Geber froher Lust,
Die Stirn' in Falten ziehn und magre Grillen haschen?
Quält Euch vielleicht ein zärtlicher Verlust,
So müßt Ihr Euer Hirn in diesem Lethe waschen!
Kein Seneca heilt halb so gut
Die Schmerzen des Gemüths, als süßes Traubenblut.

67.

Indeß begreif' ich nicht, was Euch bekümmern kann.
Die junge Welt pflegt sonst aus schönen Augen
Das wollustreiche Gift verliebter Qual zu saugen,
Und gegen dieses Gift verwahrt kein Talisman.
Doch Euch, den Nymphen selbst nicht zu verführen taugen,
Sogar im Bade nicht, was ficht Euch Amor an?
Er wetzt umsonst an runden Marmorklippen
Den schärfsten Pfeil auf Euch; der ritzt Euch kaum die Rippen.

68.

Wer mich für unempfindlich hält,
Betrügt sich, Itiphall; (erwiedert unser Held
Und seufzt so schön dazu, wie eine Turteltaube.)
Mein Herz war, seit es schlägt, das zärtlichste der Welt,
Und meiner Amme Milch war Liebe, wie ich glaube:
Du weißt's, die mit mir wuchs, einsiedlerische Laube:
Ihr Grotten wißt's, in deren stillen Schoß
Mein junges Herz die ersten Thränen goß.

69.

Wenn vor Auroren her die leichten Träume fliegen,
Besuchte mich im Schlaf' ein überirdisch Bild,
Worin ein Gott, sich selber zu vergnügen,
Was jenseits unsrer Welt die Allmacht kann, enthüllt.
Die ganze Schöpfung schien von ihrem Glanz vergüld't,
Wie ein Elysium, rings um mich her zu liegen.
Ihr Athem, däuchte mich, goß Steinen Seelen ein,
Und ich —ich schien mir selbst nicht sterblich mehr zu seyn.

70.

Stell' etwas Schöners, als die Tiziane kennen,
Mehr als den schönsten Traum der Phantasie dir vor,
Schwing dich zu einem Grad von Reizungen empor,
Wovon die Seelen sich von ihren Leibern trennen,
Und Alles, was wir schön und groß und göttlich nennen,
Das strahl' aus jedem Blick' hervor!
So hast du doch von der, die meine Brust beseelet,
Nur einen Schattenriß, dem Farb' und Ausdruck fehlet.

71.

Dieß himmlische Gesicht ließ andern Gegenständen
In meiner Seele keinen Raum:
Ich dachte nichts, ich sah an allen Enden,
Ich hört' und fühlte nichts, als meinen Göttertraum.
Wie vielmal saß ich nicht, den Kopf in beiden Händen,
Beim Mondschein' unter einem Baum'
Und überließ mich dem Entzücken,
In meiner Phantasie ihr Nachbild anzublicken!

72.

Die Ungeduld, das Urbild selbst zu sehn,
Stahl mich zuletzt der Vorsicht des Druiden,
Der mich erzog. Ich strich durch Thal und Höhn
Vom Abendmeer zum Ost, vom Nord zum schwülen Süden;
Der Hoffnungstrieb, sie endlich auszuspähn,
Verkürzte meinen Weg und ließ mich nicht ermüden:
Ulysses hat in seinen Wanderjahren
Nicht mehr, als ich in minder Zeit, erfahren.

73.

Doch, kurz zu seyn, nachdem der Frühling sich
Dreimal verjüngt, seitdem ich ausgezogen,
Nachdem ich manchen Himmelsstrich,
Manch fabelhaftes Land und manche See durchflogen,
Und sich mein zweifelnd Herz kaum mit sich selbst verglich,
Ob mich kein eitler Traum, ein Kind des Schlafs, betrogen,
Da mich die Hoffnung schon verließ;
Erschien der Augenblick, der mir die Göttin wies.

74.

Zu malen, was ich da empfunden,
Dazu hat kein Homer die Farben noch erfunden:
Ich stand, als würde mir der Himmel aufgethan;
O Tag, o froher Tag! o mehr als goldne Stunden,
In euch sehn Götter nur mich ohne Mißgunst an!
Mein ganzes Wesen schien in einem Ocean
Von Freuden, welche noch kein Dichtermund besungen,
Kein Glücklicher gefühlt, zerstossen und verschlungen.

75.

Ich sah sie, Itiphall — welch eine Wonn' umfaßt
Dieß einz'ge Wort! — und sie erlaubte meinen Blicken,
Ja meinen Lippen selbst, Bewundrung und Entzücken
Zu ihren Füßen auszudrücken!
Man zeigte mir sogar, ich werde nicht gehaßt.
Zu meiner Wohnung ward ein schimmernder Palast
Von Sylphen aufgebaut, und bei den Lustbarkeiten
Sah mich der Hof fast stets an ihren Seiten.

76.

Wie neidenswürdig schien mein Glück
Doch, unterm Mond' ist, leider! nichts vollkommen.
Ein unerbittliches Geschick
Hat mir sogar der Hoffnung Trost benommen.
Ach! warum mußte doch, Natur, dein Meisterstück
Aus deiner Hand nicht ganz vollendet kommen?
Um aller Götter Thron zu seyn,
Fehlt ihrer schönen Brust — der Liebesgott allein.

77.

Nie liebte sie, und, ach! nachdem ich sie erblickt
Und nicht gerührt, so wird sie niemals lieben.
So ist es im Gestirn geschrieben;
Nie wird in ihrem Arm' ein Sterblicher beglückt,
Ganz Geist, ganz frei von körperlichen Trieben,
Von nichts gequält, von nichts entzückt,
Gleicht sie, in einem Leib, den Venus selbst beneidet,
Den Wesen, die kein Stoff bekleidet.

78.

Nie hat das stürmische Getümmel
Der Leidenschaft ihr Herz aus seiner Ruh geweckt,
Nie den entwölkten Geist mit ihrem Dunst befleckt.
Wie dem, der vom Olymp, benachbart mit dem Himmel,
Auf eine halbe Welt den freien Blick erstreckt,
Die Schlacht bei Actium ein lächerlich Gewimmel
Von Fröschen scheint, die eine warme Nacht
Aus ihrem Teich die Köpfe recken macht:

79.

So wird, indem vor ihr das unbegränzte Ganze
Verbreitet liegt, der Erdenkinder Stand
Um emsiges Gewühl zu Puppenspiel und Tand;
Der Unterschied verschwind't von Cäsars Lorberkranze
Und einem Blumenkranz, womit ein Hirt beim Tanze
Sich König dünkt, weil ihn sein Mädchen wand;
Gleich achtlos sieht sie uns zu ihren Füßen liegen
Und einen Schmetterling um junge Rosen fliegen.

80.

Wahr ist's, sie unterschied die namenlosen Triebe,
Die mir im Traume schon ihr Schatten eingehaucht,
Vom schnöden Brand gemeiner Liebe,
Die von Begierden lebt und im Genuß verraucht:
Ein ewig brennend Feu'r, das keine Gegenliebe,
Das außer ihrem Blick sonst keine Nahrung braucht,
War allzu schön und unterm Mond zu selten,
Es mit Verachtung zu vergelten.

81.

Ach, Itiphall, wie manches Mal,
Wenn sie voll sanfter Huld die Augen auf mich kehrte,
Mit süßer Stimme mir mich stets zu grämen wehrte
Und durch Ergetzungen mein Herz dem Kummer stahl;
Ach, Freund! wie oft und, o wie sehr bethörte
Mein gern betrognes Herz ein falscher Hoffnungsstrahl!
Wie bald ließ wieder mich ihr ruhig Auge lesen,
Was ich für Liebe hielt, sey Freundschaft nur gewesen!

82.

Aus Mitleid irrte sie oft Sommertage lang
Allein mit mir in schattenreichen Hainen,
Und ohne, wenn mein Arm sie wehmuthsvoll umschlang,
Wie keusche Furien, sich in Gefahr zu meinen,
Erlaubte sie mir sonder Zwang
Den bangen Trost, an ihrer Brust zu weinen;
Sie sah mich gütig an und seufzte mir zu Lieb,
Daß durch der Sterne Schuld ihr Herz gelassen blieb.

83.

Herr Ritter, fiel ihm hier sein Hörer lachend ein,
Das Stück ist weinerlich, doch duldet, daß ich lache.
Ei, lehrt mich doch, ich bitte, wie man's mache,
So tapfer, so verliebt und doch so neu zu seyn!
(Denn Winseln, ich gesteh's, war niemals meine Sache.)
Um Amors willen! Herr, wer schwatzt von Qual und Pein
An seiner Göttin Brust? — Sie läßt Euch ruhig liegen;
und Ihr beklagt Euch noch, sie sey nicht zu besiegen?

84.

Ja, sprecht Ihr, sagte sie nicht selbst, ihr Herz sey kalt,
Zur Freundschaft nur gemacht und ungeschickt zum Lieben?
Welch Mädchen spricht nicht so? und doch ist nichts so bald
Als diese Phantasie vertrieben.
O! sie verzeihen viel, zumal in einem Wald':
Ihr braucht ja nur die Schuld auf ihren Reiz zu schieben.
Durch Feuer, Freund, und nicht durch feige Thränen
Erweichet sich und schmilzt das Marmorherz der Schönen.

85.

Nach einem unbekannten Gut
Kann der beredtste Mund uns wenig Lust erwecken:
Gib ihr der Liebe Glück zu schmecken
Und siehe dann, wie lang die Sprödste spröde thut.
Laß Amorn anfangs sich in Tand und Scherz verstecken,
Entflamme nach und nach das jugendliche Blut,
Und wenn ihr Auge schwimmt, wenn im halboffnen Munde
Die blasse Zunge lechzt, dann schlägt die Schäferstunde.

86.

Vor Zorn und Scham erröthend, fällt
Ihm Idris hier ins Wort: Ich weiß nicht, was mich hält,
(Spricht er mit Stolz) dein frechen Maul zu lehren,
Daß Götter selbst ihr Bild in dieser Tugend ehren,
Die dein verdorbnes Herz den Dirnen beigesellt,
Die sich mit stumpfen Nägeln wehren.
Wie? ist die Unschuld nichts als Kunst und schlauer Tand,
Weil Itiphall —bequeme Nymphen fand?

87.

So trotzt, von feilen Buhlerinnen
In den Geheimnissen von Paphos eingeweiht,
Der Gecken blödes Volk euch, Schönen, ungescheut,
Höhnt euren schönsten Reiz, die keusche Sittsamkeit,
Und prahlt, weil Lais wich, euch alle zu gewinnen.
Unzärtlich stumpf an innern Sinnen,
Ist ihre Lieb' ein bloßes Fibernspiel,
Und ihre höchste Lust ein kitzelndes Gefühl.

88.

Ich Thor! Wie konnt' ich auch so sehr mich übereilen,
Mein Innerstes dem ersten besten Faun,
Der mir in einem Wald begegnet, zu vertraun?
Empfindungen mit dem, der ohne Herz ist, theilen,
Heißt Schlösser auf die Wellen baun
Und eines Tauben Milz durch Symphonien heilen. —
Sagt Alles, was Ihr denkt, erwiedert Jtiphall,
Und nennt mich rund heraus ein Thier aus Circens Stall.

89.

Ich bin in Eurem Sinn' ein Majestätenschänder,
Weil mir ein Weib — ein Weib und keine Göttin scheint;
Vielleicht war eine Zeit, wo ich wie Ihr gemeint:
Allein ich sah seitdem viel Weiber und viel Länder;
Und ohne Prahlerei, mein Freund,
Sie gaben mir zu unzweideut'ge Pfänder
Von ihrer Fehlbarkeit, um jemals vor Grimassen
Und großen Wörtern mir den Muth vergehn zu lassen.

90.

Es wäre, däucht mich, unerträglich,
Wenn ich mir schmeichelte, sie könnten mir alle
Nicht widerstehn: man muß bescheiden seyn,
Drum schließ' ich so: Ich bin von Fleisch und Bein
Wie Andre auch, was mir, ist Jedem möglich;
Nun fand ich keine unbeweglich,
Vom goldnen Throne bis zum Stalle
Nicht eine; jede wich, und also — weichen alle.

91.

Ich weigre zwar mich nicht, die Gaben,
Womit mich die Natur begünstigt, zu gestehn;
Man schmeichelt mir, ich sey für einen Knaben
Von Fechterart noch ganz erträglich schön.
Doch, glaubet mir, wir alle haben,
Mehr oder weniger, was sie am liebsten sehn.
Die Damen zwar gestehn nicht gerne dieß Gebrechen,
Allein die Kenner sollen sprechen!

92.

Was ich beschwören kann, ist, daß Cupido's Pfeil
Durch eine Marmorbrust wie durch die weichste dringet,
Und daß es uns mit Witz, Geduld und Weil
Bei strengen Tugenden am sichersten gelinget,
Zwar wird (wie man im Liede singet)
Die Schönste gern dem Tapfersten zu Theil;
Doch pflückt auch oft Medor die Frucht von Rolands Thaten,
Und, was dem Riesen fehlt, kann seinem Zwerg gerathen.

93.

Ein Neuling nur klagt über Grausamkeit:
Ich wiederhol' es, Herr, sie lassen sich erbitten.
Die Unschuld? — Gut! die wohnt in Schäferhütten,
Und dort verirrt sie sich aus Unerfahrenheit.
Der Andern Tugend laurt nur auf gelegne Zeit
Und streckt die Waffen oft, eh man sie noch bestritten.
Im sichern Hain', in stiller Grotten Nacht,
Hab' ich Vestalen schon zu was Ihr wollt gemacht.

94.

Scheint Euch, mein Herr, aus Allem, was ich sage,
Daß Itiphall fürs reizende Geschlecht,
Wie sehr es ihn entzückt, sehr wenig Ehrfurcht trage:
So denkt Ihr wahr, und mir gibt die Erfahrung Recht.
Sie ist der Talisman, durch den ich Alles wage,
Und den kein Stolz, kein Frost, kein Dräun, noch Bitten schwächt;
Man muß im Siege nur fein nachzugeben wissen;
Ihr Zorn verzehrt sich selbst und stirbt zuletzt in Küssen.

95.

Doch zum Beweis, daß meine Theorie
Zu meinen Thaten stimmt, will ich Euch was gestehen.
Gemeine Siege, Freund, Prinzessinnen und Feen,
Verloren längst den Reiz für meine Phantasie;
Sie kosten mir zu wenig Müh;
Mein Stolz hat sich ein Abenteur ersehen,
Wovor dem Tapfersten das Blut im Leib' erstarrt,
Und welches zu bestehn mir aufgehoben ward.

96.

Die Dame, die mich reizt, ist eine schöne Wilde,
So schön, als eine noch ein menschlich Aug' entzückt;
Doch so gefährlich auch, daß Niemand sie erblickt,
Der auf der Stelle nicht zum seelberaubten Bilde
Erstarrt und marmorgleich die Gärten und Gefilde
Um ihr bezaubert Schloß bei tausend Andern schmückt,
Die auf Gestellen von Rubinen
Der schönen Grausamen zu Siegesmälern dienen.

97.

So furchtbar die Gefahr, so groß ist auch der Lohn.
Denn, wem es glückt, sie ungestraft zu küssen,
Der träget, nach des Schicksals Schlüssen,
Den Feenthron mit ihrer Hand davon.
Von einem solchen Preis zur Hoffnung hingerissen,
Ließ mancher blöde Königssohn
Sein Leben hier, um sich die Ehre zu verschaffen,
Aus Augen von Achat die Göttin anzugaffen.

98.

Ihr setzt das zweifelhafte Glück,
Dem ich mit diesem Schritt getrost entgegen gehe;
Denn Itiphalln hält keine Furcht zurück,
Und wenn er eine Welt versteinert vor sich sähe.
Ihr denkt vielleicht, daß ich zu viel mich blähe;
Allein wer kann dafür? Es ist nun mein Geschick,
Gleich hundert andern solchen Drachen
Von Tugend auch Zeniden zahm zu machen.

99.

Zeniden? (ruft, aus halbem Schlaf' erwacht,
Der Paladin betroffen aus) Zeniden? —
Sie selbst, fährt jener fort und lacht.
Es scheint, daß Euch mein Muth für mich bekümmert macht?
Ihr seht mich schon versteint; doch gebt euch nur zufrieden!
Die Sterne haben mir der Sprödsten Gunst beschieden:
Ich kenne mich; mir widersteht allein
(So sagt mein Horoskop) ein Bild von Elfenbein.

100.

Zeniden? ruft noch einmal, mit Geberden,
Worin Verwundrung sich mit Stolz und Hohn vermischt,
Der schöne Ritter aus und rafft sich von der Erden;
Es lebe Itiphall, und wer ihn angefrischt,
Durch seinen Fall berühmt zu werden!
Nehmt meinen Dank, daß Ihr mir aufgetischt:
Der Tag bricht an; mich rufen andre Sorgen;
Sucht Ihr Zeniden! —guten Morgen!

101.

Herr Ritter, wie so schnell? (versetzt
Der Held im Tigerfell') und wie es scheint, entrüstet?
Hat Euer ekles Ohr, was ich gesagt, verletzt?
Man dächte, daß Ihr mehr von meiner Schönen wüßtet,
Als mir gelegen ist. — Gut, thut, was Euch gelüstet,
Spricht Idris, der indeß zu Pferde sich gesetzt:
Laßt euch auf allen Fall die Reise nicht gereuen
Und grüßet mir Zenidens Papagaien.

102.

Mit diesen Worten spornt er Raspinetten an,
und eh noch Itiphall Erläutrung fordern kann,
Hat ihn sein Auge schon im Horizont verloren.
Und nun erwacht, so frisch wie neu geboren,
Der junge Tag, und aus den goldnen Thoren
Des Osten fährt mit flammendem Gespann
Der Gott des Lichts, beschwert mit Abenteuern.
Doch, eh wir weiter gehn, soll hier die Muse feiern.
—————

Zweiter Gesang.

1.

Indeß daß Itiphall, vom räthselhaften Ton
Der Drohungen des Ritters unbekümmert,
Zenidens Hofstatt sucht, und in Gedanken schon
Ein Diadem um seine Stirne schimmert,
Schießt Idris wie ein Pfeil durch Berg und Thal davon:
Als ihm aus einem Wald' ein Ton entgegen wimmert,
Ein klägliches Getön, das seine Brust zerreißt
Und ihn dem Leidenden zu Hülfe fliegen heißt.

2.

Dem Schreien einer Frau, der man den Mund verhält,
Schien der gedämpfte Ton zu gleichen.
Wer wagt solch eine That? — Doch dieses fragt kein Held;
Zum Schutz des schönsten Volks durch seinen Stand bestellt,
Eilt er die Stimme nach, die immer scheint zu weichen,
Bis Raspinett' und er das offne Feld erreichen,
Und hier, welch ein Gesicht durchbohrt ihm Seel' und Leib!
Der häßlichste Centaur entführt das schönste Weib.

3.

Ihr goldnes Haupthaar fliegt in aufgelösten Locken
Ums hangende Gesicht, in dessen holdem Rund
Vor Angst bereits die Purpursäfte stocken;
Es macht der starre Blick, der welke Rosenmund,
Die halb entblößte Brust, wie heftig sie erschrocken,
Und die Gewalt des schnöden Räubers kund:
Vergeblich zappelt sie, in seinen Arm geschlossen,
Und strebt mit schwachem Fuß ihn von sich wegzustoßen.

4.

Nicht ferne zeigt ein Schloß von hell polirtem Stahl
Von einer Felsenhöh der Thürme goldne Zinnen:
Der Harem einer feinen Zahl
Von Königstöchterchen und jungen Königinnen,
Die, zu Belebung stumpfer Sinnen,
Des Unholds Zauberkunst hierher zusammenstahl.
Er eilet, seinen Raub in dieses Schloß zu tragen,
Als ans gespickte Ohr ihm diese Worte schlagen:

5.

Steh', Unthier, steh'! entlade dich, so schnell
Als du dein Leben liebst, von deiner schönen Beute;
Wo nicht, so wehre dich um dein behaartes Fell!
So ruft der Held und spornt sein Leibpferd in die Seite.
Doch jener schaut nur nicht, was dieser Gruß bedeute,
Und trabt in vollem Lauf dem stählernen Castell,
Der sichern Freistatt, zu, wo seine Geisterwachen
Der ganzen Ritterschaft der runden Tafel lachen.

6.

Es hätt' ihm auch geglückt, wenn Raspinette nicht
Die Blitze Jupiters im Nothfall überflöge.
Der Halbmensch fühlt bereits das schmetternde Gewicht
Des ritterlichen Schwerts und seine Donnerschläge,
Eh' er begreifen kann, wer sich so sehr verwäge;
Er schnaubt mit flammendem Gesicht
Den Ritter an, läßt seine Beute fallen
Und wiehert, daß davon die Felsen wiederhallen:

7.

Wer bist du, der mit mir zu kämpfen sich vermißt?
Du, dessen Kinn durch seine feige Glätte
Beweist, daß Ammenmilch in deinen Adern fließt;
Flieh, sag' ich dir — und wenn in einer Göttin Bette
Ein Gott an dir sich selbst erschöpfet hätte,
So flieh' und rette dich, wenn dir zu rathen ist,
Eh dieser Arm, vor dem Giganten schon gezittert,
Zu Brei dich schlägt und Maden mit dir füttert.

8.

So prahlet der Centaur und schnaubt,
Wie wenn im krummen Thal ein dumpfes Ungewitter
Von ferne braust; er schwingt den Kolben um sein Haupt,
Womit er weit umher viel untröstbare Mütter
Gemacht und mancher Braut den Hochzeittag geraubt:
Doch kaum berühret ihn der unerschrockne Ritter
Mit seinem Schwert von Diamant,
So fällt der Kolben ihm zersplittert aus der Hand.

9.

Der Unhold schwankt zurück, starrt mit erschrocknem Blicke
Den Ritter an und findet, da er ihn
Für ihn erkennt, mit dem ihn sein Geschicke
Vorlängst bedräut, für rathsam, abzuziehen:
Laut wiehernd dreht er sich, läßt seinen Raub zurücke
Und trabt dem Walde zu. Der Ritter läßt ihn fliehn
Und eilt, der schönen Frau, die starr und ohne Leben
Am Boden lag, wo möglich Trost zu geben.

10.

In diesem Augenblick stellt sich ein Hirt ihm dar,
Der an Gestalt Bathyllen und Kombaben
Den Vorzug nahm und einen kleinen Knaben
Im Arme trug, so schön, wie Amor war,
Als ihm die Grazien noch Brust und Nektar gaben.
Der blonde Schäfer wird der Dame kaum gewahr,
So eilt er auf sie zu, wirft sich zu ihren Füßen
Und deckt den blassen Mund mit feuervollen Küssen.

11.

Er wärmet und begießt mit einem Thränenbach
Die kalte Brust, die blassen Wangen,
Umarmt und drücket sie, bis endlich allgemach
Von seinem zärtlichen Umfangen
Die Wangen und der Mund mit neuen Rosen prangen,
Der schöne Busen steigt, und ein erleichternd Ach
Aus seiner Wölbung preßt. Sie hebt die Augenlider,
Erkennt den Hirten, schließt sie vor Entzücken wieder.

12.

Nichts Rührenders ward jemals auf der Scene
Bethränten Augen vorgestellt,
Als wie sich wechselsweis der Schäfer und die Schöne,
Das treue Herz an Herz, umschlossen hält:
Sie sehn sich schweigend an, indem die Freudenthräne
Aus jedem schönen Aug' in großen Perlen fällt;
Die Lippen öffnen sich und wissen vor Entzücken
Die Größe ihres Glücks nur stammelnd auszudrücken.

13.

Das schöne Schauspiel zu vollenden,
Theilt, der vergangnen Nacht sich kindisch unbewußt,
Der kleine Liebesgott die mütterliche Lust.
Sie drückt ihn mit gefaltnen Händen
Bald an den Mund, bald an die frohe Brust
Und kann von ihm die Augen nicht verwenden:
Ihr ist, nachdem sie ihn verloren
Und wieder fand, sie hab' ihn erst geboren.

14.

Von ihrer Freude ganz verschlungen,
Bemerken sie den Helden nicht,
Der ihnen diese Lust des Wiedersehns errungen;
Den Liebestrunknen zeigt das helle Sonnenlicht
Nichts als sich selbst; die angenehme Pflicht
Des Danks wird noch durch Regungen verschlungen,
Die, eh sie wieder sanft in ihrem Ufer fließen,
Vom vollen Herzen sich zuvor ergießen müssen.

15.

Indessen steht der Held auf seinen Speer gelehnt,
Dem süßen Lustspiel zuzuschauen;
Sein mitempfindend Herz, voll Menschlichkeit, verschönt
Sein Antlitz; edle Lust, der Lohn der Tugend, dehnt
Den Heldenbusen aus und macht die Augen thauen.
Indem entdeckt ein Blick der schönen Frauen
Den Schöpfer ihres Glücks; sie zeigt ihn ihrem Mann
Und rühmet ihm den Muth, der sie errettet, an;

16.

Und beide werfen sich zu seinen Füßen hin
Und können keinen Ausdruck finden,
Der ihm genug beweist, was sie für ihn empfinden.
Zu dem, was ich gethan, (versetzt der Paladin
Und hebt sie zärtlich auf) verbinden
Des Ordens Pflichten mich, von dem ich Mitglied bin,
Ja, schon die Menschlichkeit. Das schwächere Geschlecht
Hat an des stärkern Schutz ein angebornes Recht.

17.

Zudem war leichter nie ein Gegner zu besiegen:
Sein Kolben wurde kaum von meinem Schwert berührt,
So sah man ihn zu Sonnenstaub verfliegen
Und ihn, den Pocher, selbst vom Winde weggeführt.
Ja, hätte gleich der Kampf mit Wunden mich geziert,
So hielt' ich, Freunde, das Vergnügen,
Das mir aus euren Augen strahlt,
Mit meinem Herzensblut zu theuer nicht bezahlt.

18.

Nur werdet Ihr die Frage mir erlauben,
Mit welchem Namen Ihr von mir zu ehren seyd?
So mögen uns des Glücks bewährter Zärtlichkeit
(Erwiedert ihm der Hirt) die Götter nie berauben,
Wie Lila und Zerbin sich Euch verbunden glauben.
Mein ganzes Leben, Herr, zu Eurem Dienst geweiht,
Kann Eure Wohlthat nicht vergelten;
Was Ihr mir wieder gebt, ersetzen keine Welten.

19.

Nach tausendfacher Noth und einem Prüfungsstand,
Worin wir Jahre lang mehr Ungemach erfahren,
Als Psyche mit den goldnen Haaren,
Nachdem ihr Vorwitz sie aus Amors Arm verbannt,
Hat uns der Liebesgott, dem wir geweihet waren,
Ein lächelnd Antlitz zugewandt
Und würdigt, zum Ersatz der Qual, die wir erlitten,
Mit aller seiner Gunst uns nun zu überschütten.

20.

In ungestörter Ruh', uns selbst die ganze Welt,
Und, gleich den Seligen im Elyseerfeld,
Vergessen von der Welt und von ihr abgeschieden,
Mit einem stillen Glück zufrieden,
Das keine Zeugen sucht und aus uns selber quellt,
Durch Göttermacht beschützt, von Sylphen und Sylphiden
Bedient, bemerkten wir, in einem steten Traum
Von Seligkeit, den Fluß der Stunden kaum.

21.

Die Macht, durch deren Gunst wir dieses Glück besitzen,
Fand nöthig, unsern Aufenthalt,
Den um und um ein stiller See umwallt,
Durch einen Talisman vor Ueberfall zu schützen;
Um die vereinigte Gewalt
Der ganzen Welt zu Boden hinzublitzen,
Wird eine Lampe nur gedrückt,
Die einst Aladdins war und mich nunmehr beglückt.

22.

Mit diesem Beistand hielt ich sonder Wall und Mauren
Mich sichrer als ein Kind auf seiner Mutter Schoß:
Wir setzten unbesorgt den Augen des Centauren
Uns, Arm an Arm, am Gegenufer bloß.
Doch zur Behutsamkeit ist keine Macht zu groß;
Ein übermannter Feind kann hinter Hecken lauren:
Was Niemand offenbar zu wagen sich vermißt,
Gelang dem Wolkensohn durch List.

23.

Sein Anschlag, über mich in Lila's Arm zu siegen,
War, wie der Ausgang wies, auf dieses Kind gebaut:
Dieß Püppchen, unsre Lust, in dessen weichen Zügen
Ein jedes unter uns mit doppeltem Vergnügen
Des andern Bild in seinem eignen schaut.
Zwei Sylphen ward es heut von Lila anvertraut,
Die im Citronenwald, wo sich die Lüfte kühlten,
Der Kindheit frohes Spiel mit ihm im Grase spielten.

24.

Auf einmal hören sie mit wirbelndem Getön
Den lieblichsten Gesang aus nahen Zweigen dringen;
Sie schauen auf, woher die süßen Töne klingen,
Und sehn vor sich den schönsten Vogel stehn:
Es war ein Kolibri, mit Gold- und Purpurschwingen,
Man konnte Schöners nicht als sein Gefieder sehn.
Sein bunter Schimmer reizt den Knaben,
Er zittert vor Begier, das Vögelchen zu haben.

25.

Der kleine Sänger merkt's, fliegt willig zu ihm hin
und stellet sich, als ließ er gern sich haschen;
Er thut so zahm, den blühenden Jasmin
Aus seiner Hand mit losem Pick zu naschen,
Und scherzt und buhlt so frei, als kennt' er ihn
Von Langem her; doch, ihn zu überraschen,
War keine Möglichkeit, und eh sie sich's versahn,
Blitzt sie sein funkelnd Aug' am andern Ufer an.

26.

Der Knabe weint und hört nicht auf zu klagen,
So sehr bezaubert ihn des bunten Vogels Pracht,
Bis seine Sylphen ihn ans andre Ufer tragen.
Die Unbehutsamen! Sie hatten nicht bedacht,
Daß es gefährlich sey, sich außerhalb der Macht
Des Talismans, der uns beschützt, zu wagen,
Kaum hat ihr leichter Fuß des Feindes Park berührt,
So fühlen sie im Sturm sich durch die Luft entführt.

27.

Indeß der Knabe nun des kleinen Spielgesellen
Sich kindisch freut und Alles sonst vergißt,
Wird seine Wiederkunft vermißt.
Die Mutter sucht ihn selbst, wo nur zu suchen ist.
Im Hof, im Blumenhain, in allen Gartenstellen,
In Grotten, im Gebüsch, bei allen Quellen,
Kein Platz bleibt undurchsucht in unserm Lustrevier;
Doch weder Kind noch Sylphe zeigt sich ihr.

28.

Zuletzt besinnt sie sich, daß man auf einem Nachen
Zum Schwanenhaus' ihn oft zu führen pflegt.
Sie schaut am Wasser hin; da wird sie einen Drachen
Jenseits des Sees gewahr, der im weit offnen Rachen
Den Liebling ihrer Brust tief ins Gebüsche trägt.
Es war ein Blendwerk nur, durch Zauberei erregt,
Ein Luftgespenst, das ihre Augen täuschte;
Doch Lila hörte nichts, als was die Mutter heischte.

29.

Das Leben, das die starren Glieder
Vor Schrecken schon verließ, gibt ihr die Liebe wieder;
Sie stürzt sich in die Flut und schwimmt ans andre Bord;
Doch, da sie es erreicht, war Kind und Drache fort.
Sie rennt auf seiner Spur im Walde auf und nieder
Und denkt vor Angst nicht eher, welchem Ort
Sie sich vertraut, bis, vom Gebüsch verstecket,
Ein wiehernd Lachen ihr den nahen Feind entdecket.

30.

