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C. M. Wieland's Werke.

Sechster Band.

Leipzig.G. J. Göschen'sche Verlagshandlung.1853.
Buchdruckerei der J. G. Cotta'schen Buchhandlung in Stuttgart.

Geschichte des Agathon.

Quid Virtus et quid Sapientia possit
Utile proposuit nobis exemplum.

Dritter Band.

Inhalt

des dritten Theils. Seite

Eilftes Buch. Agathon am Hofe des Königs Dionysius
von Syrakus.Erstes Cap. Agathon findet eine alte Bekanntschaft 
wieder. Ein Bildniß des Dionysius im Geschmack Herrn Josua Reynolds 3
Zweites Cap. Vorläufige Entschließungen unsere Helden. 
Charakter des Aristippus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .9
Drittes Cap. Agathons erste Erscheinung am Hofe. . . . . . . . . . .17
Viertes Cap. Eine akademische Sitzung, wobei Agathon ein
neues Talent zu zeigen Gelegenheit hat. . . . . . . . . . . . . . . 21
Fünftes Cap. Dionysius läßt dem Agathon Vorschläge thun,
und bewilligt die Bedingungen, unter welchen dieser sich
entschließt, sein Gehülfe in der Regierung zu werden. . . . . . . . 30
Sechstes Cap. Einige Betrachtungen über das Betragen Agathons . . . 32
Zwölftes Buch. Agathons Staatsverwaltung; seine Fehler gegen alle 
Hof- und Weltklugheit, und sein Fall.Ersten Cap. Etwas von Haupt- 
und Staatsactionen. Betragen Agathons am Hofe des Königs Dionysius. 37
Zweites Cap. Geheime Nachrichten von Philistus. Agathon zieht sich 
die Feindschaft des Timokrates durch eine Handlung zu, wodurch er 
sich um Dionysios und um ganz Sicilien verdient macht. . . . . . .  48
Drittes Cap. Beispiele, daß nicht alles was gleißt Gold ist. . . . .56
Viertes Cap. Kleonissa. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65
Fünftes Cap. Eine Hofkomödie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71
Sechstes Cap. Agathon begeht einen großen Fehler gegen die
Hofklugheit. Folgen davon. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .76
Siebentes Cap. Eine merkwürdige Unterredung zwischen Agathon und 
Aristippus.Entschließungen des Ersten, mit den Gründen für und wider83
Achtes Cap. Agathon verwickelt sich in einen Anschlag gegen
den Tyrannen, und wird in Verhaft genommen. . . . . . . . . . . . . 94
Neuntes Cap. Dermaliger Gemüthszustand unsers Helden . . . . . . . .98
Zehntes Cap. Agathon erhält einen sehr unvermutheten Besuch,
und wird auf eine neue Probe gestellt . . . . . . . . . . . . . . . 107
Eilfter Cap. Agathons Schutzrede für sich selbst, und Erklärung  
auf den Antrag des Hippias . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .121
Zwölftes Cap. Agathon wird wieder in Freiheit gesetzt, und
verläßt Sicilien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135
Dreizehntes Buch Agathon kommt nach Tarent, wird in die Familie des 
Archytas eingeführt, entdeckt in der wieder gefundenen Psyche seine 
Schwester, und findet die schöne Danae wieder.Erstes Cap. Archytas 
und die Tarentiner. Charakter eines selten Staatsmanns . . . . . . .141
Zweites Cap. Eine unverhoffte Entdeckung. . . . . . . . . . . . . . 151
Drittes Cap. Begebenheiten der Psyche . . . . . . . . . . . . . . . 159
Viertes Cap. Etwas das man vorhersehen konnte. . . . . . . . . . . .166
Fünftes Cap. Agathon verirrt sich auf der Jagd, und stößt in
einem alten Schlosse auf ein sehr unerwartetes Abenteuer. . . . . . 169
Sechstes Cap. Ein Studium für die Seelenmaler. . . . . . . . . . . .177
Siebentes Cap. Vorbereitung zur Geschichte der Danae. . . . . . . . 185
Vierzehntes Buch. Geheime Geschichte der Danae.Erstes Cap. Danae 
beginnt ihre geheime Geschichte zu erzählen. . . . . . . . . . . . .192
Zweites Cap. Erste Jugend der Danae, bis zu ihrer Bekanntschaft
mit dem Alcibiades . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .195
Drittes Cap. Alcibiades macht seine junge Geliebte mit Aspasien 
bekannt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .207
Viertes Cap. Charakter des Alcibiades, von Aspasien geschildert.
Wie die Danae in Aspasiens Hause erzogen wird. . . . . . . . . . . .215
Fünftes Cap. Absichten des Alcibiades mit der jungen Danae. Er 
umringt seinen Plan mit selbstgemachten Schwierigkeiten, und wird in 
seiner eigenen Schlinge gefangen . . . . . . . . . . . . . . . . . .221
Sechstes Cap. Neue Kunstgriffe des Alcibiades. Eine Philippika
gegen das männliche Geschlecht, als eine Probe der Philosophie der 
schönen Aspasia. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .231
Fünfzehntes Buch. Verfolg und Beschluß der geheimen Begebenheiten 
der Danae.Erstes Cap. Erste Verirrung der schönen Danae. . . . . . .247
Zweites Cap. Danae und Cyrus. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258
Drittes Cap. Danae zu Smyrna. Beschluß ihrer Geschichte, mit dem 
schönen Siege, den sie über Agathon erhält. . . . . . . . . . . . . 267
Sechzehntes Buch. Beschluß.Erstes Cap. Agathon faßt den Entschluß 
sich dem Archytas noch genauer zu entdecken, und zu diesem Ende 
sein eigener Biograph zu werden. . . . . . . . . . . . . . . . . . .279
Zweites Cap. Eine Unterredung zwischen Agathon und Archytas . . . . 285
Drittes Cap. Darstellung der Lebensweisheit des Archytas. . . . . . 299
Viertes Cap. Beschluß der Geschichte Agathons. . . . . . . . . . . .324

Geschichte des Agathon.

Dritter Theil.

Eilftes Buch.

Agathon am Hofe des Königs Dionysius von Syrakus.

Erstes Capitel.

Agathon findet eine alte Bekanntschaft wieder. Ein Bildniß des Dionysius im Geschmack Herrn Josua Reynolds.

Agathon erfuhr die hauptsächlichsten Begebenheiten, welche den Inhalt des vorhergehenden Kapitels ausmachen, bei einem großen Gastmahle, welches sein Freund der Kaufmann gab, um seine Ankunft in Syrakus feierlich zu begehen.Der Name eines Gastes, von welchem eine Zeit lang so viel Gutes und Böses unter den Griechen gesprochen worden war, zog unter andern Neugierigen auch den Philosophen Aristippus herbei; einen Mann, der wegen der Annehmlichkeiten seines Umgangs, und wegen der Gnade, worin er bei dem Prinzen stand, in den besten Häusern zu Syrakus sehr willkommen war. Dieser Philosoph hatte sich, bei jener großen Auswanderung der schönen Geister Griechenlands nach Syrakus, auch dahin begeben, mehr um einen beobachtenden Zuschauer zu spielen, als in der Absicht, durch parasitische Künste die Eitelkeit des Dionysius seinen eigenen Bedürfnissen zinsbar zu machen. Agathon und Aristippus hatten einander zu Athen gekannt. Aber damals contrastirte der Enthusiasmus des ersten mit dem kalten Blut und der humoristischen Art zu philosophiren des andern zu stark, als daß sie einander wahrhaftig hatten hochschätzen können; wiewohl Aristipp sich öfters bei den Versammlungen einfand, welche damals Agathons Haus zu einer Akademie der besten Köpfe von Athen machten. Die Wahrheit war, daß Agathon mit allen seinen schimmernden Eigenschaften in Aristipps Augen ein Phantast, und Aristipp mit allein seinem Witz nach Agathons Begriffen ein bloßer Sophist war, geschickter weibische Sybariten durch seine Grundsätze noch Sybaritischer, als junge Republicaner zu tugendhaften Männern zu machen.Der Eindruck, welcher beiden von dieser ehemals von einander gefaßten Meinung geblieben war, machte sie stutzen, da sie sich nach einer Trennung von drei oder vier Jahren so unvermuthet wieder sahen. Das sollte Agathon — das sollte Aristipp seyn? dachte jeder bei sich selbst, war überzeugt, daß es so sey, und hatte doch Mühe, seiner eigenen Ueberzeugung zu glauben. Aristipp suchte im Agathon den Enthusiasten, welcher nicht mehr war; und Agathon glaubte im Aristipp den Sybariten nicht mehr zu finden; vielleicht allein, weil seine eigene Weise, Personen und Sachen ins Auge zu fassen, seit einiger Zeit eine merkliche Veränderung erlitten hatte.Ein Umgang von etlichen Stunden lösete beiden das Räthsel ihres anfänglichen Irrthums auf, zerstreute den Rest des alten Vorurtheils, und flößte ihnen die Neigung ein, bessere Freunde zu werden. Unvermerkt erinnerten sie sich nicht mehr, daß sie einander ehmals weniger gefallen hatten; und ihr Herz liebte den kleinen Selbstbetrug, dasjenige was sie jetzt für einander empfanden, für die bloße Erneuerung einer alten Freundschaft zu halten. Aristipp fand bei unserm Helden eine Gefälligkeit, eine Mäßigung, eine Politur, welche ihm zu beweisen schien, daß Erfahrungen von mehr als Einer Art eine starke Veränderung in seinem Gemüthe gewirkt haben müßten. Agathon fand bei dem Philosophen von Cyrene etwas mehr als bloßen Witz; er fand einen Beobachtungsgeist, eine gesunde Art zu denken, eine Feinheit und Richtigkeit der Beurtheilung, welche den Schüler des weisen Sokrates in ihm erkennen ließen.Diese Entdeckungen flößten ihnen natürlicher Weise ein gegenseitiges Zutrauen ein, welches sie geneigt machte. sich weniger vor einander zu verbergen, als man bei einer ersten Zusammenkunft zu thun gewohnt ist. Agathon ließ seinem neuen Freunde sein Erstaunen darüber sehen, daß die Hoffnungen, welche man sich zum Vortheil Siciliens von Platons Ansehen bei dem Dionysius gemacht, so plötzlich und auf eine so unbegreifliche Art vernichtet worden seyen. In der That bestand alles, was man in der Stadt davon wußte, in bloßen Muthmaßungen, die sich zum Theil auf allerlei unzuverlässige Anekdoten gründeten, dergleichen in Städten, wo ein Hof ist, von müßigen Leuten, welche sich das Ansehen geben wollen, als ob sie mit den Geheimnissen und Intriguen desselben genau bekannt wären, von Gesellschaft zu Gesellschaft herumgetragen zu werden pflegen. Aristipp hatte, seitdem er sich an Dionysens Hofe aufhielt, die schwache Seite dieses Prinzen, den Charakter seiner Günstlinge, der Vornehmsten der Stadt und der Sicilier überhaupt so gut ausstudirt, daß er — ohne sich in die Entwicklung der geheimern Triebfedern (womit wir unsere Leser schon bekannt gemacht haben) einzulassen — den Agathon leicht überzeugen konnte: ein gleichgültiger Zuschauer habe sich von den Anschlägen Dions und Platons, den Dionysius zu einer freiwilligen Niederlegung der monarchischen Gewalt zu vermögen, keinen glücklichern Ausgang versprechen können. Er malte den Tyrannen von seiner besten Seite als einen Prinzen ab, "bei dem die unglücklichste Erziehung ein vortreffliches Naturell nicht gänzlich habe verderben können; der von Natur leutselig, edel, freigebig, und dabei so bildsam und leicht zu regieren sey, daß alles bloß darauf ankomme, in was für Händen er sich befinde. Seiner Meinung nach, war eben diese allzu bewegliche Gemüthsart und der Hang für die Vergnügungen der Sinne die fehlerhafte Seite dieses Prinzen. Plato hätte die Kunst verstehen sollen, sich dieser Schwachheiten auf eine feine Art zu seinen Absichten zu bedienen. Aber dieß hätte eine Geschmeidigkeit, eine Mischung von Nachgiebigkeit und Zurückhaltung erfordert, wozu der Verfasser des Kratylus niemals fähig seyn werde. Ueberdem hätte er sich zu deutlich merken lassen, daß er gekommen sey, den Hofmeister des Prinzen zu machen; ein Umstand, der schon für sich allein alles habe verderben müssen. Denn die schwächsten Fürsten seyen allemal diejenigen, vor denen man am sorgfältigsten verbergen müsse, daß man weiter sehe als sie. Sie würden sich's zur Schande rechnen, sich von dem größten Geist in der Welt regieren zu lassen, sobald sie glauben, daß er sie regieren wolle. Daher komme es, daß sie sich oft lieber der schimpflichen Herrschaft eines Kammerdieners oder einer Maitresse unterwürfen, welche die Kunstgriffe besitzen, besitzen, ihre Gewalt über das Gemüth des Herrn unter sklavischen Schmeicheleien oder schlauen Liebkosungen zu verbergen. Plato sey zu einem Minister eines so jungen Prinzen zu spitzfindig, und zu einem Günstling zu alt gewesen. Zudem habe ihm seine vertraute Freundschaft mit Dion geschadet, da sie seinen heimlichen Feinden beständige Gelegenheit gegeben, ihn dem Prinzen verdächtig zu machen. Endlich habe der Einfall, aus Sicilien eine Platonische Republik zu machen, an sich selbst nichts getaugt. Der Nationalgeist der Sicilier sey eine Zusammensetzung von so schlimmen Eigenschaften, daß es, seiner Meinung nach, dem weisesten Gesetzgeber unmöglich bleiben würde, sie zur republicanischen Tugend umzubilden; und Dionysius, welcher unter gewissen Umständen vielleicht ein guter Fürst werden könnte, würde, wenn er sich auch in einem Anstoß von eingebildeter Großmuth hätte bereden lassen die Tyrannie aufzuheben, allezeit ein sehr schlimmer Bürger gewesen seyn. Diese allgemeinen Ursachen seyen (was auch die nähern Veranlassungen der Verbannung des Dion und der Ungnade oder wenigstens der Entfernung des Platon gewesen seyn möchten) hinlänglich, begreiflich zu machen, daß es nicht anders habe gehen können. Sie bewiesen aber auch (setzte Aristipp mit einer anscheinenden Gleichgültigkeit hinzu), daß ein anderer, der sich die Fehler dieser Vorgänger zu nutze zu machen wüßte, wenig Mühe haben würde, die unwürdigen Leute zu verdrängen, welche sich wieder in den Besitz des Zutrauens und der Autorität des Prinzen geschwungen hätten."Agathon fand diese Gedanken seines neuen Freundes so wahrscheinlich, daß er sich überreden ließ, sie für wahr anzunehmen. Und hier spielte ihm die Eigenliebe einen kleinen Streich, dessen er sich nicht zu ihr vermuthete. Sie flüsterte ihm (so leise, daß er ihren Einhauch vielleicht für die Stimme seines guten Genius hielt) den Gedanken zu: wie schön es wäre, wenn Agathon dasjenige zu Stande bringen könnte, was Plato vergebens unternommen hatte! Wenigstens däuchte es ihn schön den Versuch zu machen; und er fühlte eine Art von ahnendem Bewußtseyn, daß eine solche Unternehmung nicht über seine Kräfte gehen würde. Diese Empfindungen (denn Gedanken waren es noch nicht) stiegen, während daß Aristippus sprach, in ihm auf. Aber er nahm sich wohl in Acht, das Geringste davon merken zu lassen, und lenkte, um von einem so schlauen Höflinge nicht unvermerkt ausgekundschaftet zu werden, das Gespräch auf andre Gegenstände. Ueberhaupt vermied er alles, was eine besondere Aufmerksamkeit auf ihn hätte richten können, desto sorgfältiger, da er wahrnahm, daß man einen außerordentlichen Mann in ihm zu sehen erwartete. Er sprach sehr bescheiden, und nur so viel als die Gelegenheit unumgänglich erforderte, von dem Antheile, den er an der Staatsverwaltung von Athen gehabt hatte. Er ließ die Gelegenheit entschlüpfen, die ihm von einigen mit guter Art (wie sie wenigstens glaubten) gemacht wurde, eine Gedanken von Regierungssachen und von den Syrakusischen Angelegenheiten zu sagen. Er sprach von allem wie ein gewöhnlicher Mensch, und begnügte sich, bei Gelegenheit sehen zu lassen, daß er ein Kenner aller schönen Sachen sey, wiewohl er sich nur für einen Liebhaber ausgab.Dieses Betragen, wodurch er allen Verdacht besonderer Absichten von sich entfernen wollte, hatte die Wirkung, daß die meisten, welche mit einem erwartungsvollen Vorurtheil für ihn gekommen waren, sich für betrogen hielten. Sie urtheilten, Agathon halte in der Nähe gar nicht, was sein Ruhm verspreche: und, um sich dafür zu rächen, daß er nicht so war, wie er ihrer Einbildung zu Liebe hätte seyn sollen, liehen sie ihm noch einige Fehler, die er nicht hatte, und verringerten den Werth der schönen Eigenschaften, welche er entweder nicht verbergen konnte, oder nicht verbergen wollte. Gewöhnliches Verfahren kleiner Seelen, wodurch sie sich unter einander in der tröstlichen Beredung zu stärken suchen, daß kein so großer Unterschied, oder vielleicht gar keiner, zwischen ihnen und den Agathonen sey! — Und wer wird so unbillig seyn, ihnen einen solchen Behelf übel zu nehmen?
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Zweites Capitel.

