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C. M. Wieland's Werke.

Zehnter Band.

Leipzig.G. J. Göschen'sche Verlagshandlung.1854. Buchdruckerei der J. G. Cotta'schen Buchhandlung in Stuttgart.

Poetische Werke.

Inhalt.Seite

Komische Erzählungen.Diana und Endymion. Eine scherzhafte Erzählung .3
Das Urtheil des Paris. Eine scherzhafte Erzählung nach Lucian . . . .25
Aurora und Cephalus. Eine scherzhafte Erzählung . . . . . . . . . . .51
Kombabus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87
Die erste Liebe. An Psyche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119
Sixt und Clärchen oder der Mönch und die Nonne an dem
Mädelstein. Ein Gedicht in zwei Gesängen . . . . . . . . . . . . . . 137
Gandalin oder Liebe um Liebe. Ein Gedicht in acht Büchern . . . . . .159
Schach Lolo oder das göttliche Recht der Gewalthaber. Eine
morgenländische Erzählung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .279
Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .311

Komische Erzählungen .

Diana und Endymion.

Eine scherzhafte Erzählung.

1762.

In jener dichterischen Zeit,
Mit deren Wundern uns der Amme Freundlichkeit
Durch manches Mährchen einst in süßen Schlummer wiegte;
Als sorgenfreie Mäßigkeit
Sich ohne Pflichten, ohne Streit,
Mit dem, was die Natur freiwillig gab, begnügte,
Kein Mädchen spann, kein Jüngling pflügte,
Und Manches thunlich war, was Seneca verbeut;
Eh noch der Stände Unterscheid
Aus Brüdern Nebenbuhler machte,
Und gleißnerische Heiligkeit
Das höchste Gut der Sterblichkeit,
Den frohen Sinn, um seine Unschuld brachte;
Und kurz, in jener goldnen Zeit,
Als Mutter Isis noch, von keinem Joch entweiht,
Gesetze gab, wodurch sie glücklich machte,
Die Welt noch kindisch war, und Alles scherzt' und lachte:
In dieser Zeit lebt' einst auf Latmos Höhn
Ein junger Hirt, wie Ganymedes schön,
Schön, wie Narciß, doch nicht so spröde,
Wie Ganymed, allein nicht bald so blöde.
Sobald man weiß, Endymion
War schön und jung, so denkt ein Jedes schon,
Daß ihn die Mädchen gerne sahen;
Zum mindsten liefen sie nicht oft vor ihm davon,
Das läßt sich ohne Scheu bejahen.
Die Chronik sagt noch mehr, als ich
Den Musen selbst geglaubet hätte:
Sie buhlten, spricht sie, in die Wette
Um seine Gunst; sie stellten sich
Ihm, wo er ging, in Steg' und Wege,
Sie warfen ihm oft Blumen zu
Und flohn dann hinter ein Gehäge,
Belauschten seine Mittagsruh'
Und guckten, ob er sich nicht rege.
Man sagt, daß er im Bad sogar
Nicht immer ohne Zeugen war;
Allein wer kann so was beweisen?
Genug, der Tag begann die Stirne kaum zu weisen,
So wurde schon von mancher schönen Hand
Der Blumenflur ihr schönster Schmuck entwandt;
So putzte schon, dem Schäfer zu gefallen,
Im Hain', am Bache, sich der Nymphen ganze Schaar;
Die badet sich, die flicht ihr blondes Haar,
Die läßt es frei um weiße Schultern wallen.
Herab gebückt auf flüssige Krystallen
Belächelt sich die schöne Damalis.
Wie Vieles macht des Sieges sie gewiß!
Ein Mund, der Küssen winkt, ein Lilienhals und Nacken,
Der Augen feuchter Glanz, die Grübchen in den Backen,
Ein runder Arm und, o! der Thron der Lust,
Die blendende, kaum aufgeblühte Brust!
Mit einem Wort, nichts zeigt sich ihren Blicken,
Das nicht verdient, selbst Götter zu berücken:
Sie sieht's und denkt, ob Leda ihrem Schwan
Mehr Reizungen gewiesen haben kann?
Und zittert doch und wünscht: O, fände mich
Endymion nur halb so schön, als ich!
Die Schönheit wird mit Wunder angeblickt,
Doch nur Gefälligkeit entzückt.
War Juno nicht, war nicht Minerva schön,
Als Zeus den Paris ausersehn,
Den Streit der Schönheit zu entscheiden?
Man weiß, sie ließen sich, um bösen Schein zu meiden,
Dem Richter ohne Röcke sehn.
Sehr lange ließ der Hirt von einem Reiz zum andern
Die ungewissen Blicke wandern,
Und zehnmal rief ein neuer Blick
Den schon gefaßten Schluß zurück.
Untadelig ist Alles, was sie zeigen;
Beisammen sind sie gleich, allein
Scheint jede reizender zu seyn:
Was wird zuletzt des Schäfers Urtheil neigen?
Der Juno Majestät? der Pallas Würde? — Nein!
Die flößen nichts als Ehrfurcht ein;
Ein stärkrer Reiz wird hier den Ausschlag geben müssen.
Sie, die so zaubrisch lächeln kann,
Cythere lache ihn an — er fällt zu ihren Füßen
Und beut der Lächelnden den goldnen Apfel an.
Gefälligkeit raubt unserm Schäfer oft
Die Gunst, worauf umsonst die stolze Schönheit hofft.
Die blasse Schaar der halb verwelkten Wangen
Erwirbt durch zärtliches Bemühn,
Durch Blicke, die an seinen Blicken hangen,
Und süßen Scherz manch kleines Recht an ihn.
Wie eifern sie, ihn liebzukosen!
Die schmückt sein Lamm, die kränzt ihm Hut und Stab;
Der Lenz ward arm an Blüth' und Rosen,
Sie pflückten ganze Haine ab;
Sie wachten, daß ihn nichts in seinem Schlummer störte,
Sie pflanzten Lauben hin, wo er zu weiden pflag;
Und, weil er gerne singen hörte,
So sangen sie den ganzen Tag.
Des Tages Lust schließt bis zum Sternenglanz
Manch muntres Spiel und mancher bunte Tanz;
Und, trennt zuletzt die Nacht den frohen Reihn,
So schläft er sanft auf Rosenbetten ein.
Die Nymphen zwingt der keuschen Göttin Schein
Sich allgemach hinweg zu stehlen;
Sie zögern zwar, doch muß es endlich seyn.
Sie geben ihm die Hand, die angenehmen Seelen,
Und wünschen ihm wohl zehnmal gute Nacht;
Doch, weil der Schlaf sich oft erwarten macht,
Bleibt eine stets zurück, ihm Mährchen zu erzählen.
An Böses wurde nie von einem Theil gedacht.
Der Schäfer war vergnügt, das Nymphenvolk nicht minder;
In Unschuld lebten sie beisammen, wie die Kinder,
Zu manchem Spiel, wobei man selten weint,
Den ganzen Tag, oft auch bei Nacht, vereint,
Und träumten (zum Beweis, daß Alles Unschuld war)
Nichts weniger, als von Gefahr.
Der Nymphen schöne Königin
Erfuhr — man weiß nicht wie — vielleicht von einem
                       Faun,
Der sie beschlich — vielleicht auch, im Vertraun,
Von einer alten Schäferin
(Der, weil sie selbst nicht mehr gefiel,
Der Jugend eitles Thun mißfiel),
Kurz, sie erfuhr das ganze Schäferspiel.
Man kennt den strengen Sinn
Der schönen Jägerin,
Die in der Götterschaar
Die größte Spröde war.
Kein Sterblicher, kein Gott vermochte sie zu rühren.
Was sonst die Sprödesten vergnügt,
Sogar der Stolz, selbst unbesiegt
Die Herzen im Triumph zu führen,
War ihrem größern Stolz zu klein.
Sie zürnte schon, nur angesehn zu seyn,
Bloß, weil er sie vom Wirbel bis zur Nase
Im Bad' erblickt, ward — Akton einst — ein Hase.
Dieß Beispiel flößte selbst dem Satyr Ehrfurcht ein.
Ihr schien ein Blick sie schon zu dreiste anzufühlen;
Kein Zephyr wagt' es, sie zu kühlen,
Und keine Blume schmückt' ihr Haar,
Die einst, wie Hyacinth, ein schöner Knabe war;
Von Liebe nur im Schlaf zu sprechen,
Hieß bei Dianen schon ein strafbares Verbrechen;
Kurz, Männerhaß und Sprödigkeit
Trieb selbst Minerva nicht so weit.
Man rathet leicht, in welche Wuth
Der Nymphen Fall sie setzen mußte!
Es tobt' ihr jungfräuliches Blut,
Daß sie sich kaum zu fassen wußte.
So zornig sahn die guten Kinder sie
In einem andern Falle nie.
Kallisto ließ sich doch von einem Gott besiegen:
Das milderte die Schnödigkeit der That;
Doch, einem Hirten unterliegen,
Wahrhaftig! dieß war Hochverrath.
Ein fliegender Befehl citirt aus allen Hainen
Das Nymphenvolk, persönlich zu erscheinen.
Sie schleichen allgemach herbei,
Und keine läuft, daß sie die erste sey.
Die Göttin steht an ihren Spieß gelehnt
Und sieht mit einem Blick, der ihren Kummer höhnt,
Im ganzen Kreise nichts, als feuerrothe Wangen
Und Augen, die zur Erde niederhangen.
Hofft (spricht sie) nicht, durch Leugnen zu entgehn,
Man wird euch bald die Zunge lösen können;
Und werdet ihr nicht gütlich eingestehn,
So soll euch mir der Gott zu Delphi nennen.
Durch Zaudern wird die Schuld nicht gut gemacht:
Nur hurtig! Jede von euch Allen,
Die sich verging, lass' ihren Schleier fallen!
Sie spricht's und — ach! wer hätte das gedacht?
Die Göttin spricht's, und — alle Schleier fallen.
Man stelle sich den Lärmen vor,
Den die beschämte Göttin machte,
Indeß der lose Cypripor
Auf einer Wolke saß und laut herunter lachte.
"Wie? rief sie voller Wuth empor,
(Und selbst die Wuth verschönert ihre Wangen)
Du, Wildfang, hast dieß Unheil angestellt
Und kommst noch gar, damit zu prangen?
Zwar rühmst du dich, daß alle Welt
Für ihren Sieger dich erkenne;
Daß Vater Zeus sogar, so oft es dir gefällt,
Von unerlaubten Flammen brenne
Und bald als Drache, bald als Stier,
Bald als ein böckischer Satyr
Und bald mit Stab und Schäfertasche
Der Nymphen Einfalt überrasche;
Doch trotze nicht zu viel auf deine Macht!
Die Siege, die dir noch gelungen,
Hat man dir leicht genug gemacht:
Wer selbst die Waffen streckt, wird ohne Ruhm bezwungen.
Auf mich, auf mich, die deine Macht verlacht,
Auf meine Brust laß deine Pfeile zielen!
Ich fordre dich vor tausend Zeugen auf!
Sie werden sich vor halbem Lauf'
In meinen feuchten Strahlen kühlen
Und stumpf und matt um meinen Busen spielen.
Du lachst? — So laß doch sehn, wie viel dein Bogen kann.
Versuch's an mir und sieg' — und lache dann!
Doch ständ' es dir, versichert, besser an,
Du kämst, statt Köcher, Pfeil und Bogen,
Mit einem — Vogelrohr geflogen.
Latonens Kindern nur gebührt
Der edle Schmuck, der deinen Rücken ziert.
Bald hätt' ich Lust, dich wehrlos heimzuschicken
Und, weil der Flug dich nur zur Schelmerei verführt,
Dir deine Schwingen auszupflücken.
Doch flieh' nur, wie du bist; laß meinen Hain in Ruh',
Auf ewig flieh' aus meinen Blicken
Und flattre deinem Paphos zu! zu!
Dort tummle dich auf Rosenbetten
Mit deinen Grazien und spiele blinde Kuh
Mit Zephyrn und mit Amoretten!"
Diana spricht's. Mit lächelndem Gesicht'
Antwortet ihr der kleine Amor — nicht:
Gelassen langt er nur, als wie von ungefähr,
Den schärfsten Pfeil aus seinem Köcher her;
Doch steckt er ihn, als hätt' er sich bedacht,
Gleich wieder ein, sieht Phöben an und lacht.
Wie reizend schminkt der Eifer deine Wangen!
(Ruft er und thut zugleich, als wollt' er sie umfangen)
Ich wollte dir, wie Amors Wunde sticht,
Ein wenig zu versuchen geben;
Allein, bei meiner Mutter Leben!
Es braucht hier meiner Pfeile nicht.
An Spröden, die mir Hohn gesprochen,
Hat mich noch allezeit ihr eignes Herz gerochen:
Drum, Schwesterchen (doch unter dir und mir),
Was nützt der Lärm? er könnte dich gereuen.
Weit sichrer wär's, die kleine Ungebühr
Den guten Nymphen zu verzeihen.
Die Nymphen lächelten, und Amor flog davon.
Die Göttin zürnt und rächt an ihnen
Des losen Spötters Hohn.
Unwürdige — mir mehr zu dienen
(Sprich sie mit ernstem Angesicht),
Zur Strafe der vergess'nen Pflicht
Hat euch mein Mond zum letzten Mal geschienen.
Sobald sein Wagen nur den Horizont besteigt,
Sey euch verwehrt, im Hain herum zu streichen,
Bis sich des Tages Herold zeigt!
Entflieht mit schnellem Fuß, die einen in die Eichen,
Die übrigen zu ihren Urnen hin;
Dort liegt und schlaft, solang' ich Luna bin;
Sie spricht's und geht, die Drachen anzuspannen,
Die ihren Silberwagen ziehn,
Und die bestraften Nymphen fliehn
Mehr traurig, als bekehrt, von dannen.
Der Tag zerfließet nun
Im allgemeinen Schatten,
Und alle Wesen ruhn,
Die sich ermüdet hatten.
Es schlummert Thal und Hain,
Die Weste selbst ermatten
Von ihren Buhlerein
Und schlafen unter Küssen
Im Schoße von Narcissen
Und Rosen gähnend ein.
Der junge Satyr nur
Verfolgt der Dryas Spur;
Er reckt sein langes Ohr
Bei jedem leisen Zischen
Aus dem Gesträuch hervor,
Ein Nymphchen zu erwischen,
Das in den finstern Büschen
Vielleicht den Weg verlor.
Er sucht im ganzen Hain
Mit wohl zerzausten Füßen;
Umsonst! der Göttin Dräun
Zwang sie, sich einzuschließen;
Die armen Mädchen müssen
Für kürzre Nächte büßen
Und schlafen jetzt allein.
Dem Faun sinkt Ohr und Muth;
Er kehrt mit kühlerm Blut
Beim ersten Morgenblick
Zu seinem Schlauch zurück:
Er denkt, mich zu erhenken,
Da müßt' ich albern seyn;
Ich will die Liebespein
In süßem Most ertränken!
Indessen schwebt der Göttin Wagen schon
Nah' über jenem Ort, wo in des Geißblatts Schatten
Die Nymphen dir, Endymion,
Vielleicht auch sich, so sanft gebettet hatten.
Wie reizend lag er da! — Nicht schöner lag Adon
An seiner Göttin Brust, die seinen Schlaf bewachte,
Mit liebestrunknem Blick' auf ihren Liebling lachte
Und still entzückt auf neue Freuden dachte;
Nicht schöner lag, durch doppelte Gewalt
Der Feerei und Schönheit überwunden,
Der wollustathmende Rinald
Von seiner Zaubrerin umwunden,
Als hier, vom Schlaf gebunden,
Endymion. — Gesteht, daß die Gefahr
Nicht allzu klein für eine Spröde war!
Das Sicherste war hier — die Augen zuzumachen.
Sie that es nicht und warf, jedoch nur obenhin
Und blinzelnd, einen Blick auf ihn.
Sie stutzt und hemmt den Flug der schnellen Drachen,
Schaut wieder hin, erröthet, bebt zurück
Und suchet mit verschämtem Blick,
Ob sie vielleicht belauschet werde;
Doch, da sie ganz allein sich sieht,
Lenkt sie mit ruhigerm Gemüth
Den Silberwagen sanft zur Erde;
Bückt sich, auf ihren Arm gestützt,
Mit halbem Leib heraus und überläßt sich jetzt
Dem Anschaun ganz, womit nach Platons Lehren
Sich in der andern Welt die reinen Geister nähren.
Ein leicht beschattendes Gewand
Erlaubt den ungewohnten Blicken
Nur allzu viel — sie zu berücken.
Man sagt sogar, sie zog mit leiser Hand
Auch dieses weg — doch wer hat zugesehen?
Was sagt man nicht? — Und wär' es auch geschehen,
So zog sie doch beim ersten Blick
Gewiß die Hand so schnell zurück
Als jenes Kind, das einst im Grase spielte,
Nach Blumen griff und eine Schlange fühlte.
Indessen klopft, vermischt mit banger Lust,
Ein süßer Schmerz in ihrer heißen Brust;
Ein zitterndes, wollüstiges Verlangen
Bewölkt ihr schwimmend Aug' und brennt auf ihren Wangen.
Wo, Göttin, bleibt dein Stolz, die harte Sprödigkeit?
Dein Busen schmilzt wie Schnee in raschen Flammen!
Kannst du die Nymphen noch verdammen?
Was ihre Schuld verdient, ist's Tadel oder — Neid?
Die Neugier hat, wie Zoroaster lehrt,
Von Anbeginn der Weiber Herz bethört.
Man denkt, ein Blick, von ferne, von der Seiten,
Ein bloßer Blick, hat wenig zu bedeuten.
O! glaubet mir, ihr habt schon viel gethan:
Der erste Blick zieht stets den andern an;
Das Auge wird (so sagt ein weiser Mann)
Nicht satt vom Sehn, und Lunens Beispiel kann
Uns hier, wie wahr er sagte, lehren.
Der Gegenstand, der Ort, die Zeit
Wird die Entschuldigung der Göttin machen müssen.
Selbst ihre Unerfahrenheit
Vermindert ihre Strafbarkeit.
So neu sie war, wie kann sie wissen
(Wie Manche wissen's nicht!), daß man
Vom Sehn sich auch berauschen kann?
Sie schaut, und da sie so, wie aus sich selbst gerissen,
So unersättlich schaut, kommt sie ein Lüstern an,
Den schönen Schläfer gar — zu küssen.
Zu küssen? — Ja: doch, man verstehe mich,
So züchtig, so unkörperlich,
So sanft, wie junge Zephyrn küssen;
Mit dem Gedanken nur
Von einem solchen Kuß,
Wovon Ovidius
Die ungetreue Spur
Nach mehr als einer Stunde
(Laut seiner eignen Hand)
Auf seines Mädchens Munde
Und weißen Schultern fand.
Es kostet ihr, den Wunsch sich zu gestehen.
Sie lauscht und schaut sich um. Doch allgemeine Ruh'
Herrscht weit umher im Thal' und auf den Höhen.
Kein Blättchen rauscht. Jetzt schleicht sie leis' hinzu,
Bleibt unentschlossen vor ihm stehen,
Entschließt sich, bückt sich sanft auf seine Wangen hin,
Die, Rosen gleich, in süßer Röthe glühn,
Und spitzt die Lippen schon, und jetzt — jetzt wär's geschehen,
Als eine neue Furcht (wie leicht
Wird eine Spröde scheu!) sie schnell zurück scheucht.
"Sie möcht' es noch so leise machen,
So könnte doch der Schläfer dran erwachen.
Was folgte drauf? Sie mußte weiter gehn,
Ihm ihre Neigung eingestehn,
Um seine Gegenliebe flehn
Und sich vielleicht — wer könnte das ertragen?
Vielleicht sich abgewiesen sehn —
Welch ein Gedanke! Kann Diana so viel wagen?
Bei einer Venus, ja, da möchte so was gehn!
Die gibt oft ungestraft den Göttern was zu spaßen
Und kann sich eh' im Netz' ertappen lassen,
Als ich, die nun einmal die Spröde machen muß,
Bei einem armen trocknen Kuss'.
Und wie? Er sollte mich zu seinen Füßen sehn?
Dianens Ehre sollt' in seiner Willkür stehn?
Wie? wenn er dann den Ehrfurchtsvollen machte,
(Man kennt der Schäfer Schelmerei)
Und meiner Schwachheit ohne Scheu'
An einer Nymphe Busen lachte?
Wie würde die der Rache sich erfreun
Und meine Schmach von Hain zu Hain
Den Schwestern in die Ohren raunen!
Die Eine spräch's der Andern nach,
Bald wüßten's auch die Satyrn und die Faunen
Und sangen's laut beim nächtlichen Gelag'.
In Kurzem eilte die Geschichte,
Vermehrt, verschönt, gleich einem Stadtgerüchte,
Bis zu der obern Götter Sitz,
Dem Momus, der beim Saft der Nektarreben
Die Götter lachen macht, und Junons scharfem Witz
Beim Theetisch neuen Stoff zu geben.'
Die Göttin bebt, erblaßt und glüht
Vor so gefährlichen Gedanken;
Und wenn sie dort die Neigung zieht,
So macht sie hier die Klugheit wanken.
Man sagt, bei Spröden überzieh'
Die Liebe doch die Vorsicht nie.
Ein Kuß mag freilich sehr behagen,
Doch ist's am Ende nur ein Kuß;
Und Freuden, wenn man zittern muß,
Sind doch (was auch Ovide sagen)
Für Schönen nicht gemacht, die gerne — sicher gehn.
Schon fängt sie an, nach ihrem Drachenwagen
Unschlüssig sich herumzudrehn;
Schon weicht ihr scheuer Fuß — doch bleibt er wieder stehn;
Sie kann den Trost sich nicht versagen,
Nur ein Mal noch (was ist dabei zu wagen?)
Den schönen Schläfer anzusehn.
"Noch ein Mal? ruft ein Loyalist:
Und heißt denn das nicht Alles wagen?"
Vielleicht; doch ist es, wie ihr wißt,
Genug, die Göttin loszusagen,
Daß sie es nicht gemeint. Die Frist
War allzu kurz, euch Raths zu fragen;
Und überdieß, vergönnet mir zu sagen,
Daß Pater Escobar auf ihrer Seite ist.
Vorsichtig oder unvorsichtig,
Uns gilt es gleich; genug, so viel ist richtig,
Sie bückte sich noch ein Mal hin und sah
(Doch mit dem Vorsatz', ihn auf ewig dann zu fliehen)
Den holden Schläfer an. — Betrogne Cynthia!
Schon kann sie ihm den Blick nicht mehr entziehen,
Und bald vergißt sie auch zu fliehen.
Ein fremdes Feuer schleicht durch ihren ganzen Leib,
Ihr feuchtes Aug' erlischt, die runden Knie erbeben.
Sie kennt sich selbst nicht mehr und fühlt in ihrem Leben
Sich jetzt zum ersten Mal — ein Weib.
Erst ließ sich ihr Gelüst mit einem Kusse büßen,
Jetzt wünscht sie schon — sich satt an ihm zu küssen;
Nur macht sie stets die alte Sorge scheu.
Diana muß sich sicher wissen
Und wird ein wenig Feerei
Zu brauchen sich entschließen müssen.
Es wallt durch ihre Kunst
Ein zauberischer Dunst,
Von Schlummerkräften schwer
Um ihren Liebling her.
Er dehnt sich, streckt ein Bein
Und schläft bezaubert ein.
Sie legt sich neben ihn
Aufs Rosenlager hin
(Es hatte, wie wir wissen,
Für eine Freundin Raum),
Und, unter ihren Küssen
Den Schlaf ihm zu versüßen,
Wird jeder Kuß — ein Traum.
Ein Traumgesicht von jener Art,
Die oft, trotz Scapulier und Bart,
Sanct Franzens fette Seraphinen
In schwüler Sommernacht bedienen;
Ein Traum, wovor, selbst in der Fastenzeit,
Sich keine junge Nonne scheut;
Der (wie das fromme Ding in seiner Einfalt denket)
Sie bis ins Paradies entzückt,
Mit einem Strom von Lust sie tränket
Und schuldlos fühlen läßt, was nie ihr Aug' erblickt.
Ob Luna selbst dabei was abgezielet;
Ob ihr das schelmische Gesicht,
Cupido, einen Streich gespielet, —
Entscheidet die Geschichte nicht.
Genug, wir kennen die und den,
Die gerne nie erwachen wollten,
Wenn sie Aeonen lang so schön
Wie unser Schäfer träumen sollten.
Was Jupiter als Leda's Schwan
Und als Europens Stier gethan,
Wie er Alkmenen hintergangen
Und wie der hinkende Vulcan
Sein Weibchen einst im Garn gefangen;
Wie stille Nymphen oft im Hain
Dem Faun zum Raube werden müssen;
Wie sie sich sträuben, bitten, dräun,
Ermüden, immer schwächer schrein
Und endlich selbst den Räuber küssen;
Des Weingotts Zug, und wie um ihn
Die taumelnden Bacchanten schwärmen,
Wie sie von trunkner Freude glühn
Und mit den Klapperblechen lärmen;
Sie wiehern laut ihr Evoe!
Es hallt zurück vom Rhodope;
Der Satyr hebt mit rasender Geberde
Die nackte Mänas in die Höh'
Und stampft in wildem Tanz die Erde.
Ein sanfter Anblick folgt dem rohen Bacchanal.
Ein stilles, schattenvolles Thal
Führt ihn der Höhle zu, wo sich die Nymphen baden;
Diana selbst erröthet nicht
(Man merke, nur im Traumgesicht
Und von geschäftigen Najaden
Fast ganz verdeckt), von ihm gesehn zu seyn.
Welch reizendes Gewühl! Es scheint vom Wiederschein
So mancher weißen Brust, die sich im Wasser bildet,
So manches goldnen Haars, die Flut hier übergüldet,
Dort Schnee im Sonnenglanz zu seyn.
Sein trocknes Auge schlingt mit gierig offnen Blicke
So viele Reizungen hinein,
Er schwimmt in lüsternem Entzücken
Und wird vor Wunder fast zum Stein.
Man glaubt, daß Cynthia hierbei
Nicht ungerührt geblieben sey.
So süß auch Küsse sind, wenn wir Tibulle hören,
So haßt doch die Natur ein wenig Einerlei.
Beim Nektartisch' und beim Concert der Sphären
Sind Götter selbst nicht stets von langer Weile frei.
Zum mindsten sagt's Homer. Wie wird denn satt von Küssen,
Diana sich zu helfen wissen?
Sie that (so sagt ein Faun, der sie beschlichen hat),
Was Platon's Penia im Göttergatten that.
Was that denn die? — wird hier ein Neuling fragen.
Sie legte — Ja doch! nur gemach!
Schlagt euren Plato selber nach;
Es läßt sich nur auf Griechisch sagen.
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Das Urtheil des Paris.

Eine scherzhafte Erzählung nach Lucian.

1764.

Aus dreien Reizenden die Schönste auszuwählen,
Fand Aristipp, ein weiser Mann, nicht leicht:
Er guckte lang', und, sich an keiner zu verfehlen,
Erwählt' er alle drei; unweislich, wie mich däucht.
Der Mann verstand sich nicht auf Weiberseelen;
Sein Grund hält wenigstens nicht Stich.
Ein Kenner, Ihr, Herr Leser, oder ich,
Wir hätten uns um eine doch von dreien
Durch unsre Wahl verdient gemacht,
Anstatt, wie er, mit allen dreien
Uns ohne Vortheil zu entzweien.
Just so wie wir hat Paris einst gedacht,
Als ihm, den goldnen Preis der Schönsten zuzusprechen,
Ein Götterwink zur Pflicht gemacht.
Anstatt den Kopf sich lange zu zerbrechen,
Erklärt' er sich, um eine hübsche Nacht,
Für die gefällige Cythere.
Freund Lucian, der Spötter, sagt uns zwar
Von diesem Umstand nichts; doch, wär' er auch nicht wahr,
So macht' er doch dem Witz des Richters Ehre.
Wer kennt ihn nicht, den Spötter Lucian?
Wer bei ihm gähnt, der schnarchte wohl am Busen
Cytherens beim Gesang der Musen.
Daß Niemand feiner scherzen kann,
Daß er ein schöner Geist, ein Kenner,
Ein Weltmann war, gesteht ihm Jeder ein;
Doch wünschen Tillemont und andre wackre Männer
Wie gutem Fug, er möchte frömmer seyn.
Was uns betrifft, die gern sokratisch lachen,
Uns dient er oft zum wahren Aeskulap;
Er treibt die Blähungen der Seele sanft uns ab
Und weiß die Kunst, mit Lächeln oder Lachen
Und klüger oft, vergnügter stets zu machen:
Und das ist mehr, gesteht's, als mancher große Mann
In Folio und Quarto leisten kann.
Um euch aus ihm für dieß Mal zu erbauen,
Erzähl' ich euch den Streit der schönen Götterfrauen.
Sie flammte noch, von Eris angeschürt,
Die Fehde, ohne die Fürst Priam unbezwungen,
Achillens Zorn und Hektor unbesungen,
Herr Menelas am Vorhaupt ungeziert,
Und seine schöne Frau, zu ihrer größern Ehre,
Uns unbekannt geblieben wäre;
Der Zank, der Götter selbst in Hochzeitfreuden stört,
Und wahrlich nicht um Kleinigkeiten;
Nicht, was die Linien im Buch Ye-kin bedeuten?
Ob Dudeldum, ob Dudeldei
Der Musen größrer Günstling sey?
Ob Käuzchen oder Eule besser singe?
Nicht, ob das erste Huhn am Anfang aller Dinge
Vor oder nach dem ersten Ei
Gewesen, noch wie hoch ein Floh im Dunkeln springe?
Nicht, wie Saturn zu seinem Ringe,
Noch wie der Mann im Mond zum Mond gekommen sey?
Göttinnen machten auch um nichts so viel Geschrei
Wie Philosophen und — wie Kinder!
Der Streit betraf nicht mehr noch minder
Als — wer die Schönste sey?
Um diesen Preis kann man zu viel nicht wagen.
Die Damen schreien nicht allein:
Das Nymphenvolk aus Flüssen, Meer und Hain
Hat auch zur Sache was zu sagen;
Die Zofen kriegten sich bereits beim goldnen Haar,
Und kurz, es war nicht weit vom Schlagen,
Als Vater Zeus, dem hier nicht wohl zu Muthe war,
Weil Alle stürmend in ihn dringen,
Ihm seinen Ausspruch abzuzwingen,
Sich glücklich einer List besann.
Er spricht: Man weiß, daß ich, als dieser Göttin Mann
Und jener zwei Papa, nicht gültig sprechen kann;
Denn (was auch unsre Priester sagen)
Parteilichkeit steht Gottern übel an.
Zum Richter weiß ich euch nur Einen vorzuschlagen,
Der tauglich ist: er ist aus Ilion,
Ein junger Hirt, wiewohl ein Königssohn;
Schön wie der Tag, geübt in solchen Fragen,
Ein Dilettante und zugleich
Ein Kenner, kurz ein Mensch von ungemeinen Gaben.
Der, Kinderchen, der ist der Mann für euch!
Ihr könnet wider ihn nichts einzuwenden haben.
Doch redet frei, denn mir gilt Alles gleich.
Meinthalben (spricht mit hohem Selbstvertrauen
Saturnia) mag Momus Richter seyn!
Und ich, fällt Cytheria ein,
Ich rühme mich zwar nicht so hoher Augenbrauen,
Doch lass' ich mir vor keiner Prüfung grauen:
Ist Paris nur nicht blind, so hat's wohl keine Noth.
Minerva schweigt und läßt ihr Köpfchen schmollend hangen.
Und du, spricht Zeus, indem er in die Wangen
Die Tochter freundlich kneipt, du schweigest und wirst roth?
Doch, Jungfern machens so, wenn von dergleichen Sachen
Die Rede ist: ihr Schweigen gilt für Ja.
Wohlan, Merkur steht schon gestiefelt da;
Ihr könnt euch auf die Reise machen.
Vergeßt die Hüte nicht; der Tag ist ziemlich heiß,
Und, wie ihr wißt, macht Sonnenschein nicht weiß.
Das Reiseprotokoll, und was sie auf den Straßen
Gesehn, gehört, geschwatzt, das will ich euch erlassen.
Man hebt den einen Fuß, man setzt den andern hin
Und kommt, wie Sancho sagt, dabei doch immer weiter;
Auch kürzt den Weg der aufgeweckte Sinn
Von ihrem schwebenden Begleiter.
Der ganze Chor der Götter wird
Von Glied zu Glied anatomirt;
Man steigt herab zu Faunen und Najaden;
Selbst von den Grazien, die im Kocyt sich baden;
Wird viel erzählt, vielleicht auch viel erdacht,
Das ihnen nicht die größte Ehre macht;
Nur der Erweisungslast will Niemand sich beladen.
Inzwischen langt die schöne Karavan
Bei guter Zeit am Fuß des Jda an.
Man weiß, daß Götter nicht wie Deputirte reisen.
Der Berg war hoch, mit Busch und Holz bedeckt,
Und im Gesträuch der krumme Pfad versteckt.
Hier könnte Venus uns den Weg am besten weisen,
Fängt Juno an: des Orts Gelegenheit
Muß ihr noch aus Anchisens Zeit
In frischem Angedenken liegen.
Es hieß (vielleicht aus bloßem Neid),
Sie sey auf Jda oft zu ihm herabgestiegen
Und hab' ihm da, nach Nymphenart geschürzt,
Als Jägerin die Zeit verkürzt.
Dein Spott, versetzt Jdalia mit Lachen,
Kann, glaube mir, mich niemals böse machen:
Man weiß doch wohl — die Damen (fällt Mercur
Sehr weislich ein) geruhen sämmtlich nur
Mir nachzugehn; das ganze Phrygerland
Jda sonderlich Undist mir genau bekannt.
Ich ward, eh Ganymed ein Amt im Himmel fand,
Von Jupiter sehr ort hierher gesandt,
Daß ich den Weg im Dunkeln finden wollte.
Ich geh voraus — Schon öffnet sich der Hain:
Soviel ich hier die Gegend kenne, sollte,
Der Richter nicht mehr weit — Seht ihr auf jenem Stein,
Dort, wo die Ziege grast, den schönen Hirten sitzen?
Unfehlbar wird es Paris seyn —
Er ist's, beim Styx! Der wird die Ohren spitzen,
Wenn er erfährt, was unsre Absicht ist!
Ich red' ihn an — Sey mir gegrüßt,
Du junger Hirt! — "Ihr auch, mein hübscher Herr!
Was führet euch in diese wilden Höhen?
Und jene Mädchen dort, die bei der Eiche stehen?
Wer sind sie? Schön, beim Jupiter!
So schöne hab' ich nie gesehen.
Die schwitzten wohl nicht oft im Sonnenschein!
Sie übertreffen ja die Schwanen selbst an Weiße!
Es müssen — ja, so wahr ich Paris heiße!
Es müssen Feen seyn!"
Nah zu, mein Freund! Du kannst dich glücklich preisen,
Der ganze Himmel hat nichts Schöners aufzuweisen.
Göttinnen sind's — "Göttinnen? nun, beim Pan!
Das dacht' ich gleich, ich sah es ihnen an;
Doch sind's die ersten, die ich sehe."
Versichre dich's, wir kommen aus der Höhe;
Du siehst Gesichter hier, wie man's dort oben trägt:
Sie haben nur die Strahlen abgelegt,
Die, wie du weißt, sonst Götterköpfe schmücken
(Denn diese könntest du nicht ungestraft erblicken),
So thun sie nichts. Gib nur auf Alles Acht!
Die große hier, die über Alle raget,
Hat Jupiter vorlängst zu seiner Fran gemacht.
Doch siehst du selbst, der Morgen, wenn es taget,
Ist kaum so frisch; das macht der Götterstand!
Die vollste Rose prangt nicht prächtiger am Stocke.
Die andre dort, im krieg'rischen Gewand
Mit Helm und Speer, wird Pallas zubenannt.
Und diese da, im leichten Unterrocke,
Mit offner Brust, die unterm Spitzenrand
Des kleinen Huts hervor so schalkhaft nach uns schielet,
Ist (wenn dein Herz sie nicht bereits gefühlet)
Dem Namen nach als Venus dir bekannt.
Was zitterst du? Sey ohne Grauen!
Göttinnen, glaub' es dem Mercur,
Sind eine gute Art von Frauen;
Ihr hoher Stolz sitzt in der Miene nur.
Du kennst sie nun: betrachte sie genau;
Denn Zeus verlangt, nach vorgenommner Schau,
Den Ausspruch, welche dir die Schönste däucht, von dir.
Der Preis des Wettstreits ist der goldne Apfel hier.
Die Aufschrift sagt: Die Schönste soll mich haben.
Nun steht's bei dir, die Schönste zu begaben.
Der junge Hirt zückt, da er dieses hört,
Die Achseln und versetzt: Herr Hermes, wie ich höre,
Erweiset Jupiter mir allzu viele Ehre.
Ich bin, beim Pan! nicht so gelehrt,
Zum wenigsten nicht, daß ich's wüßte;
Auch seh' ich nicht, woher mir's kommen müßte:
Ich bin ein Hirt, der nichts gesehen hat
Als Küh' und Schafe, Fichten, Eichen
Und Mädchen, die — nicht diesen gleichen.
Dergleichen Fragen sind für Leute in der Stadt.
Fragt mich, ob diese junge Ziege,
Ob jene schöner sey, das weiß ich auf ein Haar.
Von euren Mädchen hier thut jede mir Genüge.
Sie sind ja alle schön und schlank und glatt;
Die Schönste, denk' ich, ist, die man gerade hat:
Und also, weil mir alle drei gefallen,
So geb' ich euern Apfel — allen.
Das geht nicht an, versetzt ihm Majens Sohn:
Du kommst hier nicht so leicht davon!
Zeus will, du sollst als Richter sprechen;
Und, was er will, ist ein Gesetz,
Das ungestraft wir Götter selbst nicht brechen.
Nun, rief Saturnia, wenn endet das Geschwätz?
Die Herren wissen schlecht zu leben;
Man läßt uns stehn und schwatzt! —Wohlan, versetzt der Hirt,
Zeus will; ich muß mich schon ergeben;
Man sagt uns, daß durch Widerstreben
Nicht viel an ihm gewonnen wird.
Doch müßt ihr mir die Hand drauf geben,
Daß, weil doch Eine nur die Schönste heißen kann,
Der Andern keine mich deßhalb befeinden wolle;
Sonst dank' ich für die Richterrolle;
Mich ficht der Ehrgeiz gar nicht an.
"Wir schwören dir's beim Styx!" — Wohlan!
So tretet her und stellt euch an einander.
Den Kopf zurück! — So! so! Beim großen Pan!
Die Schönste, die ich jemals im Skamander
In Sommernächten baden sah,
War gegen diese da — ein Affe!
Doch, lieber Herr Mercur, ich bitte, macht mich klug;
Mir fällt, indem ich sitz' und gaffe,
Ein Zweifel ein. Ist's denn auch schon genug,
Sie so gekleidet zu betrachten?
Mich däucht, wenn sie sich leichter machten,
Dieß sicherte mein Urtheil vor Betrug.
"Das steht bei dir: man kann dem Richter nichts verwehren,
Was dienen kann, sein Urtheil aufzuklären."
  Nun wohl, fährt Paris fort und schneid't ein Amtsgesicht;
So sprech' ich denn, wozu mich Amt und Pflicht
Ohn' Ansehn der Person verbindet:
Weil, wie bekannt, sich zwischen Hals und Fuß
Verschiednes eingehüllt befindet,
Das in Betrachtung kommen muß,
Und das Apollo selbst durch Rathen nicht ergründet,
So zeigt euch alle drei in Naturalibus!
Wie, meinst du, würden unsre Weiber
Zu einem solchen Antrag schrein?
Der Aufruhr wär' unfehlbar allgemein.
Das gingen sie in Ewigkeit nicht ein!
Sie sollten ihre heil'gen Leiber
Vor Männeraugen so entweihn?
Sich kritisch untersuchen lassen,
Ob nichts zu groß, ob nichts zu klein,
Zu lang, zu kurz? ob alle Theile fein
Symmetrisch an einander passen,
Durch ihre Nachbarschaft einander Reize leihn,
Schön an sich selbst, im Ganzen schöner seyn?
Auch ob ihr Fell durchaus so rein
Und glatt und weiß, wie ihre Hände?
Kein schwarzer Fleck, kein stechend Bein
Den weichen Alabaster schände;
Und kurz, im ganzen Werk, von Anfang bis zu Ende,
Der Kunst gemäß, auch Alles edel, frei,
Untadelig und rund und lieblich sey?
Das thäten sie (ich rede nicht von allen)
Dem Amor selbst nicht zu Gefallen.
Gut! Aber mehr Entschlossenheit
Fand Paris bei den Götterfrauen.
Sie zeigten ihm ein edles Selbstvertrauen
Und keine Spur von Furchtsamkeit.
Nur Pallas schlägt die Augen züchtig nieder,
Wie Jungfern ziemt; sie sträubt sich lange noch,
Da Juno schon gehorcht, und hofft, man lass' ihr doch
Zum wenigsten — ein Röckchen und ihr Mieder.
"Ein Röckchen? Ei, das wäre fein!
Des Richters Ernst geht keine Clauseln ein.
Nur hurtig! zieht euch ab! Was seyn soll, muß geschehen!
Ruft Hermes. Mich darf keine scheun;
Ich werd' indeß bei Seite gehen."
Kaum ist er weg, so steht schon Cypria,
Voll Zuversicht, in diesem Streit zu siegen,
In jenem schönen Aufzug da,
Worin sie sich (das lächelnde Vergnügen
Der lüsternen Natur) dem leichten Schaum' entwand,
Sich selbst zum ersten Mal voll süßen Wunders fand
Und, im Triumph' auf einem Muschelwagen
An Paphos reizendes Gestad
Von frohen Zephyrn hingetragen,
Im ersten Jugendglanz die neue Welt betrat:
So steht sie da, halb abgewandt
(Wie zu Florenz), und deckt mit einer Hand,
Erröthend, in sich selbst geschmieget,
Die holde Brust, die kaum zu decken ist,
Und mit der andern — was ihr wißt.
Die Zauberin! Wie ungezwungen lüget
Ihr schamhaft Aug'! und wie behutsam wird
Dafür gesorgt, daß Paris nichts verliert!
Auch Junons Majestät bequemt sich allgemach
Zu dem, was, ohne solche Gründe,
Sie ihrem Manne, selbst im ehlichen Gemach,
Noch nie gestattet hat, noch jemals zugestünde.
Gewandlos steht sie da. Nur Pallas will sich nicht
Von ihrem Unterrocke scheiden,
Bis Paris ihr zuletzt verspricht,
Wenn sie noch länger säumt, sie selber auszukleiden.
Nun ist's geschehn! — "O Zeus, ruft er entzückt,
O, laß mich ewig hier wie eine Säule stehen
Und, lauter Auge, nichts als diesen Anblick sehen!
Mehr wünsch' ich nicht." Kaum ist der Wunsch geschehen,
So schließet sich, von so viel Glanz gedrückt,
Sein Auge zu, und, fast erstickt
Vom Uebermaß der Lust, schnappt er mit offnem Munde
Nach kühler Luft. Doch wird er unvermerkt
Durch jeden neuen Blick zum folgenden gestärkt;
Er schaut und schaut fast eine Viertelstunde
Und wird's nicht satt. — "Was fang' ich nun, o Pan!
(Ruft er zuletzt) mit diesem Apfel an?
Wem geb' ich ihn? Bei meinem Amtsgewissen!
Ich kann, je mehr ich schau, je minder mich entschließen.
Der wollusttrunkne Blick verirrt,
Geblendet, taumelnd und verwirrt,
In einer See von Reiz und Wonne.
Die Große dort glänzt wie die helle Sonne;
Vom Haupt zum Fuß dem schärfsten Blick
Untadelig und ganz aus einem Stück;
Zu königlich, um einen schlechtern Mann,
Als den, der donnern kann,
An diese hohe Brust zu drücken!
Der Jungfer hier ist auch nichts vorzurücken.
Beim Amor, hätte sie mir nicht
So was — wie nenn' ich's gleich? was Trotzigs im Gesicht',
Ich könnte wohl ins Los, ihr Mann zu seyn, mich
                       schicken.
Doch dieser Lächelnden ist gar nicht zu entgehn!
Man hielte sie, so obenhin besehn,
Für minder schön, allein beim zweiten Blicke
Ist euer Herz schon weg, ihr wißt nicht wie,
Und holt mir's, wenn ihr könnt, zurücke!
Mir ist, vom Ansehn schon, ich fühle sie,
So groß sie ist, bis in den Fingerspitzen:
Was wär' es erst —"
Nun, ruft Saturnia,
Was sollen hier die Selbstgespräche nützen?
Wir sind nicht für die lange Weile da.
Ihr werdet doch, wenn's Euch beliebt, nicht wollen,
Daß wir, bis man sich müd' an uns gesehn,
In einem solchen Aufzug stehn
Und uns den Schnupfen holen sollen?
Es ist hier kühl! —
"Frau Göttin, nur Geduld!
Wir wollen uns nicht übereilen;
Und müßtet ihr bis in die Nacht verweilen,
So seyd so gut, und gebt euch selbst die Schuld.
Wer hieß euch um den Vorzug streiten
Und mich zum Richter ausersehn?
Mein Platz, ich will's euch nur gestehn,
Hat seine Ungemächlichkeiten;
So viele Augenlust wird mir zuletzt zur Qual.
Mehr sag' ich nicht — Doch kurz, so ist die Wahl
Unmöglich! Eine muß sich nach der andern zeigen!
Seht, wie ihr euch indeß die Zeit vertreibt;
Ihr tretet ab, und diese bleibt:
Doch müßt ihr euch nicht gar zu weit versteigen."
Wie viel der kleine Umstand thut,
Nicht ganz allein (denn das ist niemals gut),
Doch ohne Zeugen seyn, ist nicht genug zu sagen.
Die Einsamkeit macht einem Nönnchen Muth!
Und Schäfern, die sonst, blaß und stumm, den Hut
In beiden Händen drehn, an ihren Fingern nagen,
Mit offnem Munde kaum gebrochnem Sylben wagen
Und, wenn die Sylvien sich gleich fast heißer fragen,
Was ihnen fehlt? und durch ihr Lächeln sagen:
Wie, blöder Hirt, was hält dich noch zurück?
Verspricht dir denn mein nachsichtsvoller Blick
Nicht, Alles zu verzeihn? — sich noch mit Zweifeln plagen;
Selbst dieser Blöden schwachen Muth
Verkehrt sie oft in ungestüme Wuth
Und heißt sie plötzlich Alles wagen.
Sie stärkt das Haupt, sie giebt den Augen Glut
Und Munterkeit den Lebensgeistern,
Den schwächsten Armen Kraft, Heldinnen zu bemeistern,
Und selbst den Weisen Fleisch und Blut.
Saturnia, die mit verschränkten Armen
Euch kurz zuvor wie eine Säule stund,
Ist kaum allein (errathet mir den Grund),
So sieht der Hirt den Marmor schon erwarmen,
Den schönen Mund, die Wangen frischer blühn,
Die weiße Brust, die Alabaster schien,
Mit Rosen sich auf einmal überziehn
Und sanft, wie leicht bewegte Wellen,
Mit denen Zephyr spielt, sich jeden Muskel schwellen,
Kurz jeden Reiz im schönsten Feuer glühn.
Ha, rief der Hirt, da sie so plötzlich sich beseelte,
Nun merk' ich erst, was Euer Gnaden fehlte!
Ich fühlt' es wohl und wußte doch nicht was?
Ich stand erstaunt und blieb Euch kalt wie Erde:
Nun seh' ich wohl, es war nur das!
Jetzt sorg' ich nur, daß ich zu feurig werde.
Ein allzu günstiges Geschick
(Spricht sie mit Majestät) enthüllt vor deinem Blick
Was, seit die Sphären sich in ihren Angeln drehen,
Kein Gott so unverhüllt gesehen.
Was zögerst du? Was hält dich noch zurück,
Den goldnen Preis mir zuzusprechen?
Der kleinste Zweifel ist, seit du mich sahst, Verbrechen.
Gib mir, was mir gebührt, und von dem Augenblick'
Ist nichts zu groß für deine Ruhmbegierde!
Der Juno Gunst gewährt dir jedes Glück,
Den Thron der Welt, ja selbst die Götterwürde!
Den Thron der Welt? — Frau Göttin, wenn Ihr's mir
Nicht übel nehmt, mich reizt ein Thron nur wenig.
Was mangelt mir zum frohen Leben hier?
Hier bin ich frei, und das ist mehr als König.
Ihr zählet, seh' ich, mehr auf meine Ruhmbegier
Als Euren Reiz, den Apfel zu erlangen:
Doch, wenn Ihr wollet, könntet Ihr
Mit weniger mich weit gewisser fangen.
Ihr seyd sehr schön, —so schön! —(die andern sind doch fort?)
Daß unser einer —Kurz, Ihr merkt doch, was ich möchte?
Mehr sag' ich nicht! — Frau Jupitrin, ich dächte,
So eine kluge Frau verständ' aufs halbe Wort!
Nun, wie so stumm? Bei unsern Schäferinnen
Heißt Schweigen, ja: ich denke, dieser Brauch
Gilt in der andern Welt bei Eures Gleichen auch.
Die Zeit vergeht, was nützt so viel Besinnen?
Komm, schöne Frau, ich will nicht geizig seyn!
Drei Küsse nur! nur! dem rothen Mäulchen einen
Und auf die Backen zwei, so ist der Apfel dein.
Das ist doch wohlfeil, sollt' ich meinen?
Du gibst mir wohl noch selber einen drein.
Wie? fällt ergrimmt die stolze Göttin ein:
Verwegner, darfst du dich entblöden,
Mit mir, des Donneres Gemahlin, so zu reden?
Gib her! der Apfel ist kraft seiner Aufschrift mein.
Gib oder zittre, Staub, vor einer Göttin Rache!
He! sachte, wenn ich bitten darf
(Fällt Paris ein), zum Wetter! nicht so scharf!
Ein Kuß ist wohl so eine große Sache!
Am Ende kommt mir's auch auf einen Kuß nicht an:
Meint Ihr, es sey zu viel für mich gethan,
So muß ich mir's gefallen lassen.
Ihr glaubtet mich beim schwachen Theil zu fassen;
Allein ein Richter soll nicht auf Geschenke sehn:
Es wird, was Rechtens ist, geschehn.
Wir wollen nun die Blonde kommen lassen!
Er ruft wohl siebenmal, bis Pallas sich bequemt,
Aus ihrem Busch' hervor zu steigen:
Das edle Fräulein war mit gutem Fug beschämt,
Sich einer Mannsperson in solcher Tracht zu zeigen.
Auch schien sie in der That ihr gar nicht anzustehn.
Man mußte sie in Stahl, mit Helm und Lanze,
Beim Ritterspiel, beim kriegerischen Tanze,
Mit Mars und Hercules ein Trio machen sehn;
Da wies sie sich in ihrem wahren Glanze.
Allein zur Kunst der feinen Buhlerei,
Der Kunst aus hinterlist'gen Blicken
Zum Herzensfang' ein Zaubernetz zu stricken,
Zu losem Scherz und holder Tändelei
Besaß die Göttin kein Geschicke.
Wir wünschen ihr zu ihrer Unschuld Glücke:
Doch hätt' ein wenig Freundlichkeit,
Und was wir sonst an Mädchen Seele nennen,
Für dieses Mal ihr wenig schaden können.
Nun? Jungfer, wie? Was soll die Schüchternheit
(Spricht unser Hirt und nimmt sich ungescheut
Die Freiheit, sie beim runden Kinn zu fassen),
Mir wär' an Ihrem Platz nicht leid,
Mich neben Jeder sehn zu lassen.
Die Augen auf! —
Zurück, Verwegner! (schreit
Tritonia)— drei Schritte mir vom Leibe!
Vergesset nicht den Unterscheid
Von einer Tochter Zeus' und einem Hirtenweibe!
Es scheint, zu viele Höflichkeit
Ist Euer Fehler nicht. — Doch (setzt sie gleich gelinder
Hinzu) soll diese Kleinigkeit
Uns nicht entzwein; ich bleibe dir nicht minder
In Gnaden zugethan, und wenn, nach Recht und Pflicht,
Dein Mund zu meinem Vortheil spricht,
So soll die Welt, mit schimmernden Trophäen
Bis an des Ganges reichen Strand
Durch dich bedeckt, von Cäsarn und Pompeen,
Vom Schweden Karl, vom Guelfen Ferdinand,
Vom Helden jeder Zeit in dir das Urbild sehen!
Im Ernst? (lacht Paris überlaut)
Das sind mir reizende Versprechen!
Die Jungfer denkt damit mich zu bestechen?
Allein mir ist ganz wohl in meiner Haut,
Und Händelsucht war niemals mein Gebrechen.
Meint sie, weil ich ein Fürstensöhnchen sey,
So müsse mich's gar sehr nach Wunden jücken?
Bei Nägelkriegen, ja, da bin ich auch dabei,
Wo wir, für Lorbeern, Küsse pflücken,
Der Feind in Büsch' und Grotten flieht,
Sich lächelnd wehrt, den Sieg zur Lust verzieht
Und, wenn er alle Kraft zum Widerstand vereinigt,
Dadurch nur seinen Fall beschleunigt:
In diesen Krieg, der wenig Wittwen macht,
Da lass' ich mich gleich ohne Handgeld werben.
Doch, wo man nach der heißen Schlacht
Nicht wieder von sich selbst erwacht,
Um einen Lorbeerkranz in vollem Ernst zu sterben;
Da dank' ich! Sprecht mir nichts davon!
Ich hasse nichts so sehr als Schwerter, Dolch' und Spieße;
Auch kenn' ich manchen Königssohn,
Der, eh' er sich, selbst um die Kaiserkron',
In einen Cüraß stecken ließe,
Die Kunkel selbst willkommen hieße.
So viel zur Nachricht, junge Frau!
Indeß ist Euch damit die Hoffnung nicht benommen;
Mir gilt die Eule, was der Pfau.
Doch laßt mir nun die Kleine kommen!
Sie kommt, die Lust der Welt, des Himmels schönste Zier,
Und unsichtbar die Grazien mit ihr.
Dem Hirten ist's, da er sie wieder siehet,
Als säh' er sie zum ersten Mal'.
Ihr erster Blick erspart ihm schon die Wahl;
Das Herz entscheid't; ein einzigs Lächeln ziehet,
Noch eh' er sich besinnen kann,
Und fesselt ihn an ihren Busen an.
Sie spricht zu ihm: "Du siehst, ich könnte schweigen,
Mein schöner Hirt; ich siege nicht durch List,
Die Schönheit braucht sich nur zu zeigen;
Man weiß, daß du ein Kenner bist,
Und guten Tänzern ist gut geigen.
Doch, was ich sagen will, betrifft dich selbst, nicht mich.
Schön, wie Apoll, wie kann, ich bitte dich,
Dir dieser wilde Ort gefallen?
Sey immerhin der Schönste unter Allen
Im Phrygerland, sey ein Endymion,
Sey ein Narciß, was hast du hier davon?
Du denkst doch nicht, daß deine Heerden
Von deinem Anschaun fetter werden?
Die Mädchen hier, die man im Walde find't,
Empfinden nicht viel mehr, als ihre Ziegen:
Die Liebe ist für sie Bedürfniß, nicht Vergnügen;
Sie sehn den Mann in dir und sind fürs Andre blind.
Den Hof, die Stadt, wo deines Gleichen sind,
Die solltest du zum Schauplatz dir erwählen!
Dort ist die Lieb' ein Spiel, ein süßer Scherz.
Die Schönsten würden sich dein Herz
Einander in die Wette stehlen.
Und wenn du wolltest, wüßt' ich dir
Ein junges Mädchen zuzuweisen,
Die, ohne sie zu viel zu preisen,
An jedem Reiz', an jeder Schönheit mir
In keinem Stücke weicht." —Beim Pan! die möcht' ich sehen!
(Ruft Paris aus) So schön, so hold, wie ihr?
Ihr wollt mir, hör' ich wohl, ein kleines Näschen drehen?
Wo käme mir noch eine Venus her?
So schön wie Ihr! — "Du sagst vielleicht noch mehr,
Wenn du sie siehst." — Das glaub' ich nimmermehr!
Sie hätte mir so schöne lange Locken
Vom feinsten Gold und weich wie seidne Flocken?
Und einen Mund, der so verführ'risch lacht
Und, wenn er lacht, nach Küssen lüstern macht?
Und ihre schwarzen Augenbraunen
Die flössen ihr so fein und sanft verloren hin?
Und solch ein Aug' und solche Blicke drin,
Die einem durch die Seele schauen?
In jedem Backen und im Kinn'
Ein Grübchen, wo ein Amor lächelt,
Und Arme, die Auror' nicht schöner haben kann,
Und eine Hand wie Marcipan,
Und Hüften — "Still! nichts weiter, junger Mann,"
Fällt Venus ein. — Sagt mir nur dieß noch — fächelt
Denn auch so schön, wie hier, in ihrer Lilienbrust
Die Wollust selbst den Geist der Jugendlust?
In diesem Stück, erwiedert sie mit Lachen,
Kann mir Helene noch den Vorzug streitig machen."
Ihr flößt mir fast ein wenig Neugier ein.
Helene nennt Ihr sie? Ich lass' es mir gefallen.
Doch, um nur halb so schön als Ihr zu seyn,
Muß wahrlich Götterblut in ihren Adern wallen.
"Du irrest nicht, erwiedert Paphia
(Die der gelungnen List und ihres Siegs sich freute),
Sie ist mein Schwesterchen (zwar von der linken Seite),
Ein Kind von Zeus, der ihrer Frau Mama
Zu Lieb' ein Schwanenfell sich borgte
Und seinen Vortheil einst bei ihr im Bad' ersah.
Frau Leda wußte nicht, wie ihr dabei geschah,
Und sah dem Schwan, von dem sie nichts besorgte,
Und seinem Scherz' in unschuldvoller Ruh,
Nicht ohne Lust, mit süßem Wunder zu:
Doch wenig Monden drauf wird, wider alles Hoffen,
Die gute Frau von Tyndar, ihrem Mann,
Beim Eierlegen angetroffen.
Ein Weiser trägt, was er nicht ändern kann.
Die Schuld blieb auf dem Schwan' ersitzen:
Doch zeigte schon die That genüglich an,
Der Schwan, der dieß gekonnt, sey kein gemeiner Schwan.
Man fand in einem Ei zwei wunderschöne Knaben,
Und aus dem andern kroch das schönste Mädchen aus.
Herr Tyndar machte sich (wie billig) Ehre draus,
Den wundervollen Schwan so nah zum Freund zu haben,
Und Alles endigte mit einem Kindbett-Schmaus.
Nach fünfzehn oder sechzehn Lenzen
War Leda's Töchterchen das Wunder von Mycen.
Schon macht ihr Ruhm sich immer weitre Gränzen;
Die Dichter finden schon mich selbst nicht halb so schön.
Man sieht um sie die Schönen und die Erben
Vom festen Land' und von den Inseln werben.
Doch Alles dieß, und was noch mehr geschah,
Verschlägt uns nichts; genug, sie ist nun da,
Macht ihrem Vater Schwan viel Ehre,
Ist weiß und roth, als wie ein wächsern Bild,
Ist jung und reizend, wie Cythere,
Und dein, mein Prinz, sobald du willt."
Beim Pan! (ruft Paris aus) wenn's hier nur Wollen
                       gilt,
So wollt' ich, daß sie schon in meinen Armen wäre!
Doch zweifl' ich — "Zweifle nicht und trau Cytheren mehr!
Ich und mein Sohn, wir können vieles machen.
Wir brachten, glaube mir, wohl ungereimtre Sachen
Zu Stand als dieß. Die Frage ist
Nur bloß, ob du entschlossen bist,
Um sie nach Sparta hinzureisen?
Den Weg soll dir mein Amor selber weisen:
Er ist, so klein er ist, so schlau,
Du kannst dich ganz auf ihn verlassen.
Nur mußt du zu dir selbst auch mehr Vertrauen fassen.
Ein feiges Herz freit keine schöne Frau."
Der Vorschlag, Göttin, läßt sich hören,
Versetzt der Hirt der lächelnden Cytheren:
Wenn sie nur bald so reizend ist, als Ihr,
So ist, wer sie besitzt, ein Jupiter auf Erden.
Allein was soll indessen hier
Aus diesem goldnen Apfel werden?
"Dem Apfel? — Gut, mein Sohn, den gibst du mir.
Bekommst du nicht das schönste Weib dafür?" —
Frau Göttin (spricht der Jüngling), darf ich reden?
Ich gäb' um einen Kuß von Euch, ich sag' es frei,
Gleich eine ganze Welt voll Leden
Und Ledeneiern hin, wenn auch aus jedem Ei
Ein Mädchen wie ein Rosenknöspchen schlüpfte
Und ungelockt mir auf die Schultern hüpfte.
Ein Wort für tausend, Göttin — doch, verzeih',
Es muß heraus, und gält' es gleich mein Leben!
Mit Freuden will ich's dir sammt diesem Apfel geben,
Wofern du diese Nacht, nur bis zum Hahnenschrei,
Ein Stündchen nur — wie bald ist das vorbei! —
Dich überreden willst, daß ich Anchises sey.
Wie sollt' ich nicht den Glücklichen beneiden?
Er war ein Hirt, wie ich; und eben dieser Hain
War einst ein Zeuge seiner Freuden!
Sprich, Göttin, soll er's nicht auch von den meinen seyn?
Cythere fand die Frag' ein wenig unbescheiden
Und sieht ihn, glaubt sie, zürnend an:
Doch, weil ihr lachend Aug nicht sauer sehen kann,
So wird's ein Zorn, der ihn so wenig schrecket,
Daß ihr sein Blick nur feuriger entdecket,
Was Venus selbst nicht ohne Röthe hört.
Sie hätte gern sich längre Zeit gewehrt;
Doch Ort und Zeit verbot ein langes Sträuben.
Der Jüngling fleht, und, sie so weit zu treiben,
Als man Göttinnen treiben kann,
Die nicht von Marmor sind, fängt er zu weinen an.
Das mußte seine Wirkung haben!
"Nun, sprich mein Urtheil — nur kein Nein!"
Sie beut dem ungestümen Knaben
Die schöne Hand und sagt — nicht Nein.
  Der Schlaue will noch mehr Gewißheit haben:
"Beim Styx, mein Täubchen?" — Sey's! Willst du nun
                       ruhig seyn?
"Hier, Göttin, nimm! der Preis ist dein!" —
—————

Aurora und Cephalus.