Indessen hallt, da Kind und Mutter fehlt,
Mein kleines Haus von lautem Jammer wieder.
Ich flieh der Lampe zu; der Geist, der sie beseelt,
Erscheint im Donner und erzählt
Mir Alles, was geschah, wirft drauf sich vor mir nieder
Und weiht, nach seinem Brauch, sich selbst und seine Brüder
Zu meinem Dienst; doch schwört er mir dabei,
Daß des Centauren Sitz ihm unzugangbar sey.

31.

Er spricht: Kein Zauberer, selbst den nicht ausgenommen,
Der auf dem Atlas wohnt, vermag ihm beizukommen;
Die ganze Geisterwelt wird nur von ihm verlacht:
Ein junger Ritter ist's, dem das Gestirn die Macht
Ihn zu vertilgen zugedacht,
Und dieser ist zum Glück jetzt eben angekommen.
Sey gutes Muths! dein Sohn ist unversehrt,
Und dem Centauren wird bereits die Flucht verwehrt.

32.

Mit diesem schlang der Geist den Arm um meine Hüften,
Und plötzlich fand ich mich in diesen Park versetzt.
Das Erste, was darin mein suchend Aug' ergetzt,
War Zerbinet, mein Sohn, der unverletzt
Auf Asphodilen schlief, die sonst den Schlaf vergiften;
Doch Weste wehten ihm mit frischen Balsamdüften
Gesunden Schlummer zu: ich hob erfreut ihn auf,
Und Eures Zweikampfs Lärm beschwingte meinen Lauf.

33.

Das Andre wißt Ihr selbst. Und, o, gebenedeiet
Sey Stund' und Augenblick, in welchem Euer Muth
Mein andres Ich aus dieser Noth befreiet!
Der Wohlthat Größe gleicht dem Gut,
Das Ihr mir wieder schenkt, und jeder Tropfen Blut,
Der diese Adern schwellt, sey Euch dafür geweihet.
Geliebt zu seyn, braucht Ihr Euch nur zu zeigen;
Doch unsre Herzen macht Euch Pflicht und Neigung eigen.

34.

Soll aber dieses Tags Verdienst vollkommen seyn,
So lasset Euch die edle Müh nicht dauren,
Die Königstöchter zu befrein,
Die noch im Zauberschloß des üppigen Centauren,
Als Opfer seiner Lust, um ihre Freiheit trauren:
Denn dieses Abenteuer gehört für Euch allein.
Herr Ritter, folget mir! Mein Weib besorgt indessen
Auf unsre Wiederkunft ein ländlich Abendessen.

35.

Der Paladin, den nichts so sehr erhitzt,
Als schöner Thaten Reiz, läßt sich nicht zweimal laden,
Sie wandern lang auf ungebahnten Pfaden,
Bis ihnen auf der Höh das Schloß entgegen blitzt,
Das seiner Thürme Last auf goldne Pfeiler stützt.
Das Feldgeschrei der Satyrn und Mänaden
Scheint ihnen schon von fern Bewohner anzukünden,
Die ihre Fröhlichkeit an keine Regeln binden.

36.

Kaum stieß ans erste Thor, das ihm entgegen stand,
Des Ritters Wunderschwert, so war es aufgeschlossen.
Sie gehn hinein; da kommen zwei Molossen,
Aus Silbererz durch Zauberkunst gegossen,
In voller Wuth laut bellend angerannt:
Der Löwen Grimm, die durch den glühenden Sand
Numidiens mit dürrem Rachen streichen,
Und Plutons Hofhund selbst muß diesen Hunden weichen.

37.

Doch Idris zückte nur den Degen gegen sie,
So blieben sie erstarrt und unbeweglich stehen;
Nichts wehrt ihm nun durch Hof und Galerie
Ins innere Schloß hinein zu gehen.
Was zügellose Phantasie,
Was Zauberei vermag, war hier vereint zu sehen:
Ein jeder Gegenstand, ein jeder Winkel beut
Versuchungen zu schnöder Ueppigkeit.

38.

Dem Gott des Weins und dem, auf dessen Pfahl
Einst üblich war, die Bräute Roms zu wiegen,
Wird hier ein großes Bacchanal
Gefeirt: man singt und jauchzt und stampft den Marmorsaal;
Es rauschen Bäche Weins aus umgestürzten Krügen
Den Ueberwundnen zu, die schon zu Boden liegen;
Selbst Freuden, welche sonst verschämt in Grotten fliehn,
Bekümmert man sich nicht den Augen zu entziehn.

39.

Die Sitten dieser wilden Heerde
Erhebt bei vielen noch die zwittrische Figur;
Den Menschen gleichen sie bis an den Gürtel nur,
Die andre Hälfte stampft mit hartem Huf die Erde:
Auch zeigt die freche Stirn und üppige Geberde
Mehr von der wiehernden als menschlichen Natur.
Ihr Frauenvolk sogar, erhitzt von Tanz und Wein,
Scheint stolz auf seine Schmach, anstatt beschämt zu seyn.

40.

Die Schönste dieser Mitteldinge
Von Menschen und von Vieh wirft auf den Paladin
Mit offnen Armen sich wie eine Trunkne hin;
Doch weder ihres Haars gelockte schwarze Ringe,
Noch die gewölbte Brust erschüttern seinen Sinn.
Kaum zieht er sich bestürzt aus dieser Schlinge,
Als eine andre schon, gefühlt, bevor erblickt,
Ihn brünstiglich an ihren Busen drückt.

41.

Er ringet noch mit ihr, da schon ein neuer Schwarm
Bezechter Nebenbuhlerinnen
Ihm um und um bestürmt. Die Menge macht ihm warm,
Und wärmer noch ihr üppiges Beginnen:
Er sucht umsonst die Thüre zu gewinnen,
Ihm bleibt zum Schirm allein sein Degen und sein Arm.
Gezwungen sieht er jetzt das Flammenschwert der Feen:
Sie sehen's, wollen fliehn und bleiben plötzlich stehen.

42.

Sie bleiben stehn, und keines rührt sich mehr,
Als sich ein Todter rührt; sie scheinen nur zu leben;
Von Athem ist die Brust, von Glut das Auge leer,
Und in den Stellungen, worin sie ungefähr
Der Zauber überfiel, muß jedes ewig schweben.
Der Sieger kann sich nun, wohin er will, erheben;
Das ganze Schloß gleicht einer Todtengruft,
Und nur der Wiederhall antwortet, wenn er ruft.

43.

Jetzt führet ihn Zerbin durch viele offne Zimmer,
Von denen eines stets an Aufputz, Pracht und Schimmer
Das andre überstrahlt, durch manchen Säulengang
Und manchen Saal, so hoch und lang
Und reich an goldnem Glanz, als immer
Augusta's Fürstensaal. Bald wird dem Ritter bang,
Aus dieses Labyrinths Dädalischen Gewinden
Zuletzt den Ausgang nicht zu finden.

44.

Doch geht er fort, bis ihm ein Thurm von schwarzem Stein
Den Weg versperrt. Hier muß, spricht sein Begleiter,
Dem Ansehn nach ein Kerker seyn;
Der Tag ist hier verbannt, kaum macht der todte Schein
Von einer Lampe noch den finstern Zugang heiter;
Auch seh' ich keine Thür. Doch hier ist eine Leiter!
Wir wollen — Nein, spricht Idris, laß sie stehn,
Erspare dir die Müh', ich kann durch Mauern gehn.

45.

Er sagte nicht zu viel: sobald der Zauberdegen
Den Thurm berührt, so gähnt der Stein und springt.
Beim schwachen Schein, der in die Oeffnung dringt,
Däucht sie, als sähen sie im Dunkeln was sich regen.
Sie nähern sich, bis sie erkennen mögen,
Es sey ein Frauenbild, das seine Hände ringt.
Erschrocken fahrt sie auf, indem die schwarzen Mauren
Sich öffnen, denn sie meint, sie sehe den Centauren.

46.

Sie fällt, ganz außer sich, auf ihre Knie und faltet
Die Hände auf die Brust; ihr banges Auge rollt,
Und ungeflochten fliegt der langen Haare Gold,
Um Stirn' und Nacken her. —Ist deine Wuth erkaltet,
Ruft sie mit einem Ton, der fast die Felsen spaltet,
So sey nur dieses Mal dem Flehn der Unschuld hold;
Gib mir den Tod, Tyrann! Du kannst mir sonst nichts geben,
Das mir erträglich ist; ich will nicht länger leben.

47.

Sey ruhig, schönes Kind, antwortet ihr der Held,
Dein Leiden ist vorbei, und dein Tyrann gefällt;
Dieß Schwert, das nur den Bösen schrecklich blitzet,
Hat Unschuld stets gerächt und Schönheit oft geschützet.
Er spricht's, indeß sein Arm sie freundlich unterstützet.
Die Schöne, die beinah für einen Gott ihn hält,
Beginnet nun, sich allgemach zu fassen,
Und wagt's, auf sein Gesicht, sich ihm zu überlassen.

48.

Sie folgt, doch wanket noch, dem Ritter in den Saal,
Wo, wie er verließ, das ganze Bacchanal
Gleich Bildern schwebt, die Puget oder Nahl
Aus Stein zum Daseyn aufgewecket,
Und sie, bis ihre Hand der Augen Wahn entdecket,
Mit nachgeahmtem Leben schrecket.
Nun schaut sie dreister auf; doch gleiten ihre Augen
Sogleich von Gruppen ab, die nicht für Mädchen taugen.

49.

Allein wie stutzet Idris nicht,
Da sie auf der Centauren einen
Mit offnen Armen eilt und einem Angesicht,
Worin ein Freudenstrahl mit Thränenwolken ficht!
Wie sie ans Herz ihn drückt! Ihr solltet wirklich meinen,
Sie werde sich mit ihm versteinen.
So find' ich, ruft sie aus, so find' ich noch zuletzt
Dich, ohne den ich mir zu sterben vorgesetzt!

50.

Doch, Götter! ach! wie findet Dejanire
Den Liebling ihrer Brust? — Verwandelt und erstarrt?
Wie? kalt in meinem Arm? entseelt? — und ich verliere
Das Leben nicht, das mir zur Qual erhalten ward?
Unsel'ger Prinz von Kaschemire!
O, warum wurd' ich nicht im Meeresgrund verscharrt!
O, warum raubtet ihr mit grausamem Erbarmen,
Verhaßte Sterne, mir den Tod in seinen Armen!

51.

So ruft sie kläglich aus, indem ein Thränenguß
Sein starres Auge wäscht und seine Marmorwangen.
Umsonst! Er fühlet nicht den liebesvollen Kuß,
Erwiedert nicht ihr brünstiges Umfangen!
Dem Ritter schmerzt so sehr, was sie erdulden muß,
Daß große Tropfen ihm an beiden Backen hangen;
Jedoch Zerbin hauscht ihnen Hoffnung ein:
Das Uebel, spricht er, kann vielleicht noch heilbar seyn.

52.

Der Prinz von Kaschemir, wie ihn Madame nennet,
Ward, wie es scheint, von ihr durch einen Sturm getrennet?
So ist es! schluchzt die Frau: ihm hatte mich zur Braut
Der Sultan von Katay, mein Vater, angetraut.
Zu unsrer Reise ward das schönste Schiff gebaut;
Der Abschied war betrübt; doch, wie ihr denken könnet,
Verkehrte noch vor Untergang der Sonne
Die Aussicht unsers Glücks die Traurigkeit in Wonne.

53.

Im Anfang ging es gut, das Schiffsvolk sang und schrie,
Die Luft war hell, die Winde günstig;
Drei Tage flohn vorbei, wir wußten selbst nicht wie,
Denn niemals liebten wohl Verlobte sich so brünstig.
Allein am vierten Tag (den Tag vergess' ich nie!)
Umzog der Himmel sich, die Luft war schwül und dünstig
Und still wie eine Gruft. — Wir dachten noch an nichts,
Da raubt auf einmal uns ein Sturm den Quell des Lichts.

54.

Die Dichter haben schon so manchen Sturm beschrieben,
Daß ein Gemälde hier euch wohl entbehrlich däucht;
Wir wurden Tag und Nacht von Winden umgetrieben;
Doch Herzen, die sich zärtlich lieben,
Wird, sind sie nur vereint, das größte Unglück leicht.
Inzwischen hatten wir das Ufer fast erreicht;
Wir unterschieden schon den Himmel und die Flur,
Als plötzlich unser Schiff an eine Sandbank fuhr.

55.

In dieser Noth war unter unsern Leuten
Auf eigne Sicherheit ein jedes nur bedacht:
Mein Prinz allein wich nicht von meiner Seiten
Und schwor, bis in die ew'ge Nacht
Des Todtenreichs mich freudig zu begleiten.
Er hatte mich am Mastbaum fest gemacht
Und hoffte, neben mir durch Schwimmen
Das nahe Ufer zu erklimmen.

56.

Wir nahten schon dem Strand, der einer Zunge glich,
Die weit hervor ins Meer sich reckte,
Als plötzlich ein Gebirg gezackter Wellen sich
Auf uns herunter stürzt' und mich und ihn bedeckte:
Es riß den Prinzen fort; vergebens kämpft' er, streckte
Vergebens aus der Flut die Arme gegen mich;
Er wurde durch den Schwall der aufgebrachten Wogen
Lang' auf- und abgewälzt und meinem Aug' entzogen.

57.

Vor Augst und Schmerz entseelt, empfand
Ich jetzt mich selbst nicht mehr und weiß sonst nichts zu sagen,
Als daß ich mich am muschelvollen Strand,
Wohin die Wellen mich vermuthlich hingetragen,
In eines Ungeheurs behaarten Armen fand.
Bei meinem Jammer kalt und stumm zu meinen Fragen,
Doch (schwor er) desto mehr von meinem Reiz gerührt,
Hat er mich mit Gewalt in dieses Schloß entführt.

58.

Hier sah ich Frauenvolk durch Hof und Garten streichen,
Geraubt, wie ich, und nun des Unholds Zeitvertreib:
Der obre Theil bis an die schmalen Weichen
Versprach ein anmuthsvolles Weib;
Von ihrem Falle trug der Rest die schnöden Zeichen,
Ein langer Roßschweif schloß den viergebeinten Leib.
An jeder, welche sich nach seinem Willen schmieget,
Wird die verrathne Zucht auf diese Art gerüget.

59.

Das Ungeheuer ließ kein Mittel unversucht,
Zu seinem Willen mich zu bringen:
Liebkosung und Gewalt blieb beides ohne Frucht;
Er fand, es lassen sich Prinzessinnen nicht zwingen.
Einst wollt' ich, weil er mir zur Flucht
Sonst jeden Weg versperrt, aus einem Fenster springen;
Zum Unglück' hascht' er mich im Fallen noch beim Bein',
Und schloß mich in die Gruft, wo ihr mich fandet, ein.

60.

Gut! rief Zerbin, was Dejanire sagt,
Scheint mir das Abenteuer des Prinzen aufzuschließen.
Vermuthlich hat er sich in dieses Schloß gewagt
Und seine Noth den Damen mit vier Füßen,
Die vor uns stehn, so rührend vorgeklagt,
Daß sie zu seinem Trost sich milder finden ließen,
Als dem Centaur gefiel. So etwas muß es seyn! —
Ihr rathet unverschämt, fiel die Prinzessin ein:

61.

Mein Prinz mir ungetreu? Er, der so oft geschworen,
Daß er für mich allein geboren,
Daß ich allein sein Herz zu rühren fähig sey,
Er, Dejaniren ungetreu?
Und hätt' ihn auch das schwesterliche Drei
Der Grazien zum Liebling auserkoren,
Ja, Melusine selbst ihr Netz für ihn gespannt,
Sie hätten mir sein Herz, das glaubt mir, nicht entwandt.

62.

Prinzessin, wie man sagt, so gibt's besondre Fälle,
Erwiedert lächelnd unser Hirt:
Das Herz kann schuldlos seyn, indem der Sinn verirrt.
Dieß trügt euch Damen oft, und manche Mirabelle
Mißkennt der Inbrunst echte Quelle,
Durch deren süße Wuth sie hingerissen wird.
Die Schönen dieses Hofs sind von bekannter Güte,
Und ihre Forderung ging schwerlich — aufs Gemüthe.

63.

Auf allen Fall kann uns des Ritters Schwert
Der Sachen wahren Grund entdecken:
Ist Euer Prinz getreu und Eurer Liebe werth,
Und blieb sein Herz zum mind'sten ohne Flecken,
So ist es leicht, vom Schlaf' ihn aufzuwecken.
Berührt ihn nur, Herr Ritter, wo das Pferd
Sich in den Mann verliert, dreimal mit Eurer Klinge,
Und wenn er schuldlos ist, so sehn wir Wunderdinge.

64.

Die schöne Dejanir' erblaßt,
Da unser Held den Griff des Zauberdegens faßt.
Ihr schaudert innerlich. —Wie, wenn er Marmor bliebe?
Welch Unglück! Welche Schmach für ihre reinen Triebe!
Sie zieht ihr Kopftuch von Damast
Vor ihr Gesicht und ruft im Uebermaß der Liebe:
Könnt ihr ihn ja nicht ganz mir wieder geben,
So schenkt, ihr Götter, ihm — nur wenigstens das Leben!

65.

Solch ein Gebet verdient erhört zu seyn.
Kaum rührt das Schwert ihn an, so reget sich der Stein,
Das neue Leben rauscht durch die erwärmten Glieder,
Die Lungen dehnen sich, die Augen sehen wieder
Und sehn —Ah! täuschet mich ein Schein?
Ihr Götter! ruft er aus und wirft beschämt sich nieder.
Doch Dejanire sieht (die holde Creatur!)
Nicht den Centaur in ihm, sieht ihren Liebling nur.

66.

Sie fliegt in seinen Arm und drückt ihn mit Entzücken
An ihr hochschlagend Herz, so zärtlich, so verliebt,
Daß sie dem Prinzen Sorge gibt,
Sie möchte sich und ihn vor Zärtlichkeit ersticken.
Indem er mit der Hand sie sanft zurücke schiebt,
Beschaut er seitwärts sie mit halb geschloss'nen Blicken
Vom Gürtel bis zum Fuß' und sieht (beschämt vielleicht,
Doch ohne Gram) wie wenig sie ihm gleicht.

67.

Und nun beginnt er, ihr umständlich zu erzählen,
Wie er den Strand erreicht und dreimal Tag und Nacht
Mit einem Schmerz, wozu ihm Worte fehlen,
Sein Liebstes auf der Welt zu suchen zugebracht.
Wie er hierher verirrt, und wie durch Zaubermacht
Sich eine Fee bemüht, ihr seine Treu zu stehlen;
Wie stark sie ihn versucht, wie streng er sie behandelt,
Wie grausam sie getobt, und — wie sie ihn verwandelt.

68.

Ob sein Bericht durchaus so zuverlässig war,
Als Dejanir' ihn nahm, das können wir nicht wissen.
Zwar hätte sich Zerbin die Lippen fast zerbissen
Und lächelnd zog den Mund der Paladin sogar:
Allein das gute Kind fand Alles sonnenklar,
Und gab sich viele Müh', ihn gutes Muths zu küssen:
Sie schwor bei Amors Pfeil und bei Dionens Taube,
Daß sie zufrieden sey, und daß sie Alles glaube.

69.

Ihr däucht sogar, daß ihm sein Schweif recht artig stand,
Und daß kein Hirsch so schlanke Beine habe:
Kurz, ihrem Urtheil nach, war er ein feiner Knabe;
Je mehr sie ihn besah, je mehr sie Reize fand.
Was ist so ungestalt, das Amors Zauberhand,
Solang der Irrthum dauert, mit Anmuth nicht begabe?
Sah nicht Titania in liebeskranken Wahn
Den Esel Klaus für einen Sylphen an?

70.

Daß seine Pferdgestalt den Prinzen mächtig ziere,
Gesteht Zerbin der Dame höflich ein;
Doch, ob der Hof zu Kaschemire
Bei seiner Wiederkunft die gleiche Meinung führe,
Das, meint er, möchte wohl noch eine Frage seyn.
Zum Wechsel eines Staats sey oft die Ursach klein;
Ein Roßschweif, welcher einst das Waffenglück der Türken
Entschieden, könnte leicht des Prinzen Fall bewirken.

71.

Mir scheint (so fuhr er fort) zu Eurer Sicherheit
Der beste Rath, die Füße nicht zu sparen,
Zumal da Ihr so wohl beritten seyd.
Es wohnt ein Zauberer mit silbergrauen Haaren
Auf dem bewölkten Haupt des Atlas eingeschneit;
Ein Mann, der Alles weiß, im Himmel so erfahren,
Als wär' er da zu Haus; ihm sind im Ocean,
Im Feuer, Erd' und Luft die Geister unterthan.

72.

Den sucht und fragt um Rath: wenn der es thunlich findet,
Ist die Entzauberung des Prinzen leicht geschehn.
Dem fürstlichen Centaur scheint dieser Rath gegründet,
Und ohne Zeitverlust entschließt er sich zu gehn.
Die Schöne, von Begier entzündet,
Den alten Zauberer und seinen Bart zu sehn,
Dankt ihren Rettern sehr, springt auf des Prinzen Rücken,
Schlingt jeden Arm um ihn und fliegt aus ihren Blicken.

73.

Der Paladin, der nun sein ritterliches Amt
In diesem Schloß vollbracht zu haben glaubet,
Läßt alle Uebrigen der Wirksamkeit beraubet.
Von lechzender Begier, wie Tantalus entflammt,
Wie Tantalus zum Durst am Quell der Lust verdammt,
Bewegungslos am Boden angeschraubet,
Stehn oder liegen sie und warten sehnsuchtsvoll,
Bis einst der Ritter kommt, der sie erlösen soll.

74.

Hier streckt ein Faun den vollen Becher
Der Nymphe dar, die ihm zu Küssen winkt:
Vergeblich leert Cupido seinen Köcher
Aus ihrem Aug' auf ihn; der ungereizte Zecher,
Dem Cyperns Most entgegen blinkt,
Gafft lachend ihr ins Aug' und — trinkt,
Doch in Gedanken nur; denn unvermuthet wehren
Die starren Nerven ihm, den Becher auszuleeren.

75.

Dort tanzen in vermischten Reihn
Mit Chirons Brüderschaft halb nackende Mänaden,
Indeß nicht weit davon in frisch gepreßtem Wein
Zwei Satyrn ihre Kehlen baden:
Schnell stürzt des Weingotts Wuth sie in den Tanz hinein,
Und jeder faßt bei ihren runden Waden
Zwei Nymphen auf, hebt sie, so hoch er kann,
Und lacht aus weitem Maul der That, die er gethan.

76.

Schnell überrascht, entgeistert sie
Des Zauberdegens Blitz: mit eitelm Widerstreben
Bleibt, Bildern gleich, die ganze Gruppe schweben;
Doch glühendern Affect und nachgeahmtes Leben
Gab Buonarotti selbst dem Stein von Paros nie.
Die Tänzer fliesen noch; mit angestrengtem Knie
Scheint jede Nymphe sich noch zappelnd los zu machen,
Und das getäuschte Ohr hört fast den Satyr lachen.

77.

Dort hält ein junger Faun, von Sehnsucht glühend heiß,
Auf weichem Canapee das schönste Kind umfangen;
Wie sträubt sie sich, die Blöde die nicht weiß,
Daß Faunen nur durch Sträuben mehr erlangen.
Sie dreht den Kopf und gibt, um Mund und Wangen
Ihm zu entziehn, den vollen Busen Preis:
Der Faun, mit diesem Tausch zufrieden,
Scheint eher sie als sich mit Küssen zu ermüden.

78.

Sie seufzt, sie windet sich: doch mitten im Bemühn,
Den Unternehmungen des Feinds sich zu entziehn,
Der immer kühner wird, gebricht es ihr am — Willen.
Der Schlaue weiß die Kunst, der Spröden Zorn zu stillen,
Und siegt, nach Parther Art, im Fliehn:
Schon sieht er matte Glut ihr sterbend Aug' erfüllen,
Schon glitschen ihr die Knie, schon sinkt ihr Arm zurück,
Und seinem Siege fehlt nur noch ein Augenblick.

79.

In diesem Augenblick' entführt der Zauberdegen,
Der hier kein Leben übrig läßt,
Der Nymphe das Gefühl, dem Jüngling das Vermögen.
Ein Anblick, Herzen von Asbest,
Und nicht Schach-Baham nur, zum Weinen zu bewegen!
Der Ritter, von Natur und Ahnungen gepreßt,
Mißbilligt bei sich selbst die Härtigkeit der Feen
Und bleibt gedankenvoll bei dieser Gruppe stehen.

80.

Er setzet sich an ihre Stelle hin:
Wie wenn nun endlich sich sie, deren Sklav' ich bin,
Um die ich schon so lang' im stillen Gram zerfließe,
Wie wenn Zenide sich dereinst erweichen ließe:
Ihr schmelzend Auge mich nun Alles hoffen hieße
Was so viel Treu verdient, und irgend ein Merlin,
Wenn ich bereits mich halb vergöttert fühlte,
Uns einen Streich wie diesen beiden spielte?

81.

Indem er sich in diesem Traum verliert,
Macht ihn sein Freund den Abendstern bemerken,
Der schon zum Sphärentanz die Sterne aufgeführt.
Nach allen ritterlichen Werken,
Womit ihr diesen Tag geziert,
Ist's, spricht er, Zeit, den Leib durch Pfleg' und Ruh zu stärken.
Für Helden Eurer Art ist zwar mein Dach zu schlecht,
Doch Eure Gütigkeit gibt mir zu hoffen recht.

82.

Der Ritter, von Zerbins verbindlichem Betragen,
Gestalt und Ton gerührt, in dessen sanftem Klang
Was Sympathetisches ihm in die Seele drang,
Bedenkt sich nicht, ihm dankend zuzusagen,
Ob seiner Reise Zweck ihn gleich zu eilen zwang.
Sie gehen aus dem Schloß; da kommt ein Muschelwagen,
Sehr schön geschnitzt, gemalt, lackirt, vergold't,
Auf leichten Rädern angerollt.

83.

Den Wagen ziehn zwei schwanenweiße Pferde,
Von jener Art, wovon Virgil uns singt,
Daß sie auf steilen Höhn, wenn sich die Welt verjüngt,
Von Zephyrs Hauch empfangen werde;
So schnell verschlingt ihr Flug die kaum berührte Erde.
Ein Sylphenpaar, gelblockig, goldbeschwingt,
Schwebt nebenher, der Pferde Flug zu leiten,
Und Raspinette trabt mit stolzem Gram zur Seiten.

84.

Sie sitzen ein, der Wagen fleugt
In sanftem Sturm davon: nach wenigen Secunden
Ist Schloß und Wald aus ihrem Blick verschwunden;
Schon nahen sie dem See, aus dem die Insel steigt,
Worin Zerbin vor dem, der ihn gezeugt,
(Dem Feinde seines Glücks) geheimen Schutz gefunden;
Der holde Sitz, den, ohne fremde Pracht,
Natur und Liebe schon zum Paradiese macht.

85.

Nichts Schöners hat, nach tausendfacher Noth,
Erschöpft vom langen Kampf mit nie geprüften Wellen,
In deren jeder euch ein neuer Tod bedroht,
Standhafter Anson, dir und deinen Schiffsgesellen,
Vom Mast' herab entdeckt, verschönt vom Morgenroth,
Das zaubrische Gemisch von Felsen, Wasserfällen,
Leicht schattendem Gebüsch' und Thal und Blumenfeld
In Juan Fernandez dargestellt:

86.

Nichts Schöners, machte gleich die lechzende Begierde
Nach frischer Luft und lang' entbehrtem Grün,
Daß mancher Gegenstand, der sonst kaum rühren würde,
Dem freudetrunknen Sinn ganz überirdisch schien;
Die Quelle trinkbar Gold, der Auen grüne Zierde
Smaragd, der Lüfte Hauch Violen und Jasmin;
Däucht den Entzücken gleich, daß Hügel und Gefilde
Was Glänzenders als Sonnenschein vergülde.

87.

Ein neuer nachgeahmter Tag
War durch der Sylphen Kunst der Insel aufgegangen;
Mit Lampen ohne Zahl war jeder Baum behangen,
Bei deren bunten Schein, verstärkt vom Widerschlag,
Wie ein Elysium den Augen offen lag:
Erweckt vom ersten Schlummer sangen
Die Vögel überall zum neuen Tag' hinauf,
Und jede Blum schloß den holden Busen auf.

88.

Der Paladin, wiewohl das Herrlichste auf Erden
Zu hören und zu sehn von Kindheit an gewöhnt,
Scheint doch entzückt hiervon zu werden,
Weil die Erinnerung der zauberischen Gärten,
Wo seine Augen oft Zenidens Brust bethränt,
Ihn unvermerkt beschleicht und, was er sieht, verschönt:
Er glaubt halb träumend sich dahin versetzt zu sehen
Und überläßt sich ganz den täuschenden Ideen.

89.

Ihn däucht, die Göttin sitz' an einer Myrtenwand,
Von Rosen überwölbt, und er zu ihren Füßen.
Er zittert fast, des Anblicks zu genießen,
Der ihn zur Qual entzückt; wie scharf, wie unverwandt
Sucht er in ihrem Blick der Gegenliebe Brand!
Umsonst! Ihr Lächeln kann die Marter nicht versüßen,
Sich ungeliebt zu sehn; sie liebt ihn nur aus Pflicht,
Und ihr gelass'nes Herz theilt sein Entzücken nicht.

90.

Kann nichts (so ruft er aus und hat vor Schmerz vergessen,
Daß ihn ein fremder Zeuge hört),
Kann all mein Leiden denn nur Mitleid dir erpressen,
Und ist der Liebe Glück auf ewig mir verwehrt?
Hier bricht er ab —läßt gleich sein Freund ihn ungestört
In seinen Traum versenkt. Der Wagen hält indessen
Am Ufer, wird ein goldner Kahn,
Und jedes Pferd ein langgehalster Schwan.

91.

Das Abenteurlichste, was Arioste dichten,
Ließ Alles, was bisher dem Ritter widerfuhr,
So weit zurück, als jenes die Natur;
Drum weckt ihn auch aus seinen Traumgesichten
Dieß neue Wunder nicht. Die schöne Lila nur
Hat Reiz genug, den Zauber zu vernichten,
Der seine Sinne schwächt: bei aller seiner Treu
Gestand sein Herz sich doch, wie liebenswerth sie sey.

92.

Sie war, um ihren Gast und Retter zu empfangen,
Vor einer Stunde schon ans Ufer ausgegangen,
Der Nachen, der ihn führt, erreichte nun den Strand.
Sie beut ihm anmuthsvoll die Hand,
Da er ans Ufer steigt, und ohne Widerstand
Bewilligt sie den Kuß, der ihre Wangen
Vertraut, doch ehrerbietig grüßt,
Indeß Zerbin sie beid' in seine Arme schließt.

93.

Das Liebesbündniß schöner Seelen
Knüpft oft der erste Augenblick:
Wenn Andre, eh sie Freunde wählen,
Was sich dabei gewinnt, erst emsig überzählen,
Vermählet jene schon ein Wort, ein stiller Blick;
Gleich Spiegeln strahlet eines des andern Bild zurück;
Sie wählen nicht, sie fühlen sich getrieben
Und lieben ihren Freund, wie sie sich selber lieben.

94.

So war die schöne Sympathie,
Die diese drei verband. Sechs Stunden machten sie,
Sie, die sich nie gekannt, zu Bruder und zu Schwester.
Es schien, daß die Natur sie selbst zusammenzieh',
Und jeder Anblick zog die sanfte Kette fester.
Sie gingen Hand in Hand. Ein himmlisches Orchester
(Dem ein geheimer Wink hierzu Befehle gab)
Schallt aus der goldnen Luft, indem sie gehn, herab.

95.