Vorläufige Entschließungen unsers Helden. Charakter des Aristippus.

Sobald sich unser Mann allein sah, überließ er sich den Betrachtungen, die in seiner gegenwärtigen Stellung die natürlichsten waren. Als er gehört hatte, daß Plato entfernt und Dionys wieder in seine vorige Gestalt zurückgetreten sey, war sein erster Gedanke gewesen, Syrakus sogleich wieder zu verlassen, und nach Italien überzufahren, wo er verschiedene Ursachen hatte, in dem Hause des berühmten Archytas zu Tarent eine gute Aufnahme zu erwarten. Allein die Unterredung mit dem Aristippus brachte ihn wieder auf andere Gedanken. Je mehr er dasjenige, was ihm dieser Philosoph von den Ursachen der vorgegangenen Veränderung gesagt hatte, überlegte; je mehr fand er sich ermuntert, das Werk, welches Plato aufgegeben, auf einer andern Seite, und, wie er hoffte, mit besserm Erfolg anzugreifen. Von tausend mannichfaltigen Gedanken hin und hergezogen, brachte er den größten Theil der Nacht in einem Mittelstande zwischen Entschließung und Ungewißheit zu: bis er endlich mit sich selbst einig wurde, es darauf ankommen zu lassen, wozu ihn die Umstände bestimmen würden.Inzwischen machte er sich doch, auf den Fall, wenn ihn Dionysius an seinen Hof zu ziehen suchen sollte, einen Verhaltungsplan: er stellte sich eine Menge Zufälle vor, welche begegnen könnten, und setzte die Maßregeln bei sich selbst fest, nach welchen er in jedem derselben handeln wollte. Die genaueste Verbindung der Klugheit mit der Rechtschaffenheit war die Grundlage davon. Sein eigner Vortheil kam dabei in gar keine Betrachtung. Er wollte sich durch keine Art von Banden fesseln lassen, sondern immer die Freiheit behalten, sich, sobald er sehen würde daß er vergebens arbeite, mit Ehre zurückzuziehen. Dieß war die einzige Rücksicht, die er dabei auf sich selbst nahm. Die lebhafte Abneigung gegen alle populären Regierungsarten, die ihm von seinen ehmaligen Erfahrungen geblieben war, ließ ihn nicht daran denken, den Siciliern zu einer Freiheit behülflich zu seyn, welche er für einen bloßen Namen hielt, unter dessen Schutz die Edeln eines Volkes und der Pöbel einander wechselsweise ärger tyrannisiren, als es gewöhnlich ein einzelner Tyrann zu thun fähig ist. Denn dieser mag so arg seyn als er immer will, so wird er wenigstens durch seinen eigenen Vortheil abgehalten, seine Sklaven gänzlich aufzureiben: da hingegen der Pöbel, wenn er die Gewalt einmal an sich gerissen hat, seinen wilden Bewegungen keine Gränzen zu setzen fähig ist.Diese Betrachtung traf zwar nur die Demokratie; aber Agathon hatte von der Aristokratie keine bessere Meinung. Eine endlose Reihe von schlimmen Monarchen schien ihm etwas das nicht in der Natur ist; und ein einziger guter Fürst war (nach seiner Voraussetzung) genug, das Glück seines Volkes auf Jahrhunderte zu befestigen. Hingegen glaubte er, die Aristokratie könne nicht anders als durch die gänzliche Unterdrückung des Volks auf einen dauerhaften Grund gesetzt werden, und sey also schon aus dieser einzigen Ursache die schlimmste unter allen möglichen Verfassungen. So sehr gegen diese beiden Regierungsarten eingenommen, konnte er nicht darauf verfallen, sie mit einander vermischen, und durch eine Art von politischer Chemie aus so widerwärtigen Dingen eine gute Composition heraus bringen zu wollen. Eine solche Verfassung däuchte ihn allzu verwickelt, und aus zu vielerlei Gewichten und Rädern zusammengesetzt, um nicht alle Augenblicke in Unordnung zu gerathen, und sich nach und nach selbst aufzureiben. Die Monarchie schien ihm also, von allen Seiten betrachtet, die einfachste, edelste, und der Analogie des großen Systems der Natur gemäßeste Art die Menschen zu regieren.Dieses vorausgesetzt, glaubte er alles gethan zu haben, wenn er einen zwischen Tugend und Laster hin und her wankenden Prinzen aus den Händen schlimmer Rathgeber ziehen, und durch einen klugen Gebrauch der Gewalt, die er über sein Gemüth zu bekommen hoffte, seine Denkungsart verbessern könnte. Denn er dachte noch immer zu gut von der menschlichen Natur, als daß er nicht hätte hoffen sollen, ihn auf diesem Wege unvermerkt für die eigenthümlichen Reizungen der Tugend empfindlich zu machen. Und gesetzt auch, daß es ihm nur auf eine unvollkommene Art gelingen würde, so hoffte er, wofern er sich nur einmal seines Herzens bemeistert hätte, doch immer im Stande zu seyn, viel Gutes zu thun und viel Böses zu verhindern; und auch dieses schien ihm genug zu seyn, um beim Schluß des Schauspiels mit dem belohnenden Gedanken, eine schöne Rolle wohl gespielt zu haben, vom Theater abzutreten. In diesen sanft einwiegenden Gedanken schlummerte Agathon endlich ein, und schlief noch, als Aristippus des folgenden Morgens wieder kam, um ihn im Namen des Dionysius einzuladen, und bei diesem Prinzen aufzuführen.Die Seite, von der sich dieser Philosoph in der gegenwärtigen Geschichte zeigt, stimmt mit dem gemeinen Vorurtheil, welches man gegen ihn gefaßt hat, so wenig überein, als dieses mit den gewissesten Nachrichten, welche von seinem Leben und von seinen Meinungen auf uns gekommen sind. In der That scheint dasselbe sich mehr auf den Mißverstand seiner Grundsätze und einige ärgerliche Mährchen, welche Diogenes von Laerte müd Athenäus (zwei von den unzuverlässigsten Compilatoren in der Welt) seinen Feinden nacherzählen, als auf irgend etwas zu gründen, welches ihm unsre Hochachtung mit Recht entziehen könnte.Es hat zu allen Zeiten eine Art von Leuten gegeben, welche nirgends als in ihren Schriften tugendhaft sind; Leute, welche die Verdorbenheit ihres Herzens durch die Affectation der strengsten Grundsätze in der Sittenlehre bedecken wollen; die sich das Ansehen einer außerordentlichen Zärte der Ohren in moralischen Dingen geben, und vor dem bloßen Schalle des Worts Wollust mit einem scheinheiligen Schauer zufammenfahren; kurz, Leute, welche jedermann verachten würde, wenn nicht der größte Haufe dazu verurtheilt wäre, sich durch Masken, Mienen, Gebärden, Inflexionen der Stimme und verdrehte Augen betrügen zu lassen. Diese vortrefflichen Leute thaten schon damals ihr Bestes, den guten Aristipp für einen Wollüstigen auszuschreien, der die Forderungen der sinnlichen Triebe zu Grundsätzen seiner Philosophie, und die Kunst sich zu vergnügen zu seinem höchsten Gut gemacht habe.Es ist hier der Ort nicht, die Unbilligkeit und den Ungrund dieses Urtheils zu beweisen; und es ist auch so nöthig nicht, nachdem bereits einer der arbeitsamsten Gelehrten unsrer Zeit, ungeachtet seines Standes, den Muth gehabt hat, in seiner kritischen Geschichte der Philosophie diesem Schüler des Sokrates Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.Ohne uns also hier um Aristipps Lehrsätze zu bekümmern, begnügen wir uns von seinem Charakter so viel zu sagen, als man wissen muß, um die Person, die er an Dionysens Hofe vorstellte, richtiger beurtheilen zu können. Unter allen den vorgeblichen Weisen, welche sich damals an diesem Hofe befanden, war er der einzige, der keine heimlichen Absichten auf die Freigebigkeit des Prinzen hatte; wiewohl er sich kein Bedenken machte, Geschenke von ihm anzunehmen, die er nicht durch parasitische Niederträchtigkeiten erkaufte. Durch seine natürliche Denkungsart eben so sehr, als durch seine in der That ziemlich gemächliche Philosophie, von Ehrsucht und Geldgierigkeit gleich entfernt, bediente er sich eines zulänglichen Erbguts (welches er, bei Gelegenheit, durch den erlaubten Vortheil, den er von seinen Talenten zog, zu vermehren wußte), um, nach seiner Neigung, mehr einen Zuschauer als einen Schauspieler auf dem Schauplatze der Welt vorzustellen. Da er einer der besten Köpfe seiner Zeit war, so gab ihm diese Freiheit, worin er sich sein ganzes Leben durch erhielt, Gelegenheit, sich einen Grad von Einsicht zu erwerben, der ihn zu einem scharfen und sichern Beurtheiler aller Gegenstände des menschlichen Lebens machte. Meister über seine Leidenschaften, welche von Natur nicht heftig waren, frei von allen Arten von Sorgen und Geschäften, konnt' er sich in dieser Heiterkeit des Geistes, und in dieser Ruhe des Gemüths erhalten, welche die Grundzüge von dem Charakter eines weisen Mannes ausmachen. Er hatte seine schönsten Jahre zu Athen, in dem Umgange mit Sokrates und den größten Männern dieses berühmten Zeitalters, zugebracht; die Euripiden und Aristopanen, die Phidias und Polygnote, und (die Wahrheit zu sagen) auch die Phrynen und Laidion, hatten seinen Witz gebildet, und jenes zarte Gefühl des Schönen in ihm entwikelt, welches ihn die Munterkeit der Grazien mit dem Ernste der Philosophie verbinden lehrte. Nichts übertraf die Annehmlichkeit seines Umgangs. Niemand wußte, so wie er, die Weisheit unter der gefälligen Gestalt des Schmerzes und der guten Laune in solche Gesellschaften einzuführen, wo sie in ihrer eignen Gestalt nicht willkommen wäre. Er besaß das Geheimniß, den Großen selbst die unangenehmsten Wahrheiten mit Hülfe eines Einfalls oder einer Wendung erträglich zu machen, und sich an dem langweiligen Geschlechte der Narren und Gecken, wovon die Höfe der damaligen Fürsten wimmelten, durch einen feinen Spott zu rachen, den sie dumm genug waren mit dankbarem Lächeln für Beifall anzunehmen. Die Lebhaftigkeit seines Geistes und die Kenntniß, die er von allen Arten des Schönen besaß, machte daß ihn niemand übertraf, wo es auf die Erfindung sinnreicher Ergötzlichkeiten, auf die Anordnung eines Festes, die Auszierung eines Hauses, oder auf Urtheile über die Werke der Dichter, Tonkünstler, Maler und Bildhauer ankam. Er liebte das Vergnügen, weil er das Schöne liebte; und aus dem nämlichen Grunde liebte er auch die Tugend. Aber er mußte das Vergnügen in seinem Wege finden, und die Tugend mußte ihm keine allzubeschwerlichen Pflichten auflegen. Dem einen oder der andern seine Gemächlichkeit aufzuopfern, so weit ging seine Liebe nicht. Sein fester Grundsatz, dem er allezeit getreu blieb, war: daß es in unsrer Gewalt sey, in allen Umständen glücklich zu seyn; des Phalaris glühenden Ochsen ausgenommen; denn wie man in diesem sollte glücklich seyn können, davon konnte er sich keinen Begriff machen. Er setzte voraus, daß Seele und Leib gesund seyn müßten. Alsdann komme es nur darauf an, daß man sich nach den Umständen zu richten wisse, anstatt (wie der große Haufe der Sterblichen) zu verlangen, daß sich die Umstände nach uns richten, oder ihnen zu diesem Ende Gewalt anthun zu wollen. Mittelst dieser sonderbaren Geschmeidigkeit konnte er das vielbedeutende Lob verdienen. welches ihm Horaz gibt: daß ihm alle Farben, alle Umstände des günstigen oder widrigen Glückes gleich gut angestanden, oder (wie Plato von ihm sagte) daß es ihm allein gegeben sey, ein Kleid von Purpur und einen Kittel von Sackleinewand mit gleich guter Art zu tragen."Es ist kein schwacher Beweis, wie wenig es dem Dionysius an Fähigkeit das Gute zu schätzen gefehlt habe, daß er Aristippen um aller dieser Eigenschaften willen höher achtete, als alle andern Gelehrten seines Hofes. Ihn mocht' er am liebsten um sich leiden, und öfters ließ er sich von ihm durch einen Scherz zu guten Handlungen bewegen, wozu ihn seine Pedanten mit aller ihrer Dialektik und schulgerechten Beredsamkeit nicht zu vermögen fähig waren.Diese charakteristischen Züge vorausgesetzt, läßt sich, däucht uns, keine wahrscheinlichere Ursache angeben, warum Aristipp, sobald er unsern Helden zu Syrakus erblickte, den Entschluß faßte, ihn bei Dionysius in Gunst zu setzen, als diese: daß er begierig war zu sehen, was aus einer solchen Verbindung werden, und wie sich Agathon in einer so schlüpfrigen Stellung verhalten würde. Denn auf einige besondere Vortheile für sich selbst konnte er dabei kein Absehen haben, da es nur auf ihn ankam, ohne einen Mittelsmann zu bedürfen, sich die Gnade eines Prinzen zu nutze zu machen, der in einem Anstoß von prahlerhafter Freigebigkeit fähig war, die Einkünfte von einer ganzen Stadt an einen Luftspringer oder Citherspieler wegzuschenken.Dem sey indessen wie ihm wolle, so hatte Aristipp nichts Angelegeneres, als am nächsten Morgen den Prinzen, dem er bei seinem Aufstehen aufzuwarten pflegte, von dem neu angekommenen Agathon zu unterhalten, und eine so vortheilhafte Abschilderung von ihm zu machen, daß Dionysius begierig wurde, diesen außerordentlichen Menschen von Person zu kennen. Aristipp erhielt den Auftrag ihn unverzüglich nach Hof zu bringen; und er vollzog denselben, ohne unsern Helden merken zu lassen, wie viel Antheil er an der Sache gehabt hatte.
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Drittes Capitel.