Eine scherzhafte Erzählung.1764.
Noch lag, umhüllt vom braunen Schleier
Der Mitternacht, die halbe Welt;
Es ruhn in ungestörter Feier
Das stille Thal, das öde Feld,
Die Nymphen über ihren Krügen,
Der trunkne Faun auf seinem Schlauch;
Vielleicht fügt's Nacht und Zufall auch,
Daß manche noch bequemer liegen;
Der Elfen schöne Königin
Hatt' ihren Ringeltanz beschlossen
Und sanft auf Blumen hingegossen
Schlief jede kleine Tänzerin:
Mit einem Wort', es war zur Zeit der Merte,
Als sich zum ersten Mal
Tithonia aus ihrem Rosenbette
Von ihres Alten Seite stahl.
Die Schlafsucht, die sie ihrem Gatten
Sonst öfters vorzurücken pflegt,
Kommt dieses Mal ihr wohl zu Statten:
Sie zieht die Brust, an die er schnarchend sich gelegt,
Sanft unter ihm hinweg, verschiebt mit Zephyrbänden
Die Decke, glitscht heraus, deckt leis' ihn wieder zu,
Wirft einen Schlafrock um die Lenden
Und wünscht ihm eine sanfte Ruh.
Sie fand im Vorgemach die Stunden,
Die ihre Zofen sind, vom Schlummer noch gebunden;
Nur eine ward, indem die Göttin sich
Mit leisem Fuß bei ihr vorüber schlich,
Aus einem Traum, den Mädchen gerne träumen,
Halb aufgeschreckt. Sie schrie, wie Nymphen schrein,
Um feuriger geküßt, nicht, um gehört zu seyn.
Auror' erschrickt und flieht. Allein,
Das Mädchen legt, um ruhig auszuträumen,
Sich auf das andre Ohr und schlummert wieder ein.
Die Göttin eilt, spannt (was sie nie gethan)
Mit eigner Hand vor ihren Silberwagen
Die rosenfarbnen Stuten an
Und läßt sich nach Hymettus tragen.
Dort steigt sie ab, läßt Pferd' und Wagen
In einer Grotte stehn und sucht mit zartem Fuß',
Aus dessen Tritten Rosen sprossen,
Den schönen Cephalus.
Aurora? — Wie? — Das Muster weiser Frauen,
Auf deren Treu, die schon Homer uns pries,
Ein jeder alte Mann sein junges Weibchen schauen
Und sie zum Vorbild nehmen hieß?
Sie, die nur ihrem Tithon lachte
Und, ob er gleich, bei silbergrauem Haar'
Und taubem Ohr, kaum noch ersetzbar war,
Doch Tag und Nacht auf sein Ersetzen dachte;
Die ihre schöne Brust so oft zum Pfühl' ihm machte,
Ihm öfters ganze Nächte wachte,
Ihm oft die Füße rieb, ihm oft den Puls befühlt',
Erwärmend ihn in ihren Armen hielt,
Ihn immer fragt', ob ihm was fehlte,
Und, bis er schlief, ihm Mährchen vorerzählte —
Aurora, die so viele Proben gab,
Wie zärtlich sie den alten Tithon liebe;
Sie fiele nun auf einmal ab
Und nährete verbotne Triebe?
Mir ist es leid, daß ich's gestehen muß;
Ihr mögt nun, was ihr könnt, von ihrer Tugend halten,
Allein so war's! Sie schlich von ihrem Alten
Sich heimlich weg und sucht' den jüngern Kuß
Des schönen Cephalus.
Helvetius und Büffon werden sagen,
Daß dieses nicht so unnatürlich sey:
Allein (wie wackre Leute klagen)
Die Herren denken etwas frei.
Doch will ein Feind von aller Ketzerei,
Albertus Magnus selbst, vorlängst gesehen haben,
"Daß junger Mädchen Aug' auf schönen jungen Knaben
Sich gern verweil'" — und an Gestalt,
An Neigungen und Reizbarkeit der Sinnen
Sind, wie man weiß, die ältesten Göttinnen
Stets — sechzehn Jahre alt.
Dieß war Aurorens Fall, als auf Hymettus Höhen,
Zur Jagd geschürzt, mit Bogen, Pfeil und Spieß,
Der schone Jäger ihr zum ersten Mal sich wies.
Verbeut die strengste Pflicht, was sichtbar ist, zu sehen?
Sie sah in Unschuld hin und blieb, ihm nachzusehen,
Uneingedenk der lauernden Gefahr,
Auf einer Silberwolke stehen.
War's ihre Schuld, daß er so reizend war?
Dabei blieb's dieses Mal. Doch, da sie, wider Hoffen,
Zum zweiten Mal' ihn schlafend angetroffen,
Wie sollte sie dem Einfall widerstehn,
Von ihrem Wagen abzusteigen,
Und ihn genauer anzusehn?
Die Dämmerung macht Manche schön,
Die sich im Sonnenschein mit schlechtem Vortheil zeigen,
Sie muß doch sehn, ob's hier nicht auch so sey?
Zu rasch flog neulich er vorbei;
Was schadet's näher hinzugehen?
Sie thut's. Allein, wie angenehm erblaßt,
Da sie ihn recht ins Auge faßt,
Ihr Rosenmund — den Tithon selbst zu sehen!
Den Tithon? Ja, doch wie er damals war,
Als er, in auserlesener Schaar
Der schönsten Phrygier, vor allen
Der Schönste war, vor allen ihr gefallen;
Mit langem dunkelbraunem Haar,
Mit blühendem Gesicht' und Lippen von Korallen.
Je mehr sie ihn beschaut, je stärkre Farben leiht
Ihr gern betrognes Herz der seltnen Aehnlichkeit.
Sie überläßt sich nun mit Ruh den neuen Trieben
Und find't ich weiß nicht was für eine Süßigkeit,
Den werthen Greis in Cephalus zu lieben.
Mit welsher Lust, mit welcher Zärtlichkeit
Sie auf das Ebenbild von Tithons schöner Zeit
Die gern betrognen Blicke heftet!
So war er einst mit jedem Reiz geschmückt!
So ward er oft, eh' ihn der Jahre Lust entkräftet,
Im Taumel süßer Lust an ihre Brust gedrückt!
So sieht und liebt, nach Platons Lehren,
Der junge Kallias in seiner Tänzerin
Das höchste Gut, womit sich unsre Geister nähren,
Eh sie in diese Leiber ziehn.
Singt ihm, den Grazien zu Ehren,
Ihr süßer Mund ein tejisch Liedchen vor:
So glaubt auch der entzückte Thor,
Er höre den Gesang der Sphären.
Ein Druck von ihrer weichen Hand,
Das Spiel der buhlerischen Zungen,
Erweckt von seinem Götterstand
Die schlummernden Erinnerungen;
Auf einmal ist's, ob um ihn her
Der blaue Himmel offen wär';
Er sieht die Sterne doppelt blinken:
Er steigt, verliert sich in den Schwarm
Der Geister, welche Nektar trinken,
Glaubt in den Quell des Lichts zu sinken
Und sinkt und sinkt in Phrynens Arm.
Daß oft dergleichen Aehnlichkeiten
Zu süßen Irrungen verleiten,
Ist ein Erfahrungssatz, den Niemand leugnen wird.
Aurora sah, durch sie verirrt,
Im schönen Cephalus den Tithon sich verjüngen;
Und sah' es kaum, so faßte sie den Schluß,
Die Stunden, welche sie, nicht ohne Ueberdruß,
Bei diesem nur verträumen muß,
Mit jenem besser zuzubringen.
Mit welcher Lust verschlingt ihr lauschend Ohr
Der raschen Stöber Laut, die ins Gehölze dringen!
Sonst hörte sie der Lerchen frühes Chor
Gern neben ihrem Wagen singen:
Allein ihr däucht in diesem Augenblick'
Hylaktors Jagdgeheul die lieblichste Musik.
Sie sieht die raschen Jäger ziehen,
Das Hüfthorn tönt, der Wald erwacht,
Die Hunde schlagen an, die scheuen Rede fliehen.
Doch plötzlich fühlt von einer fremden Macht
Der Jüngling sich ergriffen, fortgezogen
Und schneller als ein Pfeil vom Bogen
Durch Luft und Wolken weg, wer weiß wohin, gebracht.
Betäubt von seinem Abenteuer,
Begriff er nicht, wie ihm geschah.
Er sieht aus Furcht, die stets Gespenster sah,
Bei zugeschloss'nem Aug, ein gräßlich Ungeheuer
Mit offnem Schlund ihm dräun und glaubt sein Letztes nah.
Doch Düfte von Ambrosia,
Die ihm, mit süßerm Schwall, als von den Zimmethügeln
An Ceylons Strand, entgegen wehn,
Ermuntern ihn, die Augen aufzuriegeln;
Und, o, wer wünschte nicht, was er jetzt sah, zu sehn!
Der Perlenmuttersaal mit Säulen von Rubinen,
Den unsre Göttin sich zum Schauplatz' auserkor,
Hat einem Kenner nicht romantisch gnug geschienen.
So stellt euch denn, umwölbet mit Jasminen,
Auf weichem Moos' ein Schwanenlager vor,
Mit reichem Sammt bedeckt; auf diesen Schwanenbetten,
Ringsum behängt mit frischen Blumenketten,
Die schönste Fee, so schön und jung, als man
An einem Sommertag sie immer sehen kann;
Und diese Fee in einer Lage,
Wie Tizian der Liebesgöttin gibt,
Und in dem halb gebrochnen Tage,
Worin die blöde Scham sich williger ergibt;
Verhüllt, doch so, daß jede kleine Regung
Das neidische Gewand verschiebt,
Und unter seidnem Flor die steigende Bewegung
Des schönsten Busens sichtbar wird —
Den Anblick stellt euch vor und werdet nicht gerührt!
Der Jüngling ward's, der in dem Augenblicke,
Worin der schöne Gegenstand
Ihn überrascht, zu gutem Glücke
Sich selbst zu ihren Füßen fand.
Die Göttin wundert, wie natürlich,
Sich ungemein, ihn hier zu sehn;
Und er gibt ihr, doch nur figürlich,
Den ganzen Eindruck zu verstehn,
Den so viel reizungsvolle Sachen
Auf sein geblend'tes Auge machen.
Die Freiheit, die er nimmt, fällt billig
Dem Schicksal, nach Gebrauch, zur Last;
Und wenn Auror' ihn nur nicht haßt,
Ist er zu jeder Strafe willig.
Aurora will ihm gern gestehn,
Daß Leute, die ihm ähnlich sehn,
Nicht sehr gehaßt zu werden pflegen;
Es sey ihr auch nicht sehr entgegen
(Die Schlaue hält, indem sie's spricht,
Die Rosenfinger vors Gesicht),
Von einem hübschen Mann sich hochgeschätzt zu wissen;
Wie weit ihr eignes Herz hierbei
Vielleicht zu gehen fähig sey,
Das werde mit der Zeit sich erst entwickeln müssen;
Man komme mit Beständigkeit
Und vielem Muth' im Lieben weit:
Doch, was sie seiner Zärtlichkeit
Für dieses Mal gestatten wollte
(Und dieses selbst vielleicht noch nicht gestatten sollte),
Sey, nebst dem Recht, sie ungescheut
Auf seinen Knieen anzuschauen,
Ein ungezweifeltes Vertrauen
In seine Ehrerbietigkeit.
Mein Mann verspricht mit vielen Schwüren,
Indem er ihre Knie aus Dankbarkeit umfaßt,
Sich sehr bescheiden aufzuführen;
Doch Dankbarkeit ist eine schwere Last!
Aus Dankbarkeit, von der er glühet,
Wird ihre schöne Hand, wer weißt wie oft, geküßt;
Und, da man sie zerstreut zurücke ziehet,
Indem er noch im Küssen ist,
Verirrt sein Mund — Da seht mir doch die Musen;
Die kleinen Spröden schämen sich!
Und halten plötzlich ein — doch ich bekenn' es, ich
(Und Cicero an Pätus spricht für mich),
Verirrt — wie leicht verirrt man sich!
Verirrt sein Mund auf ihren Busen.
"Wer einmal — lehrt uns Marcus Tullius,
Doch nicht im Buche von den Sitten —
Des Wohlstands Gränzen überschritten,
(Wofür man zwar sich möglichst hüten muß),
Dem rath' ich, statt aus Blödigkeit
Auf halbem Wege stehn zu bleiben,
Vielmehr die Unbescheidenheit,
Soweit sie gehen kann, zu treiben."
Dies Axioma mag sehr oft, nach Ort und Zeit,
Ein Körnchen Salz in praxi nöthig haben;
Vermess'ne, unbescheidne Knaben,
Mit Bart und ohne Bart, gehn leicht hierin zu weit.
Doch Cephalus (man muß Eins wie das Andre sagen)
Befand sich wohl bei dem, was Marcus schrieb:
Er wagt's von Grad zu Grad, bis ihm vor lauter Wagen
Nichts mehr zu wagen übrig blieb.
Wenn seinem Ungestüm die Göttin endlich wich,
So that sie freilich nichts, als was sie längst beschlossen.
Doch keineswegs verhielt es sich
Mit Cephaln so. Ein Glück, das ihn den Göttern glich,
War ihm durch Zufall aufgestoßen;
Und diese Zauberei, die süße Trunkenheit,
Die sein Gehirn' auf ziemlich lange Zeit
Der Stimme seiner Pflicht verschlossen,
Wird gradweis' aufgelöst und endlich ganz zerstreut.
Ihm hatte, da sein Mund (wie schon gesagt) verirrte,
Die Phantasie den gleichen Streich gespielt,
Wodurch die Göttin ihn für ihren Tithon hielt:
Es stellt' im Feuer der Begierde
Die schöne Prokris ihm sich in Auroren dar.
"Wie ähnlich! Götter! ja, fürwahr!
Sie ist's, sie ist's! An Stirne, Brust und Haar
Kann in der Welt sich nichts vollkommner gleichen!
Wen muß dieß Lächeln nicht erweichen?
So lächelt Prokris nur! so schön
Sah er in ihren blauen Augen
Vor Uebermaß der Wonne Thränen stehn
Und war entzückt sie aufzusaugen!"
  So dacht' er, und Auror', in diesem Stück mehr klug
Als zärtlich, sieht und nährt den nützlichen Betrug.
Nehmt noch dazu die zärtlichste der Farben,
Die dieser Göttin eigen ist,
Das süße Rosenroth, das ihren Leib umfließt,
Und einen Mund, der griechisch küßt,
Und Augen, die in Wollust starben:
So wird bei Leuten — die verzeihn,
Sein Selbstbetrug vielleicht verzeihlich seyn.
Doch, wie die stärksten Zauberein
Der Wahrheit endlich weichen müssen:
So däucht' auch ihm, nach wiederholten Küssen,
Die Aehnlichkeit nicht mehr so groß zu seyn.
Der Dunst zerfließt, der sein Gesicht geblendet,
Er staunt, er fühlt sich träg' und lau
Und zürnt sich selbst, daß er an eine fremde Frau
So viel Entzückungen verschwendet.
Vergebens sucht ihr feuervoller Blick
Die Flamme wieder anzufachen;
Ihm winkt umsonst ein neues Glück
In ihrem offnen Arm; die Scherze fliehn zurück,
Und Reu' und Ueberdruß erwachen.
Bald kommt es, wie man denken kann,
Zu Fragen und Erläuterungen;
Und Cephalus, von Scham und Schmerz bezwungen,
Fängt stotternd diese Beichte an:
Zu wahr ist's nur, o Göttin, mein Betragen
Beleidigt deinen Reiz und läßt mir weiter nichts,
Als tief beschämt mich selber anzuklagen.
Nicht halb so sehr verwirrt von deinen Klagen
Als meiner eignen Schuld, weiß ich, beim Gott des Lichts!
Nicht, was ich sagen soll. —Mein Herr, das thut hier nichts,
Fällt ihm Aurora ein: Ihr braucht Euch nicht zu plagen;
Der Eingang will, soviel ich merke, sagen,
Ihr liebt mich nicht und habt mich nie geliebt?
Ach, allzu wahr! (ruft Cephalus betrübt,
Indem Aurora, doch nur bloß mit halbem Munde
Bei seinem Ach ihm an die Nase lacht)
Ja, ich gesteh's, daß diese Morgenstunde
Mich doppelt ungetreu, mich doppelt strafbar macht.
Unwürdig, so beglückt zu werden,
Liebt' ich, o Göttin, dich — die, ohne Schmeichelei,
So sehr verdient, daß ihr ein Herz ganz eigen sey —
Dich liebt' ich — nie; und ihr, der Einzigen auf Erden,
Für die ich zärtlich bin, ihr ward ich ungetreu!
Das Compliment, versetzt die Dame,
Ist minder schmeichelhaft als neu:
Doch, wenn man bitten darf, der Name
Der Schönen, die so glücklich ist,
Daß solch ein Herz —sie so geschwind vergißt?
Der Schein, ich fühl's und sag's mit Schmerzen,
Ist wider mich, spricht Cephalus:
Und doch — verzeih, daß ich so deutlich reden muß,
Du hattest nichts als meinen Kuß,
Und Prokris war in meinem Herzen.
Wir waren schon vom Führband' an
Die unzertrennlichsten Gespielen
Und lieben uns, seitdem wir fühlen,
So zärtlich, als man lieben kann.
Als Kind schon kannt' ich keine Lust,
Als meiner Prokris liebzukosen,
Lag gerne mit ihr unter Rosen
Und spielte mit der jungen Brust.
Oft wurde sie in Sommerschatten
Am kühlen Bach von mir belauscht;
Wir wußten nicht warum und hatten
Schon unsre Herzen ausgetauscht.
So wurden wir bei Scherz und Küssen
Eins in des Andern Armen groß;
Und unwillkommne Pflichten rissen
Mich weinend jetzt aus ihrem Schooß.
Nun folgen kriegerische Spiele
Dem Gänsespiel, der blinden Kuh;
Es flieht vorm lärmenden Gewühle
Der Kindheit sorgenfreie Ruh'.
Allein das Bild der holden Schönen
Schwebt wir, wohin ich gehe, nach;
Ein banges wehmuthsvolles Sehnen
Ertränkt mein Aug' in stillen Thränen
Und hält in öder Nacht mich wach.
Jetzt däucht der Tag mich nicht mehr helle,
Die Luft nicht blau, der Frühling todt;
Nichts reizt mich mehr, kein Abendroth,
Kein Hain, kein Schlummer an der Quelle.
Allein, sobald ein Götterfest
Die Mädchen sichtbar werden läßt,
Und Prokris, weiß und frisch umkränzet,
Mit offner Brust und freiem Haar,
Die Schönste in der schönen Schaar,
Wie Hebe mir entgegen glänzet;
Dann ist mir — nein! der Götter Glück
Kann keinen höhern Grad erschwingen!
Mein offnes Aug' und starrer Blick
Scheint ihre Reize zu verschlingen.
Sie sieht im gleichen Augenblick
Nach mir sich um, und unsre Blicke
Begegnen sich: sie seufzt und zieht,
Da sie mein Auge schmachten sieht,
Verschämt die ihrigen zurücke;
Doch bald, von Amorn übermocht,
Der ihr im jungen Busen pocht,
Kann sie sich länger nicht erwehren,
Sich zärtlich nach mir hin zu kehren;
Sie fühlt —
Unfehlbar! (fällt Aurora ein) sie fühlt —
Was alle jungen Mädchen fühlen.
Ich bitte dich, was soll die Elegie erzielen,
Womit du mich hier abgekühlt?
Man dächte, wenn man dich so reden hört, es hätte
Noch Niemand es wie ihr gemacht.
Fang lieber den Roman von hinten an; ich wette,
Er endet doch in — einer Hochzeitnacht.
Um kurz zu seyn, so sind es nun drei Jahre,
Fuhr Cephal schamroth fort, daß Hymen uns beglückt,
Und ich in Prokris Arm erfahre,
Daß Afterliebe nur von Sättigung erstickt.
Uns ist, ob jeder Tag der allererste wäre.
Man sagt sonst, der Genuß verzehre
Der stärksten Liebe Glut; bei uns ist's umgekehrt;
Die unsre wird dadurch genährt
Und wächst, dem Phönix gleich, aus ihrer eignen Asche.
Der junge Mann (fällt hier die Göttin wieder ein)
Hat, wahrlich! aus der Purpurflasche
Bescheid gethan! er liebt ja ungemein!
Wer hätte sich bei so gestalten Sachen
Des Glücks versehn, ihn ungetreu zu machen?
So widersinnig, als es klingt,
Versetzt' er mit gesenkten Blicken,
So wahr ist's doch: was mir ihr Bild vor Augen bringt,
Ein Zug von ihr, ein Blick, ein Augennicken,
Wie Prokris nickt, setzt flugs mich in Entzücken;
Und reizend, Göttin, wie du bist,
Konnt' Amorn diese Hinterlist
Nur gar zu leicht, zumal im Dunkeln glücken.
Allein bei kälterm Blut und hellem Sonnenschein
Soll Venus selbst nicht fähig seyn,
Noch einmal mich so sträflich zu berücken!
Die Göttin wendet lächelnd ein,
Was einst geschehen sey, das könne mehr geschehen.
Sie hofft umsonst! Er schwört ihr Stein und Bein,
Sie niemals mehr für Prokris anzusehen.
  Und meinst du, fragt sie ihn, daß ihre Gegentreu
Der seltnen Großmuth würdig sey,
Ihr einer Göttin Gunst zum Opfer darzubringen?
Du kennst nun, dächt' ich, Amors Schlingen!
Frau Prokris hat ein zärtlich Herz;
Ein zärtlich Herz läßt sich bezwingen;
Und schirmt' es auch ein Thurm von Erz,
Wohin kann nicht ein goldner Regen dringen?
Seyd unbesorgt, erwiedert unser Held:
Ihr würde selbst vom Zeus vergebens nachgestellt.
Ich kenne sie; sie würd' in ihrem Leben
Auf einen andern Mann (und wär' es ein Adon)
Sich keinen Seitenblick vergeben.
Der Götterfürst regiert auf seinem Thron
Nicht ruhiger, als ich in ihrem Herzen.
Du bist ein Sohn des Glücks, versetzt Tithonia,
Und ferne sey's von mir, sie bei dir anzuschwärzen!
Allein erinnre dich, was kaum dir selbst geschah.
Gelegenheit, mein Freund, und Jugend
Sind immer ihrem Falle nah.
Wie oft geschah es schon, daß sich die strengste Tugend
Zu schwach zum Widerstande sah!
Zum Glück war eben kein Versucher da:
Allein man spielt nicht allezeit mit Glücke;
und Unschuld, die nichts Böses denkt noch scheut,
Fällt öfters bloß aus Sicherheit
In Amors unsichtbare Stricke.
Aurora, die mit Kenntniß sprechen kann,
Spricht so beredt vom süßen Gift der Sünde
Und unsrer Fehlbarkeit, gibt ihm so viele Gründe
Und führt so manches Beispiel an,
Daß ihr die List gelingt. Der Mann fällt in Gedanken.
Er staunt mit unterstütztem Haupt'
Und staunt so lange, bis er Prokris fähig glaubt,
Wo nicht zu fallen, doch zu wanken.
Die Eifersucht, ein Uebel, da er nie
Bisher gekannt, verwirrt schon sein Gehirne;
Es schwindelt ihm, es schwanken ihm die Knie,
Er reibt sich die gerümpfte Stirne,
Und seine kranke Phantasie
Zeigt ihm bereits in einer dunkeln Grotte
Bei Lunens ungewissem Licht,
Was jeder kluge Mann dem Gotte
Von Delphi selbst nicht glaubt, das schrecklichste Gesicht!
Dieß schwindet zwar, doch seine Unruh nicht.
Es bleibt doch möglich, daß sie fehle.
Wie Manche fiel! Wird Prokris wohl allein
Vom Reiz verbotner Frucht nicht zu versuchen seyn?
Vielleicht — dieß foltert seine Seele:
Es koste, was es will, er muß beruhigt seyn!
Die Göttin spricht: In solchen Fällen
Pflegt man zu bess'rer Sicherheit
Oft gute Freunde anzustellen;
Doch Mancher hat es sehr bereut.
Nimm (fährt sie fort und zieht vom kleinen Finger
Ein Reifchen ab) nimm diesen Talisman!
Er macht dich fremd, unkenntlich, älter, jünger,
Zum reichsten oder schönsten Mann,
Zu was du willst; ein Wunsch, so ist's gethan!
Du kannst nun selbst die Probe machen.
Hält sie sich gut, so opfre ja dem Glück;
Wo nicht, so bleibt doch nichts an deiner Stirn zurück,
Und wenn du weinst, so wird doch Niemand lachen.
Mein Cephalus geht alles willig ein,
Bedankt sich, küßt die Hand, doch macht er wenig Worte
Und wünscht aus diesem Zauberorte
Nur schon daheim zu seyn.
Er eilt hinweg, sieht vor der goldnen Pforte
Ein rosenfarbnes Pferd gesattelt und gezäumt,
Steigt auf und trabt davon, als hätt' er viel versäumt.
Frau Prokris saß indeß, nach ihres Landes Sitten,
Wie beim Homer Kalypso, mitten
In einer hübschen Mädchenschaar,
Worin sie (nach Gebühr) als Frau die schönste war.
Die spinnt, die andre zwirnt, die wirkt, und jene sticken.
Die Dame selbst ist emsig dran,
So künstlich, als man sticken kann,
Minerven zum Geschenk' ein Schleiertuch zu sticken.
Homer erzählte gleich mit großer Wörterpracht
Was sie darauf gestickt, als: Sonne, Mond und Sterne,
Den Pol, der Götter Sitz und in der tiefsten Ferne
Den Erebus, ja gar die alte Nacht;
Das feste Land, ringsum verschlossen
Vom Vater Ocean, und Luft und Berg und Thal
Und eine schöne Flur, vom Sonnenschein umflossen,
Und einen Hain, wo Vögel ohne Zahl
Die liederreichen Kehlen stimmen,
Und Nymphen, die mit halb entblößtem Leib
In scherzendem Gewühl auf blauen Wellen schwimmen,
Und einen Hirtentanz und, wenn die Sterne glimmen,
Im dunkeln Busch der Faunen Zeitvertreib.
Dann wie im Herbst durch falbe Traubengärten
Der Weingott zieht, und mit zerstreutem Haar
Die Mänas, und mit taumelnden Geberden
Der Satyrn ungezähmte Schaar,
Die tanzend um den Wagen schweben,
Und wie sie den Silen, der fiel,
Laut lachend auf den Esel heben;
Und, halb versteckt im Laub der Reben,
Der Liebesgötter loses Spiel:
Dieß und wohl zwanzigmal so viel,
Was in der Stadt, im Tempel, auf den Gassen
Und auf dem Feld begegnen kann,
Das würde sie der gute alte Mann,
Der gar zu gerne malt, recht zierlich sticken lassen.
Doch, was ihm ziemt, steht Andern selten an.
Genug, Frau Prokris saß und stickte,
Als sich — ein Herr Amphibolis,
Dem stracks die Gunst der Kammernymphe glückte,
Bei Ihrer Gnaden melden ließ.
Ihr erster Einfall war, den Fremden abzuweisen;
Allein das Mädchen läßt nicht ab:
"Er ist ein feiner Mann und kommt ganz frisch von
                       Reisen
Mit einem Auftrag her, den unser Herr ihm gab."
Man läßt ihn also vor, hört seinen Auftrag an,
Dankt ihm, entschuldigt sich und läßt ihn wieder gehen.
Das Schlimmste war dabei, daß man
Ihn kaum ein einzigs Mal nur flüchtig angesehen.
So sehr er sich beim ersten Blick
Des Mädchens Gunst erwarb, so muß man doch gestehen,
Daß seine Mien' ihm dieses schnelle Glück
Vermuthlich nicht verschafft; denn Herr Amphibolis
War in der That bei weitem kein Narciß
Und auch der Jüngste nicht — ein Seemann, stark von Knochen,
Rasch wie sein Element, in Reden kurz und rund,
Plump von Manier und gar nicht ausgestochen,
Großnasig überdieß und größer noch von Mund.
Die Damen schütteln ihre Köpfe? —
Geduld, ich sag' es ja, schön war er nicht:
Allein, er hatte was, das in die Augen sticht;
Er hatte was, womit ein Carnevalsgesicht
Die Schönsten — schüttelt nur die Köpfe!
Die Schönsten unter euch dem Amor selbst entführt,
Was manchen Höcker deckt und ekelhafte Kröpfe
Mit Grazien und Liebesgöttern ziert;
Kurz, das, wodurch ein Gnom' oft zum Adonis wird,
Er hatte Gold, und was dazu gehöret,
Juwelen, Perlen, Diamant,
Smaragd, Rubin so viel, als hätt' in seiner Hand
Sich, was er nur berührt, in Edelstein verkehret.
Mit solchen Waffen hielt mein Herr Amphibolis
Sich eines schnellen Siegs gewiß.
Er überströmt mit einem Perlenregen
Das ganze Haus und kauft sich jedes Herz;
Sie wallen ihm und seinem Gold entgegen,
Nur Prokris kann er nicht bewegen,
Nur Prokris bleibt, zu ihres Mädchens Schmerz,
Beim Glanze persischer Guineen
So kalt, als wie bei seinem plumpen Flehen.
Hans La Fontaine, nun sagt mir noch einmal,
Der Cassenschlüssel sey der Schlüssel zu den Herzen!
Meint ihr, es gelte nur, ohn' Ausnahm', ohne Wahl,
Das schöne Volk so häßlich anzuschwärzen?
Von Wäscher-Nymphen, gut, da geb' ich Alles zu;
Die sind in Rom und selbst in Kambalu
So feil als in Paris! — Auch geb' ich (ungern) zu,
Daß hier und da gelddürft'ge Spielerinnen
An Zahlungsstatt das Herz sich lassen abgewinnen;
Sogar, daß Manche, die von Berg und Thal sich schreibt,
Wenn alte Richards ihre Bitten
In blankem Gold ihr vor die Füße schütten,
Aus — Ekel zwar sich eine Weile sträubt,
Doch selten unerbittlich bleibt;
Auch das gesteh' ich ein. — Allein, so dreist zu singen,
Die Beste lasse sich zur Uebergabe zwingen:
Das nenn' ich Felonie! das schmäht
Zugleich der Schönen Ruhm und Amors Majestät.
Das Beispiel kann statt tausend andrer dienen,
Das hier die schöne Prokris gab.
Der Seemann liest in ihren stolzen Mienen,
Daß einem Mann, wie er, hier keine Myrten grünen;
Und weil's nicht anders ist, so sucht er seinen Stab,
Packt seinen Kram von Perlen und Rubinen
Hübsch wieder ein und führt sich ab.
Er geht davon, in seinem Herzen
Vergnügter, als im trüben Blick:
Allein, von Freuden und von Scherzen
Umflattert, kommt er bald — als Seladon zurück.
Herr Schuhmann, malen Sie zu dieser Phyllis Füßen
Uns einen hübschen Knaben hin:
Ein rund Gesicht, wie einer Schäferin,
Hellbraunes Haar, ein glattes Kinn,
Ein schwarzes Aug' und einen Mund zum Küssen;
Schlank von Gestalt, geschmeidig, zierlich,
In allen Wendungen so reizend als natürlich,
Wie Zephyr leicht und schmeichelhaft und dreist
Wie ein Abbé — kurz, schön, als wie gegossen,
Und um und um von diesem Reiz umstossen,
Von diesem Glanz, von diesem Jugendgeist,
Den Winkelmann uns am Apollo preist.
Wie schön er ist! Man muß ihn gerne sehen!
Die Augen zu, ihr Mädchen, lauft davon!
Hier ist Gefahr! — Ihr lächelt und bleibt stehen?
Wohlan, so guckt — es ist mein Seladon.
Der Weise nur, wenn wir der Stoa glauben,
Ist schön und voller Reiz; nur er ist groß und frei,
Hochedel, hochgelehrt, ein Krösus noch dabei
Und ein Monarch, so gut als Ucim-Oschantey:
Doch bei den Stoikern in Hauben
Ist dieser Lehrsatz — Ketzerei.
Was jene uns von ihrem Weisen prahlen,
Das legen sie — dem Schönen bei.
Sey schön, ich meine schön zum Malen,
Ein Seladon und, auf mein Ehrenwort,
Sie schicken dir zu Lieb den Zoroaster fort!
Du machst beim ersten Blick die Herzen unterthänig,
Bist weise, tapfer, edel, ja (wie dort
Astolphens Zwerg beim Ariost) ein König,
Wo nicht der Könige, doch oft der Königinnen. —
Sie leugnen's zwar; allein das irrt mich wenig;
Was Herz und Mund verhehlt, läßt oft ihr Aug' entrinnen.
Mein Seladon gefällt aufs erstemal;
Beim zweiten pocht schon was im reizenden Oval,
Das, sittsam um und um verdecket,
Sich in gewebte Luft vor seinem Blick verstecket.
Beim dritten wird sie oft zerstreut,
Und Seufzerchen, wie Liebesgötter,
Entschlüpfen ihr, vielleicht aus Bangigkeit,
Denn (wie die Chronik sagt) war's um die Rosenzeit
Und diesen Tag sehr schwüles Wetter;
Am vierten wundert Prokris sich,
Daß sie nicht anfangs gleich bemerket,
Wie sehr er ihrem Manne glich;
Am fünften wird ihr Ohr noch mehr hierin bestärket,
Indem er seine Liebespein
Zu ihren Füßen klagt. Nichts kann so rührend tönen,
Und nichts dem Ton, worin einst Cephalus sein Sehnen
Ihr vorgegirrt, so ähnlich seyn!
Und kurz, nach sieben vollen Tagen
Kam — eine Nacht, und diese Nacht verging
Schon halb, als Seladon sich bebend unterfing,
Den ersten Kuß auf ihren Mund zu wagen.
Ah! welch ein Kuß, indem sie sich bemüht,
Ihm zu entfliehn, und doch ihm nicht entflieht!
Wie blinkt ihr Aug'! wie süße Seufzer regen,
Da sich zugleich vor holder Scham und Lust
Dieß Auge schließt, die halb enthüllte Brust
Und hauchen ihm den Geist der Lieb' entgegen!
Ihr Götter! — Seladon! Was kann
Solch eine Wonne — Wie, du fährst ergrimmt zurücke?
Wie glücklich, ruft er, wär' in diesem Augenblicke
Ein jeder Andrer — als dein Mann!
Kein Donnerkeil, der an der Gattin Seiten
Den besten Jüngling schnell zu Asche macht,
Sie leben läßt — sie, die nun jede Nacht,
Sonst nur gestört von seinen Zärtlichkeiten,
Mit seinem Schattenbild und ihrem Schmerz durchwacht;
Kein Wolkenbruch, der wild und ungehemmt
Ein sichres Thal schnell rauschend überschwemmt;
Kein Stoß, der Rhea's Riesenglieder schüttelt,
Kein Sturm, der Meer und Luft, Olymp und Acheron
Im Wirbel faßt und durch einander rüttelt,
Ist schrecklicher, als unser Seladon
Im Augenblick, da er verschwindet,
Und Prokris ihren Mann in ihrem Buhler findet.
Was, meint ihr, kann ein Weib von zärtlichem Gemüth,
Das unverhofft sich so gefangen sieht,
Was kann es thun, was kann es sagen?
Nichts sagte sie — schwoll gleich von Scham und Grimm
Ihr stolzes Herz, indem sein Ungestüm
Mit einer Fluth von ungerechten Klagen
Sie übergoß. Was helfen Gegenklagen?
So sehr sie auch durch eine Hinterlist,
Die Zärtlichkeit und Treu beleidigt,
Dazu berechtigt ist.
Ihr Frauen, die ihr euch ein wenig schuldig wißt,
Glaubt mir, daß Schweigen oft weit sicherer vertheidigt,
Als was der schönste Mund zu sagen fähig ist.
Die feine Lobred' anzuhören,
Die er ihr hält, das würde (wie ihr däucht)
Ihm wenig Trost, ihr wenig Lust gewähren.
Sie nimmt daher den kürzern Weg — sie weicht,
Schießt einen Blick, der alle Liebesgötter
Aus ihren schönen Augen scheucht,
So einen Blick, als ob ein Donnerwetter
Ihm in die Seele schlüg', auf Cephaln und — entfleucht.
Kaum ist sie fort und nirgends zu erfragen,
So wechselt Cephalus die Tonart seiner Klagen,
Und Alles wird nunmehr in anderm Licht gesehn.
Er sieht sein Weibchen nun nicht ungetreu, nur schön,
Nur liebenswerth; und unter jenen Bildern,
Die sein verlornes Glück ihm schildern
(Den Schatten mancher süßen Nacht,
Worin sie ihn den Göttern gleich gemacht),
Vergäß' er bald, daß diese holden Augen
Dem schönen Seladon gelacht
Und einen fremden Mund verwegen gnug gemacht,
Aus ihrem Mund Ambrosia zu saugen.
"Doch wie? zu rascher Cephalus!
Worin bestand denn ihr Verbrechen?
Zürnst du auf deinen eignen Kuß
Und willst an ihr und an dir selber rächen,
Was du als Seladon gethan?
Du sprichst, sie sah mich doch für einen Andern an.
Wie? ist dir denn die Macht der Sympathie verborgen?
Grausamer! frage jenen Morgen
Da dir (so leicht ihr Rosenhaar
Dir den Betrug verrieth) Aurora Prokris war!
Dort war's die Phantasie, was deinen Sinn verführte
Und eine fremde Frau mit Prokris Reizen zierte:
Hier war es mehr als Wahn und Aehnlichkeit,
Du selbst warst Seladon. Du suchten sie zu trügen,
Nicht Prokris sich: ein großer Unterscheid!
Und doch gelang dir's nur — ihr Auge zu belügen,
Nicht ihre Zärtlichkeit:
Selbst unter den geborgten Zügen
Entdeckte dich ihr Herz; ihr Auge wandte sich
Von Seladon, ihr Arm umfaßte dich.
Betrogner Cephalus! was hat sie denn verbrochen?
Die Allgewalt der Sympathie
Zog sie in deinen Arm — und du bestraftest sie?
Doch, du entbehrst sie nun, und Prokris ist gerochen."
So denkt er jetzt, wenn Einsamkeit und Nacht
Der Schönen Flucht ihm unerträglich macht.
Er zehrt sich ab mit Sehnsucht und Verlangen,
Sucht sie des Tags, soweit sein Fuß ihn trägt,
Und wenn er Nachts an einen Baum sich legt,
Glaubt er im Traume sie zu finden, zu umfangen
Und wüthet schier wie Roland, wenn, erwacht,
Der Morgen ihm den Irrthum sichtbar macht.
Man sagt, wer immer sucht, find't allezeit am Ende
Dieß oder das und oft noch mehr,
Als er gesucht. Indem er weit umher
Das Land durchstreicht, läuft ihm von ungefähr
Die schönste Dryas in die Hände.
Es wallt ihr langes Haar, so schwarz wie Vogelbeer,
Um Schultern, die den Schnee beschämen,
Und was ihr Kleid, gebläht vom losen West'
Und bis ans Knie geschürzt, dem Jüngling sehen läßt,
Ist fähig, Herzen von Asbest
Die Unverbrennlichkeit zu nehmen.
Selbst Cephalus, den seit der Prokris Flucht
Nichts mehr gerührt, fühlt dießmal sich versucht;
Die Sympathie spielt ihre Spiele wieder:
Doch wehrt er sich, glitscht, so geschwind er kann,
Vom Hals zum Knie, vom Knie zur Ferse nieder,
Schnappt erst nach Luft und redet dann
Mit halb geschloss'nem Aug die Schöne stotternd an:
Du, wo nicht Artemis, doch ihrer Nymphen eine
(Denn so verkündigt dich die göttliche Gestalt),
O, zeige mir den Aufenthalt
Der besten Frau, um deren Flucht ich weine!
Vielleicht, daß sie in irgend einem Haine
Zu deinen Schwestern sich gesellt!
O nenne mir, bei dem, was in der Welt
Dein Liebstes ist! den Ort, der sie mir vorenthält;
So soll, von Marmor aufgestellt,
Dein schönes Bild, mit Blumenkränzen
Alltäglich frisch bekränzt, in meinem Garten glänzen!
So sagt er, wirft sich vor ihr hin
Und will ihr weißes Knie umfassen;
Allein die schöne Jägerin,
Zu sittsam, es geschehn zu lassen,
Entschlüpft ihm lächelnd aus der Hand,
Winkt ihn zurück und spricht: Mein jungfräulicher Stand
Erlaubt mir nicht, die Ehre anzunehmen,
Die mir dein Eifer zugedacht.
Doch höre auf, um Prokris dich zu grämen!
Ich bin erfreut, daß mich der Zufall fähig macht,
Dir einen Dienst zu thun. Zwar sollt' ich Anstand nehmen.
Sie steht in unserm Schutz. Sie hat auf Lebenszeit
Der keuschen Göttin sich geweiht
Und schwor, auf ewig dich zu meiden.
Das mag sie auch! Genug, mich rührt dein Leiden:
Ihr Andern habt, ich weiß nicht was, das euch
Gefährlich macht, ich will es nur gestehen;
Mir schmilzt das Herz von euren Thränen gleich;
Kurz, folge mir, du sollst sie sehen.
Mein Cephalus fällt ganz entzückt
Zum andern Mal zu ihren Füßen,
Vergißt aus Dankbarkeit schon wieder, was sich schickt,
Und drückt ihr Knie mit feuervollen Küssen.
Doch schnell besinnt er sich — der Thor!
Indem die reizende Rosette
(So hieß man sie im Nymphenchor)
Es selbst beinah vergessen hätte.
Er bebt, zieht Mund und Arm zurück
Und sucht beschämt in ihrem Blick
Den Zorn, den er — vielleicht dadurch verdiente,
Daß er zu viel und auch zu wenig sich erkühnte.
Du zauderst? ruft ihm, da er zittert
Und unentschlossen scheint, halb lächelnd, halb erbittert,
Rosette zu: steh' auf und folge mir;
Die Schöne, die du suchst, ist nicht sehr weit von hier.
Er dankt und folgt durch tausend krumme Pfade
Der schalkhaft lächelnden Dryade.
Ihm klopft sein Herz zugleich vor Angst und Lust.
Wie freut er sich, an seine treue Brust
Das lang entbehrte Weib zu drücken!
Wie schmiegt er sich vor ihren strengen Blicken
Im Geiste schon! Mit welcher Zärtlichkeit
Will er auf seinen Knien sie um Vergebung flehen!
Er schwört ihr zu, nicht eher aufzustehen,
Bis der Begnadigung, womit sie ihn beglückt,
Ihr süßer Mund das Siegel aufgedrückt.
Mit diesen zärtlichen Gedanken
Langt Cephalus und seine Führerin
An einer Grotte an, um die des Weinstocks Ranken,
Waldlilien und düftender Jasmin
Ein leicht gewebtes Gitter ziehn.
Hier schleiche (lispelt ihm Rosette)
Dich still hinein: du findest sie, ich wette,
Vom Bad erfrischt auf ihrem Ruhebette,
In einem Augenblick vielleicht,
Worin sie selbst dich hergewünschet hätte,
Und wo man insgemein uns mit Erfolg beschleicht.
Mein Held gehorcht und findet (wie Rosette
Ihm vorgesagt) Frau Prokris auf dem Bette
In süßem Schlaf. — Doch Götter! welch Gesicht!
Hat ihn das Angesicht der gräßlichen Medusen
Versteinernd angeblickt? Wie? er bewegt sich nicht?
Er steht erstarrt! Was zeigt ihm denn das Licht,
Das hier die Nacht zu holder Dämmrung bricht?
Was siehst du, Cephalus? — O schreckliches Gesicht!
Ein Jüngling — ruht an ihrem Busen.
Wie wohl ein solcher Anblick thut,
Will ich die Männer rathen lassen.
Nicht jeder weiß, wie Dandin sich zu fassen.
Der arme Mann! ihm stockt sein Blut,
Ihm starrt das Haar; er will die Arme regen,
Will schrein und kann vor Schrecken und vor Wuth
Die Arme nicht, die Zunge nicht bewegen.
In dieser Noth thut ihm sein Aug' allein,
Wiewohl zu desto größrer Pein,
Den letzten Dienst. Er starrt mit Schrecken
Den Jüngling an und glaubt — o Zufall! o Natur!
Ein andres Selbst, doch ein geborgtes nur,
In diesem Jüngling zu entdecken.
Er irrte nicht: es war derselbe Seladon,
Von dem er jüngst Gestalt und Reize borgte;
Der schönste Hirt, schön wie Endymion,
Der, da mein Cephalus nichts weniger besorgte,
Frau Prokris (die er sich seit ihrem Nymphenstand
Zur Herzenskönigin erkoren)
Zu seinem Sieg schon vorbereitet fand.
Betrogner! durch dich selbst, durch dich gehst du verloren!
"Verwünschte Eifersucht! verfluchter Talisman!
Was für ein Dämon trieb dich an,
In Seladons Gestalt durch tausend Zärtlichkeiten
Dein ehrlich Weib zur Untreu zu verleiten?
Wer zweifelt wohl, du albernes Gesicht,
Daß Glas und Unschuld leicht zerbricht?
Bei beiden braucht es keine Proben:
Sie werden nur, weil sie zerbrechlich sind,
Mit größrer Sorgfalt aufgehoben.
Frau Prokris war ein gutes Kind,
Die Unschuld selbst, und wär' es auch geblieben:
Du, du verriethest sie dem wahren Seladon;
Du lehrtest sie in Andern dich zu lieben!
Sie lernte gut, du siehst die Frucht davon!"
So flüstert jetzt das strafende Gewissen
Dem Selbstbetrognen zu: doch (wie es immer geht)
Kommt nach der That die Reu' auch hier zu spät.
Was soll er thun? Sie ruhn von ihren Küssen
So reizend aus! Es wäre Grausamkeit,
Den süßen Schlaf der Glücklichen zu stören.
Soll er die Billigkeit, soll er die Wache hören?
Es kostet Müh' und innerlichen Streit;
Doch siegt zuletzt die Zärtlichkeit
Und schmelzt den Grimm in wehmuthsvolle Zähren.
Fast athemlos wirft er den letzten Blick
Auf das geliebte Weib und sein verlornes Glück;
Sieht sie — ihr Götter! welch ein Blick!
In fremdem Arm so sanft, so lieblich schlafen;
Sieht's, ächzet laut und flieht zurück,
Sein Unglück — an sich selbst zu strafen.
Nicht ferne von dem Ort, aus dem er wüthend lief,
Verbreitet sich, umkränzt mit Myrtenhecken,
Ein kleiner See, hell wie Krystall, nicht tief,
Doch tief genug, die Nymphen zu verstecken,
Die oft, bei lauer Abendluft,
Die Dämmerung zu jungfräulichen Scherzen
Und wenn sie sicher sind, zum frischen Bade ruft.
Hier sucht mein Cephalus das Ende seiner Schmerzen
In einem feuchten Tod. Verzweifelnd, ohne Sinn,
Sieht er zum letztenmal noch auf die Grotte hin,
Drückt dann die Augen zu und stürzt sich in die Wellen.
Wie wunderbar in seinen Fällen
Das Schicksal ist! Der Kampf des Tages und der Nacht
War noch nicht lang, als dieß geschah, geendet.
Aurora, die bereits den frühen Lauf vollbracht,
Erblickt, da sie den Wagen wendet,
Den kleinen See und findet ihn bequem.
Sie denkt, hier wär' ein Bad ganz angenehm,
Steigt ab, entladet sich von Schleier, Rock und Mieder
Und überläßt die Rosenglieder
Der buhlerischen Flut. — Das dachtest du wohl nicht,
Du guter Cephalus, daß deiner ird'schen Bürde
Aurora selbst die letzte Liebespflicht —
In ihrem Arm — erstatten würde?
Sein Fall erschreckt ihr lauschend Ohr;
Sie schwingt sich aus der Flut empor,
Sieht und erkennt, indem sie siehet,
Den alten Freund, der schon den letzten Athem ziehet.
Die dringende Gefahr macht, daß sie jetzt vergißt,
Wie wenig er verdient, daß sie so gütig ist.
Sie schwimmt hinzu, trägt ihn mit eignen Armen
In eine Grotte hin, wo ihm das weiche Moos
Zum Bette wird, setzt ihn auf ihren Schooß
Und läßt sein kaltes Herz an ihrer Brust erwarmen.
Das Mittel hilft. Sie fühlet bald,
Daß etwas noch in seinen Adern wallt,
Sieht seine Wangen sich mit neuen Rosen färben
Und küßt ihn bald in's Leben ganz zurück.
Zum Malen wäre das ein hübscher Augenblick;
Hier könnt' ein Boucher Ruhm erwerben!
Er öffnet halb den neu belebten Blick,
Erkennt Auroren, sinkt an ihre Brust zurück,
Nicht vor Verzweiflung mehr, vor Dankbarkeit zu sterben.
—————

Kombabus.