Zehntausend engelgleiche Kehlen
Wetteifern einzeln und im Chor
Mit Stimmen, deren Klang Neapels Philomelen
Zu Raben macht, dem überraschten Ohr
Von der, die Idris liebt, die Wunder zu erzählen.
Der Ritter stutzt, bleibt stehen, schaut empor,
Sieht seine Freunde an und sieht, noch mehr betroffen,
Auch ihren Augenstern so weit als seinen offen.

96.

Die gleiche Frage schwebt auf jeden Mund ', indem
Der Paladin auch seinen Namen höret.
"Zenide2—Idris?— Wie? von wem ,
Von welchem Helden sieht sich unser Haus beehret?
Nie überraschte uns das Glück so angenehm!
So hat die Hoffnung denn, die wir so lang genähret,
Uns nicht getäuscht, und ist die Stunde nah,
Die unser Kleinmuth noch in trüber Ferne sah?"

97.

Man kennet mich, (so ruft der Held dazwischen)
Man kennt Zeniden hier? Erklärt mir, Herr Zerbin,
Wie dieses möglich ist? —Erlauchter Paladin,
Versetzt sein Wirth, so gern' ich auch gehorsam bin,
So nöthig ist's, uns erst ein wenig zu erfrischen:
Die Tafel ladet uns in jenen Rosenbüschen
Zu einem leichten Gastmahl' ein,
Und, was Ihr wissen wollt, soll unser Nachtisch seyn.

98.

In einem kleinen Wald von Pomeranzenbäumen
Erhob sich ein Gezelt von duftendem Jasmin,
Mit Rosen untermischt, in denen Gold, Rubin
Und unbefleckter Schnee zu keimen
Und aus smaragdnem Laub beinah zu brennen schien;
Ein Ort zu Amors Spiel und zu vergnügten Träumen;
Mit hundertfachem Licht' erhellt
Ein Leuchter von Krystall dieß liebliche Gezelt.

99.

Den sanften Boden deckt, gestickt mit Perlenkränzen,
Ein reicher Stoff, ringsum belegt
Mit Polstern von Damast ein goldner Amor trägt
Den aufgesetzten Tisch , und Nektarflaschen glänzen
Aus kühlem Eis, das hier im Reich des Lenzen
Des Winters Bild, allein zur Lust, erregt:
Auch siehet man, den Dienst bei Tische zu versehen,
Drei rosenwangige Sylphiden seitwärts stehen.

100.

Der Ritter tritt, an Lila's Hand,
In diesen schönen Ort. Doch alle Niedlichkeiten,
Womit im Ueberfluß der Tisch beladen stand,
Der Wirth und sein Gemahl, die in die Wette streiten,
Auch über ihren Gast die Freude auszubreiten,
Wofür ihr zärtlich Herz sich ihm verbunden fand,
Kein Wein, kein Scherz, kein Saitenspiel vermochte
Die Neugier auszuziehn, die ihm im Busen pochte.

101.

Welch ein geheimes Band verflicht
Das Schicksal dieses Paars mit meinen Abenteuern?
So, scheint es, frage stets sein staunendes Gesicht;
Bis, seiner Ungeduld zu steuern,
Zerbin den Becher füllt und spricht:
Heil diesem Tag — ihn soll mein Enkel feiern!
Der uns den Helden finden ließ,
Den das Orakel uns so bald nicht hoffen hieß!

102.

Von Schmerzen, die vielleicht unheilbar sind, zerrissen,
(Versetzt der Paladin) was könnte mir die Pein,
Wozu die Sterne mich verdammen, sonst versüßen,
Als meiner Freunde Glück beförderlich zu seyn?
Mein füllend Herz macht ihr Vergnügen mein.
Allein was kann Zerbin in Lila's Armen missen?
Er, der geliebt sich sieht und, was er liebt, genießt?
Was können Götter selbst für den, der glücklich ist?

103.

Dem Glücke, das ihm lacht, den Unbestand verwehren,
Erwiedert ihm Zerbin. Doch, wenn es Euch gefällt,
Die seltnen Wunder anzuhören,
Die unser Lebenslauf enthält,
So wird Euch mein Bericht die Sorge kennen lehren,
Die meine Ruhe, selbst in Lila's Arm, vergällt.
Vielleicht, daß wir dadurch ergründen,
Was wir noch räthselhaft in unserm Schicksal finden.

104.

Ihr kommt, versetzt der Held, dem leisen Wunsch zuvor,
Der lange schon auf meinen Lippen schwebet:
Vertraut Euch ohne Scheu der Freundschaft sicherm Ohr
Und glaubt gewiß, daß Idris nicht mehr lebet,
Wenn Niemand ist, der sich zu Eurem Dienst bestrebet.
Jetzt schweigt die Symphonie; ein flatternd Sylphenchor
Setzt goldne Körbchen auf voll auserlesner Früchte;
Und nun beginnt Zerbin die folgende Geschichte.
—————

Dritter Gesang.

1.

Da, wo der Kaukasus sein fabelhaftes Haupt
Den Sternen zeigt, da liegt, von steilen Felsenwällen
Vermaurt, ein stilles Thal, voll leicht bekränzter Quellen,
Vom Herbste stets begabt, vom Frühling stets belaubt;
Dem dichterischen gleich, wo einst der Gott der Höllen
Der blonden Ceres Kind, das Blumen las, geraubt;
Lau, wie der Hain, wo sich Dionens Tauben gatten,
Und dämmernd, wie das Land der Schatten.

2.

Hier ruht, umgränzt von Gärten und von Hainen,
Auf Pfeilern von Smaragd des Gnomenkönigs Sitz,
Statt Marmor und Porphyr erbaut aus Edelsteinen;
Gemacht, den lächerlichen Blitz
Der Erdengötter auszuscheinen,
Die stolze Armuth, die vom Witz
Des Reichthums Miene borgt, die sich in Flittern blühet,
Den Lehm zu Marmor macht und Holz zu Gold erhöhet.

3.

Hier war es, wo ich mir bewußt zu seyn begann;
Hier wuchs ich, ohne zu erfahren,
Wer mir das Leben gab, vom Säuglingsalter an
Von menschlicher Gestalt gesondert, unter Schaaren
Grotesker Gnomen auf und war mit achtzehn Jahren
Vor allen Höflingen des Königs Kormoran,
Der Damen Urtheil nach, geziert mit allen Gaben,
Die ein Verjährungsrecht an ihre Gnade haben.

4.

Bei Gnomen ein Adon zu seyn,
Bewies für meinen Reiz sehr wenig;
Man sagt, ein Spielender ist unter Blinden König,
Und niemals traf dieß Sprichwort besser ein.
Indessen machte doch, zu meiner größten Pein,
Der kleine Vorzug mir mehr Herzen unterthänig,
Als je ein junger Herr, der aufs Erobern zog,
Mit einem Blick' erlegt zu haben log.

5.

Man kennt die Reizungen, womit Gnomiden prangen;
Zum mindsten waren sie, mein junges Herz zu fangen,
Sich einen Ueberfluß von Lieblichkeit bewußt:
Hier trotzten mir zwei kupferfarbne Wangen,
Hier ein gespaltnes Kinn, dort eine breite Brust.
Für einen Dritten war ihr Wettstreit eine Lust;
Doch mich, den unverletzt so viele Pfeile trafen,
Mich hinderten ganz andre Träum' am Schlafen.

6.

Wer bin ich? fragt' ich mich —Kein Gnom! Dieß sagen mir
Der Brunnen flüssigs Glas, des Schlosses Spiegelwände;
Mein Herz bekräftigt es; es sagt mir's die Begier
Nach Wesen meiner Art, für die ich das empfände,
Was diesen sich versagt. Wie find' ich mich denn hier?
Was brachte mich in dieser Zwergen Hände?
So fragt' ich stets mich selbst und sann vergebens nach,
Bis meine Ungeduld zuletzt das Schweigen brach.

7.

Ich fiel dem Könige zu Füßen
Und bat ihn, mir ein Räthsel aufzuschließen,
Das mir die Ruhe stahl. Er nannte mich nicht klug:
Wie? rief er, ist dir's nicht genug,
Von Kormoran den Liebling dich zu wissen?
O, hätte, da ich dich noch auf den Armen trug,
Da du durch Lächeln mir die ersten Triebe zolltest,
Hätt' ich gedacht, daß du mich einst so fragen solltest?

8.

Doch, was der König sprach und that,
War ohne Kraft, mich wieder einzuwiegen.
Nichts, was ich sonst geliebt, nichts gab mir mehr Vergnügen;
Gleichgültig sah ich jetzt den ganzen Gnomenstaat
(Mein Erbtheil, sagten sie) zu meinen Füßen liegen.
Ich zog mein Herz allein zu Rath
Und glaubte viel zu gern den Schlüssen, die es machte,
Als daß ich den Beweis ihm abzufordern dachte.

9.

Nein, sagt' ich einst zu einem Spielgesellen,
Dem ich gewogner war, beredet mich nur nicht,
Daß hinter jenem Berg, der in die Wolken sticht,
Nichts sey als Luft und uferlose Wellen:
Sagt mir's, so oft ihr wollt, ich nenn' es ein Gedicht:
Vergebens zwing' ich mich, mir selber vorzustellen,
Ich sey ein Gnom und eures Königs Sohn;
O, sagt mir, wer ich bin, und nehmt dafür den Thron!

10.

Der junge Gnom, der nie von Menschen was gehört,
Verlachte mich mit meinen Träumereien:
Er stritt mit mir; doch blieb ich unbekehrt;
Die Stimme der Natur läßt sich nicht überschreien.
Ist's, dacht' ich, auch ein Traum, der schmeichelnd mich bethört,
Dem Hoffnung und Begier der Wahrheit Farbe leihen;
Es sey! Ich lieb' ihn doch! Ein Wahn, der mich beglückt,
Ist eine Wahrheit werth, die mich zu Boden drückt.

11.

Wenn unser Herz erwacht, dann scheint, was uns umgibet,
In die Empfindungen, wovon wir glühn, versenkt;
In des Verliebten Auge liebet
Luft, Wasser, Baum und Kraut: der Ungeliebte denkt,
Daß sich des Himmels Stirn' um seinetwillen trübet,
Und daß Aurora weint, wenn sie die Blumen tränkt;
Wie dem, der glücklich ist, die ganze Schöpfung lächelt,
Seufzt jenem Zephir selbst, der Florens Busen fächelt.

12.

So gins es mir! Ich suchte meinen Stand,
Und Alles, was empfand und nicht empfand,
Schien mir in das, was mich betraf, verschlungen,
Von Sympathie mit meinem Gram durchdrungen
Und besser, als ich selbst, mit mir bekannt.
Mein sehnend Herz gab selbst den Bäumen Ohr und Zungen;
Ich fragte sie, und dem getäuschten Ohr
Kam ihr Gelispel oft wie eine Antwort vor.

13.

Ich weiß nicht, was für eine Sache
Von Wichtigkeit den Gnomen Arbeit gab:
Ich schweifte täglich ohne Waffe
Im Hain umher, ich stieg ins Thal hinab,
Und eh' ich wiederkam, lief oft die Sonne ab;
Doch fragte Niemand, was ich mache.
Durch diese Freiheit wurde bald
Der grauenvollste Wald mein liebster Aufenthalt.

14.

Die Ruhe der Natur, das allgemeine Schweigen,
Das hier aus dicht verflochtnen Zweigen
Allein die Waldmusik der Vögel unterbrach,
Schien die wollüstige Melancholie zu säugen,
Worin mein Geist so gern sich mit sich selbst besprach;
Der äußre Sinn entschlief, das .Herz allein blieb wach,
Geschäftig, seine Wünsch' in seltsame Gestalten
Von Zärtlichkeit und Wonne zu entfalten.

15.

Ein kleiner Zufall lehrte mich
Um diese Zeit mein Herz noch besser kennen.
Der junge Gnom, mein Freund, (das heißt, den ich
Genöthigt war aus Mangel so zu nennen)
Fing an, für ein Geschöpf, das einem Aeffchen glich,
(Doch nur in meinem Aug') in voller Glut zu brennen;
Denn in der Gnomenwelt gestand ihr selbst der Neid
Den Preis der Liebenswürdigkeit.

16.

Wir stritten oft, wenn er mit aller Schwärmerei
Der Leidenschaft mir schwor, daß ihre Adlernase
Der Thron des Liebesgottes sey,
Und daß kein Frühlingswind aus rundern Backen blase;
Mir schien es, wenn ich ihn so reden hört', er rase;
Ihm schien mein Urtheil Raserei:
Wir sahen uns nie, ohne uns zu zanken;
Doch mir erweckte dieß besondere Gedanken.

17.

Wie, dacht' ich, müßt' ein Mädchen seyn,
Mir Aug' und Herz zugleich zu rühren?
Kann diesen Gnom die Häßlichkeit verführen?
Und ist ein Mißgeschöpf ihm eine Venus? — Nein!
Ihn überwältigt bloß ein Trieb, der allen Thieren
Gemein ist; jegliches nimmt seines gleichen ein:
Der Pfau gefällt dem Pfau, die ungestalte Eule
Find't ihren Gatten schön, glaubt daß er lieblich heule.

18.

Bin ich's allein, für den kein Wesen meiner Art,
Kein Gegenstand der unstillbaren Triebe.
Die ich in mir empfind', erschaffen ward?
In Luft und Flut seh' ich den Geist der Liebe,
Der Alles, was sich fühlet, paart:
Vergaß mich die Natur, nur mich allein? wo bliebe
Ihr mütterlicher Sinn? Nein, nein! Mein Herz sagt nein,
Es ahnet mir, mein Wunsch muß wirklich seyn.

19.

Jetzt bracht' ich oft vom frühen Morgen
Bis in die Nacht mit eitelm Suchen zu:
Wohin, rief ich, wohin, Natur, hast du
Die Göttliche vor mir verborgen?
So stahlen meines Herzens Sorgen
Bei Tag mir alle Zeit, bei Nacht mir alle Ruh:
Wohin ich meine Augen wandte,
Sah ich in wachem Traum die holde Unbekannte.

20.

Einst, da ich mich von ungefähr
(Es hatte kaum zu tagen angefangen)
Im tiefsten Hain verlor, da kam ein großer Bär
Aus dem Gestrüpp auf mich gerade zugegangen;
Ihm zu entfliehen, war so schwer,
Als wehrlos, wie ich war, die Oberhand erlangen:
Allein der grimmigste vom ganzen Bärenstamm,
Dem Ansehn nach, war frommer als ein Lamm.

21.

Sein Brummen glich dem Murren einer Katze,
Der man den Rücken streicht; er blieb von meinem Platze
Drei Schritte stehn und lächelte mich an,
So gut ein Bär nur immer lächeln kann;
Es schien, er winke mir, mich ihm getrost zu nahn,
Zu sehen, was er mir in seiner rauchen Tatze
Entgegen hielt. Ich weiß nicht, was mich zog;
Genug, daß mein Instinct auch hier mich nicht betrog.

22.

Ich nahte mich, ich sah, und schauerndes Entzücken,
Indem ich stand und schaute, fuhr
Schnell durch mich hin — ich sah — welch eine Creatur!
So lieblich, (zwar vielleicht in meinen Augen nur)
Daß, mich vollkommen zu beglücken,
Mir sonst nichts nöthig schien, als stets sie anzublicken.
O Götter! rief ich aus, sie ist's, die ich gesucht,
Sie ist's! — Hier hemmte mich des Bären schnelle Flucht.

23.

Er lief, als ob er sich vor zwanzig Jägern rette,
Und ich, ganz außer mir, ich lief ihm nach, als hätte
Der Liebesgott mir Flügel angesetzt:
So flieht ein Reh, aus seinem grünen Bette
Von Cynthiens Gespielen aufgehetzt.
Der Räuber schien durch meinen Schmerz ergetzt,
Hielt, wenn ich hinter ihm mit kürzern Schritten keichte,
Oft lange still und lief, sobald ich ihn erreichte.

24.

Schon war ich viele Meilen weit
Durch einen Labyrinth von ungebahnten Wegen
Dem Bären nachgerannt, als endlich das Vermögen
Dem Willen unterlag; erschöpft von Mattigkeit,
Von Durst gebrannt, unfähig, mich zu regen,
Sank ich zu Boden hin und ließ dem Gegner Zeit,
Mit dem geliebten Bild im Rachen,
Indeß ich lechzend lag, sich unsichtbar zu machen.

25.

Zu gutem Glücke war mein Ruheplatz nicht ferne
Von einer moosigen Cisterne,
An deren Rand ein alter Palmbaum stieß,
Der seine reife Frucht freiwillig fallen ließ.
Hier war's, wo mir die Noth bewies,
Daß man durch sie aus Pfützen trinken lerne.
Nie schmeckte mir aus Gold der Wein von Alicant
So wohl, wie dieser Schlamm aus meiner hohlen Hand.

26.

Nachdem ich mich erquickt, so fing ich an, bei mir
Den Wundern dieses Tags gelass'ner nachzuspähen.
Nein, dacht' ich, dieser Bär ist kein gemeines Thier;
Und, die er mir gezeigt — hier steht der Abdruck, hier
In dieser Brust, und wird hier ewig stehen! —
Ist mehr als ein Geschöpf erfindender Ideen:
Von solchen Kindern kann allein
Die unverschönbare Natur die Mutter seyn.

27.

Ja, Amor flüstert mir, daß ich dich finden werde,
Du meines Herzens Königin!
Ich suche dich, soweit die Sonnenpferde
Des Tages goldnen Wagen ziehn.
Bist du zu schön, um die Bewohnerin
Zu seyn von dieser niedern Erde:
So soll, dich in vollkommnern Sphären
Zu suchen, Amor mich des Aethers Pfade lehren.

28.

So rief ich, denn, ihr wißt, verliebte Schwärmerei
Denkt gerne laut. Drauf fiel mir plötzlich bei,
Daß, bald zu meinem Zweck zu kommen,
Ein Talisman das beste Mittel sey,
Den ich im Gnomenschatz einst heimlich weggenommen.
Was nur für Thiergestalt Ihr wünschet zu bekommen,
Sprecht Ihr ein Wort, das auf den Talisman
Gegraben ist, nur aus, so ist's gethan.

29.

Mit Flügeln, dacht' ich, kommt man weiter,
Als Kastor selbst, der Schutzpatron der Reiter.
Ich trat sogleich die neue Reise an,
Ward, wie es mir gefiel, zum Adler, zum Fasan,
Zum Papagai und, war die Nacht nicht heiter,
Zur Eule, die im Dunkeln sehen kann;
So flog ich Tag und Nacht, die Seele meines Lebens
Zu suchen, durch die Welt und suchte lang vergebens.

30.

Hier war Zerbin, als Lila schicklich fand,
Sich unbemerkt vom Tische wegzuschleichen,
Vielleicht dem kleinen Uebelstand,
Ihr eignes Lob zu hören, auszuweichen.
Sie winkte dem Gemahl ein Zeichen,
Und Idris wurde nicht gewahr, wie sie verschwand;
Zerbin fuhr fort; sein Feuer im Erzählen
Ließ es dem Ritter nicht an Lust zum Hören fehlen.

31.

Einst früh' an einem Sommertag
Verweilte sich mein Aug' auf einem großen Garten,
Der unter mir im Morgenschimmer lag;
So schön, so aufgeblüht und reich an allen Arten
Von Wohlgeruch, als wären, ihn zu warten,
Die Zephyrn selbst bestellt: ein ewiger Vertrag
Verband Pomonen hier mit Floren,
Die dieses Tempe sich zugleich zum Sitz erkoren.

32.

Ein Anblick, zauberisch genug,
Den eilenden Mercur im Fliegen aufzuhalten;
Und ein ich weiß nicht was, wie ein geheimer Zug,
Verwehrte mir, zu weiterm Flug
Die bunten Flügel zu entfalten.
Durch Lüfte, die von Zimmt- und Amberdüften wallten,
Ließ ich, weil ein Gesang mir plötzlich Neugier gab,
Auf einen Tulpenbaum mich unbemerkt herab.

33.

Ich horcht' umher und fand, der Vogelbauer,
Aus dem der süße Schall sich wand,
Sey ein Gezelt von Myrten und Akanth,
Durch dessen dicht verwehte Mauer
Die Sonne selbst zu sehn nicht möglich fand.
Ich flog hinzu: ein nie gefühlter Schauer
Ergriff mein Herz, indem ich näher kam
Und deutlicher der Stimme Reiz vernahm.

34.

Ich gab ihr einen Leib, und weil die Ungenannte,
Für deren holdes Bild ich brannte,
Die einz'ge Schöne war, die ich von allen kannte,
So hatte die von ihr erfüllte Phantasie
Mich zu bereden wenig Müh,
Die schöne Sängerin im grünen Zelt sey sie.
Denkt die Entzückung selbst, in die mein Herz gerathen,
Als, was ihm vor geahnt, die Augen jetzt bejahten.

35.

Ein Mädchen, leicht verhüllt in rosenfarbnen Tafft,
Trat aus dem Zelt hervor, so schön, so nymphenhaft,
So schlank von Wuchs und lieblich von Geberden
Wie Hebe pflegt gemalt zu werden;
Ihr gelbes Haar floß ringelnd bis zur Erden,
In ihren Busen hätt' ein Engel sich vergafft;
Den schönsten Fuß verrieth ihr flatterndes Gewand,
Und weißer war als Wachs die kleine runde Hand.

36.

Von Wollust halb entseelt und blind von Schauen, wandte
Mein Auge sich von ihr zurück:
Allein bei wiederholtem Blick
Wie ward mir, Götter! wie, als ich die Unbekannte,
Die ich gesucht, von Zug zu Zug erkannte!
Mein Herz erlag der Last von seinem Glück.
Glaubt Ihr, Herr Paladin, es können
Vor Uebermaß von Lust sich Leib und Seele trennen?

37.

Ob ich es glaube? spricht der schöne Paladin:
Der Augenblick wird immer vor mir schweben,
Da ich hiervon beinah' ein Beispiel abgegeben.
O, warum nur beinah? Warum, Gebieterin
Von dieser Brust, befahlst du mir, zu leben?
Warum zerfloß ich nicht in deinem Anschauun hin?
Doch, ich vergesse mich, Euch so zu unterbrechen:
Ich pflege, wie es scheint, manchmal im Traum zu sprechen.

38.

Zerbin, der zu bescheiden war,
Von dieser Apostroph' Erläutrung zu begehren,
Fuhr also fort: Mein Herr, daß ich nicht in der Schaar
Der Wesen bin, die wir mit Weihrauch nähren,
Gereicht allein dem Liebesgott zu Ehren.
Mein Beispiel macht die Wahrheit offenbar:
Der süße Tod, den Amor uns gegeben,
Erwecke nur zu einem schönern Leben.

39.

Als ich mich wieder selbst empfand,
War sie bereits aus meinem Aug' entwichen.
Wie ängstlich ward von mir der ganze Hain durchstrichen!
Wo sucht' ich nicht, bis ich sie wieder fand!
Auf einem Blumenfeld, von lieblichen Gerüchen
Umstossen, saß sie da und wand
Sich einen Kranz, und ihre Blumen schienen
Von Eifersucht beseelt, den Vorzug zu bedienen.

40.

Dieß liebliche Gemisch von Unschuld, Zärtlichkeit
Und nichts besorgendem Vergnügen,
Dem Herzen voll Gefühls so schnell entgegen fliegen;
Der Jugendgeist, den eine Kleinigkeit,
Ein Blumenstrauß, ein Schmetterling erfreut,
Dem Alles lacht, gab allen ihren Zügen
Und Regungen ich weiß nicht was, das sich
Mit namenloser Lust in meine Seele schlich.

41.

Noch seh' ich, halb verdeckt von blumigen Gesträuchen,
Als Papagai ihr zu, ganz Auge, ganz Gefühl:
Als plötzlich Ruh' und Scherz aus ihrem Antlitz weichen.
Ich sah den Rosenmund erbleichen,
Ihr Aug' umwölkte sich, der schönen Hand entfiel
Der Blumenkranz, ihr jugendliches Spiel:
Sie will entfliehn und wird von einem Alten
Mit langem Silberbart beim runden Arm gehalten.

42.

Sein übrig Ansehn schien so jung, daß man vergaß,
Wie alt sein weißer Bart ihn machte.
Lang war er, mehr als das gemeine Maß
Der Männer ist; sein schwarzes Auge lachte,
Und auf der breiten Stirne saß
Was Majestätisches, das Euch zum Schauern brachte;
In seiner rechten lag ein langer schwarzer Stab,
Und bis zur Erde floß sein Purpurkleid herab.

43.

Ich merkte bald, nicht ohne Schrecken,
Daß dieser Greis mein Nebenbuhler sey.
Sein Ansehn und noch mehr sein langer schwarzer Stecken
Schien meiner Liebe nicht viel Günstigs zu entdecken;
Denn beides, däuchte mich, verrathe Zauberei.
Der Graubart sprach von Leidenschaft und Treu'
Und klagte bitterlich, daß so bewährte Triebe
Ihr Herz noch nicht erweicht, kurz, daß sie ihn nicht liebe.

44.

Mir ward aus ihrer Antwort klar,
Sie fürcht' ihn mehr, als sie ihn hasse.
Sie warf ihm vor, mit vielem Feuer zwar,
Doch daß es schien, als ob sie schnell sich fasse)
Daß er zur Morgenzeit sogar,
Noch eh man sichtbar sey, sie nicht in Ruhe lasse;
Sie schwor ihm, daß er sie mit seinen Seufzern plage,
Und daß ihr Herz ihr nichts von Liebe sage.

45.

Dieß gab ihm zwar zu heftigen Beschwerden
Den reichsten Stoff; doch endlich sah ich ihn
Mit einem Kuß, dem sie die Wange zu entziehn
Vergebens kämpfte, sich vergnügt zurücke ziehn.
Kaum war er fort, so stieg Euch aus der Erden
Ein kleines Weib von mürrischen Geberden
Hervor und schleppte, ohn' ein Wort
Zu sprechen, mit Gewalt die junge Schöne fort.

46.

Ich folg' ihr, bis sich mir ein herrlicher Palast
Von weißem Marmor zeigt mit goldbelegtem Dache,
Wohl werth, daß Zeus, wenn ihn der Sorgen Last
Vom Himmel treibt, hier seine Wohnung mache;
Im Hofe, den ein Säulengang umfaßt,
Hält eine Riesenschaar bei Tag und Nacht die Wache;
Ein prächtig Thor von funkelndem Saphir
Thut sich der Schönen auf und schließt sich hinter ihr.

47.

Wie kläglich sah ich ihr, indem die stolzen Flügel
Mit donnerndem Geräusch sich schlossen, hinten nach!
Die ganze Macht der sieben Hügel,
Von denen Rom dem Erdkreis' Urtheil sprach,
War gegen den, der hier befahl, zu schwach.
Doch scheut sich Amor selbst vor Salomonis Siegel?
Die Pforte mag bewacht, gesperrt, gesiegelt seyn,
Im Nothfall dringt er Euch durchs Schlüsselloch hinein.

48.

Zwei Stunden flog ich hin und wieder
Um den Palast, bis ich den Aufenthalt
Von meiner Schönen fand. Drauf ließ ich in Gestalt
Des schönsten Papagais mich vor ihr Fenster nieder,
Aufs goldne Gitter hin. Sie sah mich nicht so bald,
So schlug ich schon mit klatschendem Gefieder
Das Fensterglas, pickt' in den Rahm hinein
Und wollte mit Gewalt hinein gelassen seyn.

49.

Sie that's, beschaute mich erstaunt, und ihre Freude
Schien fast der meinen gleich. Wie wenig träumte sie,
Was unter meinem Federnkleide
Verborgen war! Doch zog bereits die Sympathie
Ihr unbewußtes Herz. Welch eine Augenweide
War mir erlaubt! Ich saß auf ihrem Knie,
Begaffte jeden Reiz mit liebestrunknen Blicken
Und durfte mich sogar an ihren Busen drücken.

50.

Die Lust, die sie an meinem Schmeicheln fand,
Verführte mich zuletzt, mit unbescheidnem Picken
Das niemals ruhige Gewand
Von ihrem weißen Hals' allmählich wegzurücken.
Sie sah mit halbverwirrten Blicken
Mir lächelnd zu, bis ihre sanfte Hand
Mit kleinen tändelhaften Schlägen
Mir zu verstehn gab, ich werde zu verwegen.

51.

Dieß war genug, den Papagai,
Der mich zu frei gemacht, mir aus dem Sinn zu bringen.
Ich legte mich mit Blicken voller Reu
Zu ihren Füßen hin und mit gesenkten Schwingen
Und ließ nicht ab, mich fest um ihren Fuß zu schlingen,
Bis mir ihr Mund bewies, daß ich begnadigt sey.
Sie gab mir einen Kuß und schien bei diesen Spielen
Was Neues, das ihr selbst ein Räthsel war, zu fühlen.

52.

So glücklich wirkte bald der zärtliche Betrug!
Sie liebte nichts wie mich; ich aß aus ihren Händen
Und schlief auf ihrem Schoß; sie konnte nie genug
Liebkosungen an mich verschwenden.
War je ein Papagai so freundlich und so klug?
Die Sprache fehlte nur, das Wunder zu vollenden:
Sie gab sich viele Müh, doch blieb ihr Papchen stumm;
Es sprach mit Blicken nur und wußte wohl warum.

53.

Verstehen, was sie sprach, und doch nicht reden können,
Das schien der Schönen wunderlich.
Komm, rief sie oft, sprich nur: Ich liebe dich!
Das wird dir doch die Zunge nicht verbrennen!
Versuch's mir zu gefallen! sprich
Nur meinen Namen aus, du hörst so oft ihn nennen!
Umsonst, ich blieb bei allem Zuspruch stumm,
Und ihre Kammerfrau entschied nun, ich sey dumm.

54.

So schlüpften, ohne daß der bärtige Verliebte
Sich sehen ließ, drei Tage schnell vorbei.
Allein am vierten schien's, daß ihre Phantasei
Ich weiß nicht welche Wolke trübte.
Nichts gab ihr Freude mehr, was sie noch kürzlich liebte.
Nicht ihr Clavier, auch nicht ihr Papagai:
Umsonst bestrebt' ich mich, ihr Uebel wegzuscherzen;
Es war, als lieg' ihr was sehr Wichtigs auf dem Herzen.

55.

Den nächsten Morgen schien ihr Unmuth sich vielmehr
Noch zu verdoppeln als zu legen.
Bald ging sie, von Gedanken schwer
Und in sich selbst gekehrt, im Zimmer hin und her;
Bald saß sie, ohne sich zu regen,
Auf ihrem Sopha da; nichts hatte das Vermögen,
Sie aus der andern Welt, wo sie verirret schien,
In ihren Leib zurück zu ziehn.

56.

Von Kummer fast entseelt, saß ich zwar neben ihr;
Allein sie sah mich nicht und wollte mich nicht sehen.
Indem wir nun so saßen, ging die Thür
Mit beiden Flügeln auf, und plötzlich sahen wir
Den alten Weißbart vor ihr stehen.
Kaum ließ er mir noch Zeit, ihm aus dem Weg zu gehen;
Doch er sah Lila nur. Er warf sich auf die Knie
Und sprach von seiner Glut viel feuriger als nie.

57.

Du liebtest mich? —(hört' ich sie endlich sagen)
Schon lange sagst du mir's, doch sag' es noch einmal!
Du liebst mich also? — Wie? kann Lila das noch fragen?
(Erwiedert er) wohlan! es steht in deiner Wahl,
Mir zum Beweis was Schweres aufzutragen,
Als ihrem Ritter je die Grausamste befahl.
Dir meine Liebe zu beweisen,
Zieh' ich, wenn du's befiehlst, die Stern' aus ihren Kreisen.

58.

Willst du, es soll des Meeres Strand
Mit Perlen sich, anstatt des Sandes, decken?
Soll sich der Ocean ins feste Land verstecken?
Soll jeder Fels dein Bild von Diamant
Kolossisch in die Wolken strecken?
Soll von Katay bis zum heißen Mohrenland
Die Welt dir zinsbar seyn, und, die auf Thronen prangen,
Ihr Diadem aus deiner Hand empfangen?