Agathons erste Erscheinung am Hofe.

Agathon sah eine so bald erfolgende Einladung als eine gute Vorbedeutung an, und machte keine Schwierigkeit sie anzunehmen. Er wurde von Dionysius auf eine sehr leutselige Art empfangen. Bei dieser Gelegenheit erfuhr er abermal, daß die Schönheit eine stumme Empfehlung an alle Menschen, welche Augen haben, ist. Die Gestalt eines Apollo, die ihm schon so manchen guten und schlimmen Dienst gethan, die ihm die Verfolgungen der Pythia und die Zuneigung der Athener zugezogen, ihn in den Augen der Thracischen Bacchantinnen zum Gott, in den Augen der schönen Danae zum liebenswürdigsten der Sterblichen gemacht hatte, — diese Gestalt, diese einnehmende Gesichtsbildung, diese mit Würde und Anstand zusammenfließende Grazie, welche allen seinen Bewegungen und Handlungen eigen war, thaten ihre Wirkung und zogen ihm beim ersten Anblick die allgemeine Bewunderung zu. Dionysius, welcher als König zu wohl mit sich selbst zufrieden war, um über einen Privatmann wegen irgend einer Vollkommenheit eifersüchtig zu seyn, überließ sich dem angenehmen Eindrucke, den dieser schöne Fremdling auf ihn machte. Die Philosophen hofften, das Inwendige werde einer so viel versprechenden Außenseite nicht gemäß seyn; und diese Hoffnung setzte sie in den Stand. mit einem Nasenrümpfen, welches den geringen Werth, den sie einem solchen Vorzuge beilegten, andeuten sollte, einander zuzuflüstern daß er — schön sey. Aber den Höflingen kam es schwer an, ihren Verdruß darüber zu verbergen, daß sie keinen Fehler an ihm finden konnten, der sie für den Anblick so vieler Vorzüge schadlos gehalten hätte. Wenigstens waren dieß die Bemerkungen, welche der kaltsinnige Aristipp bei dieser Gelegenheit machte.Agathon verband, in seinen Reden und in seinem ganzen Betragen, mit der edeln Freiheit und Zuversichtlichkeit eines Weltmannes, so viel Bescheidenheit und Klugheit, daß Dionysius in wenig Stunden ganz von ihm eingenommen war. Man weiß, wie wenig es oft bedarf den Großen zu gefallen, wenn uns nur der erste Augenblick günstig ist. Agathon mußte also dem Dionysius, welcher wirklich Geschmack hatte, nothwendig mehr gefallen, als irgend ein anderer den er jemals gesehen hatte; und dieß in immer zunehmendem Verhältnisse, so wie sich von einem Augenblick zum andern die Vorzüge und Talente unsers Helden entwickelten. In der That besaß er deren so viele, daß der Neid der Höflinge, der in gleicher Proportion von Augenblick zu Augenblick stieg, gewissermaßen zu entschuldigen war. Die guten Leute würden sich viel auf sich selbst eingebildet haben, wenn sie nur diejenigen Eigenschaften in einem solchen Grad einzeln besessen hätten, welche, in ihm vereinigt, dennoch den geringsten Theil seines Werthes ausmachten. Er hatte die Klugheit, seine gründlichern Eigenschaften zu verbergen, und sich bloß von derjenigen Seite zu zeigen, wodurch sich die Hochachtung der Weltleute am sichersten überraschen läßt. Er sprach von allem mit dieser Leichtigkeit des Witzes, welche über die Gegenstände nur dahin glilscht; eine Eigenschaft, wodurch sich oft die schalesten Köpfe in der Welt (auf einige Zeit wenigstens) das Ansehen, als ob sie Verstand und Einsichten hätten, zu geben wissen. Er scherzte; er erzählte mit Anmuth; er machte andern Gelegenheit sich zu zeigen; und (was der Erziehung, die er von der schönen Danae erhalten, Ehre brachte) er bewunderte die guten Einfälle, welche dem schwatzhaften Dionysius unter einer Menge von platten und frostigen zuweilen entfielen, mit einer Art, welche, ohne seiner Aufrichtigkeit oder seinem Geschmack zu viel Gewalt anzuthun, diesen Prinzen überzeugte, daß Agathon unendlich viel Verstand habe.Große Herren haben gemeiniglich eine Lieblingsschwachheit, wodurch es sehr leicht wird, den Eingang in ihr Herz zu finden. Der große Tanzai (ein Kenner übrigens von Verdiensten) kannte doch kein größeres, als die Leyer gut zu spielen. Dionysius hegte ein so günstiges Vorurtheil für die Cither, daß der beste Citherspieler in seinen Augen der größte Mann auf dem Erdboden war. Er spielte sie zwar selbst nicht sonderlich; aber er gab sich für einen Kenner, und rühmte sich die größten Virtuosen auf diesem wundervollen Instrument an seinem Hofe zu haben. Zu gutem Glücke hatte Agathon zu Delphi die Cither schlagen gelernt, und einige Lectionen, die er bei der schönen Danae genommen, hatten ihn in dieser Kunst so weit gebracht — als sie gehen kann. Kurz, er nahm das dritte oder viertemal, da er mit dem Dionysius zu Nacht speiste, eine Cither, begleitete darauf einen Dithyramben des Damon (der von einer feinen Stimme gesungen, und von der schönen Bacchidion getanzt wurde), und setzte seine Hoheit dadurch in eine so übermäßige Entzückung, daß der ganze Hof von diesem Augenblick an für ausgemacht hielt, ihn in kurzem zur Würde eines erklärten Günstlings erhoben zu sehen. Dionysius überhäufte ihn, in der ersten Aufwallung seiner Bewunderung, mit Liebkosungen, welche unserm Helden beinahe allen Muth benahmen. Himmel! dachte er, was werde ich mit einem König anfangen, der bereit ist, den ersten Neuaufgekommenen an die Spitze seines Staats zu setzen, weil er ein guter Citherschläger ist?Dieser erste Gedanke war sehr gründlich, und würde ihm vieles Ungemach erspart haben, wenn er seiner Eingebung gefolgt hätte. Aber eine andere Stimme —(war es Eitelkeit? oder der Gedanke ein großes Vorhaben nicht um einer so geringfügigen Ursache willen aufzugeben? oder die Schwachheit, die uns geneigt macht, alle Thorheiten der Großen, welche Achtung für uns zeigen, mit nachsichtsvollen Augen anzusehen?)— flüsterte ihm ein, daß der Geschmack für die Musik, und die besondere Anmuthung für ein gewisses Instrument, eine Sache sey, welche von unsrer Organisation abhange; und daß es ihm desto leichter seyn werde, sich des Herzens dieses Prinzen zu versichern, je mehr er von den Geschicklichkeiten besitze, wodurch man seinen Beifall erhalten könne.Die Gunst, in welche er sich in so kurzer Zeit, und durch so zweideutige Verdienste bei dem Tyrannen gesetzt hatte, stieg bald darauf, bei Gelegenheit einer akademischen Versammlung, welche Dionysius mit großen Feierlichkeiten veranstaltete, zu einem solchen Grade, daß Philistus, der bisher noch zwischen Furcht und Hoffnung geschwebt hatte, seinen Fall nunmehr für gewiß hielt.
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Viertes Capitel.