Vorbericht.

Dieses Gedicht war die Frucht einiger genialischen Stunden im Jahre 1771. Der Hauptstoff ist aus Lucians Nachrichten von der syrischen Göttin genommen, und die Vergleichung zwischen der Legende vom Kombabus, welche Lucian aus dem Munde der Priester zu Hierapolis erzählt, und dem, was unser Dichter daraus gemacht, ist nun einem Jeden, der dazu Lust und Muße hat, um so leichter, da die neueste Uebersetzung der Werke dieses anmuthigen Schriftstellers überall in Deutschland zu finden ist. Es gibt vielleicht unter allen Mährchen in der Welt keines, das Alles, was eine poetische Erzählung interessant machen kann, in einem höhern Grade in sich vereinigte, als dieses alte syrische Mährchen von Kombab. Aber, um ihm das höchste Interesse, dessen es fähig war, zu geben, mußte es nicht nur mit Zucht und Delicatesse, ohne alle Leichtfertigkeit erzählt werden; sondern es war auch nöthig, dem Kombab einen edlern Beweggrund zu seiner außerordentlichen That zu geben, als Lucian in seiner Erzählung thut. Sie mußte eine Heldenthat seyn, und dieß konnte sie nur dadurch werden, daß sie die Wirkung eines uneigennützigen Triebes war, und daß Kombab ein Opfer, das einen so schweren Grad von Selbstverleugnung erforderte, nicht der Furcht für sein Leben, sondern dem Gefühl seiner Pflicht, der Tugend brachte.Ein ungenannter französischer Poet, dessen Kombabus mit dem unsrigen ungefähr zu gleicher. Zeit ans Licht trat, dachte hierüber anders. Ohne alles Gefühl für die Schönheit dieses in seiner Art einzigen Sujets, machte er eine Erzählung im Geschmack Grecourts daraus — und reinigte dadurch wenigstens sich selbst und den deutschen Dichter von allem Verdacht, daß einer von ihnen den andern nachgeahmt habe.

Kombabus.

Die Tugend ist, wenn wir die alten Weisen fragen,
Ich weiß nicht was — Laßt's euch von ihnen selber sagen!
Dem einen Kunst, dem andern Wissenschaft,
Dem ein Naturgeschenk, dem eine Wunderkraft;
Der Weg zu Gott, nach Zoroasters Lehren;
Der Weg ins Nichts, nach Xekia's Chimären.
Sie ist, spricht Pyrrho, was ihr wollt;
Und mir, schwört Seneca, noch theurer — als mein Gold;
Sie ist der wahre Stein der Weisen,
Macht einen Irus reich, macht schwere Ketten von Eisen
Wie Blumenketten leicht und (was kaum Circe kann)
Den Krates zum Adon, Diogenes zum König! —
Doch wohl im Traume nur, ruft Spötter Lucian.
Der Weise von Stagyr setzt seinen Cirkel an:
"Zieht (spricht er) mitten durch zu viel und durch zu wenig
Die Linie A B, so scharf und so gerad'
Ihr immer könnt! — sie ist der nächste Pfad
Zu ihrem Zauberschloß! nur hütet euch vorm Fallen!"
Herr Doctor (ruft der Mann, der Alexandern bat,
Ihm aus dem Licht zu gehn), den mögt Ihr selber wallen!
Ich danke meines Orts! Wir schlendern, wo Natur
Voran geht, mit: es geht gewöhnlich nur
Der Nase nach; und glitscht ihr auch zuweilen,
Was thut's? Ihr fallt doch nicht so tief wie Ikarus
Und braucht kein Pflaster, die Rippen zu heilen.
Getroffen! (singt, berauscht von junger Nymphen Kuß
Und altem Wein, der Weise von Cyrene)
Die Tugend lieb' ich sehr! Sie ist die gefälligste Schöne,
Und wer sie finster malt, der ist mein Maler nicht!
Sie macht uns Vergnügen und Freude zur Pflicht
Und deckt den Lebensweg mit Rosen —
Falsch, falsch! (ruft Prodikus) das wär' ein feiner Weg,
Uns in den Labyrinth zu führen,
Worin (zumal berauscht) die Klügsten sich verlieren!
Im Gegentheil, es ist ein schmaler, rauher Steg,
Voll starrer Hecken ohne Rosen:
Wer's anders sagt, der kennt die Wege schlecht!
Genug, genug, ihr Virtuosen!
Ihr habt vielleicht auf einmal alle Recht;
Nur, darf ich bitten, kein Gezänke!
Der große Punkt, worin wir alle, wie ich denke,
Zusammentreffen, ist: Ein echter Biedermann
Zeigt seine Theorie im Leben.
So schön und gut sie immer heißen kann,
So wollt' ich keine Nuß um eure Tugend geben,
Wofern sie euch im Kopfe sitzt.
Warum, laßt euch den Oheim Toby sagen
Und Trim, den Corporal! — Für jetzt
Sey mir (mit allem Respect vor euren Bärten, Kragen,
Capuzen, Mänteln, Bireten und allem Zugehör
Der Sapienz) erlaubt, euch aus der praktischen Sphär'
Ein klein Problemchen vorzutragen!
Der Fall, geehrte Herrn, ist der!
—————

Ein König, der den Antilibanus
Vordem beherrscht', und dessen Name
Uns nichts verschlägt, — (genug es war ein Nam' in us)
Besaß ein seltnes Glück — in seiner ehlichen Dame
Cytherens Jugend und Reiz, mit strenger Tugend vereint,
Und ein noch seltnere, — einen Freund.
Ein König einen Freund? Den kann kein König haben,
Sagt dort Diogenes zu Philipps großem Sohn:
Allein der unsre macht hiervon,
Zu seinem Glück, die Ausnahm' in Kombaben.
Schön, wie gesagt, und gut war seine Königin,
Im ersten Jugendglanz schon weise
Und zärtlich überdieß wie eine Schäferin;
Auch sehr devot, wie dessen zum Beweise
Euch ein Gelübde dient, wodurch sie sich zur Reise
In ein entlegnen Reich verband,
Der Göttin, die ins Joch der heil'gen Eh' uns spannt,
Der Schützerin (doch nicht dem Muster) guter Frauen
Den schönsten Tempel aufzubauen.
Der König, ob er wohl nicht von den jüngsten war,
Fand dieß Gelübd' ein wenig sonderbar.
Er gab ihr höflich zu verstehen,
Die Sache könnte wohl durch fremde Hand geschehen.
Mein Architekt, Madame, ist ein bewährter Mann.
"Nein, liebster Ehgemahl! Ich muß den Grundstein legen:
Dieß ist ein Punkt, wovon mich nichts entbinden kann;
An unserm Hochzeittag gelobt' ich's heilig an.
Mein armes Herz empört sich zwar dagegen;
Doch, sollt' es auch in Stücken gehn,
Der Göttin muß und soll genug geschehn!
Der König stellt ihr zwar noch manchen Grund entgegen,
Worauf nicht viel zu sagen war;
Auch setzte sich die Dame der Gefahr
Nicht aus, ihn schwach zu widerlegen:
Sie hatt' ein Mittel bei der Hand,
Das jede schöne Frau noch immer kräftig fand,
Die männliche Vernunft zum Schweigen zu vermögen;
Sie wurde krank. Der erste Leibarzt that
Mit allen seinem Amt zuständigen Grimassen
Den Ausspruch und bewies aus seinem Hippokrat,
Man müsse sie, da sey kein andrer Rath,
In Junons Namen reisen lassen.
Ein Mann, und sollt' er zehnmal König seyn,
Kann, wie ihr wißt, in solchen Fällen
Nichts Bessers thun, als sich ein wenig blind zu stellen,
Und gibt mit guter Art sich, wenn er klug ist, drein.
Der unsre spielt für einen König
(Die Herren seiner Art geniren sonst sich wenig)
Die äußre Rolle ziemlich gut;
Doch innerlich war ihm nicht wohl dabei zu Muth.
So eine schöne Frau sich selbst zu überlassen!
Schon der Gedanke macht den guten Herrn erblassen:
Wiewohl die Frau die Tugend selber war,
So schien die Folge nur zu klar.
Zu viel Erfahrenheit ist ihrem Eigenthümer
Oft hinderlich, zum mindsten an der Ruh'.
Ein weiser Mann von sechzig zweifelt immer,
Traut wenig eurer Weisheit zu
Und eurer Tugend nichts: — und wahrlich desto schlimmer
Für euch und ihn! — Der gute König sitzt,
Indem er mit der rechten Hand die Stirne
Ganz sanft sich reibt, auf seinen Arm gestützt
In seinem Sorgestuhl. Sein königlich Gehirne
Arbeitet (eine Müh, die es sich selten gab!)
Ein Mittel aus, sich Ruhe zu verschaffen.
Der Günstling selbst aus seinen Kammer-Affen
Lockt keinen Blick durch seinen Scherz ihm ab.
Auf einmal ruft er einem Knaben
Im Vorgemach: Man hole mir Kombaben!
Kombab, sein Freund, ein junger Mann zwar noch
Und schöner als Narciß, jedoch,
Trotz allen Lockungen der Schönheit und der Jugend,
Ein junger Mann von oft bewährter Tugend,
Kombab, so denkt er, kann in diesem Fall allein
Der Schutzgeist seiner Ruh' und ihrer Ehre seyn!
Kombab erscheint, und, ohne daß wir's sagen,
Errathet ihr, was ihm der König aufgetragen.
Der arme Liebling stand, wie angedonnert, da
Und schwieg und staunt' und hing die Ohren.
Von welcher Seit' er auch den Auftrag übersah,
Auf allen war er gleich verloren!
Allein was kann er thun? —Sein Freund, sein König spricht:
"Ich muß mich von Abarten trennen;
Zwei lange Jahre, Freund! — Wie dieser Augen Licht,
Du weißt es, lieb' ich sie und muß mich von ihr trennen!
Wem sollt' ich denn, da mich die Königspflicht
Zurück zu bleiben zwingt, sie anvertrauen können
Als meinem treuen Freund Kombab? —
Auf deine Seele wälzt mein unbegränzt Vertrauen
Die schwerste meiner Sorgen ab;
Dir übergeb' ich sie, die beste aller Frauen!
Sey ihr Beschützer, Freund und Rath
Und nimm, für deine Treu zum Lohne,
Wenn du zurück sie bringst, die Hälfte meiner Krone."
Nun sagt, was konnt' er thun —als was er schweigend that?
Sich tief bis auf den Boden bücken
Und unvermögend seyn, sein dankbares Entzücken
Mit Worten sattsam auszudrücken,
Versprechen, schwören, — kurz, was jeder Günstling muß,
Mit Lächeln heuchlerisch des Herzens Kummer schminken
Und fliegen, wie Mercurius,
Wenn Zeus beschlossen hat, in goldnem Regenguß
In einer Nymphe Schooß zu sinken.
Kombab entfernet sich. — Wir schleichen sachte nach,
Zu hören, wie in seinem Cabinete
Der arme Mann sich mit sich selbst besprach.
Er warf sich auf ein Ruhebette
Und seufzt' und weinte laut. — ,O Götter, fing er an,
Was hat Kombabus euch gethan?
O! hätte mich der Fürst zum Günstling nie erkoren!
Nichts kann mich retten! —ach! nichts, als was Dolch und Gift,
Was jeden Tod an Grauen übertrifft!"
Hier unterbrachen Thränenfluten
Den Monolog! und da er ausgeweint:
"Mein König (fuhr er fort), mein König und mein Freund,
Was thät' ich nicht für dich! — Mein Leben auszubluten
In diesem Augenblick, wär' eine Kleinigkeit!
Mit Freuden! — Aber, ach! die Tugend mit dem Leben
Zugleich für dich auf einmal hinzugeben,
Das ist zu viel!" — Hier wird er wieder stumm.
"Doch wie? (so denkt er fort) wenn ich zu schüchtern wäre?
Ich kenne mich, ich bin ein Mann von Ehre,
Und Tugend liebt' ich stets — Warum
Mir selbst so wenig zuzutrauen?
Gut! — aber auch der Königin?
Sie ist ja wohl die beste aller Frauen,
Ist fromm und keusch wie eine Priesterin;
Doch immer — eine Frau und eine Königin;
Hat Fleisch und Blut wie andre junge Schönen
Und wird sich, sind nur erst drei bis vier Monden hin,
Von Hymens Trost nicht ohne Müh' entwöhnen.
Ein junges Weib, Kombab, und eine Königin!
Den Fall gesetzt! wie willst du dich betragen?
Verhüten willst du ihn! — Sehr wohl! Allein, gesetzt,
Er käme doch? — denn, gut dafür zu sagen,
Wer, der das Herz kennt, dürft' es wagen? —
Gesetzt demnach, du würdest hochgeschätzt,
Man fänd' unschuldiges Behagen
An deinem Umgang — Nach und nach
Gewöhnt man sich, man weiß nicht wie, Kombaben
Den ganzen Tag um sich zu haben;
Man wird vertraut, man scherzt, man spielt im Schach
Und spricht nicht stets von ernsten hohen Dingen;
Der Freundschaft öffnet sich sogar das Schlafgemach,
Man braucht sich nicht vor ihr zu zwingen,
Ihr ist kein Ort und keine Zeit
Versagt; kein Argwohn stört der Unschuld Sicherheit;
Vom strengen Wohlstandszwang befreit,
Entdeckt einst ungefähr ein Arm von Alabaster,
Ein Busen, der sich halb aus seinen Fesseln drängt,
Ein schöner Fuß sich dir; und du — bliebst unversengt?
Das hätte sich selbst Zoroaster
Nicht zugetraut! Und wie (was nur zu möglich ist),
Wenn sich die Königin vergißt;
Wenn sie, dein Herz und, kann sie dieß nicht rühren,
Doch deine Sinne zu verführen,
Nichts unversuchet läßt? Was hälfen dir, Kombab,
Der längste Widerstand, die schönsten Heldenthaten?
Mit jedem Siege nimmt die Kraft zum Siegen ab,
Und endlich wird dich ihr dein eignes Herz verrathen.
Für dich kämpft Ehr' und Tugend nur,
Ihr helfen Schönheit, Reiz und Wollust und Natur!
Die Uebermacht auf Amors Seite
Ist allzu groß in einem solchen Streite!
Und hättest du noch Kraft zum Widerstehn:
Wirst du sie ungerührt in Thränen schwimmen sehn?
Ich kenne dich zu gut! — Du wirst, zu ihren Füßen
Hinsinkend, jede Thrän' aus ihren Augen küssen,
Wirst, voll des süßen Gifts, wovon ihr Auge schwillt,
Dein wallend Herz an ihren Busen drucken
Und außer ihr nichts fühlen, nichts erblicken!
Und dann? — O, rettet mich, ihr Götter!" —rief er wild
Und floh schon vor sich selbst, wie einer, der, vom Schrecken
Des bängsten Traums erweckt, sich ringsum eingehüllt
In Flammen sieht, die seine Haare lecken.
Und nun, setzt euch an seine Stell',
Ihr Epikteten, ihr Sokraten,
Und wie ihr Alle heißt! was ist dem Mann zu rathen?
Was thätet ihr? Setzt euch an seine Stell',
Und sprecht! — Don Robert Abrissel,
Wir wissen's, war bei weitem nicht so schüchtern.
Was wir berauscht nicht wagten, wagt' er nüchtern,
Und merket wohl, er war kein Maleficiat.
"Was that denn Robert?" — Was er that?
Man spricht nicht gern davon; doch könnt ihr Baylen fragen.
Genug, Kombab, der nur ein armer Syrer war
Und doch, erlaubet mir's zu sagen,
Die Tugend liebte, gab nicht gern sich in Gefahr;
Und in der That, nicht Alle dürfen wagen,
Was Kinderspiel für Bruder Robert war.
Ich scherze nicht; ihr Virtuosen, rathet!
Ihr seht Kombabs Verlegenheit.
Vergeßt jetzt — was ihr selber thatet,
(Wer zweifelt, daß ihr Menschen seyd?)
Sagt nur, was soll in seiner Lage
Kombabus thun, um außer Furcht zu seyn,
Im schwächsten Augenblick von einem schwarzen Tage
Nicht Keuschheit, Treu' und Freundschaft zu entweihn?
Die Frage, glaubet mir, ist keine leichte Frage!
Fliehn soll er, ist der Rath des Klügsten unter euch;
Der Tugend Streit mit Liebe, Lust und Jugend
Ist, ihr gesteht's, zu wenig gleich;
"Die Flucht allein gewährt uns unsre Tugend."
Gut, das ist leicht gesagt: doch, wär's auch leicht gethan,
Zum Unglück schlägt der Rath in unserm Fall nicht an.
Dem armen Mann verwehrt die Pflicht zu fliehen,
Verwehrt die Treu für seinen Freund und Herrn
Sich dem gefährlichen Beruf (so gern
Er ihn verbäte) zu entziehen.
Er muß! — Wohl, ruft aus einem Mund
Der Casuisten Chor, — so mach' er einen Bund
Mit seinen Augen und wag's! —Auch das ist schön zum Sagen
Allein Kombab, der sich vermuthlich fühlt'
Und nichts auf Wagespiele hielt,
Kann auch die Möglichkeit des Fallens nicht ertragen.
Am schwankenden Erfolg von einem Augenblick
Hängt seine Ruh, sein Ruhm, sein ganzes Glück,
Sein Leben selbst; denn freilich, wenn er fiele,
Steht nichts Geringers auf dem Spiele.
Der Neid im Hinterhalt, die schlaue Eifersucht
Hält tausend Augen auf ihn offen;
Wie könnt' er seines Lasters Frucht
In Ruhe zu genießen hoffen?
Allein, gesetzt auch, daß um sie
Der Liebesgott die dickste Wolke zieh',
Ihr Glück so lang' als ihre Flamme daure,
Und Argus selbst vergebens sie belaure:
So lauscht ein Zeuge, den er nicht
Betrügen kann, in seinem Busen.
Ihn schreckte weniger das tödtende Gesicht
Der schlangenhaarigen Medusen!
Was hälf' es ihm, die Welt zu hintergehn,
Wenn er erröthen muß, in sich hinein zu sehn.
In dieser äußersten Gefahr
Stellt seinem Geiste sich ein einzig Mittel dar.
Es ist entsetzlich auszusprechen,
Allein es sichert vor Verbrechen.
Er geht nicht erst mit Fleisch und Blut zu Rath;
Tief seufzend wendet er die Augen, nicht zu sehen,
Was seine Hand beginnt. — Sie ist, sie ist geschehen,
Die heldenmüthige, die große, schöne That!
Ihr, die ein rascher Schwur verpflichtet,
Die schönste Sünderin begierlos anzusehn!
Seht, welchen Zoll Kombab der Tugend hier entrichtet!
Und müsset ihr euch selbst gestehn,
Dieß sey der nächste Weg dem Satan auszuweichen,
So gehet hin und thut desgleichen!
Indessen läuft der Sand der Abschiedsstunde ab.
Kombab beurlaubt sich. Astartens Tugend spielet
In vollem Glanz. Antiochus empfiehlet
Die Dame seinem Freund — Auf einmal ruft Kombab:
Beinahe hätt' ich was vergessen!
Er fliegt davon und kommt im Augenblick
Mit einem Kästchen im Arme zurück.
Er fällt dem Herrn zu Fuß: "Darf sich dein Knecht vermessen,
Noch eine Bitte zu thun? Dieß Kästchen, Herr, enthält
Das Kostbarste von Allem in der Welt,
Was dein Kombab besaß. Um sicher es zu wissen,
Leg' ich es hier zu meines Königs Füßen.
Drück ihm dein Siegel auf und gönn' ihm einen Platz
In deinem königlichen Schatz.
Dort mög' es, bis ich einst es wieder fordre, liegen!
Der König schwört bei seinem grauen Bart',
Es soll den besten Platz in seinem Schatze kriegen;
Und in Kombabens Gegenwart
Drückt er sein Siegel auf. Mit vielen Thränengüssen
Entreißt Astarte nun sich seinen Abschiedsküssen,
Kehrt zehnmal wieder um, läßt ihr getreues Herz
Nur einmal noch an seinem Herzen schlagen
Und wird zuletzt, halb todt vor Schmerz,
In ihren Palankin getragen.
Nach dreien Monden kam die hohe Karavan'
An Ort und Stelle glücklich an.
Der Bau beginnt und geht so gut von Statten
(Dank sey Kombaben, der das ganze Werk regiert),
Daß, eh das zweite Jahr ins dritte sich verliert,
Sie nur den Wetterhahn noch aufzusetzen hatten;
Und gleichwohl schien's ein Werk, von Göttern aufgeführt.
Astarte bleibt, wie zu erachten,
Von unsers Helden Werth nicht lange ungerührt.
Verdienst und Tugend hochzuachten,
Ist eine Eigenschaft, die ihres Gleichen ziert.
Sein inneres Verdienst entbehrt zwar leicht Verstärkung
Von außen her: allein, da man ihn täglich sieht,
So macht (wiewohl sie sich's zu leugnen sich bemüht)
Ihr Auge doch allmählich die Bemerkung,
Kombab, der unvermerkt das Herz ihr abgewann,
Sey nicht der beste nur, sey auch der schönste Mann;
So schön, so tadellos vom Kopf bis auf die Füße,
Daß, hätt' ein Bildner je dieß Ideal erreicht,
Er ohne Widerspruch der erste Künstler hieße,
Und jede Göttin ihr verzeihungswürdig däucht,
Die sich von ihm ein wenig lieben ließe.
Und bei so seltnem Reiz ein Herz,
So gut, so sanft, so edelmüthig!
Sein Witz so leicht, so fein sein Scherz!
Kurz, Eines fehlt ihm nur — er ist zu ehrerbietig.
(Doch, wie ihr seht, wird dieser Vorwurf ihm
Durch Blicke nur gemacht)—Man soll in Schranken bleiben:
Allein, die Schüchternheit so weit wie er zu treiben,
Ist grillenhaft. Ein wenig Ungestüm
Ist eher Reiz an Leuten, die ihm gleichen,
Als Uebelstand. — Was braucht er auszuweichen,
Wenn ihre Augen sich begegnen? Fürchtet er
Die ihrigen? — Die Antwort war nicht schwer:
"Er liebt, der arme Mann, und kämpft mit seinen
                       Trieben!"
Und, wenn er liebt, wen kann er lieben,
Als eine Göttin, oder — sie?
Wie könnt' es anders seyn? Er, der sie spät und früh
Zu sehen Anlaß hat, wie wär' er frei geblieben?
Dieß klärt ihr Alles auf. Er hat den Muth noch nicht,
Sich sein Geheimniß zu gestehen,
Und wird das Opfer seiner Pflicht.
Daher der Zwang, sie nur verstohlen anzusehen,
Das Seufzen, das ihm statt des Athmens ist,
Die Schwermuth seines Blicks, die Blässe seiner Wangen
Und diese Wolken, die, sobald er sich vergißt,
Um seine schöne Stirne hangen!
Der Irrthum war Astarten zu verzeihn.
Man mußt', um richtiger zu schließen,
Nur in Kombabs Geheimniß seyn.
Uns, die wir mehr als sie von seinen Sachen wissen,
Ist Alles klar. Allein, der Orden, den er ziert,
Wird billig niemals präsumirt.
Sie wußte übrigens, daß die Semiramissen
(Gleich den Göttinnen) sich, wenn sie ein Schäfer rührt,
Zum ersten Schritt entschließen müssen;
Zum zweiten, dritten oft, wofern der Seladon
Vor seinem Glück die Augen zuzuschließen
Beharrt. In diesem Stück muß eine Göttin schon
Den Fehler ihres Standes büßen.
Indessen gibt's der Wege ja genug,
Was man zu sagen hat, mit guter Art zu sagen.
Man braucht sich eben nicht gleich förmlich anzutragen:
Ein Mann von Lebensart, zumal bei Hof, ist klug
Und in der Redekunst der Augen wohl geübet.
Allein beim unsrigen, ist Alles, was ihr Blick
In dieser schönen Sprach' ihm zu vernehmen gibet,
Verloren. — "Wunderbar! Was hält ihn noch zurück?
Er weiß doch sonst so gut zu leben;
Und dächt' er nur ein wenig fein,
So würd' er selbst beflissen seyn,
Der Schritte sie zu überheben,
Die eine Frau sich selber zu vergeben
Stets Mühe hat, wobei er nichts gewinnt,
Und die für sie so wenig rühmlich sind."
Schon spricht sie deutlicher. Jetzt muß er's doch verstehen!
Man ist sehr blind, nicht durch ein Sieb zu sehen.
Wenn eine Königin euch Blicke gibt, wie sie,
Die Hand euch drückt, von nichts als Sympathie
Und von der Liebe, die vom Willen
Nicht abhängt, spricht, — für sehr natürlich hält,
Daß eine Göttin, wenn auf dieser Unterwelt
Ein Cephalus, ein Acis ihr gefällt,
Sich kein Bedenken macht, den süßen Trieb zu stillen:
Ich sage, wenn sie euch so weit entgegen geht,
Und ihr sie dann noch nicht versteht,
So müßt ihr — wüthende Distractionen haben!
Dieß war nun freilich bei Kombaben
Die Sache, leider! nicht; allein
Astarte konnte das nicht wissen:
An ihrem Platz, was kann sie schließen,
Als, eine Andere müss' im Besitze seyn?
Von diesem Augenblick wird jede seiner Mienen,
Wird jeder Tritt belauscht und ausgespäht:
Kein wiederkommender Komet
Beschäftigt mehr die wachenden Cassinen.
Ein Finger, den er regt, erweckt ihr schon Verdacht.
Man weiß, wie scharf verliebte Augen sehen,
Wenn Eifersucht sie mikroskopisch macht.
Kein Zauberschatz wird wie Kombab bewacht.
Doch endlich wurde man es müde — nichts zu sehen.
Astarte, deren Glut jetzt wieder Luft bekam,
Zu ihrer ersten Hypothese
Zurück zu gehn genöthigt, glaubt, sie lese
Ganz klar in seinem Gesicht, daß nichts als falsche Scham
Die Ursach sey, warum er sich so link benahm.
Ein Pastor fido ist das blödste aller Wesen.
Sie sieht, es braucht, den Zauber aufzulösen,
Was Außerordentlichs, und, ihrer beider Ruh
Zu Lieb', entschließt sie sich, wiewohl nicht gern, dazu.
Was bald darauf, im Cabinete
Der Königin, mit ihr und unserm Freund Kombab
Sich, diesem Schluß gemäß, begab —
Es gäb' ein feines Nachtstück ab,
Wofern ich Lust zum Malen hätte!
Genug, es war ein Sophastück,
Und (wenn ihr euch so weit zurück
Erinnern könnt) Aurora spielt' einst völlig
Astartens Rolle, nur mit etwas besserm Glück.
Denn, ach! Kombabens Stand macht Alles hinterstellig,
Wodurch man (ohne sich zu schmeicheln) hoffen kann
Zu siegen über einen — Mann.
Kombabus! — In der That die Lage,
Worin er war, empöret die Natur.
Auch fühlt er — was ich euch nicht ohne Röthe sage —
Nicht für Astartens Tugend nur:
Ach, für ihn selbst gehn seine Augen über!
O Tugend, ruft er aus, welch Opfer bracht' ich dir!
O! warum nahm ich mir nicht lieber
Das Leben ganz, als ich Betrogner mir — —
Ach Königin! wie soll, wie kann ich dir
Gestehn, was dein Kombab sich raubte? —
Er sah verwildert aus, indem er's sprach. Ein Schrei
Entfuhr der Königin; sie glaubte,
Daß von der Nymphenwuth Kombab ergriffen sey.
Allein sie wurde bald aus dieser Angst gerissen.
Wie außer sich sinkt er zu ihren Füßen,
Umarmt und drückt, was seinen feurigen Küssen
Am nächsten lag, ihr allzu reizend Knie —
Und wie Astart' aus einer Ekstasie,
Die ihr allmählich sich verschönerndes Gesichte
Mit Wonnelächeln übergießt,
Und wie zu süßem Tod ihr schönes Auge schließt,
In seinen Arm zurück gekommen ist,
Erzählt der arme Platonist
Von seinem Heldenthum die klägliche Geschichte.
Die Schwachheit, die er uns gezeigt,
Macht ihm (ich seh's an ihrem Achselzücken)
Die nichts verzeihenden Catonen ungeneigt.
Mein Held verliert in wenig Augenblicken,
Was noch vielleicht an seiner That
Verdienstlich war. — Wer schafft für Alles Rath?
Ich lasse der Natur gern ihre kleinen Mängel;
Und freilich macht ein Schnitt noch keinen Engel!
Wie dem auch sey, Kombab gewann
Bei seiner Königin, was er bei euch verlieret.
Sie sah, indem er sprach, aufs innigste gerühret,
Mit Wehmuth ihn und mit Bewundrung an.
"Zwei Jahre lang dich täglich sehn und hören,
Astarte, ganz Gefühl für deine Reize seyn
Und nicht abgöttisch dich verehren? —
Ich kannte mich! — und, wirst du mir verzeihn,
Wenn ich's gesteh'? — auch deinem schönen Herzen
Traut' ich zu viel Empfindung zu,
Um ungerührt zu seyn bei meinen stummen Schmerzen.
Und könnt' ich, Schönste, deine Ruh
Zu theu'r erkaufen?" — — Mehr zu sprechen,
Vermag er nicht; sein volles Herz muß brechen,
Muß brechen oder sich an ihrer schönen Brust
In einen Thränenstrom ergießen.
Sie selbst vergißt der schmerzlich süßen Lust
Zu widerstehn; — drückt ihn an ihre Brust,
Versagt sich nicht, die Wonne zu genießen,
Geliebt zu seyn, die jeden Schmerz versüßt!
Zu grausam wär' es, ihm den einz'gen Trost zu wehren,
Den schwachen Trost unaufgehaltner Zähren,
Worin ihr Herz in seines überfließt
Und, süß betäubt von einem Strom von Küssen,
Vergißt, daß etwas sey, das sie entbehren müssen.
Astarte reicht ihm ihre schöne Hand:
Dieß, spricht sie, da sie endlich seinen Küssen
Sich sanft entzieht, dieß sey das Unterpfand
Der Zärtlichkeit, die dir mein Herz gestand,
Eh' ich, wie sehr du sie verdientest, konnte wissen!
Und wenn dieß Herz, wovon du König bist,
Zum Glück dir so genug, wie mir das deinig' ist:
O! so genieß den Trost, dich so geliebt zu sehen,
Wie noch kein Sterblicher, wie kein Endymion,
Kein Cephalus, kein Attys, kein Adon
Geliebt sich sah! — Jetzt darf ich dir's gestehen:
Die Großthat, die du dich erkühnt,
Gestattet mir, untadelhaften Trieben
Mich ganz zu weihn, erlaubt mir, dich zu lieben,
Wie nur Kombab geliebt zu seyn verdient.
Sie sagten sich noch viele schöne Sachen,
Die auf den Leser nicht den hohen Eindruck machen,
Wie auf sie selbst, und die wir übergehn.
Indeß erröth' ich nicht, ganz laut es zu gestehn
(Die Rigoristen mögen sagen,
Was ihnen wohl gefällt), ich finde das Betragen
Der Königin in diesem Falle schön.
Astarte sucht' und fand in ihrem Herzen
Und seinem Geist, in seinem Unterricht,
Oft auch in leichten muntern Scherzen
Ersatz für — etwas, das (zum mindsten, wenn die Pflicht
Es heiligt) Spröden selbst nicht allzu gern' entbehren.
Wenn Jemand fähig ist, ihr solchen zu gewähren,
So ist's Kombab. Denn von den höchsten Sphären
Bis zum Atom' herab ist nichts, wovon er nicht
Wie Salomon und Trismegistus spricht.
Auch bringt die Königin
Oft halbe Sommernächte
An seiner Seite hin,
Bedient sich, ohne Zwang, der Rechte,
Die ihr sein Zustand gibt, und kurz, behandelt ihn,
Als wären sie von einerlei Geschlechte.
Oft sitzen sie, zur Stunde, da der West
Die Mittagsruh' in Florens Arm verläßt,
Allein in wilden Sommerlauben,
Sehr unbesorgt, was wohl davon die Leute glauben.
Und in der That, es ist den Leuten zu verzeihn.
Man hüllt vergebens sich in seine Unschuld ein;
Die Welt erkennt die Tugend nur am Schein.
Wer hätt' ein paar Figuren ihrer Gattung,
So jung, so liebenswerth, so schön,
In eines Myrtenstrauchs sanft dämmernder Umschattung
Nicht für — Adon und Venus angesehn?
Bei Tage ging's noch hin. Doch halbe Sommernächte
Und stets allein, mit einem schönen Mann! —
Mit einem Mann' allein! — "Nun in der That, was
Einander Nächte durch zu sagen haben kann,
Ist, was ich wohl einmal erfahren möchte!"
"Madame, es käm' auf eine Probe an,
Versetzt der junge Herr — die kurzen Sommernächte
Entschlüpfen leicht; — man liegt in freier Ruh'
Auf Blumen — hört den Nachtigallen zu —
Und dieß und das" — So scherzen im Vertrauen
Die Höflinge, die Kammerfrauen.
Man kennt die Vögel am Gesang.
Dieß Antichambrevolk urtheilet gern vermessen.
Gesetzt, die Königin sey oft ein wenig lang
Bei ihrem Mentor aufgesessen,
Entschuldigt dieß auch nur den leisesten Verdacht?
Man kann so leicht sich im Gespräch vergessen!
Und in der That ist einer schönen Nacht
Zum Staunen, zum Philosophiren,
Nichts anders gleich! Sie ist dazu gemacht,
Die Seelen unvermerkt den Leibern zu entführen;
Zumal wenn Lunens Schein, wie eine neue Welt
Von Schatten, welche kaum den äußern Sinn berühren,
Elysiums echtes Bild uns vor die Augen stellt,
Und über uns, bei unbewölkten Himmel,
Der Sterne prächtiges Gewimmel
Den angezognen Geist mit stolzer Ahnung schwellt.
Astarte fand unendlich viel Behagen
An Nächten dieser Art; indessen manchem Freund
Der Augenblick — dem König anzusagen,
Wie seine Königin mit ihrem schönen Freund
Die Nächte braucht, — unendlich langsam scheint.
Er kommt zuletzt. Der Bau ist nun vollendet,
Der Tempel eingeweiht, die Priesterschaft dotirt,
Und, weil man nichts, was sich gebührt,
Vergessen will, das dritte Jahr geendet.
Der König, dem, ich weiß nicht was, oft schwer
Ums Herze macht, betreibt den Rückzug sehr.
Nicht, daß er sich die Zeit indessen nicht vertrieben!
Man weiß ja, große Herren lieben
Veränderung; und wohl bekomm's den großen Herrn;
Die Kleinen haben sie trotz ihrer Kleinheit gern.
Genug, der Rückzug läßt sich länger nicht verschieben;
Und Seiner Majestät zu melden, wie beglückt
Die Reise sey, wie heftig das Verlangen,
Die königlichen Knie bald wieder zu umfangen,
Wird einer vom Gefolg dem Zug vorangeschickt.
Man glaubte zwar, den Besten auszuwählen,
Doch war es schwer, den Schlimmsten zu verfehlen.
Vergebens war Kombab ein Menschenfreund
Und stets bemüht, sich Alle zu verbinden:
Ein Günstling hoffe nicht, Erkenntlichkeit zu finden!
Sobald ein böser Stern erscheint,
Ist, wer durch seinen Fall gewinnen kann, sein Feind.
Mercur mit Flügeln an den Sohlen
Vermöchte nicht den Höfling einzuholen;
So groß ist die Begier, aus pflichtgemäßer Treu
Dem alten König zu berichten,
Wie nah Kombab mit ihm verschwägert sey.
Wißt ihr, wie Höflinge in solchen Fällen malen?
Die Farben werden nicht dabei
Gespart, das glaubet mir! Mit seinem Kopf bezahlen
Will er, wofern er nur ein Wörtchen mehr gewagt,
Als was Astartens Hof aus einem Munde sagt.
Der König sträubt sich sehr; so groß war sein Vertrauen
Zu seinem Freund, zur besten aller Frauen!
Er krümmt und windet sich, bis er, gezwungen, weicht;
Denn, ach! nur nicht so viel als ein Vielleicht
Macht seine Ueberzeugung wanken;
Er kann ihm nicht entfliehn, dem schrecklichen Gedanken!
Betrogen, ruft er aus und sinkt betäubt dahin,
Von meinem Freund, von meiner Königin?
Ein Kerker schließt, sobald sie angekommen:
Astarten und den Günstling ein.
"Welch Aergerniß! — So kann der Schein
Der Tugend uns belügen!" — schrein
Aus einem Ton die Spröden und die Frommen.
Den Schlangen, die die Welt von Anbeginn verführt,
Der Schönheit und dem Witz, den Stiftern alles Bösen,
Wird, wie es sich gebührt,
Der Text dabei gelesen.
Die Häßlichkeit (die freilich nicht verführt)
Ist mächtig stolz, ihr Antlitz zu erheben,
Das Gegengift der bösen Lust;
Und Dummkopf lobet Gott aus voll geschöpfter Brust,
Der, was an Witz ihm fehlt, ihm an Verstand gegeben.
Indessen fährt der König fort,
Die Schaar der Zeugen zu verhören,
Und hundert Augenzeugen schwören,
Man sah sie tausendmal allein, wenn Zeit und Ort
Die Sache sehr verdächtig machten:
Man sah sie einst sogar (wiewohl am längsten Tag)
In einem Gartenzelt beisammen übernachten.
Was sie gethan, ist — was man schließen mag!
Denn freilich konnte man so nah' hinzu nicht gehen,
Um Alles auf ein Haar zu sehen;
Genug, die Wahl von Zeit und Ort
Ließ, was davon zu denken sey, verstehen.
Zum Unglück muß von Wort zu Wort
Kombab dieß Alles eingestehen.
Er leugnet nichts: nur bleibt er stets dabei,
Daß seine Königin dem königlichen Bette
Getreu und rein wie eine Lilie sey,
Und daß er sich nichts vorzuwerfen hätte.
Doch bessert dieß der Sachen Mißgestalt?
Der Zeugen Harmonie, sein eigenes Bekenntniß
Beweist ein sträfliches Verständniß
Nur allzu stark. Der Urtheilsspruch erschallt:
Man überliefre sie der rächenden Gewalt.
Ein schwarz behängtes Blutgerüste
Erwartet dich, Kombab, und die gerechte Wuth
Des Königs lechzt nach seines Günstlings Blut.
Der Schein ist wider mich, spricht mit gelass'nem Muth
Das Opfer seines Grimms: was kann ich thun, als schweigen?
Doch schuldlos stirbt Kombab! —Dieß tröstet mich! — und du,
Mein König, wirst, zu meines Schattens Ruh,
Was gegen eine Welt voll Zeugen
Astartens Unschuld dir und meine Redlichkeit
Beweisen kann, in jenem Kästchen finden,
Das ich — erinnre dich's, o Herr — im Reisekleid
Dir übergab. Ich bin zum Tod bereit
Und suche nicht aus Furcht mich los zu winden.
Allein, wenn Wort und Schwur auch einen König binden,
So fordr' ich hier Gerechtigkeit!
Du schworst, o Herr, bei deinem Leben,
Mein Kästchen unversehrt mir einst zurück zu geben:
Jetzt ist es Zeit, wink' es herbei!
Der König stutzt. Ein allgemein Geschrei
Des Volkes fordert ohne Säumen
Des Kästchens Gegenwart. Man rieth, was drinnen sey;
Allein das Wahre ließ sich keine Seele träumen.
Der König winkt. Das schon gezückte Schwert
Starrt in des Würgers Hand, Bald wird das Kästchen kommen!
Es kommt, es kommt! Ein Todesschauer fährt
Durch jedes Herz, Kombabens ausgenommen.
Der König nimmt es selbst in seine eigne Hand,
Besieht es um und um und sieht's im alten Stand,
Die Fugen ganz, das Siegel unversehrt.
Erinnre dich, spricht jetzt Kombab,
Als ich's, o Herr, dir übergab,
Sagt' ich: mein Kostbarstes befinde sich darin.
Jetzt sag' ich: in gewissem Sinn
Mein Schlechtestes! und doch erklär' ich hier zugleich,
Ich nähme nicht dein ganzes Königreich,
Daß, was du finden wirst, nicht wäre drin gewesen.
Das Räthsel sich und Allen aufzulösen,
Eröffnet es der Fürst, und, wie vom Blitz gerührt,
Steht er und glaubt durch Zauber sich betrogen.
Denn siehe! von Kombabens Unschuld wird,
In Byssus eingehüllt und köstlich balsamirt,
Der unverwerflichste Beweis hervorgezogen!
Nie stand, seitdem die Welt sich um die Pole dreht,
Ein Mann betrogener da — als Seine Majestät:
Und dennoch fehlt noch was, ihn ganz zu überzeugen.
Kombab erräth's und macht vorm Augenschein
Die innerlichen Zweifel schweigen,
Die gegen seinen stummen Zeugen
In manche Zirbeidrüse steigen.
Der Unglaub selbst gestand jetzt seine Unschuld ein!
Drauf wirft er sich dem Könige zu Füßen,
Erzählt der Länge nach, aus was für weisen Schlüssen
Er sich nach langem Kampf (weil er, was nun geschehn,
Nur gar zu wohl vorher gesehn)
Zu dem entschlossen, was wir wissen.
Beredter als ein Demosthen
Sprach unser Held, nicht ohne helle Zähren
Zu weinen, dergestalt, daß Allen, die ihn hören,
Und selbst dem Könige die Augen übergehn;
Wie dieß, und was wir sonst, aus Gründen, überschlagen,
Von denen, die dazu Belieben tragen,
Bei Lucian de Dea Syria
Zu lesen ist. —— Nun hört, was noch geschah!
Der König hebt mit zärtlichem Erbarmen
Den Liebling, wie's noch keinen gab
Und keinen geben wird, den treuen Freund Kombab,
Vom Boden auf, hält ihn in seinen Armen
Und bitter ihm mit Thränen ab
Das Unrecht, das er ihm, vom Anschein' hintergangen,
Gethan (auch soll dafür sein Kläger billig hangen!)
Und kurz, der würdige Kombab
Nimmt, zum Vergnügen aller Leute,
Den alten Platz an seines Königs Seite.
Auch bei Astarten geht er kühnlich aus und ein
Und darf bei Tag und Nacht, bei Mond- und Kerzenschein,
Mit fremden Zeugen und allein,
Im Cabinet, im Garten und im Hain,
Ja, auf dem Sopha selbst, ihr Zeitvertreiber seyn.
Die ganze Schaar der Höflinge bedachte
(Nicht ohne Neid) die Gunst, die ihm ein Opfer brachte,
Das Manchem in besagter Schaar
Nicht halb so schwer zu machen war.
Die Wuth, sich zu kombabisiren,
Ergriff sie insgesammt. In kurzer Zeit bestand
Der ganze Hof aus einer Art von Thieren,
Die durch die Stümmlung just das Einzige verlieren,
Um dessentwillen man sie noch erträglich fand.
—————

Die erste Liebe.

An Psyche.

Im Jahre 1774.