59.

Befiehl's, es soll geschehn! —Nein, (fiel sie lächelnd ein)
Vor meinem Ehrgeiz mag der Mogul sicher leben:
Mein Wunsch fliegt nicht so hoch, und durch ihr Herz allein,
Nicht durch den Thron der Welt, kann Lila glücklich seyn.
Kurz, was ich will, ist nicht so schwer zu geben,
Als nur den kleinsten Berg aus seinem Sitz zu heben.
Gib mir den Jüngling nur, der schon die zweite Nacht
An meiner Seite zugebracht.

60.

"Den Jüngling? Wie? Sprichst du im Fieber?
Und wen, ich bitte dich? Den Jüngling sagst du?" —Ja,
Ihn, den ich schon zwei Nächte bei mir sah
Und wachend immer seh', und der bereits mir lieber
Als Alles ist. Wofern's im Traum geschah,
O, daurte dieser Traum mein ganzes Leben über!
Liebst du mich, Astramond? Ich will die Probe sehn;
Laß diesen Augenblick den Jüngling vor mir stehn.

61.

Ihn lieb' ich, ihn allein, und werd' ihn ewig lieben,
Und sein, sonst Niemands, will ich seyn.
Er schwor mir, unser Bund sey im Gestirn geschrieben;
Wir lieben uns, mein Herz ist sein, und seines mein. —
Hir schien sich Astramond so heftig zu betrüben,
Als dräng' in jedem Wort ein Dolch in ihn hinein.
Der Schmerz schien ihm die Sinne selbst zu schwächen
Und ließ die Kraft ihm nicht, sie nur zu unterbrechen.

62.

Urtheilet, Herr, was ich, indem sie sprach, empfand!
Doch, da sie nun begann den Jüngling abzumalen,
Und ich (verschönert zwar) mich selbst geschildert fand,
So wie die Liebe malt, mit Farben nicht, mit Strahlen,
Doch kennbar, daß ein Mißverstand
Kaum möglich war — o, denkt, von welchen Qualen
Zu welchem Uebermaß von Wonn' ich überging,
Indeß daß Astramond nun anzuklagen fing:

63.

Du liebest, rief er, Undankbare?
Du liebst? und wen? — ein eitles Traumgesicht!
Und wäre, was du liebst, mehr als ein Hirngedicht,
Glaubst du, daß ich den Lohn so vieler Jahre,
So vieler Zärtlichkeit für einen Fremden spare?
Nein, Lila, täusche dich mit solchem Unsinn nicht.
Eh mische sich der Himmel mit der Erde,
Eh' ich selbst einem Gott dich überlassen werde!

64.

Wie? soll ein Herz, das mir, beim zärtlichsten Bemühn,
Es zu erwärmen, kalt geblieben,
Für ein Phantom beim ersten Anblick glühn?
Lehrt' ich dich darum nur die süße Kunst zu lieben,
Sie, da du sie gefaßt, mit Andern auszuüben
Und mir, was ich verdient, was mein ist, zu entziehn?
Von wem sind alle deine Gaben?
Wer kann ein nähers Recht, dich zu besitzen, haben?

65.

Wer war es, Ungetreue, sprich,
Der dich als Kind an seinen Busen drückte?
Sprich, wer erzog, besorgte, pflegte dich?
Wer war's, der deinen Geist entwickelte und schmückte?
Mißkenn' ihn, wenn du kannst! — Und Alles das hätt' ich
Gethan, damit ein Andrer pflückte,
Was ich für mich gepflanzt? Nein, Lila, hoff' es nicht!
Mein bist du, sey es nun aus Neigung oder Pflicht.

66.

Weh dem, ihn treffe Blitz und tödtendes Verderben,
Der dich mir zu entziehn unsinnig sich getraut!
Den schrecklichsten der Tode soll er sterben,
Zu längrer Qual mit Lebensgeist bethaut;
Durch Martern neuer Art, wovor der Menschheit graut,
Soll, tropfenweis' erpreßt, sein Blut die Erde färben!
Doch, was entrüst' ich mich? Verdient ein Schattenbild,
Ein bloßer Traum, daß mir die Galle schwillt?

67.

Vergebens hoffest du, dein Traum soll wirklich werden;
Wir sind allein: wie vielmal sag' ich's dir?
Wir und die Vögel und die Herden,
Und was in Teichen schwimmt, und tief im Schoß der Erden
Und in der Luft die Geister, die nur mir,
Dir niemals sichtbar sind. — Entsage der Begier
Nach fremden wesenlosen Dingen,
Die, von Betrug gezeugt, in deinem Hirn' entspringen.

68.

Ein Blick, ein Wort, o Lila, wird zugleich
Dein Schicksal und das mein' entscheiden;
Sprich nur ein Wort, so sind uns beiden
An Wonne nur die Götter gleich:
Ergib dich mir, beherrsch' als Königin ein Reich
Von Liebesgöttern und von Freuden;
Du kennest meine Macht; entschließ', o Schönste, dich,
Beherrsche mich, so bist du größer noch, als ich.

69.

Hier hielt er ein, durch das beredte Schweigen
Entflammter Sehnsucht sie zum frohen Ja zu neigen.
Du sprichst, versetzte sie, sehr gut, ich muß gestehn;
Allein was hälf' es dir, sprächst du auch noch so schön?
Mich kann mein Herz nur überzeugen,
Ach, Astramond! Ich hab', ich habe den gesehn,
Ihn, den, sobald er nur die Augen auf mich wandte,
Mein überzeugtes Herz für seinen Herrn erkannte.

70.

Sag' und beweise mir, was ich vor wenig Stunden
Gesehn, gehört, sey ein Geschöpf der Nacht,
Von ungefähr entstanden und verschwunden,
Ein Wolkenbild, aus Morgenduft gemacht:
Ich sage Nein! Ich weiß, was ich empfunden;
Und schlief mein Leib, so hat mein Herz gewacht.
Doch, war es nur ein Traum, was hast du zu befahren?
Du könntest, dächte man, dein Drohen weislich sparen.

71.

Du rückst mir Alles vor, was du für mich gethan:
O Astramond, du kennst mein Herz, es kann
Nicht unerkenntlich seyn —ich bin dir sehr verpflichtet.
Zwar, was du thatest, war auf einen Zweck gerichtet
Der weder edel war, noch billig; doch vernichtet
Der Zweck die Wohlthat nicht: ich nehm' als Wohlthat an,
(Und küsse dir die Hand, aus der ich sie empfangen)
Was nur ein Anschlag war, mich sicherer zu fangen.

72.

Doch, sage mir, (denn kein Verhältniß schwächt
Die Rechte der Natur) wer hat mir dieses Leben
Und dir, so groß du bist, ein Recht an mich gegeben?
Die Macht allein gibt Göttern selbst kein Recht.
Nein, Astramond! der war gewiß kein Knecht,
Der mir die Triebe gab, die diese Brust erheben.
Gib mich zurück und sey durch eine solche That
Der Achtung wehrt, die dir mein Herz gewidmet hat!

73.

So, Lila, spottest du, rief Astramond ergrimmt,
Der grenzenlosen Huld, womit ich dich beehrte?
So wird das Glück geschätzt, wozu ich dich bestimmt?
Dieß nennst du Dankbarkeit? Erfahre denn, Verkehrte,
Daß diese Leidenschaft, die mich zu lang bethörte,
Von diesem Augenblick' ihr End' in Abscheu nimmt.
Hinweg mit ihr! — Ihr, die ihr meinen Willen
In meinen Augen lest, herbei, ihn zu erfüllen!

74.

Kaum donnert er das letzte Wort,
So trugen, wie es schien, unkörperliche Hände
Sie durch die Luft aus meinen Augen fort.
Verzweifelnd stieß ich, meiner Qual ein Ende
Zu machen, mit dem Kopf des Zimmers Marmorwände:
Doch jedes Mal mißlang der abgezielte Mord;
Ein unsichtbarer Schutz schien über mir zu walten,
Und Lila rief mir zu, für sie mich zu erhalten.

75.

Ich faßte wieder Muth und sann
Auf schnelle Flucht, eh noch die Kammerfrau dem Alten
Verdacht auf mich zu geben Zeit gewann.
Schnell mußte mich mein Talisman
Zum kleinsten Eulchen umgestalten;
Ich fand zu gutem Glück ein Fensterglas gespalten;
Und als die Zwergin kam, wo ihr Gefangner sey
In voller Hast zu sehn, weg war der Papagai!

76.

Ich flog dem Garten zu und tauschte
Wohl hundertmal die magische Figur;
Der Büsche grüne Nacht, wo ich verborgen lauschte,
Vermehrte meine Furcht; ich fuhr
Bei jedem Lüftchen auf, das durch die Blätter rauschte;
Und als das Auge der Natur
Sich endlich schloß, und sich die Stille mehrte,
Schien mir's, aus tiefer Fern', als ob ich weinen hörte.

77.

Ich hielt den Athem an und horchte scharf empor;
Da däuchte mich, ich höre Lila's Stimme,
Als ob sie halb erstickt in Thränengüssen schwimme;
Und immer näher schlug der Jammerton mein Ohr.
Ich machte mich zum Löwen, brach im Grimme
Aus meinem Hinterhalt' hervor
Und lief durch Hain und Flur, zur Rach' an dem entschlossen,
Durch den so schöne Thränen flossen.

78.

Doch Alles, was ich fand, war dieses, daß die Nacht
Der Sinnen Urtheil trüglich macht.
Bald war's ein Ouell, der klatschend aus der Nische
Von einer Nymphe fiel; bald Winde, die erwacht
Vom leichten Schlaf, durch Grotten und Gebüsche
Sich jagten; bald im Gras das brünftige Gezische
Von Schlangen, die, in Liebesknoten
Verschränkt, vor heißer Luft sich zu ersticken drohten.

79.

Ihr süßes Spiel erhöhte meine Qual.
Von Angst gespornt durchlief ich Berg und Thal
Auf viele Meilen weit, um eine Spur zu finden,
Den Aufenthalt der Schönen zu ergründen.
Allein, da jetzt zum sechsten Mal
Die Nacht den Tag vertrieb, ließ ich die Hoffnung schwinden.
Ein See, der vor mir lag, schien mir gemacht zu seyn,
Von meinem Leiden mich auf ewig zu befrein.

80.

Ich sprang hinein; doch, kaum benetzte meine Glieder
Die kühle Flut, so kam die Lust zum Leben wieder
Und machte, daß es mir Verrath an Lila schien,
Was ihr gewidmet war, ihr treulos zu entziehn.
Drei Worte braucht' es nur, so fuhr ich als Delphin
Im neuen Element bis in die Tiefe nieder.
Nicht lange trieb ich noch das ungewohnte Spiel,
Als mir aus einer Gruft ein Schein ins Auge fiel.

81.

Es war ein ungeheurer Bogen,
Vom Finger der Natur in einen Berg gesprengt;
Und unten schoß ein Strom, in Felsen eingezwängt,
Mit tobendem Gebrüll die dick beschäumten Wogen.
Von einer Welle stets der andern zugedrängt,
Fühlt' ich mich mit Gewalt durch diese Gruft gezogen:
Des Stromes schneller Lauf, das Donnern um mein Ohr
Betäubte mich so sehr, daß ich mich selbst verlor.

82.

Denkt, wie mir war, als ich in einem weiten Becken
Vom reinesten Sapphir mich beim Erwachen fand!
Umringt mit blüthenreichen Hecken,
Aus deren grüner Nacht, wie von des Zufalls Hand,
Hier eine Urne ragt, dort Bilder sich entdecken.
Ich glaubte mich im Elyseerland;
Und was den Irrthum glaublich machte,
War, daß ich unbeschuppt erwachte.

83.

Allein zugleich mit dem Delphin
War auch der Talisman, mein ganzer Schatz, dahin.
Gesucht, beklagt beweint, war er und blieb verloren.
Ward jemals ein Geschöpf unglücklicher geboren?
Rief ich und sank ins Gras, wo den erschöpften Sinn
Zuletzt der Schlaf beschlich. Ermuntert von Autoren
Und durch den Balsamschlaf gestärkt,
Entwölkte mit dem Tag mein Geist sich unvermerkt.

84.

Die Neugier trieb mich jetzt, die Oerter zu besehen,
Wohin, unwissend wie, ich mich bezaubert fand.
Der Blumenschmelz, die Pracht mäandrischer Alleen,
Der Boden überall, statt Sand,
Mit Perlen überstreut, kurz, jeder Gegenstand
Bewies den Ort bewohnt von Feen;
Und ein Palast, von dem das Funkeln kaum
Erträglich war, ließ keinem Zweifel Raum.

85.

Doch wunderbarer noch als Alles war die Stille,
Die auf der ganzen Gegend lag:
Von Philomelen an zum Laubfrosch und zur Grille
War Alles hier verbannt, was einen Laut vermag;
Kaum rauschte noch ein Blatt. Erst glaubt' ich, daß der Tag
Sich später im Palast als außerhalb enthülle;
Doch endlich wich die Furcht, zu kühn zu seyn,
Der Ungeduld; ich wagte mich hinein.

86.

Ein Labyrinth von Sälen, Cabinetten
Und Zimmern ließ mich sehn, wie weit die Feerei
Die Kunst zurückeläßt. Lack, Schnitzwerk, Malerei,
Tapeten, Spiegel, Tische, Betten,
Kurz, Alles war so reich, daß Uzim-Oschantey
Und Gengiskhan beim Tausch gewonnen hätten.
Wie? dacht' ich, solch ein Sitz und von Bewohnern leer?
Dieß Alles machte sich doch nicht von ungefähr?

87.

Ich war zum Abzug schon entschlossen,
Als mir ein Cabinet, an dessen Thür' ich stieß,
Den Anblick, den ich mir am wenigsten verhieß,
Die schöne Lila selbst, auf Polster hingegossen,
In allen Reizungen des Mittagsschlummers wies.
Vom silbernen Gewölk des feinsten Flors umflossen,
Die Locken aufgelöst, den Busen halb entdeckt,
Lag sie, die schöne Stirn' im weißen Arm versteckt.

88.

So schön fand nicht Adon im Hain von Amathunt
Die eingeschlafne Venus liegen:
Ein süßes Lächeln floß um ihren Rosenmund;
Ihr Busen schien den Liebesgott zu wiegen;
Und jede Muskel that durch sanftes Schwellen kund,
Es müsse sie der schönste Traum vergnügen.
Ganz Auge stand ich da und wünschte so zu stehn
Aeonenlang, bis ich mich müd' an ihr gesehn.

89.

Ein Faun, dem junger Most und feurige Begierde
Die Sehnen schwellt, daß der, bei Lunens Schein,
Ein Nymphchen, das im wilden Hain
Auf seiner Urne schläft, nicht schlafen lassen würde,
Gesteh' ich unerröthend ein;
Der wahren Liebe nur ist Keuschheit keine Bürde.
Sehn, was man liebt, gibt's denn ein größer Glück?
Mehr, als dem Faun ein Kuß, ist ihr ein bloßer Blick.

90.

O! die Geliebte sehn, sich neben ihr befinden,
Den Athem in sich ziehn, der ihrer Brust entfloh,
Ist eine größre Lust für Seelen, die empfinden!
Die letzte Gunst entzückt den Faun nicht so.
Ein Band, das einst sich um ihr Knie zu winden
So glücklich war, ein Ring von ihrem Haar, wie froh,
Wie reich macht solch ein Tand den, der wahrhaftig glüht!
Nichts ist ihm Kleinigkeit, was sich auf sie bezieht.

91.

Noch stand ich aufgelöst in zärtliches Entzücken,
Als sie im Schlaf sich sanft zu mir herüber wand.
Ihr liebliches Gesicht, das meinen gier'gen Blicken
In süßer Rosenfarb jetzt völlig offen stand,
Schien plötzlich ein Gefühl von Wonne auszudrücken;
Ihr Busen hob die kleine schlaffe Hand,
Die ihn bedeckt', und aus den zarten Leinen
Sah ich das schönste Knie Narcissen überscheinen.

92.

Zerbin! O mein Zerbin! — rief sie entzückt und schloß
Den Mund von lebenden Korallen
Gleich wieder, dem der süße Ton entfloß.
Nun hielt ich mich nicht mehr, die Wonne war zu groß!
Wer wäre nicht in vollem Ueberwallen
Der Dankbarkeit an ihre Brust gefallen?
Wer hatte nicht in süßer Trunkenheit
Solch einen Mund mit Küssen überschneit?

93.

"Gewiß nicht ich!" — rief Idris schwärmerlich. —
So könnt Ihr, was ich that, Euch selbst statt meiner sagen.
Doch eben diese Flut von Zärtlichkeit, die mich
Auf einen Mund und eine Brust verschlagen,
Um welche noch der Ton von meinem Namen schlich,
Verwehrte mir, zu viel zu wagen.
Ich ließ dem Herzen nur, nicht der Begier, den Lauf.
Doch, was ich auch begann, so wachte sie nicht auf.

94.

Bei solchen Küssen unbeweglich!
Sie muß bezaubert seyn, es ist nicht anders möglich!
O Astramond, ich kenne dich hierin:
Bei dir allein ist Lieb' und Grausamkeit verträglich.
Doch hoffe nicht, du werdest den Gewinn
Von deiner Bosheit ziehn, eh' ich vernichtet bin.
Verlaß dich immerhin auf deine Zauberwaffen;
Die Liebe und mein Arm soll Rache mir verschaffen.

95.

Indem zog meinen Blick ein ungeheurer Hahn,
Auf einem Fußgestell von schwarzem Marmor, an.
Er schien zum Flug mit nachgeahmtem Leben
Die Purpurflügel zu erheben,
Und unten ward in Gold dem Leser kund gethan:
Wem Amor Muth genug gegeben,
Der schwinge sich, um diese Dame hier
Des Zaubers zu befrein, auf dieses edle Thier.

96.

Mir schien mit Recht die Sache sehr verdächtig;
Der alte Kabbalist liegt hier im Hinterhalt,
Dacht' ich: vielleicht ist diese Hahngestalt,
Zu meinem Untergang, mit Blitz und Donner trächtig?
Vielleicht — doch, lass' es seyn! —Verrätherei, Gewalt —
Ich scheue nichts, die Liebe macht allmächtig!
Ein Blick auf meine Schläferin
Bestärkte mich in diesem kühnen Sinn.

97.

Noch einmal warf ich mich zu ihren Füßen, küßte
Noch einmal Stirn' und Mund und fühlt' jetzt Muth genug,
Auch wenn ich mich für sie mit Riesen schlagen müßte.
Ob Astramond mich überliste,
War das, wofür ich jetzt die mindste Sorge trug.
Ich schwang mich auf, der Zaubervogel schlug
Die Wolken schon mit segelgleichem Flügel,
Und plötzlich däuchte mich der Atlas nur ein Hügel.

98.

Wie damals mir geschah, scheint jetzt mir selbst ein Traum.
Genug, ich fing schon an, die Himmelsluft zu hauchen,
Und sah, in einer See von Sonnenstrahlen, kaum
So viel, als Liebende zu stillen Küssen brauchen.
Wir nahten, glaubt' ich, uns bereits dem leeren Raum',
Als jetzt mein Hahn begann sich allgemach zu tauchen.
Drauf schoß er senkrecht als wie ein Pfeil herab
Und warf mich unverhofft in einem Brunnen ab.

99.

Er warf mich ab, fing an zu krähen,
Schwang im Triumph die Flügel und verschwand.
Wie stutzt' ich da, da ich mich am alten Orte fand
Und Alles wieder sah, was ich noch kaum gesehen:
Den grünen Labyrinth, den Boden, statt mit Sand,
Mit Perlen überstreut, die thürmenden Alleen
Und, was an meinem Witz' und meinem Daseyn fast
Mich zweifeln hieß, den nämlichen Palast.

100.

Mein Wunder stieg, als sich der kleine Weiher
Mit einer Schaar von Nymphen ohne Schleier
(Der diese Tracht nicht allzu reizend ließ)
Erfüllt', und jede mich vertraut willkommen hieß.
"Willkommen, Herr Zerbin, zu einem Abenteuer,
Das weniger gefährlich ist als süß!"
So sangen sie und machten im Gedränge
Um mich herum den feuchten Raum zu enge.

101.

Wie schön er ist! rief eine — In der That,
Figuren dieser Art pflegt man nicht sehr zu hassen —
Es mag ganz hübsch sich von ihm wecken lassen,
Fiel eine dritte ein. Dieß daurte, bis ich bat,
Die Damen möchten nicht so sehr zur Unzeit spaßen.
Der Herr zieht, wie es scheint, hier die Physik zu Rath,
Sprach eine Alte drauf, er könnte sich erkälten,
Und, ging ein Fehler vor, so müßten wir's entgelten.

102.

Drauf stieß sie in ein Horn, und plötzlich trugen mich
Die Nymphen im Triumph ans blumige Gestade.
Ich stutzt' in einem kleinen Grade,
Die Kurzweil däuchte mich nicht halb so lächerlich.
Hofft, sprach ich zu mir selbst, der Alte, daß er sich
Auf diese Art von mir entlade?
Er denkt doch nicht, durch diese Wasserdrachen
Mir Lust zum Unbestand zu machen?

103.

Kaum trat ich aufs Gestad', als eine andre Schaar
Von Nymphen hinter den Jasminen
Hervor geschlichen kam, die mir, so treu ich war,
Gefährlicher als ihre Schwestern schienen.
Sie näherten sich tanzend, Paar und Paar,
Und winkten mich herbei. Mit Zittern folgt ich ihnen:
Sie sprachen nicht ein Wort und tanzten stets voran,
Bis wir das schönste Bad vor uns eröffnet sahn.

104.

Hier (fing ein Nymphen an mir leis' ins Ohr zu raunen)
Möcht unser Dienst vielleicht beschwerlich seyn;
Doch sorget nicht, wir lassen Euch allein.
Statt ihrer wimmelten wohl zwanzig junge Faunen,
Mit goldnem Horn' auf krauser Stirn, herein:
Denkt Euch, Herr Ritter, mein Erstaunen!
Sie kleideten mich aus, ich saß im Bade da
Und wußte nicht, wie mir geschah.

105.

Ist, fing ich endlich an, ist euch so viel zu sagen
Erlaubt, so bitt' ich, sagt, wohin das Alles zielt?
Allein sie blieben stumm; ich mochte zehnmal fragen,
Ein schalkhaft Lächeln war, was ich dafür erhielt.
Nachdem sie mich genug gerieben, abgespült,
In warme Tücher eingeschlagen,
Beräuchert und gesalbt, dann zierlich angekleid't,
Eröffnete die Thür sich plötzlich angelweit.

106.

Ein Saal empfing mich jetzt, dem in der Geisterwelt
An Schimmer gleich, woselbst die Götter speisen;
Auch war die Tafel schon bestellt,
Und eine Symphonie, die Stern' aus ihren Kreisen
Herab zu ziehn geschickt, und wechselsweis gesellt
Zum lieblichsten Gesang, fing an das Glück zu preisen,
Das mir beschieden sey. Beglückte Schläferin!
(So schloß sich jede Stroph') und glücklicher Zerbin!

107.

Nun schien mir's ausgemacht, daß irgend eine Fee,
Die meiner Liebe gnädig sey,
Mit meinen Sternen sich zu meinem Glück verstehe.
Dieß machte mich so froh und sorgenfrei,
Als ob ich Lila schon an meiner Seite sähe.
Ich setzte mich und aß für ihrer drei:
Denn, laß die Seladons, so viel sie wollen, sagen,
Wer liebt, sey lauter Herz; man hat auch einen Magen!

108.

Zwei Ganymede machten sich
Sehr viel zu thun, mir fleißig einzuschenken;
Ihr schlaues Lächeln lockte mich
Den trüben Gram, das zweifelnde Bedenken
In einem Nektar zu ertränken,
Der sich wie Oel den Gaum hinunter schlich:
Vom ersten Glase war mein Blut zu Geist geläutert,
Die Stirn umwölkt, das Herz erweitert.

109.

Wie Rosen, buhlerisch vom Zephyr ausgehaucht,
That sich mein Busen auf; die Wünsche wurden freier,
Die Phantasie, in Wollust eingetaucht,
Weissagte sich die schönsten Abenteuer.
Dieß seelenschmelzende, unkörperliche Feuer,
In dessen süßer Glut die Weisheit sanft verraucht,
Fing an mit lieblich bangem Sehnen
Und süßer Ungeduld die Brust mir auszudehnen.

110.

Doch wie beschreib' ich Euch den Glanz, den Lila's Bild.
Von Amors Fackel übergüld't,
In meine Augen warf? Dieß kennt nur, wer's empfunden!
Wie ward ich gegen mich mit Ungeduld erfüllt,
Daß ich was Dringenders, als sie zu sehn, gefunden!
Secunden däuchten mich jetzt tödtlich lange Stunden.
Allein, kaum hatt' ich mich vom Lehnstuhl aufgerafft,
So war in einem Wink das Gastmahl weggeschafft.

111.

Banket und Saitenspiel und Nymphen, Sängerinnen
Und Knaben, kurz, den ganzen Speisesaal
Sah ich in Finsterniß zerrinnen;
Kaum ließ mir noch ein halb erloschner Strahl
Von ferne zu, die Thüre zu gewinnen.
Denkt, ob ich andachtsvoll mich meiner Dam' empfahl.
Ich tappte nun, so gut ich konnte, weiter
Und fand zuletzt ein Zimmer wieder heiter.

112.

Ich schlich mich auf den Zehn, nicht ohne Furcht, hinein,
Indeß, beim ungewissen Schein
Von Rosenöl, das träg' in goldnen Lampen brannte,
Mein Auge rings umher Kundschaftersblicke sandte.
Allein der erste Blick, beim Eintritt schon, erkannte
Dieß Zimmer, eben das zu seyn,
Was mich das erste Mal zu Lila eingelassen.
Nun wußt' ich mich vor Freude kaum zu fassen.

113.

Und, wie ich bald hernach im gleichen Cabinete
Ein schlafend Frauenbild mit halb entdecktem Knie'
Und offnem Busen fand, auf einem Ruhebette
Von nelkenfarbnem Sammt, wie Lila lag — wer hätte
An meinem Platze nicht geglaubt, er sähe sie?
Was ihr zur Aehnlichkeit noch fehlen konnte, lieh
Der Schlafenden die Schwärmerei der Liebe:
Ich glaubte meinem Aug' und mehr noch meinem Triebe.

114.

Das matte zweifelhafte Licht,
Das Amor selbst zu seinen süßen Scherzen
Erfunden hat, (wie wenn im frühen Märzen
Aurorens Glanz mit grauen Nebeln ficht)
Beglückte den Betrug und fälschte mein Gesicht.
Empfindungen, wie oft belügt ihr unsre Herzen!
O Lila, seh' ich dich? Ist's möglich? ist's gewiß?
War Alles, was der Strom der Lust mich stottern ließ.

115.

In diesem Mittelstand, da, zwischen Tod und Leben,
Ganz aufgelöst in ideale Lust,
Die Seelen, kaum sich selbst bewußt,
In mystischer Entzückung schweben,
In dieser Trunkenheit, wovon ein Bild zu geben
Unmöglich ist, lag ich an ihrer Brust:
Als meine Schläferin, der ich's zu lange machte,
Durch ihrer Küsse Wuth mich zu mir selber brachte.

116.

Von einem Arme, dem selbst Junons schöner Arm
An Form und Weiße wich, fühlt' ich so stark, so warm,
So brünstiglich mich an die halbe Sphäre,
Woran ich lag, gedrückt, als ob der ganze Schwarm
Der losen Götter von Cythere
Und Venus selbst in ihn gefahren wäre;
Der andre Arm verbarg ihr abgewandt Gesicht;
Allein mir gab bereits mein Herz ein traurig Licht.

117.

So wenig Zärtlichkeit, so buhlerische Küsse,
So viel Behutsamkeit bei so viel Glut bewies,
Daß mich die Hoffnung sehr betrogen haben müsse.
Der Schutzgeist reiner Liebe blies
Mir warnend ein: hier sey Gefahr; es wisse
Die Dame, die sich mir so gütig überließ,
Die Rolle, welche sie vermuthlich mit dem Alten
Zu spielen abgeredet, nicht lange auszuhalten.

118.

Ich fuhr bestürzt zurück, beschaute sie genau
Und wurde fast zum Stein vor Wunder,
Mit einer unbekannten Frau
Mich so verstrickt zu sehn. Der Angstschweiß stand wie Thau
Mir auf der Stirne. Nicht, als hätt' es ihr am Zunder
Zur Ueppigkeit gefehlt: denn blendender und runder,
Als ihre Brust, und reizender gedreht
Hat unter Amors Hand sich keine je gebläht.

119.

Gleich lockend war, was unter Nebeldecken
Zu lauern schien, und was sie mißlich fand
Aus übertriebner Scham dem Blöden zu verstecken,
Der, ängstlich zwar, doch matt, sich ihrem Arm entwand.
Kurz, fehlt' ihr gleich der Glanz vom ersten Jugendstand,
So hatte sie, Begierden zu erwecken,
Nur allzu viel, genug, die Tugend umzuwälzen
Und das Gefühl der Pflicht in Wollust hinzuschmelzen.

120.

Die Tugend umzuwälzen? — rief
Der Paladin; o Freund, so war sie wohl nicht tief
In Eurer Brust gewurzelt! — Mit Erröthen
Versetzt Zerbin: Es scheint, Ihr habt in solchen Nöthen
Euch nie gesehn, worin die meine sich verlief.
Herr Ritter, ungeprüft gibt's tausend Epikteten!
Der Stärkste reize nicht die Rache der Natur!
Was unsern Fall verwehrt ist, oft ein Zufall nur.

121.

Ich kämpfte, Freund! dieß war mein Untergang.
Von einem Fall, zu dem ein innerlicher Hang
Die Sinne zieht, kann nur die Flucht uns retten.
Die Wollust, Spinnen gleich, umwindet ihren Fang
Im Sträuben selbst mit unsichtbaren Ketten;
Und, gaukeln einmal Amoretten
Und Scherz und Freuden dicht um unser Aug' und ziehn
Die Schlinge lächelnd zu, dann ist's zu spät zum Fliehn!

122.

Die Zauberin! wie wohl war ihr die Kunst zu siegen
Bekannt! Zudem gab ihr in einem solchen Streit
Selbst meine Unerfahrenheit
Den Vortheil über mich. Doch daurte das Vergnügen,
Sich selbst und mich und Amorn zu betrügen,
Nicht länger, als bei mir die erste Trunkenheit.
Kaum fing mein Busen an, sich matter auszudehnen,
So spielte Reu' und Zorn die schrecklichste der Scenen.

123.

Die Fee selbst erfuhr von meiner Raserei
Den ersten Sturm. Wie man sich einem Ungeheuer
Entreißt, wie aus Medeens Schleier,
Durchdrungen bis aufs Mark von unlöschbarem Feuer,
Kreusa — riß ich mich aus ihren Armen frei.
Wie ras't ich! — Kaum daß noch die Scheu,
Die dem Geschlecht gebührt, das sie so sehr entehrte,
Sie meiner Wuth zu opfern mir verwehrte.

124.

Vergebens rief sie alle Macht
Der schlauen Reizungen zusammen,
Die kurz zuvor in mir so starke Flammen
Vermeinter Liebe angefacht:
Ich hörte nimmer auf, mein Schicksal zu verdammen
Und sie und mich und den, der mich zu ihr gebracht.
Was sprach, was that sie nicht! — wo nicht, mein Herz zu
                       rühren,
Mich wenigstens noch länger zu verführen!

125.