Eine akademische Sitzung, wobei Agathon ein neues Talent zu zeigen Gelegenheit erhält.

Dionysius hatte von Aristipp vernommen, daß Agathon ehmals ein Schüler Platons gewesen, und, während seines Glücksstandes zu Athen, für einen der größten Redner in dieser redseligen Republik gehalten worden sey. Erfreut, eine Vollkommenheit mehr an seinem neuen Liebling zu entdecken, säumte er sich keinen Augenblick, eine Gelegenheit zu veranstalten, wo er aus eigner Einsicht von der Wahrheit dieses Vorgebens urtheilen könnte. Denn es kam ihm ganz übernatürlich vor, daß man zu gleicher Zeit ein Philosoph, ein Adonis und ein so großer Citherschläger sollte seyn können. Die Akademie erhielt also Befehl sich zu versammeln, und das ganze Syrakus wurde dazu eingeladen.Agathon dachte an nichts weniger, als daß er bei diesem Wettstreit eines Haufens von Sophisten (die er nicht ohne Grund für sehr überflüssige Leute an dem Hof eines guten Fürsten ansah) eine Rolle zu spielen bekommen würde; und Aristipp hatte (aus dem oben berührten Beweggrunde, welcher der Schlüssel zu seinem ganzen Betragen gegen unsern Helden ist) ihm von Dionysens Absicht nichts entdeckt. Dieser eröffnete, als Präsident der Akademie (denn seine Eitelkeit begnügte sich nicht an der Ehre, ihr Beschützer zu seyn), die Versammlung durch einen übel zusammengestoppelten und nicht allzu verständlichen, aber mit Platonismen reich verbrämten Discurs, welcher (wie leicht zu erachten) allgemeinen Beifall erhielt, ungeachtet er dem Agathon mehr das ungezweifelle Vertrauen des königlichen Redners in den Beifall, der ihm von Standes wegen zukam, als die Größe seiner Gaben und Einsichten zu beweisen schien. Nach Endigung dieser Rede nahm die akademische Hetze ihren Anfang: und wofern die Zuhörer durch die subtilen Geister, die sich nunmehr hören ließen, nicht sehr unterrichtet wurden, so fanden sie sich doch durch die Wohlredenheit des einen, die klingende Stimme und den guten Accent eines andern, die paradoxen Einfälle eines dritten, und die Gesichter die ein vierter zu seinen Distinctionen und Demonstrationen schnitt, erträglich belustiget.Nachdem dieses Spiel einige Zeit gedauert hatte, und ein unhöfliches Gähnen bereits zwei Drittheile der Zuhörer zu ergreifen begann, sagte Dionysius: da er das Glück habe, seit einigen Tagen einen der würdigsten Schüler des großen Platons in seinem Hause zu besitzen, so ersuche er ihn, sich nicht verdrießen zu lassen, daß der Ruhm, der ihm allenthalben vorangegangen, den Schleier, womit seine Bescheidenheit seine Verdienste zu verhüllen suche, hinweg gezogen, und in dem schönen Agathon einen der beredtesten Weisen der Zeit entdeckt habe. Er möchte sich also nicht weigern, auch in Syrakus sich von einer so vortheilhaften Seite zu zeigen, und sich mit den Philosophen der Akademie in einen Wettstreit über irgend eine wichtige Frage aus der Philosophie einzulassen.Zu gutem Glücke sprach Dionysius, der sich selbst gern hörte, und die Gabe der Weitläufigkeit in hohem Maße besaß, lange genug, um unserm Manne Zeit zu geben, sich von der kleinen Bestürzung über eine so unerwartete Zumuthung zu erholen. Diese Frist setzte ihn in den Stand ohne Zaudern zu antworten: er sey zu früh aus den Hörsälen der Weisen auf den Marktplatz zu Athen gerufen, und in die Angelegenheiten eines Volkes, welches bekanntermaßen seinen Hofmeistern nicht wenig zu schaffen zu machen pflege, verwickelt worden, als daß er Zeit genug gehabt haben sollte, sich seine Lehrer gehörig zu nutze zu machen, Indessen sey er, wenn es Dionysius verlange, aus Achtung gegen ihn bereit, eine Probe abzulegen, wie wenig er das Lob verdiene, welches ihm aus einem allzu günstigen Vorurtheil beigelegt worden sey.Dionysius rief nun den Philistus auf (man weiß nicht, ob vermöge einer vorher genommenen Abrede, oder ob von Ungefähr), eine Frage vorzuschlagen, für und wider welche von beiden Seiten gesprochen werden sollte. Der Minister bedachte sich eine kleine Weile, und, in Hoffnung den Agathon, der ihm furchtbar zu werden anfing, in Verlegenheit zu setzen, schlug er die Frage vor: "welche Regierungsform einen Staat glücklicher mache, die republicanische oder die monarchische?" Man wird, dachte er, dem Agathon die Wahl lassen, für welche er sich erklären will. Spricht er für die Republik, und spricht er gut (wie er um seines Ruhms willen genöthiget ist), so wird er dem Prinzen mißfallen; wirft er sich zum Lobredner der Monarchie auf, so wird er sich dem Volke verhaßt machen, und Dionysius wird den Muth nicht haben, die Staatsverwaltung einem Ausländer anzuvertrauen, der bei seinem ersten Auftritt einen so schlechten Eindruck auf die Gemüther der Syrakuser gemacht hat.Allein diesesmal betrog den schlauen Mann seine Erwartung. Agathon erklärte sich, ungeachtet er die Absicht des Philistus merkte, mit einer Unerschrockenheit, welche diesem keinen Triumph prophezeyte, für die Monarchie. Nachdem seine Gegner (unter denen Antisthenes und der Sophist Protagoras alle ihre Kräfte anstrengten, die Vorzüge der Freistaaten zu erheben) zu reden aufgehört hatten, fing er damit an, daß er ihren Gründen mehr Stärke gab, als sie selbst zu thun fähig gewesen waren. Die Aufmerksamkeit war außerordentlich. Jedermann war mehr begierig, zu hören, wie Agathon sich selbst, als wie er seine Gegner würde überwinden können. Seine Beredsamkeit zeigte sich in einem Lichte, welches die Seelen der Zuhörer blendete. Die Wichtigkeit des Augenblicks, der den Ausgang seines ganzen Vorhabens entschied, die Würde des Gegenstandes, die Begierde zu siegen, und vermuthlich auch seine herzliche Abneigung gegen die Demokratie, alles setzte ihn in eine Begeisterung, welche die großen Kräfte seiner Seele noch höher spannte. Seine Ideen waren so groß, seine Gemälde so stark gezeichnet, mit so vielem Feuer gemalt, seine Gründe jeder für sich selbst so schimmernd, und durch ihre Zusammenordnung so überwältigend; der Strom seiner Rede, der anfänglich in ruhiger Majestät dahin floß, wurde nach und nach so stark und hinreißend, daß selbst diejenigen, bei denen es zum voraus beschlossen war, daß er Unrecht haben sollte, sich wie durch eine magische Gewalt genöthigt sahen, ihm innerlich Beifall zu geben. Man glaubte den Merkur oder Apollo reden zu hören. Die Kenner (denn es waren einige zugegen, welche dafür gelten konnten) bewunderten am meisten, daß er die Kunstgriffe verschmähte, wodurch die Sophisten gewohnt waren, einer schlimmen Sache die Gestalt einer guten zu geben. Keine Farben, welche durch ihren Glanz das Betrügliche falscher oder umsonst angenommener Sätze verbergen mußten! Keine künstliche Austheilung des Lichts und des Schattens! Sein Ausdruck glich dem Sonnenschein, dessen lebender und beinahe geistiger Glanz sich den Gegenständen mittheilt, ohne ihnen etwas von ihrer eigenen Farbe zu benehmen.Indessen müssen wir gestehen, daß er ein wenig grausam mit den Republiken umging. Er bewies, oder schien doch allen die ihn hörten zu beweisen: daß diese Art von Gesellschaft ihren Ursprung in dem wilden Chaos der Anarchie genommen, und daß die Weisheit ihrer Gesetzgeber sich mit schwachem Erfolg bemühet hätte, Ordnung und Dauerhaftigkeit in eine Verfassung zu bringen, welche (ihrer Natur nach) in steter Unruh' und innerlicher Gährung alle Augenblicke Gefahr laufe, sich durch ihre eigenen Kräfte aufzureiben, und des Ruhestandes so wenig fähig sey, daß die Ruhe in derselben vielmehr eine Folge der äußersten Verderbniß, und (gleich einer Windstille auf dem Meere) der gewisse Vorbote des Sturms und Untergangs sey. Er behauptete, daß die politische Tugend (dieses geheiligte Palladium der Freistaaten, an dessen Erhaltung ihre Gesetzgeber das ganze Glück derselben gebunden hätten) eine Art von unsichtbarem und durch verjährten Aberglauben geheiligtem Götzen sey, an welchem nichts als der Name verehrer werde. Daß man in diesen Staaten einen stillschweigenden Vertrag mit einander gemacht zu haben scheine, sich durch ein gewisses Phantom von Gerechtigkeit, Mäßigung, Uneigennützigkeit, Liebe des Vaterlandes und des gemeinen Besten, von einander betrügen zu lassen; und daß unter der Maske dieser politischen Heuchelei, unter dem ehrwürdigen Namen aller dieser Tugenden, das Gegentheil derselben nirgends unverschämter ausgeübt werde. Es würden, meinte er, eine Menge besonderer Umstände, welche sich in etlichen tausend Jahren kaum Einmal in irgend einem Winkel des Erdbodens zusammen finden könnten, dazu erfordert, um eine Republik in der glücklichen Mittelmäßigkeit zu erhalten, ohne welche sie von keinen Bestand seyn könne. Und eben daher, weil dieser Fall so selten sey, und von so vielen zufälligen Ursachen abhange, komme es, daß die meisten Republiken entweder zu schwach wären, ihren Bürgern die mindeste Sicherheit zu gewähren, oder nach einer Größe strebten, welche den Staat unaufhörlich durch innerliche Unruhen und Bürgerkriege erschütterte, und demjenigen, der zuletzt Meister vom Kampfplatze bliebe, nichts als Einöden zu bevölkern und Ruinen wieder aufzubauen überlasse. Sogar die Freiheit, auf welche diese Staaten mit Ausschluß aller andern Anspruch machten, finde kaum in den despotischen Reichen Asiens weniger Platz. Denn entweder müsse sich das Volk alles demüthiglich gefallen lassen, was die Edeln und Reichen, ihrem besondern Interesse gemäß, schlössen und handelten; oder, wenn es den Gesetzgeber und Richter selbst spiele, sey kein ehrlicher Mann sicher, nicht alle Augenblicke das Opfer derjenigen zu werden, denen seine Verdienste im Wege ständen, oder die durch sein Ansehen und Vermögen reicher und größer zu werden hofften. In keinem andern Staate sey es weniger erlaubt, von seinen Fähigkeiten Gebrauch zu machen, selbst zu denken, und über wichtige Gegenstände dasjenige, was man für gemeinnützlich halte, ohne Gefahr bekannt werden zu lassen. Alle Vorschläge zu Verbesserungen würden unter dem verhaßten Namen Neuerungen verworfen, und zögen ihren Urhebern geheime oder öffentliche Verfolgungen zu. Selbst die Grundpfeiler der menschlichen Glückseligkeit, und dasjenige was den gesitteten Menschen eigentlich von dem Wilden und Barbaren unterscheide, Wahrheit und Tugend, die Wissenschaften und die liebenswürdigen Fünfte der Musen, seyen in diesen Staaten verdächtig oder gar verhaßt. Sie würden durch tausend im Finstern schleichende Mittel entkräftet, an ihrem Fortgang verhindert, oder doch gewiß weder aufgemuntert noch belohnt.Doch es sey an diesem kurzen Auszuge genug, um dem Leser eine Probe zu geben, wie genau Agathon mit den Gebrechen der Freistaaten bekannt war, und wie wenig er ihrer bei dieser Gelegenheit schonte! Wir brechen ihn um so lieber ab, weil es gänzlich wider unsre Absicht wäre, irgend einem Erdenbewohner die Stellung, worin er sich befindet, unangenehmer zu machen, als sie ihm bereits seyn mag; oder Anlaß zu geben, daß die Gebrechen einiger längst zerstörten Griechischen Republiken, aus denen Agathon seine Gemälde hernahm, zur Verunglimpfung derjenigen gemißbraucht werden könnten, welche in unsern Zeiten als ehrwürdige Freistätten und Zufluchtsplätze der Tugend, der gesunden Denkungsart, der öffentlichen Glückseligkeit und einer politischen Gleichheit, welche sich der natürlichen möglichst nähert, angesehen werden können. Ueberhaupt scheint die Frage, über welche hier disputirt wurde, unter die müßigen speculativen Fragen zu gehören, worüber von jeher so viel Zeit und Mühe verloren worden, ohne daß sich absehen läßt, worin die Welt jemals durch ihre Auflösung sollte gebessert werden können. Wir übergehen also auch, wiewohl aus einem andern Grunde, die Lobrede, welche Agathon der monarchischen Staatsverfassung hielt. Die Beherrscher der Welt scheinen meist sehr gleichgültig über die Meinung zu seyn, welche man von ihrer Regierungsart haben mag. Es gibt Fälle, wir gestehen es, wo dieß eine Ausnahme leidet; aber diese Fälle begegnen selten, wenn man die Vorsichtigkeit gebraucht, hundert und fünfzig tausend wohl bewaffnete Leute bereit zu halten, mit deren Beistand man sehr wahrscheinlich hoffen kann, sich über die Meinung aller friedsamen Leute in der ganzen Welt hinwegsetzen zu können. Sind nicht eben diese hundert und fünfzig tausend ein lebendiger, augenscheinlicher Beweis, der alle andern überflüssig macht, daß eine Nation glücklich ist?Genug also, daß diese Rede, worin Agathon alle Gebrechen verdorbener Freistaaten und alle Vorzüge wohl regierter Monarchien in zwei contrastirende Gemälde zusammen drängte, das Glück hatte, alle Stimmen davonzutragen, alle Zuhörer zu überreden, und dem Redner eine Bewunderung zuzuziehen, welche den Stolz des eitelsten Sophisten hätte sättigen können. Jedermann war von einem Manne bezaubert, welcher so seltne Gaben mit einer so großen Denkungsart und mit so menschenfreundlichen Gesinnungen vereinigte. Denn Agathon hatte nicht die Tyrannei, sondern die Regierung eines Vaters angepriesen, der seine Kinder wohl erzieht und glücklich zu machen sucht. Man sagte sich selbst, was für goldne Tage Sicilien sehen würde, wenn ein solcher Mann das Ruder führte. Er hatte nicht vergessen, im Eingang seiner Rede dem Verdacht zuvorzukommen, als ob er die Republik aus Rachsucht schelte, und die Monarchie aus Schmeichelei und geheimen Absichten erhebe. Er hatte bei dieser Gelegenheit zu erkennen gegeben, daß er entschlossen sey, nach Tarent überzusetzen, und in der ruhigen Dunkelheit des Privatstandes, welchen er, seiner Neigung nach, allen andern vorziehe, dem Nachforschen der Wahrheit und der Verbesserung seines Gemüths obzuliegen. Jedermann tadelte oder bedauerte diese Entschließung, und wünschte, daß Dionysius alles anwenden möchte ihn davon zurück zu bringen.
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Fünftes Capitel.