Die Quelle der Vergessenheit,
Aus welcher in der Fabelzeit
Die frommen Schatten sich betranken
Und dann, vom Los der Sterblichkeit,
Von Sorgen und von Nachtgedanken,
Von langer Weil' und Zwang befreit,
In sel'ger Wonnetrunkenheit
Hin auf Elysiens Rosen sanken:
Was meinst du, Freundin, was sie war?
Dein Beispiel macht die Sache klar;
Du kennst nun Amors Wundertriebe;
Von diesem Lethe sehen wir
Die klaren Wirkungen an dir:
Dieß Zauberwasser ist — die Liebe.
Ein Tröpfchen, sey es noch so klein,
In Unschuld züchtiglich hinein
Geschlürft aus Amors Nektarbecher,
Thut Alles dieß! Was wird geschehn,
Wenn unerfahrne junge Zecher
Im Trinken gar sich übersehn?
Das süße Gift! es schleicht die Kehle
So sanft hinab! — Was Wunder auch,
Wenn eine wonnetrunkne Seele
Dem jungen Faun beim ersten Schlauch'
Ein wenig gleicht, dem seine Höhle,
Sein Schlauch und der geliebte Freund,
Der mit ihm zecht, das Weltall scheint?
Du staunst mich an? — O! um die Dichterköpfe!
Fi! wie mir der Faununculus
(Das ungleichartigste Geschöpfe
Mit Amorn, der von einem Kuß
Zehn Jahre lebt), da ich ein Gleichniß brauche,
Just in die Quere laufen muß!
Das närr'sche kleine Ding mit seinem ersten Schlauche!
Allein so geht's uns armen Reimern gern,
Nicht immer bleiben wir des Flügelpferdchens Herrn!
Bald übermeistert uns die Laune,
Bald gar der Reim. Wer sieht den Abstand nicht
Vom Gott der Zärtlichkeit zum Faune!
Allein den Reim, die Laune ficht
Dieß wenig an; sie wechseln oder paaren,
Nach Willkür und Gemächlichkeit,
Oft Dinge, die, seitdem den Elementenstreit
Ein Gott entschied, noch nie gepaart gewesen waren:
Die Laune holt zur feinsten Ironie
Den Stoff vom — Vorgebirg der Rasen;
Und läßt der Reim nicht ohne Müh
Den Hasen bei Delphinen grasen?
Doch, so wie auch ein Thor einmal was Kluges spricht,
So reimte dieses Mal der Reim so übel nicht:
Denn etwas, gutes Kind, ist, leider! an der Sache.
Nicht, daß ich's dir zum Vorwurf mache!
Die Grazien verhüten's! Aber doch
Bleibt wahr, was wahr ist: daß, seit du aus Amors —Schlauche
Den großen Zug gethan, du kaum von ferne noch
(Dank sey dem losen kleinen Gauche!)
Dich jenes schönen Traums aus einer bessern Zeit
Besinnen kannst, den wir für Wahrheit hielten,
Eh diese Amorn noch um deinen Busen spielten.
Denn, sprich mit Offenherzigkeit,
Wo sind sie hin, die Bilder jener Zeit,
Als, an der besten Mutter Seite,
Wir, wie die guten frommen Leute
Der alten goldnen Schäferzeit,
In sel'ger Abgeschiedenheit
Von Hof und Welt, gleich Geßners Hirten,
Im Schatten junger Pappeln irrten? —
Die, weil sie Panthea mit eigner Hand gepflanzt,
In unsern Augen schöner waren,
Als Tempe, wo mit losgebundnen Haaren
Um Daphnens Stamm die Nymphe tanzt.
Sprich, war in seinen Schäferjahren
Apollo glücklicher, als ich?
Auch dich, Psycharion, auch dich
Schien unsre Freundschaft zu beglücken;
Ein sanftes, geistiges Entzücken
In deinem Lächeln, deinen Blicken
Schien der geschwisterlichen Schaar,
Die durch dein Anschaun glücklich war,
Des Engels Wonne auszudrücken,
Der sich allein in seinen Freunden liebt
Und Wonne fühlt, indem er Wonne gibt.
O gute Psyche, welch ein Leben,
Hätt' ihm ein günstiges Geschick
Ein wenig Dauer nur gegeben!
Denn, ach! es war ein Augenblick!
Der Mond ging auf, der Störer unsrer Freuden,
Der Amorn oft die Zeit zu lange macht:
Uns kam er stets zu früh' — er kam, um uns zu scheiden!
Vergebens hofften wir den Flug der braunen Nacht
Durch unsre Wünsche aufzuhalten:
Wir wurden im Olymp, wie billig, ausgelacht;
Die Götter sparen ihre Macht;
Kurz, Phöbus ging zur Ruh', und Alles blieb beim Alten.
Was war zu thun? Geschieden mußt' es seyn!
Ein traurig Lebewohl erstarb auf jedem Munde,
Noch diesen letzten Blick! — Da bin ich nun allein
Und stehe noch, mit offnem Aug' und Munde.
Als wurzelt' ich in zauberischem Grunde,
Wie ein gebannter Ritter, ein.
Nicht wahr, an Alles dieß erinnerst du dich kaum,
Vielleicht, wie man von einem Morgentraum
Die schnell zerfließenden Gestalten
Vergebens sich bestrebet fest zu halten?
Vergessen ist im Arm des neuen Agathon
Der gute Psammis-Danischmende;
Die Götterchen von Paphos sehn mit Hohn
Auf ihn herab von ihrem Lilienthron'
Und klatschen in die kleinen Hände.
Doch was ist hier, ihr Götterchen, am Ende
So viel zu klatschen? Spart den Hohn!
Hofft nicht, daß uns der Werth der Ueberwundnen blende!
Mit Zauberwaffen trägt man leicht den Sieg davon.
Die Wahrheit, Freundin, ist, daß der
Von Liebe gar nichts wissen müßte,
Der in dieß Wunderwerk sich nicht zu finden wüßte.
Die erste Liebe wirkt dieß Alles und noch mehr.
Mit ihrem ersten süßen Beben
Beginnt für uns ein neues bess'res Leben.
So sehen wir im Lenz der Sommervögel Heer
Auf jungen Flügeln sich erheben:
Gleich ihnen, sind wir nun nicht mehr
Die Erdenkinder von vorher;
Wir athmen Himmelslüfte, schweben
Wie Geister, ohne Leib, einher
In einem Ocean von Wonne;
Bestrahlt von einer schönern Sonne,
Blüht eine schönere Natur
Rings um uns auf; der Wald, die Flur,
So däucht uns, theilten unsre Triebe;
Und Alles haucht den Geist der Liebe.
O Zauberei der ersten Liebe!
Noch jetzt, da schon zum Abend sich
Mein Leben neigt, beglückst du mich!
Noch denk' ich mit Eurolügen dich,
Du Götterstand der ersten Liebe!
Was hat dieß Leben, das dir gleicht,
Du schöner Irrthum schöner Seelen?
Wo ist die Lust, die nicht der hohen Wonne weicht,
Wenn von den göttlichen Clarissen und Pamelen,
Von jedem Ideal, womit die Phantasie
Geschäftig war in Träumen uns zu laben,
Wir nun das Urbild sehn, sie nun gefunden haben,
Die Hälfte unser selbst, zu der die Sympathie
Geheimnißvoll uns hinzog — sie,
Im süßen Wahnsinn unsrer Augen
Das Schönste der Natur! aus deren Anblick wir,
Wie Kinder an der Brust, nun unser Leben saugen,
Von Allem um uns her nichts sehen außer ihr,
Selbst in Elysiens goldnen Auen
Nichts sehen würden außer ihr,
Nichts wünschen würden, als sie ewig anzuschauen!
Von diesem Augenblick nimmt sie als Siegerin
Besitz von unserm ganzen Wesen:
Wir sehn und hören nun mit einem andern Sinn;
Die Dinge sind nicht mehr, was sie zuvor gewesen.
Die ganze Schöpfung ist die Blende nur, worin
Die Göttin glänzt, die Wolk', auf der sie schwebet,
Der Schattengrund, der ihren Reiz erhebet,
Ihr huldigt jeder Kreis der lebenden Natur;
Ihr schmücken sich die Hecken und die Bäume
Mit jungem Laub, mit Blumen Thal und Flur;
Ihr singt die Nachtigall, und Bäche murmeln nur
Damit sie desto sanfter träume;
Indeß der West, der ihren Schlummer kühlt,
Für sie allein der Blüthen Balsam stiehlt,
Und, taumelnd vor Vergnügen,
Verliebte Rosen sich auf ihrem Busen wiegen.
Sie träumt — Ein süßes Lächeln schwebt
Um ihren röthern Mund, um ihre vollern Wangen:
O! wär' es zärtliches Verlangen,
Was den verschönten Busen hebt!
O! träumte sie — (so klopft mit ängstlicher Begier
Des Jünglings Herz) o, träumte sie von mir!
O Amor, sey der blöden Hoffnung günstig!
Er nähert furchtsam sich, und selbst der keusche Blick
Besorgt, zu kühn zu seyn, und bebt von ihr zurück.
Doch Amor gibt ihm Muth, die Dämmrung ist so günstig,
Und, o, wie schön ist sie! — Verloren im Genuß
Des Anschauns steht er eine Weile
So steinern da, wie eine Marmorsäule.
Wie selig er sich fühlen muß!
Den Göttern gleich zu seyn, was fehlt ihm noch? — in Kuß,
Ein einz'ger unbemerkter Kuß,
Wie Zephyr küßt, auf ihre sanfte — Stirne.
Der höchste Wunsch, den seine Liebe wagt!
Und auch dieß Wenige, so viel für ihn! versagt
Sein Zaudern ihm. Denn, eh sein Mund es wagt,
Reibt Chloe schon den Schlummer von der Stirne.
Sie schlägt die Augen auf. Bestürzung, Zärtlichkeit
Und holde Scham, in zweifelhaftem Streit,
Verwirren ihren Blick. Er glaubt ihr Auge zürne,
Sieht bang sie an und flieht. Nun ist rings um ihn her
Die weite Schöpfung öd' und leer,
Die Luft nicht blau, der Mai nicht blühend mehr;
Das Sonnenlicht hört auf für ihn zu scheinen.
Dort sitzt er, wo der finstre Hain
Die längsten Schatten wirft, auf einem rauhen Stein,
Gefühllos jedem Schmerz — als ungeliebt zu seyn,
Gefühllos jeder Lust — als ungestört zu weinen.
Schon sinkt des Himmels Auge zu,
Schon liegt die Welt in allgemeinem Schlummer,
Und er, versenkt in seinen Kummer,
Er wird es nicht gewahr. Die Ruh
Flieht, Aermster, deine Brust, und deine Augenlider
Der süße Schlaf! Der Abend weicht der Nacht,
Die schöne Nacht dem schönern Morgen wieder,
(Für dich nicht schön!) und du, an Chloens Bild
Geheftet, ganz von ihr und deinem Schmerz erfüllt,
Bemerkt es nicht! und doch, bei allein seinem Leiden,
Liebt er die Quelle seiner Pein:
Er nähme nicht der Götter Freuden,
Von seinem Wahn geheilt zu seyn!
Doch welche Wonne, welche Freuden
Erwarten, sanfter Jüngling, dich,
Wenn sie, — die alle deine Leiden
Mit dir getheilt und, wenn bei deinem Anblick sich
Oft eine Thrän' aus ihrem Auge schlich,
Kaum Muth genug sich wegzuwenden hatte, —
Wenn sie die Kraft verliert, mehr Widerstand zu thun,
Wenn, ganz des Gottes voll, das matte,
In Liebe schwimmende, unschuld'ge Auge nun
An deiner Wange sich des süßen Drucks entladet,
Und die vom Uebermaß der Lust
Dem Schleier ausgeriss'ne Brust
In unverhehlten Thränen badet!
Vergib, Psycharion — Bei diesem Bild' entfällt
Der Pinsel meiner Hand! —Nehmt ihn, ihr Huldgöttinnen,
Euch weih' ich ihn! und aufgestellt
In eurem Heiligthum, geliebte Charitinnen,
Sey euch zum Preis das unvollend'te Bild!
Von eurem Schleier sey's verhüllt
Dem Faunenblick des Sklaven seiner Sinnen,
Dem unbegreiflich ist, wie man
Mit Amors Dienst den euren paaren kann;
Der Flammen, die bei ihm nur in den Adern rinnen,
Vom Schlauch Silens entlehnt,
Und die Empfindungen verfeinter innrer Sinnen
In feilen Armen höhnt.
Verachte, Psyche, der Bacchanten
Und Satyrn Hohn! Geneuß der sel'gen Schwärmerei,
Des goldnen Traums, der uns zu Anverwandten
Der Götter macht! Laß kalte Dykophanten
Beweisen, daß er Täuschung sey,
Und glaube du, Glückselige, der Stimme
Des Engels, der in deinem Busen wohnt!
Neu ist die Wonne dir, womit uns Amor lohnt;
Durch manche Thrän' erkauft und desto süßer! — Schwimme
In diesem Ocean! — Sie, die gefällig sich
Mit der Natur und dem Geschick verglich,
Dich, schöne Freundin, zu beglücken,
Die Tugend billigt dein Entzücken,
und Amors holde Schwestern pflücken
Idaliens schönsten Kranz für dich.
Du bist beglückt, — und ich — vergessen!
Es sey! — Die Freundschaft eifert nicht.
Noch tanzt das magische Gesicht
Um deine Stirne, noch ist Alles eitel Licht
Und Himmel um dich her, noch fließet ungemessen,
Gleich dem unendlichen Moment der Ewigkeit,
Die Zeit der süßen Trunkenheit —
O Psyche, auch für mich war einst so eine Zeit!
Was hätt' ich damals nicht vergessen,
Als ich in dem Bezaubrungsstand,
Worin du bist, mit Doris mich befand;
Und — wenn ich ihr, so früh' es immer tagte,
Bis unbemerkt der letzte Strahl verschwand,
Das ew'ge Einerlei, das ich für sie empfand,
Stets neu auf tausend Arten sagte —
Den längsten Tag zu kurz, es ihr zu sagen, fand!
O Wonnetage, gleich den Stunden,
In ihrem Anschaun zugebracht!
O Wochen, gleich dem Traum in einer Sommernacht!
Geliebter Traum! der, längst verschwunden,
Noch durch Erinnrung glücklich macht!
Wo seyd ihr hin, ihr unbereuten Freuden,
Du Blüthe der Empfindsamkeit,
Um die wir jene goldne Zeit
Schuldloser Unerfahrenheit
Und unbesorgter Sicherheit
Und wesenloser Lust und wesenloser Leiden
(Mit aller ihrer Eitelkeit)
In weisern Tagen oft beneiden;
Du erster Druck von ihrer sanften Hand,
Und du, mit dem ich mein entflohnes Leben
Auf ihren Lippen wieder fand,
Du erster Kuß! — Euch kann kein Gott mir wieder geben!
Sie welkt dahin, des Lebens Blumenzeit!
Ein ew'ger Frühling blüht allein im Feenlande;
Und Amors reinste Seligkeit
Bringt uns zu nah dem Götterstande,
Um dauerhaft zu seyn. Wie selten ist das Glück,
Das deine Liebe krönt, Psycharion! wie selten
Erhört das neidische Geschick
Der ersten Liebe Wunsch! Wir gäben Thronen, Welten,
In ihrem Rausch, um eine Hütte hin;
Ein Hüttchen nur, im Land der Geßnerischen Hirten,
Just groß genug, um uns und unsre Schäferin,
Die Grazien und Amorn zu bewirthen.
Sie wüchsen von sich selbst, im Schutz des guten Pans,
Die Bäume, die, indem sie sorglos küßten,
Uns Müßiggänger nähren müßten!
Wie selig! — Aber Zeus lacht des verliebten Wahns.
Sein Schicksal trennt — aus guten Gründen —
Den Schäfer und die Schäferin.
Und, o! wie spitzt sich einst des Pastorfido's Kinn,
Wenn zu den väterlichen Linden
Die Zeit zurück ihn führt, die holde Schäferin,
Auf deren Schwur und treuen Sinn
Er seines Lebens Glück versichert war zu gründen,
In eines Andern Arm zu finden!
Noch glücklich, wenn vielmehr — ihr Aschenkrug,
Umringt von traurigen Cypressen,
Ihm sagt: daß Chloens Herz, von stillem Gram zerfressen,
Aus Sehnsucht brach und Zug für Zug
Sein werthes Bild mit sich ins Land der Schatten trug;
Daß in der letzten Todesstunde
Ihr Aug' ihn noch gesucht, und auf dem kalten Munde
Sein Name noch geschwebt! — Doch dreimal glücklicher,
Wenn, wie Amandus und Amande,
Nachdem sie manches Jahr zu Wasser und zu Lande
Durch Berg und Thal, von Zara's heißem Sande
Bis an den gelben Fluß, sich rastlos aufgesucht,
Der Liebesgott mitleidig ihrer Flucht
Ein Ende macht, im Thor von Samarkande
Sie unverhofft zusammen fügt
Und, wie sie nun, im vollen Ueberwallen
Der Zärtlichkeit, sich in die Arme fallen,
Davon mit ihren Seelen fliegt.
Doch, Freundin! setzen wir den seltensten der Fälle;
(Denn selbst die Königin der Amorn sah sich nie
In diesem Fall; Vulcan vertrat des Ehmanns Stelle,
Und für Adone seufzte sie!)
Gesetzt, daß Cypripor und Hymen sich verbanden,
Zwei Hälften, die, zum Glück, einander fanden,
So zu beseligen, wie mit gesammter Hand
Die beiden Götterchen uns glücklich machen können;
Kurz, Psyche, setzen wir ein Band
Wie deines: glaubest du, der hohe Wonnestand
Der ersten Schwärmerei, er werde dauern können?
Wie gerne wollt' ich dir den süßen Irrthum gönnen!
Doch leben wir nicht unterm Mond?
Was bleibt vom Los der Sterblichkeit verschont?
Im Zauberlande der Ideen,
Da gäb' ich's zu! allein in unsrer Welt,
In dieser Werktagswelt, wo bloß vom langen Stehen
Selbst der Koloß von Rhodus endlich fällt,
Wird, glaube mir, solange sie noch hält,
Nichts Unvergängliches gesehen.
Da hilft kein Reiz, kein Talisman!
Der Zauber löst sich auf! — Wir essen
(Verschlingen oft und thun nicht wohl daran)
Die süße Frucht, und mitten in dem Wahn
Des neuen Götterstands, dem magischen Vergessen
Der Menschheit, werden uns die Augen aufgethan.
So wie die Seele sich — dem Leibe
Zu nahe macht, weg ist die Zauberei!
Die Göttin sinkt herab zum — Weibe,
Der Halbgott wird — ein Mann. Doch, Psyche, wenn dabei
Die, so am meisten wagt, am wenigsten verlöre:
Verdiente sie, den Grazien zur Ehre,
Nicht ein Capellchen in Cythere?
Daß übrigens euch in der stolzen Ruh
Des schönen Irrthums nicht die Prophezeiung störe!
Gesetzt, der Ausgang sagt' ihr zu —
Uns anderm Erdenvolk' ist's immer sehr viel Ehre,
Daß uns ein Mann wie er, ein Weib wie du,
So bald als möglich angehöre.
Der Menschenstand, den Doctor Mandevil
Und Freund Hans Jack (wenn ihn die Laun', auf Vieren
Zu gehn, ergreift) bei uns verkleinern will,
Hat seinen Werth; und unter allen Thieren
(Die Kaffern nehm' ich aus) ist, wie ein weiser Mann
Vorlängst gesagt, nicht eines anzuführen,
Das sich an Tugenden mit uns vergleichen kann;
Vorausgesetzt, daß Amor mit den Musen
Und Grazien die letzte Hand
An uns gelegt! — Denn, in dem rohen Stand,
Worin an Mutter Isis Busen
Die meisten hangen, geb' ich zu,
Daß mir ein hübscher Sapaju,
Der Sperling Lesbiens, ein Täubchen aus Cythere
Und Gressets Papagay zum Umgang lieber wäre.
Dir, Schwesterchen, und deinem künft'gen Mann,
Begünstigt, wie ihr seyd, von Grazien und Musen,
Steht ganz gewiß die schöne Menschheit an,
Zu welcher, wie das Nektarräuschchen schwindet,
Die Göttin unvermerkt sich abgeschattet findet.
Auch das Gedächtniß wird dann wieder aufgethan.
Im kleinen Hain der Nachtigallen
Wird, Psyche, dir mein eignes Bild sogar
(Nicht ohne Wunder, wo's zeither geblieben war)
Stracks wieder in die Augen fallen.
Die Freundschaft, eingesetzt in ihr erlangtes Recht,
Wird nicht mehr, weil ihr Rosen brecht,
Von ferne stehn und sich verlassen grämen:
Doch wird sie willig sich bequemen,
In deinem Herzen nur das Plätzchen einzunehmen,
Das Hymen, der doch wohl nicht Alles füllen kann,
Ihr lassen will. Auch wird er bald gestehen,
Daß — wär' es nur, um zuzusehen,
Wie wohl euch ist — man dann und wann
Den Freund, so nebenher, ganz wohl gebrauchen kann.
—————

Sixt und Clärchen

oder

der Mönch und die Nonne auf dem Mädelstein.

Ein Gedicht in zwei Gesängen.

1775

Vorbericht.

Neben der berühmten Wartburg bei Eisenach stand vor Zeiten eine Burg, die (nach einigen Chroniken) schon in der Mitte des fünften Jahrhunderts von einem von Frankenstein erbaut, siebenhundert Jahre darauf von der Herzogin Sophia von Brabant, während ihrer Händel mit dem Markgrafen von Meißen, Heinrich dem Erlauchten, wieder aus den Ruinen gezogen worden, nun aber nur noch wenige Spuren ihres ehemaligen Daseyns aufzuweisen hat. Diese Burg hieß der Mittelstein, woraus der Name Mädelstein entstanden, den der Berg noch heutiges Tages in der Gegend führt. Auf diesem Mädelstein ragen zwei Felsenspitzen hervor, die von ferne, und wenn die Einbildungskraft das Ihrige beiträgt, wie zwei sich umarmende menschliche Figuren aussehen. Das gemeine Volk glaubte vor Zeiten (und glaubt vielleicht noch), diese zwei Steine seyen ein Mönch und eine Nonne gewesen, die aus wechselseitiger Liebe dem Kloster entsprungen und sich auf diesen Berg geflüchtet, daselbst aber, zur Strafe ihres Verbrechens und Andern ihres Gleichen zum abscheulichen Exempel, in dem Augenblicke, da sie sich umarmen wollen, in Stein verwandelt worden seyen. Diese alte Sage konnte vielleicht zu nichts Besserm dienen, als daß sie die Entstehung des gegenwärtigen Gedichts veranlaßte. Die damit vorgenommenen Veränderungen bedürfen keiner Rechtfertigung. Von der Fabel selbst aber kann, wer Lust hat, in Limperts lebendem und schwebendem Eisenach das Mehrere lesen.

Erster Gesang.

Der Klosterstand, wovon Pythagoras
Den blinden Heiden schon ein Mütterlein gegeben,
Hat seinen Werth, so gut (zum mindsten) als — ein Leben
In Diogens berühmtem Lagerfaß.
Wenn gleich nicht Alle propagiren,
Seyd unbesorgt, das menschliche Geschlecht
Stirbt drum nicht aus. — Doch fordert man mit Recht,
Des inneren Berufs sich erst zu überführen,
Bevor ein Menschensohn das kühne Wagstück wagt
Und Allem, was in Kopf und Herz und Nieren
Uns zweigebeinten federlosen Thieren
Diesseits des Monds am meisten wohl behagt,
Durch einen derben Schwur entsagt,
Um all sein Leben lang, bei wohl verschloss'nen Thüren,
Zu fasten und zu psalmodiren.
Beruf, Beruf! darauf kommt Alles an!
Der fehlte nun — sagt uns ein altes Mährchen —
Zum Unglück just dem lieben frommen Pärchen,
Wovon ich euch, so gut ich weiß und kann,
Erzählen will, was sich in jenen Tagen
Der Einfalt und der Wunder zugetragen.
Ergetzt es euch, so hat der Dichter halb erreicht,
Was er dem Leser gerne gönnte;
Denn, glaubet mir, kein Mährchen ist so seicht,
Aus dem ein Mann nicht weiser werden könnte.
————— .

Ein frommes klösterliches Pärchen,
Er, Bruder Sixt, sie, Schwester Clärchen,
Noch beide jung und schön und zart
Und fromm und gut nach deutscher Art,
Kurz, recht geschaffen für einander,
Wie ehmals Hero und Leander,
Und (was ich nicht verschweigen muß)
Der Künste, die Ovidius
De Arte lehrt, so unerfahren,
Als nie ein Paar von achtzehn Jahren:
Dieß gute Paar — erschrecket nicht!
Sie glaubten nicht daran zu fehlen,
Die armen argwohnlosen Seelen!
Sie — liebten sich und nannten's Pflicht.
Sixt sah die junge Schwester gerne,
Die Schwester sah den Bruder gern,
Und ihre schönen Augensterne
Gestanden's frei, doch nur von fern.
Sie fühlten, sich so anzusehen,
Ihr könnt nicht glauben welche Lust:
Sixt blieb wie eingewurzelt stehen,
Und Clärchens Herz hüpft' in der Brust.
Bei dieser Lust sich vorzusehen,
Fiel, bloß aus Unschuld, keinem ein.
Wie kann darin was Böses seyn?
Denkt: junges Volk. — So pflegt's zu gehen!
Das süße Gift der Liebe schleicht,
Wie eitel Nektar, glatt und leicht,
Ins Herz hinab; allein die Wehen,
Die Wehen, Kinder, folgen nach.
Da geht's euch wie Dionens Knaben,
Als ihn, versteckt im Honigwaben,
Ein Bienchen in den Finger stach.
Des Busens wollustreiches Dehnen,
Dieß dunkle namenlose Sehnen,
Wird unvermerkt zum stumpfen Schmerz.
Euch preßt, ihr wißt nicht was, das Herz,
Im trüben Auge schwimmen Thränen;
Von eurem Lager flieht die Ruh',
Ihr ruft zur Stillung eures Kummers
Umsonst den holden Gott des Schlummers
Und schließt die Augen schlaflos zu.
Ein innerlich verzehrend Feuer
Leckt euer jugendliches Blut;
An eurer Leber nagt der Geier
Des Tityus, der niemals ruht;
Wie Rosen in der Mittagsglut,
Welkt ihr dahin, wie auf den Matten
Gemähtes Gras; und, kurz und gut,
Wenn Amor nicht ein Wunder thut,
Bleibt nichts von euch als euer Schatten.
Dieß war der jammervolle Stand,
Worin sich unser Paar befand.
Denn, ach! sich lieben und nicht sehen
Und, sieht man sich, durch Blicke nur
Einander, was man fühlt, gestehen,
Ist mehr, als menschliche Natur
Ertragen kann! — Nur ein Mal, nur
Auf ihre Hand, den Mund zu drücken
(Seufzt Bruder Sixt), o welch Entzücken!
Nur ihre Hand an meine Brust:
Mein Leben gäb' ich drum mit Lust!
Wie gern erhörte Schwester Clärchen,
Du lieber armer Bruder Sixt,
Den Wunsch, den du zum Himmel schickst!
Sieh, zum Beweis, das helle Zährchen,
Das aus den Augen — stets nach dir
Mit reiner herzlicher Begier
Gerichtet — auf die Leinwand bebt,
Die sich von ihren Seufzern hebt.
Wie gerne hätt' er diese Zähre
Vom weißen Kragen weggeküßt!
In meinen Augen, daß ihr's wißt,
Macht Sixten diese Schwachheit Ehre.
Ein Mensch, der doch kein Engel ist,
Kann, traun! um kleinern Sold nicht minnen.
Ach! um dieß Thränchen zu gewinnen,
Wär' er auf Erbsen, barfuß, bis
Nach Rom gereist, dieß ist gewiß!
Allein dem Prior mit dem langen
Eisgrauen Barte sein Verlangen,
So unschuldsvoll es immer war,
Zu beichten, — nein, dieß war nicht möglich!
Er hätt' es noch so herzbeweglich
Vorbringen mögen, offenbar
Lief er Gefahr — o Gott! ihm stehen
Vor dem Gedanken schon die Haar'
Zu Berge — lief er nicht Gefahr,
Sein Clärchen gar nicht mehr zu sehen?
Wie wird's den armen Seelen gehn!
Verhaltne Liebe, sagt Galen
(Sagt's oder hätt' es sagen sollen),
Je mehr wir sie verbergen wollen,
Je tiefer frißt sie sich ins Herz.
Ihr Schmerz ist ein zu süßer Schmerz,
Als daß man gleich an Heilung dächte;
Und wenn man dann geheilt seyn möchte,
So ist's zu spät. Dieß sehen wir
An Bruder Sixt und Schwester Clare.
Schon drei äonenlange Jahre,
Unglückliche, bekämpfet ihr
Natur und Herz, Casteien, Beten,
Die Geißel und das härne Kleid
Habt ihr versucht, den Feind zu tödten:
Umsonst, je hitziger ihr kämpft,
Je minder wird sein Zorn gedämpft.
Zum Unglück' ist, zumal bei Claren,
Der Sitz des Uebels — nicht im Fleisch.
Sie ist so neu, so unerfahren
Und liebt so schön, so engelkeusch!
Für sie nur schlimmer! Denn, je reiner
Des Nönnchens Seele ist, je feiner
Sie denkt und fühlt, je minder läßt
Durch Geißeln, Wachen, Fasten, Beten,
Solch eine Neigung sich ertödten.
Im Tempel selbst, am höchsten Fest,
Schwebt Sixtens liebes Bild ihr immer
Vor ihrer Stirn! Im Speisezimmer,
In jedem Kreuzgang, jedem Saal,
An jeder Wand hängt's überall
Gemalt, geschnitzt, mit einem Schimmer
Von Gold ums Haupt. Ihn muß sie sehn,
Wohin sich ihre Blicke lenken,
Muß mit ihm auf und nieder gehn,
Muß von ihm träumen, an ihn denken,
Und träumte sie vom Himmelreich.
Kurz, was in Clärchen leibt und lebet,
Ist durch und durch mit ihm verwebet,
Und ihm sehn alle Heil'gen gleich.
Eh könnte sie sich selbst verlieren,
Als dem geliebten Bild entfliehn.
Vertieft sie sich im Meditiren,
Unwissend meditirt sie — ihn;
Wenn Todesbilder ihr erscheinen,
So ist's, um Sixtens Tod zu weinen;
Wenn zu des Paradieses Glanz
Sich ihre Phantasie erhöhet,
Entzückt der schöne Sternenkranz,
Der sich um ihre Scheitel drehet,
Sie nur, weil Sixt ihn pflückt' und gab;
Und selbst des Fegfeu'rs Flammen wehet
Sein Athem kühlend von ihr ab.
O sagt, die ihr die Liebe kennet,
Ist euch um Clärchens Herz nicht bang?
Ein Herz, das so wie ihres brennet,
Wenn Schicksal, Mauern, Klosterzwang
Und Schwur den Liebling von ihr trennet,
Laßt seine Liebe noch so rein,
Laßt seine Seufzer Engel seyn,
Zu bald wird die Natur es rächen!
Die schwärmerische Seelenglut
Entflammet bald sein junges Blut,
Und reinste Liebe wird zu Wuth,
Wenn Trost und Hoffnung ihr gebrechen.
Wie kann sie von Entbehrung leben?
Sie will genießen, was sie liebt,
Und Küsse, die sie träumend gibt,
Will sie zuletzt auch wachend geben.
Ihr sprecht: in stillen Liebesthränen
Ist Wollust; — wahr! doch sagt, was ist
Natürlicher, als sich zu sehnen:
"O! würden sie mir aufgeküßt!"
Allein, wenn jeder Wunsch des Herzens,
Auf ewig unbefriedigt bleibt;
Wenn jede Nacht den Grad des Schmerzens,
Die Pein der Sehnsucht höher treibt;
Wenn sich in brünstigem Verlangen
Die Arme aufthun, liebevoll,
Und einen Schatten stets umfangen:
Sagt, wie ein Herz nicht brechen soll?
Wer wünschte nicht, ein Marterleben,
Das nur verlängert wird zur Pein,
Dem, der es gab, zurück zu geben?
Bald ausgespannt, bald frei zu seyn,
Ist nun auch Clärchens Trost allein!
Da sitzt bei mattem Lampenschein
Das arme Kind in seiner Zelle,
Blaß, wie bei düstrer Mondeshelle
Ein Geist auf einem Leichenstein.
Vertrocknet ist der Thränen Quelle;
Auf einen Todtenkopf den Blick
Geheftet, bebt sie nicht zurück
Vor dem Gedanken, bald zu sinken
Ins kühle Grab, die Ruhestatt
Des Müden, der vollendet hat,
Der Leiden bittern Kelch zu trinken.
Sie sieht, mit Palmen in der Hand,
Ihr aus den Wolken Engel winken,
Sieht schon die Siegeskrone blinken
Und seufzt: "O! diese Scheidewand,
O! möchte sie noch heut zerstieben!
Was ist's, das mich an diese Welt,
Mein Trauter, noch gefesselt hält?
Werd' ich dich dort nicht reiner lieben?"
So schwärmt die kranke Phantasei
In Clärchens sanfter schöner Seele,
Stets sanft und zärtlich, — wie im Mai
Die stille Nacht durch Philomele
Um den geraubten Gatten weint.
Ganz anders wirkt die Fieberhitze
In ihrem unglücksel'gen Freund.
Wild springt er auf vom harten Sitze,
Umarmt in glüh'nder Raserei
Ein Crucifix — (er wähnt, es sey
Der Abgott seiner Seele)— drückt
Mit tausend liebestrunknen Küssen
Es an sein schlagend Herz, — erblickt
Mit kaltem Schau'r, was er gethan,
Und stürzt betäubt dem Gott zu Füßen
Und fleht um einen Blitz ihn an!
Die ihr, von frommem Wahn geblendet,
Den Arm zu Molochs-Opfern bebt,
O Väter, eh' ihr sie vollendet,
Betrachtet dieses Bild und bebt!

Zweiter Gesang.

Nun, da ihr die verliebten Seelen
So unaussprechlich elend seht,
Daß Satan selbst, sie baß zu quälen,
(So gut er auch die Kunst versteht)
Nicht möglich fände; sagt, was können
Wir eilends für sie thun? — Sie brennen;
Ihr letzter Augenblick ist nah'.
O! ist denn zwischen Erd' und Himmel
Kein Engel, sie zu retten, da?
Und käm' er auf Sanct Görgens Schimmel
Geritten — Ach! der Fall ist da,
Wo nur ein Gott ex machina
Uns helfen kann. Sey's um ein Wunder!
Noth geht an Mann; wir sinken unter!
So höret also, was geschah:
Ein Schutzgeist — nicht ex machina,
(Denn jeder Mensch hat seinen eignen,
Sagt Hermas, der es wissen muß,
Und Dichter werden's ihm nicht leugnen)
Ihr guter weißer Genius
Demnach — doch, richtiger zu sagen,
Sind's ihrer zwei, die dieses Mal,
Zwei arme Seelen aus der Qual
Zu retten, sich ins Mittel schlagen.
Ein Genius kann, wie ihr wißt,
Viel thun, das uns unmöglich ist,
Kann Wetter machen, donnern, blitzen,
In einem Wink ' ein Weltchen baun
Und Träume, lieblich anzuschaun,
Aus bunten Morgenwolken schnitzen.
Ein Traum - spricht Clärchens Genius
Zu Sirtens - denkst du nicht, dieß brächte
Die Sach ' am ehesten zum Schluß?
Versuchen wir's die nächsten Nächte!
Sie senden also, mit Bedacht,
Stracks in der ersten Osternacht,
Früh, eh die Glock ' aus ihren Nestern
Die Brüder aufweckt und die Schwestern,
Zwei Träume, die so gleich sich sahn,
Wie neugeborne Zwillingsbrüder.
Mit schlummertriefendem Gefieder
Läßt einer sich auf Sirten nieder;
Der andere schmiegt, wie Leda's Schwan,
Sich sanft an Clärchens Busen an.
Auf einmal stellt der Traum sich ihnen
Gleich einem jungen Cherub dar,
Schön, wie die Liebe, hell und klar '
Von Amaranthen und Jasmtnen
Durchwebt ein Kranz sein goldnes Haar-
Zwei Sterne seine Aeuglein schienen,
Und seine Wängelein Rubinen
Doch deckt ein dreifach Flügelpaar
Mit tausend Regenbogenfarben
Sein zartes Leiblein ganz und gar.
Die beiden armen Seelen starben
Vor Freuden fast ob dem Gesicht'.
Es tritt zu ihnen hin und spricht:
"Ich bin der Schutzgeist frommer Liebe;
Und euer Leiden rühret mich;
Es wäre Jammer, sicherlich,
Wofern es unvergolten bliebe.
Hört an! an! Dort hinter jenem Hain
Erhebt sich zwischen öden Bergen
Der kahle schroffe Mittelstein;
Scheint recht dazu gemacht zu seyn,
Zwei fromme Täubchen zu verbergen.
Ein festes Schloß war's hiebevor;
Noch ragen stattliche Ruinen
Aus wilden Büschen hoch empor,
Die sollen euch zur Zuflucht dienen!
Dort fliehet hin, dort sollt ihr ruhn:
Das Weitre wird die Liebe thun."
Drei Nächte nach einander träumen
Die Liebenden den gleichen Traum.
Er heißt sie eilen und nicht säumen;
Und, ihren Zweifeln keinen Raum
Zu lassen, reicht der Cherub ihnen
Sein weißes Händchen, unersucht,
Zum Unterpfand', auf ihrer Flucht
Mit sicherem Geleit zu dienen.
"O lieber süßer Wonnetraum!
Ruft Sixt und springt von seinem Schragen
Lusttaumelnd auf: — du goldner Traum,
Du sollst es mir nicht zwei Mal sagen!"
Und gleichwohl, da er nach und nach
Sich kühler mit sich selbst besprach,
Erhoben sich Bedenklichkeiten;
Er wankte noch sogar beim zweiten:
Doch auch den dritten zu bestreiten —
Bewahre Gott! — Und müßt' er sich
Durch zwanzig Ritter-Görgens-Drachen
Den Weg zu seinem Nönnchen machen,
Er ist entschlossen festiglich!
Mit Clärchen, von Gewissen zärter
Und schüchterner, wie billig, als
Ein junger feur'ger Wagehals,
Mit Clärchen ging es ungleich härter;
Wiewohl den Traum, so schön er war,
Mit seinem krausen gelben Haar
Und seinen Regenbogen-Schwingen
Sich wieder aus dem Sinn zu bringen
Ihr schlechterdings unmöglich war.
"Allein, solch einen Schritt zu wagen!
Ich eine Gottgeweihte, fliehn
Aus seinen Mauern? Und wohin!
Dir, heil'ge Scham, o, dir entsagen,
Um einem Jüngling nachzuziehn?
Entsetzlich! Nein! Ich kann's nicht wagen!"
Und doch — wie könnt' es Sünde seyn,
So, wie sie liebt, zu lieben? — Nein,
Es kann nicht! Lieben nicht die Engel
Im Himmel auch? Ihr Herz ist rein,
Rein, wie am unberührten Stengel
Die Lilie, zum ersten Mal'
Halb aufgethan dem Sonnenstrahl.
Entfernt vom eiteln Weltgetümmel
Für ihren Sixt und für den Himmel
In frommer Abgeschiedenheit
Die wenig Tage hinzuleben,
Die ihr der nahe Tod noch leiht!
"Aus seinen Armen hinzuschweben
Ins Reich der Unvergänglichkeit!
O Sixt, an deiner Brust zu sterben,
Von deinen Thränen noch erquickt,
Von dir mein Auge zugedrückt —
Wie? machte dieß mich ungeschickt,
Des Paradieses Kranz zu erben?
Und doch! — o Gott, was ist denn dieß,
Das mich beklemmt? Warum dieß Schauern?
Was ruft mir? Welche Hand ist dieß,
Die mich ergreift, in diesen Mauern
Zurück mich hält? Ach! zu gewiß,
Sie warnt mich! Unglücksel'ge, fliehe!
Die Hölle öffnet gegen dich
Den düstern Flammenschlund — Ich glühe!
O alle Engel! rettet mich!"
So ungetüm schlug Well' auf Welle
In Clärchens Brust; sie treibt umher
In einem wilden Zweifelmeer:
Entfliehn ist Tod, und bleiben Hölle!
Sie kämpft, das gute Seelchen! ach,
Sie kämpft aus allen ihren Kräften:
Doch ihre Kräfte waren schwach;
Sixt zog mit dreimal stärkern Kräften
Ihr liebend Herz dem seinen nach.
Und hieß sie nicht ihr Engel wandern?
Ihr Engel? — Und sie glaubt so dreist,
Daß es der weiße war! Ein Geist
Vertauscht sich leicht mit einem andern;
Zumal der schwarze (wie bekannt)
Gern unsern bösen Lüsten schmeichelt
Und oft im schönsten Lichtgewand
Den reinen heil'gen Engel heuchelt.
Doch, wie ihm sey, dieß ist gewiß,
Die guten Klosterkinder zogen,
(Nachdem sie, was ihr Herz sie hieß,
Mit ihrer Pflicht leicht abgewogen)
Wohin der schöne Traum sie wies:
Und wurden sie von ihm belogen,
So werfe Jedes, das sich nie
In Fällen dieser Art betrogen,
Getrost den ersten Stein auf sie.
Zu großem Labsal unsrer Frommen
Ist nun die vierte Nacht gekommen.
In beide haucht ihr Genius
Zugleich den nämlichen Entschluß.
Wie sie aus ihrer Klaus' entkommen,
Darüber mag, wie's ihm gefällt,
Sich Jedes mit sich selbst vertragen.
Was läßt sich nicht mit Amorn wagen,
Dem größten Zaubrer in der Welt!
Zudem war's in den Ostertagen,
Und Schwesterchen und Brüder lagen,
Nach tausend überstandnen Plagen,
Mit Gottes Gaben wohl gefüllt,
In Schlaf und Weindunst eingehüllt.
Viel Glücks! Die Vögel sind dem Bauer
Entwischt! ringsum ist Alles still;
Erstiegen ist die Gartenmauer,
Der Hahn kann krähen, wenn er will.
Auf ungebahnten Pfaden keuchen
Die Pilgrime der Liebe fort:
Hoch schlägt ihr Herz, den sichern Port
Noch vor der Sonne zu erreichen.
Sie wallen führerlos daher,
Von Osten sie, von Westen er,
Nicht ohne Angst und schwere Zweifel,
Ob nicht vielleicht ihr Feind, der Teufel,
Sie durch ein falsches Traumgesicht
Belogen? — "Gott, denkt Schwester Cläre,
Wenn ich nun hingekommen wäre
Und fänd' ihn nicht! und fänd' ihn nicht!
O alle Heiligen und Seelen,
Erbarmt euch eurer armen Magd!
Mein Gott! ich glaubte nicht zu fehlen,
Thät' ich, was Engel mir gesagt.
O gute Geister, tragt Erbarmen,
Nie hätt' ich's aus mir selbst gewagt!"
Indem, noch fern von seinen Armen,
So bitterlich sein Clärchen klagt,
Hat Sixt mit herzlichem Vergnügen
Den hohen Berg bereits erstiegen,
Das Ende seiner schweren Pein.
Er steht und zieht mit vollen Zügen
Die Luft der Freiheit wieder ein.
Nachdem er lang' ein Afterwesen,
Das die Natur nicht kennt, gewesen,
Welch eine Wollust, Mensch zu seyn!
O Clärchen, ruft er, diese Wonne
Mit dir getheilt! — und schaut umher
Nach seiner herzgeliebten Nonne;
Erblickt sie nirgends — weg ist Wonne!
Er steht allein, rings um ihn her
Ist Erd' und Himmel wonneleer!
Nun färbt der erste Strahl der Sonne
Des Berges Stirne. Unruhvoll
Steigt Sixt herab, den Weg zu wallen,
Auf dem sein Nönnchen kommen soll.
Er ruft ihr laut; die Felsen hallen
Den Ruf zurück und Clärchen schallt
Vervielfacht durch den Fichtenwald.
Erwachte Nachtigallen feiern
Des Tages Sieg; doch von der theuern
Geliebten Stimme und Gestalt
Ist nichts zu hören noch zu sehen.
Schon will ihm Sinn und Muth vergehen:
Als ihm, indem er Thal und Höhen
Wie ein verrückter Mensch durchschweift,
Auf einmal hinter dichten Hecken
Mit einem Schrei von süßem Schrecken
Sein Clärchen in die Arme läuft.
Verlangt nicht, daß ich ihr Entzücken
Beschreiben soll. Natur, Natur,
Du bist mir heilig! Wer's erfuhr,
Schwatzt nicht von solchen Augenblicken.
Ich seh, ich seh sie, Brust an Brust,
Entseelt von gränzenloser Lust
Die Augen starr gen Himmel heben;
Er hat sich aufgethan — sie schweben
In seinem Wonneglanz daher,
Nichts Sterblichs ist an ihnen mehr,
Sie schweben auf — ins ew'ge Leben!
Versteinert bleibt ihr Leib zurück
Und zeigt, noch warm vom heil'gen Triebe,
Des Wandrers sanft gerührtem Blick
Dieß ew'ge Denkmal ihrer Liebe.
—————

Gandalin

oder Liebe um Liebe.

Ein Gedicht in acht Büchern.

1776.

Schema der Verse.

Prolog.

"Schon wieder von Liebe und ewig von Liebe!"
Ja wohl! was wär' auch unterm Mond
Wohl mehr der Rede werth, als Liebe?
Und unterm Mond und überm Mond
Was Anders ist's, als Liebe und Liebe,
Was überall athmet, wirkt und webt
Und alles bildet, Alles belebt?
Ihr Weise, sagt, was sonst als Liebe
Ist dieser schöne Zusammenklang
Der Wesen? Dieser allmächtige Drang
Der Gleich an Gleiches drückt? Wie bliebe
Ein Sonnenstäubchen ohne Liebe
Beim andern? — Auch die Macht der Kunst,
Des Bildners Finger, die höchste Gunst
Der Musen, was sind sie ohne Liebe?
Mit Liebe sang Homer, mit Liebe
Schuf Rafael seine Galathee.
Du selbst, o Tugend, du höchste Höh
Der Menschenseele, was bist du, als Liebe,
Du Gott in uns? — Doch stille, Gesang!
Verletze nicht das heilige Schweigen!
Wohl uns, so viele von uns das Schauen
Von diesem Geheimniß empfangen haben!
Wohl uns! Uns leuchtet allein die Sonne,
Uns scheint das herzerfreuende Licht;
Wir leben das wahre Leben; athmen
In reinen Lüften mit freier Brust
Und sehen, was ist, mit unbefangnen
Augen und hören Götterstimmen
Und durch die tiefe Nacht der Wesen
Den Schwung der Alles bewegenden Räder,
Und fürchten nichts! und schwimmen und wälzen
Durch Stille und Sturm uns, immer getroster,
Die ewigen Wogen der Zeit hinab —
Nichts mehr! Ich schweige! — da wackeln Ohren,
Die nicht verstehn —
Nun wieder dahin
Zu kommen, wovon wir uns verloren —
Brüder und Schwestern, die Hand ans Kinn
Und fragt euch: Ist es nicht die Liebe,
Der ihr in dieser Zeitlichkeit
Die besten Minuten schuldig seyd?
Und floß mitunter auch manche trübe,
Seyd billig! Zieht mir von der Liebe
Das Alles, was nicht Liebe ist,
Rein ab und dann sprecht, was ihr wißt!
"Ja, sagt ihr, zwischen Lieb' und Liebe
Ist doch ein mächtiger Underscheid!
Wie viele Thorheit, Eitelkeit
Und Selbstbetrug mischt sich mit unter?
Wie oft ist sie des Lasters Zunder?
Der Lüste Sklavin, und" —
                     Haltet ein!
Verdorben Gefäß, wir wissen's Alle,
Verfälscht den reinsten besten Wein:
Allein, wer schmählt in solchem Falle
Auf seinen Wein? Und würd' er Gift,
Glaube ihr, ihn würden drum die Weisen
Aus ihrer Republik verweisen?
Was eure übrigen Klagen betrifft,
So sagt: Was haben Dunkel und Helle,
Jedes für sich, denn wohl gemein?
Kann eine Feindschaft größer seyn?
Und doch, vermischt, sind sie die Quelle
Der ganzen Magie der Malerin
Natur! — Weh dem, der keinen Sinn
Für dieß empfing! — Und also rieth' ich,
Wenn euch zu rathen ist, ihr Herrn
Weltbess'rer mit und ohne Stern,
Nach Standesgebühr, — ihr wäret so gütig
Und ließt es gehen, wie's immer ging,
Seit Chaos den ersten Funken fing,
Gucktet, anstatt zu widersprechen,
Wenn's euch nicht ansteht, anders wohin
Und ließet die große Malerin
Fein ruhig ihre Farben brechen
Und Licht und Schatten, nach ihrem Sinn,
Gatten, verstärken oder schwächen;
Und so — zumal ihr doch daran
Nichts bessern werdet — mit eignen Händen
Ihr göttliches Liebesgemälde vollenden
Und gönntet uns unsre Freude daran.
Und weil denn also Liebe und Liebe
Das ewige Mährchen der ganzen Natur,
Das Sehnen aller Creatur,
Das Glück der Menschen und der Engel,
Kurz, Freunde, weil Liebe — Liebe ist:
Wie sollte sie nicht, trotz ihrer Mängel,
Uns lieber seyn, als — Hader und Zwist,
Als Neid und Haß und Blutvergießen,
Mord, Aufruhr, brennen, stechen und schießen,
Nicht lieber uns seyn, als Trug und List,
Als Ränke schmieden und chicaniren,
Verleumder, heucheln und hofiren,
Kurz, sollte sie uns nicht lieber seyn,
Als alle die häßlichen Betriebe,
Wodurch die Antichristen der Liebe
Ihr Freudenparadies entweihn?
Lassen wir dem Geschichteklittrer
Den leidigen Stoff, die Balgerein
Und Heldenthaten der Erderschüttrer,
Wozu wir Arme die Haare leihn!
Der Held, von dem wir singen und sagen,
Ist keiner von dieser schwarzen Zunft,
Kein Mensch hat über ihn zu klagen;
Ist einer von unsern Freunden und Magen,
Die, selten einig mit ihrer Vernunft,
Ihr Herz im Busen offen tragen;
Immer das Beste, was sie thun,
Durch etwas verderben, was sie sagen;
Den Hasen oft zur Unzeit jagen
Und dann, wenn's Jagenszeit ist, ruhn;
Immer sich selbst für Andre plagen,
Alles mit Liebesaugen sehn,
Immer ihr Herz zu wohlfeil geben,
Sich selber ewig Nasen drehn
Und nur, wo kluge Leute schweben,
So fest wie eine Mauer stehn.
Für einen Helden (ich muß gestehn)
Ein seltsamer Mann! Doch laßt ihn kommen,
Weil er nun da ist! Wir haben den Wicht
Nun einmal in unsern Schutz genommen,
Und glücklich (eher lassen wir nicht
Von ihm), sehr glücklich soll er werden,
Oder es müßte kein Glück auf Erden
Zu finden seyn! Zwar etwas schwer
Wollen wir's ihm schon machen und theuer
Erkaufen soll er's; das ist nicht mehr
Als billig! — Und stieße von ungefähr
Uns einer auf, der wackrer, treuer
Und biederherziger wär', als er:
So soll ihm alles Vergangne nichts nützen;
Wir lassen ihn auf der Stelle sitzen
Und schlagen uns (unbesorgt, ob man
Uns Wankelmuths bezücht'gen kann)
Stracks auf des bessern Mannes Seite.
Und nun zur Sache, liebe Leute!
—————

Erstes Buch.

Vor alter Zeit ein Fräulein war,
Die hatte ihres Gleichen wenig.
Sie machte mit ihrem Augenpaar
Sich alle Herzen unterthänig.
Der Ruf von ihrer Wohlgestalt
Zog Maler herbei von allen Enden;
Mit Pinsel und Palett in Händen
Lag immer einer im Hinterhalt,
In allen Ecken, an allen Mauern,
Wo sie nur stand und ging und saß,
In Mette und Vesper, dieß und das
Von ihrer Schönheit abzulauern.
Wenn dann ihr Halstuch sich verschob,
Ein Fuß sich wies, ein Arm sich hob:
Das war ein Jubel, ein Gott Lob,
Als hätten sie Mexico gewonnen!
Zogen nun wohlgemuth nach Haus
Und machten Even und Madonnen,
Susannen und Magdalenen draus.
Das Fräulein, Sonnemon genannt,
War Erbin des Grafen von Brabant
Und hatte viel Knappen und edle Herrn
An ihrem Hof. Auch kam von fern
Manch blonder schmucker Muttersohn
Von altem Namen und jungen Sitten,
Zu werben um Fräulein Sonnemon.
Die Junker eiferten, buhlten, stritten,
Liebten und liebelten, tanzten und ritten
Rings um die holde Zauberin,
Wie Hummeln um ihre Königin,
Bei Tag und Nacht, auf allen Tritten;
Versuchten's, jeder nach seinem Sinn,
Mit Lachen und Weinen, Trotzen und Bitten;
Doch Alles mit wenigem Gewinn.
Die Schelmin hatte so ihre Freude,
Mit ihnen zu spielen, wie mit der Maus
Ein junges Kätzchen. Ging sie aus,
So schwärmten in reichem buntem Kleide
Die Finkenritter groß und klein
Zur Seite, voran und hinterdrein.
Blieb sie zu Hause, so wimmelt's immer
Von solchen Vögeln in ihrem Zimmer.
Der sang ihr was — um einen Mund
Voll breiter Schaufelzähne zu weisen;
Ein andrer fütterte ihren Hund;
Ein dritter log von seinen Reisen;
Ein vierter schnitzelt' eine Maus
Aus einem Apfelkern ihr aus;
Ein fünfter, an der Trommel, stickte
Ein Blümchen in ihre Stickerei.
So schlenderte dann der Tag vorbei,
Und wenn sie die Herrn nach Hause schickte,
Und zur Belohnung ihrer Treu
Dem einen freundlich ins Auge blickte,
Den andern mit einem Lächeln beglückte;
Ging jeder wonneselig davon,
Glaubte sein Hoffnungsschiff geborgen,
Schlief sanft und träumte bis zum Morgen
Von nichts als Venus und Adon.
Doch an demselben Morgen fanden
Die Herrn ihr Schiffchen mächtig weit
Von seiner Rechnung, die Rosenzeit
Vorbei, und keine Spur vorhanden
Von jenes Abends Heiterkeit.
Das Fräulein ist düster aufgestanden.
Nichts liegt ihr recht, nichts steht ihr an,
Was einer thun und sagen kann,
Kein Spaß, kein neues Lied behagt.
Sie hat nicht wohl geschlafen, klagt
Viel über Kopf und Magen, jagt
Den kleinen Hund zur Thür hinaus,
Schmählt ihre Kammerjungfern aus,
Find't ihren Kopfputz ungeheuer
Und ihre Augen ohne Feuer
Und ihre besten Spitzen schlecht
Und nichts als ihre Laune recht.
Kommt einer mit etwas angestochen,
Als etwa vom Wetter, (das offenbar
Das schönste Sommerwetter war)
So wird ihm schlechtweg wiedersprochen;
Spricht er was Kluges, so ist es dumm;
Schweigt er — "Seit wann, mein Herr, so stumm?"
Seufzt er, so weiß er nicht warum;
Lacht er, was war denn da zu lachen?
Kurz, lieber hätte sich einer mit Drachen
Und Haselwürmern herum gezaust,
Als, wenn's ihr die Tyrannin zu machen
Einfiel, mit Sonnemon gehaust.
Und, doch (was für die guten Jungen
Das Schlimmste war) nie fühlten sie sich
In ihre Reize mehr verschlungen,
Als wenn sie der schönen Meduse glich.
Nie war ihr Blick so mörderlich,
Als wenn sie spöttisch die Nase rümpfte,
Ihr Mündchen nie so küsserlich,
Als wenn sie Mäuler zog und schimpfte;
Was jeder Andern übel stand,
Ein jedes an ihr bezaubernd fand.
Und, wenn auch einer in die Kette
Vor Ungeduld zuweilen biß,
Sie noch so gern zerrissen hätte,
Ja, wirklich aus Ingrimm sie zerriß
Und laufen wollte, so weit der Himmel
Blau ist, oder sein Apfelschimmel
Ihn trüge; so zog sie mit einem Blick
Ein Blümchen in ihre Stickerei.
So schlenderte dann der Tag vorbei,
Und wenn sie die Herrn nach Hause schickte,
Und zur Belohnung ihrer Treu
Dem einen freundlich ins Auge blickte,
Den andern mit einem Lächeln beglückte;
Ging jeder wonneselig davon,
Glaubte sein Hoffnungsschiff geborgen,
Schlief sanft und träumte bis zum Morgen
Von nichts als Venus und Adon.
Doch an demselben Morgen fanden
Die Herrn ihr Schiffchen mächtig weit
Von seiner Rechnung, die Rosenzeit
Vorbei, und keine Spur vorhanden
Von jenes Abends Heiterkeit.
Das Fräulein ist düster aufgestanden.
Nichts liegt ihr recht, nichts steht ihr an,
Was einer thun und sagen kann,
Kein Spaß, kein neues Lied behagt.
Sie hat nicht wohl geschlafen, klagt
Viel über Kopf und Magen, jagt
Den kleinen Hund zur Thür hinaus,
Schmählt ihre Kammerjungfern aus,
Find't ihren Kopfputz ungeheuer
Und ihre Augen ohne Feuer
Und ihre besten Spitzen schlecht
Und nichts als ihre Laune recht.
Kommt einer mit etwas angestochen,
Den armen Flüchtling wieder zurück,
Sich willig zu ihren Füßen zu schmiegen
Und ewig an der Kette zu liegen.
In diesem kläglichen Zustand lag
Herr Gandalin schon Jahr und Tag.
Der war euch ein so hübscher Ritter,
Als jemals einer um Minnesold
Gedienet hatte; treu wie Gold,
Blauäugig, zierlich, lieb und hold
Und doch im Kampfesungewitter
So muthig, wie ein junger Widder;
Wiewohl noch seinem weißen Kinn
Die Hoffnung des künftigen Bartes so dünn
Entkeimte, daß ihn bei einer Wette,
Im langen Rock, mit Spangen und Kette,
Die allererfahrenste Kennerin
Aus Mädchen kaum erwittert hätte.
Vor Allen, die um das Fräulein sich
Bewarben, war der gift'ge Stich
Des Liebeswurms dem armen Jungen
Am tiefsten in die Leber gedrungen,
Die andern Junker insgesammt
Waren mit einem leichten Hiebe
Davon gekommen; ein wenig geschrammt,
Wenn's hoch kam. Aber die Art von Liebe,
Die tief im Eingeweid brennt und nagt,
Die alle Lust zu Spiel und Scherzen,
Die Schlaf und Eßlust euch versagt
Und ohne Rast, den Pfeil im Herzen,
Durch Berg und Thal euch treibt und jagt,
Bis ihr, erschöpft von Angst und Schmerzen,
Verblutet, lechzend, athemlos
Der schönen Feindin vor die Füße
Hinsinkt, das Köpfchen in ihren Schoß
Verbergt und sterbt und glaubt, wie süße
Der Tod euch schmecke, wenn allenfalls
Ihr glattes Pfötchen um Brust und Hals
Euch noch zur Letze freundlich krabbelt,
Und euer gebrochnes Herzchen wohl gar
An ihrem Busen sich verzappelt:
Das nenn' ich lieben! Nur ist's rar!
In Flandern und in Brabant war
Dergleichen nie gesehen worden.
Der erste daselbst von diesem Orden
War unser Junker. Schade nur,
Daß er dabei nicht besser fuhr!
Denn Sonnemon, unangefochten
Von allem Spuk' und Ungemach,
Das ihre Augen stiften mochten,
Ließ alle seine O! und Ach!
Sich wenig in ihrem Schlummer stören,
Und wenn er Winternächte lang
Vor ihrem Fenster fror und sang,
Hielt sie ihn nicht so viel in Ehren,
Ihm durch die Scheiben zuzuhören.
Er hatte Teiche voll geweint
Und Mühlen mit seinen Seufzern getrieben,
Sie wäre so ruhig dabei geblieben,
Als wär' es nicht auf sie gemeint.
Kurz, den, der seinem ärgeren Feind'
Ein solches Leben könnte gönnen,
Ich würd' ihn einen Nero nennen!
Doch trug er Alles mit Geduld,
Immer noch hoffend, an ihre Huld
Durch Leiden ein Recht sich zu erwerben!
Das Schlimmste, was mir begegnen kann,
(Dacht' er) ist doch zuletzt nur Sterben;
Und besser gestorben, als unterm Bann
Der Liebe aus diesen Zauberaugen
Ewig zum Leiden nur Kraft zu saugen!
In diesem Muth hielt Gandalin
Ein ganzen unendliches Jahr sich hin,
Wo immer das Schicksal seines Lebens
An einem ihrer Blicke hing;
Hoffte, verzweifelte, gleich vergebens!
Der einzige Trost, der noch verfing,
War, daß es Andern nicht besser erging.
Allein, als jetzt da Frühling wieder
Gekommen war, durch alle Glieder
Der guten alten Mutter Natur
Ein neuer Jugendschauer fuhr,
Und mildere Lüste und wärmere Sonnen
Das süße Gefühl, zu leben, zu streben
"O Sonnemon, dieß kannst du sagen?
Du? — Du, die Allem Liebe gibt,
Was dir sich nähert? In diesen Tagen,
Da Alles Gefühl ist, Alles liebt?
Nein, Falsche! Dir sind die süßen Triebe
Nicht fremde, dein ganzes Wesen ist Liebe,
Du athmest, strahlest, zauberst Liebe
Und Liebeswonne rings um dich,
und Haß — den hast du allein für mich!"
Ich? (spricht das Fräulein, spöttiglich
Ihr Näschen rümpfend) ich hasse dich?
Muß man, um nicht zu hassen, lieben?
Mein schöner Herr, wo steht's geschrieben,
Daß wir, wenn einen die Liebessucht
Befällt, für seine Narrheit büßen
Und flugs ihn wieder lieben müssen?
Warum ergreift Ihr nicht die Flucht,
Wenn's Euch in unsrer Atmosphäre
Nicht wohl ist?
"Fragst du, Zauberin?
Als ob es in meiner Willkür wäre,
Zu laufen, wenn ich gefesselt bin!
Die Flucht ergreifen! Und wohin? —
Könnt' ich auch wie ein Adler fliegen,
Würd' ich nicht ewig deinem Bild,
Wohin ich flög', entgegen fliegen?"
Die Schwärmer! wie sie sich selbst betrügen!
Wie würde so bald mit meinem Bild
Sogar mein Angedenken verfliegen?
Ich kenn' ein wenig der Männer Art;
Bei euch thut Alles die Gegenwart.
Weh der abwesenden Geliebten!
Die möcht' ich sehen, die aus Treu
Die Grausamkeit an sich verübten
Und ließen ein gutes Glück vorbei!
O Sonnemon, wie wenig, wie wenig
Kennst du mein Herz und deine Macht!
Und sollte mir eine einzige Nacht,
Mit einer Göttin zugebracht,
Das Glück erkaufen, der erste König
Der Welt zu seyn —"
Halt! — Schon zu viel
In einem Athem! Das Alles ist Spiel
Der Phantasie. Wir kennen euch besser!
Die Welt ist in der Nähe größer,
Als du jetzt denkest.
"Willst du (schrie
Der Ritter entzückt) die Probe machen?
Versprich mir's; ich bestehe sie!"
Bald sollt' ich (versetzte sie mit Lachen)
Zur Strafe deiner Vermessenheit
Beim Wort dich fassen? — "O, fasse, fasse
Mich gleich beim Wort!" — Es hat noch Zeit.
"Noch Zeit, wenn ich mein Leben lasse
Beim kleinsten Verzug'?" — Herr Gandalin,
Ich glaubte dich nicht so waglich kühn;
Doch der Erfolg? — "Den überlasse
Der Liebe!" — Du wagest Alles, Freund!
Denn Sonnemon, so leicht sie scheint,
Ist schwerer zu täuschen, als man meint;
Drei Jahre sind lang! — "Und wären's sieben,
Um dich sind's sieben Tage nur!"
Und keine andre Creatur
Noch Göttin in dieser Zeit zu lieben?
Und mir zu schwören den heiligsten Schwur,
Kommst du zurück, mir nichts zu schweigen,
Dein ganzes Herz offen zu zeigen,
Um keine Sylbe die Wahrheit zu beugen?
Getraust du dir's? — "Und Sonnemon
Verspricht mir dafür der Minne Lohn?"
Ihr Herz mit allen Zubehören!
"Hier bin ich, bereit, dir zuzuschwören,
Was du verlangst! — Drei Tag' allein
Vergönne mir noch, hier zu seyn,
Von deinen Blicken meine Seele
Durchstrahlen zu lassen!" — Herzlich gern!
Doch merke, was ich dir befehle!
Man muß sich versehn mit euch Herrn:
Du könntest dich in eine Höhle
Drei Jahre verkriechen. Dieß wäre List,
Herr Gandalin! Die Meinung ist,
Auf Abenteuer auszuziehen
Und während aller dieser Frist
Vor keiner Liebesgefahr zu fliehen!
"Ich schwör' es!" — Hier ist meine Hand,
Des Gegenschwures Unterpfand!
Der Ritter küßt auf seinen Knieen
Die kleine lilienweiße Hand,
Ganz außer sich vor Freud' und Wonne:
Ihm däucht, es schein' eine andre Sonne,
Die Erde sey neu geschaffen ringsum,
Und Alles tanz' um ihn herum.
—————

Zweites Buch.