Durch Ueberraschung nur, nicht durch Verführung, kann
Die Unschuld, ungewarnt — gewarnet niemals — fallen.
Vergebens schmiegte sie an meine Knie sich an,
Vergebens schmolz ihr Aug' in tröpfelnde Krystallen,
Vergebens war des schönen Busens Wallen!
Das Mitleid fühlt ein Stein, das sie mir abgewann.
Auch, da sie endlich ohne Leben
Dahin sank, fiel mir's nur nicht ein, sie aufzuheben.

126.

Nun hielt sie sich nicht mehr, denn Alles war versucht,
Natur und Kunst, und Alles ohne Frucht.
Die Wuth half bald ihr auf. — Was gleicht der Wuth der
                       Feen? —
Ein Wirbelwind schien ihr die Augen umzudrehen,
Die kurz zuvor mich noch so schmachtend angesehen;
Und was ihr schöner Mund mir Böses angeflucht,
War fürchterlich genug, den Furien der Höllen
Die Schlangen auf dem Haupt vor Angst empor zu schwellen.

127.

Auch dieses half ihr nichts! Gleich unvermögend war
Die schmeichelnde und die ergrimmte Miene.
Das Aergste, was mir Salmacine
(So hieß sie) angedroht, der bittre Tod sogar,
Schien mir nicht mehr, als meine That verdiene.
Ich bot ihr selbst mein Blut zum Opfer dar.
"Nein, rief sie wüthend aus, das hieße dir vergeben:
Nichtswürdiger! du sollst für meine Rache leben!"

128.

In ein morastiges, lichtleeres Loch gesperrt,
Umheult, umzischt von Kröten und von Schlangen,
Siech von gefäulter Luft, von Kummer ausgedörrt,
Mit hohlem Aug' und eingefallnen Wangen,
Lag ich viel Tage lang gefangen.
Die Fee selbst zuletzt fand mich bedauernswerth.
Sie hofft', ich würde nun, statt gänzlich zu verschmachten,
In ihren Armen mich noch allzu glücklich achten.

129.

Man ließ mich frei; ich sah zum zweiten Mal
Von Nymphen mich bedient, die nun ihr Bestes thaten,
Mit mehr Gefälligkeit, aus Noth, wo nicht aus Wahl,
Für ihre Dame anzurathen.
Doch, was sie sagten, was sie baten,
Wie sehr mein Vortheil auch mir ihren Rath empfahl,
Nie wollte sich mein stolzes Herz bequemen,
Um einen solchen Preis das Leben anzunehmen.

130.

Sie fanden diesen Stolz zur Unzeit angebracht.
Die Fee, sagten sie, hat Alles, was die Dienste,
Die sie von Euch erwartet, rühmlich macht
Und angenehm dazu. Ihr kennet ihre Künste
Noch lange nicht; versucht's noch eine Nacht!
Was hält Euch auf? Chimären, Hirngespinnste!
Bleibt Eurer Lila nicht, wenn Salmacine gleich
Die Nießung hat, das Eigenthum von Euch?

131.

Hinweg mit den Bedenklichkeiten
Der grillenhaften Treu! der Fee Forderung
Geht nicht so weit: sie wird den hohen Schwung
Von Eurer Phantasie für Lila nie bestreiten;
Seyd feurig, Herr Zerbin, das ist für sie genug;
Aus Liebe, oder nicht, hat wenig zu bedeuten!
Beständigkeit ist ihre Tugend nicht,
Und, eh' Ihr müde seyd, entläßt sie Euch der Pflicht.

132.

Kurz, was uns Tugend ist, das nannten sie Grimassen.
Mit welchem Grund, erfuhr die Fee bald.
Die ganze magische Gewalt
Von ihren Reizungen ward auf mich los gelassen;
Vertumnus wechselte nicht öfter die Gestalt,
Bis ihm's gelang, Pomonen zu umfassen:
Doch ihr gelang es nicht. Ich wand mich glücklich los
Und stellt' ein festes Herz gereizter Rache bloß.

133.

Die schöne Furchtbarkeit kann nur ein Rubens malen,
Die ihr der Zorn bei diesem Anlaß gab.
Ihr rollend Auge schoß erst wüthend Strahl auf Strahlen,
Dann schaut' es stolz auf mich als einen Wurm herab.
Nichtswerther, bebe nicht vor wohl verdienten Qualen,
Rief sie, und hob den schwarzen Zauberstab:
Du bist zu klein für meine Rache;
Entfleuch aus meinem Blick', entfleuch und sey ein Drache!

134.

Ein Drache sey und bleib es ewiglich,
Bis du ein Mädchen findst, das fähig seyn kann, dich,
So wie du bist, aus Zärtlichkeit zu küssen.
So viele Großmuth find't nicht alle Tage sich,
Du wirst vielleicht ein wenig warten müssen.
Sie spricht's, läßt einen Blick voll Grimms noch auf mich
                       schießen
Und sieht, sobald sie mich mit ihrem Stab berührt,
Mit schadenfroher Lust den strengen Fluch vollführt.

135.

Und schnell entzieht die dickste Mitternacht
Die Fee mir; es bricht ein schreckliches Gewitter
Von allen Seiten aus, des Himmels Achse kracht,
Als schmettert' in erboster Schlacht
Der Stürm' und Donner Heer das Firmament in Splitter.
Wie mir zu Muthe war, Herr Ritter,
Ist zu errathen leicht: ich fand die Scene schön
Und hoffte unterm Schutt des Weltbaus zu vergehn.

136.

Doch plötzlich schwieg der Sturm, die schnell entwölkten
                       Lüfte
Vergüldete aufs Neu der Morgensonne Strahl,
Und ich befand mich selbst in einem öden Thal',
Und nichts rund um mich her, als Wald und Felsenklüfte.
Mir kam zu Sinn, als ich zum ersten Mal
Mich ansah, daß man sagt, den Basilisk vergifte
Ein Spiegelglas durch seine eignen Blicke,
Und nun erbat ich nichts als Spiegel vom Geschicke.

137.

Ich guckte stundenlang' in einen dunkeln Bach,
Mir den erwünschten Tod zu geben.
Allein der Götter Schluß bestimmte mich zum Leben.
Die Zeit versöhnte nach und nach
Mich mit mir selbst und meinem Ungemach';
Ich fühlt' in meiner Brust ich weiß nicht was sich heben,
Das mich, so wenig auch mein Zustand Hoffnung ließ,
Das Ende meiner Noth von Lila hoffen ließ.

138.

Was bis hierher mit mir sich zugetragen,
Ist zwar, Herr Idris, Euren Fragen
Genug zu thun noch nicht geschickt;
Allein ich seh', daß Euer Auge nickt:
Und da den Osten schon ein Kranz von Rosen schmückt,
Wird jetzt die Morgenruh' uns beiden mehr behagen,
Als Alles, was in Tausend einer Nacht
Scheherezade selbst dem Sultan weiß gemacht.

139.

Kommt, wenn es Euch gefällt, geliebter Paladin;
Vier Stunden Schlafs sind mehr als Goldtinctur zu schätzen.
Die Sterne schwinden schon; und findet Ihr Ergetzen
An meinem Lebenslauf, so bin ich willig, ihn
Beim Frühstück wieder fortzusetzen.
Der Ritter dankt und folgt dem führenden Zerbin
Gedankenvoll ins stille Schlafgemach;
Und — meine Muse gähnt und folgt dem Beispiel nach.
—————

Vierter Gesang.

1.

Den Schlummer kann gar leicht, wer ein geliebtes Weib
Zur Seite liegen hat, an ihrem Busen finden.
Ein Andres ist's, wenn ihr, für eure Sünden,
Bei einer Juno liegt; das ist kein Zeitvertreib!
Das bannt den Schlaf, erhitzt die Galle, schwächt den Leib
Und machte selbst den feisten Komus schwinden.
Indeß fand Vater Zeus, den dieses Unglück traf,
Bei guten Nymphen oft ein Mittel für den Schlaf.

2.

Allein, wer liebt und sieht durch Alpen und durch Meere
Von seiner Dame sich getrennt,
Laut mit ihr spricht, als ob er bei ihr wäre,
Und erst, nachdem er lang manch Ach! und O! verschwend't,
Gewahr wird, daß sie ihn nicht höre:
Kurz, wer die Liebe nur aus ihren Qualen kennt,
Den wiegt kein Saitenspiel, kein Wein,
Kein Opiat, kein Feenmährchen ein.

3.

Der gute Paladin, den wir ganz abgemattet
Auf seinen Polstern sehn, macht den Beweis hiervon.
Indeß Zerbin, so süß wie ein Endymion,
Bei seiner Lila schläft, von Hymen überschattet,
Wird jenem von Cytherens Sohn
Kein Stündchen Schlaf, kein Morgentraum gestattet:
Unruhig wälzt er sich in einem finstern Meer
Sich selbst bekämpfender Gedanken hin und her.

4.

Er ändert oft den Platz, wirft bald auf diese Seite,
Auf jene bald sich hin, der Breite,
Der Länge nach, drückt fest die Augen zu
Und hofft, sie komme nun, die lang' entbehrte Ruh';
Umsonst! die fänd er eh' im Bauch der glühnden Kuh,
Als wo die Seele glüht; eh' im erbosten Streite
Der Winde mit der Flut zu oberst auf dem Mast',
Als bei emportent Blut' auf Kissen von Damast.

5.

Verdrossen, ohne Schlaf sein Lager zu zerwühlen,
Rafft er sich auf, läßt ein zephyrisches Gewand,
Das er auf einem Sopha fand,
Um seine weißen Schultern spielen
Und schleicht dem Garten zu, um seinen innern Brand
In frischer Morgenluft zu kühlen,
Kaum athmet er der Blumen süßen Geist,
So fühlt er, daß sein Blut in sanftern Wellen fleußt.

6.

Aurora sieht ihn durch die Lauben,
In deren Duft er irrt; sie seufzt und findet ihn
(Wenn wir der losen Muse glauben)
So werth, als Cephaln einst, ihn heimlich wegzurauben.
Man sah sie wenigstens in ihrem Lauf verziehn,
Mit Rosen ihn bestreun, die im Olympus blühn,
Und sich herab von ihrem Wagen bücken,
Ihm, im Entfernen noch, die Augen nachzuschlagen.

7.

Wenn sie's, die seinigen auf sich zu ziehn, gethan,
So war's umsonst: er ging ganz ruhig seine Bahn;
Was im Olymp geschah, ließ ihn in stolzem Frieden.
In süßer Träumerei beschäftigt mit Zeniden,
Dem Gegenstand, der, ohne zu ermüden,
Ihn Tag und Nacht erfüllt, langt er am Ufer an
Und fühlt sich, wie sein Blick auf den gekräusten Wogen
Dahin schwimmt, wundersam gerührt und angezogen.

8.

Im fernen Horizont, wo die azurne Luft
Die See zu küssen scheint, glaubt er im Morgenduft'
Ein leicht gemachtes Land zu sehen;
Bald macht darin die mächtigste der Feen,
Die Phantasie, ein schimmernd Schloß entstehen;
Zuletzt däucht ihn sogar, es ruft
Ihm Jemand zu, es lispeln ihm die Winde,
Daß seine Göttin sich in diesem Schlosse finde.

9.

Ihm ist's unmöglich, diesem Wahn'
Und den Begierden, die ihn pressen,
Zu widerstehn; er denkt nicht mehr daran,
Warum er schon so manches Land durchmessen;
Orakel, Statue und Alles ist vergessen:
Er will Zeniden sehn! "O, fänd' ich einen Kahn!
Um einen Augenblick Zeniden anzuschauen,
Würd' ich dem Ocean in einem Korbe trauen!"

10.

Kaum hat er diesen Wunsch andächtig angestimmt,
So sieht er einen goldnen Nachen,
Der, einer Muschel gleich, ihm sanft entgegen schwimmt:
Ein Liebesgott, bereit, den Steuermann zu machen,
Winkt ihm hinein und scheint ihn anzulachen.
Der unverzagte Ritter nimmt
Das Omen freudig an, steigt ein und überläßt
In voller Zuversicht sich Amorn und dem West.

11.

Beglückte Fahrt, Herr Ritter! —Unterdessen
Daß Ihr die See durchstreicht, vergönnt
Nach einem Freunde, den Ihr leicht errathen könnt,
Uns umzusehen. Seit wir mit ihm zu Nacht gegessen
Und ziemlich hastig uns von ihm getrennt,
Hatt' Itiphall nicht lange still gesessen.
Er lief wie ein Achill und sah sich, kurz vorm Schluß
Des fünften Tags, an einem breiten Fluß.

12.

Der Strom war schnell und tief und hatte keine Brücke,
Auch zeigte sich kein Kahn. Nun höret, was geschah!
Er wünscht es nicht so bald, so steht, aus einem Stücke
Von adrigem Porphyr, die schönste Brücke da.
Braucht er ein stärkres Pfand von seinem nahen Glücke?
Er hielt Zeniden schon in seinen Armen, sah
Sich schon gekrönt und unumschränkten Meister
Der ganzen Welt der Elementengeister.

13.

Er läßt den Fluß zurück und tritt in einen Hain,
Den ich, weil Lessing mich beim Ohr zupft, nicht beschriebe;
Genug, er schien zum Zeitvertreibe
Der Götterchen von Gnid mit Fleiß gemacht zu seyn.
Die Sonne schlief bereits; allein ihr Widerschein,
Mit voller spiegelheller Scheibe
Von Lunen aufgefaßt, goß einen mildern Tag
Auf die Natur herab, die eingeschlummert lag.

14.

Durch schlangengleich gewundne Pfade
Ging Itiphall, bis er an einen Garten stieß,
Der schöner war, als der am kolchischen Gestade,
Wo Jason einst des goldnen Widders Vließ
Dem Drachen stahl. Rings um dieß Paradies
Herrscht eine goldne Balustrade,
Worauf in Urnen von Rubin
Die seltensten Gewächs' und schönsten Blumen blühn.

15.

Herr Itiphall, von Freuden ganz berauschet,
Verschlingt bereits sein eingebild'tes Glück;
Sein schwellend Herz wird noch einmal so dick;
Er hätte, was er hofft, in diesem Augenblick'
Um sechs Bengalen nicht vertauschet.
Indem er nun so steht und um sich schaut und lauschet,
Schlägt ein vermischt Getön, wie wenn ein ganzer Chor
Von Fröschen fernher quackt, an sein betrognes Ohr.

16.

So tönt's, wenn eine Schaar Gevatterinnen, Basen
Und Ahnfraun sich urn einen Säugling drängt,
Ihn schön find't, allerliebst, und zwanzig solcher Phrasen,
Indeß den Zappelnden die Amm' in Windeln zwängt,
Sein Horoskop ihm stellt und an der klugen Nasen
Ihm ansieht, daß er einst den Doctorhut empfängt;
Zu schweigen wäre hier Verbrechen,
Und keine wird gehört, weil alle sprechen.

17.

Der Abenteurer horcht und steht ein wenig an,
Was diese Nachtmusik von Elstern und von Krähen
(Wie ihn von ferne däucht) hier wohl bedeuten kann?
Sie schwatzen was, nur kann er nichts verstehen.
Das Beste, dessen ich der weise Mann besann,
War also, näher hinzugehen.
Er schleicht hinzu und steht euch wie bethört
Und nebeltrunken da, sobald er deutlich hört.

18.

Du seufzest, Göttliche? ruft Jemand ihm entgegen;
O! — Venus seufzte selbst nicht um Adon so schön!
Sieh, wie die Sphären all' in tiefer Stille gehn,
Und Götter weinend sich zu deinen Füßen legen!
Hier war's! hier sah ich sie in Balsamwolken gehn,
Hier seufzte sie, und — ach! — nicht meinetwegen!
Wer war, o, sprich, daß ich ihm fluchen mag,
Der Glückliche, der jüngst an deinem Busen lag?

19.

Auf Rosen scherzten wir, (so singen zwei zusammen)
Als aus dem schönsten Traum dein Affe mich geweckt.
Der Eifersüchtige! er hatte sich versteckt
Und schielt' uns neidisch an, als wir im Bade schwammen.
Hier, Semele — hier bin ich, Zeus in Flammen!
Wozu die seidne Luft, die deinen Busen deckt?
Wir sehen doch auf ihm die Liebesgötter gaukeln
Und mit den Grazien sich auf und nieder schaukeln.

20.

Die Sonn' ist ausgebrannt! (rief eine andre Stimme)
Und, ach! der arme Mond! was half's ihm, daß er rang?
Saht ihr, wie ihn der Drach' in seinem Grimme
Gleich einem Frosch' hinunter schlang?
Welch' allgemeine Nacht! Kein Sternchen, das noch glimme!
Ihr auf der Welt da unten, ist euch bang'?
Ihr Thoren, höret auf zu weinen!
Bald wird ein neuer Tag aus ihren Augen scheinen.

21.

Wie? (schrie es anderswo) bei mir vorüber gehn
Und thun, als ob du mich nicht kenntest? O du Spröde!
Mich, den der Götter Schaar bei dir im Netz gesehn,
In deinen Arm verstrickt! Nennst du den Undank schön?
Du kennst mich nicht? Warst du nicht meine Lede,
Und ich dein Schwan? Besorge, daß ich rede! —
Doch, komm nur diese Nacht und sey noch einmal mein,
So schwör' ich dir beim Styx, ich will's verzeihn!

22.

Bestürzt horcht Itiphall mit allen seinen Ohren.
Wo bin ich? ruft er endlich aus:
Hat sich das große Narrenhaus,
Die Welt, vom Ausbund ihrer Thoren
Hierher entladen? wie? was wird zuletzt hieraus?
Ist Alles hier verliebt und hat den Witz verloren?
Wo sind die Sprecher denn? Unsichtbar? — Götter! wie?
Jetzt lache, Itiphall, jetzt oder künftig nie!

23.

Er lachte wirklich so, daß er den Bauch zu halten
Genöthigt war — Warum denn? fragt ihr mich:
Was sah er denn? was war so lächerlich?
Wir legen schon den Mund in Falten —
Ihr Herrn, der Spaß verliert durch die Beschreibung sich.
Der Ort, woher die Stimmen schallten,
War ein ovaler Platz, mit Bäumen rings umsetzt,
An denen Blüth' und Frucht zwei Sinne stets ergetzt.

24.

An jedem Baume hängt ein großer Vogelbauer
Von goldnem Draht', und jeder ist das Nest
Von einem Königssohn, der, zärter oder rauher,
Nachdem die Liebesnoth ihm Brust und Gurgel preßt,
Bei Tag und Nacht sich rastlos hören läßt.
Den kühnen Itiphall befiel ein kleiner Schauer,
Indem er die Entdeckung machte
Und an den Abschiedsgruß des schönen Idris dachte.

25.

Er sann der Sache nach; doch Itiphalle sind
Zu lebhaft, sich mit Denken zu ermüden.
Er merket was; allein er fasset sich geschwind.
"Gesetzt, es fehlt mir bei Zeniden,
So ist die Strafe doch gelind.
Wohlan! sein Schicksal hat noch Keiner je vermieden!
Ich wag's! mir wird nicht gleich vorm Auge grün und blau;
Ein feiges Herz freit keine schöne Frau!

26.

"Ein Cäsar oder nichts! Ist's nicht mit einer Krone
Und in Zenidens Schoß, was frag' ich, wo ich wohne?
So ist ein Käfich mir so gut als ein Palast.
Und nach dem schwärmerischen Tone
Von diesen Vögeln hier zu schließen, wünscht' ich fast
Was sie zu seyn. — Verrückt ist glücklich! Bald ein Gast
Bei Jupitern, bald in Dionens Bette,
Genießt er beides nicht, als ob er's wirklich hätte?

27.

"Ixion, sagt man, küßt' an Dame Junons Statt
Ihr Kammermädchen einst —und war er zu beklagen?
Gab ihm sein Irrthum nicht das nämliche Behagen?
War ihre Wange minder glatt,
Ihr Busen minder voll? Es ist vielleicht zu fragen,
Ob er beim Tausche nicht noch gar gewonnen hat?
Ich wollte wenigstens für diesen Narren schwören,
Daß sie durch Niesewurz ihr bestes Glück verlören.

28.

"Doch was besorg' ich hier? als kennt' ich nicht den Schluß
Der Sterne, die zu meiner Zeugung schienen,
Und daß mir Jede weichen muß,
Die Blut in Adern hat. Ist dieser Göttin Kuß
Ein Abenteur, so wird, uns dessen zu erkühnen,
Uns nur zu größerm Ruhme dienen. —
Ihr Königssöhnchen, gute Nacht!
Vielleicht, daß eurer Noth mein Glück ein Ende macht!"

29.

So wohl gefaßt geht unser Held
Mit muntern Schritten immer weiter.
Der Vollmond macht nunmehr die ganze Gegend heiter.
Es schwimmen Bäume, Laub und Kräuter
In ungewissem Glanz', halb schattig, halb erhellt;
Das Auge glaubet sich in einer andern Welt;
Ein zärtlich Herz pocht hier mit sanftern Schlägen,
Ein Faun fühlt doppelt sich verwegen.

30.

So fühlt sich Itiphall, als ihn
Ein klatschendes Geräusch zu einem Brunnen führet,
Um den in weitem Kreis sich Hecken von Jasmin,
Acacien und Amaranthen ziehn.
Ein großer Liebesgott von weißem Marmor zieret
Den Mittelpunkt und zeigt der Welt, wer sie regieret;
Er steht und schwingt zum allgemeinen Brand
Die Fackel lächelnd stolz in seiner rechten Hand.

31.

Rings um den Brunnen sieht man in den Hecken
Zwölf Nischen angebracht; zwölf Nymphen liegen drin,
Mit Urnen unterm Arm, und jede Schwimmerin
Spritzt einen Wasserstrahl auf Autors Fackel hin,
Die Flamme, die sie scheut und liebt, zu überdecken;
Das Wasser klatscht herab, von einem großen Becken
Aus Jaspis aufgefaßt: doch Amor, lächelnd, sieht
Der eiteln Arbeit zu, und seine Fackel glüht.

32.

Dieß mochte, denkt ihr, schön zu sehen
Gewesen seyn; doch wisset, unser Mann
Sah nichts davon; ihn zog ein andres Schauspiel an:
Auch werdet ihr mir gern gestehen,
Es sey nicht leicht, die Augen wegzudrehen,
Wenn, mit gewebter Luft leicht flatternd angethan,
Ein schönes Mädchen euch erscheinet,
Das baden will und unbelauscht sich meinet.

33.

Sie hatte, wie es scheint, in einem Kahn mit Fahren
In diesem kleinen See sich eine Lust gemacht,
Als ihr die Wärm' und Lieblichkeit der Nacht,
Da Zeit und Ort der Kurzweil günstig waren,
Den Einfall, sich zu baden, beigebracht.
Schon stand sie, nur von ihren langen Haaren
Umschattet, da, bei deren Schwärze sich
Die Weiße ihrer Haut dem frischen Schnee verglich.

34.

Sie steht mit halbem Leib' um Amors Arm gekrümmt
und läßt die klatschenden Krystallen
Um Arm und Brust und einen Rücken wallen,
Der liliengleich im weißen Mondschein schwimmt.
So wie sie stand, war Itiphallen
Zwar ihr Gesicht geraubt; doch, was er sieht, benimmt
Die Hoffnung und den Wunsch, was Schöners zu erblicken,
Und hemmt dem Lüsternen den Athem vor Entzücken.

35.

Hier leih', o Tizian, den Zauberpinsel mir,
Damit, was unsern Mann so mächtiglich gerühret,
Nichts in der Schilderei von seinem Reiz verlieret:
Der Sprache Macht ermattet hier;
Dem Pinsel nur der Grazien gebühret
Das, was dem offnen Blick der flammenden Begier
Im höchsten Grad der idealen
Vollkommenheit sich darbot, abzumalen.

36.

Er sah — was lässig —sträubend nur
Die überwundne Scham dem Blick der Liebe wehret,
Was, unverhofft erblickt, die Weisesten bethöret,
Das Meisterstück der scherzenden Natur,
Wovon uns Lucian den lächelnden Contour
An jener Venus preist, die man zu Guid verehret;
Kurz, was in aller Welt Liebhaber immer fand,
Doch einen Tempel nur im alten Griechenland.

37.

Bei Itiphalln war Sehn, Entbrennen, Unternehmen
Und Siegen immer einerlei.
Sein Grundsatz war, (und er befand sich wohl dabei)
Der Nymphen Blödigkeit durch Bitten zu beschämen,
Sey weder klug noch schön. Er raubte sonder Scheu'
Und wußt' am Ende stets den Frevel zu verbrämen:
Er schob die That auf Amors Ungeduld,
Und Rousseau, wie ihr wißt, vermindert seine Schuld.

38.

Wie wenig fällt in diesem Augenblicke
Der Nymph' ein Argwohn ein, daß sie verrathen ist,
Und daß, durch Amors Hinterlist,
Was Zephyr nur bisher gesehen und geküßt,
Das unbescheidne Aug von einem Mann' entzücke!
Hier, liebe Leute, zeigt sich eine kleine Lücke
Im Manuscript. —"Warum denn eben hier?" —
Das weiß ich nicht, allein wer kann dafür?

39.

Das, was begegnet sey, läßt leichtlich sich ermessen,
Und, nach Schach Bahams Sinn, was Rührendes vielleicht.
Ob es die Ratten aufgegessen,
Ob der Copist gefehlt, ist, wie dem Dichter däucht,
So ein Problem — das manchen andern gleicht,
Bei denen Nächte durch die Burmann aufgesessen;
Genug, daß ihr das mangelnde Fragment
Nach eigner Phantasie nunmehr ersetzen könnt.

40.

Sie schrie und fiel (so fährt die Handschrift fort) vor Schrecken
Ihn Ohnmacht rücklings ans Gestad.
Was Angola in gleichem Falle that,
Ist euch bekannt. —Die Schöne zu erwecken,
Wußt' euch der Knabe keinen Rath,
Als daß er in der Angst ein ganzes Wasserbecken
Ihr übern Busen goß. — Es war sein erstes Mal;
Doch weiß man, wie es ihn der schönen Welt empfahl.

41.

Für Itiphalln sey Niemand bange!
Der wußte, was die gute Lebensart
In jedem Fall' erheischt. Er säumte sich nicht lange;
In solchen Dingen war sein Sinn unendlich zart.
Wie viele Zeit, wie viel Ovid'sche Kunst erspart'
Ihm diese Ohnmacht nicht! Von wie viel Prunk und Zwange
Sah er durch diese Ziererei
Der schönen Dame sich mit einem Male frei!

42.

Die Ohnmacht, die er zu besiegen
Für leichter hielt, war ungewöhnlich tief.
Zwar ihrer Röthe nach und nach den Wellenzügen
Der vollen Muskeln schien's, sie schlief;
Doch unbeweglicher kann keine Säule liegen.
Sie lag nicht anders da, als lief'
Ihr Schatten schon am stygischen Gestade:
Doch endlich seufzte sie, sah auf und bat um Gnade.

43.

Zum Zürnen ließ der Held ihr keine Zeit:
Zürnt, wenn man euch den Mund mit Küssen schließet!
So sehr euch die Vermessenheit,
Die keine Ohren hat, verdrießet,
Wie schwer borgt euer Mund den Ton der Bitterkeit,
Wenn ihr, gern' oder nicht, zum Schmählen lächeln müsset!
Sie hielt demnach mit ihrem Zorn zurück:
Doch endlich kam ein günst'ger Augenblick.

44.

Es folgte nun zu beiden Seiten,
Was stets in solchem Fall bei wohlgezognen Leuten
Der Wohlstand mit sich bringt. Man riß sich von ihm los
Man raste, dräute, rieb die Augen und zerfloß
In Thränen, schwor, der Frevel sey zu groß,
So was verzeih sich nicht, und läg' er Ewigkeiten
Zu ihren Füßen! Kurz, man spielte Schmerz und Wuth
Und Unversöhnlichkeit und — spielte gut.

45.

Doch, da nichts Heftigs daurt, so war es der Natur
Gemäß, daß endlich sich der Zorn der Schönen kühlte;
Zumal, da Itiphall, ein Meister in der Cur
Verletzter Sprödigkeit, so schlau mit ihr verfuhr,
So gut den Reuigen und den Entzückten spielte,
Daß sie sich unvermerkt von ihm besänftigt fühlte.
Es wurzeln Haß und Groll in schönen Seelen nicht;
Zudem entstellt der Zorn ein reizendes Gesicht.

46.

Der Ausgang war, daß sie, von seinen Schmeicheleien
Und Bitten überwunden, sich
Großmüthiglich entschloß, ihm endlich zu verzeihen:
Ein Kuß versiegelte den gütlichen Verglich.
Und nun befliß er sich, die Zweifel zu zerstreuen,
Er liebe sie nicht mehr, womit gemeiniglich,
Sobald bei uns der Puls gelassener schlägt,
Der Damen zärtlich Herz sich selbst zu quälen pflegt.

47.

Du zweifelst noch, mein angenehmstes Leben?
Sprach lächelnd Itiphall; das nenn' ich Eigensinn!
Ein Andrer würde dir das nicht so leicht vergeben;
Doch, stolz, wie ich auf deinen Beifall bin,
Find' ich mehr Schmeichelndes als Mühsames darin,
Bedenken dieser Art zu heben.
Er überzeugte sie mit einem solchen Grad
Von Nachdruck, daß sie ihn bald um Verzeihung bat.

48.

Nur Eins gestehe mir, sprach sie, doch unverhohlen
Und ohne Schmeichelei — Was war es, Freund, das dir
Beim ersten Anblick mich empfohlen?
Gesteh' es sonder Scheu. — Die Frag', erwiedert ihr
Der Held, ist kitzlich; doch es hört uns Niemand hier:
Du bist zwar schön vom Haupt bis zu den Sohlen,
Doch, ich gesteh, was mich an dir entzückt,
Wird nur von Glücklichen erblickt.

49.

Wie? rief sie aus und warf mit Inbrunst beide
Schneeweiße Arm' um ihn — ist's möglich? Welche Freude!
Doch, hoff' ich recht? Bin ich zu schnell vielleicht?
Erkläre dich. — Madame, mit etwas Kreide
Und, weil mir diese fehlt, mit einem Kuß ist's leicht. —
Ist Jemand, rief sie aus, der mir an Wonne gleicht?
O, schwöre mir, es sey, und nimm dafür die Krone
Des Geisterreichs und meine Hand zum Lohne!

50.

Herr Itiphall, der sich zuvor kaum halten kann,
Ihr berstend ins Gesicht zu lachen,
Fängt an beim letzten Wort ein langes Kinn zu machen
Und starret sie aus großen Augen an:
So sieht euch einer aus, der eben jetzt begann
Aus einem Traum noch zweifelnd aufzuwachen.
Wie? denkt er, ist sie's selbst? Zenide? — Welch ein Glück!
Das nenn' ich, wenn es ist, des Zufalls Meisterstück!

51.

Du zauderst, (fuhr sie fort) du schweigst, du bist betroffen?
Hat falsche Hoffnung mich gewiegt?
Sag' noch einmal, es sey, und sagst du wahr, so liegt
Die Welt zu deinem Fuß. — Und ich, wofern mein Hoffen
(Ruft Itiphall) mich dießmal nicht betrügt,
Ich sehe gar den Sitz der Götter offen! —
"So rede denn!" — Madame, es ist, wie ich gesagt.
Doch, was bedeutet denn, daß Ihr so ernstlich fragt?

52.

Für dich, (erwiedert sie) den, (wie ich seh', die Schlüsse
Des Götterraths mir zum Gemahl erkiest,
Darf kein Geheimniß seyn, was in die Finsternisse
Der Zukunft jedem Aug sonst eingewickelt ist.
Du wunderst dich, du staunst? — So wisse,
Daß auf des Atlas Stirn ein alter Kabbalist,
Des Himmels Nachbar, wohnt, der Alles weiß und siehet,
Was je geschehen ist und künftig noch geschiehet.

53.