Dionysius läßt den Agathon Vorschläge thun, und bewilligt die Bedingungen, unter welchen dieser sich entschließt, sein Gehülfe in der Regierung zu werden.

Niemals hatte sich die Neigung des Prinzen mit den Wünschen seines Volks so gleichstimmig befunden, wie diesesmal. Die hohe Meinung, die er von der Person unsers Helden gefasset hatte, war durch diese Rede bis auf den höchsten Grad gestiegen. So wenig Beständiges in dem Charakter dieses Fürsten war, so hatte er doch seine Augenblicke, wo er wünschte, daß es weniger Verläugnung kosten möchte, ein guter Regent zu seyn. Die Beredsamkeit Agathons hatte ihn wie die übrigen Zuhörer mit sich fortgerissen; er fühlte die Schönheit seiner Gemälde, und vergaß darüber, daß eben diese Gemälde eine Art von Satyre auf ihn selbst enthielten. Er setzte sich vor, dasjenige zu erfüllen, was Agathon auf eine stillschweigende Art von seiner Regierung versprochen hatte; und um sich die Pflichten, die ihm dieser Vorsatz auferlegte, möglichst zu erleichtern, wollte er sie durch eben denjenigen ausüben lassen, der so gut davon sprechen konnte. Wo konnte er ein tauglicheres Werkzeug finden den Syrakusern seine Regierung beliebt zu machen? Was einen andern Mann, der so viele angenehme Eigenschaften mit so vielen nützlichen vereinigte?Dionysius, gewohnt alles nur von Einer Seite anzusehen, und alles was er wollte hastig und ungeduldig zu wollen, pflegte zwischen seinen Entschließungen und ihrer Ausführung so wenig Zeit zu setzen als möglich war. Er trug also dem Aristippus auf, seinem Freunde Vorschläge zu thun. Agathon entschuldigte sich mit seiner Abneigung vor dem geschäftigen Leben, und bestimmte sogar den Tag seiner Abreise. Dionysius wurde um so viel dringender; und wiewohl sich unser Held noch immer weigerte, so geschah es doch mit einer so bescheidenen Art, daß man hoffen konnte, er werde sich bewegen lassen. In der That war seine Absicht nur, die Zuneigung eines so wenig zuverlässigen Prinzen zuvor auf die Probe zu stellen, eh' er sich in Verbindungen einlassen wollte, welche für das Glück anderer und für seine eigene Ruhe so gute oder so schlimme Folgen haben konnten.Endlich, da er Ursache zu haben glaubte, die Hochachtung, die ihm Dionysius bezeigte, für etwas mehr als einen launischen Anstoß zu halten, gab er seinem Anhalten nach; aber nicht anders als bis gewisse Bedingungen zwischen ihnen festgesetzt worden waren. Er erklärte sich, daß er bloß in der Eigenschaft seines Freundes an seinem Hofe bleiben wollte, so lange als ihn Dionysius dafür erkennen und seiner Dienste nöthig zu haben glauben würde. Er wollte sich aber auch nicht fesseln lassen, sondern die Freiheit behalten, sich zurück zu ziehen, sobald er sähe daß sein Daseyn zu nichts nütze sey. Die einzige Belohnung, welche er sich befugt halte für seine Dienste zu verlangen, sey diese: daß Dionysius seinen Rathschlägen folgen möchte, so lange er werde zeigen können, daß dadurch das Beste der Nation, und die Sicherheit, der Ruhm und die Privatglückseligkeit des Prinzen zugleich befördert werde. Endlich bat er sich noch aus, daß Dionysius niemals einige heimliche Eingebungen oder Anklagen gegen ihn annehmen möchte, ohne ihm solche offenherzig zu entdecken und seine Verantwortung anzuhören.Der Prinz bedachte sich um so weniger, alle diese Bedingungen zu unterschreiben, da er entschlossen war ihn zu haben, wenn es auch die Hälfte seines Reichs kosten sollte. Agathon bezog also eine Wohnung, welche man im Palast für ihn eingerichtet hatte; und Dionysius erklärte öffentlich, daß man sich in allen Sachen an seinen Freund Agathon, wie an ihn selbst, wenden könne. Auf einmal eiferten nun die Höflinge in die Wette, dem neuen Günstling ihre Unterwürfigkeit zu bezeigen, und Syrakus sah mit froher Erwartung der Wiederkunft der Saturnischen Zeiten entgegen.
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Sechstes Capitel.

Einige Betrachtungen über das Betragen Agathons.