Zwei lieben Augen gegenüber
Wie fliegen drei Tage so schnell vorüber!
Der dritte Abend war vorbei,
Und Gandalin hätte geschworen, es sey
Noch immer der erste, hätte lieber
Minuten zu so viel Tagen gemacht:
Wiewohl das Fräulein wenig Acht
Auf ihn zu haben schien und selten
Die Blicke, womit er sie beschoß,
Mit einem der ihrigen zu vergelten
Würdigte. Aber die Hexe goß
Dafür auch so viel Nektar in diesen
Verstohlnen einzigen Gegenblick!
Ihm wurde so viel zukünftig Glück
In lieblicher Dämmerung drin gewiesen!
Er hätte so einen einzigen Blick
Um zwanzig Algarben und Sobradisen
Nicht ausgetauscht. Indessen kam
Die letzte Nacht. Der Ritter nahm
Den Urlaub mit einem unendlichen Kusse
Auf ihre hingegebene Hand,
Lief dann, als stände sein Kopf in Brand,
Um einem gewaltigen Regengusse
Aus seinen Augen zuvorzukommen,
Eh's einer vom Hofe wahrgenommen.
Er schwang sich auf sein edles Roß
Und ritt mit schwerer Brust von dannen;
Sah oft zurücke nach dem Schloß,
Woraus ihn Stolz und Liebe bannen;
Schritt langsam fort, verstürzt und stumm,
Die Welt so eng' um ihn herum,
Als könnt' er sie mit der Hand umspannen.
Die Sonne bei Tage, bei Nacht der Mond
Schien heiter und mild in seiner Reise;
Ihm kürzte die Amsel und die Meise
Mit Singen den Weg: doch weder der Mond
Bei Nacht noch des Tages die helle Sonne,
Noch Vogelsang, noch Maienwonne
Ergetzte sein Leid. Nichts war ihm nah,
Er sah und wußte nicht, was er sah,
Kam immer weiter und war nie da,
Hatte sein Herz zurückgelassen,
Bei Sonnemon, und mit dem blassen
Entgeisterten Schatten ließ sein Roß,
Wohin es wollte. Der Tag verfloß,
Es wurde Nacht und wieder Morgen,
Ohne daß Ritter Gandalin
Aus seinem Traum zu erwachen schien;
Ließ seinen Knappen für Alles sorgen
Und wußte von Allem just so viel,
Als einer, der im Fieber tobet.
Allmählich (Gott sey drum gelobet!)
Spielte ihr altes wohlthätiges Spiel
Die Phantasie, taucht' ins Gefühl
Des Gegenwärtigen alle Bilder
Der schmerzlich süßen Vergangenheit;
Alles wird dumpfer, dämmernder, milder
Und schwimmt in lieblicher Ungewißheit;
Bis aus den sanft verworrnen Schatten
Sich jene magische Welt erhebt,
Wo Wirklichkeit und Traum sich gatten,
Und Geist der Liebe um Alles webt.
Statt, wo er hinsah, sie nicht zu sehen,
Sieht er jetzt durch dieß Zauberglas
Sein Fräulein überall vor ihm stehen;
Aus jedem Tropfen an Laub und Gras
Glänzt ihm ihr sonnichter Blick entgegen;
Sie sieht er ruhn an diesem Bach,
Sie stellt er in diesen Blüthenregen;
Ihr weiht er dieses grüne Dach
Zur Laube; aus diesem alten Gemäure,
Wo Eulen brüten, baut er ihr
Ein Feenschloß. — "O, daß ich nicht hier,
In diesem einsamen Thale, von dir
Allein gekannt, geliebt, du Theure,
Von dir — o Wonne! geliebt von dir,
Das ewige Leben der Liebe feire!"
So ruft er aus mit schwellender Brust
und findet selbst im Seufzen Lust:
Denn seufzend zieht er in Frühlingsdüften
Den Athem seiner Lieben ein;
Glaubt alle Windchen, die ihn lüften,
Von Sonnemon geschickt zu seyn,
Durchwandelt mit ihr den stillen Hain
Und schlummert sogar in Felsengrüften,
Träumend, an ihrem Busen ein.
Nun stimmte sich, unvermerkt und immer
Schneller, sein innerer Farbenton
Herunter, Fräulein Sonnemon
Blieb zwar der Inhalt; allein der Schimmer,
Das Lichtgewölke, der Nektardunst,
Worin sie durch der Liebe Gunst
Ihm dar sich stellte, ward immer fahler
Und schwächer, ihr Lichtsaum immer schmaler
Und schmaler, bis er beinahe ganz
Verschienen war. Dagegen gewannen
Die Dinge vor ihm an Farb' und Glanz,
Was jene zu verlieren begannen,
Die Sinne (ein widerspenstig Geschlecht!)
Setzten sich wieder ins alte Recht;
Und seinem Biederherzen dräuten
Viel schöner Gefahren von allen Seiten.
Es ging nun weit ins dritte Jahr,
Daß Gandalin auf der Wallfahrt war.
Er hatte in deutschen und welschen Landen
Viel Abenteuer überstanden,
Und seine Treu' aus mancher Schlacht
So ziemlich ganz davon gebracht;
Höchstens mit solchen leichten Wunden,
Die, wie man weiß, sich bei Gesunden
Von selber heilen; als zu Paris
Der Prüfungen schwerste auf ihn stieß.
Es war in Philipp Augusts Tagen,
Von denen die Dichter uns Wunder sagen.
Kein Fürstenhof derselben Zeit
Glich seinem Hof an Herrlichkeit.
Da waren Ritter ohne Zahl,
Da waren auch Frauen und Jungfrauen
Von allen Farben, nach der Wahl,
Stattlich geschmückt und lieblich (zumal
Bei Licht) von weitem anzuschauen,
Wie Tulpen im Flur. Die hatten nun
Bekannter Maßen nichts zu thun,
Als Männerherzen aufzupassen
Und ihre Augen spät und früh
Nach allen Ecken spielen zu lassen.
Der fremde Ritter dünkte sie
Beim ersten Anblick gute Beute.
Nun solltet ihr die Jagd auf ihn
Gesehen haben. Allein er schien
Gar nicht zu wissen, was das bedeute.
Mit solcher Gewißheit, im Liebesstreite
Stets obzusiegen, so wenig kühn
Hatte man Keinen noch gesehen.
Was war zu thun? Gleich abzustehen?
Dazu stand unsern Penthesileen
Der Muth zu hoch. Je blöder er war,
Je minder liefen sie Gefahr,
Im Approchiren zu weit zu gehen.
Sie ließen sich also in Gnaden herab,
Durch Blicke seinen Muth zu stärken,
Denen, aus Furcht, er möchte nicht merken,
Man alle mögliche Klarheit gab.
Mein Ritter, immer ehrerbietig,
Spielte gelassen den Kombab,
Fand immer die Damen allzu gütig,
Verstand kein Lächeln, keinen Blick,
Zog immer weiter sich zurück,
Je näher man ihm zu Leibe rückte;
Sprach ewig von nichts als Politik,
Moral und Wetter, Metaphysik
Und Moden und jeder andern Rubrik
Als der, wo's unsre Schönen drückte:
Kurz, trieb's so lange, bis ihm's glückte,
Daß man den Herrn, mit seinem Verstand
Und seiner hohen Adlersnase
Und seinen Augen von blauem Glase
Ganz unerträglich albern fand.
Vermuthlich leitet ihr dieß Betragen
Des Ritters von seiner Treue her?
Gewiß ist, er liebte noch so sehr
Als jemals und immer desto mehr,
Je näher von seinen Prüfungstagen
Das Ende rückte. Doch, Alles zu sagen,
Ein kleiner fremder Umstand kam
Hinzu, der seiner Tugend ein wenig
Von ihrem reinen Verdienste nahm.
Hört an! — Als Gandalin einst vom König
(Der von der Hirschjagd wieder kam)
Nach Hause trabte, dem Roß den Zügel
Lassend, die Augen auf den Stern
Der Liebe gesenkt: da kam nicht fern
Von einem mit Bäumen besetzten Hügel
Ihm eine Jungfrau (dem Ansehn nach)
Auf einem Zelter entgegengeritten.
Die hielt auf einmal, stellte sich mitten
In seinen Weg, grüßt' ihn und sprach:
Herr Ritter, nach Eures Ordens Sitten
Darf ich um eine Gab' Euch bitten;
Und was ein Mädchen bitten kann,
Versagt doch wohl kein Biedermann?
Herr Gandalin hält mit seinem Pferde,
Sieht spähend (so scharf bei Sternenlicht
Nur möglich) der Jungfrau ins Gesicht
Und findet sie an Gestalt und Geberde
So züchtig, daß er, ohne Gefährde,
Ihr viel versprechen zu können glaubt.
Jungfrau, Ihr könnet frei begehren!
Alles, was Lieb' und Ehr' erlaubt,
Deß will ich sträcklich Euch gewähren.
"So sagt mir, Herr Ritter, in allen Ehren,
Ist Euer Name Gandalin?"
Ich muß es (erwiedert er) gestehen.
"Was frag' ich auch? Närrin, die ich bin!
War's nicht genug, Euch anzusehen?
(Versetzt die Magd) Man sagte mir gleich,
Ich könnt' unmöglich irre gehen."
Gut! (spricht der Ritter) Ihr schadet Euch,
So in der Nachtluft da zu stehen.
Was wollt Ihr meiner?
Die Jungfrau spricht:
Erst schwöret mir bei Ritterspflicht,
Zu thun, was ich Euch sagen werde.
Ich schwör's Euch zu, bei Ritterspflicht,
Und müßt' ich ins Eingeweide der Erde
Herunter steigen im Angesicht
Der Höllengeister und Weg mir machen
Durch Riesenkolben und Löwenrachen,
Ich schwör's!
"So arg ist's nicht, (versetzt
Die Dirne) Ihr werdet unverletzt,
Hoff' ich, das Abenteur bestehen.
's ist nichts, mein Herr, als — mit zu gehen,
Wohin ich Euch geleiten will."
Der Ritter hält ein wenig still
Und sinnt. —
"Nu? heißt das sein Versprechen
Halten? Sollt' es dem Herrn an Muth,
Mit einem Mädchen zu gehn, gebrechen?
Für Riesen und Drachen bin in gut!
Was zögern wir?" — Mit diesem Worte
Spornt sie ihr Gäulchen, und Gandalin
Folgt, ohne zu wissen wozu? wohin?
Der unbekannten Führerin.
Sie hält vor einer verschloss'nen Pforte.
"Hier, spricht sie, endet unter Lauf."
Knack, Knack! Die Pforte thut sich auf
und schließt sich hinter ihnen wieder.
"Da sind wir nun, Herr Ritter. Frisch!
Was hängt Ihr so die Kolbe nieder?
So kleinlaut? so verdrossen? Risch
Vom Pferd' herab' mir nachgegangen!
Man wartet Euer mit Verlangen."
Er, immer schweigend, steigt vom Roß,
Sieht vor sich stehn ein altes Schloß,
Mit Pfeilern, dick wie Himmelsstützen,
Mit hundert Ecken, Thürmen und Spitzen,
Kurz, so daß einem ungesäumt
Von schönen Melusinen träumt,
Sowie man's anblickt. — "Nun! Herr Degen,
Die Augen zu und mir die Hand!
(Spricht lachend die Magd) In Eurem Stand
Geht man oft größrer Fahr entgegen.
's ist finster hier; nur mir die Hand!
Hier steigen wir eine Wendeltreppe."
Der Ritter folgt, so träg und schwer,
Ihr ist's, als ob sie hinter sich her
Den größten Wollsack keuchend schleppe.
"Ei, ei, Herr Ritter, so blank und baar
An Mannheit? — Mich däucht, ich höre gar,
Wie Euch das Herz im Leibe schweppe!"
Die Wahrheit von der Sache war,
Mit allem seinem Heldenblute
War unserm Manne nicht wohl zu Muthe,
Es war ein schwanendes dumpfes Gefühl,
Das ihm zickzack bald heiß, bald kühl
Den Rücken hinab lief, bald in Flammen
Ihn tauchte, bald in Alpeneis.
Doch rappt er, wie er kann und weiß,
Sich oben an der Treppe zusammen
Und folgt der Jungfrau sonder Zwang,
Durch einen langen dunkeln Gang,
Dann links, dann wieder ein Treppchen hinauf.
Nun kam ein Vorsaal und ein Zimmer,
Erhellt durch matten Lampenschimmer;
Und nun that eine Thür sich auf.
"Hier! (raunt' die Magd und schob ihn sachte
Zur Thür' hinein) Ihr seht, ich brachte
Euch glücklich an Ort und Stelle. Nun
Seht selber zu, was weiter zu thun."
—————

Drittes Buch.

Da steht nun mächtiglich betroffen
Mein Ritter, wie einer, der eben itzt
Den Flammen in einem Traum entloffen,
Hald aufgefahren im Bette sitzt,
Noch zweifelnd, wiewohl die Augen offen,
Ob Wahrheit oder Phantasei
Ihn aufgeschreckt. — Zwar, daß er wache,
War eine ausgemachte Sache;
Nur riecht so Alles nach Feerei
Um ihn herum! — man kann nicht wissen!
Wohl! dacht' er, wir werden's wagen müssen;
Ich bin auf alle Fälle dabei!
Die Wahrheit war, man brauchte nun eben
Kein großer Eisenfresser zu seyn,
Sich muthig in diese Gefahr zu geben;
Denn Alles sah ganz freundlich drein.
Es kurz zu machen — denkt euch, beliebig,
Ein großes Gemach, altfränkisch verziert,
Die Decke von Schnitzwerk, sehr ergiebig
Mit goldnen Blumenkörben staffirt,
Die Wände stattlich tapezirt
Mit schönen biblischen Geschichten,
Als — Mose im Kästlein, und Fräulein viel
In steifen Miedern, entblößt (mit Züchten)
Bis über die Knie, um aus dem Nil
Das Knäblein an den Strand zu lichten;
Dann Simson, der Delila im Schooß,
Und Bathseba in der Badewanne,
Und zwischen den Greifen nackt und bloß
Die schöne keusche Frau Susanne,
Mit einem Busen, dessen Pracht
Die gute Frau, mit Armen und Händen
Den Augen der Sünder zu entwenden
Bemüht, nur desto herrlicher macht.
Dann seht auf einem kleinen Tische
Zwei Kerzen und einen Schirm davor
Und in der Mauer eine Nische,
Wie ein Gezelt von reichem Mohr',
Und in der Nisch' ein türkisch Bette
Von gelbem silberbeblümtem Damast,
Und nun — und nun, wie weiter? — Ich wette
Zu rathen, worauf ihr Herren paßt?
Da, denkt ihr, soll zu eurem Vergnügen
So eine schlafende Venus liegen,
In Tizianischem Nachtgewand,
Die obere Hälfte mit Luft umworben,
Und, wo die Decke sich verschoben,
Ein rundes Knie heraus gehoben,
Ein Knie — die Sieben aus Griechenland
Zu Narren zu machen! — und was des Dinges
Mehr ist, das freilich ein Geringes
Zu malen wäre. — Allein, verzeiht,
Wenn dießmal eure Erwartung betrogen
Sich findet. Alles zu seiner Zeit!
Die Dame war völlig angezogen,
Die auf dem Ruhebettlein lag,
Und in der That so angezogen,
Als keine bis auf diesen Tag.
So steif! so voller Dürerscher Falten!
Alles so recht drauf angelegt,
Selbst den Gedanken aufzuhalten,
Der weiter als hundert Augen trägt!
Unmöglich war's, von ihrer schönen
Gestalt das Mindeste nur zu wähnen.
Die Arme, die Hände, — sie mochte (wer weiß?)
Sie wohl so schön als Juno haben;
Allein sie lagen mit allem Fleiß'
In weiten Aermeln nach türkischer Weis'
Bis über die Fingerspitzen begraben.
So heimlich zu thun mit Gottes Gaben,
Däucht unserm Ritter sonderbar.
Sonst sind die Damen nicht so gar
Mißgünstig, die was zu zeigen haben!
Und (was hier am verdächtigsten war)
Ein dicht gewebter doppelter Schleier
Verbirgt sogar ihr Angesicht;
Läßt auch das Wenige nicht ans Licht,
Was, durch die zarte weiße Hülle,
Von ihres Busens Jugendfülle
Wie eine berstende Knospe bricht.
Kurz, undurchdringlicher kann sich nicht
Die Schönheit gegen den Feind verschanzen.
So gar nichts, das zu Gunst des Ganzen
Die zweifelnde Phantasie besticht!
Und doch, wie nenn' ich's geschwinde? bricht
So ein geheimer — Gottheitsschimmer
Durch alle die Wolken, daß Gandalin
Sich kaum enthält, auf seinen Knien
Sie anzubeten.
"Desto schlimmer!
(Denkt ihr) das fängt verdächtig an!
Und seine Treu?" — Darüber entscheide
Die Zeit; die werde, was sie kann!
Genug, die Dame im Maskenkleide
Hieß unsern Mann (der ehrfurchtsvoll
Noch immer weiter, als man soll,
Zurück stand) etwas näher treten.
Herr Ritter, sprach sie, daß ich Euch
So außer der Zeit zu mir gebeten,
Sieht ziemlich den Abenteuern gleich,
Die Eures gleichen jungen Degen
Wohl häufig aufzustoßen pflegen.
Doch, darf ich Euch was bitten, so sey's
Fürs Erste, bis wir uns besser kennen,
Mich weder schwarz zu glauben noch weiß
Und, eh die Lerchen uns wieder trennen,
Mir bloß ein günstig Ohr zu gönnen.
Der Klang von ihrer Stimme, wiewohl
Gedämpft durch ihren doppelten Schleier,
Tönt ihm, als wirbelte hoch vom Pol
Der Nachklang einer Engelsleier
In seine Seele. "Welch Angesicht,
Wenn's dieser Sirenenstimm' entspricht!"
Denkt er und weiß ein Weilchen nicht,
Wie ihm geschieht; faßt doch sich wieder
So bald als möglich, läßt vor ihr
Züchtiglich auf eine Knie sich nieder,
Und: Dame (spricht er), glaubet mir
Auf mein Gesicht, mein Herz ist bieder,
Und Arges zu denken von der Zier
Der Schöpfung war mir stets zuwider.
Drum leget keine Bedenklichkeit,
Mich Eures Anschauns zu gewähren.
Ich wollte, so eingesponnen Ihr seyd,
Auf Eure bloße Stimme schwören,
Ihr könntet des Schleiers wohl entbehren.
Die Dame bitter ihn aufzustehn
Und, ohne Schmeichelreden zu drehn,
Die ihre Sittsamkeit beschämen,
Von einem Schämel Besitz zu nehmen,
Der neben ihm steht. Herr Gandalin,
Gehorsam, setzt sich gegen über,
Und sie beginnt:
"Ich lasse vorüber,
Von welchem Haus' und Stand' ich bin.
Mein Blut fließt weder heller noch trüber
Darum. So was, in meinem Sinn.
Kommt nicht in Anschlag. Genug, ich bin;
Da gibt's nichts drunter und nichts drüber.
"Ich weiß nicht, welche Gevatterin
Gab mir den Namen Je länger je lieber
Bei meiner Geburt —"
Je länger je lieber?
Rief Gandalin. — Je länger je lieber?
Ruft (wie ich bereits verständigt bin)
Einhellig Leser und Leserin.
"Nicht anders, mein Herr, Je länger je lieber!
Und (was ich nicht bergen kann) man fand
Ganz deutlich in meiner rechten Hand,
Von allen Helenen aus Griechenland
Und allen Julien an der Tiber
Würde nun neben Je länger je lieber
Künftig so wenig die Frage seyn,
Als von den Sternen bei Sonnenschein.
"Kaum war die kleine Je länger je lieber
Ueber ihr zwölftes Jahr hinüber,
So kriegte, wer ihr ein wenig zu nah'
Und lang' ins Augenlidlein sah,
Gleich auf der Stelle das Liebesfieber. .
Da half nichts, weder graues Haar
Noch gelbes; je klüger einer war,
Je eher schnappte der Witz ihm über.
Ein Blick, so war's um ihn gethan!
Doch ging die rechte Noth erst an,
Als nun mit sechzehn Jahren ihr Busen
In seiner vollen Blüthe stund,
Aus ihren Augen alle neun Musen
Sprachen, um ihren Rosenmund
Die Grazien tanzten, und wie es weiter
Lautete, wenn der Liebesdrang
Die armen Narren zum — Reimen zwang,
Der Jude sah Jakobs Himmelsleiter
In ihrem Antlitz; der Heide schwur,
Mit ihr verglichen, sey Venus — nur
Ein Weib. So ging kein Tag vorüber,
Daß nicht die gute Je länger je lieber
(Wiewohl sie sich immer nur leidend dabei
Verhielt) zwei Narren oder drei
Ins Tollhaus schickte. Ein eignes Gebäu
Mußte dazu gestiftet werden.
Bald setzte man einen Flügel und dann
In kurzer Frist — noch einen dran.
Doch sah man ganze Narrenheerden
Aus Mangel an Platz in Wälder ziehn,
In Felsenklüften und hohlen Weiden
Kauern und Reim' in Bäume schneiden,
Im Märzenfrost vor Liebe glühn,
In Hundstagsglut vor Liebe frieren,
Durch Büsch' und Hecken auf allen Vieren
Kriechen und Eicheln fressen und Gras
Und drohen, ließ' ich nicht bald mich rühren,
So würden sie gar — den Verstand verlieren,
Und was des Unsinns mehr noch was.
.

"Mir, Gott verzeih mir's! machte das Wesen
Zwei bis drei Sommer vielen Spaß.
Ich brauchte keinen Roman zu lesen,
Hatte den ganzen Amadis
In meinem Narrenparadies',
Und alle Tage geschahen Sachen,
Um einen neuen draus zu machen.
Doch immer dasselbe Fastnachtsspiel
Wird endlich ungeschmackt und kühl.
Zwar gab's mit unter auch Trauerspiel:
Bald stieß sich Einer vor die Stirne;
Bald ließ ein Andrer das Bißchen Gehirne,
Das ihm die Liebe nicht ausgebrannt,
Auf einer Felsenspitze sitzen;
Ein Dritter kam, den Dolch in der Hand,
Mit feurigen Augen angerannt,
Sein Blut mir ins Gesicht zu spritzen.
Tagtäglich gab's so eine Seen'!
Allein, sie mochte zu weinen, zu lachen
Oder auch beides auf einmal machen,
So war's — nicht länger aufzustehn.
"Nun fand sich endlich, daß eine Fee,
Mit der mein Vater Tändelei
Vor Zeiten getrieben, an all' dem Wehe
Mehr als mein Schnäuzchen Ursach sey.
Mein Vater (einer der besten Khalifen,
Die jemals aßen, tranken und schliefen)
Schickte zur Stunde Gesandte aus
Nach Osten und Westen, um aller Enden
Zu suchen, ob sie ein Mittel fänden,
Dieß Unheil von uns abzuwenden.
Allein es wurde nichts daraus;
Sie kamen alle mit leeren Händen
Und großen Rechnungen wieder nach Haus.
"Zuletzt erfuhr er, auf einem Berge,
Nah bei der Wüste am Bache Krit,
Da wohn' ein alter Eremit,
Ein Mann, dem Geister, Elfen und Zwerge
Gehorsam wären allzumal;
Er kenne genau der Sterne Zahl
Und jede Kraft in Kräutern und Steinen,
Er mache Wetter, Regen und Wind,
Lasse bei Nacht die Sonne scheinen,
Wenn's ihm beliebe, sey taub und blind
Vor hohem Alter und hör' und sehe
Doch Alles, was auf der Welt geschehe.
"Da sandte der Khalif geschwind
Zum Eremiten, dem Geister, Elfen
Und Zwerge gehorchten am Bache Krit.
Die kamen und brachten die Antwort mit:
"Dem Fräulein wäre nicht zu helfen,
Sie müßte denn sich keinem Mann
Von Stund' an unverschleiert weisen
Und immer von Osten nach Westen reisen,
So lange bis sie den Biedermann
Fände, dem sie je länger je lieber
Würde, wiewohl er unverhüllt
Sie nie, leibhaftig, noch im Bild,
Gesehen hätte." —
"Mein Vater (der über
Kein Ding in seinem Leben sich
Besonnen) flugs und ohne Säumen
Befahl, mein Leibkameel zu zäumen,
Warf selbst den Schleier über mich
Und schickte mich mit seinem Degen
Dem unwahrscheinlichen Mann entgegen.
Drei Jahre reis' ich westwärts fort
Und zeige mich und meinen Schleier
In jedem lustigen Meeresport,
Bei Ritterspielen, bei jeder Feier,
An Fürstenhöfen und da und dort:
Alles vergebens! Man sieht sein Wunder
An meiner Figur, hätt's gern entdeckt,
Was hinter dieser Vermummung steckt,
Und das ist Alles!" —
Ist's möglich? rief
Herr Gandalin und seufzte tief.
Nun müßt ihr wissen, ein schöner, runder,
Milchweißer Arm, den immer bisher
Des Aermels Länge dem Aug' entzogen,
Enthüllte sich hier von ungefähr,
Indem das Fräulein einen Bogen
Mit beiden Armen beim Ausruf zog.
Herr Gandalin (bei dem die Empfindung
Sehr leicht die Klugheit überflog)
Rief aus: Ist's möglich? — Nun hatte die Ründung
Und blendende Weiße, die eben itzt
So unverhofft ins Aug' ihm blitzt,
Vermuthlich an dieser Ideenverbindung
Mehr Antheil, als er im Alarm
Des Herzens und der Sinne dachte.
Allein die Dame — die ihren Arm
So schnell, als sie ihn sichtbar machte,
In seine vorige Lage brachte,
(Und beides, ohn' es zu wissen)— dachte,
Ihm mach' ihr: Das ist Alles! so warm:
Und also schien ihr sein: Ist's möglich?
In tragischem Tone so herzbeweglich
Geseufzt, ein wenig lächerlich.
.

So finden Sie das so seltsam? Mich,
Mich nimmt die Möglichkeit nicht Wunder,
Erwiedert sie. Die Neugier schlägt
Den Funken vielleicht: allein der Zunder,
Der ihn ernährt und hegt und pflegt,
(Was auch ihr Männer sagen mögt)
Bleibt ewig Schönheit, Blume der Jugend —"
Und Seelenschönheit, Geist und Tugend
Käm' also nicht in Anschlag? — spricht
Der Ritter mit Eifer.
"Wenigstens nicht
(Versetzt sie) gegen ein Maskengesicht,
Das, weil es so ernstlich sich versteckt,
Natürlicher Weise Verdacht erweckt.
Gesichter, die, sorglos, wie sie sind,
Dich zeigen, auch wenn sie häßlich sind,
Sieht man zuweilen, so hinter die Seelen
Geduckt, ganz sacht' ins Herz sich stehlen;
Das ihnen um so leichter geräth,
Weil ihr sie ohne Anspruch seht.
Just, weil man ihnen nichts dergleichen
Zutraute, nie auf seiner Hut
Mit ihnen ist, sind sie so gut,
Euch unversehens zu überschleichen.
Man weiß, wie viel Gewohnheit thut.
Das Auge versöhnt sich mit den Mängeln,
Die es so unverhohlen sieht:
Erst seht ihr nur ihr schön Gemüth,
Zuletzt ist Alles behängt mit Engeln.
Just umgekehrt in meinem Fall,
Wenn eine immer und überall
In Hüllen und Häuten wie eine Zwiebel
Gewickelt erscheint. Wer dächte nicht übel
Von einer Schönheit, die das Licht,
Das Element der Schönheit, fliehet?
Das Herz glaubt, was das Auge siehet,
Und wagt sich so leicht im Dunkeln nicht;
Und soll es ja verlieren müssen,
So will es genau die Summe wissen."
"Und doch (fällt Gandalin ihr ein)
Möchte, wenn ich nicht irrig wähne,
In Eurem Falle die Ausnahm seyn.
Es ist so etwas in wahrer Schöne,
Ein geistiger alldurchdringender Schein,
Den keine Schleier verbergen können!
Man kann es besset fühlen als nennen:
Es stellt sich, wie unmittelbar,
Den innern Schönheitssinnen dar;
Man fühlt's, wie man — im Seelengrunde
Die unsichtbare Gottheit fühlt.
"Von alle dem hab' ich keine Kunde,
Versetzt die Dame; zuweilen spielt
Die Phantasie uns heimliche Tücke,
Wo man's am wenigsten sich versieht."
Der Ritter mit gesenktem Blicke
Erseufzt und schweigt.
Ob sie errieth,
Was dieser Seufzer sagen sollte,
Ist nicht bekannt. Mag seyn, sie wollte
Nichts wissen. Sie ließ es an seinen Ort
Gestellt und fuhr, nach einer kleinen
Pause, gelassen also fort:
"Es wird Euch etwas seltsam scheinen,
Herr Ritter, daß ich nicht anfangs gleich
So klug gewesen, als jetzt. Was kann ich
Sagen? — wir fehlen alle mannig-
Faltig! — Es war kein weiser Streich,
Drei Jahre vermummt herum zu schlendern,
Den Mann im Monde zu suchen! — Genug,
Es ist geschehn und nicht zu ändern.
Der Eremit, so alt und klug
Er war, mein Vater, seine Räthe,
Sein Seneschall, Alles war dabei;
Besorgten nur, ich möchte zu späte
Kommen: — kurz, es ist vorbei;
Und übermorgen, sobald es taget,
Reis' ich mit Gott und meinem Glück
Geraden Zuges nach Hause zurück.
Und nun, Herr Gandalin, rathschlaget
Mit Eurem Herzen: wofern' Euch hier
Nichts Liebes fesselt, wolltet Ihr mir
Auf meiner Reise zum Schirmer dienen?
Kein andrer Ritter in diesem Revier
Hat des Vertrauens mir werth geschienen."
Mit diesem Wort' erhebt sie sich
Und steht auf einmal so königlich
Und groß und hehr vor Gandalinen,
Wie eine Göttin. Der edle Knecht
Gleich nieder auf beide Knie, wie recht,
Und schwöret ihr, bei Allem, was ihr Schleier
Anbetenswürdiges deckt, ihm sey
Sein liebes Leben nicht halb so theuer,
Als solches Dienstes in aller Treu
Bei ihr zu pflegen. Doch unverhohlen
Müss' er ihr lassen, ihm sey befohlen,
Unfehlbar an einen gewissen Ort
In sechzig Tagen zurückzukehren;
Ihn binde dazu sein Ehrenwort.
Doch sollte nichts in der Welt ihm wehren,
Sie zu begleiten, so lang' und weit
Als ihm die vorgeschriebne Zeit
Erlaube. Auch schwor er beim heiligen Grabe,
Sie nicht zu verlassen, bis und dann
Er einen biedern Rittersmann
Statt seiner für sie gefunden habe.
Die Dame willigt sonder Zwang
In sein Beding. Und nun begannen
Die Lerchen ihren Frühgesang
Und sangen den guten Ritter von dannen;
Sie reicht mit hoher Majestät
Die Hand ihm dar, indem er geht.
Er nahm sie, küßte sie ehrfurchtsvoll;
Ein süßer Schauer fuhr ihm über
Den Rücken dabei, sein Busen schwoll,
Und seufzend verließ er Je länger je lieber.
—————

Viertes Buch.

Es war just um die Dämmerungszeit,
Kurz eh den Weg der Sonnenpferde
Der junge Morgen mit Rosen bestreut,
Als unser Ritter, allein und still,
Wie einer, der nicht bemerkt seyn will,
Durch Seitenwege nach Hause kehrte.
Der Fluß, das Thal um ihn herum,
Die Hügel, Alles um und um
Lag noch in ungewissem Schatten;
Verworren Erdreich, Wasser und Luft
Und tausend Formen, auf Angern und Matten
Schwimmend, die sich im grauen Duft'
In wunderbare Gestalten gatten.
Der Ritter hatte deß wenig Acht,
So gut es zu seinem Zustand paßte.
Das Abenteuer dieser Nacht
(Wovon er immer je minder faßte,
Je mehr er sann) stand wie ein Gesicht
Vor seiner Stirn' und blieb da stehen;
Er mochte sich, wie er wollte, drehen,
Die Augen schließen oder nicht,
Er mußt' es immer vor sich sehen.
Allein, als jetzt das siegende Licht,
Aus Osten herab ein Meer von Klarheit
Schüttend, auf einmal die ganze Natur
Entzauberte, wieder das Reich der Wahrheit
Herstellt' und Hügeln, Thal und Flur,
Flüssen und angestrahlten Hainen
In ihrer wahren Gestalt zu erscheinen
Gebot: da wurde dem Ritter, als ob
Ein Traum vor seinen Augen platzte.
"War's nur ein Nachtgeist, der ihn faßte,
Aus Mohnduft alle die Täuschungen wob
Und ihm für Wahrheit unterschob?
Was soll er glauben? — So unwahrscheinlich,
So traumhaft Alles von Anbeginn!
Und gleichwohl seinem eignen Sinn
Nicht trauen dürfen, ist gar zu peinlich!"
Drum fängt er wieder von vornen an,
Malt Alles vom ersten Augenblicke
Sich wieder vor, von Stück zu Stücke:
Die Jungfrau, die ihn seiner Bahn
Entführte; das Gothenschloß, die enge
Wendeltreppe, die langen Gänge,
Das Zimmer, das sich ihm aufgethan
Und wieder sich hinter ihm zugeschlossen,
Die Decke, von der sich Blumen ergossen
Aus goldnen Körben, die keusche Susann
Mit ihrem Busen, das Ruhebette,
Von zweier Kerzen Silberschein
Beleuchtet, — kurz, nichts war so klein,
Worauf er sich nicht besonnen hätte:
Auch wie, sobald er ins Zimmer hinein
Getreten, beim Anblick der Unsichtbaren
Ein Schauer ihm übern Rucken gefahren,
Als trät' er in einen Keller ein,
Und wie bei ihren ersten Worten
Ihm's wieder auf einmal so heimlich und warm
Und lieblich und bang ums Herz geworden,
und Alles das — (den schönen Arm
Nicht zu vergessen, an dessen Ründung
Und Lilienglanz sich ohn' Entzündung
Nicht denken ließ) kurz, was er sah
Und nicht sah, was er gehört und gesprochen,
Stand Alles vor seiner Stirne da,
So rein, als wie in Kupfer gestochen.
Das träumt sich nicht, so viel ist klar!
Allein, ob's sonst so richtig war?
Er hatte doch, seines Wissens, an Feen
Sich nie vergangen? — "Wir werden sehen,
Denkt er; doch immer ist's wunderbar!"
Er war nun mittler Weile wieder
Nach Hause gekommen und hatte kaum,
Um etwas Ruhe zu pflegen, sich nieder-
Gelegt, als Sonnemon im Traum'
Ihm dar sich stellt, mit strafenden Blicken
Ihm seine Untreu vorzurücken.
Sie ist's in ihrer Schöne! so ganz,
Wie sie nur ist, in allem Glanz
Der reinsten Jugend, in aller Fülle
Von Lieblichkeit! — Und über ihr
Der blaueste Himmel, und unter ihr
Das frischeste Grün; und Alles so stille,
Wie in Entzückung, um sie her,
Als ob's in sie verschlungen wär!
Der Traumgott, um ihn baß zu quälen,
Zeigte sie ihm im Morgenkleid,
Dem tausend Kleinigkeiten fehlen,
Die, nach der strengern Sittsamkeit,
Gerade das Reizendste verhehlen.
In freien Locken spielt ihr Haar
Um einen schwanenweißen Nacken;
Die Brust beschattet ein Zwillingspaar
Vollblühender Rosen, von ihren Backen
An Röthe beschämt. So nymphenhaft
Schwebt sie in ihrem Röckchen von Tafft
Im Grase daher, als schwämme sie oben
Oder würde vom sanften Hauch
Der Amoretten emporgehoben.
O Reim! den werd' ich nimmer loben,
Der dich erfand! Zum Henker auch!
Da muß nun hinter einem Strauch,
Bloß dir zu Gefallen, mein Träumer stehen,
Um seine Prinzessin kommen zu sehen!
Und stand er (wie's doch möglich war)
Auch wirklich hinter einer Laube,
Wie kann ich hoffen, daß man's glaube?
"Der Reim, spricht Jeder, hat offenbar
Die Laube gepflanzt; und wenn es Ranken
Von Reben oder Geißblatt sind,
So haben wir's wieder dem Reim zu danken."
Sey's! wollen uns nicht darüber zanken!
Genug, wie oft der Zufall, so blind
Er seyn soll, die beste Auster find't,
So hat auch dießmal, wider Hoffen,
Der Reim sich mit der Wahrheit getroffen.
Herr Gandalin, in seinem Traum,
Stand wirklich hinter wilden Ranken,
Als über den ebnen grünen Raum
In stillen jungfräulichen Gedanken
Sein holdes Mädchen vorüberging.
Schier wär' er vor Freuden eingesunken,
Wie er sie sah; stand wonnetrunken
Im Boden eingewurzelt, hing
Ganz Aug' an jedem ihrer Reize
Und schlürfte sie ein mit lüsternem Geize.
Je näher (in ihrer einsamen Ruh'
Ihn nicht gewahrend) sie kam, je enger
Ward ihm sein Busen, bis er nicht länger
Sich halten kann und auf sie zu
Mit offnen Armen stürzt. Das Rauschen
Der Blätter weckt sie, sie zittert auf,
Wie Rehe mitten im sorglosen Lauf'
Auf einmal stutzen und witternd lauschen;
Und als sie Gandalinen erblickt,
Wird einer von den schrecklichsten Blitzen,
Die Amor jemals abgedrückt,
Aus ihren Augen auf ihn gezückt.
Er fühlt ihn bis in den Fingerspitzen;
Will vieles sagen, doch jeder Ton
Bleibt stecken im Halse; sie will entfliehen;
Er hält sie bittend bei den Knieen,
Und — weg ist Traum und Sonnemon!
Träume (das Sprichwort sagt's) sind Schäume.
Freidenkerei! — Von Alters her
Dachte man anders. Im Vater Homer
Und weiter hinauf sind immer Traume
Der Götter Werk, nicht Gaukelspiel
Der Phantasie. So war's am Nil,
So war's am Ganges; ist so gewesen
Bei Allen, die nie im Hume gelesen:
Mit einem Wort, es ist Menschengefühl!
Kein Wunder also, daß unserm Ritter,
Der noch den Kopf voll Urgroßmütter
Hatte, die Deutung des Traumgesichts
Zu schaffen machte. "Er hatte doch nichts
Sich vorzuwerfen! Zärtlicher, treuer,
Gewissenhafter (dieß Zeugniß gibt
Sein Herz ihm) hatte noch Keiner geliebt.
Anlangend die Dame im Doppelschleier,
Die hatt' er gesehen, als säh' er sie nicht;
Ihr eine Gabe zu versagen,
Verbot bekanntlich die Ritterspflicht;
Und wenn er nun in sechzig Tagen
Vor Sonnemon sich wieder stellt
Und bringt von seiner ReiS' um die Welt
Sein Herz ihr unversehrt zurücke;
Verdient er, mit diesem zürnenden Blicke
Empfangen zu werden? — Doch wie? wenn mich
Mein Schutzgeist warnte? (fuhr er mit sich
Zu reden fort) In sechzig Tagen
Kann viel begegnen; und offenbar
Vermehrt der Schleier nur die Gefahr,
Wenn eine ist. Im letzten Jahr,
Noch in den letzten sechzig Tagen,
Am Rande des Ziels, noch Alles zu wagen?
Verlör' ich? — Aber dieß denken nur
Ist Frevel! Was hat der Mann zu wagen,
Der Sonnemon davon zu tragen
Gewiß ist? — und bind't mich nicht mein Schwur
Und was noch Heiligers, Lieb' und Ehre,
Keiner Gefahr, so groß sie wäre,
Nicht auszuweichen? — O Sonnemon,
Ich sollt' auf deinen Lippen den Lohn
Der Treu', als Sieger, mich erkühnen
Zu nehmen und ihn nicht verdienen?
Würde dein erster Liebesblick
Sich nicht in tödtenden Blitz verkehren?
Mich nicht in deinen Armen verzehren?
Nein! nimmer siehst du mich wiederkehren,
Als deiner würdig! — Doch zurück
Mit solchen Gedanken! Wer wird sich über
Gefahren ängsten, wo keine sind?
Wir reisen ohnehin geschwind,
Und sieben Wochen sind bald vorüber.
Indem er bei sich selbst dieß spricht,
Erscheint mit fröhlichem Angesicht
Die Iris der Dame Je länger je lieber,
Zu fragen, wie er geruht, und ihn
Auf diesen Abend zu ihren Frauen
Zu bitten. "Sie wissen, Herr Gandalin,
Den Weg nun selbst; und, im Vertrauen,
Die Reise wird sich wohl verziehn.
Dem Fräulein bekam das Tête à Tête
Nicht gar zu wohl. Auch, nehmen Sie mir
Nicht übel, bis zur Morgenröthe,
Das geht ein wenig über Gebühr!"
"Wie? sollte sie sich nicht wohl befinden?
Fragt Gandalin. — "Ein wenig blaß,
Und Kopfweh — was bedeutet das?
Es wird bis Abend schon verschwinden!"
Nun, weil wir hier allein sind (spricht
Der Ritter), sage mir — unterm Siegel
Der Freundschaft — ist denn ihr Gesicht
So gar gefährlich, wie man spricht?
Ich zweifle an ihrer Schönheit nicht;
Doch, unter uns, es gibt so Spiegel,
Die manchmal — Du verstehst mich schon!
"Wie? (ruft das Mädchen) nach einer so langen
Beichte noch fragen aus diesem Ton?
Die Zweifel wären Ihnen vergangen,
Dächt' ich?" — Wie so? (spricht Gandalin)
Du kannst mir sicher glauben, ich bin
Nach Allem, was ich von ihr gesehen,
Um nichts gelehrter als vorhin.
Ich habe Schleier und Röcke gesehen,
Sonst nichts — (hier ward er feuerroth,
So zärtlich war er von Gewissen!)
Um so viel besser! Danken Sie Gott!
Mehr hätten Sie theuer bezahlen müssen;
Sie können mir's glauben, ungestraft
Hat noch kein Mann sie angegafft;
Schwör' Ihnen bei meiner Jungferschaft,
Es ist noch Keinem wohl bekommen,
Der sie in Augenschein genommen!"
Wenn's so ist, sollte mich's fast gereun,
Zum Schirmer mich erboten zu haben,
Versetzt mein Held. Stets um sie zu seyn,
Und eine Dame von solchen Gaben
Nie anders als in Decken begraben
Zu sehen, wird zuletzt zur Pein.
Die Augen wollen doch auch was haben!
"In ihrem Anschaun glücklich zu seyn,
Ist einem Einzigen aufgehoben,
Herr Ritter. Das Vorrecht ist nicht klein!
Es lohnt sich der Mühe, der Eine zu seyn!
Wer weiß — vielleicht — die Zeit wird's lehren!
(Hier macht die Iris einen Knicks)
Doch, ich verspäte mich — Viel Glücks!
Bin Ihre Dienerin in Ehren!"
Der übrige Theil des Tages verstrich,
Sich auf den Abend anzuschicken,
Und mit den letzten Sonnenblicken
Trabt euch mein Ritter, endelich,
Wohin ihn Pflicht und — Neugier führten.
Denn diese, so sehr er seiner Begierden
Sonst Herr war, plagt ihn doch fürbaß.
Zwar, daß die Dame so sehr ein Drache
Von Schönheit wäre, schien ihm Spaß;
Doch etwas war doch an der Sache,
Und just genau zu wissen was,
Das war's! Auch warf ihm Satanas
Ganz leise den Einfall in die Quere,
Es diene schlechterdings zur Ehre
Der unvergleichlichen Sonnemon,
Gewiß zu seyn (zwar war er's schon),
Welche von beiden die Schönste wäre.
Wenn's gleich bei ihm entschieden war,
Die Welt ist launisch! Immer besser,
Wenn solche Punkte ganz und gar
Im Klaren sind! — Ein wenig größer
Als Sonnemon mochte die Fremde seyn,
Das gab unleugbar der Augenschein;
Es mochte drei Finger breit betragen;
Und für das, was man Majestät,
Dianenschaft, Junonität
Benamset, hat das was zu sagen.
Doch bleibt der Andern, wär' auch dieß,
Der Preis der Grazie gewiß!
Und alle die tausend Charitinnen,
Die einem so unvermerkt das Herz
Wie im Vorbeigehn abgewinnen,
Der schimmernde Witz, der kitzelnde Scherz,
Die Laune, womit sie an einem Tage
In tausend Gestalten dar sich stellt,
Stets überrascht und immer gefällt,
Stets Liebe gibt in jeder Lage,
In jedem Licht' — in Allem dem,
Da ist doch keine Frage, wem
Der Preis gebühre? — "Ich bin der Junonen
Gehorsamer Knecht! Respect, so viel
Sie wollen; ich find' es nie zu viel;
Allein — es leben die Sonnemonen!"
—————

Fünftes Buch.

In solchen Gedanken erreichte mein Held
Das Schloßthor, ohn' es zu gewahren.
Das haben Verliebte von zwanzig Jahren
Voraus! Sie könnten die weite Welt
Umgehn, umtrotten und umfahren:
An guter Gesellschaft leiden sie
(Zumal in Wüsten) niemals Mangel;
Sie kämen, mit ihrer Phantasie
Allein, von Goa nach Archangel
Und Lissabon und wüßten nicht wie.
Die Iris that hier wieder das Beste.
Das Thor ging auf. Mein Paladin,
Geputzt als wie zu einem Feste,
Geht ein, durchwandert wie letzthin
Viel Gäng' und Säle und findet — (ich wette,
Ohne den Reim da hättet ihr's nie
Errathen) das Fräulein — schon im Bette.
Im Bette! — Das heißt die Galanterie,
Denkt ihr, ein wenig weit getrieben!
Dem Ritter selbst, beim ersten Blick,
Wollte der Umstand nicht belieben.
Er stolpert' einen Schritt zurück,
Wiewohl der Vorhang auf allen Seiten
Gezogen war. — "Wie soll er's deuten?
Was kann sie meinen?" — Kurz, ihm war
Nicht heimlich dabei. — Doch hätt' er den Staar
An beiden Augen haben mögen,
Er hätte nicht mehr als jetzt gesehn,
So richtig schloß der Vorhang, so schön
War Alles in Ordnung. — Ungesehn
Und ohne sich (wie es schien) zu regen,
Entschuldigte sich die Dame wegen
Dem ungewöhnlichen Empfang
Mit einer Migraine vom ersten Rang,
Bat ihn, am Bette ungescheut
In eine Bergere sich zu pflanzen,
Und ließ trotz ihrer Unpäßlichkeit
Gar weidlich ihre Zunge tanzen;
Erzählt mit Laune, satirisirt,
Malt Portraits, wie Marivaux nicht feiner
Sie malt', und macht (wie sich's gebührt,
Damit die Erzählung interessirt)
Das Kleine größer, das Große kleiner.
Das ging wie ein Wetter! Blitz auf Blitz,
Einfall auf Einfall! Empfindung und Witz
In ewigem Wechsel! Und solch ein Leben
In ihrem Ausdruck! die Farben so warm!
Die Schatten so sanft, man sah sie schweben!
Alles so leicht, so ohne Bestreben,
Zu schimmern, und doch so fein gegeben!
Und selbst ihr Spott so ohne Harm!
Herr Gandalin, mit verschränktem Arm
Und Augen, die seinen Ohren hören
Helfen möchten, (auch wär' es Kunst,
Was anders hier zu thun als hören)
Sitzt da, als wie im Nektardunst
Ein Gott beim Lustgesang der Sphären,
Und wünscht, es möchte so ewig währen.
Und gleichwohl, Freunde, wollt' ich schwören,
In minder als einer Stunde lang
War ihm — vor lauter Wohlseyn bang.
Wie sollt's auch anders? Natur bleibt immer
Natur! — Ein junges Frauenzimmer
Im Bette — da denkt sich die Phantasei
Gleich allerlei Nebendinge dabei;
Und er, so nah' in seiner Bergere,
Dem Zug der magischen Atmosphäre
So ausgesetzt! — Wir wissen zwar,
Wie gut der Vorhang gezogen war:
Doch, wär' er auch mit Nadeln verriegelt,
Mit Distelköpfen garnirt, ja gar
Mit Salomons großem Ringe versiegelt;
Das bessert die Sache nicht um ein Haar.
In solcher Verfassung ist eine Schöne,
Und wäre sie bis an die Zähne
Wie eine Mumie einballirt,
Dem innern Auge nicht mehr drappirt,
Als Venus Anadyomene;
Das heißt — nicht allzu gut verwahrt!
Wenn dann noch, wie bei Gandalinen,
Die Neugier mit dem Instinct sich paart;
Die Dame hinter den Gardinen
Ein Wesen gar von höherer Art,
Ein Wunder der Welt, die zehnte Muse,
Die vierte Charis, die zweite Meduse,
Kurz, etwas ist, woran die Natur
Sich ungewöhnliche Mühe gegeben,
Und ihren Schleier aufzuheben
Von allen Sterblichen Einem nur
Vergönnt ist; und dem Manne neben
Dem Bette flüstert Satan ein:
"Er könnte vielleicht der Einzige seyn" —
Gesteht, bei so bewandten Sachen
Hätt' es euch selbst, so klug ihr seyd,
Begegnen können, aus Menschlichkeit
Wohl einen dummen Streich zu machen!
Dem Ritter wurde zum Schwitzen warm;
Er streckt bald dieses Bein, bald jenes,
Stemmt sich auf diesen und jenen Arm
Und hört von Allem, was sie ihm Schönes
Und Witziges sagt, wie zwischen Traum
Und Wachen, wohl die Hälfte kaum;
Hat immer auf Einfäll' oder Fragen
Nichts — oder was Ungeschicktes zu sagen;
Scheint viel zu denken, an seinem Daum
Nagend, und immer sich selbst zu fragen:
Was dacht' ich da? — Man will gar sagen,
Er hätte des Vorhangs äußersten Saum,
Zun Häupten, mit Zeigefinger und Daum
Ganz sacht' ein wenig weggeschoben:
Allein zu einer Beschuldigung
Von solcher Schwere gehören Proben!
Herr Gandalin war freilich jung;
Und, Alles erwogen, was wir oben
In Rechnung gebracht — genug, zum Glück'
Erzählte im nämlichen Augenblick,
Da die Gefahr, sich zu vergessen,
Aufs höchste stieg, die Dame just:
"Wie ein Französchen sich einst vermessen
Wollen, und wie sie ihm die Lust
Dazu vertrieben." — Nicht anders, als zücke
Ein Blitz gerad' an ihm vorbei,
Schnappten beim ersten Worte die drei
Schon ausgestreckten Finger zurücke:
Und so ersparte ihm dieses Mal
Der gütige Zufall eine Qual —
Wovon die mächtig große Zahl
Der Leutchen, die sich nichts übel nehmen,
Nie was begreifen konnten — die Qual,
Sich seiner vor sich selbst zu schämen!
Was konnte der gute Ritter nun
Für seine Sicherheit Klügers thun,
Als stracks, wie Fräulein im Erzählen
Pausirte, nach der Uhr zu sehn,
Sich ihr zu Gnaden zu empfehlen
Und sachte seiner Wege zu gehn?
Nun ließ er's zwar daran nicht fehlen;
Er ging. Allein ich weiß nicht was
Ging mit, sobald er den Rücken wandte,
Das ihn wie Feuer im Busen brannte.
Es war nicht Liebe — es war nicht Haß —
Denn, wenn er sie liebte: warum denn nannte
Er ihren Namen sich selber nie?
Die Unsichtbare, die Unbekannte,
Das Fräulein, wie heißt sie schon? — und nie
Je länger je lieber! — Haßt' er sie:
Woher die tödtliche Langeweile,
Wo sie nicht war? — und ewig: "Was mag
Die Glocke seyn?" den ganzen Tag,
Und immer geklagt, die Sonne theile
So ungleich mit der Nacht! — und dann,
So bald sie untergeht, die Eile,
Die Ungeduld! — und die Laune, wann
Der König ihn ungefähr bei Hofe
Zurück hält, oder die Kammerzofe
Des Fräuleins (wie sich's dann und wann
Begab) die leidige Nachricht brachte,
Sie sey aufs Land, sie übernachte
Bei einer Freundin, oder so was,
Das seine Hoffnung zu Wasser machte!
Ich weiß nicht — aber Alles das
Macht seinen Zustand schier verdächtig,
Doch muß man sagen, (so wenig der Schein
Ihm schmeichelt) er blieb doch seiner mächtig;
Blieb immer standhaft bei seinem Nein,
Wenn Fragen an sein Gewissen pochten,
Die ihm verfänglich scheinen mochten.
Die Schwüre, die er von Zeit zu Zeit
In dieser versuchungsvollen Lage
Der holden Sonnemon erneut,
Gewannen nun mit jedem Tage
Um so viel mehr Verdienstlichkeit,
Weil eine kleine Begebenheit
Die vorbesagte Lage ziemlich
Verschlimmert hatte. Die Sache ist zwar
Des Ritters Klugheit nicht sehr rühmlich;
Allein was thut das? Wahr ist wahr!
Gewohnheit, Vorsatz oder beide
Hatten die oberwähnte Begier
Nach unerlaubter Augenweide
(Wovon er mehr als einmal schier
Das Opfer geworden) unmerklicher Weise
Eingeschläfert; doch freilich so leise,
Daß auch der leiseste Mückenstich
Sie weckte. Nun hatte des Fräuleins Zofe
Die Art von vielen Mädchen bei Hofe,
Die gern' in Alles, sonderlich
In Herzenssachen, ihr Schnäuzchen stecken
Und, wär's auch nur für Andre, sich
Mit Amorn gar zu gerne necken.
Besonders nahm sie die schönen Knaben
Gelegenheitlich in ihren Schutz,
Die über Kaltsinn oder Trutz
Von ihrer Göttin zu klagen haben.
Sie hörte sie voller Mitleid an,
That, was sie konnte, den armen Sündern
Die Schmerzen mit ihrem Troste zu lindern,
und hätt' oft gerne noch mehr gethan.
Mit solcher Neigung zu Liebeswerken
Fiel's ihr nicht eben schwer, zu merken,
Daß unsern Ritter der ewige Zwang,
Das Fräulein nur hinter Wolken zu sehn,
Zu manchem stillen Seufzer drang.
Das ließ sie sich so zu Herzen gehn,
Daß sie zu etwas sich entschloß,
Das unter allen Zofen auf Erden
Nicht zwei — der dritten verzeihen werden.
Urtheilet selbst! — Des Fräuleins Schloß
Stieß hinten an einen großen Garten,
Und schlängelnd durch den Garten floß
Ein Bach, mit Büschen aller Arten
Umgeben, Hollunder und Jasmin,
Rosen, Acacia und so weiter —
Auf glatten Kieseln, still und heiter,
Rieselt' er zwischen den Büschen hin
Sich windend, blinkte wie ein Spiegel
Bald da bald dort durch wankendes Rohr
Und dünn gewebte Zweige, verlor
Allmählich sich hinter einem Hügel
Voll Bäume, kam anderswo hervor,
Machte bald kleine Wasserfälle,
Bald unter Felsen und wildem Gesträuch
Zum Baden eine sichre Stelle,
So heimlich, still und dunkel, daß euch,
So wie ihr den Ort betratet, gleich
Die Lust zu baden ergriff. —
— "Herr Ritter,
(Sagte die Zofe) Sie dauern mich!
Mein Fräulein macht ihnen das Leben bitter.
Sie ist auch gar zu wunderlich!
Auf ihre Gefahr! — Zum wenigsten — ich
Ich habe kein Herz, den armen Nächsten
So leiden zu sehn! gestehe gern,
Ich bin auf diesem Fleck' am schwächsten
Und denke, schöne junge Herrn
Sind drum nicht weniger unsre Nächsten
Als andre Leute — kurz und gut,
Sie sind doch unser Fleisch und Blut!
Und, Gott verzeih mir's! die armen Seelen
So heidnisch zu plagen und zu quälen,
Ist wahrlich Sünde; ich legte dafür
Die Hand ins Feuer! — Wohlan, Herr Ritter,
Ich schaffe Rath. Was geben Sie mir,
Wofern' ich Ihre Neubegier —
So viel als hinter einem Gitter
Von Laub und Buschwerk möglich ist —
Noch diesen nämlichen Abend stille?"
Der gute Ritter, in der Fülle
Der trunknen Freude, herzt und küßt
Das Mädchen und leeret seine Säcke
In ihre Schürze! — Kurz, noch heut
Verspricht die Zofe ihm ohne Decke
Ihr Fräulein zu zeigen. Ort und Zeit,
Mittel und Weg, Gelegenheit
Des Bades, und Alles lang und breit
Wird ihm aufs klärste vorgespiegelt;
Anbei, zu mehrerer Zierlichkeit,
Der Handel mit einem Kuß versiegelt.
"O Ritter, Ritter Gandalin!
Wo kommt's mit Eurer Treu noch bin?
Wer hätte sich deß zu Euch versehen?" —
Es ist, ich muß es selbst gestehen,
Abscheulich! — "So geht's! — wie oft ist's euch
Seit Adam und Eve bewiesen worden! —
So geht's, wenn Menschen — die doch zum Orden
Vernünftiger Wesen gehören — sich gleich
Bei jeder Versuchung von ihren Begierden
Hinreißen lassen! Moralisirten
Die Leute nur sieben Minuten lang
Mit kaltem Blut erst über die Sachen,
Sie würden solche Streiche nicht machen!
Allein da läßt man sich vom Hang
Der sinnlichen Lüste" — Herr Sittenlehrer,
So dankt dem Himmel doch dafür,
Daß es so ist! Was wolltet denn ihr
Beginnen, ihr andre Weltbekehrer,
Wenn's anders würde? — Ich wette, dann
Wär's wieder nicht recht! An aber und wann
Wird's eures Gleichen nimmer fehlen.
Jetzt, da wir nicht klüger sind — als ihr,
Ist ewiger Hader: würden wir
Weiser, (wiewohl die Natur dafür
Gesorgt hat!) so ging' es an ein Schmählen
Auf unsre Weisheit. — Ich sag' es auch,
Es ist ein gar garstiger böser Brauch,
Daß sich die Leute so gern vergaffen,
So sorglos in jede Grube hinein
Stolpern und immer, wie wahre Laffen,
Erst raisonniren hinter drein!
Die ersten Menschen, die wir erschaffen,
Die sollen ganz andre Leute seyn!
Inzwischen sparen wir unsre Lunge!
Was hilft das ewige Hadern und Schrein?
Wir schrein am Ende doch nichts hinein
Und nichts heraus!
Der gute Junge
(Um wieder nach diesem Seitensprunge
Auf ihn zu kommen) hatte kaum
Nach Zöfchens Abschied ein wenig Raum,
Sich zu besinnen, flugs erwachte
Die bessere Seele aus ihrem Schlaf'
Und sah, was ihre Rivalin machte.
Anfangs guckte sie wie ein Schaf,
Bestürzt und mächtiglich verlegen.
Der Streich war gleichwohl zu verwegen!
Doch stritt sie, nach ihrer guten Art,
Zuerst gelassen mit Gründen dagegen.
Allein, da jene, nach ihrer Art,
Statt Gründe bei Gränen abzuwägen,
Nur platt auf ihrem Sinn beharrt,
So kam's von Worten zuletzt zu Schlägen.
Die Heldin kämpfte ritterlich
Auf Leben und Tod, auf Hieb und Stich;
Nur für den Erfolg kann Niemand stehen,
Zumal in diesem Seelenkrieg!
Die blonde Seele verdiente Trophäen:
Allein — was ihr vorher gesehen,
Geschah — die braune behielt den Sieg.
—————

Sechstes Buch.