Er sagt den Sterblichen vorher,
Was ihnen wiederfährt; ob Euch die Sterne hassen,
Ob sie Euch günstig sind. Er braucht dazu nicht mehr,
Als Euch dem Umriß nach ins Auge scharf zu fassen.
Nur muß man ihm ein wenig Freiheit lassen;
Denn, seiner Meinung nach, ist's nicht von ungefähr,
Daß sich zwei Nasen nicht in allen Stücken gleichen;
Kurz, jede Muskel hat für ihn geheime Zeichen.

54.

Er sah mich, wie Ihr mich gesehn,
Und fand, ich weiß nicht was so wundervoll und schön,
Daß nur ein Thron damit erfüllt zu seyn verdiene;
Kurz, so viel Majestät in meiner ganzen Miene,
Daß selbst die ernste Musseline
Von Astrakhan, dem Drachen zu entgehn,
Der unverhofft im Bade sie gestöret,
Nichts Prächtigers dem Ufer zugekehret.

55.

Ihr haltet mich vielleicht für eitler, als ich bin;
Doch, was ich sage, kommt aus seinem eignen Munde;
Und alle Welt gesteht, daß in der Sternenkunde
Ihm keiner gleicht. Genug, er sah darin
Den Anfang und das Glück von unserm Liebesbande.
Ich bin bestimmt, der Feen Königin
Zu seyn, sobald durch das, was Euch an mir gerühret,
Der Prinz von Trebisond sein tapfres Herz verlieret.

56.

Wie? ruft der schlaue Gast: der Prinz von Trebisond?
Der bin ich selbst. — Ich bin es überzeuget,
Versetzt die Nymph'; es lebet unterm Mond
Kein Sterblicher, zu dem, sobald er sich gezeiget,
Ein innrer Zug mein Herz, als wie zu Euch, geneiget.
Ja, Prinz, Ihr seyd's, den mir der alte Astramond
Verhieß. Doch, fühlt Ihr auch, erlaubet mir zu fragen,
Den Muth in Euch, um Alles was zu wagen?

57.

Madame, spricht Itiphall, (den noch der Wahn bethört,
Daß sie Zenide sey) wem könnt' an Muth es fehlen,
Den Euer Mund so göttlich hoffen lehrt?
Gebietet mir, den Blitz des Donnerers zu stehlen;
Wenn Eure Augen mich beseelen,
So wag' ichs. —Gut, mein Prinz, so seyd Ihr meiner werth!
(Erwiedert sie) ich liebe dieses Feuer:
Doch ich bestimm' Euch weit ein schönres Abenteuer.

58.

Liebt Ihr mich, Prinz? Davon hängt Alles ab!
Wie? ruft er, läßt zu einer solchen Frage
Die Königin der Reize sich herab?
Verdient' ich sie? — Hiermit setzt er sich in die Lage,
Ihr auf die Art, die ihm die mindste Mühe gab,
Zu zeigen, daß sie sich mit eiteln Zweifeln plage. —
Glaubt Ihr, erwiedert sie, indem sie sich entreißt,
Daß dieser Ungestüm viel Zärtlichkeit beweist?

59.

Nein, Prinz, ich schließe nicht, wie manche Spröden
                       schließen,
Die, Eurer Trunkenheit noch länger zu genießen,
Sich stellen, ob sie sich dadurch betrügen ließen,
Und, Kindern ähnlich, schrein, daß Ihr sie wiegen sollt.
Die Art, wie Ihr beweist, ist höchstens, wenn Ihr wollt,
Gut für den Augenblick; sie zollt
Der Eitelkeit. Ihr sucht in solchen Proben Ehre;
Wir denken: wäre das, wenn ich nicht reizend wäre?

60.

Allein so denk' ich nicht, mein Prinz! ich fordre mehr.
Man kennt euch Andre schon: es fällt euch gar nicht schwer,
Für Jede, die euch ungefähr
In Gährung setzt, (und, so viel zu gewinnen,
Braucht's eben keine Huldgöttinnen)
Ganz in Entzückungen und Flammen zu zerrinnen;
Ihr glaubt wohl selbst, ihr liebt, solang das Fieber schäumt,
Den andern Tag ist's euch, ihr habt geträumt.

61.

Mich aller Sorgen zu entheben,
Daß Ihr so flatterhaft wie andre Männer seyd,
Müßt Ihr von Eurer Zärtlichkeit
Mir unzweideutige und neue Proben geben.
Fürs Erste, Prinz, muß Euer Leben
In meiner Hand und meine Sicherheit
Für Eure Treue seyn! Entflieht Ihr meinen Ketten,
So kann Euch keine Macht von meiner Rache retten!

62.

"Ich schwöre, Königin" — Ihr schwört? Nein, schwöret
                       nicht!
Fragt Euer Herz, versprecht, so viel es Euch verspricht,
Nicht eine Sylbe mehr; hier gilt kein Uebereilen!
Denn, bei Dianens keuschem Licht!
Ich will dein Herz mit keiner Andern theilen.
Du spieltest sicherer mit Jovis Donnerkeilen,
Als mit dem Wort, das du mir gibst;
Du stirbst, sobald du mich nicht über Alles liebst.

63.

Wofern, spricht Itiphall, hieran von meinem Glücke
Die Dauer hängt, so borget nur für mich,
Sobald Ihr wollt, des alten Tithons Krücke,
So sterb' ich nie! — Doch sagt, wie nennt die Probe sich,
Die ich bestehen soll? Sie sey so fürchterlich
Sie will, was wagt' ich nicht um einen Eurer Blicke!
Prinz, spricht sie, lernt mein Herz erst kennen, dem vielleicht
Kein anders in der Welt an hohem Stolze gleicht.

64.

Die Damen fordern sonst, es soll, wer sie verehret,
Für alle andre stumpf und ohne Nerven seyn.
Für mich ist diese Art von Eitelkeit zu klein;
Der Schönsten Gunst wird Euch von mir gewähret.
Genießt sie alle, Prinz, nehmt alle stürmend ein;
Doch, wenn Ihr im Triumph aus ihren Armen kehret,
Bringt Euer Herz mir unverletzt zurück
Und findet größre Lust an meinem bloßen Blick.

65.

Besiegt Göttinnen selbst! Mir wird's zum Ruhm gereichen,
Wenn jede dem, der mich bezwungen, weichen muß.
Allein der reizendste Genuß
Soll Eure Sinne nur; nie Euer Herz erweichen;
Er schwäche nie den Reiz von meinem Kuß,
Und diene mir zuletzt zum Siegeszeichen.
Kurz, treibet, wenn Ihr wollt, mit allen Euren Scherz;
Nur ich allein herrsch' über Euer Herz!

66.

Madame, Ihr setzt mich in Erstaunen,
Ihr liebet mich und fordert — "Ja, mein Freund;
Ich liefre sie Euch aus, die Blonden und die Braunen!
So seltsam diese Probe scheint,
So ist sie, glaubet mir, vernünft'ger als Ihr meint:
Sie unterscheidet Autors Launen
Am sichersten von dieser reinen Glut,
Die meinem Stolz allein Genüge thut.

67.

"Denkt nicht, es sey so leicht, was ich von Euch verlange.
Jetzt macht mich der Genuß in Euren Augen schön;
Doch, Prinz, vielleicht bin ich es nur so lange,
Als Euer Taumel daurt. — Ich muß es Euch gestehn,
Die Probe, die ich Euch bereite, macht mir bange;
Allein das Schicksal will's: Ihr müßt Zeniden sehn!" —
Nun werden Itiphalln die Augen aufgezogen;
Doch läßt er sie nicht sehn, wie sehr er sich betrogen.

68.

Zeniden? ruft er aus, von welcher Fama sagt,
Daß, wer sie sieht, sogleich an Witz verlieret?
Ich denke, Mancher hat das Abenteur gewagt,
Der den Verlust nicht sonderlich gespüret.
Was mich betrifft, Madame, ich bin nicht so verzagt.
Die Neugier, ich gesteh's, hat mich hierher geführet:
Allein, was ich bereits gesehn,
Macht jeden andern Wunsch auf ewig mir vergehn.

69.

Ihr seyd ein Schmeichler, Prinz, (versetzt die schöne Dame)
Doch nein! mein Herz verschmäht den niedrigen Verdacht!
Sey dieses Herzens werth, das dir dein edler Name,
Das Schicksal und mein Hang auf ewig eigen macht!
O, könntest du, nach dem, was diese Nacht
Geschah, mich hintergehn, ich stärbe, Prinz, vor Grame."—
Dich hintergehn? Ist's möglich, ruft der Held,
Daß unser Glück solch eine Furcht vergällt?

70.

Doch, wenn du zweifeln kannst, warum von mir begehren,
Daß ich Zeniden seh'? — "Ich fordre wohl noch mehr;
Besiegen sollst du sie! Das Abenteur ist schwer;
Ja, wenn nicht deinen Muth ein glücklichs Ungefähr
Begünstigt, könnt' es leicht die Hoffnung ganz zerstören,
Die meinen Busen schwellt. — Dir dieses zu erklären,
Verbeut Aurora mir, die schon den Morgen weckt;
Wir sind verloren, Prinz, wenn Jemand uns entdeckt."

71.

Grausame, ruft er aus, es ist noch weit vom Morgen,
Wie könnt' ich schon — "Still! Nichts von Zärtlichkeit!
Entweicht in jenen Wald und haltet Euch verborgen,
Bis uns die Mitternacht den Schleier wieder leiht.
Ein Umstand quält mich nur — ich habe nichts bereit,
Euch zu erfrischen." — Seyd hierüber ohne Sorgen,
Spricht Itiphall; hier ist ein Talisman,
Mit dessen Beistand ich ein wenig zaubern kann.

72.

Den besten Wein, die niedlichsten Gerichte
Setzt er in Wüsten mir, sobald ich winke, vor,
Belustigt mit Musik aus stiller Luft mein Ohr,
Vertreibt die Nacht mit zauberischem Lichte
Und weiset mich zurecht, wenn ich den Weg verlor.
Ihr glaubt vielleicht, ich scherze oder dichte;
Allein er kann noch mehr: dieß Stückchen Feengold
Verwandelt mich, in welche Form Ihr wollt.

73.

Was sagt Ihr, Prinz? ruft Rahimu, vor Freuden
Ganz außer sich: Ihr könnt durch Euren Talisman
Euch, wie Ihr wollt, in fremde Formen kleiden?
Nun können wir uns ohne Kummer scheiden!
Ich seh', Ihr habt den Ring des Königs Kormoran;
Und nun ist nichts, das uns den Sieg entziehen kann!
Umarme mich, mein Prinz! Eh jene Sterne scheinen,
Soll dieser Liebesgott uns wieder hier vereinen.

74.

Der Prinz von Trebisund, er wolle oder nicht,
Muß ihren Armen sich entreißen
Und, bis in nächster Nacht die spätern Sterne gleißen,
Die Ungeduld der Neugier schweigen heißen,
Die kaum erwarten kann, bis ihm ihr Unterricht
Ein Räthsel löst, das vieles zwar verspricht,
Doch wenig Anschein zeigt. Hier lassen wir ihn gehen,
Um wieder uns nach Idris umzusehen.
—————

Fünfter Gesang.

1.

Warum und wie der schöne Paladin,
In einem Ueberfall von schwärmendem Verlangen,
Um seines Herzens Königin
Zu sehn und ihre Knie fußfällig zu umfangen,
Uneingedenk des Freunds Zerbin,
Früh, da noch Alles schlief, zu Schiff davon gegangen
Und Amorn sich dabei zum Steuermann erwählt,
Hat euch bereits das vierte Buch erzählt.

2.

Es fahrt sich schnell und sanft in einem Zaubernachen:
In zehn Minuten stieg Herr Idris schon ans Land.
Doch wie erschrak der Mann, da, statt der schönen Sachen,
Die ihn dahin gelockt, er eine Wildniß fand!
Ein felsiges Geripp, bewohnbar nur für Drachen,
Und öde Gegenden, wo nicht ein Bäumchen stand!
Er sucht das Feenschloß, das auf der Insel Mitte
Zu steigen schien, und sieht nicht eine Fischerhütte.

3.

Mit jedem neuen Schritt entdeckt
Sich ihm ein Gegenstand, der neue Furcht erweckt.
Doch Idris wandelt fort, obgleich die öde Stille
Ein todweissagendes Gebrülle
Der Ungeheuer bricht, die diese Wildniß heckt.
Auf einmal wirft der Sturmwind eine Hülle
Von siebenfacher Nacht um den erstickten Tag,
So daß der Ritter kaum sich selbst erkennen mag.

4.

Erwartungsvoll, was Alles dieß
Am Ende werden soll, doch ohne sich zu scheuen,
Bleibt Idris stehn, als schnell der Schlund der Finsterniß
Entsetzlich gähnt, um Flamm' auf Flammen auszuspeien;
Der Donner rast, ein allgemeiner Riß
Scheint jeden Augenblick des Himmels Fall zu dräuen,
Die Erde schwankt, ein ungeheurer Spalt
Zerreißt sie und entdeckt der Schatten Aufenthalt.

5.

Und aus dem Abgrund steigt ein Heer von Amphisbänen
Und Höllenlarven auf, grotesker ekelhaft,
Als durch der Milzsucht Schöpfungskraft
Schlaflose Mütterchen, bethaut vom Zaubersaft
Der Fee Mab, zu sehen wähnen;
Sie athmen Flammen aus und grinsen mit den Zähnen.
Man weiß, Herr Idris hatte Muth;
Doch dieses Mal gerann sein ritterliches Blut.

6.

Was soll er thun? — Den diamantnen Degen,
Der jetzt so nöthig war, ließ er im Schlafgemach
Beim Freund Zerbin zurück — und nur mit O! und Ach!
Läßt ein Gespensterheer sich nicht zu Boden legen.
In dieser Noth war Alles viel zu schwach,
Was Kräfte der Natur vermögen.
Was thut, wenn Alles fehlt, ein echter Rittersmann?
Er ruft den Schutz von seiner Göttin an.

7.

Der Ritter rufet kaum Zeniden, so zerfließen
Die Ungeheur in Luft, der Donner rollt nicht mehr,
Es flieht der Stürme wüthend Heer;
Die Wolken hören auf zu gießen,
Und plötzlich macht der Sonne Wiederkehr
Des schönsten Anblicks ihn genießen,
Der einem Wanderer sich jemals dargestellt;
Kurz, ihn bedünkt, er sey in einer andern Welt.

8.

Die Luft, die Yemens bezauberte Gefilde
Durchwürzt, ist nicht so rein und milde
Und so balsamisch nicht, als die er in sich zieht;
Der Bäume glänzend Laub, der Schmelz der Blumen glüht,
Als ob die Sonne sich in so viel Spiegeln bilde.
Er steht entzückt und übersieht
Ein unbegränztes Feld, das einem Garten gleicher,
Dem Alles, was er noch gesehn, an Schönheit weichet.

9.

Gut! aber doch wird ihm das leichte Nachtgewand,
Worin er Morgenluft zu schöpfen ausgegangen,
Gebadet, wie er sich durch jenen Sturm befand,
Sehr unbequem um seine Schultern hangen. —
Ihr Herrn, erinnert euch, wir sind im Feenland:
Der Sturm, der ihn so ungeneigt empfangen,
Der Wolkenbruch, das ganze Höllenfest
War lauter Zauberwerk, das keine Spuren läßt.

10.

Nun fürchtet er nicht mehr, daß ihn sein Herz betrogen.
Voll süßer Hoffnungen irrt er getrost, wohin
Sein Fuß ihn führt, und wird durch tausend grüne Bogen
Und Rosenbüsch' und Lauben von Jasmin
In einen Labyrinth, der ohne Ausgang schien,
So unvermerkt hinein gezogen,
Daß ihm die reizende Gefahr
Nicht sichtbar wird, bis er gefangen war.

11.

Der Ausgang, ja sogar der Wunsch, ihn auszufinden,
Wird immer schwieriger, je mehr er sieht und hört;
Ein wollustgirrendes Getön von Flöten stört
Der Sinne Ruh', und schleicht in schlängelnden Gewinden
Ins Herz sich ein; er glaubt sich zärtlich zu empfinden,
Da doch allein des Blutes Lauf sich mehrt;
Es wird bei dessen Reiz und wollustreichem Pressen
Auf einen Augenblick Zenide selbst vergessen.

12.

Ihn laden überall gewogne Schatten ein;
Hier binden Zephyrn ihn mit einer Rosenkette,
Dort reicht von einem Blumenbette
Die schönste Nymph' ihm lächelnd Götterwein;
Wie reizend winkt sie ihm! Der müßte Marmor seyn,
Der ihr zu nahn sich nicht versucht gefühlet hätte,
Der Ritter fühlt's, hebt mit verstohlnem Blick
Den Fuß, hält plötzlich ein und zieht ihn scheu zurück.

13.

Er flieht —die Flucht allein kann uns vor Amorn schützen —
Als eine schönere, vom kühnsten Faun gejagt,
Ihm in die Arme läuft. — Hier galt's, sich zu besitzen!
Die Nymphe weiß vor Angst nicht, was sie thut noch sagt;
Doch Idris, eh' er noch sie anzuschauen wagt,
Fühlt sie bereits bis in den Fingerspitzen.
Wie ward ihm erst zu Muth, als ihn sein Auge lehrte,
Es sey die nämliche, die ihn im Bade störte!

14.

Er will sich mit Gewalt aus ihren schwanenweißen
Ihn fest umschlingenden gedrehten Armen reißen:
Sein eigner Arm versagt ihm die Gewalt!
Er schließt die Augen zu, die reizende Gestalt
Nicht mehr zu sehn: doch, was an seinem Busen wallt
Und sympathetisch klopft, kann er nicht ruhen heißen;
Er will sie sanft zurücke schieben;
Die ungelehr'ge Hand folgt angenehmern Trieben.

15.

Was ihn aus mancher Noth schon riß,
Wozu in Fährlichkeit mit Drachen und mit Damen
Die Galaor und Amadis
Und Don Quixoten stets die fromme Zuflucht nahmen,
Dieß Mittel, oder sonst kein andres, hilft gewiß!
Sein Schutzgeist raunt ihm's zu. Er ruft Zenidens Namen,
Und plötzlich fühlt er Kraft; er reißt sich los und läuft,
Daß Nymphen, die so fliehn, gewiß kein Faun ergreift.

16.

Der Lohn der Tugend folgt dem edeln Unterfangen.
Er floh aus diesem Zaubergrund
Die Hälfte kaum von sieben Parasangen,
So war er der Gefahr entgangen
Und sah auf einmal sich in einem weiten Rund,
In dessen Mitt' ein Dom von edler Bauart stund,
Doch ohne Schmuck, gestützt auf Jaspissäulen,
An deren Einfalt sich die Augen nicht verweilen.

17.

Wie freudig klopft sein Herz, da er das Ziel erblickt,
Das von Zeniden ihn vertrieben!
O Göttin, ruft er aus, (vielleicht zu früh entzückt)
Ich hoffte nicht umsonst, du wirst, du wirst mich lieben!
Hier ist der Ort, den mir dein schöner Mund beschrieben;
Sein Bild ist allzu tief in meine Brust gedrückt:
Er ist's, ich kann mich nicht betrügen;
Hier soll der Liebe Macht des Schicksals Neid besiegen!

18.

Zwar kühn und mehr als kühn, unmöglich scheint, was ich
Mich unterfing hier zu erstreben.
Ein Bild, das fühllos ist, beleben?
So etwas nur zu dichten, ließe sich
In einem Mährchen kaum vergeben.
Doch was vermag ich nicht durch Amorn und durch dich?
Kann's mehr als eine Glut so wie die meine brauchen,
Dem Marmor selbst den Geist der Liebe einzuhauchen?

19.

So denkt der Paladin und naht mit Zuversicht
Dem wundervollen Abenteuer,
Von dem er sich Zenidens Herz verspricht —
Dem Bilde, das, verhüllt in einen seidnen Schleier,
Hier einsam steht. Bald wankt sein Muth, es ficht
Begier und Furcht in ihm; bald wird er wieder freier,
Er wagt's doch schaudert ihm, indem er sich erkühnt,
Die Seide wegzuziehn, die ihr zum Kleide dient.

20.

O, wag' es nicht, wenn du, anstatt es zu beseelen,
Nicht selbst zum Felsen werden willt!
Doch der Verwegne wagt's, enthüllt
Kühn den fatalen Stein und sieht — O, warum fehlen
Mir Farb' und Pinsel hier, statt frostig zu erzählen,
Zu malen, wie ihm ward, als er Zenidens Bild
Erblickt! — Ihr Bild? O nein, sie selbst! so warmes Leben
Vermag die Kunst dem Marmor nicht zu geben!

21.

So, wie die Holde stand, entstieg dem blauen Meere,
Mit eigner Schönheit nur geschmückt,
Ans cyprische Gestad die Göttin von Cythere,
Und um sie drängte sich der Götter Schaar entzückt,
Und jeder wünscht, daß er der erste wäre,
Den dieser Mund, den diese Brust beglückt.
Vollkommners hat die Sonne nie bestrahlet,
Besungen kein Poet, kein Tizian gemalet.

22.

Doch, wäre dieses Bild auch minder schön gewesen,
In Idris Augen war nichts Schöners in der Welt;
Es war Zenidens Bild! — Ist nicht, was uns gefällt,
Das liebenswürdigste der Wesen?
Von Amors Zauberlicht erhellt,
Däucht uns an ihm sogar ein Fehler auserlesen.
Er steht entzückt und glaubt, je mehr er sieht,
Daß warmes Blut in diesem Marmor glüht.

23.

Sehr selten oder nie betrügt uns, was man fühlt;
Der Irrthum liegt allein in übereilten Schlüssen.
Der Ritter sieht, daß Geist in diesen Augen spielt,
Fühlt durch ihr Lächeln sich versuchet, sie zu küssen,
Und wußte nicht, (wie konnt' er's wissen?)
Daß eine Nymph' im Stein unsichtbar Wache hielt.
So nenn' ich sie, damit der Reim sich füllen lasse;
Doch war sie in der That von einer andern Classe.

24.

Ihr kennt die Geisterart, womit Graf Gabalis
Den Feuerkreis (wofern ein solcher wäre)
Bevölkert hat? Sie macht, das ist gewiß,
Der Phantasie des Kabbalisten Ehre.
Nichts Schöners, Zärtlichere, Geistreichers überdieß
Als (seinem Urtheil nach) die Damen dieser Sphäre.
Ihr Blick ist Sonnenschein, ihr Athem Rosenduft,
Ihr ganzes Wesen Licht, und ihr Gewand von Luft.

25.

Von dieser Gattung war Amöne,
In deren Schutze sich Zenidens Bild befand.
Zum Unglück warf die feuerfarbne Schöne
Die Augen kaum auf unsern Mann, so stand
Durch einen Pfeil von Amors straffer Sehne
Ihr zärtlich Herz bereits in vollem Brand,
So fühlte sie den stärksten Trieb erwachen,
Mit diesem Sterblichen unsterblich sich zu machen.

26.

Zenidens Bild war sehr von jenen unterschieden,
An denen sich die Affen der Natur,
Die Phidias, in hartem Stein ermüden.
Was unser Aug an jenen täuscht, ist nur
Die äußre Form, der wallende Contour;
Das Innre bleibet roh: doch dieses glich Zeniden
Sogar im innern Bau; es hatte Fleisch und Bern,
Die Seele fehlt' ihm nur, um ganz sie selbst zu seyn.

27.

Ihr wundert euch, wie dieses zugegangen?
Geduld! die Zeit macht Alles offenbar.
Genug, daß dieser Punkt dem zärtlichen Verlangen
Der Salamandrin günstig war.
Sie macht ihn sich zu Nutz. Schon glühn die blassen Wangen,
Schon spielt der Liebe Geist im blauen Augenpaar;
Die neue Seele macht schon jede Nerve beben
Und schwellt die schöne Brust mit jugendlichem Leben.

28.

Amöne wußte selbst, als sie dieß Alles that,
Nicht oder doch nicht deutlich, was sie wollte;
Sie sah nicht oder sah zu spat,
Daß, was in Idris Augen rollte,
An diesem Platze, den sie hier vertrat,
Vermuthlich Folgen haben sollte.
Wie leicht geschieht's, wenn Amor euch berückt,
Daß ihr verwickelt seyd, eh' ihr das Netz erblickt?

29.

Sie ward es erst gewahr, als Idris, hingerissen
Von sympatetischer Gewalt,
Der eingebildeten Zenide sich zu Füßen
Vergeistert wirft und unter feur'gen Küssen,
Auf ihre Hand gedrückt, gebrochne Salben lallt.
Jetzt stutzte sie, erröthete, beschalt
Sich selbst und übersah mit innerlichem Grauen,
Wie übel sie gethan, zu viel sich zuzutrauen.

30.

Ihr flüstert Amor zu: es wäre Seltsamkeit,
Wenn sie den Vortheil nicht aus seinem Irrthum zöge,
Den Zufall und Gelegenheit
Ihr ungesucht so nahe lege.
Der Anblick seiner Glut und süßen Trunkenheit
Benebelt ihr Gesicht, macht ihre Sinne rege:
Sie scheut und wünschet doch die unbekannte Lust,
Und ein verhaltnes Ach! erhebt die Rosenbrust.

31.

Begeistert, außer sich, verloren in Entzücken,
Vergißt der Paladin der Ehrfurcht strenge Pflicht,
Erkühnt sich schon, mit liebetrunknen Blicken
Sein thränendes Gesicht an diese Brust zu drücken,
Der's immer mehr an Kraft zum Widerstehn gebricht;
Stets lässiger und matter ficht
Die holde Scham mit Amors süßem Triebe:
Zum guten Glück erwacht der Stolz der Eigenliebe.

32.

Er, der so oft der Tugend Schutzgeist ist,
Entreißt sie plötzlich Amors Netzen,
Wie nun? sie sollte nicht sich selber höher schätzen,
Als sich durch schnöde Hinterlist
An einer Andern Platz zu setzen?
"Der schöne Ritter glaubt, daß er Zeniden küßt,
Und ich — mir graut es nur zu denken —
Ich sollt' an einen mich, der mich nicht liebt, verschenken?

33.

"Ich sollt' ihm die Gestalt, worin ich sicher bin,
Daß keine mir den Vorzug raubt, verhehlen
Und eine Nebenbuhlerin,
Die mir an Reizen weicht, beseelen?
Liebkosungen, die sein getäuschter Sinn
Nicht mir bestimmt, ihm heimlich abzustehlen?
Nein, Amor, was man auch von deiner Allmacht spricht,
So tief erniedrigst du Amönen ewig nicht!"

34.

So denkt sie, und, indem von Grad zu Grade freier
Sein Arm allmählich sich um ihre Hüften schlingt,
Steht plötzlich um und um der ganze Dom im Feuer;
Drauf folgt ein Donnerschlag, der Mark und Bein durchdringt;
In Flammen eingewickelt, springt
Aus deinem Arm, Zenide, dein Getreuer
Bestürzt, doch unversehrt, zurück,
O Wunder! — und verschwind't im gleichen Augenblick!

35.

Weg ist er, keine Spur wird mehr von ihm gesehen!
Denn, wer nicht doppelt ist, kann nur an einem Ort
Auf einmal seyn. Ihn nahm, die Wahrheit zu gestehen,
Die Salamandrin mit sich fort.
Erstaunt, wie ihm dabei geschehen,
Find't Idris sich an einer Quelle Bord,
Die, statt gemeiner Flut, ein trinkbar Gold ergießet
Und über Perlen hin durch Rosenbüschen fließet.

36.

Durch Rosen zwar, doch denen wenig gleich,
Die in der Unterwelt an jungen Busen blühen;
Ein einz'ger Rosenstock, wie hier viel hundert glühen,
Ein einz'fer gälte wohl bei euch,
Ihr Leutchen unterm Mond, ein kleines Königreich;
Allein er läßt sich nicht in unsern Grund verziehen.
Hier, wo die reinste Glut den Stoff veredelt hat,
Blüht duftender Rubin, sproßt Türkis und Granat.

37.

Hier sieht man, was uns Armen kaum in Träumen
Zu sehen wird, die Edelsteine keimen;
Von Blumen solcher Art vermischt auf jeder Flur
Den farbenreichen Schmelz die chymische Natur;
Eßbares Gold reift auf smaragdnen Bäumen;
Der Wein ist trinkbar Feur, zu dem Tokayer nur
Wie Wasser sich verhält, worin besorgte Schenken
Die scharfe Jugendkraft des Neckarweins ertränken.

38.

Wie unserm Helden war, vermuthet Jedermann,
Der sich im Geist an seine Stelle,
In Büsche von Smaragd, an eine frische Quelle
Von Aqua d'Oro setzen kann.
Er starrt erstaunt die neuen Wunder an,
Zählt sich die wunderbarsten Fälle,
Die ihm begegnet, vor und muß sich selbst gestehn,
Er habe nichts unglaublichers gesehn.

39.

Er hätt' auch seinen eignen Sinnen
Für dieses Mal vermuthlich nicht getraut;
Allein, was er beim ersten Schritte schaut,
Läßt zu Betrachtungen ihn keine Zeit gewinnen.
Denn plötzlich schimmern ihm die Zinnen
Des herrlichsten Palasts, den Geister je erbaut,
In sein geblendet Aug, und aus der Pforte gehen
Drei Fräulein, reizender als Feen.

40.

Es mangelt ihnen nichts, um Grazien zu seyn,
Als daß sie nicht ein wenig nackter waren;
Denn, das Gesicht des Paladins zu sparen,
Umschatteten leicht wallende Simaren
Von himmlischem Azur, durchweht mit Sonnenschein,
Den schönen Leib; auch hüllt die Stirn' ein Schleier ein,
Der, wenn er fällt, die dickste Mitternacht
Durch ihre Blicke gleich zum hellsten Mittag macht.

41.

Es wallt ein Meer von lieblichern Gerüchen,
Als die von Ceylons Strand in meilenlangen Strichen
Den Schiffenden der Ost entgegen weht,
Von ihnen her. Mit sanfter Majestät
Und Reizen, die sich schon ins Herz hinein geschlichen,
Eh sich das Herz besinnt und widersteht,
Gehn sie auf Idris zu, begrüßen ihren Gast
und führen ihn zum schimmernden Palast.

42.

Er folgt den unbekannten Dreien
Mit ritterlicher Höflichkeit.
Beim Eintritt in den Hof erwarten ihn zwei Reihen
Von Nymphen, alle jung und lauter Lieblichkeit,
Ihm Blumen in den Weg zu streuen,
Mit Körbchen theils, theils mit Musik bereit,
Und in der neuen Welt, in die er eingegangen,
Ihn im Triumphe zu empfangen.

43.

So wird, von Allem dem, was Aug und Ohr ihm rührt,
Bezaubert und verwirrt, durch stolze Säulengänge
Und Säle voller Glanz, im festlichen Gepränge,
Zur Königin, die dieses Land regiert,
Der schöne Ritter eingeführt.
Auf einmal schweigen nun die himmlischen Gesänge,
Indem der reiche Vorhang steigt
Und dem Geblendeten — Amönens Schönheit zeigt.

44.

Jetzt, edler Paladin, jetzt rufe deine Kräfte
Zusammen, jetzt beweise deine Treu!
Du machtest, es ist wahr, dich ein Mal oder zwei
Von den Umhalsungen der Wassernymphe frei;
Hier findest du ein schwereres Geschäfte!
Behutsam, schöner Ritter! — Hefte,
O, hefte nicht so lang dein kühnes Augenpaar
Auf die zu reizende Gefahr!

45.

Gesteh, daß dir das Land der Feen,
Obgleich dein Vaterland, nichts Schöners je gezeigt!
Gesteh', hättst du zuvor Amönens Reiz gesehen,
Eh du Zeniden sahst — Doch, nur zu sehr gestehen
Dein Aug und selbst dein Herz, das ganz ins Auge steigt,
Du fühlst zur Untreu dich zum ersten Mal geneigt,
Versucht zum wenigsten; denn auch die treuste Liebe
Schützt uns nicht allemal vor einem raschen Triebe.