Wir machen hier eine kleine Pause, um dem Leser Zeit zu lassen, dasjenige zu überlegen, was er sich selbst in diesem Augenblick für oder wider unsern Helden zu sagen haben mag.Vielleicht finden einige in dem Eifer, womit er wider die Republiken gesprochen, eine Bitterkeit, welche ihn unbillig genug machte, die Undankbarkeit seiner eigenen Mitbürger an allen andern Freistaaten zu bestrafen. Andere werden vielleicht sein ganzes Betragen an dem Hofe des Königs Dionysius einer gekünstelten Klugheit, welche nicht in seinem Charakter sey und ihm eine schielende Farbe gebe, beschuldigen.Wir haben uns schon mehrmals erklärt, daß wir in diesem Werke die Pflichten eines Geschichtschreibers und nicht eines Lob- und Schulredners übernommen haben. Indessen bleibt uns doch erlaubt, von den Handlungen eines Mannes, dessen Leben wir zwar nicht für ein vollkommenes Muster, aber doch für ein lehrreiches Beispiel geben, eben so frei nach unserm Gesichtspunkte zu urtheilen, als es unsre Leser aus dem ihrigen thun mögen.Wir haben bereits erinnert, daß es unbillig seyn würde, dasjenige, was Agathon wider die Republiken seiner Zeit gesprochen, für eine Beleidigung solcher Freistaaten anzusehen, welche, unter dem Einfluß günstiger Umstände, durch ihre Tage vor auswärtigem Neid und vor ausschweifenden Vergrößerungsgedanken gesichert, durch weise Gesetze, und (was noch mehr ist) durch die Macht der Gewohnheit, in einer glückseligen Mittelmäßigkeit fort erhalten werden, und die Gebrechen kaum dem Namen nach kennen, welche Agathon an den Republiken seiner Zeit für unheilbar ansah. Gibt es (wie wir hoffen und glauben) solche Republiken in unsern Tagen, so können sie sich durch das Böse, was Agathon mit Wahrheit von denen, die er kannte, sagt, nicht beleidigt finden. Im Gegentheil wird ihnen dieser Theil seiner Rede zu einem Spiegel dienen, worin sie ihre eigene Gestalt beschauen, und, wofern sie an derselben keines der Gebrechen entdecken, welche Agathon den Republiken vorwirft, sich mit größtem Recht einem reinen und untadelhaften Wohlgefallen an sich selbst überlassen können.Ueberhaupt hat man Ursache zu glauben, daß Agathon gesprochen habe wie er dachte; und das ist zu Rechtfertigung seiner Redlichkeit genug. Warum sollten wir an dieser zu zweifeln anfangen? Sein ganzes Betragen, während er das Herz des Tyrannen in seinen Händen hatte, bewies, daß er keine Absichten hegte, welche ihn genöthigt hätten ihm gegen seine Ueberzeugung zu schmeicheln. Es ist wahr, er hatte von dem Augenblick an, da er den Fuß in Dionysens Palast setzte, Absichten bei allem was er that. Sollte er vielleicht keine gehabt haben? Wenn seine Absichten edel und wohlthätig waren (und das waren sie wirklich), was können wir, nach der äußersten Schärfe, mehr fordern? Es scheint also nicht, daß man Grund habe, ihm aus der Vorsichtigkeit einen Vorwurf zu machen, womit er, auf der neuen unb schlüpfrigen Bahn die er betreten wollte, alle seine Handlungen einrichten mußte, wenn sie Mittel zu seinen Absichten werden sollten. Wir geben zu, daß eine Art von Zurückhaltung und Feinheit daraus hervorblicke, welche nicht ganz in seinem vorigen Charakter zu seyn scheint. Aber dieß verdient an sich selbst keinen Tadel. Es ist noch auszumachen, ob diese Unveränderlichkeit der Denkungsart und Verhaltungsregeln, worauf manche ehrliche Leute sich so viel zu gut thun, eine so große Vollkommenheit ist als sie sich einbilden. Zwar schmeichelt uns die Eigenliebe sehr gern, daß wir, so wie wir sind, am besten seyen: aber sie hat nicht selten Unrecht uns so zu schmeicheln. Es ist unmöglich, daß, indem sich alles um uns her verändert, wir allein unveränderlich bleiben sollten; und wenn es auch nicht unmöglich wäre, so wäre es oft unschicklich und tadelhaft. Andre Zeiten erfordern andre Sitten, andre Umstände eine andre Bestimmung und Wendung unsers Verhaltens. In moralischen Romanen finden wir freilich Helden, welche sich immer in allem gleich bleiben, —und darum zu loben sind. Denn wie sollte es anders seyn, da sie in ihrem zwanzigsten Jahre Weisheit und Tugend bereits in eben dem Grade der Vollkommenheit besitzen, den ein Sokrates oder Epaminondas, nach vielfachen Verbesserungen ihrer selbst, kaum im sechzigsten erreicht haben? Aber im Leben finden wir's ganz anders. Desto schlimmer für die, welche sich da immer selbst gleich bleiben, anstatt immer besser zu werden! Oder sollten nicht auch die besten Menschen an ihren Begriffen, Urtheilen und Gefühlen, an ihrem Kopf und Herzen, und selbst an dem, was das Vorzüglichste und Schätzbarste an ihnen ist, immer noch viel zu verbessern haben? Und lehrt nicht die Erfahrung, daß wir selten zu einer neuen Entwicklung unsrer selbst, oder zu einer merklichen Verbesserung unsers vorigen innerlichen Zustandes gelangen, ohne durch eine Art von Medium zu gehen, welches eine falsche Farbe auf uns respectirt, und unsre wahre Gestalt eine Zeit lang verdunkelt? — Wir haben unsern Helden bereits in verschiedenen Lagen gesehen; und in jeder, durch den Einfluß der Umstände, ein wenig anders als er wirklich ist. Er schien zu Delphi ein bloßer speculativer Enthusiast; und man hat in der Folge gesehen, daß er sehr gut zu handeln wußte. Wir glaubten, nachdem er die schöne Cyane gedemüthiget hatte, daß ihm die Verführungen der Wollust nichts anhaben könnten; und Danae bewies, daß wir uns betrogen hatten. Aber es wird nicht mehr lange anstehen, so wird eine neue vermeinte Danae. welche seine schwache Seite aufgefunden zu haben glaubte, sich eben so betrogen finden. Agathon schien in verschiednen Zeitpunkten seines Lebens, nach der Reihe ein Platonischer und ein patriotischer Schwärmer, ein Held, ein Stoiker, ein Wollüstling; und er war keines von allen, wiewohl er nach und nach durch alle diese Classen ging, und in jeder etwas von der eignen Farbe derselben bekam. Wir sind noch nicht am Ende seines Laufes; daher kann auch von seinem Charakter, von dem was er wirklich war, worin er sich unter allen diesen Gestalten gleich blieb, und was zuletzt, nachdem alles Fremdartige davon abgeschieden seyn wird, übrig bleiben wird, dermalen die Rede noch nicht seyn.Ohne also so voreilig über ihn zu urtheilen, wie man gewohnt ist im täglichen Leben alle Augenblicke zu thun, wollen wir fortfahren ihn zu beobachten, die wahren Triebräder seiner Handlungen so genau als uns möglich seyn wird zu erforschen, keine geheime Bewegung seines Herzens, welche uns einigen Aufschluß hierüber geben kann, entwischen lassen, und unser Urtheil über das Ganze seines moralischen Wesens so lange zurückhalten, bis — wir es kennen werden.

Zwölftes Buch.

Agathons Staatsverwaltung; seine Fehler gegen alle Hof- und Weltklugheit, und sein Fall.

Erstes Capitel.

Etwas von Haupt- und Staatsactionen. Betragen Agathons am Hofe des Königs Dionysius.