Sie nahte nun, die furchtbare Stunde,
Da Gandalin weit größere Fahr,
Als alle Ritter der Tafelrunde
Je untergangen, bestehen war.
Ein säuselnd Abendlüftchen kühlte
Die lechzende Au'; und durchs Gebüsch
Und um die schlanken Pappeln spielte
Die sinkende Sonne zauberisch.
Die Schatten wuchsen, wurden immer
Nächtlicher um das stille Bad;
Nur einzeln funkeln am Gestad
Vergüldete Rosen im warmen Schimmer
Des Abendstrahls. — In sich hinein
Geschmiegt, umlauschend und über und über
Jungfräulich erröthend, wiewohl allein,
Sitzt schon auf weich bemoostem Stein
Die neue Diana Je länger je lieber,
Die Füße weißer als Elfenbein,
Im Wasser. Und nun — O, flieh, wenn Fliehen
Noch möglich ist! Wo schaust du hin,
Verirrter, armer Gandalin?
Zu spät! — Da blinkt er, auf den Knieen,
In Rosen, wo sie am dicksten blühen,
Versteckt, so unbeweglich hin,
Als hätt' er Medusens Haupt gesehen
Und müßte nun zum Denkmal stehen.
Das Schauspiel freilich war so schön!
So schön, daß von benachbarten Zweigen
Mitten in ihrem Lustgetön
Die kleinen Vögelein plötzlich schweigen,
Bis auf die dünnsten Aeste steigen
Und mit gestrecktem Hälschen sich
Es anzuschauen herunter beugen.
Die grüne Nacht, so schauerlich,
Die Luft, wie Athem der Liebe, die Sonne
In Gold zerfließend, — Alles mehrt,
Erhebt, vollendet des Anblicks Wonne
Und macht ihn eines Gottes werth.
Dergleichen Scenen auszuhalten,
Ist einem Jeden nicht beschert.
Ich lass' es gelten von alten, kalten
Heil'gen Roberten von Arbrissel!
Die durften, den Satan baß zu plagen,
Sich wohl in größre Gefahren wagen.
Allein ein armer Junggesell,
Wie unser Ritter, ist zu beklagen,
Der, durch sein eigen Fleisch und Blut
Und einer Zofe Schlangenzunge
Verführt, in unbesonnenem Muth
Mitten in eine solche Glut
Gefallen ist. Der arme Junge!
Nun, da er nicht mehr fliehen kann,
Nun werden die Augen ihm aufgethan!
"Und konnt' er (denkt ihr) gegenüber
So einem Schauspiel noch an Fliehn
Gedenken? — Er ist nun einmal über
Den Rubicon! Die That war kühn!
Allein jetzt ist Je länger je lieber
Das Wort!" — So denk' ich selbst — gewiß
Fühlt's auch der Ritter; und eben dieß
Drang ihn zur Flucht. — Er war verloren,
Hätt' ihn nicht Sonnemon noch beim Ohren-
Läppchen gezupft. "Flieh, Gandalin!"
Hört' er sie flüstern — und eilig fliehn
Wollt' er. Allein wie kann er weichen?
Das kleinste Rauschen in den Sträuchen
Entdeckt ihn. — Gott! Eh stürze ihn
Ein Donnerkeil zu ihren Füßen!
Eh' hätt' er mit eigner wüthender Hand
Sich beide Augen ausgerissen!
Gut, daß sich noch ein Mittel fand,
Das, wenigstens ohne Blutvergießen,
Ihn noch im Sinken oben hält.
"Das war?" — Das simpelste von der Welt;
Nichts, als die Augen zuzuschließen.
"Das konnt' er thun? — Er that's. — "Dieß kann
Nicht möglich seyn! Wer soll das glauben?"
Genug, er that's. Und welcher Mann
In seiner Lage das nicht kann,
Ist allenfalls ein Biedermann,
(Ich will ihm seinen Ruhm nicht rauben)
Ein frommer, orthodoxer Mann,
Ein guter, unbescholtener Philister
Und Alles, was ihr wollt, — nur ist er
Kein Held. Und freilich, ein Held zu seyn,
Ist keine Sache zum Erzwingen;
Es würde Manchem nicht gelingen,
Der es versuchen wollte. Allein
Ein Held bleibt Mensch — (von Wundergaben
Ist nicht die Rede) Der unsre hier
Mochte wohl einmal oder zwier
(Nur durch den Daumen) geblinzelt haben;
Doch drückt' er die Augen im nämlichen Nu
Nach jedem Male fester zu.
Die Dame hatte nun ausgebadet
Und, ihrer Würde unbeschadet,
Dem armen Lauscher viel Augenlust
Um einen theuren Preis gewähret.
Denn, ach! der Unglücksel'ge kehret
Mit einem brennenden Pfeil' in der Brust
Zurück nach Hause. Immer und immer
Steht sie, im goldnen Abendschimmer,
So lieblich erröthend, vor seinem Gesicht!
Immer in diesem magischen Licht,
Das zwischen Rosen und grünen Büschen
Sich in die zärtlichsten Farben bricht.
Vergebens strebt er's auszuwischen,
Das unauslöschliche Zauberbild!
Vergebens in seiner Seele das Bild
Der schönen Sonnemon aufzufrischen!
Dieß sieht er schwinden mit jedem Tag,
Und seufzt und ängstigt sich und mag
Nicht helfen! kann weder sich selbst belügen,
Noch über Je länger je lieber siegen.
Sie meiden darf er nicht; ihm fehlt
Ein Vorwand, den er ihr gestehen
Könnte; und täglich sie zu sehen
Und zu verbergen, was ihn quält,
Mit keinem Wörtchen sich zu vergehen,
Verhehlen des Feuers Ungestüm
Das ihn verzehrt, indem vor ihm
Sich täglich das Badgesicht erneuert —
Das ist zu viel! — Denn, Draperie
Und Mäntel und Schleier, was können die
Nun helfen? Ein Augenblick hat sie
Auf ewig und immer für ihn entschleiert.
Die Damen in der Tapisserie
Stehn barer nicht vor ihm als sie.
Und sollt' ich erst die Qualen beschreiben,
Die, wie die Furien den Orest,
Mit Schlangenpeitschen herum ihn treiben,
Wenn ihn das Liebesgötternest
In seinem Busen, auf nächtlichem Lager
Nicht eine Minute ruhen läßt;
Und wie gesunken, wie blaß und hager
Er aussieht, wie ewige Reu' ihn zwickt,
Und Gram, der, auf den Lippen erstickt,
Aus hohlen Augen verräthrisch blickt:
Gewiß, ihr könntet euch kaum erwehren,
Sein Leiden — wiewohl die bittre Frucht
Der Sünde — mit einem Thränchen zu ehren;
Denn, ach! wer wurde nicht versucht?
Oft, wenn das brennende Gewissen,
Die Qual, sich selbst verachten zu müssen,
Er länger nicht ertragen kann,
Fällt wüthend der Gedank' ihn an,
Sein treulos Herz sich aus dem Leibe
Zu reißen und dem geliebten Weibe,
Dem's angehört, an seiner Statt
Es zuzuschicken — um ihr zu zeigen,
Wie sie die Liebe gerochen hat.
"O Sonnemon, dir nichts zu schweigen
Gelobt' ich — Sieh, dieß Herz, das dich
Nur lieben sollte! — In wenig Wochen
Warst du gewonnen — O Götter! und ich,
Ich Schwacher — hatte zu viel gesprochen!
Dieß Herz verrieth, verführte mich;
Allein, so hab' ich dich gerochen!"
Sein weißer Dämon, zu gutem Glück
Wachsam, hielt ihm die Hand zurück.
"Wozu dich selbst so quälen? flüstert
Der Engel ihm zu: du bist aus Thon
Gebildet, wie jeder Erdensohn,
Bist mit den Thieren des Felds verschwistert
Und unterworfen dem Geräusch
Der Leidenschaften, wie alles Fleisch.
Nur laß den Kampf dich nicht ermüden!
Der Sieg ist zwar noch unentschieden;
Doch, wolle nur, so ist er dein!"
Kurz, (denn euch kann nichts Fremdes seyn,
Wie Engel in solchen Fällen sprechen)
So wie der Ritter sein Verbrechen
In einem mildern Lichte sieht,
Legt sich der Sturm in seinem Geblüt'.
Er fühlt sich noch nicht ganz verlassen,
Beginnet wieder Muth zu fassen;
Dem Muthe folgt Entschlossenheit,
Und nun wird's auch im Vorhaupt' heller.
Was ist zu thun? Die furchtbare Zeit
Der Wiederkehr rückt täglich schneller
Ihm auf den Leib: er muß noch heut
Das Fräulein nöthen Paris zu verlassen
Und dann den ersten Rittersmann
Zwingen, den er bezwingen kann,
Statt seiner mit ihr sich zu befassen.
Unstreitig war kein andrer Rath;
Zumal bei Hof und in der Stadt
Und, wenig fehlte, auf allen Gassen
Von nichts als Gandalins Aventure
Gesprochen wurde. — Ich bitte, die Zofe
Nicht in Verdacht zu ziehn. Von ihr
Entwischte nichts. Allein bei Hofe
Waren auf unsern Helden zu viel'
Augen gespannt, um ihnen sein Spiel
So lange verheimlichen zu können;
Zumal Verschwendung in Vorsicht nie
Sein Fehler war. Es ging ihm wie
Dem Strauß: er meinte, weil er sie
Nicht sah, sie könnten auch ihn nicht sehen;
Und dachte wenig, wie große Müh
Die rachedürstenden bösen Feen
Sich gaben, überall spät und früh
Spionen auf jeden seiner Tritte
Ihm nachzuschicken. Nun denkt, wenn ihn
Die Fanferluchen in die Mitte
Kriegten, (ihr kennt ja Hofessitte)
Wie's da dem guten Paladin
Ergehen mochte! Zehntausend Bienen
Hätten ihn nicht so arg bedienen
Können; Alles war über ihn!
So daß zuletzt das Feld zu räumen
Das einzige Rettungsmittel schien.
Noch einen Grund, sich nicht zu säumen,
Darf ich nicht schweigen, wie gern' ich's thät',
Um nicht der beleidigten Majestät
Des schönen Geschlechts verdächtig zu werden.
Zwar ist es gegen den Respect,
Aus Ton der Stimme, Blicken, Geberden,
Auf das, was einem im Herzen versteckt,
Zu schließen. Allein von einer Schönen
Nicht eher, daß sie liebt, zu wähnen,
Als bis sie's vor Notarius
Und Zeugen förmlich eingestanden,
Das machte, durch einen simpeln Schluß,
Alle Philosophie zu Schanden;
Und (unter uns) das schöne Geschlecht
Käm' immer am schlimmsten dabei zurecht.
Es bleib' euch also unverhohlen,
Daß auch in unsers Fräuleins Herz
Die Liebe sich endlich eingestohlen,
Die Liebe, mit der sie immer nur Scherz
Getrieben. Nun that sie freilich Alles,
Was ehrbarn Mädchen solchen Falles
Geziemt, damit der Ritter ja
Nichts von der Sache merken sollte;
Und was dann immer geschieht, geschah
Auch hier: ein Blinder nämlich sah,
Sie trug was, das sie verbergen wollte;
Und daß es bare Liebe sey,
Errieth sich ohne Zauberei.
Sagt, einer habe Feuer im Busen
Heimlich getragen; ich stell's dahin,
Wiewohl ich's zu glauben nicht schuldig bin:
Allein, daß einer Liebe im Busen
Heimlich getragen — sagt mir nichts
Davon! Das sieht man angesichts,
Es kann nicht seyn! Am allermindsten
Verbirgt sich das, vor dem es gilt.
Ah, Mädchen, just mit deinen Künsten
Verräthst du, was du verbergen willt!
Es ist nicht ohne, daß kleine Meister
Der Liebeskunst sich oft und gern'
Hierin betrügen. Den jungen Herrn
Steigen sogleich die Lebensgeister,
Wenn etwan in ihrer Gegenwart
Ein Seufzer (oft nichts bei einer Schönen,
Als eine höfliche Art zu gähnen)
Ein Halstuch hebt. Doch dieser Art
War unser Ritter nicht. Beweise
Von großer Stärke gehörten dazu,
Damit der Gedank' in ihm nur leise
Entstehen konnt', er sey der Ruh
Von einer schönen Dame gefährlich.
Alle Beweise, die ihr davon
Entwischten und jedem Andern es klärlich
Bewiesen hätten, — der kränkelnde Ton,
Der Wellen werdende Busen, das Feuer
In ihren Augen, durch sieben Schleier
Unaufgehalten, und daß sie sich
Mitten in einem zärtlichen Blicke
Schnell von ihm wandt' und oft und dicke
Ihr ganz zur Unzeit ein Seufzer entschlich,
Der, wie zwei Tropfen Wassers, einem
Neu ausgekrochnen Amor glich,
Und hundert solche Zeichen, die keinem
Erfahrnen unverständlich sind,
Hätt' er so wenig als ein Kind
Verstanden, wenn eigne Liebesschmerzen
Ihm nicht den Schlüssel zu ihrem Herzen
Gegeben hätten. Indessen bin
Ich doch nicht Bürge für seine Schlüsse.
Ihn könnte doch sein sechster Sinn
Betrogen haben. Allein darin,
Daß er durch Fliehn sich retten müsse
In jedem Falle, betrog er sich
Gewiß nicht! Die Flucht ist sicherlich
(Das Unterliegen ausgenommen)
Der einzige Weg, aus einem Streit
Mit Amorn leidlich wegzukommen.
Nunmehr verlor er keine Zeit,
Das Fräulein von der Nothwendigkeit,
Ihr Leibkameel flugs zu besteigen,
Durch viele Gründe zu überzeugen
Oder, was einerlei Wirkung that,
Sie wenigstens zum Gehorchen und Schweigen
Zu bringen. Auf seinen guten Rath
Reiste sie nur mit wenig Staat,
Den Laurern möglichst vorzubeugen.
Vorsicht, wiewohl sie zuweilen sich
Verrechnet, ist immer löbelich.
So zogen nun, in tiefer Stille,
Den Kopf vorhängend, sie und er
Im Morgenrothe gemach daher,
Gedrückt von ihrer Gedankenfülle.
Sie waren kaum zwei Stunden gereist,
Als ihnen aus einem nahen Holze,
Den Speer gefällt, mit großem Stolze,
Ein blauer Ritter entgegen sich spreißt.
Er hatte hinter seinem Rücken
Ein altes Weiblein aufgepackt,
Eins von den seltsamsten Hausrathsstücken,
Womit sich je ein Ritter geplackt:
Ein Weibchen von solchem Schrot' und Korne,
Daß die berühmte Maritorne,
Mit ihrem feuerfarbnen Haar
Und allen übrigen Zugehören,
Den Magen ganz sanft euch umzukehren,
An ihrer Seite — Venus war.
Warum mit einer solchen Megäre
Der blaue Ritter seine Mähre
Beladen mögen, wundert euch?
Es war ein angelegter Streich,
Dem Gandalin eine Gegenehre
Im Namen der Schönen von Paris
Für seine Galanterie zu erweisen,
Daß er sie sämmtlich sitzen ließ,
Mit einer Maske davon zu reisen.
Der Ritter, ein langer Damenknecht,
Der zwischen Nägel- und Lanzengefecht
Den Unterschied, in den vierzehn Jahren
Seit er die ersten Hosen trug,
Vermuthlich noch nicht sehr erfahren,
Hatte sich selber stark genug
Gefühlt, mit seinem ersten Speere,
Mit dem er lief, gewaltige Ehre
Einzulegen an Gandalin
Und (wie er den Damen voraus verkündigt)
Das Bürschchen ein wenig überzuziehn,
Das sich an ihren Reizen versündigt.
In solchem Vorsatz stellt' er sich,
So wohlgemuth als ging's zum Tanze,
Dem kommenden Ritter trotziglich
Entgegen mit eingelegter Lanze
Und schrie von ferne schon; Halt' ein!
Hier ist der Weg gesperrt, Herr Reiter!
Und, so Ihr etwa Lust habt, weiter
Zu reisen mit Eurem Jüngferlein,
So nehmt den Helm ab und bekennet,
Daß diese Prinzessin, für die ihr brennet,
Und die mit Euch die Welt durchstreicht,
Der meinen, hinten auf meinem Schimmel,
An Schönheit nicht das Wasser reicht;
Bekennt es laut vor Erd' und Himmel,
Und zieht dann meinetwegen, wohin
Ihr wollt mit Eurer Königin!
Mein Ritter sieht mit kaltem Blicke
Ihn seitwärts an, und: "Herr Pennal,
Tragt Eure Dame ins Spital,
Woher Ihr sie geholt, zurücke,
(Spricht er) ich habe keine Zeit,
Mich aufzuhalten."
Das ist mir leid,
(Erwiedert jener) desto schlimmer!
Denn ohne Fechten kommt Ihr nimmer
Von hier; es sey denn, Ihr bekennt,
Wie obsteht. — "Das möchte vor meinem End
Wohl schwerlich geschehn, mein Herr!"
So sprechen
Wir mit einander. — "Nun, (versetzt
Mein Ritter) wenn etliche Rippen zu brechen
Euch denn so übermäßig ergetzt,
So kommt! Euch aus dem Sattel zu stechen,
Braucht's eben keine große Zeit.
Nur her!" — Und so begann der Streit.
Die Alte sprang in großer Eile
Vom Pferd' und kroch auf ihrem Bauch
Vor Angst in einen Brombeerstrauch;
Und beide Ritter ohne Weile
Spornten die Rosse, holten aus,
Stießen zusammen in hartem Strauß',
Und, krack! da liegt auf allen Vieren
Mein Prahler, ohne sich zu rühren.
Herr Gandalin, an dessen Schild
Sein schwacher Stoß leicht abgeglitten,
Springt ab vom Ross', hebt freundlich und mild
Den Gegner auf, nach Rittersitten:
"Der Fall war unsanft! es thut mir leid!
Allein Ihr wolltet's." — Kleinigkeit!
Mein Gaul ist nicht zum Ritter geschlagen,
(Erwiedert jener etwas schel)
Doch, wenn Ihr noch einen Gang zu wagen
Lust habt, so hängt zu Eurem Befehl'
Hier ein Geschmeid' an meiner Linken.
"Von Herzen gern — (spricht unser Held)
Ich seh' Euch zwar ein wenig hinken,
Ein wenig viel! Wenn's Euch gefällt,
So warten wir noch." — Nicht eine Minute. —
Ich fühle mich an Arm und Muthe
Für einen Amadis stark genug.
"Das freut mich herzlich zu vernehmen.
Doch werdet Ihr, vor dem Degenzug,
Zu einer Bedingung Euch bequemen." —
Die ist? — "Wenn ich (spricht Gandalin)
Euch zu entwaffnen so glücklich bin,
Die Dame in Euren Schutz zu nehmen,
Die bei mir ist."
Die Dame? (spricht
Rings um sich schauend der blaue Ritter)
Ich sehe keine Dame nicht.
Wo ist sie! — Ha! die wird ein Dritter,
Indessen das kleine Lustgestech
Uns aufhielt, weggeblasen haben!
Der Streich, Herr Bruder, ist etwas frech,
Ich muß gestehn! — Ich hörte was traben,
(Däuchte mir) aber hatte nicht Zeit,
Mich umzusehen. Es scheint, Ihr seyd
In ihrer Gunst noch nicht gar weit
Vorgerückt, daß sie Euch so zu grämen
Ueber ihr Herz erhalten kann?
Ei, er! auch nur nicht Abschied zu nehmen!
"Wie? Sie ist fort? (ruft unser Mann
Bestürzt) Verschwunden, oder es kann
Nicht möglich seyn! — Welch Abenteuer!
Ich muß ihr nach! Ein ander Mal,
Herr Ritter! jetzt ist keine Wahl!
Die alte Freundschaft geht vor neuer!"
Indem springt er mit einem Sprung
In seinen Sattel, und, wie er den Schwung
Nehmen will, glänzt im Graf' ein Schleier
Ihm in die Augen. Sein Herz erkennt
Den Schleier, eh' ihm sein Aug' ihn nennt:
Er ist des Fräuleins! — Und ohne vom Pferde
Zu steigen, rafft er im Flug' ihn auf,
Küßt ihn und drückt ihn, gibt dem Pferde
Die Sporen, und unter seinem Lauf
Verschwindet rings um ihn die Erde.
—————

Siebentes Buch.

Vier lange Tage sind nun vorüber,
Seit Gandalin die verlorne Spur
Der wundervollen Je länger je lieber,
Berg auf, Berg ab, im hitzigsten Fieber
Der Ungeduld sucht, durch Wald und Flur
Bei Tag und Nacht Je länger je lieber
Rufet, sie von der ganzen Natur
Vergebens fordert und gleich von Sinnen
Kommen möchte, daß überall
Die Leute so ruhig sitzen, spinnen,
Ihr Feld bestellen, Haus und Stall
In trägern, angewohntem Trabe
Beschicken, und wenn er keuchend fragt,
"Ob Niemand die Dame gesehen habe?"
Der rohe Knecht, die dicke Magd
Mit klopfenden Augen und offnem Maule
Den tollen Herrn auf seinem Gaule
Begaffen und, was er da gesagt,
So wenig verstehn, als wär' es Böhmisch.
Bei solchem Erfolg vergeht der Drang
Zum Suchen endlich. Mild und grämisch
Wirft er nach Sonnenuntergang
Am fünften Abend sich vom Pferde,
Legt sich an eines Hügels Hang
Der Länge nach auf Gottes Erde
Und bleibt wohl eine Stunde lang
So liegen, indeß sein treuer Schimmel
Im Grase geht! Und wie am Himmel
In stiller Pracht die Cherubin,
Jeder in seine Strahlensphäre
Gehüllt, beginnen auszuziehn,
Denkt er: Ach, wer da droben wäre!
Zuletzt erbarmt der Schlaf sich sein
Und rieselt alle seine Sinnen
Dem Unmuth zu von außen und innen.
Er schläft, wiewohl ein bloßer Stein
Sein Kissen ist, gar lieblich ein,
Schläft ruhig bis zum Sonnenschein
Und hätte den Tag dazu verschlafen:
Wenn nicht ein Schäfer, nah dabei
Vorüber ziehend mit seinen Schafen,
Den schönen Morgen auf seiner Schalmei
Aus voller Brust bewillkommt hätte.
Jetzt wacht von seinem steinernen Bette
Mein Ritter auf, schaut um sich her
Und sieht als wie ein grünes Meer
Von Auen und Wiesen vor ihm verbreitet,
Mit Gruppen von Bäumen gar malerisch
Erhoben, Alles lebend und frisch
Im Morgenlichte, das drüber gleitet,
Und zwischen Schilf und krausem Gebüsch
Ein schimmernd Flüßchen in sanften Schlangen
Sich längs der Ebne hinunter ziehn.
Wie nennt ihr den Fluß? fragt Gandalin.
Die Senn', antwortet unbefangen
Der Schäfer. — Und, wie wenn hart am Baum,
In dessen Schatten ein Wandrer kaum
Entschlummert war, mit schmetterndem Krachen
Der Donner aus einem schweren Traum
Den Schläfer weckt, und im Erwachen
Der Schrecken, der ihm durch sein Gebein
Noch schaudert, die Freude, gerettet zu seyn,
Erst übertäubt, doch beim Besinnen
Bald Dank und Freude den Sieg gewinnen:
Nicht anders trifft des Schäfers Wort
Auf Gandalins Herz. — "Die Senn'! o Götter!"
Denkt er und schaudert, wie dürre Blätter
In herbstlicher Luft — erkennt den Ort,
Den Sonnemons Blicke zum Himmel machen:
Und, o, was für Gefühl' erwachen
Auf ein Mal drängend in seiner Brust!
So nah'! O Ueberschwang von Lust!
Auf ein Mal ist der Zauber zerbrochen:
Was ihn in diesen letzten Wochen
Gefangen hielt, war nur ein Traum,
Ein Feenspiel, ein magischer Traum;
Allein der Zauber ist zerbrochen,
Wie Wolkengemälde im Sonnenglanz
Zerronnen! — Er ist zum vorigen Leben
Erwacht, sich selber wiedergegeben!
Sein Herz, sein Wesen wieder ganz
In Sonnemon, ganz, ganz verschlungen
Von wonnevollen Erinnerungen
Und Ahnungen! — O, so nahe! (ruft
Er freudetrunken) so nahe! Die Zinnen
Von ihrer Burg sind's, was im Duft
Dort schimmert! Ihr Athem ist in der Luft,
Die an mich weht! Auf, auf, von hinnen!
Was säum' ich? Diese Wellen rinnen
Zu ihr hinunter, kommen von mir
Hinab zu jenen Schlangenbüschen,
Wo sie in diesem Nu vielleicht
Einsam durch junge Rosen schleicht,
Im Morgenduft sich anzufrischen.
Dieß denken und auf sein wiehernd Roß
Sich schwingen und mit verhängtem Zügel,
Schnell wie ein Vogel, hinunter den Hügel
Schießen, war Eins. Kurz, Sonnemons Schloß
Ist wirklich erreicht, eh Titans Pferde
Von ihrer Tagreis' um die Erde
Den sechsten Theil zurück gelegt.
Nun denkt, ob, wie er über die Brücke
Hinreitet, sein armes Herz ihm schlägt!
Die Stunde, die seinem Liebesglücke
Das Urtheil sprechen sollte, sie war
Nun da, sein dreifach Prüfungsjahr
Vorüber! Er hatte in fernen Landen,
Vom Abgott seiner Seele verbannt,
Manch schweres Abenteuer bestanden!
Doch sie — die ihm mit Mund und Hand,
Wofern er nie die Treue gebrochen,
Sich selbst zum Minnesold versprochen:
Hatte sie auch, in all der Zeit,
Nie seiner und ihres Schwurs vergessen?
Ihr Leichtsinn! Ihre Flüchtigkeit!
Gott! hätt' ein Andrer sich indessen
In ihre Gunst zu stehlen gewußt!
Drei Jahre, belagert von allen Seiten,
Es auszuhalten hat Schwierigkeiten!
Die Narben an seiner eignen Brust
Sind, leider! Zeugen. — Tausend solche
Aber und Wenn durchkreuzen sich
Und wühlen und nagen, wie tausend Molche,
An seinem Busen jämmerlich,
Sowie sich ihm die Pforte vom Himmel
Aufthat. Selbst sein treuer Schimmel
Nahm Theil an seines Herren Pein
Und senkte, so munter er kaum geflogen,
Die Ohren wie ein Eselein,
Indem sie übern Schloßhof zogen.
Indeß, sobald vom Thurm herab
Das übliche Zeichen, wenn ein Ritter
Sich einfand vor dem ersten Gitter,
Der Zwerg mit seinem Horne gab,
Kamen vier Knaben aus dem Schlosse
Hervor, vier Knaben, wie Milch und Blut,
Mit Federbüschen auf dem Hut,
Den Ritter auf ihres Fräuleins Schlosse
Willkommen zu heißen. Sie bückten sich
Zur Erde, halfen ihm hurtig vom Rosse
Und führten ihn dann gar sittiglich
In einen mit großen Hirschgeweihen
Gezierten Saal. Da traten im Reihen
Vier schöne Jungfrauen in den Saal,
In steifen Röcken mit hohen Kragen;
Die neigten sich vor ihm zumal,
Schnallten ihm, ohn' ein Wort zu sagen,
Die Rüstung ab mit zarter Hand,
Warfen ein scharlachroth Gewand
Ihm an, das bis zum Boden nieder
Wallte, und zogen, nachdem sie sich
Vor ihm verneigt, gar züchtiglich
Und still in voriger Ordnung wieder
Zur Thür' hinaus. Die schloß sich kaum,
So kommen vier neue Ganymeden,
Ihn, gleichfalls ohn' ein Wort zu reden,
Ins Bad zu führen. — Ein schöner Traum
Scheint Alles, was mit ihm geschiehet,
Dem staunenden Ritter, wiewohl ein Traum,
Worin ihm gute Hoffnung blühet.
Im Bade ließen die Knäbelein
Ihn sechs Minuten kaum allein,
So kamen sie alle beladen wieder
Mit goldnen Büchsen und feinem Tuch,
Trocknen ihn, reiben ihm sanft die Glieder
Mit Salben von köstlichem Wohlgeruch,
Und, wie jetzt alle die heil'gen Gebräuche
Des Bades vollbracht sind, helfen sie ihn
Von Fuß auf anziehn, legen reiche
Kleider ihm an, und Gandalin
Geht nun (mit Vater Homer zu reden)
Gleich einem Gott hervor, und wer
Ihn ansieht, zischelt den Ganymeden,
Voll süßen Wunders, wer ist der?
Und schaut ihm nach. — So stattlich gezieret,
Schön wie ein Stern im Morgengrau
Und frischer als eine Rose im Thau,
Tritt er, von seinen Knaben geführet,
Den Saal hinein, wo Sonnemon,
Wie Venus auf ihrem Rosenthron,
Auf einem Sopha, rings umgeben
Von Liebessklaven, Tod und Leben
Aus ihren Augen ausgetheilt. Kaum
Läßt sie — und, o, mit welchen süßen
Blicken, die Augen auf ihn schießen:
So sieht sie ihn schon zu ihren Füßen,
Die Lippen an ihres Rockes Saum
Drückend, in Reden sich ergießen,
Die, ohne Zusammenhang, ohne Sinn,
Nur desto stärker sein Entzücken
Malen. Sie reicht mit freundlichem Nicken,
Wie billig, die schöne Hand ihm hin
Und sagt, indem sie ihm aufzustehen
Befiehlt und seinem berauschten Mund
Die Hand entzieht mit sanftem Drehen,
Es sey ihr lieb, so frisch und gesund
Nach so viel Zeit ihn wiederzusehen.
"Däucht Ihnen (spricht sie zu zwei bis drei
Umstehenden Herren vom seufzenden Orden)
Däucht Ihnen nicht auch, Herr Gandalin sey
Auf seinen Reisen fetter geworden?"
Es war ein wenig Schelmerei
In dieser Frage: doch, freudetrunken,
Wie Gandalin war, empfand er nichts
Davon; so ganz hineingesunken
In jeden Reiz des Wonnegesichts
War sein Gefühl, so lauter Augen
Sein ganzes Wesen, es einzusaugen!
Das Fräulein, als er zum letzten Mal
Sie sah, glich einer Rosenknospe,
Die eben im warmen Sonnenstrahl
Sich schamhaft öffnet: jetzt war die Knospe
Zur wollustathmenden, reifen, vollen
Blume Cytherens aufgequollen!
Stand vor ihm da, so engelgleich,
Und zog sein Seelchen so ganz hinüber
Auf einen Zug ins Himmelreich!
War jemals eine Je länger je lieber
Gewesen? — Er wußte nichts davon;
Sie hatte sich in Sonnemon
Verloren! Der Lethe selber hätte
Mit allem Wasser in seinem Bette
Sie reiner aus seinem Gedächtniß nicht
Ausspülen können. —
Indessen spricht
Das Fräulein, frei und unbefangen,
Von vielerlei; wirft dann und wann
Wohl einen Blick auf unsern Mann,
Den er gefällig deuten kann,
Doch ohne daß ihre Rosenwangen
Sich höher färben; fragt, "wie ihm Rom
Gefallen habe? wie hoch der Dom
Zu Mailand sey?" und zwanzig Fragen
In diesem Geschmack, die offenbar
Ihr eben so wenig als ihm verschlagen:
Doch nur ein Wort von dem zu sagen,
Was seinem Herzen so wichtig war —
Nicht eine Sylbe! Die redendsten Blicke
Gab sie ihm ohne Antwort zurücke;
Vergebens seufzt er etliche Mal,
Als wollte das Herz im Leib ihm brechen;
Und da er endlich den Augenblick stahl,
Sie ganz von ferne an ihr Versprechen
Zu mahnen, wußte sie wie ein Aal
Ihm durch die Finger zu entwischen.
Sogar das Lächeln und heimliche Zischen
Ins Ohr des Nachbars — der jungen Herrn
Um Sonnemon, war Gandalinen
Ein Zeichen, es habe kein günstiger Stern
Zu seiner Wiederkunft geschienen.
Unmuthig und seinen Gram in sich
Verschlingend, ergriff er endlich das beste
Mittel in solchen Fällen — er schlich
(Ohne das Ende von einem Feste,
Das Sonnemon ihrem Hofe gab,
Auszuwarten) die Treppen hinab
Und eilends hinaus zur Schlossespforte,
Wie schaudernd aus einem verpesteten Orte
Ein Wandrer flieht — wankt hin und her,
Kommt endlich, vom Instinct geleitet,
In seine alte Wohnung, die leer
Und auf sein Wiederkommen bereitet
Geblieben war.
Kaum hatt' er hier
Sich hingeworfen, der Ungebühr,
Die ihm geschehen, der Liebe, dem Hofe
Fluchend — so klopft was an der Thür'.
Er läßt's wohl drei Mal oder vier
Klopfen; und wie er endlich, der Thür
Zu schonen, öffnet — so steht die Zofe —
(Denkt, ob ihm nicht die Sinne schier
Vergingen?)— Je länger je liebers Zofe
Steht vor ihm da! Er fährt zurück;
Doch, um ihn keinen Augenblick
Im Zweifel zu lassen, lauft sie mit warmen
Aus Fleisch und Bein gedrehten Armen
Ihm an den Hals, erfreut sich sehr,
Nach langem Hin- und Wiedertraben
Und Suchen im ganzen Land umher,
Ihn endlich wieder gefunden zu haben.
"Mein Fräulein"— Wie? ruft Gandalin,
Auch die ist hier? — "Zu dienen." — Ich bin
Verwirrt! Ihr müsset hexen können!
"Ein wenig, so was man ins Haus gebraucht,
Ich muß gestehn." — Bei Gott, mir raucht
Der Kopf! Wie soll ich das Alles nennen,
Was mir begegnet! — Dein Fräulein hier! —
Gut! und was will sie denn von mir?
Wie? was sie will? Welch eine Frage!
Sie sind, verzeihen Sie, daß ich's sage,
Nicht wohl bei Laune, mein Herr! — Schon gut!
Behalten Sie immer ihr kaltes Blut,
Wofern Sie können! Wir wollen sehen!"
Und was denn? was denn werden wir sehen?
"So hören Sie an! — Was noch vor Jahr
Und Tag bei Menschen unmöglich war,
Ich sag', unmöglich — das ist geschehen!
Ich meines Orts, ich hätte mir klar
Weit eher des Himmels Sturz versehen.
Mein Fräulein, die Alles, was Liebe heißt,
Nicht ausstehn konnte, die lauter Geist
Und Göttin war, vom Frauenzimmer
Nichts hatte als den bloßen äußern Schein,
Der Herren, die um sie buhlten, immer
Nur spottete und bei ihrer Pein
So wenig als ein Kieselstein
Fühlte — mein Fräulein — Ich kann ermessen,
Herr Ritter, Sie kennen mein Fräulein noch,
Sie haben den Abend noch nicht vergessen,
Den schönen Abend —"
So mache doch
Ein Ende! —
"Nur nicht so hitzig! Sie hören
Ja nicht! — Mein Fräulein also dann —
Hat endlich den wundervollen Mann
Gefunden, der sie zur Liebe bekehren
Sollte, und, kurz — Sie sind der Mann!
Mein Fräulein liebt Sie — in allen Ehren
Versieht sich — was man lieben kann,
Und bittet, wofern Sie noch an sie denken,
Heut' Abends, um gewöhnliche Zeit,
Ihr Dero werthe Gesellschaft zu schenken.
Um zehn Uhr halten Sie sich bereit,
Ich komme, Sie abzuholen." —
                       Verlegen,
Bestürzt, verwirrt, unschlüssig schien
Bei diesem Antrag Gandalin;
Saß lange da, den Kopf zurücke
Gelehnt, die Augen geschlossen, den Mund
Zusammen gedrückt. Auf einmal stund
Er auf, schoß unruhvolle Blicke
Umher und knirscht' in sich hinein:
Nein, nimmermehr! es kann nicht seyn!
"Nun, reden Sie! Soll ich meiner Dame
Sagen, Sie kommen?" —
Es kann nicht seyn!
"Sie sagen mir das? Es kann nicht seyn!
Sie sind's doch? Oder ist Ihr Name
Nicht Gandalin? — Und, es kann nicht seyn,
Das wäre die Antwort? — Die arme Darne?
Sie hält's nicht aus! es ist zu viel!
Herr Ritter! wie konnten Sie alles Gefühl,
Alles Gedächtniß so schnell verlieren?"
Weg, Satan! du sollst mich nicht verführen,
Ruft Gandalin wüthend — Fort! hinaus! —
Die Zofe lächelt seiner Hitze;
Es sind doch, benkt sie, nur Schauspielsblitze;
Verneigt sich und eilet aus dem Haus.
Kaum hört er auf den untersten Stufen
Noch ihren Absatz, so wandelt ihn
Der Einfall an, sie zurück zu rufen.
Weg war sie! — Armer Gandalin!
Unglücklicher! mit dir selbst schon wieder
Im Krieg! Kaum sieht er sich allein,
So fährt's ihm kalt durch alle Glieder.
Er sinkt auf seinen Schragen nieder,
Und: Sollt' es (denkt er) möglich seyn?
Wie trifft denn das Orakel ein?
Sie sollte ja nicht eher lieben,
Als bis sie einen aufgetrieben,
Dem sie, wiewohl er unverhüllt
Sie nie erblickt, je länger je lieber —
"Elender! du zweifelst noch? und willt
Dir's leugnen, wie oft dein Gewissen dich über
Der brennenden That ertappte? willt
Dir's leugnen, daß sie dir immer lieber
Und lieber wurde? Ach! nur zu wahr
Ist das Orakel! bei den Ohren
Halt' ich den Wolf — 's ist offenbar,
Seh' ich sie wieder, so bin ich verloren!
Ihr, deren bloßer Name mich schon
Zum Kinde macht, zu widerstehen?
Unmöglich! — Und käm' ich auch davon
Mit halbem Herzen — o Sonnemon,
Wie dürft' ich, könnt' ich dir's gestehen?
Wie dir nur wieder ins Auge sehen
Nach solcher That? — Nein, nimmermehr!
Nein, Engel, Abgott meines Herzens,
Und hättest du mich noch so sehr
Beleidigt, gespottet meines Schmerzens
Und meiner Liebe — du herrschest doch
In meiner Brust! Ich trage dein Joch,
So schwer es ist, und will es tragen,
Bis Würmer an diesem Herzen nagen!
So spricht er zu sich selbst,
Zur Treue sich durch tausend Schwüre.
Darüber beschleicht ihn unvermerkt
Die Nacht; und plötzlich thut die Thüre
Sich auf, und siehe! im Vollmondsschein
Tritt Fräulein Je länger je lieber herein.
—————

Achtes Buch.