46.

Was sie gefährlich macht, ist nicht die Symmetrie
Der himmlischen Gestalt, der Glanz der schönsten Farben;
Die bloße Schönheit zeugt Bewundrung, Liebe nie
Und läßt, auch wenn sie uns verwundet, keine Narben;
Der Geist, die Seele war's, die ihr die Herzen warben,
Die alldurchdringende Magie,
Die ein gefühlvoll Herz um sich herum ergießet,
Was ihr nicht nennen könnt und tief empfinden müsset.

47.

Herr Idris fühlt's — Doch, ein Gedanke blos
An seine Statue, an die geliebten Züge,
An diesen Blick, von dem sein Herz zerfloß,
Macht aus dem magischen unsichtbarn Netz ihn los,
Worin es schien daß sich sein Geist verfliege.
Du selbst, Amöne, hast voreilig dir zum Siege
Den Weg gesperrt! Den Reiz, wodurch er sich
Vor dir beschützt, erhielt Zenidens Bild durch dich!

48.

Gleich unempfindlich war die göttliche Sylphide
Und ihre Statue. Wie viel verlorne Müh
Verschwendete der Ritter nicht an sie!
Wie ward er oft der eiteln Arbeit müde!
Nichts, als die Zauberei von einer Sympathie,
Die ihm zu mächtig war, erhielt ihn bei Zenide.
Nie las er das gesehnte Glück,
Geliebt zu seyn in ihrem kalten Blick.

49.

Nur dann, wenn er das Bild beseelen könnte,
Das Werk der Zauberkunst, woran der Sterne Schluß
Ihr Schicksal band und seines, dann vergönnte
Die Hoffnung ihm der spröden Schönen Kuß,
Von der er sich, es aufzusuchen, trennte.
Amöne, die dieß Bild im Dom bewachen muß,
Läßt sich, da Idris kommt, vom Liebesgott erhaschen
Und will, zu beider Lust, den Ritter überraschen.

50.

Aus Allem scheint, daß jene Clausel ihr
Verborgen war. Doch, dem sey, wie ihm wolle,
Uneingedenk, daß man vollenden solle,
Was man begann, sah sie zu spät die Ungebühr
Der allzu rasch auf sich genommnen Rolle.
Stolz war's, nicht Tugend, was die lockende Begier
In diesem Busen übermochte,
Der unter Idris Mund von ihren Seufzern pochte.

51.

Nun büßt sie ihr Vergehn. Der Ritter, dem die Liebe
Zenidens Bild so warm, so glühend, so beseelt,
Mit Augen, deren Feur dem Sieger kaum verhehlt,
Daß nur die Scham sein nahes Glück verschiebe,
Stets vor die Stirne malt, und durch die stärkern Triebe
Sein tapfres Herz zu jeder Probe stählt,
Der Ritter fühlt nur schwach, was seine Treu, ich wette,
Zu einer andern Zeit ganz überwältigt hätte.

52.

Amöne sieht, (denn ihr Geschlecht
Hat, wie man weiß, für solche Dinge
Den sechsten Sinn) sie sieht, was ihre Reize schwächt,
(Jhr eignes Werk!) und zürnt mit bestem Recht
Auf sich allein; sie liegt in ihrer eignen Schlinge.
Doch, daß sie nach und nach ihn zum Gehorsam bringe,
Zu zweifeln, fällt ihr gar nicht ein;
Sie kennt das Herz zu gut, so kleines Muths zu seyn.

53.

Mit schlauer Kunst verbirgt sie ihm und Allen,
Die um sie sind, den Zweck, ihm zu gefallen:
Zwar folget Fest auf Fest; man höret nichts als Scherz,
Musik und Tänz' in ihrem Schloß erschallen,
Doch ohne daß es schien, man wolle an sein Herz.
Den Vorwand gab der Trübsinn und der Schmerz,
Der auf der Stirn ihm saß, und welchen zu verhehlen,
So sehr er sich bemüht, ihm oft die Kräfte fehlen.

54.

Die Freundschaft beut ihm Alles, was sie kann,
Um seinen Unmuth zu zerstreuen,
Aus ihrem schönen Mund mit so viel Anmuth an,
Versichert ihn so oft, es würde sie erfreuen,
Wofern das, was ihn drückt, vielleicht ein kühner Plan
Zu Abenteuern ist, ihm ihre Macht zu leihen:
Daß Idris sich zuletzt entschließt
Und sein Geheimniß ganz in ihren Schoß ergießt.

55.

Unstreitig ist's, daß euch ein schönes Weib
Mit ihrem Schoßhund oder Affen
Weit lieber reden hört, den schalsten Zeitvertreib,
Sogar — euch, pfeifend, selbst im Spiegel anzugaffen,
Ja, auf den Sopha hin mit halbem Leib
Gelagert, neben ihr zu gähnen und zu schlafen,
Viel eher euch verzeiht, als eine Litanie
Von dem, was euer Herz erfährt, und — nicht für sie.

56.

Kein schlechters Mittel ist, um seinen Hof zu machen,
Das ist gewiß! — Erzählt, so schön ihr wollt,
Ihr macht die Weil' ihr lang, und sprächt ihr lauter Gold:
Sie gähnt, wenn ihr mit euren schönen Sachen
Das Gegentheil von dem, was ihr beweisen sollt,
Ihr noch so stark beweist. Sprecht ihr vom grünen Drachen,
Vom goldnen Pferd, vom blauen Vogel vor;
Mit fremdem Lobe nur verschont ihr zärtlich Ohr!

57.

Herr Idris sündigte sehr wider diese Regel;
Allein Amöne macht die Ausnahm' auch von ihr.
Aufmerksam sitzt sie da, gerader als ein Kegel,
Mit unverwandtem Aug und lauschender Begier;
Und, unterlag auch oft die sanfte Langmuth schier,
So nagt sie lächelnd sich die rosenfarbnen Nägel,
Besieht die Linien in ihrer weißen Hand,
Dreht ihren Ring herum und spielt mit einem Band.

58.

Der Ritter spricht ihr von Zeniden
Und seiner Leidenschaft, entzückt wie ein Poet
Und mit sich selbst wie ein Poet zufrieden;
Er glaubt, weil ihm dabei die Zeit so schnell vergeht,
Die schöne Hörerin so wenig zu ermüden
Als sich, und sorget nur, wie schwärmend und gebläht
Auch seine Sprache tönt, daß er zu matt erzähle,
Daß seinen Farben Kraft, dem Ausdruck Feuer fehle.

59.

Die stärkste Schwärmerei erschöpfet sich zuletzt,
Und endlich hört auch Idris auf zu sprechen.
Amöne, welche sich inzwischen vorgesetzt,
Sobald er fertig ist, (denn endlich muß es brechen)
Für den Roman, womit er sie ergetzt
Und abgekühlt, vollständig sich zu rächen,
Rühmt seine Treu, lobt ihren Gegenstand
Und zeigt, Zenidens Werth sey ihr nicht unbekannt.

60.

So sehr sie ihn deßwegen glücklich preiset,
So ändert unvermerkt ihr Ton sich in Be moll.
Sie sieht, indem sie ihn mit schwacher Hoffnung speiset,
Bedenklich aus, sie seufzt und spricht geheimnißvoll;
Kurz so, daß, was sie sagt und nicht sagt, ihm beweiset,
Es sey nicht Alles, wie es soll.
Er dringt so stark in sie, sich näher zu erklären,
Daß sie genöthigt ist, die Bitte zu gewähren.

61.

Wie ungern, fängt sie an, entschließt die Freundschaft sich,
Den süßen Irrthum dir auf ewig zu benehmen!
Die Hoffnung, die du nährst, dein Schicksal zu bezähmen,
Die Ungewißheit selbst war noch ein Gut für dich.
Doch Idris ist ein Held — und, sich zu Tode grämen,
Was auch die Ursach sey, ist niemals ritterlich!
Ich rede denn, und zwar erfordert dein Verlangen,
Vom Ei die Sache anzufangen.

62.

Der weise Astramond, der auf des Atlas Höh'
Ein Zauberschloß bewohnt, war, eh des Alters Schnee
Auf seiner Scheitel lag, einst jung, wie zu erachten,
Und ließ um seine Gunst kein hübsches Mädchen schmachten.
Nur Eine, und zum Unglück eine Fee,
Sah man umsonst nach seinem Beifall trachten.
Schön war sie nicht, noch jung, doch jugendlich genug,
Daß sie an Stirn und Brust die hellsten Farben trug.

63.

Allein, so rosenfarb die gute Frau sich kleid'te,
So dick sie sich mit Schminke überzog,
So künstlich ihr Gesicht bei Licht und in die Weite
Sich dreißig Jahre jünger log,
So oft und ernstlich sie den Angriff auch erneute,
So wenig half es ihr! — Natürlich überwog
Der ewig frische Reiz der lieblichsten Sylphide,
Und diese wurde bald zur Mutter von Zenide.

64.

Die Alte wüthet wie ein Drache,
Kratzt sich die Schminke ab und rauft ihr dünnes Haar;
Allein was blieb bei so bewandter Sache,
(Da jene nun geliebt und im Besitze war)
Ihr übrig, als die Lust, die eitle Lust der Rache?
Sie schwor so schrecklich, daß sogar
Die Furien vor Angst in ihre Ketten bissen,
Er soll den Frevel ihr erschrecklich büßen müssen!

65.

Der Alten Macht war groß, doch größer nicht
Als Astramonds, der ihrer Wuth nur lachte:
Sie überlegte dieß bei kühlerm Blut und dachte,
Der Zorn sey lächerlich, der mit dem Winde ficht.
Die Schlaue zeigte nun ein ruhiger Gesicht
Und that so viel, bis sie ihn sicher machte.
Man glaubte, daß die Zeit ihr Blut besänftigt hätte;
Und die Sylphide kam nunmehr ins Wochenbette.

66.

Nichts Schöners als das Kind, von welchem sie genas,
Ward, seit es Mütter gibt, geboren.
Der Weise, der sich selbst vor Freude kaum besaß,
Stellt seiner Tochter gleich das Horoskop und las,
Sie sey zur Königin im Feenland' erkoren.
Der Trude, welche ihr den Untergang geschworen,
War nicht im Horoskop gedacht;
Allein sie blieb nicht aus und gab auf Alles Acht.

67.

Als Astramond Zeniden zu begaben
Nun fertig war, brach sie mit Wuth hervor und schrie:
Ja, ja, dieß Alles soll sie haben,
Und mehr noch, wenn du willst; doch lieben soll sie nie!
Schön sey sie, lauter Reiz, reich an Minervens Gaben,
Und wer sie anschaut, liebe sie,
Und wer sie anschaut, soll mit Seufzern sie betäuben,
Und sie allein soll unempfindlich bleiben!

68.

Ein Jeder sehne sich nach dem fatalen Glück,
Zu ihren Füßen sich zum Schatten abzugrämen;
Ihr Anblick soll, gefährlich wie der Blick
Des Basilisk, den Witz des Klügsten lähmen,
Dem die Vernunft und dem das Leben nehmen!
Und immer bleib' ihr Herz hart wie ein Felsenstück;
Und der, den sie allein von Andern unterscheidet,
Sey, der am heftigsten durch ihren Kaltsinn leidet!

69.

So sprach sie, sprang auf ihren Drachenwagen
Und fuhr im Blitz davon, nach böser Feen Art.
Nun, Idris, kannst du selbst am allerbesten sagen,
Ob an Zeniden sich der Alten Fluch erwahrt.
Du liebest sie und hast vermuthlich nichts gespart,
Der Treue Sold bei ihr davon zu tragen.
Die Freundschaft schmeichelt nicht — allein,
Wenn du sie nicht gerührt, so muß sie fühllos seyn.

70.

Ein stiller Seufzer hob, indem ihr dieß entfiel,
Das Luftgeweb, der Liebesgötter Spiel,
Das ihren schönen Busen küßte.
Ein Jtiphall, und wer zu leben wüßte,
Bedächte sich nicht lang, was er erwiedern müßte:
Doch Idris merkte nichts. Von seiner Wünsche Ziel,
Dem er sich kaum so nah gesehen,
So weit entfernt als je, verwünscht' er alle Feen.

71.

Indessen wird durch das, was ihm Amön' erzählt,
Doch sein Orakel nicht vernichtet.
Mir scheint (erwiedert er) Amöne nicht berichtet,
(Sonst hätte sie es mir vermuthlich nicht verhehlt)
Daß ein Orakel mich zu Hoffnungen verpflichtet.
Wofern mein Kuß das Marmorbild beseelt,
Das sich im Dom des Labyrinths befindet,
So bricht die Zauberei, die jetzt Zeniden bindet.

72.

Und diese Statue, das Ende meiner Pein
Und meiner Reisen Ziel, sie hab' ich nicht allein
Nach langem Suchen aufgefunden;
Sie wurde — Nein! es kann nicht Blendwerk seyn,
Was ich gesehen und empfunden:
Warm wurde sie, von diesem Arm umwunden!
Ich sah Gefühl in ihren Augen glühn
Und Amors Farbe hoch auf ihren Wangen blühn.

73.

Hier war es glücklich für Amönen,
Daß Idris zu entzückt, sie zu betrachten, war;
Das Colorit der guten Schönen
War wirklich sehenswerth, es brannte nur nicht gar.
Allein sie faßt sich schnell, und ein verstelltes Gähnen
Entzieht sie, hinterm Schirm des Fächers, der Gefahr,
Ihm mehr, als rathsam ist, von ihren eignen Thaten
Durch diese plötzliche Verwirrung zu verrathen.

74.

Ist's möglich? kann das Herz so sehr uns hintergehen?
Ist's möglich, ruft sie, nicht zu sehen —
Daß dein Orakelspruch und dein beseeltes Bild
Und deine Phantasie dir eine Nase drehen?
Wenn eine Clausel nur in so fern' etwas gilt,
Als ihr Beding sich durch ein Wunderwerk erfüllt,
Ist's nicht so viel, als ob sie gar nicht wäre?
Doch Sie verzeihen mir, daß ich — Sie Logik lehre!

75.

Die Logik, (ruft er aus) Madame, die Logik soll
Mir mein Gefühl nicht streitig machen!
Mirakel oder nicht, das sind nicht meine Sachen!
Genug, ich fühlt' — und war nicht süßen Weines voll —
Wie unter meinem Kuss' ihr Busen seufzend schwoll.
"Wir glauben auch im Traum', erwidert sie, zu wachen,
Und selbst, indem man wirklich fühlt,
Wird unvermerkt uns oft ein Streich gespielt.

76.

"Ich könnte dir davon ein kleines Beispiel geben,
Das meine Zweifel dir vielleicht
Begreiflich machte — Doch mir däucht,
Du wirst mich gern des Dienstes überheben:
Wir lieben allzu sehr, in einem Wahn zu schweben,
Der uns gefällt und unsern Wünschen gleicht!"
Hier schwieg sie, ohne sich darüber zu erklären,
Und ließ in seinem Kopf die neuen Zweifel gähren.

77.

Er fleht umsonst. Amöne bleibt dabei,
Der näheren Erklärung auszuweichen.
Er zehrt sich ab mit Gram; sie billigt seine Treu,
Theilt seinen Schmerz mit ihm und gibt ihm tausend Zeichen,
Wie sehr sie seine Freundin sey,
Und so gelingt es ihr, sein Herz zu überschleichen.
Er denkt an keine List, indem der Zärtlichkeit
Die Freundschaft ihren Schleier leiht.

78.

Oft schwatzen sie im stillen Hain zusammen,
Und von Zeniden stets und von der Triebe Macht,
Die aus der Sympathie verwandter Seelen stammen.
Allmählich schmilzt in wollustvollen Flammen
Das weiche Herz dahin; kein warnender Verdacht
Stört seine Sicherheit; der Lauben grüne Nacht
Entwickelt zärtliche unnennbare Gefühle,
Und der Instinct spielt auch ganz heimlich seine Spiele.

79.

Ein zweifelhaftes Licht verdüstert
Unmerklich die Vernunft; sie schlummert, sanft gewiegt,
Auf Rosen ein — Und Amor ist vergnügt!
Wer sieht die Natter nun, die in den Blumen liegt?
Wer merkt, er sey's, der in die Seele flüstert?
Sie sehn sich staunend an und fühlen sich verschwistert:
Man nimmt indeß, ganz in Gefühl entzückt,
Nicht wahr, wie zärtlich man die Hand einander drückt.

80.

Wohlan, Madame, wofern' es je geschah,
Daß Ihre Tugend sich in einem stillen Haine,
Von Rosen überwölbt — zur Abendzeit — alleine —
Mit einem Freund befangen sah —
Vielleicht beim zärtlichen verführerischen Scheine
Des Silbermonds — nicht wahr, es pochte da
Ich weiß nicht was, wozu der Dialekt der Musen
Noch keinen Namen hat, in Ihrem sanften Busen?

81.

Sie fühlten sich — und wußten selbst nicht wie —
So zärtlich! so gerührt! tiefsinnig, möcht' ich sagen,
Wollüstiglich verirrt in Ihrer Phantasie,
Und doch — wenn's Ihnen einfiel, sich zu fragen:
Was denk' ich wohl? — in Ihrem Leben nie
Zur Antwort weniger geschickt; geneigt, zu klagen,
Und doch vergnügt; die Augen thränenvoll,
Und traurig, selbst durch das, was Sie erfreuen soll.

82.

In diesen nämlichen seltsamen Augenblicken,
In diesem Mittelstand von Wehmuth und Entzücken,
Bei diesem schwärmerischen Schwung
Der Phantasie, in dieser Dämmerung,
Die in der Seele herrscht, verliert ein Herz, das jung
Und fühlend ist, in Amors seidnen Stricken
Sich gar zu leicht. Es wäre falsche Scham,
Wenn wir es leugneten, Madame.

83.

Gestehn Sie, (unter uns) ein jugendlicher Freund
Voll Zärtlichkeit, und der nichts Böses meint,
(Wie Idris damals war) wird, ohne unser Wollen,
Gefährlicher, als ein erklärter Feind.
Man flieht vor einem Faun; doch, jenen Unschuldsvollen,
Wie fiel es Ihnen ein, daß Sie den fliehen sollen?
Indeß geschieht doch oft, daß er, bei warmem Blut,
Was Faunen faunisch thun — nach Platons Weise thut.

84.

Was aus Amönens Freund zuletzt geworden wäre,
Nimmt jede Kennerin leicht aus dem Anfang ab.
Wahr ist's, sie war kein Mädchen aus Cythere,
Hingegen war auch Idris kein Kombab.
Zum Glück für seine Treu begab
Die Dam', aus zärtlichen Begriffen von der Ehre,
Sich ihres Vortheils selbst: sie dachte viel zu fein,
Den Feen Crebillons an Künsten gleich zu seyn.

85.

Dadurch gewann er Zeit und fragte sich so lange
Warum? und wie? und wo er dieß und das empfand?
Und kurz, er grübelte so tief, bis er die Schlange
In seinem Busen schlummern fand.
Bestürzt sieht er von diesem süßen Hange,
Der ihm so schuldlos schien, sich an den jähen Rand
Der Untreu' unvermerkt gezogen.
So hatte ihn sein Herz noch nie betrogen!

86.

Mit Abscheu schaudert er zurück;
Es war ihm neu, sich vor sich selbst zu schämen.
Er sucht die Einsamkeit, um über das Geschick,
Das ihn verfolgt, sich ungestört zu grämen.
Flieh', Unbesonnener, eh dir Amönens Blick
Zu fliehen wehrt! Allein woher die Flügel nehmen?
Denn aus dem Feuerkreis, der ihn gefangen hält,
Geht weder Weg noch Steg in diese Unterwelt.

87.

Er weinte, wie man sagt daß ehmals Alexander
Den Mangel einer Brück' ins Himmelreich beweint:
Als unverhofft in Flor, dem schönsten Salamander
(Der für Amönen brennt) ein Helfer ihm erscheint.
Zwar Flor war bis hierher des neuen Günstlings Feind;
Doch der gemeine Schmerz versöhnt sie mit einander.
Gleich ist ihr Schmerz, verschieden seine Quelle,
Denn jeder wünscht sich an des andern Stelle.

88.

Dem Salamander zwar däucht's bloße Heuchelei,
Wenn Idris sich erklärt, ihm gern die Gunst zu gönnen,
Die seinen Neid gereizt. Wie sollt' er glauben können,
Daß, sie zu sehn und nicht wie ein Vesuv zu brennen,
Dem Sohn der Erde möglich sey?
Doch, Idris setzt ihn bald von allen Zweifeln frei,
Da er, so flehentlich, als bät' er um sein Leben,
Ersucht, ihm einen Rath zur schnellsten Flucht zu geben.

89.

Zur Flucht? Von Herzen gern', und mehr als einen Rath,
Erwiedert Flor; ein Freund hilft mit der That.
Sprich nur, wohin? Auf meinen eignen Schwingen
Will ich — und wär' es auch ans äußerste Gestad
Des Aethers, wo die Welt ans Unding gränzt —dich bringen.
Nichts Angenehmers kann in Idris Ohren klingen:
Er nimmt den Genius beim Wort',
Und schneller als der Blitz schießt dieser mit ihm fort.

90.

In weniger als vier Secunden
Ist Idris wieder da, woselbst er sich befunden,
Als ihn, in Flammen eingehüllt,
Amöne mit sich nahm. Allein, — so schlecht vergilt
Das Schicksal seine Treu! — Weh' ihm! Zenidens Bild
(Das Erste, was er denkt und aufsucht) ist verschwunden;
Daß man von ihr ihn schon so lange trennt,
Ist nicht genug; sogar ihr Bild wird ihm mißgönnt!

91.

Um den erhabnen Dom, wo einst Zenide stand,
Zieht sich ein halber Mond von lieblichen Gebüschen;
Acacien und Myrtenbäume mischen
Hier Licht und Dunkelheit zu diesem Mittelstand,
Worin, bei schwüler Sonnen Brand,
In sichern dicht verwebten Nischen
Die Nymphe gern dem schmeichelhaften West
Den heißen Leib entfesselt überläßt.

92.

Hier warf sich, übermannt von Gram,
Der Ritter hin ins Gras. Die Ungeduld benahm
Ihm allen Muth, sein Glück noch länger zu versuchen,
Und er begann die Stunde zu verfluchen,
In der er auf den Einfall kam,
Von einem Traum das Urbild aufzusuchen.
Er zweifelt nun nicht mehr, daß er, durch Zauberei
Geäfft, der Gegenstand von Amors Kurzweil sey.

93.

Im stärksten Anfall seiner Schmerzen
Wird selbst Zenide nicht verschont.
Wie? die ich so geliebt, die ich in meinem Herzen
Als meine Königin und Göttin eingethront,
Sie hat die Grausamkeit, mit meiner Qual zu scherzen?
So täuscht sie mich? So wird die reinste Glut belohnt?
Dieß ist die Frucht von ihrer falschen Güte?
Und ich verzehr' um sie der Jugend beste Blüthe?

94.

In ihres Angesichts bezaubertes Oval,
Als wie in einen Kreis gebannet,
Zu jedem rühmlichen Bestreben abgespannet
Und nervenlos, verseufzt in lächerlicher Qual
Mein Geist sich selbst, von Amorn ganz entmannet!
Wo ist mein Ritterschmuck, der goldbeschuppte Stahl?
Wem dürft' ich, wie ich bin, die feige Stirne bieten?
Mein bloßer Aufzug zeigt schon einen Sybariten!

95.

Nein, Amor! länger will ich nicht
Dein niederträchtigs Joch ertragen
Und um ein reizendes Gesicht
Der Tugend meinen Muth und diesen Arm versagen!
Der Unschuld Rächer seyn, sich mit Tyrannen schlagen
Und steuern aller Fehd', ist wahrer Ritter Pflicht.
Beseele, wer da will, undankbare Zenide,
Dein Bild und dich! Ich bin des Abenteuers müde.

96.

Er sagt's und rafft sich auf, entschlossen, als ein Held
Den Dienst Zeniden auszukünden:
Als aus des Hains mäandrischen Gewinden
Ihm etwas in die Augen fällt,
Das seinem Heidenthum und allen Weisheitsgründen
Der Stoa selbst die Wage hält
Und, was er kaum verachtenswerth geschätzet,
In ein bezaubert Licht auf einmal wieder setzet.

97.

Er sieht — die Statue, auf sammetweiches Moos
Im Schatten hingegossen liegen:
So läßt sich Paphia mit Amorn auf dem Schoß
Im Hain zu Amathunt von süßen Träumen wiegen.
Sie ist's, von Kopf zu Fuß, mit allen ihren Zügen,
Ihr Schleier um sie her, nur Arm und Busen bloß.
Entzückt erkennt er sie: doch kann er gar nicht fassen,
Wie es geschah, daß sie den Dom verlassen.

98.

Er denkt: "Sie ist belebt — das lehrt der Augenschein,
Amöne sage mir, so viel sie will, dagegen!
Wo können Bilder sich von ihrem Ort bewegen?"
Vollkommen überzeugt zu seyn,
Nimmt er die Freiheit, ihr die Hand aufs Herz zu legen,
Und unelastisch ist der schöne Busen — Stein.
Er stutzt, er wiederholt die Proben und befindet
Amönens Logik — ach! nur allzu sehr gegründet.

99.

Der Erdkreis wäre bald an Narrn und Helden leer,
Wenn wir zur Führerin die Logik nehmen müßten.
Allein wohl recht nennt Platon, oder wer?
Den Liebesgott den größten der Sophisten!
Erfahrung und Vernunft bestreite noch so sehr,
Was wir recht brünstiglich gelüsten;
Erfahrung und Vernunft wird nur nicht angehört;
Wir nennen falsch, was uns in süßem Irrthum stört.

100.

So ging's dem Jüngling' hier: er kann und will nicht glauben,
Wovon ihn sein Gefühl so lebhaft überführt!
Er ließe sich den Wahn von keinem Gotte rauben,
Mit dem sein Herz so viel verliert;
Und weil sich etwas mehr, als sich bei ihr gebührt,
Bei ihrem Bilde zu erlauben
Ihn billig däucht, gehorcht er ohne Zwang
(Er ist ja ganz allein) des Herzens süßem Drang.

101.

Es wär' an halb so vielen Küssen,
Als er, um seine Seel' in sie hinein zu gießen,
Auf ihren Mund und starren Busen drückt,
Die derbste aller Sacharissen,
So gut sie auch bei Athem wär', erstickt.
Doch Idris drückt so lang, bis ihm das Mittel glückt:
Er schließet sie so fest in seine Arme,
Daß ihn bedünkt, ihr kaltes Herz erwarme.

102.

Daß Phantasie, von Schwärmerei erhitzt,
Die Sinne selbst verfälscht, ist längst bemerket worden.
Man weiß, daß sonderlich der priesterliche Orden
Geheimnisse von dieser Art besitzt.
Der Aberglaube sieht (und läßt sich drauf ermorden,
Er hab's gesehn) ein Bild, das Blut geschwitzt.
Was kann nicht die Marien von Agreden
Religion, vermischt mit Liebeswuth, bereden?

103.

Allein, was Idris fühlt, ist weder Wahn noch Traum:
Er glaubt den Wolken zu entfallen,
Da unter seinem Kuß, was kaum
Noch Marmor schien, so weich wie Schwanenflaum,
Dem Druck jetzt nachgibt, jetzt mit vollem Ueberwallen
Entgegen drückt, der blasse Mund Korallen
An Röthe gleicht und (was von einem Bild
Sehr zärtlich war) ihm Kuß mit Kuß vergilt.

104.

Wir kennen Skeptiker, vor denen
Kein Wunder Gnade find't, das nicht begreiflich ist;
Und diese Herren werden wähnen,
Es stecke ganz gewiß hierunter eine List.
Ihr Argwohn fällt vermuthlich auf Amönen.
Doch, daß die Statue, sobald sie athmet, küßt,
Däucht uns, aus dem, was wir vorhin gelesen,
Beweis genug, sie sey es nicht gewesen.

105.

Amöne war es nicht und konnt' es auch nicht seyn.
Man kann den edeln Stolz nur stufenweis verlieren,
Der rühmlich siegen will, nicht buhlerisch verführen.
Doch fällt euch nicht die schöne Nymphe ein,
Die jüngst, gejagt vom häßlichsten Satyren,
Ihm in die Arme lief? Die dachte nicht so fein!
Der Einfall schon, dem Ritter nachzureisen,
Scheint gegen sie ein wenig zu beweisen.

106.

Ihr wißt, wie Idris einst, nicht ohne Müh, sich frei
Aus ihren schönen Armen machte;
Und, da sie bald durch Kunst der Feerei
Entdeckte, daß die Sie, um die er sie verachte,
Nicht eine Göttin, wie sie dachte,
Nur eine Statue, und Er verurtheilt sey,
Die Seele, die ihr fehlt, ihr selbst erst mitzutheilen,
Beschloß sie ungesäumt, dem Flüchtling nachzueilen.

107.

Sie wußte, daß ein Dom von schwarzem Marmorstein
Die Nebenbuhlerin verwahre,
Und daß der Dom in einem Zauberhain
Auf einer Insel steh, wohin kein Schiffer fahre.
Die Hoffnung, sie so bald zu finden, war sehr klein;
Denn wo? das setzten ihr die Bücher nicht ins Klare.
Allein Verliebte täuscht gar selten ihr Instinct;
Man find't im Dunkeln selbst den Ort, wo Amor winkt.

108.

Sie fand ihn —und noch mehr; denn in den krummen Büschen
Des Labyrinthes lag, in jungem Most bezecht,
Ein alter Satyr, alt, doch nicht an Muth geschwächt,
Die Nymphen, die ihn fliehn, im Laufe zu erwischen.
Die unsre kommt ihm eben recht,
Sich auf den Trunk ein wenig zu erfrischen.
Er setzt ihr nach, sie läuft, er macht ihr warm
Und jagt sie, wie ihr wißt, zuletzt in Idris Arm.

109.

Kaum hatte der sich von ihr los gewunden,
So ging die Jagd von neuem an,
Bis ihr der Satyr, überwunden
Und athemlos, nicht weiter folgen kann.
Indessen war sie ihm für seine Müh verbunden,
Weil sie allein dabei gewann.
Was sie gewann, war werth, sich zu ermüden;
Sie fand den Aufenthalt der marmornen Zeniden.

110.

Sie säumt sich nicht, von dem fatalen Stein,
Eh' Idris kommt, Besitz zu nehmen.
Warum, erräth sich leicht. Sie schweiget sich hinein
Und denkt gar nicht daran, so delicat zu seyn,
Der Hinterlist, womit sie umgeht, sich zu schämen.
Sie braucht nicht für sich selbst die Sache zu verbrämen
Wird Idris nur in ihren Arm gebracht,
Das Mittel ist, was ihr den kleinsten Scrupel macht.

111.

Sie spielt vollkommen nun den Meister
In ihrem neuen Leib', (ein Vorrecht echter Geister!)
Wacht oder schläft, ist wirksam oder still
Im Kopf', im Fuß', im Herzen, wo sie will.
"Ob das begreiflich ist?" — Vermuthlich keinem Heister:
Doch stehen Paracels und Iben Thofail
Dem Dichter bei. Die Zunft der scharfen Geisterseher,
Treibt, wie bekannt, die Sachen oft noch höher.

112.

Genug, die Nixe lauscht in ihrem neuen Leib',
Entschlossen, wenn er kommt, das Abenteur zu wagen
Und anfangs, wie es einem Weib
Von Marmor ziemt, sich zu betragen.
Allein zu größtem Mißbehagen
Der armen Nymphe, die sehr wenig Zeitvertreib
In ihrer Stellung fand, ließ sich kein Idris sehen,
Und ihr verging die Lust, so müßig da zu stehen.

113.