Man tadelt an Shakspeare — demjenigen unter allen Dichtern seit Homer, der die Menschen, vom Könige bis zum Bettler, von Julius Cäsar bis zu Jack Fallstaff, am besten gekannt, und mit einer seltnen Anschauungskraft durch und durch gesehen hat —daß seine Stücke meistens keinen, oder doch nur einen sehr fehlerhaften, unregelmäßigen und schlecht ausgesonnenen Plan haben; daß Komisches und Tragisches darin auf die seltsamste Art durcheinander geworfen ist, und oft eben dieselbe Person, die uns durch die rührende Sprache der Natur Thränen in die Augen gelockt hat, in wenigen Augenblicken darauf, durch irgend einen seltsamen Einfach oder barockischen Ausdruck ihrer Empfindungen, wo nicht zu lachen macht, doch dergestalt abkühlt, daß es schwer wird uns wieder in die gehörige Fassung zu setzen. — Man tadelt dieß, — und denkt nicht daran, daß seine Stücke eben darum desto natürlichere Abbildungen des menschlichen Lebens sind.Der Lebenslauf der meisten Menschen, und (wenn wir es sagen dürfen) der großen Staatskörper selbst, insofern sie als moralische Wesen betrachtet werden, gleicht den Haupt- und Staatsactionen, die ehmals im Besitz der Schaubühne waren, in so vielen Punkten, als man beinahe auf die Gedanken kommen möchte, die Erfinder dieser lettern wären klüger gewesen als man gemeiniglich denkt, und hätten, wofern sie nicht gar die Absicht gehabt das menschliche Leben lächerlich zu machen, wenigstens die Natur eben so getreu nachahmen wollen, als die Griechen sich angelegen seyn ließen sie zu verschönern. Um itzt nichts von der zufälligen Aehnlichkeit zu sagen, daß in jenen Stücken, so wie im Leben, die wichtigsten Rollen sehr oft gerade durch die schlechtesten Schauspieler gespielt werden; was kann ähnlicher seyn, als es beide Arten von Haupt- und Staatsactionen einander in der Anlage, in der Abtheilung und Verbindung der Scenen, im Knoten und in der Entwicklung zu seyn pflegen? Wie selten fragen die Urheber der einen und der andern sich selbst, warum sie dieses oder jenes gerade so und nicht anders gemacht haben! Wie oft überraschen sie uns durch Begebenheiten, zu denen wir nicht im mindesten vorbereitet waren! Wie oft sehen wir Personen kommen und wieder abtreten, ohne daß sich begreifen läßt, warum sie kamen, oder warum sie wieder verschwinden! Wie viel wird in beiden dem Zufall überlassen! Wie oft sehen wir die größten Wirkungen durch die armseligsten Ursachen hervorgebracht! Wie oft das Ernsthafte und Wichtige mit einer leichtsinnigen Art, und das Nichtsbedeutende mit lächerlichem Ernst behandelt! Und, wenn in beiden endlich alles so kläglich verworren und durch einander geschlungen ist, daß man an der Möglichkeit der Entwicklung zu verzweifeln anfängt, wie glücklich sehen wir nicht durch irgend einen unter Blitz und Donner aus papiernen Wolken herabspringenden Gott, oder durch einen frischen Degenhieb, den Knoten auf einmal zwar nicht aufgelöst, aber doch zerschnitten, welches insofern auf Eines hinausläuft, als auf die eine oder andere Art das Stück nun ein Ende hat, und die Zuschauer klatschen, oder zischen können wie sie wollen, oder — dürfen! Was übrigens der edle Hans Wurst in den komischen Tragödien, wovon wir reden, für eine wichtige Rolle zu spielen hatte, wird vielen unserer Leser noch in frischem Andenken liegen. Wie viel Mühe hat es nicht gekostet, diesen Lieblingscharakter der Oberdeutschen Provinzen von der Schaubühne zu verdrängen! — Und gleichwohl —möchte er immer auf der Schaubühne bleiben, insofern er nirgends als dort geduldet würde! Aber wie manche große Aufzüge auf dem Schauplatze der Welt hat man nicht in allen Zeiten mit Hans Wurst — oder, welches noch ein wenig ärger ist, durch Hans Wurst —aufführen gesehen! Wie oft haben große Männer, geboren, die schützenden Engel eines Throns, die Wohlthäter ganzer Völker und Zeitalter zu seyn, alle ihre Weisheit und Tapferkeit durch einen kleinen schnakischen Streich von solchen Leuten vereitelt sehen müssen, welche, ohne eben das rothe Wamms und die gelben Kosen ihres Urbildes zu tragen, durch ihre ganze Aufführung bewiesen, daß sie ihm in den wesentlichen Zügen seines Charakters desto ähnlicher waren! waren! Wie oft entsteht in beiden Arten der Tragikomödien die Verwicklung selbst lediglich daher, daß Hans Wurst durch irgend ein dummes oder schelmisches Stückchen von seiner Arbeit den klugen Leuten, ehe sie sich dessen versehen können, ihr Spiel verderbt!Wir wollen die Vergleichung nicht weiter treiben: aber wenn sie, wie es scheint, ihren guten Grund hat, so mögen wir wohl den weisen und rechtschaffenen Mann bedauern, den sein Schicksal dazu verurtheilt hat, unter einem schlimmen, oder — was noch ärger ist — unter einem schwachen Fürsten, in die Verwaltung der öffentlichen Angelegenheiten verwickelt zu seyn! Was wird es ihm helfen, mit Einsichten und Muth nach den besten Grundsätzen und nach dem richtigsten Plan zu handeln, wenn das verächtlichste Ungeziefer, wenn ein Sklave, ein Kuppler, eine Bacchidion, wenn der erste beste Parasit, dessen ganzes Verdienst in Geschmeidigkeit, Verstellung und Schalkheit besteht, es in seiner Gewalt hat, die Maßregeln des Biedermannes zu verrücken, aufzuhalten, oder gar zu hintertreiben?Bei allem dem bleibt ihm, wenn er sich einmal an ein so gefahrvolles Abenteuer gewagt hat, kein andres Mittel übrig, sich selbst zu beruhigen, und sein Betragen vor dem unparteiischen Gericht der Weisen und der Nachwelt rechtfertigen zu können, als —daß er sich, eh' er die Hand ans Werk legt, einen regelmäßigen Plan seines ganzen Verhaltens entwerfe. Wenn gleich alle Weisheit eines solchen Entwurfs ihm für den Ausgang nicht Gewähr leisten kann, so bleibt ihm doch der tröstende Gedanke: alles gethan zu haben, was ihn, ohne die Zufälle, die er entweder nicht vorhersehen oder nicht hintertreiben konnte, des glücklichen Erfolgs versichern mußte.Dieß war nun die erste Sorge unsers Helden, nachdem er sich anheischig gemacht hatte, die Person eines Rathgebers und Vertrauten bei dem Könige Dionysius zu spielen. Er sah die Schwierigkeiten, einen Plan zu machen, der ihm durch den Labyrinth des Hofes und des öffentlichen Lebens zum Leitfaden dienen könnte: aber er glaubte, daß der mangelhafteste Plan besser sey als keiner. Und in der That war ihm die Gewohnheit, seine Ideen, worüber es auch seyn möchte, in ein System zu bringen, so natürlich geworden, daß sie sich, so zu sagen, von sich selbst in einen Plan ordneten, welcher vielleicht keinen andern Fehler hatte, als daß Agathon noch nicht so übel von den Menschen denken konnte, wie es diejenigen verdienten, mit denen er zu thun hatte. Und doch dachte er bei weitem nicht mehr so erhaben von der menschlichen Natur als ehmals; oder, richtiger zu reden, er hatte den unendlichen Unterschied des metaphysischen Menschen, den man sich in speculativer Einsamkeit denkt oder träumt, von dem natürlichen Menschen, in der rohen Einfalt und Unschuld, wie er aus den Händen der allgemeinen Mutter der Wesen hervorgeht, — und beider von dem erkünstelten Menschen, wie ihn Gesellschaft, Gesetze, Meinungen, Gebräuche und Sitten, Bedürfnisse, Abhänglichkeit, ewiger Streit seiner Begierden mit seinem Unvermögen, seines Privatvortheils mit den Privatvortheilen der übrigen, und die daher entspringende Nothwendigkeit der Verstellung und immerwährenden Verlarvung seiner wahren Absichten, mit tausend andern physischen und sittlichen Ursachen, die immer merklich oder unmerklich auf ihn wirken, — verfälscht, gedrückt, verzerrt, verschroben, und in unzählige unnatürliche und betrügliche Gestalten umgeformt oder verkleidet haben, — er hatte, sage ich, diesen Unterschied der Menschen um uns her, von dem was der Mensch an sich ist und seyn soll, bereits zu gut kennen gelernt, um seinen Plan auf Platonische Ideen zu gründen. Er war nicht mehr der jugendliche Enthusiast, der sich einbildete, daß es ihm eben so leicht seyn werde, ein großes Vorhaben auszuführen, als es zu fassen. Die Athener hatten ihn auf immer von dem Vorurtheile geheilt, daß die Tugend nur ihre eigene Stärke gebrauche, um über ihre Gegner obzusiegen. Er hatte gelernt, wie wenig man von andern erwarten, wie wenig man auf ihre Mitwirkung Rechnung machen, und (was das wichtigste für ihn war) wie wenig man sich auf sich selbst verlassen darf. Er hatte gelernt, wie viel man oft den Umständen nachgeben muß; daß der vollkommenste Entwurf an sich selbst oft der schlechteste unter den gegebenen Umständen ist —daß sich das Böse nicht auf einmal gut machen läßt —daß in der moralischen Welt, wie in der materialen, nichts in gerader Linie sich fortbewegt, und man also selten anders als durch viele Krümmen und Wendungen zu einem guten Zweck gelangen kann —kurz, daß das Leben einer Schifffahrt gleicht, wo der Steuermann sich gefallen lassen muß, seinen Lauf nach Wind und Weiter einzurichten; wo er keinen Augenblick sicher ist, nicht durch widrige Ströme aufgehalten oder seitwärts getrieben zu werden; und wo alles darauf ankommt, mitten unter tausend unfreiwilligen Abweichungen von seiner vorgesetzten Richtung, endlich dennoch, sobald und wohlbehalten als möglich, an dem vorgesetzten Ort anzulangen.Diesen allgemeinen Grundsätzen zufolge, bestimmte er, bei allem was er unternahm, den Grad des Guten, welches er sich zu erreichen vorsetzte, nach dem Zusammenhang aller Umstände, worin er die Sachen antraf; und sein Verhalten gegen die Personen, mit welchen er dabei zu thun hatte, ohne andre Rücksichten, lediglich nach dem Maße, wie er urtheilte daß sie seinem Hauptzweck hinderlich oder förderlich seyn würden.Er konnte, seitdem er den Dionysius näher kannte, nicht daran denken, ein Muster eines guten Fürsten aus ihm zu machen. Aber er hoffte doch, nicht ohne Grund, seinen Lastern ihr schädlicheres Gift benehmen, und seiner guten Neigungen, oder vielmehr seiner guten Launen, seiner Leidenschaften und Schwachheiten selbst, sich zum Vortheil des gemeinen Besten bedienen zu können. Diese Meinung von seinem Prinzen war in der That so bescheiden, daß er sie, ohne alle Hoffnung zu Erreichung seiner Entwürfe aufzugeben, nicht tiefer herabstimmen konnte. Gleichwohl zeigte sich in der Folge, daß er noch zu günstig von ihm gedacht hatte. Dionysius besaß in der That Eigenschaften, welche viel Gutes versprachen: aber unglücklicher Weise hatte er für jede derselben eine andere, die alles wieder vernichtete, was jene zusagte; und wenn man ihn lange genug in der Nähe betrachtet hatte, so fand sich's, daß seine vermeinten Tugenden in der That nichts anders als —seine Laster waren, welche, von einer gewissen Seite betrachtet, die Farbe irgend einer Tugend annahmen. Dem ungeachtet ließ sich Agathon durch diese guten Anscheinungen so verblenden, daß er die Unverbesserlichkeit eines Charakters dieser Art (und also den Urgrund aller seiner Hoffnungen) nicht eher einsah, als da ihm die Entdeckung zu nichts mehr nützen konnte.Die größte Schwachheit des Prinzen (seiner Meinung nach) war sein Hang zur Gemächlichkeit und Wollust. Agathon hoffte jenem dadurch zu begegnen, daß er ihm die Geschäfte so leicht und so angenehm zu machen suchte als möglich war; diesem, wenn er ihn wenigstens von den wilden Ausschweifungen, zu welchen er sich bisher hatte hinreißen lassen, abgewohnte. Unsre Vergnügungen werden desto feiner, edler und sittlicher, je mehr die Musen Antheil daran haben. Aus diesem nie genug zu empfehlenden Grundsatze bemühte er sich, dem Dionysius mehr Geschmack an den schönen Künsten beizubringen, als er bisher daran gehabt hatte. In kurzem wurden seine Paläste, Landhäuser und Gärten mit den Meisterstücken der Maler und Bildhauer Griechenlandes angefüllt. Agathon zog die berühmtesten Virtuosen in allen Gattungen nach Syrakus; er führte ein prächtiges Odeon auf, nach dem Muster dessen, worauf Perikles den öffentlichen Schatz der Griechen verwendet hatte; und Dionysius fand so viel Vergnügen an den verschiedenen Arten von Schauspielen, womit er, unter der Aufsicht seines Günstlings, fast täglich auf diesem Theater belustiget wurde, daß er (seiner Gewohnheit nach) eine Zeit lang allen Geschmack an schlechten Ergötzlichkeiten verloren zu haben schien. Indessen war doch eine andre Leidenschaft übrig, deren Herrschaft über ihn allein hinlänglich war, alle guten Absichten seines neuen Freundes zu hintertreiben.Gegenwärtig befand sich die Tänzerin Bacchidion im Besitz derselben; aber es fiel bereits in die Augen, daß die unmäßige Liebe, welche sie ihm beigebracht, schon viel von ihrer ersten Heftigkeit verloren hatte. Es würde vielleicht nicht schwer gehalten haben, die Wirkung seiner natürlichen Unbeständigkeit um etliche Wochen zu beschleunigen. Aber Agathon hatte erhebliche Bedenklichkeiten, die ihn davon abhielten. Die Gemahlin des Prinzen war unglücklicher Weise in keinerlei Betrachtung geschickt, einen Versuch, ihn in die Gränzen der ehelichen Liebe einzuschränken, zu unterstützen. Dionysius konnte nicht ohne einen Liebeshandel leben; und die Gewalt, welche seine Beischläferinnen über sein Herz erhielten, machte seine Unbeständigkeit gefährlich. Bacchidion war eines von diesen gutartigen fröhlichen Geschöpfen, in deren Phantasie alles rosenfarb ist; die keine andere Sorge in der Welt haben, als ihr Daseyn von einem Augenblick zum andern wegzuscherzen, ohne sich jemals einen Gedanken von Ehrgeiz und Habsucht, oder einigen Kummer über die Zukunft anfechten zu lassen. Sie liebte das Vergnügen über alles. Immer aufgelegt es zu geben und zu nehmen, schien es unter ihren Tritten aufzusprossen; es lachte aus ihren Augen, und athmete aus ihren Lippen. Ohne daran zu denken, sich durch die Leidenschaft des Prinzen wichtig zu machen, hatte sie (aus einer Art von mechanischem Wohlgefallen an vergnügten Gesichtern) ihre Gewalt über ihn schon öfters dazu angewandt, Personen, die es verdienten, oder auch nicht verdienten (denn darüber ließ sie sich in keine Untersuchung ein), Gutes zu thun.Agathon besorgte, ihre Stelle könnte leicht mit einer andern besetzt werden, die einen schlimmern Gebrauch von ihren Reizungen machen würde. Er hielt es also seiner nicht unwürdig, mit guter Art, und ohne daß es schien als ob er eine besondere Aufmerksamkeit auf sie habe, die Neigung des Prinzen zu ihr mehr zu unterhalten als zu bekämpfen. Er verschaffte ihr Gelegenheit, ihre belustigenden Talente in einer Mannichfaltigkeit zu entfalten, welche ihr immer die Reizungen der Neuheit gab. Er wußte es zu veranstalten, daß Dionysius durch öftere kleine Entfernungen verhindert wurde, sich zu bald an dem Vergnügen zu ersättigen, welches er in ihrer Unterhaltung fand. Er ging endlich gar so weit, daß er bei Gelegenheit eines Gesprächs, wo die Rede von den allzu strengen Grundsätzen des Plato über diesen Artikel war, sich kein Bedenken machte, zu sagen: daß es unbillig sey, einen Prinzen, welcher sich die Erfüllung seiner großen und wesentlichen Pflichten mit gehörigem Ernst angelegen seyn lasse, in seinen Privatergötzungen noch enger als in die Gränzen einer anständigen Mäßigung einschränken zu wollen. Alles, was ihm hierüber (wiewohl in allgemeinen Ausdrücken) entfiel, schien die Bedeutung einer stillschweigenden Einwilligung in die Schwachheit des Prinzen für die schöne Bacchidion zu haben; und in der That war dieses sein Gedanke.Wir zweifeln sehr, ob die gute Absicht, die er dabei hatte, jemals hinlänglich seyn könne, eine so gefährliche Aeußerung zu rechtfertigen. So viel ist gewiß, daß Dionysius, der bisher aus einer gewissen Scham vor der Tugend unsers Helden sich bemüht hatte, seine schwache Seite vor ihm zu verbergen, von dieser Stunde an weniger zurückhaltend wurde, und aus dem vielleicht unrichtigen, aber sehr gemeinen Vorurtheil, daß die Tugend eine erklärte Feindin aller Götter der Freude seyn müsse, einen Argwohn gegen unsern Helden faßte, wodurch er um einige Stufen herab, und mit ihm selbst und den übrigen Erdenbewohnern in die nämliche Linie gesetzt wurde. Ein Argwohn, der zwar durch die sich selbst immer gleiche Aufführung Agathons wieder zum Schweigen gebracht, aber doch nicht so gänzlich unterdrückt wurde, daß dessen geheimer Einfluß den nachmaligen Beschuldigungen der Feinde Agathons den Zugang in das Gemüth eines Prinzen nicht erleichtert hätte, welcher ohnehin so geneigt war, die Tugend entweder für Schwärmerei oder für Verstellung zu halten.Indessen gewann Agathon durch seine Nachsicht gegen die Lieblingsfehler des Prinzen doch so viel, daß er sich desto leichter bewegen ließ, an den Geschäften der Regierung mehr Antheil zu nehmen als er gewohnt war; und dieß war es ohne Zweifel, was unser Held für eine hinlängliche Vergütung des Tadels ansah, den er sich durch seine Gefälligkeit bei gewissen Personen von strengen Grundsätzen zuzog, welche, in der weiten Entfernung von der großen Welt, worin sie leben, gute Muße haben an andern zu verdammen, was sie an derselben Platz vielleicht noch schlechter gemacht haben würden.
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Zweites Capitel.

Geheime Nachrichten von Philistus. Agathon zieht sich die Feindschaft des Timokrates durch eine Handlung zu, wodurch er sich um Dionysius und um ganz Sicilien verdient macht.