Nun setzt den Fall, ihr läget, allein,
Um Mitternacht, auf eurem Lager
Und wiegtet euch bei Mondesschein
Mit schlafbefördernden Bildern ein;
Auf ein Mal träte bleich und hager
Ein langer weißer Geist herein;
Mit Leichentüchern über und über
Behangen, setzte sich gegenüber
Und starrte aus hohlen Augen voll Glut,
Die Zähne fletschend, zu euch herüber:
Wie wär' euch wohl dabei zu Muth?
Ich wett', euch würde mächtig bange
Ums Herz! allein gewißlich lange
So bang' als unserm Helden nicht,
Wie er auf ein Mal, sich nichts versehend,
Je länger je lieber vor seinem Gesicht'
In ihrer ganzen Größe stehend
Erblickt. — Und gleichwohl zeigte sie sich
Nichts weniger als gespensterlich.
Kein Engel hätt' in einer mildern,
Holdern, gefälligern Gestalt
Erscheinen können. Sie war — "Halt! halt!
Nur keine Beschreibung — Das ewige Schildern!
Es macht den Dichter und Hörer kalt!"
Ich schweige. Genug, ihr kennt die Dame
Und mögt sie selbst nach Herzensgier
Euch malen in eurer eignen Manier.
Gefaßt in eine so schöne Rahme,
Als euch behaget — allenfalls
In langem weißem Atlaskleide;
Nur, bitt' ich, nicht zu viel Geschmeide!
Bloß Perlenschnüre um Arm' und Hals;
Den Schleier ja nicht zu vergessen;
(Denn noch ist ihr verboten, dessen
Sich abzuthun) doch deck' er bloß
Das Angesicht, und durch doppeltes Leinen
Mag etwa einer Erbse groß
Von ihrem steigenden Busen scheinen!
Des Ritters Lage bei Allem dem
War weder sicher noch bequem.
Im plötzlichen Aufruhr' aller Sinnen
Was kann er sagen, was beginnen?
Vermeiden wollt' er die Zaubergestalt,
Aus seinem Herzen mit Gewalt
Sie reißen, und sollt' es dran verbluten!
Dieß hatt' er noch vor wenig Minuten
Geschworen. Was konnt' ihm Aergers geschehn,
Als dieser Nothzwang, sie zu sehn?
Sein erster Gedank' auch jetzt war — Fliehen,
Fliehn, wie der keusche Joseph dort
Der Sünd' entfloh — Allein ein Wort,
Ein Ton — den Mond vom Himmel zu ziehen,
Hemmt seinen Fuß. Er steht erschlafft,
Gelähmt und zitternd und ohne Kraft,
Nur Athem zu holen.
"Du kannst mich fliehen?"
War Alles, was sie selbst vor Schmerz
Zu sagen vermochte.
Ein Dolch ins Herz
Ist ihm der Ton, womit sie's sagte;
Ihm brechen die Knie, er sinkt betäubt
An einem Stuhl zu Boden — bleibt
Wohl eine halbe Viertelstunde
So liegen — lüftet dann und wann
Die Augen nach ihr, will reden und kann
Nicht reden, ihm stockt die Luft im Munde;
Indeß die Dame, ihr Haupt gestützt
Auf beide Arme und über die Stirne
Die Hände verschränkt, am Fenster sitzt
Und schweigt. — Sein einzig Hoffen ist
Ist, daß sie grimmig auf ihn zürne.
Allein er hört sie von Zeit zu Zeit
Erseufzen, mit solcher Zärtlichkeit,
Daß tausend Nadeln sein Herz durchstechen.
Zuletzt — um es ihm gar zu brechen —
Scheint, wie im Drang der Liebe dahin
Gezogen, sich eine von ihren Händen,
Als suchte sie ihn, nach ihm zu wenden.
Dieß war zu viel für Gandalin!
Auf rafft er sich, im heftigsten Sturme
Der Leidenschaft, wirft neben sie
Sich nieder, verbirgt auf ihrem Knie
Sein weinend Auge, hätte zum Wurme
Verschrumpfen mögen, um sein Vergehn
Und was sie durch ihn leiden müssen,
Im Staube zertreten, abzubüßen.
Die Dame schien zu ihren Füßen
Mit Wonnegefühl ihn liegen zu sehn.
"Ist's möglich? rief sie in Entzücken,
Er liebt mich? Seine Lippen drücken
Den Schwur der Liebe, das heil'ge Pfand
Der ewigen Treu', auf meine Hand?
Mein ist das Recht, ihn zu beglücken,
Sein Herz mein Königreich, mein Thron,
Mein Himmel! und keine Sonnemon
Soll mir's entreißen?" —
Mit was für Blicken
Der Ritter beim Namen Sonnemon
Zusammen fuhr; das ängstliche Zücken,
Nicht anders als ob ein Skorpion
Aus ihren Lippen in seinen Busen
Gefahren wäre — das sollt' ein Mann
Wie Ruben anders, als ich's kann,
Euch malen, und wenn auch alle Musen
Mir malen hälfen! — Ha, welch ein Wort,
Unglückliche, (ruft er mit Ergrimmen
Und schleudert die Hand weit von sich fort,
Auf der noch seine Thränen schwimmen)
Welch einen Namen wagtest du
Zu nennen! — O, daß der nämliche Nu,
Da ich in deine Atmosphäre
Gerieth, mein letzter gewesen wäre!
O Zauberin, lass' ab von mir!
Was hilft es dir, Gewalt zu üben?
Mein Wille schwört sich los von dir,
Warum mich zwingen, dich zu lieben? —
Gut! triumphire! du siegst — doch klein
Soll deines Sieges Freude seyn!
Ich will zu Sonnemon dich führen,
In deiner Gegenwart Alles ihr
Bekennen und dann, vor deinen und ihren
Augen, die Liebe an ihr und dir
Rächend, dieß schwache Herz durchbohren,
Das dich verrieth, ihr falsch geschworen! —
Die Dame, statt vor Gift und Wuth
(Wie ihr vermuthet) zu Boden zu sinken,
Schien Alles dieß mit frohem Muth
Wie Nektar in sich hinein zu trinken:
Und wie sie glaubte, der erste Jast
Sey ausgeschäumt, sprach sie mit süßen
Geberden: "Gleich! zu meinen Füßen
Nieder, und was du geläftert hast,
Mir abgebeten! Das muß ich wissen,
Ob du mich liebst! Dein innerster Sinn
Liegt vor mir aufgeschlossen; ich bin
Zufrieden, ich bin geliebt und liebe!
Unglücklicher Mensch! was quälest du
Dich selbst und die du liebst? Wozu
Entgegenkämpfen dem süßen Triebe?
Gib dich gefangen! Lieb' um Liebe!
Und Freuden ohne Maß!" —
O du,
Antwortet er ihr mit zitterndem Munde,
Die Hände ringend — Du hast mich zu Grunde
Gerichtet! weg ist meine Ruh'
Auf ewig, und Schande und Verderben
Mein Antheil. Laß mich, laß mich sterben!
Ich kann in deinem Zauberbann
Nicht dauern, du unnennbares Wesen!
Wer bist du? Flieh, verschwind'! ich kann
Dich nicht ertragen, nicht genesen,
Wo du bist! Meine Lieb' ist Haß,
Nicht Liebe; sie brennt wie Höllenfeuer
In meinem Busen. Laß mich, laß
Mich sterben! — Oder reiß den Schleier
Von diesen Zauberaugen und laß
Dich anschaun, und im ersten Blicke
Verzehre mich! —
Aus Furcht, er zücke
Den Arm nach ihrem Schleier, wich
Das Fräulein ein wenig erschreckt zurücke;
Indessen sah man sichtbarlich,
Es kämpfe was in ihrem Herzen.
Doch faßte sie sich, und: "Gandalin,
(Sprach sie) ich mußte, was ich bin,
Nicht seyn, um kalt bei deinen Schmerzen
Zu bleiben. Allein, sprich selber, sprich,
Was könnte Sonnemon und ich,
Jede, mit einem halben Herzen
Machen? Es muß zum letzten Entschluß,
Zum Wählen zwischen uns, kommen — es muß!
Jetzt schwebst du wankend zwischen beiden.
Nimm, Lieber, diese Nacht dazu,
Bring' erst dein tobendes Blut zur Ruh'
Und morgen — laß dein Herz entscheiden!" —
Dieß sagen und, ohne daß er das Wie
Wahrnahm, aus seinen Augen schwinden,
War Eins. Er suchte mit eifriger Müh'
Oben und unten, vorn und hinten
Im Hause — sie war nicht mehr zu finden.
Nun denket, was für eine Nacht
Der gute Ritter in solcher Lage
So trostlos einsam, zugebracht!
Es war die längste bitterste Nacht,
Die je vor seinem Todestage
Ein armer Sünder durchgewacht.
Dem Manne, der mir Schaf' und Rinder
Und Haus und Hof und Weib und Kinder
Geraubt, geschändet und umgebracht
Hätte, — ich wünscht' ihm weder Acht,
Noch Kirchenbann, auch nicht von Mäusen
Gefressen zu werden im Mäusethurm,
Wie Bischof Hatto, noch von Läusen,
Wie König Herodes, noch im Sturm,
Von tausend grinsenden Todten umgeben,
Sechs Tage in einer mastlosen Jacht
Auf Wogenspitzen im Meer zu schweben;
Ich wünscht' ihm — eine solche Nacht!
Als nun die goldne Sonne wieder
Zu scheinen begann, sprang Gandalin
Von seinem Lager, so bleich und grün,
Wie liebessieche Mädchen, und müder,
Als hätt' er in einer Novembernacht
In Regen und Sturm, durch tiefe Felder
Und Sumpf und Moor und träufelnde Wälder,
Sechs Meilen in einem Zug gemacht.
Er öffnet ein Fenster, schlürft und sauget
Den Sonnengeist in sich hinein,
Der alle Leibes- und Seelenpein
Unendlich mehr zu lindern tauget,
Als Paracelsens Laudanum
Und alle Essenzen, Elixire
Und schwerzbetäubende Klystiere
Im großen Dispensatorium;
Ihm ist, als wehe im jungen Morgen
Ein Gott ihn an, und seine Sorgen
Verlieren im Ocean des Lichts
Die Hälfte des drückenden Gewichts:
Und, wie er da steht, im Ueberrocke,
Mit offner Brust und fliegender Locke,
Greift er mechanisch nach Stock und Hut
Und eilt hinaus in dumpfem Muth'
Ins Freie, — läuft mit großen Schritten
Den Lindengang hinab, dann mitten
Die Wiesen durch, dann übern Steg,
Den Rain hinauf, dann linker Seite
Quer übers holprige Brachfeld weg,
In solcher Hast, daß alle Leute,
An denen er so vorüber schwirrt,
Stillstehend gaffen und denken müssen:
"Der läuft, wie Kain vor seinem Gewissen!"
So war er lange herum geirrt,
Als er zuletzt, wie einem Traume
Entwachend, in Sonnemons Park sich fand.
Da warf er neben einem Baume
Sich nieder, streckte Fuß und Hand
Und lechzte, wie ein Fisch im Sand;
Doch macht ihm das Gefühl Vergnügen,
Auf Sonnemons Grund und Boden zu liegen.
Allmählich, wie des Morgens früh'
Halb geistige leichte Dunstgestalten
Am röthlichen Himmel sich entfalten,
Dämmern in seiner Phantasie
Die Bilder auf von jenen Tagen
Und Stunden der ersten süßen Plagen
Der Liebe, da er in diesem Hain
So manchen Abend bei Mondenschein,
Den stillen Bäumen sein Leid zu klagen,
Verweilte, so manchen halben Tag
In einer Hecke verborgen lag,
Um Sonnemon im Vorübergehen
Durchs Laub verstohlen nachzusehen;
Und unter diesen Träumerein
Schläft er in süßer Ermattung ein.
Ihm hatten die freundlichen Waldgötter
Zwei Stunden sein gesenktes Haupt
Auf ihren Schoß zu legen erlaubt,
Als — eine Hand voll Rosenblätter,
An seine Wangen mit leichter Hand
Geworfen, ihn weckte. Sein Erstaunen,
Da Sonnemon im Morgengewand,
Reizend wie Flora, die langen braunen
Locken halb mit einem Band
Gefesselt, halb am weißen Nacken
Hinwallend, mit hold erröthenden Backen
Und lieblichen Blicken, vor ihm stand —
Sein süßes Erschrecken, und was er empfand,
Indem sie ihm ihre Grazienhand
Zum Aufstehn reichte, — und sein Entzücken
Und seine Angst — o Mutter Natur,
Wie könnt' ich das Alles in Worte drücken?
So eine Scene fühlt sich nur.
Mit ungewöhnlicher Huld und Milde
In ihrem Wesen, Blick und Ton,
Führt ihn die schöne Sonnemon
Zu einem Sitz, wo Epheu und wilde
Reben, zum selbst gewachsnen Dach
Verwebt, der Sonne den Paß zu versagen.
Im Gehen bat sie ihn, ihr Betragen
Bei seinem Empfang' im Vorgemach
Dem leidigen Zwang der Etiquette
Und dem beschwerlichen Mückenschwarm
Der Höflinge beizumengen. — "Sie hätte
So gern sich ihm mit offnem Arm'
Entgegen gestürzt, den lieben Getreuen
So gern' an ihren Busen gedrückt!
Allein vor so viel Zeugenreihen
Hätte sich's freilich nicht wohl geschickt.
Doch nun, da keine Laurer uns stören,
Jetzt hör' und laß von dir mich hören,
Was nach so langer Trennung das Herz
Uns eingibt! — Nichts von altem Schmerz,
Nichts, das den süßen Augenblick trüben
Könnte! von Zweifeln und Fragen nichts,
Ob du auch immer treu geblieben!
Die Antwort steht mit Zügen des Lichts
Auf deiner offnen Stirne geschrieben."
Dieß war zu viel! — Mit jedem Blick,
Mit jedem Wort' ein feuriger Zwick
In seine schuldbewußte Seele!
Es war zu viel! — Wie grauer Duft
Schwamm's ihm ums Aug'; er schnappte nach Luft,
Ihm schlug das Herz bis an die Kehle;
Und wär' ihm der gute Genius
Der Liebe mit einem Thränenguß
Nicht eilends noch zu Hülfe gekommen,
Es hätt' ein trauriges Ende genommen.
Was ist dir, rief sie: — Gandalin!
Du weinst? Du ächzest? — Gandalin!
Was ist dir? Rede! Woher dieß Zagen?
"O, nichts mehr, Sonnemon! Ich kann,
Du Engel, ich kann dich nicht ertragen,
Nicht diesen Blick, nicht diesen Ton!
O daß ich leben muß, zu sagen,
Es dir zu sagen: Sonnemon,
Du irrst dich: ich bin deiner Liebe
Nicht werth! — und doch — o Gott der Liebe,
Du weißt, wie bis ins dritte Jahr
Jeder auch meiner geheimsten Triebe,
Mein Wachen und Schlaf, ihr heilig war!
Wie alle Reize der schönsten Gestalten
Zurück von diesem Herzen prallten,
Worin sie unverrückt gethront!
Und wie ich bis zum zehnten Mond
Des dritten Jahres ausgehalten.
Armsel'ger Ruhm! was hilfst du mir?
Ein Augenblick hat dich vernichtet!
Und wie? — Du hieltest's für erdichtet,
Wenn jeder Andre, als ich, es dir
Erzählte." —
Und nun begann er treulich
Ihr Alles zu beichten, Stück für Stück,
Wie's mit Je länger je lieber ihm neulich
Ergangen, vom ersten Augenblick
Bis zu der unverhofften Erscheinung
Der gestrigen Nacht.
Mit großer Ruh'
Hört sie ihm bis zum Ende zu,
Und: Soll ich (spricht sie) meine Meinung
Dir sagen? — Du warst nie ungetreu
Und bist es noch nicht, hast mich immer
Geliebt, und Alles ist Feerei,
Was dir mit diesem Frauenzimmer
Begegnet ist.
"Ach, könnt' ich hiervon
Mich überzeugen! ruft der Ritter.
Oft dacht' ich's auch — und täuschte mich
Damit, Zumal, wenn sie zur Cither
So lieblich sang; dann glaubt' ich dich
Zu hören, und, ach! ihr gegenüber
Empfand ich Alles, was ich für dich
Empfinde — quälte mich selbst darüber,
Verbannte, so bald ich von ihr ging,
Ihr Bild aus meinem Herzen — und fing
Gleich wieder Feuer, sowie ich wieder
In ihren Zaubercirkel trat."
Sehr abenteurlich in der That!
(Rief Sonnemon, erröthend und nieder
Die Augen schlagend) Doch sage mir frei,
Wenn ich die kleine Schwärmerei
Nun übersehe, (denn Hexerei
That augenscheinlich das Meiste dabei)
Und wenn ich, zufrieden mit deiner Treu,
Mit diesem Kusse dir verzeih:
Was sagst du? —
"Daß ich zu elend bin,
Das Leben länger zu ertragen!
Du Engel von Güte! was kann ich sagen?
Noch schwebt sie mit zu stark im Sinn,
Die gestrige Nacht — Ach! Ihr zu Füßen
Lag ich, wie jetzt zu deinen hier,
Wünschte die Liebe, die ich ihr
Bekannte, mit meinem Blute zu büßen
Und liebte sie doch! — und fühlte mich
Mit Allmacht zu ihr hingezogen! —
Ach, Sonnemon! ich habe dich,
Und, ach! — mich hat mein Herz betrogen!
Und nun, was bleibt mir übrig, als
Zu sterben?"
Das gute Fräulein konnte
Sich kaum enthalten, ihm an den Hals
Zu fallen, so mächtiglich begonnte
Die Liebe für ihn in ihrer Brust
Zu sprechen; doch hielt sie noch die Lust,
Ihm, was sie fühlte, zu gestehen
Zurück, und: Höre mich, sagte sie;
Die Dame wird dich wiederzusehen
Wünschen —
"O! — (unterbricht er) nie
Soll dieß mit meinem Willen geschehen!"
Es soll! ich will's! (erwiederte sie)
Das Zauberwesen muß vergehen!
Ja, Gandalin, du sollst sie sehen
Und mich dazu! — und wenn alsdann
Dein Herz sich nicht entscheiden kann,
So müßt' ich — nichts davon verstehen.
Mit diesem Worte verließ sie ihn,
Verräthrisch lächelnd, und — war verschwunden,
Eh Gandalin von seinen Knien
Sich zu erheben Kraft gefunden.
Ihr Lächeln, und wie sie sich betrug
Beim ganzen Handel, war Lichts genug:
Allein ihm blieben die Augen gebunden.
Verwirrter als je in seinem Sinn
Kommt er nach Hause — irrt aus einem
Zimmer ins andre — weiß in keinem,
Was er gewollt — steht auf, sitzt hin,
Wird ausgekämmt und angezogen,
Setzt sich zu Tische, ißt und — weißt
So wenig davon, als wäre sein Geist
Zum Mann im Mond' hinaufgeflogen.
Nie ward ihm, seit er Luft gesogen,
Ein Abend so unerträglich lang;
Bald hofft er von der Katastrophe
Alles, bald wird ihm wieder so bang,
Als naht' er seinem Untergang
Mit jeder Secunde. — Wo bleibt die Zofe?
Was säumt sie? fragt er wohl hundert Mal
In einer Stunde (wie wartende Kinder
Am Niklasabend) und schaudert nicht minder,
So oft ein Fußtritt auf dem Saal
Sich hören läßt. — Und wie sie endlich,
Ein Blendlaternchen in der Hand,
Sich einstellt, ward er wie die Wand
So weiß und zitterte so schändlich,
Wie Doctor Faust im Fastnachtsspiel,
Da seine letzte Viertelstunde
Zu Ende läuft, sein schreckliches Ziel
Nun da ist, und zum Höllenschlunde
Ihn unter Blitz und Donnergeroll
Der böse Feind nun holen soll.
"So machen Sie doch! Was soll das Zaudern?
Herr Ritter! ich glaube gar, Sie schaudern?
Ha, ha! nun merk' ich's! Sie wissen's schon? —
Man möcht' uns gern die Volte schlagen.
Die schöne Gräfin Sonnemon —
Sie komme nur! hat nichts zu sagen!
Sie wird an unserm Siegeswagen
Gar stattlich ziehn! — Nur frisch gewagt,
Herr Ritter, und sprecht, ich hab's gesagt:
Sobald mein Fräulein Je länger je lieber
Den Schleier fallen lassen wird,
So ist auf ein Mal der Streit vorüber,
Oder — ich hätte mich sehr geirrt!"
Der Ritter, ohne der Klappermühle
Ein Ohr zu leihn, sieht, wie beim Spiele
Ein Mann, der viel verloren hat
Und nun versucht ist, auf ein Blatt
Sein ganzes Hab' und Gut zu wagen.
Tiefsinnig, in sich hinein gekehrt,
Steht er im Zweifel — plötzlich fährt
Er auf und denkt: Ich will es wagen!
Ein einz'ger Augenblick voll Muth
Macht alles Geschehene wieder gut.
Ja, Sonnemon, ich will dich rächen!
Die Stolze, die dir Hohn zu sprechen
Vermeint — entschleiert soll sie stehn
Und im Moment, wo sie zu siegen
Gewiß ist — sich verworfen sehn!
Ein schnell aufloderndes Vergnügen
Blitzt über seine Wangen hin,
Indem er Muth und festen Sinn
Sich zutraut, diesen Sieg zu siegen.
Er folget nun im großen Trab
Der führenden Iris auf und ab,
Durch unbekannte Winkelgassen,
Die wenig Gutes vermuthen lassen;
Auch half das Blendlaternchen mehr
Zum Dunkelmachen als zum Leuchten.
So ging's nun lange hin und her,
Bis sie ein Hinterpförtchen erreichten.
Die Zofe klopft. Es thut sich auf
Und schließt sich wieder. Der Ritter tappt
Die lange Wendeltreppe hinauf,
Und dumpfe Ahnungen hemmen den Lauf
Von seinem Blut', er hustet, schnappt
Nach Athem und bleibt wohl drei Mal stehen,
Indem sie durch die lange Reih
Von schwach beleuchteten Zimmern gehen.
"Viel Glücks! die Reis' ist nun vorbei,"
Spricht Iris, indem sie ein großes Zimmer
Ihm öffnet und hinter ihm wieder schließt.
Nun denket, da ein Strom von Schimmer
Aus hundert Kerzen entgegen ihm schießt,
Und vor ihm steht das nämliche Zimmer,
Worin sich, nahe bei Paris
Je länger je lieber zuerst ihm wies,
Die Decke mit goldnen Körben, Früchten
Und Blumen just wie dort staffirt,
Und mit den nämlichen Bibelgeschichten
Die Wände ringsum tapeziert,
Und neben einem kleinen Tische
Das nämliche Ruhbett' in der Nische,
Und drauf im nämlichen Ueberzug
Je länger je lieber mit ihrem Schleier;
Nun, bitt' ich, denkt, ob unserm Freier
Das Herz im Busen höher schlug?
Er wurde so überrascht von allen
Den Wunderdingen, so überhäuft,
Daß er, um nicht zu Boden zu fallen,
Kaum einen Lehnstuhl noch ergreift.
Die Dame, nachdem sie ihm, sich zu fassen,
Ein paar Minuten Zeit gelassen,
Dankt ihm im sanftesten Liebeston
Für diesen letzten Beweis von Achtung,
Und daß er aus Liebe zu Sonnemon
Doch wenigstens nicht mit kalter Verachtung
Ein Herz, das ihm zu widerstehn
Nicht Kraft gehabt, bestrafen wollen.
"Ich will nicht klagen — nicht mein Vergehn
Durch Bitten um Mitleid noch erhöhn:
Du hättest in dein Herz zu sehn
Mir eher vielleicht gestatten sollen,
Mir sagen sollen mit guter Art,
Es sey versagt — wer weiß, wir hätten
Uns beide vielleicht viel Schmerz erspart!
Ich hätte mich vielleicht noch retten
Können! — Doch all dieß, Gandalin,
Ist Schicksal; wir konnten ihm nicht entfliehn.
Ich weiche — (sie sagte dieß mit immer
Gerührterer Stimme) ich weiche der Noth
Und täusche mich nicht! Ich seh's, kein Schimmer
Von Hoffnung bleibt mir — als vom Tod.
Du scheinst gerührt? — Dich zu betrüben,
War nicht mein Wille; doch, laß noch dieß
Mich sagen — den Trost, dich ewig zu lieben,
Den süßen Trost, raubt mir gewiß
Kein Schicksal! Und auch der Wahn ist süß:
Laß Sonnemon den Wahn mir gönnen,
Den Traum der schmeichelnden Phantasei,
Du hättest, wäre dein Herz noch frei
Gewesen, vielleicht mich lieben können!"
Hier wird sie so von Empfindung gedrückt,
Daß ihr die Rede im Mund erstickt.
Ich hätte vielleicht dich lieben können?
(Ruft Gandalin ängstlich, als ob sein Herz
Zerspringen wollte vor Lieb' und Schmerz)
O, könnt' ich diese Brust zerreißen
Und in mein Herz dich schauen heißen!
Ob ich dich liebe? Wie ängstigt mich
Dieß grausame Zweifeln! Wohlan, so höre,
Was ich zu deinen Füßen schwöre —
Wiewohl ich nicht begreife, wie
Dieß Alles möglich ist, und wie,
Durch welche allmächtige Sympathie,
Du mich bezaubert hältst — doch, höre,
Was ich bei dieser Hand, die ich
Hier fasse, bei jeder brennenden Zähre,
Die auf sie fällt, gelob' und schwöre:
Ich liebe Sonnemon und dich;
Ihr beide herrscht in meiner Seelen,
Als hätt' ich nur für euch allein
Ein Herz, und zwischen euch zu wählen
Wird ewig mir unmöglich seyn!
O, laßt mich! — Unwerth, Euch zu lieben,
Unwerth, von Euch geliebt zu seyn,
Unfähig, mit getheilten Trieben
Euch glücklich zu machen, zu meiner Pein
Und zu der Eurigen — Euch zu lieben
Verdammt — o, laßt mich, laßt mich fliehn,
Mich fern von Euch in Gram verzehren,
Und möchte der Name Gandalin
Nie wieder Eure Ruhe stören!
So spricht er liegend auf seinen Knien,
Und Thränen, wie glühende Tropfen, stürzen
Auf ihre Hand. — Das Fräulein kann
Nicht länger seine Qual zu kürzen
Sich säumen. — "Du wunderbarer Mann!
Und hättest du vor Sonnemons Ohren
Uns beiden all dieß auch geschworen?"
O! ruft er, wäre sie doch hier!
"Da ist sie! — Siehe sie vor dir!"
Und siehe! Mantel und Schleier wallen
Von ihren Schultern — und — Sonnemon
(O Lieb' um Liebe! o süßer Lohn
Der schwersten Prüfung!) Sonnemon
Läßt sich in seine Arme fallen!
—————

Schach Lolo

oder das göttliche Recht der Gewalthaber.

Eine morgenländische Erzählung. 1778.

Schach Lolo.

Regiert — darin stimmt Alles überein —
Regiert muß einmal nun die liebe Menschheit seyn,
Das ist gewiß! Allein —
Qao Jure? und von wem? In diesen beiden
Problemen sehen wir die Welt sich oft entzwein;
Und schon zur Zeit der blinden Heiden
(Als noch, was Rechtens sey, sich Krantor und Chrysipp
Nach ewigen Gesetzen zu entscheiden
Vermaßen) fand der Sohn des listigen Philipp,
"Man komme kürzer weg, den Knoten zu zerschneiden."
Gewöhnlich fing man damit an,
Was Pyrrhus, Cäsar, Mithridates
Und Muhammed und Gengiskhan
Und Mancher, der nicht gern genannt ist, auch gethan:
"Sich vörderst in Besitz zu setzen."
Das Recht schleppt dann, so gut es kann,
Sich hinter drein: das sind Subtilitates.
Woran (man gönnt es ihnen gern)
Die knasterbärtigen Doctoren sich ergetzen.
Das Jus Divinum, liebe Herrn,
Steht also, wie ihr seht, so feste
Und fester, als der Kaukasus:
"Befiehlt, wer kann, gehorcht, wer muß;"
Ein Jeder spielt mit seinem Reste,
Und — unser Herr Gott thut bei Allem dem das Beste.
"Ja, (sagt ihr) aber daß ein Schach,
Ein Narr, ein Kind, ein Nero, ein Caligel,
Ein Elagabalus die Zügel
Des Schicksals führen soll?" — Und warum nicht? Regiert
Nicht eine Windsbraut oft und rührt
In einen garst'gen Brei die liebe Welt zusammen,
Setzt euch in einem Hui das größte Schloß in Flammen,
Bricht Dämme durch, spült manchen schönen Ort
Mit Jung' und Alten weg, reißt Ufer, Wälder fort?
Und Alles das unleugbar — Jure
Divino, liebe Herrn! Die Sach' ist sonnenklar.
So wird die Welt regiert, und eine ganze Fuhre
Von Syllogismen macht's nicht mehr noch minder wahr.
Jetzt habt ihr Sonnenschein und schöne warme Tage,
Wie ihr gewünscht; doch nur ein paar
Zu viel, so wird der Sonnenschein zur Plage,
Wie jüngst der Regen war, auf dessen Guß ihr nun
Mit Schmerzen harrt. Euch immer recht zu thun,
Ist schwer. Allein die Welt — die dreht in ihrem Kreise
Sich unbekümmert fort, und der, der mitten drin
Unsichtbar thront und einen großen Sinn
Fürs Ganze hat, regiert's nach seiner Weise
Der winzigste Deunculus
Macht's eben so in seinem Spannenkreise,
Nur nicht so gut; behauptet frisch sein Jus
   Divinum über Weib und Kinder,
Haus, Hof und Habe, Schaf' und Rinder
Und gibt nicht Rechenschaft davon, als — wenn er muß.
"Die Red' ist, sprecht ihr, wie es sollte,
Nicht, wie es ist —"
So? — Wie es sollt'? — Ihr also wißt
Es besser? So, so sollt' es — wenn es wollte!
Allein es will nun nicht! — All der Ideenkram
Der Weltenflicker, sagt, was hat er je gebessert?
Verschoben hat er viel! und wessen ist die Scham?
"Es sollte" —Nein, ihr Herrn! Verkleinert und vergrößert
Nur nicht, was ist, in eurer Phantasie,
So ist's just recht; und euch erspart's die Müh,
Dem lieben Gott in seine Kunst zu pfuschen.
Es geht ja manchmal wohl ein wenig conterbunt
Und garstig zu auf diesem Erdenrund,
Das läßt sich freilich nicht vertuschen;
Allein dann geht's just, wie es kann;
Und dafür ist gesorgt, daß doch nichts überwieget,
Daß ungestraft nicht leicht ein Mann
Sein liebes Selbst an Bösethun vergnüget,
Nicht ungestraft ein Schalk — ein Flegel — ist,
Nicht ungestraft ein Schach, nicht ungestraft ein Nero.
Das Maß, womit das Schicksal wieder mißt,
Ist immer billig. — Schwimmt die liebeskranke Hero,
In trüber Nacht, bei oft bewölktem Mond, .
Mit trübem Blick dem schönen Freund entgegen,
Der, durch Begier und Schwierigkeit verwegen,
Den stets gefäll'gen Hellespont
Schon manche heitre Nacht durchschwommen
Und dann an ihrer schönen Brust
Den süßen Lohn der Arbeit eingenommen:
O! so mißgönnt doch nicht die theu'r erkaufte Lust
Den ihrer Pflicht entirrten Seelen!
Sie ließen ja so gerne sich vermählen!
Warum trennt harter Aeltern Groll,
Stolz oder Geiz, was Gott zusammen fügte?
"Allein sie that doch, was kein frommes Mädchen soll!"
Ja, leider! und das Schicksal rügte
Den Fehltritt wahrlich streng genug.
Denn, wie sie so im süßen Hoffnungstrug
Voll Ungeduld des lieben Jünglings harret
In dieser trüben Nacht, und nun auf einmal stürmt
Der Wirbelwind daher, wie Fels auf Fels gethürmt
Stürzt Well' auf Well', und, ach! in jeder stürmt
Der schreckliche Gedank, vor dem ihr Blut erstarret:
"Ha! wenn ihn dieser wilde Sturm
Ergriffen hat!" — und nun (was zu beschreiben
Mein Herz versagt) die Wellen an den Thurm
Vor ihre Füße hin den starren Leichnam treiben —
Sagt, Grausame, ist sie gestraft genug?
"O, denkt ihr, nur zu hart wird ein verstohlner Zug
Aus Amors Lustkelch so gerochen!
Die armen Liebenden! So schwer bestraft zu seyn,
Und ihr Vergehn im Grunde doch so klein!
Was haben sie so Schrecklichs denn verbrochen?"
O, nicht doch! Lästert nicht, indem ihr sie beklagt,
Des Schicksals Billigkeit! Es hat für alles Leiden
Sie ja voraus bezahlt! Sind's etwa kleine Freuden,
Für die ein junger Mann so rasch sein Leben wagt?
Und rechnet ihr für nichts, daß, ihn zu überleben
Verachtend, Hero, treu dem schönen Liebesbund,
Sich zur Gefährtin ihm ins Todtenreich gegeben?
Für nichts, mit ihm zu sterben Mund auf Mund
Und Arm in Arm mit dem geliebten Gatten
Hinab zu gehn ins stille Land der Schatten?
Erkennet denn: das irdische Geschlecht
Murrt ohne Grund; die Götter sind gerecht
Und lassen, wo ihr Plan das Uebel nicht verhütet,
Kein Unrecht unbestraft, kein Leiden unvergütet.
Ein jedes Ding in dieser Unterwelt
Ist niemals, was es scheint —und scheint, nachdem ihr's stellt;
Ist klein von fern, wird großer, wie ihr's näher
Beschaut, und, wie sich's gegen euch verhält,
Bald gut, bald schlimm. Der wahre Seher
Ist, der sich auf den rechten Standpunkt stellt.
Das hält oft schwer! Gesunde Augen
Erfordert's auch; denn (wie ein Weiser spricht)
Wenn diese nichts an einem Manne taugen,
So helfen ihm zehn Sonnen nicht.
Doch über dem Philosophiren
(Das doch, Gott weiß! so wenig nützt) verlieren
Wir unsern Weg. Es war euch ärgerlich,
Daß, wie ihr meint, die guten Götter sich
(Cum venia) so grob prostituiren,
Die Welt, wie oft geschieht, durch — Schache zu regieren.
Der Meinung bin ich nicht. Mir däucht, just umgekehrt
Das Volk stets seines Schachs, der Schach des Volkes werth
Und schwerlich wird ein einzig Beispiel fehlen.
Die Titus und die Marc-Aurelen,
Die waren allenfalls für ihre Zeit zu gut:
Allein ein Claudius, mit seiner feinen Brut
Von Weibern und von Favoriten,
Ein Aureng-Zeb, ein Schach-Riar,
Die wurden just so zugeschnitten,
Wie ihre Zeit sie würdig war.
Der beste Schach ist freilich, wenn wir billig
Im Urtheil sind, nur zu gewiß
Persona miserabilis.
Zuerst so gut, so fromm, so willig,
Es recht zu machen! — Ging es schief,
Nun, so vergriff er sich; er griff zu hoch, zu tief,
Gemeint war's recht. Allein da hebt man Aug' und Hände
Und klatscht und jubilirt, als hätt' ein Gockelhahn
Ein Ei gelegt. Daß nur ein einz'ger Danischmende
Mit guter Art dem Herrchen auf den Zahn
Zu fühlen wagte! — So gewöhnt er sich daran
Und nimmt das Schmeichlerlob am Ende,
Wie Jupiter den Weihrauch, an.
Zum Unglück, wenn er meint, er habe was gethan,
Kommt ein Wessir und stellt das Ding behende
So auf den Kopf, daß just von seinem Plan
Das Gegentheil erfolgt: und er, in seiner Blende,
Er nimmt darüber gar noch Complimente an.
So füllen nach und nach sich ganze dicke Bande
Mit Thaten, die er — nicht gethan;
Und ihm wird weiß gemacht, es stände
In Fama's Namenbuch der seine obenan.
Nun, sagt mir, wenn ein Schach von Weibern und Castraten
Sein Leben lang gegängelt wie ein Kind,
Es müde wird und doch die Kraft nicht in sich find't,
Allein zu gehn, und läßt sich nun — von Jedem rathen,
Weil Alle ihm verdächtig sind;
Wenn er, in seinem ganzen Leben
Vom füßeleckenden verräthrischen Geschmeiß
Raubgier'ger Masken stets belagert und umgeben,
Den Biedermann zuletzt nicht mehr zu finden weiß
Und, fänd' er ihn, den Mann nicht zu ertragen
Vermag; im Weihrauchdampf, worin man ihn erstickt,
Nicht Menschen mehr, Vampyren nur erblickt,
Die an ihm saugen und ihn nagen;
Wenn endlich gar, als läg' ein schweres Interdict
Auf seiner Burg, die Guten sich nicht wagen,
Ihm mehr zu nahn; und nun der arme Schach,
Zum Nero nicht zu weise, nur zu schwach,
Durch Nichtsthun, Furcht, der Wahrheit nachzufragen,
Unschlüssigkeit, Mißtrauen, Wankelmuth
Mehr Böses oft als zehn Tyrannen thut:
Wer hat die Schuld? und wer ist zu beklagen?
Gewiß, dem Schach gebührt noch viel heraus!
Daß manchmal auch dabei ein braver Mann gelitten
Und leiden wird, das bleibt wohl unbestritten.
Doch sorget nicht: Den führt aus jedem Strauß
Sein Genius gewiß heraus;
Und, wer dabei am Schlimmsten fähret,
Ist doch zuletzt der Schach, — wie Lolo's Beispiel lehret.
—————

Schach Lolo, erstgeborner Sohn
Des Firmaments, Oheim von Sonn' und Mon,
Herr im Zodiakus, des großen Bären Vetter,
Gebieter über Wind und Wetter
Et caetera, — regierte, wie man's heißt,
Im großen Scheschian. Kein sonderlicher Geist!
Die reine Wahrheit zu gestehen,
Er überließ das Werk den Göttern und den Feen;
Und wenn's nicht desto besser ging,
War's etwa seine Schuld? — Von seiner Art zu leben
Euch einen Schattenriß zu geben,
Nehmt einen Tag; denn, wie er den beging,
So ging es Tag für Tag in seinem ganzen Leben.
Es war das echte Quasi-Leben
Der Götter Epikurs. — Nachdem er Nachts zuvor,
Allmählich eingelullt von süßen Sängerinnen,
Den letzten Dienst erschlaffter Sinnen
In Strömen süßen Weins verlor;
Und, matt und welk, wie ein zerknicktes Rohr,
Nun zwischen zwei Tschirkassierinnen
Die er, (damit sie doch zu etwas brauchbar sind,
Zu Polster braucht) das alte Wiegenkind
Entschlummert ist und, ohne sich zu regen,
Die Nacht durch weintodt da gelegen:
Entrüttelt ihn, sobald zum Frühgebet
Der Imam ruft, ein Kämmerling dem Schlummer.
Schach Lolo streckt sich, gähnt, bohrt in der Nase, dreht
Die Augen und so fort — kurz, steht ein wenig dummer
Als gestern auf, verrichtet sein Gebet,
Wird abgewaschen, angezogen,
Beräuchert, nimmt sein Frühstück, geht
In seinen Divan — wo, sobald die goldne Thüre
In ihren Angeln knarrt, die Emirn und Wessire
(Als Erdgeschöpfe, die den Glanz der Majestät
Mit bloßen Augen nicht ertragen)
An seines Thrones Fuß die Sklavenstirnen schlagen.
Der Großwessir verrichtet nun sein Amt,
Und Lolo, der indeß mit hohen Augenbrauen
Im Staate sitzt und sich mit Betelkauen
Die Zeit vertreibt, begnadigt und verdammt,
So wie sich's trifft, die Bösen und die Frommen.
Indessen wird's Mittag. Die Kämmerlinge kommen;
Es öffnet sich zum hohen Göttermahl'
Ein augenblendender gewölbter Speisesaal.
Das Mahl (um kurz zu seyn) wird reichlich eingenommen
Und nun passirt mein Schach in einen zweiten Saal,
Noch größer, herrlicher und schimmernder, als jener,
Wo, zum Verdauungswerk bestimmt,
Ein weicher Lehnstuhl ihn in seine Arme nimmt.
Zwei Chöre Nymphen, eine schöner
Als wie die andre, weiß und rund
Von Armen, blau von Aug' und schwarz von Augenwimpern,
Die Cithern in der Hand, stehn schon mit offnem Mund',
Ihn wieder in den Schlaf zu singen und zu klimpern.
Das Mittel wirkt bei vollem Magen stracks.
Schach Lolo schläft zwei Stunden wie ein Dachs;
Wacht endlich wieder auf; gähnt seinen Philomelen
Aus höchster Machtgewalt gerad' ins Angesicht,
Fängt seine Finger an zu zählen
Und hascht nach Fliegen, die ihm nicht
Stand halten wollen: unterdessen
Kommt unvermerkt die Zeit zum Abendessen.
Es öffnet sich ein dritter Saal,
Illuminirt mit Lampen ohne Zahl,
Wo lauter Ambra brennt. Erscheinen abermal
Im Luftgewand von rosenrother Seide
Zwei Reihen Töchterchen der Freude,
Die zum Empfang des Herrn die Kehlen schon gewetzt;
Und unter einem Thron, der, wie aus Sonnenstrahlen
Gewebt, durch seinen Glanz die Augen schier verletzt,
Ein goldner Tisch mit sieben großen Schalen
Von Japans reichstem Thon besetzt,
Wo, schöner als ein Maler sie zu malen
Im Stand' ist, Früchte aller Art
Hoch aufgethürmt Geruch und Aug' ergetzen;
Nur keinem Schach! Jedoch weil seine Gegenwart
Hier Pflicht des Thrones ist, geruht er sich zu setzen,
Nachdem zuvor zwei Nymphchen, schön und zart,
Die Glatze und den Knebelbart
Ihm eingesalbt. Die Scene zu veredeln,
Stehn andre sechs mit großen Fliegenwedeln,
In Rosenöl getaucht; auch glimmt
Aus goldnen Räucherpfannen
Ein ganzer Wald von Adlerholz und Zimmt
Und treibt das Mückenvolk von dannen.
Indessen nun die Chöre wechselsweis
Des großen Lolo Ruhm und Preis
Mit Sang und Klang den Wänden vorerzählen,
Läßt sich mein Schach (der wohl von allen Menschenseelen
Am wenigsten von seinen Thaten weiß)
Laut gähnend einen Apfel schälen
Und wartet in Geduld, bis endlich abermal
Die Stunde schlägt, die in den vierten Saal
Ihn rufen wird. Sie schlägt, und —laßt euch's nicht verdrießen!
Es öffnet sich der liebe vierte Saal,
Wohin wir ihm schon werden folgen müssen.
Daß Alles drin entsetzlich glänzt und gleißt,
Und wieder Räucherpfannen brennen,
Und, wie sich hinter ihm die goldne Pforte schleußt,
Ein neues Nymphenchor ihm stracks die Zähne weist,
Ist, was wir leicht vermuthen können.
Ein neuer Polsterthron, ein neuer Tisch, besetzt
Mit Allem, was den Gaum zum Trinken wetzt,
Und dann, die Kehle wohl zu baden,
Ein Schenktisch, reich von zwanzig Sorten Wein,
Stehn links und rechts in vollem Glanz' und laden
Den Schach zum letzten Act des Monodrama's ein.
Sechs Nymphen, schlank wie Oreaden,
Bedienen ihn dabei, indeß ein andres Chor
Von Grazien in dünnem Silberflor,
Damit der gute Mann am Schenktisch nicht erkaltet,
Der Reize schlauste Kunst im leichten Tanz' entfaltet:
Bis endlich gegen Mitternacht
Das königliche Vieh, berauscht an allen Sinnen,
Nach altem Brauch, die zwei Tschirkassierinnen,
Die nun das Unglück trifft, — zu seinen Polstern macht.
Bei solcher Lebensart, was Wunder,
Wenn ihn zuletzt, wie die Geschichte sagt,
Vom Haupt zu Fuß Aegyptens Aussatz plagt!
Wohl freilich ist an Seel' und Leib gesunder
Der Mann, dem Arbeit Zeitvertreib,
Und Nothdurft Wollust ist; der, wenn er spät vom Acker
Zur Hütte kehrt, zwar müde, doch noch wacker,
An rauhem Brod und seinem braunen Weib
Sich auf des Morgens Arbeit labet!
Was hilft es nun dem Schach, der unter einem Thron
Von goldnem Stoffe, wie Sanct Job sich schabet,
Was hilft ihm, daß er Sonn' und Mon
Zu Neffen hat, staubleckende Wessire
Zu Sklaven, Weiber von Kaschmire
Zum Unterpfühl?
Was hilft ihm Sang und Saitenspiel
Und all der. Kitzel stumpfer Sinnen
Und all sein Nymphenheer und seine Tänzerinnen?
Umsonst ist seiner Aerzte Müh,
Sein schwarzes Blut durch Sauren zu verdünnen.
Zwei Jahre schon erschöpften sie
Treufleißigst ihr Gehirn und alle ihre Büchsen;
Versuchten's, da nichts Lindrung schafft,
Erst mit elektrischer, dann mit magnetscher Kraft,
Dann mit der frischen Luft und endlich mit der fixen,
Ja, aus Verzweiflung gar zuletzt mit Schierlingssaft,
Vergebens sieht man sie durch Berg' und Wiesen trotten
Nach Kräutern, die Galen und Celsus nicht gekannt:
Die Kachexie des Schachs scheint ihrer nur zu spotten,
Und täglich nimmt das Uebel überhand.
Von ungefähr (wie meistens alles Gute)
Kam, da es just am schlimmsten stand,
Ein Fremdling an aus einem fernen Land';
Ein Mann, dem Ansehn nach von stillem ernsten Muthe,
Und der (das sieht der Wirth ihm flugs am Nasloch an)
Ein wenig mehr als fünfe zählen kann.
Zufällig hört der Fremde von dem Jammer
Des armen Herrn. Er sagt dazu kein Wort.
Nach einer Weile geht er fort
In seine Kammer.
Was er darin gemacht, ist unbekannt;
Er schob den Riegel vor und ließ den Vorhang nieder.
Genug, er kam mit etwas in der Hand,
Das einem Schlägel glich, in einer Stunde wieder.
Laß mich zum Sultan führen, Freund!
Spricht er zum Wirth. —"Das ist so leicht nicht, als es scheint;
Ihr werdet schwerlich angenommen —"
Sag' ihm, es sey ein fremder Arzt gekommen,
Der, wenn er ihn in kurzer Zeit
Von seinem Aussatz nicht befreit,
Den Kopf bereit ist zu verlieren.
Wie Lolo diese Botschaft hört,
Denkt er: Es ist der Probe werth,
Der Mensch hat doch dabei nicht wenig zu verlieren;
Und er befiehlt, ihn vorzuführen.
Der Fremde kommt — ein feiner langer Mann
Mit schwarzem Bart' und einer Art von Nase,
Die Lolo just am besten leiden kann.
"Herr, spricht der fremde Mann, ich blase
Nicht gern mich selber aus: genug, die Facultät
Hat deiner Heilung sich verziehen.
Ich heile nicht mit Pillen, Kräuterbrühen,
Noch Rindermehl! allein, wenn deine Majestät
Sich mir vertrauen will, soll binnen sieben Tagen
Dein ganzer Leib so frisch und rein
Wie eine Maienrose seyn:
Wo nicht, so werde mir der Schädel abgeschlagen!"
Mein Schach antwortet ihm und spricht:
Daß du mit deinem eignen Leben
Assecuriren sollst, was Andre aufgegeben,
Das wollen Wir, beim Allah! nicht.
Doch leiste, was du mir zu hoffen
Befiehlst, und sey der Zweit' in meinem Reich!
Mit Lolo's Herzen steh zugleich
Sein Hof, sein Schatz, sein Harem selbst dir offen!
Verdoppelt gleich mein Dank den höchsten Flug,
Den deine Wünsche sich erlauben:
Noch werd' ich immer nicht genug
Für dich gethan zu haben glauben!
"Herr, spricht der Arzt, an deiner Dankbarkeit
Zu zweifeln, wär' ein Majestätsverbrechen:
Allein davon ist's immer Zeit,
Wenn du genesen bist, zu sprechen.
Das Mittel dieser Wundercur
Wird, wie gesagt, nicht innerlich genommen;
Es geht von außen her und durch die Poren nur
Ins Blut; doch muß es selbst vorher in Schwingung kommen.
Groß sind die Wunder der Natur!
Dieß, ich gesteh' es, ist ganz außerhalb der Regel;
Mit einem Wort: es steckt in diesem Schlägel."
In diesem Schlägel? ruft der Schach von Scheschian,
Und vor Erstaunen bleibt der Mund ihm offen stehen.
"In diesem Schlägel, Herr! Du wirst die Wirkung sehen.
Natürlich ist ein Talisman
Dabei im Spiel — genug, in sieben Tagen!
Und daß wir keine Zeit verlieren, führe man
Des Sultans Leibpferd her, um nach der Maillebahn
Stracks Seine Hoheit hinzutragen."
Gesagt, gethan!
Schach Lolo langt an Ort und Stelle an,
Und mit dem Schlägel, den ihm Duban nachgetragen,
(So nennt der Fremde sich) muß er in stetem Jagen
Den schweren Ball so lange schlagen,
Bis ihm der Schweiß aus allen Poren bricht.
"Der Talisman hat seine Pflicht
Für heut gethan, spricht Duban: unverzüglich
Ins Bad nunmehr! und, seyd ihr da genüßlich
Gewaschen und frottirt, dann flugs ins Bett und deckt
Euch doppelt zu und schlaft, bis Euch der Imam weckt."
Den nächsten Tag wird's eben so getrieben.
Der Schlägel dünkt den Schach schon minder schwer,
Und lustiger das Spiel, als Tags vorher;
Er schlägt den Ball mit immer kräft'gern Hieben,
Schwitzt wieder, geht ins Bad, wird tüchtig abgerieben,
und schläft die Nacht durch wie ein Bär.
Mit jedem Tage wächst sein Glauben und Belieben
An Dubans Talisman; und wie die heil'ge Sieben
Vollendet ist, fühlt er am achten früh,
Nach Dubans Worte, sich so munter, wie
Er kaum in seinen ersten Hosen
Gewesen war — so blühend und so frisch,
Als hätten für Cytherens Bett und Tisch
Die Grazien mit lauter jungen Rosen
Ihn aufgefüttert — rein wie Lilien auf der Flur,
Stark wie der Behemoth, gerade wie ein Kegel,
Von Aussatz nirgends eine Spur!
Mit einem Wort — der Mailleschlägel
Hat große Ehre von der Cur.
Doch diese (wie's in solchen Fällen
Zu gehen pflegt) kommt lediglich
Auf Dubans Rechnung. Schach, vor Freuden außer sich,
Herzt, küßt und drückt den Mann, daß ihm die Ohren gellen,
Weiß nicht, woher er Worte nehmen soll,
Und gibt just nichts, weil er, des Danks zu voll,
Gleich Alles geben möcht'. Indessen,
Wenn Duban Ehre geizt, so kann er dießmal sich
Bis zur Genüge dran erletzen.
Er muß, da Lolo feierlich
Den ganzen Hof tractirt, sich ihm zur Seite setzen;
Ihm wird ein Kaftan umgethan
Von purem Gold- und Silberlahn,
Und nah' an Lolo's eignem Zimmer
Eins eingeräumt, das kaum vor Schönheit und vor Schimmer
Bewohnbar ist. Er hat sogar ins Schlafgemach
Den Zutritt, kommt dem holden Schach
Den ganzen Tag nicht von der Seiten,
Muß in den Divan ihn begleiten,
Muß mit ihm jagen, mit ihm reiten,
Wohin es geht, muß Duban mit;
Kurz, Duban ist der Favorit;
Und Ohr in Ohr wird stark davon geflüstert,
Der Großwessir sey seinem Falle nah.
Daß Dubans Gunst ihn wenigstens verdüstert,
War, was bei Hofe selbst der Hundewärter sah.
Der Großwessir, der in der Kabbala
Sehr viel gethan, war nicht der Letzte, der es sah.
Das ist, der sich an Dubans Stelle setzte,
Und dessen Sinnesart nach seiner eignen schätzte.
Denn Duban freilich war zu ehrlich und zu klug
Zu solcher Politik, und, höher aufzufliegen,
Als ihn just jetzt die Luft und seine Schnellkraft trug,
War ihm noch nie zu Kopf gestiegen.
Doch Rukh, der Großwessir, ein Mann,
Der seinen Posten scharf bewachte,
Genaue Rechnung hielt, fein Facit täglich machte
Und, was ein Anderer gewann,
Sich als Verlust in Ausgab brachte,
Ein solcher Mann ist nicht pro forma Großwessir.
Natürlich gab es ihm kein sonderlich Vergnügen,
Daß Duban so im Sturm des Sultans Gunst erstiegen;
Und also bat er sich durch die geheime Thür
Gehör bei Lolo aus. In allen seinen Zügen
War Unruh, gleich als graute ihm vor dem,
Was ihm die Pflicht nicht zuließ zu verhehlen.
Herr, spricht er, bei erhabnen Seelen
Muß mit der Güte stets die Weisheit sich vermählen.
Das alte Sprichwort: Trau, schau, wem,
Läßt Königen sich nicht genug empfehlen.
Wer hätte je so weit im Argwohn ausgeschweift,
Daß dieser fremde Unbekannte,
Den deine Majestät mit Gnaden überhäuft,
Und der, dem Anschein nach, von heißerm Eifer brannte,
Als Alle, deren Treu der längste Dienst bewährt,
Wer hätte den Verdacht genährt,
Daß dieser Mann, den du so hoch geehrt,
Ihm dein Vertraun, dein ganzes Herz gegeben,
Mit dem du offner als mit einem Bruder bist,
Ein schändlicher Verräther ist,
(Mit Schaudern sag' ich's) bloß nach deinem theuren Leben
Zu trachten und in dir nach unser Aller Leben,
An deinen Hof gekommen ist?
Wie? (spricht der Schach) Wessir! du wagst es, so zu lästern
Den Mann, den Lolo liebt? Verwegner, traust du mir
Die Schwachheit zu, zu glauben, was ich dir
Und einer ganzen Welt nie glauben werde?
"Lästern?
Versetzt ganz ruhig der Wessir:
Kennt deine Majestät mich etwan erst seit gestern?"
O! kennen? —ruft der Schach: da fehlt's nicht! Haben Zeit
Dazu gehabt! — Cabale, Mißgunst, Neid!
Es wäre viel davon zu sprechen —
Daß ich ihn liebe, ist sein einziges Verbrechen!
Allein ihr irit euch stark. Gleich diesen Augenblick
Will ich ihn dreimal höher heben,
Ihm viermal mehr Geschenke geben,
Und wenn ihr Alle die Kolik
Davon bekämet! Das, das eben,
Daß ihr ihn haßt, das macht bei mir sein Glück.
"Herr, wenn du willst, wer darf dir widerstreben?
Erwiedert Rukh: du hast zu thun, was recht
Dir däucht. Verkenn' in deinem alten Knecht
Den treuen Freund — ich muß mich drein ergeben.
Doch hier ist die Gefahr nicht mein!
Hier muß ich meine Stimm' erheben,
Herr, oder ein Verräther seyn!
Ein bloßes Schwert hängt über deinem Leben;
An einem Haare schwebt's — und schweben
Sollt' ich es sehn und schweigen? Nein!
Hier ist mein Haupt, ich leg's zu deinen Füßen:
Laß, wenn's Verbrechen ist, dir zu getreu zu seyn,
Laß mich's mit meinem Leben büßen;
Nur leide daß der letzte Hauch,
Der mir entflieht, dich warne vor der Schlange,
Die du im Busen wärmst!"
Dem Heuchler glüht die Wange,
Indem er's spricht. Der Schach, nach seinem Brauch,
Wenn etwas ihn bestürzt, schlägt sich mit beiden Händen
Vor seinen königlichen Bauch.
Wie? spricht er, sollte mich mein böser Geist verblenden?
Und Duban sollte fähig seyn —
Mein Freund? mein Retter? nach dem Leben
Mir stellen? — Guter Rukh, dein Eifer täuscht dich! Nein!
Ich glaub' es nimmermehr! Ihm hab' ich ja dieß Leben
Zu danken — wem, als ihm allein?
Wenn er mir's rauben will, wozu mir's wieder geben?
Er konnte, wenn er nur an meinem Uebel mich
Verderben ließ, sich einen Mord ersparen!
Wessir, du bist mir treu, ich weiß es, bist erfahren
Und kennst die Welt; doch dießmal sicherlich
Betrügst du dich!
"O Herr, erwiedert Rukh, wie sollte mich's nicht schmerzen,
Mit diesem königlichen Herzen,
So argwohnlos, so gut! — betrogen dich zu sehn?
O! eben dieß verdoppelt das Vergehn
Des Mannes, der, so nah' an deinem Herzen,
Des schwarzen Anschlags fähig ist!
Der durch den Anschein, sich verdient gemacht zu haben,
Erst dein Vertrauen stiehlt, mit Gaben
Sich überschütten läßt, um, wenn du, keiner List
Gewärtig, bei verschloss'nen Thüren
Einst unbeschützt in seinen Händen bist,
Um so viel sicherer den Mörderstoß zu führen!"
Bei diesen Worten fährt dem Schach
Ein kalter Schauder übern Rücken;
Er sieht den falschen Freund mit Dolchen in den Blicken
Sich schleichen in sein Schlafgemach
Und fühlt den Stahl schon zwischen seinen Rippen.
Was ist zu thun, ruft er mit blassen Lippen,
Was räthst du mir?
Zwar, glauben kann ich's nicht —und doch besorg' ich schier —
Wer kann ins Herz des Menschen schauen?
Dem Besten, wie du sagst, ist nicht zu viel zu trauen.
Ein Mensch kann sich verstellen, das ist klar,
Und Duban — ist ein Mensch! — Ich denke,
Das Beste ist, wir machen ihm Geschenke
Und schicken ihn zurück nach seinem Kandahar?
"Zurück ihn schicken, und Geschenke
Noch oben drein? — Nein, Herr! (erwiedert Rukh,
Der, wie er seinen Schach bereit sieht nachzugeben,
Nur einen einz'gen frischen Druck
Noch röthig hat) — Herr! läge nicht dein Leben
Hier auf dem Spiel, so sagt' ich nichts dazu.
Doch, deine Sicherheit und deiner Völker Ruh
Zu wagen, bloß um einen Mann zu schonen,
Der, wie ich sicher weiß, dir nach dem Leben steht,
Und ihn dafür noch zu belohnen,
Daß ihm sein Streich mißlang — das geht
Zu weit! Ein Uebermaß von Güte
Wird Schwachheit, Herr! — Auch ich bin zum Verzeihn
Geneigt; doch dieses Mal müßt's ein Verräther seyn,
Der deiner Hoheit nicht zum Weg der Strenge riethe."
Was meinst du denn, versetzt der theure Schach,
Was ist zu thun?
"Den Kopf ihm vor die Füße legen!"
In diesem Stück, spricht Lolo, bin ich schwach,
Ich sag' es frei: es sträubt sich was dagegen
In meinem Herzen —
"Wie? hat er nicht siebenfach
Den Tod verdient? Wenn's auch nur Argwohn wäre;
In solchen Fällen hat ein Sandkorn Centnerschwere.
Ist etwa deine Sicherheit
Nicht werth, mit eines Sklaven Leben
Erkauft zu seyn? Es ist die höchste Zeit;
Die Stunde Frist, die wir ihm geben,
Kann deine letzte Stunde seyn!"
Wessir, ich gebe mich,
Ruft der erschreckte Schach: du siehst in solchen Dingen
Gewöhnlich richtiger, als ich.
Befiehl, ihn stracks herbei zu bringen!
Mein Duban kommt mit ruhigem Gesicht,
Bückt nach Gebrauch sich an des Thrones Stufen
Und steht erwartend da.
Kannst du errathen, spricht
Der Schach zu ihm, warum Wir dich berufen?
"Nein, Herr, das kann ich nicht."
So will ich dir's in wenig Worten sagen:
Es ist — den Kopf dir abzuschlagen.
"Den Kopf mir abzuschlagen, Herr?
Wie? bist du nicht geheilt? Was hätt' ich denn verbrochen?
Du scherzest, wie ich seh."
Verkappter Lucifer,
Das hilft dir nichts! Dein Urtheil ist gesprochen!
Wir kennen nun den Schalk, der dir im Busen steckt.
Verräther! Alles ist entdeckt!
Daß meine Feinde dich bestochen,
Daß du ein Bube bist — der bloß
Mein Arzt und trauter Freund geworden,
Um auf der Freundschaft sicherm Schoß
Mich desto sichrer zu ermorden!
Trug war auf deinem Mund', in deinem Herzen Mord!
Drum nieder auf die Knie, und nichts von leeren, kahlen
Entschuldigungen! Fort!
Dein Kopf soll mir dafür bezahlen!
Bind't ihm die Augen zu, und nicht ein einzig's Wort!
Der gute Duban steht als wie vom Blitz getroffen.
Er sieht, daß ihm der Neid dieß Wetter angeschürt.
Doch wie entfliehn? Wo ist ein Ausweg offen?
Die Unschuld eben ist's, was ihm den Kopf verliert.
Den Schach kennt er zu gut, um viel von ihm zu hoffen.
Zum Unglück hat er den nur äußerlich curirt;
Dem innern unheilbaren Schaden,
Dem hilft kein Schwitzen und kein Baden!
Das Einz'ge, was ihm bleibt ist, auf Gerathewohl
Des Sultans Menschlichkeit durch Flehen zu erregen.
Er thut's nach äußerstem Vermögen;
Allein das Herz, an das er schlägt, ist hohl,
Schach Lolo ist nicht zu bewegen.
Jetzt soll man sehn, ob ich so wankelmüthig bin,
Als wie die Leute immer sagen,
Denkt Lolo bei sich selbst; fast könnt' ich ihn beklagen —
Allein ich halte fest. — Fort! (ruft er) kniee hin,
Du flehst umsonst!
"Nun, bist du so entschlossen,
So werde denn unschuldig Blut vergossen!
Nur eine Bitte, Herr, wollst, eh' ich sterben muß,
Aus Königsmilde mir gewähren!
Gib eine Stunde nur mir Aufschub, heimzukehren,
Den Meinigen den letzten Abschiedskuß
Zu geben und, was ich verlassen muß,
Das Wenige, noch unter sie zu theilen.
Es wird nicht lange mich verweilen.
Das Meiste sind, ich muß gestehn,
Nur Bücher; aber, die in guter Hand zu sehn,
Liegt mir nicht wenig
Am Herzen — Eins voraus, das man mit Recht den König
Der Bücher nennt und werth, daß Niemand als ein König
Sein Erbe sey." — Was ist denn dran
So Sonderlichs? fragt Lolo. — "Großer Khan,
Es ist der Nachlaß eines Weisen,
Der über hundert Jahre dran
Gesammelt hat, die Frucht von großen Reisen
Und tiefem Forschen der Natur.
Das ganze Buch hat zwanzig Blätter nur;
Allein auf jedem Blatt den Schlüssel
Zu einem Wunderding. Zum Beispiel: im Moment,
Worin das Schwert mein Haupt vom Rumpfe trennt,
Werd' es in eine goldne Schüssel,
Die auf dieß Wunderbuch gestellt wird, aufgefaßt;
So wirst du, Herr, ein Wunder sehen,
Wie du noch keins gesehen hast.
Mein Blut wird plötzlich still in jeder Ader stehen,
Und in der Schüssel wird im gleichen Augenblick
Mein Kopf sich von sich selbst erheben
Und dir auf jedes Fragestück
Laut und vernehmlich Antwort geben,
Das du, mein gnad'ger Herr und Fürst,
Ihm aus dem achten Blatt des Buches vorzulegen
Fürstmildiglich geruhen wirst."
Das wäre! ruft der Schach. Nun, dieses Wunders wegen
Sey denn noch eine Stunde Frist
In Gnaden dir geschenkt! Die Wache soll zur Seiten
Ihm gehn und ihn zurückbegleiten;
Und daß er ja das Buch mir nicht vergißt!
Mein Duban betet an zur Erde
Und wird hinweg geführt. Und überall
Bei Hof und in der Stadt erschallt des Günstlings Fall,
Und daß bei seinem Tod sich was ereignen werde,
Was noch kein Mensch gesehn. Der große Divanssaal
Wallt wie ein See von Menschen ohne Zahl,
Die alle vor Begierde brennen,
Das große Wunder auch zu sehn;
Man hätte durch den Saal, so dichte wie sie stehn,
Auf lauter Köpfen gehen können.
(Um — nichts zu sehn,
Läßt sich kein besser Mittel denken)
Auch ist kein Herz, das nicht von Mitleid überfließt
Mit Dubans Fall und doch in großen Aengsten ist,
Der Schach möcht' ihm das Leben schenken.
Der Seiger schlägt. Mein Duban, wohl bewacht,
Wird mit dem Schlag' herbei gebracht.
Die Wache macht ihm Platz. Die goldne Flügelthüre
Fährt auf; das ganze Vorgemach
Ergießt sich in den Saal; dann Emirn und Wessire,
Und dann ein Zwischenraum, und dann zuletzt der Schach,
Von Rukh, der diese Lust bereitet,
Und von dem Oberhaupt der Hämmlinge begleitet.
Der Schach besteigt den Thron, und Duban, züchtiglich,
Doch ohne Furcht, tritt zwischen vier Trabanten,
Mit einem mächt'gen Folianten
Im Arme, hin zum Thron, bückt bis zur Erde sich,
Legt dann das Buch am Fuß des Thrones nieder
Und wiederholt, was er dem Schach davon
Bereits gesagt. Drauf wird zu Werk geschritten.
Ein scharlachrothes Tuch deckt mitten
Im Saal des Bodens goldne Pracht,
Der Kreis um Duban her wird räumiger gemacht,
Der Henker zückt das Werkzeug kalter Schrecken,
Und seitwärts steht ein Sklave mit dem Becken.
Der Duban war im Grund' ein guter Tropf,
Und, minder um sich selbst den Kopf
Zu sparen, als dem Schach die Qual zu später Reue,
Kniet er noch einmal hin und schwört ihm seine Treue
Und Unschuld, bittet, fleht sogar
Mit heißen Thränen. — Alles war
Umsonst! — "Dein Kopf, mein Freund, muß fliegen!
Und wär' es auch nur ums Vergnügen,
Zu hören, was er sagen kann,
Wenn er herunter ist." — Nun gut, so sey es dann!
Spricht Duban, löst gelassen seinen Kragen
Vom Halse, schließt die Augen als ein Mann,
Und — ritsch! ist ihm das Haupt herab geschlagen.
Das goldne Becken faßt, auf Dubans Buch gestellt,
Den Kopf, sowie er blutend fällt,
Im Fallen auf. Stracks hört er auf zu bluten,
Der Rumpf bleibt stehn, als wär' ihm nichts gethan,
Und, gegen aller Welt Vermuthen,
Hebt sich der Kopf und fängt zu reden an:
"Nun, Herr der Welt, wenn du's mit einer Frage
Versuchen willst und hören, was darauf
Ein Kopf zu sagen hat; so schlage
Das achte Blatt des Wunderbuches auf;
Auf dessen linker Seite stehn
Drei Fragen oder vier in großen goldnen Lettern."
Schach Lolo spricht: Wir wollen sehn!
Man reicht das Buch ihm hin, und er beginnt zu blättern.
"Setzt, ruft der Kopf, wenn ihr so gut seyn wollt,
Mich, während daß er sucht, auf meinen Rumpf und bindet
Den Faden von gedrehtem Gold,
Den ihr in meiner Tasche findet,
Mir um den Hals." —
Der Sultan, um zu sehn,
Was noch draus werden soll, läßt Alles gern geschehn
Und blättert, während man den goldnen Faden bindet,
Auf seinen Thron zurück gelehnt,
In Dubans Buch. Nun hatte Lolo, neben
Mehr Unmanieren, auch sich diese angewöhnt,
Daß er, so oft ein Blatt in einem Buch zu heben
Und umzuwenden war, bei jedem einzeln Blatt
Den Finger erst an seiner Zunge netzte,
Bevor er ans Parier ihn setzte.
Da nun die Blätter etwas glatt
Und klebrig waren, schien's hier um so mehr vonnöthen.
So schlägt er nach und nach, den Finger stets am Mund,
Bis auf das achte um, beguckt es ernstlich rund
Herum und ist gar mächtiglich betreten,
Zu sehen, daß darauf nicht eine Sylbe stund.
Da ist ja nichts! — "Nur ein paar Blätter weiter
Ruft Dubans Kopf, der nun ganz frei und heiter
Auf seinem Rumpfe stand: ich habe mich am Blatt
Geirret, scheint's."
Schach Lolo blättert weiter;
Doch, eh' er drei noch umgeschlagen hat,
Ist schon das Gift, das er von jedem Blatt
Mit feuchtem Finger seiner Zungen
Unwissend mitgetheilt, ihm bis ins Herz gedrungen.
Ein wilder Schmerz fährt zuckend wie ein Blitz
Durch sein Gebein, ihm schwindelt's im Gehirne,
Und dunkel wird's um seine kalte Stirne.
Er stürzt herab vom goldnen Sitz'
Und liegt in Zuckungen und ringet mit dem Tode.
Wohlan, (ruft Dubans Kopf, der nun in seinen Rumpf
Sich wieder eingesenkt) du nickende Pagode!
Am Herzen kalt, an Sinnen stumpf,
Hab's an dir selbst! Ich bin an deinem Tode
Unschuldiger, als du. — Doch spotten deines Falls
Kann Duban nicht. — Als ich um meinen Hals
Zum letzten Male dir mit heißen Thränen flehte,
War's Menschlichkeit, was mich dazu betrog:
Dein böser Dämon überwog;
Nun kommt die Reu' — und die Moral zu späte.
Bei diesem Wort' entfuhr dem armen Schach
Der letzte Hauch; betäubt von Schrecken, rannen
Die Emirn aus dem Saal, das Volk den Emirn nach,
und Duban ging — mit seinem Kopf von dannen.
—————

Anmerkungen.