Drei lange Tage sind vorbei,
Noch will der Flüchtling sich nicht zeigen.
Aus Langweil macht sie sich zuletzt vom Zwange frei,
Erlaubt sich selbst herab vom Fußgestell zu steigen
Und sucht im Hain' umher, wo er geblieben sey.
Nur, wenn der Tag beginnet sich zu neigen,
Kehrt sie zurück und nimmt, nicht ohne Ueberdruß,
Die Stelle wieder ein, die sie behaupten muß.

114.

An welchem Ort und wie Herr Idris sie gefunden,
Ist schon gesagt. Sie hielt sich anfangs gut;
Kein Stein ist steinerner; was auch der Ritter thut,
Der sie beseelen will, erfroren bleibt ihr Blut.
Doch endlich gibt sie sich, wie billig, überwunden.
Sie fühlet nun in wenigen Secunden
Bereits so gut und ist so sehr beseelt,
Daß sie vielleicht im Uebermaße fehlt.

115.

Wenn das ein Fehler heißt, so müssen wir gestehen,
Daß es ein schöner Fehler ist.
Herr Idris, fest beglaubt, Zeniden selbst zu sehen,
Die in Empfindungen an seiner Brust zerfließt,
Find't nichts zu viel. Sie kann, wie feurig sie auch küßt,
Doch nie zu weit in einer Tugend gehen,
Der (wie ihn däucht, solang der Taumel währt)
Vor allen übrigen der erste Platz gehört.

116.

Was er in diesen Augenblicken
Bei diesem Kuß, bei diesem süßen Drücken
An ihre Brust, was er empfinden muß,
Begreift nur, wer geliebt. Der völligste Genuß
Der Liebesgöttin selbst könnt' ihn nicht so beglücken,
Als nach so langer Qual Zenidens erster Kuß.
Zenide — ruft er aus und sinkt zu ihren Füßen,
Weil Mund und Augen sich entseelt vor Wollust schließen.

117.

"Zenide — stammelt er, aus dieser süßen Nacht,
Worin sich stufenweis die Seele sanft verlieret,
Durch ihren Kuß zurück gebracht;
Ist's möglich? bin ich's selbst? bist du es? Welche Macht
Hat dieses Wunderwerk so unverhofft vollführet?
Zenide, neu beseelt, von Sympathie gerühret?
Drückt zärtlich sich an ihres Idris Brust —
Und ich zerfließe nicht, ich sterbe nicht vor Lust?

118.

"O, sieh mich an, noch einmal — Würd' ich nicht
Mit meinem Blut solch einen Blick bezahlen?
Noch einmal — noch zu tausend Malen —
Entzieh mir niemals mehr dieß himmlische Gesicht!" —
Doch, Muse, was Verliebte dahlen,
Rührt Niemand als sie selbst. Daß Idris Unsinn spricht,
An einem Platze, wo wir selbst wohl gerne wären,
Ist seine Schuldigkeit, nur wollen wir's nicht — hören.

119.

Den weisen Leuten, welche nie,
Wie unserm Helden war, erfuhren,
Nicht den Catonen nur, sogar den Epikuren
Von kaltem Blut und träger Phantasie,
Klingt nichts so schal, als die Figuren
Verliebter Schwärmerei. Gut, ich verschone sie:
Der Pinsel fällt mir willig aus den Händen;
Wer Lust hat, mag das Bild und —dieses Werk vollenden!

Anmerkungen.

Pervonte.

Das Original dieses Gedichts ist ein altes neapolitanischen Ammenmährchen und findet sich in dem Pentamerone del Cavalier Giovan Battista Basile, overo, lo Cunto delli Cunti, trattenemiento de li Peccerille, di Gian Alesio Abbatutis, Napoli 1674, Ein Auszug davon findet sich in der Bibl. univ. des Romans vom Juni und Sept. 1777.

Erster Theil.

S. 4. Z. 2. Hersen oder Ersen, gehörten zum Volksstamme der alten Galen (Gallier, Celten), der sich in Irland und Nord-Schottland niedergelassen hatte. Von ihnen stammen die jetzt sogenannten Hochländer.S. 4. Z. 7. Omphale. Dejanira — Omphale, eine lydische Königin, hatte den Hercules als Sklaven erkauft, und man sagt, daß er bei ihr Wolle spann. Nochmals erzeugte er zwei Söhne mit ihr. — —Dejanira war des Hercules Gemahlin.S. 6. Z. 9. Eruditäten des alten Mütterchens — Werke, welche die alte Isis, als Mutter Natur gedacht, nicht hatte ausarbeiten können.S. 7. Z. 24. Der Weise beim Horaz — Wieland spielt hier auf die von seinem Sklaven parodirte Schilderung des stoischen Weisen an (Sat. 2, 7, 83 fgg.)
Wer ist denn also frei? Der Weise, der
Sich selbst beherrscht, den weder Armuth, Kerker,
Noch Tod aus seiner Fassung setzen kann;
Der Stärke hat, den Lüsten Trotz zu bieten
Und Titel zu verschmähn; der ganz aus einem Stück
Und rund und glatt ist, so daß nichts von außen
An ihn sich hängen, und kein Fall des Glücks ihn
Sein Gleichgewicht verlieren machen kann.
S. 16. Z. 28. Cocagne — Cogagna war eine Lustbarkeit in Neapel, wobei der Hof dem Volke allerlei Eßwaaren aus einem Gerüste preisgab. Pays de cocaigne ist daher im Französischen so viel als Schlaraffenland.

Zweiter Theil.

S. 24. Z. 23. An Bajens Ufer — In Campanien (terra di lavoro), der schönsten und reichsten Provinz Unter-Jtaliens.S. 25. Z. 1. Kleopatra, bestieg bei ihrer ersten Zusammenkunft mit Antonius auf dem Fluß Cydnus ein Schiff, dessen Pracht und Geschmack Alles übertraf. Die Segel waren von Purpur, die Ruder von Silber, sie selbst ruhte in einem Zelt von Goldstoff auf dem Verdeck im Costume der Venus, und um sie stellten die schönsten Knaben und Mädchen Grazien, Liebesgötter und Nereiden vor. Duftendes Räucherwerk und wollüstige Musik vollendeten die Bezauberung der Sinne.S. 26. Z. 16. Tinian — Eine der Marianischen Inseln, wird von den Spaniern, des schönen Anblicks halber, den sie darbietet, Buena vista genannt.S. 30. Z. 12. Milo von Kroton, sechsmaliger Sieger in den olympischen Spielen, war von so außerordentlicher Stärke, daß er einen Stier auf den Schultern forttrug und mit einem Faustschlag tödtete.

Dritter Theil.

S. 34. Z. 6. Was Horaz — von Mercur erbittet. S. Horazens Satiren Buch 2. Sat. 6.S. 43. Z. 2. Chaconne — Ciaconna, Chaconne, ein aus Italien stammender, ehemals sehr beliebter, jetzt veralteter Tanz, dessen Melodie in einer mäßig langsamen Bewegung vorgetragen wird.S. 46. Z. 21. Bucentaur — Bucentoro, hieß in der ehemaligen Republik Venedig daß große und prächtige Schiff, worauf der Doge alljährlich am Himmelfahrtsfeste in das adriatische Meer hinausfuhr, um sich mit demselben zu vermählen. Er warf bei dieser Ceremonie einen Ring in das Meer und rief aus: Desponsamus te, mare, in signum perpetui dominii,S. 46. Z. 25. Dem alten Herrn im Horne — Dem Doge, welcher als Kopfbekleidung eine prächtige Mütze trug, il corno, das Horn genannt.S. 51. Z. 7. Parthenopel — In der Nähe von Neapel war die berühmte Grotte der Sirene Parthenope. Auch bei Ovid wird Neapel durch die Parthenopeischen Mauern bezeichnet.

Der Vogelsang.

S. 65. (Nach den Lays de l'Oiselet in den Fabliaux et Contes etc, Vol. 1. p. 179.)S. 70. Z. 22. Ballade, Virelay, Rondeau —Lyrische Dichtungsarten in der provenzalischen Poesie.S. 72. Z. 7. Rosenobel, Noble à la Rose, alt-engländische Goldmünze, etwa 2 Ducaten an Werth, mit einer Rose auf einer Seite.S. 76. Z. 13. Der Laur — Nach Scherz der Laurer, besonders auf Gewinn, daher statt Wucherer. Von den Juden wird gesagt: "Die Lauren sollen arbaiten wie die Christen tun müssen." Wieland (2. Merk. 1778. S. 202) erklärt es für einen fühllosen ungesitteten Grobian, vielleicht bloß an das alte Sprichwort denkend: Bauern sind Lauern. Aber auch dieses läßt sich besser von Lauern ableiten und bedeutet Schleicher, türkischer Dieb, Schelm. In diesem Sinne setzt Logau den Lauer dem Biedermann entgegen. Vergl. Lessings Schriften VIII. 188.

Hann und Gulpenheh.

S. 86. Z. 19. Pilau — Reiß mit klein zerhacktem Hammelfleisch gekocht, die gewöhnlichste Speise der Türken, Perser u. s. w. W.S. 94. Z. 3. Asa's — Gerichtsdiener. W.

Die Wasserkufe.

S. 97. Z. 1. Nach einer alten Erzählung in le Grand's Contes devots pour servir de Suite aux Fabliaux et Contes du treizième Siècle.S. 107. Z. 8. Hermonassen und Chrysogonen — St. Hermonas und St. Chryfogonus waren unter den ersten Nachfolgern des heiligen Marcus, den die Tradition zum ersten Bischof von Aquilegia machte. W.S. 113. Z. 13. Eremitenschaar der Thebaide, der thebaischen Wüste in Aegypten.S. 125. Z. 14. Juno Pronuba — Juno, Vorsteherin der Ehen.

Gedichte an Olympia.

S. 127. Unter dem Namen Olympia besang Wieland, wie er sich in der Zuschrift dieser Gelegenheits-Gedichte vom Jahr 1795 ausdrückt, die Schutzgöttin seines Musenspiels, die Herzogin Mutter von Sachsen-Weimar, Anna Amalia, Prinzessin von Braunschweig, geb. den 24. October 1739. Durch sie, welche die Künste der Musen liebte und selbst übte —sie zeichnete und malte und hat auch in der Musik Verschiedenes componirt —wurde der Grund gelegt zu dem nachmaligen literarischen Ruhme von Weimar. Die Luftschlösser Ettersburg, Belvedere und Tiefurt, sämmtlich in der Nähe von Weimar, wurden der Vereinigungspunkt der vorzüglichsten Geister Deutschlands, die sich gern um die allgeliebte Fürstin versammelten. Die Schilderung des dortigen Lebens liefern diese kleinen Gedichte selbst, welche gewiß zu den Gelegenheits-Gedichten gehören, wie sie seyn sollen.S. 136. Z. 2. Anadir — Fluß in Siberien, der sich in das Meer zwischen Asien und America ergießt.II. S. 137. Dieses Gedicht verdankt seinen Ursprung einer Aufgabe, dergleichen in den Cirkeln der Herzogin Amalia mehrere gemacht und von Verschiedenen zu lösen versucht wurden. Auch ein Aufsatz von Herder über diesen Gegenstand, der zuerst in den zerstreuten Blättern stand, entstand durch jene Aufgabe.IV. S. 143. Z. 28. Unter B**s Dach — Die kunstreiche Gattin des um Literatur und Kunst sehr verdienten Legationsrathes Bertuch gab einer Menge junger Mädchen Anweisung zur Verfertigung künstlicher Blumen.S. 145. Z. 21. Schwan am Bober — Martin Opitz von Boberfeld, der Vater der neuern deutschen Dichterei. W.V. S. 147. Zum Verständniß dieses Gedichts muß man wissen, daß die Herzogin Amalia im J. 1788 eine Reise nach Italien gemacht und sich zwei Jahre lang theils zu Rom, theils zu Neapel ausgehalten hatte.Angelika Kaufmann hatte die Herzogin gemalt. Dieses Gemälde mit geistreich gewählten Emblemen befindet sich in dem sogenannten römischen Hause im Park zu Weimar, dem gewöhnlichsten Sommeraufenthalte des Großherzogs.

Idris und Zenide,

Gesang 1.

Stanze 1. Kalliope, die Muse des epischen (erzählenden) Gedichts, welches gewöhnlich das Heldengedicht genannt wird. —Der Dichter scheint sich hier selbst anzuklagen, wegen seines ehemaligen Versuchs eines solchen Heldengedichts (Cyrus), und bekennt, daß er seine Sphäre damals nicht gekannt habe. Nicht für das Erhabene (das Heldenlied im kriegerischen Ton), sondern für das Anmuthige erkennt er sich bestimmt, welches er mit anakreontischer Wendung ausdrückt: Wenn du Rinaldo singst (ein kunstgerechtes Heldengedicht in Tasso's Art) tönt meine Leier Endymion (eine nur schalkhafte, freundlich-ironische Erzählung). Eben so wenig aber, als ich für die kunstgerechte antike Epopöe bestimmt bin, bin ich dazu gemacht, eine romantische nach ganz altem Schlag zu machen: castilischen Guitarren (die spanischen Ritterromane und Romanzen, zu denen Amadis und der Cid, den jetzt Jeder aus Herder kennt, Hauptstoffe lieferten) nachzuschnarren (ohne eignen Geist und Urtheil nachzuahmen).St. 2. Wie sehr nun auch die Kritiker der alten Observanz schreien, wenn man eine neue Bahn, die sie noch nicht zu gehen gewohnt sind, einzuschlagen versucht;St. 3. so will ich sie doch versuchen und mir das Mährchenhafte für meine Dichtung wählen,St. 4. wobei meine Führerin die Laune, und mein Muster Hamilton seyn soll. Jene scheint zwar eine Thörin, es fehlt ihr aber nicht an Vernunft; dieser scheint frivol, ist's aber bei weitem nicht so, wie er's scheint, sondern vielmehr ein geistreicher Spötter. — Das Uebrige seiner Theorie enthalten die folgenden Stanzen.St. 6. Die Erfindung, d. i. das Mährchenhafte in dem ganzen Gewebe der Begebenheiten, kann lügen, bloß phantastisch seyn, die Schilderei aber, d. i. die Darstellung der Charaktere in ihrem Zusammenhange mit Ursachen und Folgen, muß wahr und der Natur getreu seyn.St. 7. Agnesen, nannte man auf dem französischen Theater die Rollen aus Einfalt unschuldiger Mädchen (von agnus, Lamm). Die Verschüchterung, die ihnen Rousseau einjagt, findet sich hauptsächlich in dessen geharnischter Vorrede zur neuen Heloise. —Getreuer Hirt. Die Rede ist hier von dem berühmten Pastor Fido des Guarini, der von einem gewissen Nicius Erythräus beschuldigt wird, der Unschuld der Sitten vielleicht nicht sehr zuträglich zu seyn: "Denn man sage, daß die Tugend vieler Jungfrauen und Ehefrauen an den Reizungen dieses Gedichtes, als an eben so vielen Sirenenfelsen, Schiffbruch gelitten habe." (S. Dictionnaire de P. Bayle, Article Guarini.) Wenn sich dieses wirklich ereignet hätte, so konnte es, däucht uns, schwerlich (ohne große Ungerechtigkeit gegen den guten Guarini) anders, als durch diese zwei Verse erklärt werden. W. — Tugend. Hier und anderwärts scheint Wieland bei der Tugend bloß die Keuschheit im Sinne gehabt zu haben.St. 8. Brigittens Zunft. Nicht der sehr respectabeln heiligen Brigitte, sondern der Miß Bridget (Brigitte) Alworthy, nachmaligen Mistriß Blifil, deren Charakter vermuthlich Allen, oie dieses Gedicht lesen, aus der History of Tom Jones bekannt ist. W.S. 9. Pantil, Anspielung auf Horazens Men' moveat cimex Pantilius.. W.St. 10. Aristarch, einer der scharfsinnigsten Kritiker unter den Alexandrinern, nach welchem häufig die Kritiker überhaupt benannt werden. —Die Dunse nennt man seit der Erscheinung von Pope's Dunciade (die im Französischen an Palissot, im Deutschen an Wieland selbst — gegen Gottsched —Nachahmer fand) alle eigentliche Dummköpfe unter den Schriftstellern.St. 13. Don Galaor, Jocondo, Rinald, Medor. Der Erste gehört in den romantischen Heldenkreis des Königs Artus; die Uebrigen sind sämmtlich aus dem Ariosto bekannt.St. 21. Aus Gabalis Berichten. Ausführliches darüber s. B. 25. bei den Anm. zu Melinde. —Rubens, einer der ersten Meister der niederländischen Malerschule, wird eben so sehr getadelt wegen seines Mangels an Reinheit der Formen und Jdealität, als wegen seiner Composition und seines Colorits bewundert. — Amphitrite, Gemahlin des Meergottes.St. 26. Paladin. — Jeder irrende Ritter.St. 29. Töchter von Nereen (Nereus), die Nereiden, untergeordnete Meergöttinnen.St. 37. Alkmenens Sohn, Hercules. Mit diesem Riesen Geryon, dem die Sage drei Leiber, sechs Hände und Füße gab, mußte Hercules kämpfen, weil ihm geboten war, dessen berühmte Rinder zu holen, und die alten Dichter haben nichts gespart, diesen Kampf als einen furchtbaren auszumalen.St. 38. Xenophons Arasp. S. Wielands Araspes und Panthea.St. 45. Das Thier vom Ländchen Gevaudan. Ein Wolf, der um die Zeit, da dieses geschrieben wurde, viele Wochen lang ganz Frankreich, unter dem Namen der Bète de Gevaudan, ängstigte und eine Menge Mädchen und Kinder fraß, bis sich endlich ein gallischer Hercules fand, der den Muth hatte, sein Vaterland von diesem Ungeheuer zu befreien. W.St. 53. Atys, ein schoner phrygischer Jüngling, von der Göttin Kybele geliebt, wurde darüber zum —Kombabus. Ein solcher Spott paßt ganz vorzüglich in den Mund eines Jtiphall, dessen aus dem Griechischen entlehnter Name schon auf ein Uebermaß dessen hindeutet, was Atys und Kombabus verloren hatten. Er steht darum auch hier als Repräsentant der bloß sinnlichen, so wie Idris einer schwärmerisch geistigen Liebe, zwischen welche beide in die Mitte der Dichter Zerbin und Lila stellt.St. 57. Carabossen. S. Don Sylvio Bd. I. Cap. 4.St. 59. Die Helden am Skamander, die, welche der Ilias zufolge vor Troja um die Zurückgabe der Helena kämpften. — Coloander, so heißt der Held eines berühmten und in seiner Art vortrefflichen heroischen Romans des Marini, der mit dem berühmten Dichter Marino nicht verwechselt werden muß. W.St. 63. Angola, africanisches Königreich in Nieder-Aethiopien.St. 72. Druiden, Priester, Gesetzgeber, Sänger und Weise der Celten oder Galen. Man leitet ihren Namen ab von dem griechischen Worte Drys, Eiche, weil die Eiche bei ihnen heilig war, und die Opfer unter ihnen verrichtet wurden. Ihre Einrichtung und Unterrichtsanstalten beschreibt Cäsar (de bell. gall. 6, 13) und sagt, daß sie vorzüglich in Britannien gefunden würden, wohin die gallischen Druiden zögen, um sich zu belehren. Diesemnach gehörte Idris entweder Frankreich oder England an.St. 78. Die Schlacht bei Actium; das Seetreffen bei diesem Vorgebirg Macedoniens (31 J. v. Chr. G.) entschied die bürgerlichen Kriege Roms und, indem es Octavian-Augustus die Alleinherrschaft gab, das damalige und wohl auch spätere Schicksal der Welt.St. 88. Die Zauberin Circe (Kirke) verwandelte durch ein Zaubergetränk die Menschen in Schweine.St. 92. Medor erhielt das Glück bei der schönen Angelika, wonach der tapfere Roland vergebens mit äußerster Anstrengung gestrebt hatte. Ariosto im Orlando Furioso 19, 20.St. 99. Horoskop, ein mathematisches Instrument, dessen sich die Sterndeuter zur Untersuchung des Gestirnstandes bei der Geburt eines Menschen bedienten, um daraus dessen Schicksale zu bestimmen.

Gesang 2.

St. 10. Bathyll, ein schoner Knabe, dessen Reize in Anakreons Liedern verewigt sind.St. 21. Aladdins. S. die Wunderlampe in den arabischen Erzählungen. W.St. 22. Wolkensohn. Die Centauren waren (nach einigen Mythologen) Söhne des Ixion und einer Wolke, welcher Juno ihre eigene Gestalt gegeben hatte, um sich den Unternehmungen dieses verwegenen Sterblichen zu entziehen. W.St. 36. Molossen. Große Schafhunde, von dem District Molossis in Epirus, wo ihre Race einheimisch war, so genannt. W.St. 38. Auf dessen Pfahl u. s. w. Der Feldgott Priapos, Beschützer der Fluren und Gärten, dessen Einfluß man die Fruchtbarkeit zuschrieb, weßhalb ihm die bildende Kunst, der alten Naturreligion folgend, die bei Natürlichem nicht an Unkeusches dachte, symbolisch sehr große Geschlechtstheile gab. Der auch der Fruchtbarkeit wegen eingeführten Sitte, welcher Wieland gedenkt, erwähnt der heilige Augustinus (de civitate Dei 6. 3. 7. 29.)St. 43. Augusta's Fürstensaal. Der große Saal auf dem Rathhause zu Augsburg. W.St. 48. Puget (Peter), berühmt als Bildhauer, Maler und Architekt, geb. 1623 zu Marseille, gest. 1695. Seine Bildhauerarbeit, sagt Fueßli, kann wegen ihres vortrefflichen Geschmacks, richtiger Zeichnung, edeln Charakters, schöner Empfindungen und einer glücklichen Fruchtbarkeit seines Genies mit den Werken des Alterthums verglichen werden. Der Marmor wurde unter seinem Meißel ganz belebt. Seine Gewänder sind mit solchem Verstand angelegt, daß man das Nackte dadurch spüren kann. — — Ueber Nahl vergl. über die Natur der Dinge V. 214 und Anm. 3. Bd. 25.St. 50. Kaschemire. Kaschmir, ein Land in dem Gebirg zwischen Klein-Tibet und Indien. Es macht, sagt Dow, gewissermaßen ein Thal aus, dessen Fruchtbarkeit und Schönheit jede Beschreibung übertrifft. Alle Reisebeschreiber schildern es als ein Paradies der Erde, und nach Johannes Müller war es das mosaische Paradies selbst. Der dortige Menschenstamm ist schön.St. 52. Katay, im nördlichen China.St. 54. Ich begreife nicht, wie der sorgfältigen Feile Wielands die zwei ersten Zeilen dieser Stanze haben entgehen können, die mir im Munde der Prinzessin und des Dichters hier gleich unschicklich scheinen.St. 62. Mirabelle. Name einer Fee in dem bekannten Mährchen Biribinker. W.St. 69. Titania. Shakspeare's Titania im St. Johannis-Nachtstraum. W.St. 73. Tantalus war bekanntlich dazu verdammt, in der Unterwelt im Wasser zu stehen und von Durst verzehrt zu werden; denn, wenn er danach haschte, entwich es vor ihm.St. 75. Chirons Brüderschaft, die Centauren (halb Mensch, halb Pferd); wenigstens hat die bildende Kunst diesen Erzieher der ritterlichen Jugend Griechenlands häufig als solchen dargestellt.St. 76. Buonarotti. Dieser Riesengenius unter den Künstlern der Neueren ist bekannter unter seinem Vornamen Michel Angelo.St. 78. Das Original von diesem Gemälde befindet sich ungleich stärker gezeichnet und colorirt in Marino's Adone, C. VIII. 55, 59, 60. W.St. 79. Schach Baham, allen Lesern der Tausend und Einen Nacht hinlänglich bekannt.St. 80. Merlin, ein berühmter Prophet des Mittelalters aus Schottland, über dessen Prophezeiungen der von seiner Zeit der Große genannte Alanus ab Insulis i. J. 1171 einen Commentar schrieb, der zugleich diese Prophezeihungen selbst enthält. (Gedruckt Frankfurt a. M. 1603) In dem romantischen Sagenkreise des britischen Königs Artus kommt er als Zauberer vor und ist Jedem wenigstens aus Ariosto bekannt.St. 85. Lord Georg Anson, geb. 1697, gest. 1762, gehört zu Englands berühmtesten Seehelden. Das, worauf Wieland hier anspielt, muß man in der unter Ansons Leitung verfaßten Beschreibung seiner Seereisen nachlesen.

Gesang 3.

St. 1. Das Thal Enna, fast in der Mitte von Sicilien, worin Pluto die Proserpina, die eben Blumen las, raubte, wird nicht bloß von Dichtern als vorzüglich reizend geschildert. — Dione steht hier statt Venus. Der hier gemeinte Hain der Venus ist der zu Paphos, in dessen Ausschmückung mit allem Reizenden alte und neue Dichter gewetteifert haben.St. 20. Gestrüpp. Ob das Wort Gestrüppe nur in Oberdeutschland gebräuchlich sey (wie in Adelungs Wörterbuch versichert wird), soll von Rechtswegen keinen Dichter kümmern, sondern, ob es mit Gesträuch völlig gleichbedeutend sey oder nicht vielmehr (wie beinahe alle Synonymen) eine besondere Bedeutung habe, welche eine Beschaffenheit bezeichnet, die nicht allen Gesträuchen zukommt. Nun gilt von diesem Worte das Leztere; denn Gestrüppe bedeutet ein struppiges, d. i. verwachsenes, verwirrtes und verwildertes Gesträuch; es ist also ein Wort, dessen die Dichtersprache nicht ohne Nachtheil entbehren kann. Eben dieß ist von allen brauchbaren Wörtern des oberdeutschen und niedersächsischen Dialekts zu sagen, für welche der meißnische kein Gleichbedeutendes hat. W.St. 23. Cynthiens Gespielen. Nymphen der Diana und ihre Begleiterinnen auf der Jagd.St. 35. Hebe. Göttin der Jugend, Mundschenkin im olympischen Göttersaal.St. 67. Es gehört zu den kritischen Problemen, ob hier der Dichter oder Astramond vergessen haben, was sie Stanze 58 sagten. Der Widerspruch ist schreiend genug. Wie will Astramond, nach dem, was er nur eben selbst erst gesagt hat, wohl Lila bereden, daß es außer ihm und ihr keine Menschen mehr gibt, da sie selbst, zumal nach St. 59, schon den Mogul kennt? Sollte es also nicht wahrscheinlich seyn, daß hier nur von einer so völligen Abgeschiedenheit von der übrigen Welt, wobei an eine Vereinigung mit ihr gar nicht zu denken sey, geredet würde? Gestehen muß ich freilich, daß der Schluß dieser Stanze dann wenigstens zweydeutig ausgedrückt ist: allein, da ich Wielanden ein so gar kurzes Gedächtniß nicht zutraue —wiewohl interdum bonus dormitat Homerus — so will ich doch lieber annehmen, er habe bei den wesenlosen Dingen, die von Betrug gezeugt in Lila's Hirn entspringen, lediglich an den Traum-Jüngling gedacht und nur diesem die Wirklichkeit abgesprochen. Daß er dieselben wesenlosen Dinge früher fremde genannt und sich gleichsam verbessernd erst wesenlose nennt, scheint dafür zu sprechen. Dann wäre wenigstens nur der rechte Ausdruck ein wenig verfehlt.St. 86. Uzim-Oschantey, ein Prinz, der in einem Mährchen in den Contes Tartares oder Mille et un quart d'heure seine Rolle spielt. W.St. 108. Ganymedes, ein schöner troischer Knabe, welchen Zeus in Gestalt eines Adlers raubte und im Olympos zum Mundschenken machte.St. 123. Medea, die kolchische Zauberin, schenkte als ihr Gemahl Jason sie verstoßen hatte, um sich mit Kreusa zu vermählen, dieser einen vergifteten Brautschleier, der bald seine fürchterliche Wirkung äußerte.St. 132. Vertumnus, der Herbstgott, von welchem Ovid (Met. 14. 6 3) erzählt, daß treue Liebe zu der schönen Gärtnerin Pomona (Obstgöttin) ihn zu allerlei Verwandlungen trieb. Er kam als Pflüger, Schnitter und Winzer, doch immer ohne Glück. Endlich erschien er in Gestalt eines alten Weibes und hat sie, doch ja gegen Vertumnus, ihren treuesten und eifrigsten Liebhaber, nicht länger spröde zu seyn. Schnell verwandelte er sich darauf in einen schonen Jüngling und hatte nun das rechte Mittel, Liebe für Liebe zu gewinnen.

Gesang 4.

St. 4. Für den Tyrannen Phalaris hatte Perillus einen ehernen Stier verfertigt, worin man einen Menschen braten konnte. Der Tyrann machte mit dem Künstler selbst den ersten Versuch. Wieland spielt wohl auf den stoischen Weisen an, welcher behauptete, auch in diesem glühenden Stier gebe es für den Weisen keinen Schmerz.St. 13. Lessing erklärte sich, besonders im Laokoon, gegen die Beschreibungen in der Erzählung und zeigte, wie bei Homer selbst diese sich in Handlung verwandeln.St. 14. Balustrade, Brustlehne, Geländer.St. 36. Den Ausschluß über diese Stanze findet man bei Lucian A. Mor. c. 13. fgg. Ueber die Venus mit dem schönen Hintern —denn von dieser ist die Rede — s. Manso's Myth. Verf. S. 211. fg.St. 37. Rousseau. Anspielung auf einige der beredtesten Briefe des St. Preux in der neuen Heloise.St. 55. Trebisond (Trebisonde), Trapezunt, Stadt in Kleinasien, gab ehemals dem trapezuntischen Kaiserthum den Namen, und Prinzen dieses Hauses gehören mit in den romantischen Sagenkreis von Amadis.

Gesang 5.

St. 5. Fee Mab, Shakspeare's Queen Mab, welche Mercutio in Romeo and Juliet beschreibt. W.St. 8. Yemen, Name des glücklichen Arabiens.St. 16. Parasangen, persische Meilen, der ehemals fünfundzwanzig auf einen Grad gerechnet wurden. W.St 24. Feuerkreis, zum sechsten Vers der 24sten Stanze. Les femmes des Salamandres sont belles et plus belles mème que toutes les autres, puisqu' elles sont d'un élément plus pur.Entretiens sur les Sciences secretes, Tom. I. p. 28. W.St. 40. Simaren, ein aus dem Französischen entlehntes Wort, womit vor etlichen Jahrhunderten eine Art von langem, schleppendem Kleide vornehmer Damen bezeichnet wurde. W.St. 47. Statue. Wir zweifeln sehr, ob dieses zwar ursprünglich fremde, aber schon so lange bei uns einheimische Wort (ungeachtet wir gelegentlich auch die Wörter Bild, Steinbild, Marmorbild u. s. w. statt desselben gebrauchen können) dem deutschen Dichter (dem es oft bequemer als jene ist) mit Recht genommen werden könne. Nur erinnern wir, daß es nicht wie das französische statue, sondern als ein deutsches Wort, das in der Aussprache einen Daktylus hören läßt, ausgesprochen werden müsse. W.St. 66. Trude, 1) Gemahlin eines Druiden (s. oben zu Ges. 1. St. 72), 2) Zauberin.St. 94. Sybariten. Die Einwohner von Sybaris in Unter-Jtalien waren wegen ihrer Weichlichkeit berüchtigt.St. 102. Marien von Agreden. S. zu Don Sylvio Buch 1. Cap. 12.St. 111. Heister, ein namhafter Anatom des vorigen Jahrhunderts, welchen Wieland hier dem kabbalistischen Paracelsus und dem arabischen Arzte Ibn Thosail entgegenstellt, weil diese ohne Anatomie über die Verbindung der Seele mit dem Leibe — viel mehr sagen konnten und viel mehr glaubten.
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