Komische Erzählungen.

Diana und Endymion.

S. 3. Die Veranlassung zu dieser Erzählung gab dem Dichter Lucians eilftes Göttergespräch, wo aber nicht von Diana die Rede ist, sondern von Selene, Luna. Artemis oder Diana und ihr Bruder Apollon sind an sich von Selene, der Mondgöttin, und Helios, dem Sonnengotte, verschieden; in dem späteren Göttersystem aber treten jene an die Stelle von diesen, und so ging von vielen alten Sagen die ursprünglich zum Grunde gelegene Idee verloren. So lag wohl ursprünglich der Sage von der Liebe Selenen's zu Endymion eine astronomische Idee zum Grunde: wenigstens läßt die Behauptung, daß Selene dem Endymion 50 Söhne geboren habe, auf eine Berechnung des Mondenjahres schließen. Ursprünglich lag daher in dieser Sage kein innerer Widerspruch. Als man aber die Bedeutung nicht mehr kannte, und nur die Thatsache noch übrig war, ja zum Ueberfluß Artemis, die keuscheste und sprödeste aller Göttinnen des Olymp, der Selene untergeschoben wurde, da war auch der innere Widerspruch da. Lucian, der sonst dergleichen gern aufdeckt, konnte doch hier diese Absicht nicht haben; Wieland aber hat sie offenbar, faßt daher die Begebenheit von der komischen Seite auf, benutzt die Umstände, die dazu dienen, und motivirt durchaus in diesem Sinne.S. 5. Z. 15. Mutter Isis — Hier offenbar statt der Natur, wozu sie von späteren Philosophen umgedeutet wurde.S. 5. Z. 18. Latmos — Ein Berg in dem kleinasiatischen Lande Karien, wohin Lucian die Scene verlegtS. 5. Z. 19. Ganymedes — Dieser Sohn des troischen Königs Tros war nach Homer
— — Der schönste der sterblichen Erdebewohner: Ihn auch rafften die Götter empor, Zeus Becher zu füllen, Wegen der schönen Gestalt, den Unsterblichen zugesellet.
S. 5. Z. 18. Narciß — s. die Anm. zu Don Sylvio, 2. Bd. S. 7. Z. 4. Leda — Die Gemahlin des Königs Tyndareos zu Sparta, wurde von Zeus, der sich dießmal in einen Schwan verwandelt hatte, überlistet und darauf von zwei Eiern entbunden, aus deren einem die schöne Helena hervorkam.S. 7. Z. 11. Paris — s. die gleich nachfolgende Erzählung.S. 9. Z. 24. Akton — statt Aktäon, welcher arkadische Jäger das Unglück hatte, Dianen im Bade zu erblicken, oder die Neugier, sie darin zu belauschen, wofür er von der Göttin in einen Hirsch verwandelt und von seinen eigenen Hunden zerrissen wurde. — Akton nennt ihn Wieland und läßt ihn in einen Hasen verwandelt werden, zufolge einer Anspielung auf eine Stelle in Fieldings Tom Jones.S. 10. Z. 1. Hyacinth — War ein Liebling Apollons. Als er bei einem Spiele von der Wurfscheibe erschlagen wurde, verewigte der Gott sein Andenken dadurch, daß er ihn in die Blume verwandelte, welche seinen Namen trägt (jedoch nicht unsre Hyacinthe ist). S. Ovids Metamorph. 10, 210.S. 10. Z. 12. Kallisto — Die Tochter Lykaons, eine Nymphe der Artemis, unterlag der Leidenschaft des Zeus, der die Gestalt der Artemis selbst angenommen hatte. Die erzürnte Göttin verwandelte ihre unkeusche Nymphe in eine Bärin, welche Zeus nachher als Sternbild an den Himmel versetzte. So erklärte man den Namen des Sternbildes, welches noch jetzt der große Bär heißt.S. 10. Z. 27. Der Gott zu Delphi — Apollon, Bruder der Artemis, berühmt durch seine Weissagungen und Orakel im Tempel zu Delphi.S. 11. Z. 7. Cypripor — Der knabe von Cyprus (Cypri puer) Amor, weil Cyprus ein Hauptsitz seiner Mutter Venus war.S. 12. Z. 8. Latonens Kinder — Apollon und Artemis, beide mit Köcher, Pfeil und Bogen gerüstet, was man auf die Sonnen- und Mondsstrahlen deutete.S. 12. Z. 15. Paphos — eine Stadt auf der Insel Cypern, wo Venus besonders verehrt wurde.S. 15. Z. 8. Adon — Adonis, mit dessen Namen man noch die schönsten Jünglinge bezeichnet, war ein Geliebter der Venus, dem seine leidenschaftliche Jagdliebe den Tod brachte, welchen Moschos in seinem ersten Idyll beklagt. Was er der Venus war, das war Rinaldo der Zauberin Armida. S. Tasso's befreites Jerusalem.S. 18. Z. 16. Venus im Netz' ertappt — S. den achten Gesang von Homers Odyssee oder das 17. Göttergespräch bei Lucian.S. 19. Z. 8. Momus — Ein zwar sehr alter Gott (Hesiod. Theog. 214), der aber nie göttlich verehrt ward. Er kommt hauptsächlich bei Lucian vor, wo er die Götterversammlungen durch Ironie, Laune und Spott, im Scherz und Ernst, gewöhnlich eines Besseren belehrt. Man hat ihn daher für den Gott des Spottes und Tadels genommen.S. 19. Z. 28. Loyalist — d. i. ein Jesuit, nach dem Stifter des Ordens Ignaz Loyola. Die Jesuiten waren sehr stark in der Casuistik, und deßhalb läßt Wieland hier einen einfallen.S. 20. Z. 7. Pater Escobar — S. die Anmerk. zu Don Sylvio, Band 1.S. 20. Z. 12. Cynthia — ein Beiname der Diana.S. 21. Z. 18. St. Franzens fette Seraphinen — Die Franziscaner, deren Materialität bei allem Streben nach Heiligkeit Wieland hier andeuten will.S. 22. Z. 1. Jupiter — Ueberlistete die Leda als Schwan, die Europa als Stier, Alkmenen in der Gestalt ihres Gemahls. Wie Vulcan sein Weibchen im Garn fing, davon s. oben.S. 22, Z. 16. Rhodope — Ein Berg in Thracien, berühmt durch die Bacchusfeier. — Mänas, Bacchantin. Frauen im Gefolge des Bacchus geberdeten sich ganz als der Begeisterung dieser Gottes voll, und die bildende Kunst der Griechen hat ihre Begeisterung durch die sprechendsten Attitüden verewigt.S. 23. Z. 16. Was Platons Penia — Nach einer der Aussagen in Platons Gastmahl verdankt der Gott der Liebe sein Daseyn einem Zusammentreffen des Gottes des Reichthums (Plutos) mit der Göttin der Armuth (Penia). Daher, heißt es, ist in der Liebe jener Vollgenuß bei ewigem Sehnen.

Das Urtheil des Paris. *

S. 28. Z. 4. Tillemont — Sebastian le Nein de Tillemont, geb. zu Paris 1637 und gest. das. 1698, hat durch seine Denkwürdigkeiten zur Kirchengeschichte der ersten sechs Jahrhunderte zum gründlicheren Studium dieser Geschichte viel beigetragen. Ueber Lucian mußte der französische Geistliche jener Zeit wohl anders urtheilen, als Wieland.S. 28. Z. 7. Aesculap — Gott der Heilkunde, statt des vorzüglichen Arztes genannt.S. 28. Z. 15. Eris — Göttin der Zwietracht. Diese, erzürnt, daß man sie nicht auch mit den übrigen Göttern zur Hochzeit des Peleus mit Thetis eingeladen hatte, nahm dadurch Rache, daß sie einen goldenen Apfel auf die Tafel warf mit der Aufschrift: Der Schönsten. Daraus entspann sich der Streit zwischen Juno, Minerva und Venus, dessen Schlichtung hier dargestellt wird. Die Art, wie er geschlichtet wurde, veranlaßte den trojanischen Krieg gegen Priamus, König von Troja, des Paris Vater, in welchem Achilles von Seiten der Griechen und Hektor von Seiten der Trojaner als die Haupthelden auftraten. Menelas (Menelaos) als Gemahl der entführten Helena war am meisten dabei interessirt.S. 28. Z. 23. Ye-kin (Yeking). Das Buch von den Verwandlungen, eins der ältesten und heiligsten bei den Chinesen, entstand aus den sogenannten acht Kua des Fohi, welche aus dreifacher Zusammensetzung der ganzen und gebrochnen Linie bestehen. Diese Zusammensetzungen sind eben so viele Sinnbilder, welche durch die Verschiedenheit der Linien, die Lage derselben, und mittelst herausgefundener Vergleichungen des physischen, geistigen und sittlichen, nicht nur die Wirksamkeit der Natur in ihrem Hervorbringungen und Zerstörungen, sondern auch die verschiedenen Zustände des menschlichen Lebens, die Tugenden und Laster, und alle glückliche oder unglückliche Bestimmungen des Schicksals zugleich vorstellen sollen. Daß Ganze ist orakelmäßig und räthselhaft, und kann zwar sinnreiche Dichtungen veranlassen, unmöglich aber dienen, die Räthsel der Philosophie zu lösen. Der auf sinnreiche Spielerei gelenkte Geist der Chinesen zeigte sich also schon hier.S. 29. Z. 28. Das erste Ei — — ein Floh im Dunkeln springe — Man sieht, daß die Laune, in der sich Wieland hier befindet, 
* S. Lucians 24stes Göttergespräch in Wielands Uebers. Bd. 2. S. 131-146. Zum Behuf mancher Leserinnen stehe hier das Verzeichniß der Götter und Göttinnen:, die unter verschiedenen Namen vorkommen. Zeus, Jupiter. — Hermes, Mercur, — Juno, Saturnia. — Pallas, Minerva, Tritonia. — Venus, Cythere, Cytherea, Cypria, Idaia, Paphia
nicht allein von Lucian, sondern auch von dem noch größeren Spötter Aristophanes angeregt war, aus welchem die hier aufgeworfenen Fragen Erinnerungen sind.S. 29. Z. 28. Ilion — Troja.S. 30. Z. 7. Die Grazien am Kocyt — Die Furien.S. 31. Z. 4. Ida — Berg im trojanischen Gebiet. — Die Anspielungen, welche hier gegen Venus gemacht werden, erläutert am besten der homerische Hymnus auf diese Göttin.S. 32. Z. 2. Beim Styx — Dem Flusse der Unterwelt, schworen die Götter, und dieser Schwur war der unverbrüchlichste.S. 34. Z. 27. Skamander — Fluß im trojanischen Gebiet.S. 37. Z. 7. Wie zu Florenz — Der Dichter beschreibt die Attitüde der berühmten mediceischen Venus. Diese Statue, welche ehemals in der Villa Medici zu Rom stand, kam 1677 nach Florenz, wohin sie 1814 aus Paris wieder gebracht ist.

Aurora und Cephalus.

S. 51. Aurora und Cephalus — So viele von den Alten die Geschichte des Cephalus erzählen, so vielmal verschieden lautet sie auch, und deßhalb glaubte wohl Wieland, sich ebenfalls die möglichste Freiheit mit ihr erlauben zu dürfen. Ungeachtet er also am meisten dem Ovid folgt (Metam. 7, 690 fgg.), ist doch seine Erzählung auch von der Ovidischen wesentlich verschieden geworden, wenigstens was den Erfolg der Prüfung und die Tendenz des Ganzen betrifft. Daß einem Dichter hiezu die unbedingteste Erlaubniß zustehe, bezweifelt Niemand, und es folgt von selbst, daß er dann auch den Ton so wählen müsse, wie er zu der Tendenz des Ganzen paßt. Hier scheint sich Wieland an zwei berühmte frühere Nachbildner der Ovidischen Erzählung angeschlossen zu haben, an Ariosto nämlich und la Fontaine (in Contes de Nouvelles s. la Coupe enchantée): ob mit Glück, ist hier noch nicht der Ort zu untersuchen.S. 58. Z. 15. Tithonia — Heißt Aurora von ihrem Gemahl Tithon. S. die Anm. zu Don Sylvio Bd. 2. Cap. 2.S. 54. Z. 14. Hymettus — Berg in Attika, berühmt wegen seiner würzigen Kräuter, aus denen die Bienen den schönsten Honig zogen.S. 55. Z. 14. Helvetius — Der reiche Generalpächter, der eben so uneigennützig im Leben als in seinen Schriften ein Lobredner des Eigennutzes war, und der berühmte Naturgeschichtschreiber Graf Büffon hielten beide die platonische Liebe für unnatürlich und gestanden nur der physischen Liebe Werth zu, außer — sagt Helvetius — für Müßiggänger. Wer mehr Erläuterung wünscht, findet sie in seinem Werke über den Menschen Bd. 2. S. 206 der Uebers.S. 55. Z. 18. Albertus Magnus —S. die Anm. zu Don Sylvio, Bd, 2. Cap. 10.S. 57. Z. 12. Ein tejisch Liedchen — Eins von Anakreon, dem Sänger der Liebe, der auf der Insel Tejos geboren wurde.S. 57. Z. 25. Phryne — Eine der Schönen, welche die galante Welt in Griechenland, zum Unterschiede von den Hausfrauen, Freundinnen nannte. Wieland will bei dieser Stelle von ihren Reizen bloß an deren Feilheit gedacht wissen, die jedoch keine Wohlfeilheit war, denn ein griechischer Dichter sagte von ihr:
Läßt nicht Phryne die Charybdis weit an Habsucht hinter sich?
Neulich schlang sie einen Seemann mit der ganzen Fracht hinab.
S. 59. Z. 5. Kenner — In der ersten Ausgabe der komischen Erzählungen hieß es:
Stellt, wenn ihr könnt, auf Säulen von Rubinen
Euch einen Saal von Perlenmutter vor;
In diesem Saal' ein Bette mit Gardinen
En pavillon, von rosenfarbnem Flor'
Und reich gestickt: auf diesem Ruhebette,
Was Jupiter sich selbst gewünschet hätte,
Die schönste Fee.Ein Kritiker in der Neuen Bibl. d. sch. Wiss. Bd. 1. St. 2. S. 308, dessen
  Kritik Wieland als die eines Kenners anerkennt, bemerkte dabei, daß
er die schöne Fee sich in dieser Stellung noch lieber in einer romantischen
Gegend als in einem Saal von Rubinen vorgestellt hätte.
S. 61. Z. 9. Und Cicero an Pätus spricht für mich — Lucius Papirius Pätus, ein römischer Patricier, Anhänger der Philosophie Epikurs, genoß in der stürmischsten Zeit der untergehenden römischen Republik seiner Reichthümer in freier Muse. Er war ein Mann von Geist und Witz, der Scherz liebte und verstand. Da Cicero in gleichem Falle war, so knüpfte dieß eine freundschaftliche Vertraulichkeit zwischen beiden, von denen die 12 Briefe Cicero's an ihn die Beweise sind. Der hier gemeinte Brief ist in der gewöhnlichen Ausgabe (ad Diversos) IX. 22. bei Schütz, Bd. 5. S. 337. Br. 658, worin Cicero den stoischen Satz ausführt, man müsse jedes Ding bei seinem wahren Namen nennen. Die Beachtung dieses Briefes in Beziehung auf Wieland selbst ist merkwürdig. Wie muthwillig er hier auch zuweilen ist, konnte er mit Cicero von sich sagen: Ego servo et servabo, sic enim assuevi, Platonis verecundiam. Itaque tectis verbis ea ad te scripsi, quae appertossimis agunt Stoici.S. 61. Z. 12. Lehrt uns Marc. Tullius —Das ist Cicero. Die Stelle, welche Wieland hier anführt, und von der er etwas beißend sagt, sie stehe nicht in dem Buche von den Sitten (Pflichten), findet sich in einem Briefe an den Geschichtschreiber Luccejus (ad Div. V. 19, ed Schütz. Bd. 2. S. 85. Br. 108), welchen er um die Beschreibung der Thaten seines Consulats ersucht. Die Stelle lautet nach Wielands Uebersetzung so: Uebrigens weiß ich nur zu wohl, wie unverschämt ich bin, die eine solche Last aufzubürden und sogar auf dein Lob Anspruch zu machen. Wie wenn du nun nicht finden könntest, daß so gar viel Ruhmwürdiges an der Sache sey? Aber, wer einmal über die Gränzen der Schamhaftigkeit gegangen ist, thut am besten, wenn er recht überschwenglich unverschämt ist. Ich trage also kein Bedenken, dich aufs ernstliche und inständigste zu bitten, daß du dich in Anpreisung dessen, was ich gethan, weder auf deine eigene Ueberzeugung noch auf die Pflichten des Geschichtsschreibers einschränken, noch der Versicherung dich erinnern wollest, die du in einer deiner Vorreden mit einer so artigen Wendung gibst: daß Gunst oder Gefälligkeit nicht mehr über dich vermocht hätten. als die Wollust über den Xenophontischen Hercules. (Cic. Br. v. Wieland 2. 228. fgg.)S. 61. Z. 20. Axioma — Ein Grundsatz, dessen Wahrheit nicht erst erwiesen zu werden braucht; ausgemachter Grundsatz.S. 67. Z. 4. Purpurflasche — Wenn es anstößig ist, daß Aurora die quatre flacons von Marmontel gelesen haben sollte, und gerade nicht die Laune hat, Anachronismen hier als eine komische Zuthat anzusehen, der kann sich ja denken, daß die Sache mit der Liebe, die aus der Purpurflasche kommt, ihre Richtigkeit, und daß Aurora viel früher davon gewußt habe, als Marmontel. Wenigstens muß Wieland sich Auroren als eine Göttin von viel Erfahrung gedacht haben. Da die Griechen von Allen, die in der Blüthe des Lebens starben, sagten, Aurora habe sie geraubt; so zog er daraus vielleicht schalkhaftere Folgerungen, als der Sentimentalität lieb ist, die meinige nicht ausgenommen.S. 68. Z. 2. Ein goldner Regen — In einen solchen verwandelt, erreichte Jupiter seinen Zweck bei Danae, die ihr Vater Akrisios in einen Thurm von Erz verschlossen hatte. Wer Wunder nicht liebt, erklärt vielleicht die Sache mit la Fontaine a. a . O. natürlich so:
Pour dernière machine à la fin notre
Proposa de l'argent; et la somme fut telle
Qu'on ne s'en mit point en courroux.
La quantité rend excusable.
Calliste enfin l'inexpugnable
Commença d'écouter raison.
Man kann dieß als Einleitung zu dem gedrängtern Ausspruch betrachten, den Wieland bald darauf von ihm anführt.S. 78. Z. 11. Kambalu —Heißt ein Theil der chinesischen Residenzstadt Peking.S. 78. Z. 22. Felonie — Verbrechen gegen die Lebenspflichten. Die Männer werden als Vasallen Amors und der Frauen gedacht.S. 74. Z. 7. Herr Schuhmann — Eine ironische Aufforderung eines ehemaligen Hofmalers zu W**. W.S. 71. Z. 23. Stoa — Die Philosophen von der stoischen Sekte; Stoiker. Vergl. die Anm. zu den moral. Briefen, 7. Brief, Anmerk. 5. Bd. 25.S. 74. Z. 26. Uzim Oschantey — Der König der schwarzen Inseln im Wintermährchen.S. 76. Z. 22. Rhea's Riesenglieder — Rhea steht hier für Erde.S. 82. Z. 25. Dandin — Der arme George Dandin in Molière's Lustspiel dieses Namens, belauscht das Abenteuer seiner Frau sehr aufmerksam. Je veux , sagt er ihr, qu'on soit détrompé de vous, et que votre confusion éclate; leistet ihr aber nachher Abbitte.S. 86. Z. 3. Boucher — S. Anmerk. Bd. III, S. 291. — Ob ihn Wieland aus dem dort angeführten Grunde statt Vanloo, den die erste Ausgabe hat, hier nannte, oder ob er nur einen damals bekannteren Namen setzen wollte, weiß ich nicht; jedoch ist das Erstere nicht unwahrscheinlich.

Kombabus.

S. 91. Z. 2-4. Die Tugend ist — dem Kunst u. s. w. — Wahrscheinlich schwebte dem Dichter hiebei die Frage vor, die in dem platonischen Dialog Menon und in des Aeschines Dialog über die Tugend aufgeworfen wird: ob man die Tugend durch Unterricht oder durch Uebung erlange, oder ob sie vielmehr bloß ein Geschenk der Natur an die Menschen sey?S. 91. Z. 6. Der Weg zu Gott — Ist die Tugend nach Zoroasters Lehren wohl nur in so fern, als die Diener des Ormuzd nach dem Tode in die Wohnungen der Seligen gelangen.S. 91. Z. 7. Xekia — Bei den Chinesen, Siaka bei den Japanern, als Philosoph und Religionsstifter in großem Ansehn, soll in seiner geheimen Lehre, die er den vertrautesten Schülern auf dem Sterbebette vertrug, erklärt haben: das Nichts sey der Urgrund aller Dinge, aus dem sich Alles erzeugt habe, und worein sich Alles wieder auslöse. Diesem Grundwesen ähnlich zu werden, sey des Menschen höchstes Ziel; Tugend und Glückseligkeit bestehen in gänzlicher Unthätigkeit und Unempfindlichkeit, in Aufhebung alles Strebens und Denkens.S. 91. Z. 8. Pyrrho — Aus Elis, nahm als Grundsatz an, daß es keine allgemeine gewisse Erkenntniß gebe, und begründete dadurch die Secte der Skeptiker. Wenn Wieland ihn von der Tugend sagen läßt, sie sey, was man wolle, so hatte er wohl die Nachricht des Diogenes von Laerte vor Augen, nach welcher Pyrrho behauptet haben soll, Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit, Ehre und Schande hingen lediglich von den Staatsgesetzen und eingeführten Gebräuchen ab.S. 91. Z. 9. Seneca — Der Lehrer des berüchtigten Nero, war, obgleich ein stoischer Moralphilosoph, doch nichts weniger als gleichgültig gegen den Reichthum.S. 91. Z. 10. Stein der Weisen (lapis philosophicus) — Nach der Aussage der Alchymisten ein Product ihrer geheimnißvollen Kunst, mittelst dessen man nicht nur gemeine Metalle in Gold verwandeln könne, sondern welches auch als Universalmittel gegen alle Krankheiten diene.S. 91. Z. 11-13. Irus — Bettler bei Homer. Circe, berüchtigte Zauberin. Der Philosoph Krates wird als sehr verwachsen geschildert. — Diogenes, der in einer Tonne wohnte und freiwillig aufs ärmlichste lebte, ist, wie weiter unten gesagt wird, der Mann, der Alexandern bat, ihm aus der Sonne zu treten. Alexander, der ihn zu einer Bitte aufgefordert hatte, äußerte: Ich möchte Diogenes seyn, wenn ich nicht Alexander wäre.S. 91. Z. 15. Der Weise von Stagyr (Stagyra)— Aristoteles lehrt, jede Tugend sey ein Mittleres zwischen zwei Fehlerhaften, einem zu Wenig und einem zu Viel, z. B. Freigebigkeit die Mitte zwischen Knickerei und Verschwendung. Daher die Regel, daß man die goldne Mittelstraße halten solle.S. 92. Z. 3. Ikarus — Wollte mit Flügeln fliegen, die mit Wachs angemacht waren; die Sonne schmelz das Wachs, und Ikarus stürzte in das Meer, das nach ihm das Ikarische heißen soll. Im Munde des Diogenes ist dieses Beispiel höchst passend zu einem Streben nach Dingen, zu denen die Natur die Kraft versagt hat.S. 92. Z. 6. Der Weise von Cyrene — Aristippos, das wahre Gegenstück des Diogenes, verstand sich darauf, die Tugend mit den Genüssen des Lebens auszugleichen.S. 92. Z. 11. Prodikus — Ein Sophist und Verfasser der berühmten Dichtung von Hercules am Scheidewege, welche Wieland selbst zum Gegenstand eines Singspiels wählte.S. 92. Z. 17. Virtuosen — Scheint Wieland hier schalkhaft gebraucht zu haben, nicht in der gewöhnlichen Bedeutung, sondern als Tugendkünstler, nach der Bedeutung von virtus als Tugend. So paßt daß Folgende genau.S. 92. Z. 26. 27. Oheim Toby und Trim der Corporal — Sind als die wackersten Biedermänner aus dem Tristam Shandy bekannt.S. 93. Z. 6. Dessen Name uns nichts verschlägt — Die ältern Ausgaben haben:
— Er hieß Antiochus,
Wenn Lucian nicht irrt —
Dieß war nicht richtig. Lucian nennt den König gar nicht, er sagte nur, daß es derjenige gewesen, der seine zweite Gemahlin Stratonike seinem durch die verheimlichte Liebe zu seiner jungen Stiefmutter aufs äußerste gebrachten Sohne abgetreten habe, als er durch seinen Leibarzt (Erasistratus) erfahren, daß sein Sohn durch kein anderes Mittel gerettet werden könne. Daß dieser Prinz der nachmalige syrische König Antiochus (Soter), und sein Vater also Seleukus Nikanor, der Stifter der Seleukidischen Dynastie in Syrien, gewesen sey, weiß man aus andern Quellen. W. [S. 102, Z. 5. scheint Wieland die Bedenklichkeit, die er hier hatte, selbst wieder vergessen zu haben.]S. 98. Z. 12. Philipps großer Sohn — Alexander der Große.S. 96. Z. 5. Astarten — Die Verwandlung des unbequemen Namens Stratonike (welches der wahre Name der Königin war, der das Abenteuer mit Kombabus begegnet seyn soll) in Astarte ist eine poetische Licenz, die in einer Geschichte, die einem Mährchen so ähnlich sieht, nicht viel zu bedeuten hat. Hanc veniam damus, petimusque vicissim. W.S. 99. Z. 18-25. Don Robert Abrissel — Baylen fragen — Da es nicht allen unsern Lesern bequem seyn möchte, ihren Bayle zu fragen, so ist es wohl billig, daß wir uns selbst die kleine Mühe geben, ihrer Wißbegierde über diesen Punkt zu Hülfe zu kommen. Robert von Arbrissel, ein berühmter Bußprediger in Frankreich zu den Zeiten Philipps des Ersten, ist als Stifter der Abtei und des Ordens von Fontévraud (Ebraldsbronn) bekannt, der sich von allen andern Orden dadurch unterscheidet, daß sogar die Mönche desselben und ihre Klöster der Aebtissin des Frauenklosters zu Fontévraud, als dem souverainen Oberhaupt des ganzen Ordens unterworfen waren. Der Verfasser des geographischen Theils der Melanges tirées d'une grande Bibliothèque bemerkt (Vol. 36. p. 241.) sehr richtig, daß es diesem sonderbaren Orden, "dans un siècle, où les Chevaliers se piquoient d'ètre si soumis aux Dames," nicht fehlen konnte, ansehnlich und reich zu werden, so daß er noch zu unsern Zeiten (bis die zerstörende Revolution von 1789 auch ihm ein Ende gemacht hat) aus sechzig Ordenshäusern bestand, "et à la tète de chacune il y avoit une Prieure, qui avoit sous ses ordres non seulement des Religieuses, mais aussi un Superieur et un certain nombre de Moines, le tout ressortissant de Mad. L'Abbesse générale de Fontévraud dont la Maison valoit 100.000 Livres de Rente, et étoit ordinairement remplis par 150 Religieuses et 60 Religieux." (Ebendaselbst.) Der besagte Verfasser wundert sich, warum der Stifter eines so glänzenden Ordens nicht kanonisirt worden sevy, und meint: die Schwierigkeiten, welche seine Kanonisation erfahren habe, autorisirten den Verdacht, den man auf seine Verbindungen mit den jüngsten und schönsten seiner Nonnen habe werfen wollen; wiewohl die Briefe des Abts Gottfrieds von Vendome, eines in hohem Ansehen stehenden Zeitgenossen von Bruder Roberten, besagten, "que ces familiarités apparentes n'étoient que des arrangemens faits pour preparer des Triomfes à sa Vertu." — So zurückhaltend druckt sich der Jesuit Theoph. Raynaud in seinem Tractate de nobria alterius sexus frequentatione über diese Arrangemens nicht aus: er sagt mit Berufung auf den angeführten Abt Gottfried, geradezu von Roberten: "illum cum speciosissima quaque sacrarum Virginum nudum cum nuda in eodem lecto cubuisse, ut nequicquam fredentem et adhinnientem appetitum in tam illecebrosi objecti praesentia novo martyrii genere afficeret." — Wirklich findet sich in den Briefen des besagten Abts (Godofredi Vindoeinencis), welche der Jesuit Sirmond aus einem Mspt. der Abtei de la Couture im Jahre 1660 herausgegeben, einer an unsern Robert, worin ihm mit Mißbilligung vorgehalten wird: Foeminarum quasdam, ut dicitur, nimis familiariter tecum habitare permittis, et cum ipsis etiam et inter ipsas noctu frequenter cubare non erubescis. Hoc si modo agis vel aliquando egisti, novum et inauditum, sed infructuosum martyrii genus invenisti, — Mit wie viel oder wenig Wahrscheinlichkeit dem ehrwürdigen Vater Robert diese seltsame und gefährliche Art, sein Fleisch zu kreuzigen, nachgejagt worden sey, können und wollen wir hier nicht untersuchen. Man könnte vielleicht einem Mönch und Ordensstifter aus dem eilften Jahrhundert den Grad von Schwärmerei, der dazu erfordert wurde, um so eher zutrauen, da sich auch unter den Weltleuten Beispiele einer solchen heroischen Selbstverläugnung finden, und sogar ein junger König (K. Wenzel von Böhaim in der Manessischen Minnesänger-Sammlung) sich nicht wenig darauf zu gut that, eine Probe dieser Art bei der Dame seines Herzens rühmlich bestanden zu haben. S. 'Bodmers neue kritische Briefe, No. 53.In den berühmten Contes de la Reine de Navarre kommt eine hieher gehörige sehr sonderbare Stelle vor, die ich bei dieser Gelegenheit nicht unbemerkt: lassen kann, da ich nicht weiß, ob sie jemals der Aufmerksamkeit eines Gelehrten gewürdigt worden ist. Zu Ende der dritten Journée dieses Heptamerons wird, auf Veranlassung einer Anekdote, wie übel einer devoten Dame in Languedoc zu Ludwigs XII. Zeiten das allzu große Vertrauen auf die Gewalt ihres Geistes über ihre animalische Hälfte bekommen sey, viel über diese Materie (wie in diesem sonderbaren Werke gewöhnlich ist) hin und her moralisirt; und da die gute alte Dame Oisille ihre Verwunderung darüber bezeigt, wie Jemand närrisch genug seyn könne, sich für so heilig zu halten, daß er sich einer solchen Gefahr, ohne Furcht zu unterliegen, aussetzen dürfe, so erwiedert ihr Dame Longarine: "Ils font bien encore autre chose. Ils disent, qu'il faut s'habituer a la chasteté, et pour éprouver leurs forces, ils parlent aux plus belles et à celles (qu'ils aiment de plus; et en baisant et touchant ils éprouvent, s'ils sont dans une entière mortification, Quand ils sentent que ce plaisir les emeut, ils vivent dans Ia retraite, jeunent et se disciplinent; et quand ils ont matté leur chair en sorte, que ni Ia conversation ni Ie baiser ne leur causent point d'émotion, ils essayent la sotte tentation de coucher ensemble, et de s'embrasser sans aucun desir de volupté. Mais pour un qui resiste, il y a mille qui succombent Delà sont venus tant d'inconveniens, que l'Archevèque de Milan, où cette Religion s'étoit introduite, fut d'avis de les séparer, et de mettre les femmes au convent des hommes, et les hommes dans celui des femmes." —Wiewohl sich Dame Longarine nicht völlig so deutlich ausdrückt, als man wünschen möchte, so scheint doch aus ihren Worten, und besonders aus dem letzten Umstande, klar genug, daß die Rede hier nicht etwa von den Fraticelli * oder einer andern ältern Secte, welche dieser unnatürlichen Art von Kasteiung beschuldigt worden sind, sondern von irgend einem (mir unbekannten) neuern Orden, der vermuthlich bei Zeiten wieder unterdrückt wurde, die Rede seyn müsse. Was übrigens der ungenannte Erzbischof von Mailand sich dabei gedacht haben könne, daß er sich nicht begnügte, die Mönche und Nonnen von einander abzusondern, sondern die Männer ins Frauenkloster und die Frauen ins Mannskloster sperrte, ist mir so unbegreiflich, daß es mir beinahe die ganze Erzählung verdächtig machen könnte; wiewohl nicht zu glauben ist, daß die Königin Margerite von solchen Dingen als Tathsachen gesprochen haben sollte, wenn sie nicht Grund dazu gehabt hätte. — Uebrigens, und um von dieser Digression noch einmal auf den ehrwürdigen Br. Robertus de Arbuscula zurück zu kommen, könnte man, wofern ihm bloß seine besagten Keuschheitsübungen an der Heiligsprechung hinderlich gewesen waren, sich billig verwundern, warum eine solche heroische Anomalie gerade ihm so übel genommen worden, da sie doch einem andern, wegen seiner außerordentlichen Buß- und Abtödtungsübungen sehr berühmten englischen Mönch und Bischof, dem heiligen Aldhelmus, von seinem Biographen Wilhelm von Malmesburg, zu höchstem Ruhm und Verdienst angerechnet wird. "Si quando stimulo corporis ammoveretur (sagt Br. Wilhelm), non solum illecebrae denegabat effectum, sed alias insolitum reportabat triumphum, Neque tunc consortium foeminarum reudiabat, ut caeteri, qui ex oportunitate timent prolabi: immo vero vel assidens, vel cubitans aliquam detinebat, quoad, carnis tepescente lubrico, quieto et immoto discederet animo. Derideri se videtur Diabolus, cernens adhaerentem foeminam virumque, alias avocato animo insistentem cantando Psalterio" (Anglia Sacra, P. II p. 13,) Vermuthlich mag es dem guten Robert nachtheilig gewesen seyn, daß er nicht auch den Psalter dazu sang! W.S. 100. Z. 10. Des Klügsten unter euch — Des Sokrates vermuthlich, der seinem jungen Freunde Xenophon keinen bessern Rath zu geben wußte, als die Schönen cane pejus et angue zu fliehen- (Memor. Socr. 
*Die Fratricelli (deren Geschichte übrigens ziemlich verworren und unzuverlässig ist) kamen so leicht nicht davon, als die Religiosen, von welchen die Königin Katharinen spricht. Papst Clemens V. ließ das Kreuz gegen sie predigen, und es wurden ihrer fünf bis sechs hundert durch Feuer und Schwert, Kälte und Hunger ausgerottet. Dafür hatten sie sich aber freilich auch noch eines unendlich schwerern Verbrechens schuldig gemacht, denn sie hatten sich die Tyrannei der Päpste und die herrschenden Mißbräuche ihrer Zeit aufgelehnt konnte damals nicht gelinder als Feuer und Schwert gerochen werden.
1 3) Auch scheint Xenophon sich bei diesem Rathe so wohl befunden zu haben, daß er in der Cyropädie seinen Helden nach eben dieser Maxime verfahren, den jungen Araspes hingegen, der nicht so furchtsam von der Gewalt der Liebe dachte und sich mit der schönen Panthea unverletzt unter einem Dache zu leben getraute, seinen Uebermuth auf eine sehr exemplarische Art bezahlen läßt. W.S. 100. Z. 21. Casuisten — Nennt man die Moralphilosophen, die sich zum Geschäft machen, in moralischen Fällen, die verwickelter Umstände wegen oder aus andern Ursachen schwierig zu beurtheilen sind und daher meist Spitzfindigkeit erfordern, zu entscheiden.S. 101. Z. 9. Argus — Den tausendäugigen, hatte die eifersüchtige Juno zum Wächter der unglücklichen Jo gesetzt.S. 104. Z. 23. Semiramis — Berühmte Königin von Assyrien.S. 105. Z. 26. Acis — der Geliebte der Nymphe Galathea, der, als ihn der eifersüchtige Cyklop Polyphem mit einem Felsstück erschlagen hatte, in den Fluß verwandelt wurde, der seinen Namen trug.S. 106. Z. 11. Cassinen — Hier für Astronom überhaupt, von Cassini, einem der berühmtesten Astronomen des 17. Jahrhunderts, welchem seine Wissenschaft wichtige Entdeckungen verdankt.S. 106. Z. 22. Pastor fido — Der treue Schäfer, mit Anspielung auf Guarini's Schäferspiel unter diesem Titel.S. 107. Z. 5. Aurora — Siehe Cephalus und Aurora in diesem Bande.S. 107. Z. 22. Nymphenwuth — Bei den Alten herrschte der Glaube, daß, wer eine Nymphe erblicke, in Wahnsinn verfalle.S. 110. Z. 2. Rigoristen — Welche von der Strenge der angenommenen Grundsätze in der Beurtheilung besonderer Fälle nicht abweichen.

Die erste Liebe.

S. 119. Z. 2. An Psyche. — Dieses Gedicht verfertigte Wieland für die Frau Präsidentin Julie v. Bechtolsheim in Eisenach, welche Hofdame bei der Herzogin Amalie gewesen war, als sie sich im J. 1774 vermählte. Noch jetzt weilen die Musen und Grazien gern in ihrem Kreise.S. 122. Z. 23. Vorgebirg der Nasen -- Bezieht sich auf die Erzählung des Slawkenbergius im Tristam Shandy.S. 124. Z. 27. Psammis-Danischmende — Mit diesen Namen, die den Lesern des goldenen Spiegels und des Danischmend gewiß lieb sind, bezeichnet sich hier der Dichter selbst.S. 126. Z. 5. Clarissa und Pamela — Zwei Heldinnen des Romanendichters Richardson, galten damals für die Frauen, wie sie seyn sollen.S. 130. Z. 18. Doris — Aus den Gedichten der ersten Bände als Wielands erste Liebe bekannt, die nachmalige Schriftstellerin Sophie von la Roche.S. 132. Z. 3. Pastor fido — Der treue Schäfer, Titel eines Schäfer-Drama von Guarini.S. 133. Z. 16. Der Koloß von Rhodus — Ein Sonnengott, von Chares dem Lindier in einem Zeitraum von 12 Jahren verfertigt, soll mit ausgespannten Füßen in der Einfahrt des Hafens der Insel Rhodus, von einem Ende des festen Landes bis zum andern, gestanden haben, so daß Schiffe unter ihm durchgingen. Durch ein Erdbeben im J. 223 v. Chr. G. wurde diese ungeheure Statue umgestürzt und hat also nur etwa 56 Jahre gestanden. Die Trümmer, welche nicht in das Meer gestürzt waren, lagen noch da, als 650 J. n. Chr. G. die Sarazenen Rhodus einnahmen.S. 134. Z. 10. Doctor Mandevil (Mandeville), zu Anfange des 18. Jahrhunderts, Verfasser des Gedichts The Fable of the Bees, or private vices, publick benefits (die Fabel von den Bienen), wendete das Urtheil, das man über Montaigne gefällt hatte, er sey erfahren in den Fehlern, aber unbekannt mit den Vortrefflichkeiten der menschlichen Natur gewesen, selbst auf sich an. Der Zweck seines Gedichts war, zu zeigen, daß die beste Staatsmaschine aus den verächtlichsten Bestandtheilen zusammengesetzt sey. Seine schlechte Meinung von der menschlichen Moralität ersieht man noch besonders aus seiner Enquiry into the origin of moral virtue.S. 134. Z. 11. Hans Jack — Jean Jacques Rousseau.S. 134. Z. 14. Die Kaffern in Süd- und Südost-Africa machen einen eigenen Menschenstamm aus, der den Uebergang von den Negern zu den schwarzbraunen Menschen bildet. Die Hottentotten im südlichsten Africa machen einen eigenen Stamm davon aus. Bei vielen Stämmen derselben findet man kaum eine Spur von religiösen Begriffen; es mangelt überhaupt an geistiger Ausbildung, und man hat selbst an ihrer Empfänglichkeit dafür gezweifelt.S. 134, Z. 22. Sapajou — Eine Affenart von dem Geschlechte der Meerkatzen.S. 134, Z. 23. Der Sperling Lesbiens ist durch das von Ramler trefflich nachgebildete Gedicht Catulls auf seinen Tod eben so berühmt als der Papagay durch den Vert-Vert von dem Jesuiten Gresset (gest. 1777), ein komisches Heldengedicht, welches den ungetheiltesten Beifall erhielt.

Sixt und Clärchen.

Erster Gesang.

S. 141. Z. 2. Wovon Phythagoras — Müsterlein gegeben — Dieser eben so tiefsinnige als ehrwürdige griechische Philosoph scheint zur Einrichtung seiner Schule oder seines Ordens die ägyptischen Priesterinstitute zum Muster genommen zu haben, die allerdings auch auf die Mönchsorden nicht ohne Einfluß geblieben sind. Vielleicht nur darum, weil eigentliches Klosterleben bei Pythagoras nicht nachzuweisen seyn möchte, spricht Wieland von einem bloßen Müsterlein desselben. "Die Namen Cönobit und Cönobium, sagt er bei der ersten Ausgabe, schreiben sich von diesem Pythagorischen Orden her. Es wäre zu wünschen, die Klöster hätten noch etwas mehr als diese Namen mit demselben gemein."S. 142. Z. 13. Ovidius de arie — Ovids Gedicht von der Kunst zu lieben.S. 143. Z. 11. Dionens Knaben — Amor; Anspielung auf Anakreons 40stes Lied. Eine Biene hatte den Amor gestochen, und die Mutter, der er seinen Schmerz klagt, antwortet ihm: Wenn schon der Stachel einer Biene solche Schmerzen macht, wie mögen die erst leiden, die du, mein Sohn, verwundest!S. 143. Z. 25. Der Geier des Tityus — Wegen Frevels, den er an Latonen begangen, backen in der Unterwelt Geier an seiner Leber, die immer von neuem wächst. Vielleicht war dieß Strafe für seine Liebeswuth, denn nach der Meinung der Griechen war die Leber der Sitz der Liebe.S. 149. Z. 24. Molochs-Opfer, die denkbar schrecklichsten, denn lebend wurden Menschen in seine glühenden Arme gelegt.

Zweiter Gesang.

S. 150. Z. 13. Ein Gott ex machina — S. d. Anm. zu Don Sylvio von Rosalva Bd. 2. S. 263 f.

Gandalin oder Liebe um Liebe.

Prolog.

S. 161. Z. 18. Schuf Rafael seiner Galathee — Die Galathea Rafaels in der Farnesina zu Rom ist stehend auf einem mit Delphinen bespannten Wagen dargestellt; sie selbst leitet die Zügel. Zur Seite umarmt ein Triton eine Nereide, ein anderer flößt in eine Meertrompete, und auf dem Rücken eines dritten sitzt eine Nereide. Amor führt den Wagen der Galathea, und fliegende Amorinen schießen Pfeile herab.S. 164. Z. 23. Geschichteklittrer — Klittern, so viel als sudeln. Der alte Uebersezer des Gargantua nannte sein Werk Geschichtsklitterung.S. 165. Z. 2. Magen —Mag, veraltetes Wort für Verwandte, besonders Blutverwandte.

Buch 1.

S. 168. Z. 18. Finkenritter — Anspielung auf das alte Volksbuch, wahrscheinlich aus dem dreißigjährigen Kriege: der edle Finkenritter, mit dem tapfern Cavalier Monsieur Hans Guck in die Welt, oder Historia von dem weit erfahrenen Ritter, Herrn Policarpen von Kirrlariffa, genannten Finkenritter, wie der drittehaldhundert Jahr, eh er geboren ward, viel Land durchwandert, seltsame Dinge gesehen und zuletzt von seiner Mutter für todtliegend gefunden, aufgehoben und erst von neuem geboren worden. Item von seiner Hochzeit, eine satirische, doch lehrreiche Sache u. s. w.S. 170. Z. 9. Haselwürmer — Eine Art ungeheurer Schlangen, deren in den alten Dichtern, Chroniken u. s. w. oft Meldung geschieht. Nach Buntings Braunschw. Chronik soll ums Jahr 1597 auf dem Harz ein solcher Haselwurm gesehen worden seyn, 18 Schuh lang und mannsdick, mit einem Katzenkopf, Füßen am Bauch u. s. w.H. 170. Z. 15. Der schönen Meduse — Der Medusenkopf an Schild und Brustharnisch der Minerva, anfangs abscheulich, häßliches Spottgelächter, besonders gegen Feinde ausdrückend, erhielt in der schöneren Periode der griechischen Kunst nur den Charakter eines Furcht einflössenden Ernstes und verlor die frühere Mißgestalt.

Buch 2.

S. 179. Z. 18. Algarben und Sobradisen — Wären dieß, wie Einige meinten, Goldstücke; so wird jeder feurige Liebhaber zugestehen, daß, zwanzig Goldstücke um so einen Blick zu geben, so viel wie nichts sey. — Will man ein Paar schöne Feen daraus machen, so ist dann der Tausch eines solchen Liebhabers freilich würdig; allein ich muß gestehen, saß ich die Namen dieser Feen nirgend habe finden können. So bleibt mir nur die Vermuthung, daß bier Algarvien, die spanische Provinz, und Sobrado, die spanische Stadt, gemeint seyn möchten, wenn ich gleich die richtige Steigerung vermisse und nicht zu sagen weiß, weder wie der Dichter auf sie gekommen ist, noch warum er solche Endungen gebildet hat.S. 181. Z. 4. Penthesileen — Penthesilea war die Amazonenkönigin, welche die Fortsetzer der Homerischen Ilias in ein interessantes Verhältniß mit Achilles brachten.S. 18. Z. 7. Approchiren, sich nähern; hier in Beziehung auf den militärischen Ausdruck approches, Laufgraben.S. 187. Z. 24. Herr Degen — Degen ist im Heldenbuch u. a. gleichbedeutend mit Held, Wigant, tapfrer Kriegsmann.

Buch 3.

S. 190. Z. 24. 25. Venus im Tizianischen Nachtgewand, d. i. nackt, mit allem Zauber der Carnation, wodurch eben die Venus von Tizian ein Meisterstück ist.S. 191, Z. 11. Dürerscher Falten — Der große deutsche Meister Albrecht Dürer hatte bei der Draperie das Costume seiner Nürnbergischen Landsmanninnen vor Augen, welches ehrbarer als geschmackvoll war.S. 194. Z. 20. Julien an der Tiber — Die Tochter des Augustus, Julia, die in dem Rufe gleicher Schönheit und Gefälligkeit stand, wie die griechische Helena.

Buch 4.

S. 214. Z. 2. Dianenschaft, Junonität — Der plastische Charakter der Diana war Schlankheit, jungfräuliche Würde, der der Juno Majestät der Götterkönigin.

Buch 5.

S. 215. Z. 12. Die Iris — Die schnelle, gewandte Botin der Götter bei Homer, wird von neueren Dichtern statt Zofe, Kammermädchen im Komischen gebraucht.S. 216. Z. 20. Marivaux — Pierre Carlet de Chamblain de Marivaux, geb. 1688, gest. 1765, machte sich zu seiner Zeit einen Namen mehr durch seine Romane als durch seine Theaterstücke, deren Manier man spottend mit dem Ausdruck Marivaudage bezeichnete. Seine Romane aber enthalten sehr gelungene Schilderungen, welche die deutschen Leser wenigstens aus den Nachbildungen unsers Friedr. Schulz, z. B. seiner Leopoldine, kennen werden.S. 218. Z. 2. Venus Anadyomene, d. die aus dem Meer aufsteigende. In der Stadt Kos hatte sie Apelles dargestellt, und dazu entweder Kampaspe, die Geliebte Alexanders, oder die berühmte Hetäre Phryne als Modell gedient. Vergl. Lipperts Daktyliothek N. 239, 249.

Buch 6.

S. 227. Z. 4. Ritter der Tafelrunde —Vgl. Oberon, B. 20.S. 228. Z. 22. Robert von Arbrissel — S. die frühere Anmerk. zu Kombabus in diesem Band. S. 321 ff.

Buch 8.

S. 265. Z. 3. Bischof Hatto — Hatto, im zehnten Jahrhundert Erzbischof zu Mainz. Die Legende berichtet, daß er ein sehr harter Mann gewesen. Einst in einer Hungersnoth habe er die um Brod flehenden Armen in eine Scheune versammelt, diese anzünden lassen und bei dem Jammergeschrei derselben gesagt: Höre, wie die Kornmäuse pfeifen! Dafür ward er nachher von Mäusen so sehr geplagt, daß er in einen Thurm auf eine Insel flüchtete. Aber auch hieher verfolgten ihn diese Feinde und fraßen ihn lebendig auf. Unweit des Bingerloches zeigt man auf einer Rheininsel diesen Thurm, welcher der Mäusethurm genannt wird.S. 265. Z. 21. Paracelsens Laudanum —Philippus Aurolius Theophrastus Paracelsus Bombastus von Hohenheim, 1493 in der Schweiz geboren, 1541 zu Salzburg gestorben, galt zu seiner Zeit für einen Wundermann und gehört zu denen, die in der Medicin Epoche machten, wenn gleich sein Ruhm sich nicht erhalten hat. Als Arzneimittel wendete er vorzüglich Opium an, wovon das Laudanum (Einschläferungsmittel, nach Campe) ein Extract ist.S. 265. Z. 24. Dispensatorium — Arzneibuch.