Außer der schönen Bacchidion war Philistus, durch die Gnade, worin er bei Dionysen stand, die beträchtlichste Person unter allen denjenigen, mit denen Agathon in seiner neuen Stelle in Verhältniß war. Dieser Mann spielt in diesem Theil unsrer Geschichte eine Rolle, welche begierig machen kann, ihn genauer kennen zu lernen. Ueberdem ist es eine von den ersten Pflichten der Geschichte, den verfälschenden Glanz zu zerstreuen, welchen das Glück und die Gunst der Großen sehr oft über nichtswürdige Geschöpfe ausbreiten, und der Nachwelt zu zeigen, daß zum Beispiele dieser Pallas, welchen so viele Decrete des Römischen Senats, so viele Statuen und öffentliche Ehrenmäler ihr als einen Wohlthäter des menschlichen Geschlechts, als einen Halbgott, ankündigten, nichts Besseres noch Größeres als ein schamloser lasterhafter Sklave war. Wenn Philistus in Vergleichung mit einem Pallas oder Tigellinus nur ein Zwerg gegen einen Riesen scheint: so kommt es in der That allein von dem unermeßlichen Unterschied zwischen der Römischen Monarchie im Zeitpunkt ihrer äußersten Höhe, und dem kleinen Staat, worin Dionysius zu gebieten hatte, her. Eben dieser Teufel, der, seiner schlimmen Laune Luft zu machen, eine Heerde Schweine ersäufte, würde mit ungleich größerm Vergnügen den ganzen Erdboden unter Wasser gesetzt haben, wenn es ihm erlaubt gewesen wäre; und Philistus würde herzlich gern Pallas gewesen seyn, wenn er das Glück gehabt hätte, in den Vorzimmern des Claudius aufzuwachsen. Die Proben, die er in seinem kleinen Kreise von dem, was er in einem größern gethan hätte, ablegte, lassen uns nicht daran zweifeln.Ein geborner Sklave, und in verfolge einer von den Freigelassenen des alten Dionysius, hatte dieser Philistus sich schon damals unter seinen Cameraden durch den schlauesten Kopf und die geschmeidigste Gemüthsart ausgezeichnet, ohne daß es ihm jedoch einigen besondern Vorzug bei seinem Herrn verschafft hätte. Er grämte sich billig über diese, wiewohl nicht ungewöhnliche Laune des Glücks; aber er wußte sich zu helfen. Glücklichere Vorgänger hatten ihm den Weg gezeigt, wie man sich ohne Mühe und ohne Verdienste zu der hohen Stufe emporschwingen kann, nach welcher ihm eine Art von Ehrgeiz, die sich in gewissen Seelen mit der verächtlichsten Niederträchtigkeit verträgt, ein ungezähmtes Verlangen gab. Wir haben schon bemerkt, daß der jüngere Dionysius von seinem Vater ungewöhnlich hart gehalten wurde. Philistus war der einzige, der den Verstand hatte, zu sehen, wie viel Vortheil sich aus diesem Umstande ziehen lasse. Er fand Mittel, die Nächte des jungen Prinzen angenehmer zu machen als seine Tage waren. Brauchte es mehr, um von einem jungen Menschen ohne Erziehung und Grundsätze als ein Wohlthäter angesehen zu werden, dessen gute Dienste er niemals genug werde belohnen können? Philistus ließ es nicht dabei bewenden. Er kam auf den Einfall, zu gleicher Zeit und durch einen einzigen kleinen Handgriff, sich dieser Belohnung würdiger und desto eher theilhaft zu machen. Eine bösartige Kolik, wozu er das Recept hatte, beschleunigte das Ende des alten Tyrannen. Philistus war der erste, der seinem jungen Gebieter die freudige Nachricht brachte, und nun sah er sich auf einmal in dem geheimsten Vertrauen eines Königs, und in kurzem am Ruder des Staats.Diese wenigen Anekdoten sind zureichend, uns einen so sichern Begriff von dem sittlichen Charakter dieses würdigen Ministers zu geben, daß er nunmehr das Aergste, dessen ein Mensch fähig ist, begehen könnte, ohne daß wir uns darüber verwundern würden. Aber was für ein Physiognomik müßte der gewesen seyn, der diese Anekdoten in seinen Augen hätte lesen können? Es ist wahr, Agathon dachte gleich anfangs nicht allzu vortheilhaft von ihm. Aber wie hatte er, ohne besondere Nachrichten zu haben, oder selbst ein Philistus zu seyn, sich vorstellen sollen, daß Philistus das seyn könnte was er war? Wenige kannten die inwendige Seite dieses Mannes; aber auch diese wenigen waren zu gute Höflinge, um ihren bisherigen Gönner eher zu verrathen, bis sein Sturz gewiß war, und sie wissen konnten was sie dadurch gewinnen würden. Aristipp, für den sein wahrer Charakter gleichfalls kein Geheimniß war, hatte sich vorgesetzt, einen bloßen Zuschauer abzugeben. Agathon konnte also desto leichter hintergangen werden, weil Philistus alle seine Kräfte und alle seine Verstellungskunst anstrengte, sich bei ihm in Achtung zu setzen. Denn da er, zu seinem großen Mißvergnügen, mit aller Menschenkenntniß, die er (nach einem gewöhnlichen, wiewohl sehr betrüglichen Vorurtheil der Hofleute) zu besitzen glaubte, die schwache Seite unsers Helden nicht ausfindig machen konnte: so blieb ihm kein andrer Weg übrig, als durch eine große Arbeitsamkeit und Pünktlichkeit in Geschäften sich bei dem neuen Günstling in das Ansehen eines brauchbaren —und durch Tugenden, die er eben so leicht, als man eine Masse anzieht, anzunehmen wußte, sich endlich sogar in das Ansehen eines ehrlichen Mannes zu setzen.Da zu diesen Eigenschaften, welche Agathon in ihm zu finden glaubte, noch die Achtung, welche Dionysius für ihn trug, und die Betrachtung hinzu kam, daß es für den Staat weniger sicher sey, einen ehrgeizigen Minister abzudanken, als ihn mit scheinbarer Beibehaltung seines Ansehens in engere Schranken zu setzen; so geschah es, daß sich diejenigen in ihrer Meinung betrogen fanden, welche den Fall des Philistus für eine unfehlbare Folge der Erhebung Agathons gehalten hatten. Sein Ansehen schien vielmehr zuzunehmen, indem er zum Vorsteher der verschiednen Tribunale ernannt wurde, unter welche Agathon diejenige Gewalt vertheilte, welche vormals von den Vertrauten des Prinzen willkürlich ausgeübt worden war. In der That aber wurde er dadurch beinahe in die Unmöglichkeit gesetzt, Böses zu thun, wofern ihn etwan eine Versuchung dazu ankommen sollte; da er der allen seinen Handlungen von so vielen Augen beobachtet wurde, von allem Rechenschaft geben mußte, und nichts ohne die Einstimmung des Prinzen, oder (welches eine Zeitlang einerlei war) seines Repräsentanten, unternehmen konnte.Wir hatten ohne Zweifel viel Schönes von der Staatsverwaltung Agathons sagen können, wenn wir uns in eine ausführliche Erzählung aller der nützlichen Ordnungen und Einrichtungen ausbreiten wollten, welche er in Absicht der Staatsökonomie, der Einziehung und Verwaltung der öffentlichen Einkünfte, der Polizei, des Handlungswesens, und (welches in seinen Augen das Wesentlichste war) der öffentlichen Sitten und der Bildung der Jugend, theils wirklich zu machen anfing, theils gemacht haben würde, wenn man ihm Zeit dazu gelassen hätte. Allein alles dieses gehört nicht zu dem Plan des gegenwärtigen Werkes; und es wäre in der That nicht abzusehen, wozu eine solche Ausführung in einer Zeit nützen sollte, worin die Kunst zu regieren einen Schwung genommen zu haben scheint, der die Maßregeln und das Beispiel unsers Helden eben so unnütz macht, als die Projecte des ehrlichen Abts von Saint-Pierre. Die Art, wie sich Agathon ehmals seines Ansehens und Vermögens zu Athen bediente, kann unsern Lesern einen hinlänglichen Begriff davon geben, wie er sich einer beinahe unumschränkten Macht und eines königlichen Vermögens bedient haben werde.Nur Einen Umstand können wir nicht vorbeigehen, weil er einen merklichen Einfluß in die folgenden Begebenheiten unsers Helden hatte. Dionysius befand sich, als Agathon an seinen Hof kam, in einen Krieg mit den Carthagern verwickelt, welche, durch verschiedene kleine Republiken des südlichen und westlichen Theils von Sicilien unterstützt, unter dem Schein sie gegen die Uebermacht von Syrakus zu schützen, sich der innerlichen Zwietracht der Sicilier als einer guten Gelegenheit bedienen wollten, diese für ihre Handlungsabsichten vortheilhaft gelegene Insel endlich in ihre eigene Gewalt zu bringen. Einige von diesen kleinen Republiken wurden von sogenannten Tyrannen beherrscht; und diese hatten sich bereits in die Arme der Republik Carthago geworfen. Die andern hatten sich bisher noch in einer Art von Freiheit erhalten, und schwankten, zwischen der Furcht von Dionysen überwältiget zu werden und dem Mißtrauen in die Absichten ihrer anmaßlichen Beschützer, in einer Wage, die alle Augenblicke auf die Seite der letztern überzuziehen drohte. Timokrates, welchem Dionysius die oberste Befehlshaberstelle in diesem Kriege anvertraute, hatte sich bereits durch einige Vortheile über die Feinde den öfters wohlfeilen Ruhm eines guten Generals erworben. Aber, mehr darauf bedacht bei dieser Gelegenheit Lorbern und Reichthümer zu sammeln, als das wahre Interesse seines Fürsten zu besorgen, hatte er das Feuer der innerlichen Unruhen Siciliens vielmehr ausgebreitet als gedämpft, und durch seine Aufführung sich bei denen, die noch keine Partei genommen, so verhaßt gemacht, daß sie im Begriff waren sich für Carthago zu erklären.Agathon schmeichelte sich, seine Beredsamkeit würde dem Dionysius in diesen Umständen größere Dienste thun können, als die ganze, wiewohl nicht verächtliche Land- und Seemacht, welche Timokrates unter seinen Befehlen hatte. Er hielt es für besser, Sicilien zu beruhigen als zu erobern; besser, es zu einer Art von freiwilliger Uebergabe an Syrakus zu bewegen, als es den Gefahren und verderblichen Folgen eines Kriegs ausgesetzt zu lassen, der (wenn er auch am glücklichsten für den Dionysius ausfiele) ihm doch nichts mehr verschaffen würde, als den zweideutigen Vortheil, seine Unterthanen um eine Anzahl gezwungener und mißvergnügter Leute vermehrt zu haben, auf deren guten Willen man keinen Augenblick zählen dürfte.Dionysius konnte den Gründen, womit Agathon sein Vorhaben und die Hoffnung des gewünschten Ausgangs unterstützte, seinen Beifall nicht versagen. Ueberhaupt galt es ihm gleich, durch was für Mittel er zum ruhigen Besitz der höchsten Gewalt in Sicilien gelangen könnte, wenn er nur dazu gelangte, und eben darum, weil er klein genug war, sich auf die wenig entscheidenden Siege seines Feldherrn so viel einzubilden, als ob er sie selbst erhalten hätte; so war er auch feigherzig genug, sich zu dem unrühmlichsten Frieden geneigt zu fühlen, sobald er mit einiger Aufmerksamkeit an die Unbeständigkeit des Kriegsglücks dachte. Die edlern Beweggründe unsers Helden fanden also leicht Eingang bei ihm; oder, richtiger zu reden, Agathon schrieb die Bereitwilligkeit des Prinzen dem Eindruck seiner eignen Vorstellungen zu, ohne wahrzunehmen, daß der wahre Grund davon in Dionysens niederträchtiger Gemüthsart lag.Er begab sich also ingeheim (denn es war ihm daran gelegen, daß Timokrates von seinem Vorhaben keinen Wink bekäme) in diejenigen Städte, welche im Begriff standen die Partei von Carthago zu verstärken. Es gelang ihm, die widrigen Vorurtheile zu zernichten, womit er alle Gemüther gegen die gefürchtete Tyrannei Dionysens eingenommen fand. Er überzeugte sie so vollkommen, daß das Interesse eines jeden besondern Theils von dem gemeinen Besten des ganzen Sicilien unzertrennlich sey, und machte ihnen ein so schönes Gemälde von dem glücklichen Zustande dieser Insel, wenn alle ihre Theile durch die Bande des Vertrauens und der Freundschaft sich mit Syrakus, als dem gemeinschaftlichen Mittelpunkte, vereinigen würden, daß er mehr erhielt als er gehofft hatte, und sogar mehr als er verlangte. Er wollte nur Bundesgenossen, und es fehlte wenig, so würden sie, in einem Anstoß von überfließender Zuneigung zu ihm, sich ohne Bedingung zu Unterthanen eines Prinzen ergeben haben, von dessen erstem Minister sie so sehr bezaubert waren.Die Veränderung, welche hierdurch in den öffentlichen Angelegenheiten gemacht wurde, brachte den Krieg so schnell zu Ende, daß Timokrates keine Gelegenheit bekam, durch ein entscheidendes Treffen (es möchte allenfalls gewonnen oder verloren worden seyn) Ehre einzulegen. Man kann sich vorstellen, ob Agathon sich dadurch die Freundschaft dieses Mannes, den sein großes Vermögen und die Verschwägerung mit dem Prinzen zu einer wichtigen Person machte, erworben habe; und mit welchen Augen Timokrates die frohlockenden Regungen der Nation, welche unsern Helden nach Syrakus zurück begleiteten, die Merkmale der Hochachtung, womit er von dem Prinzen empfangen wurde, und das außerordentliche Ansehen, worin er sich durch diese friedsame Eroberung befestigte, angeschielt haben werde. Genöthigt, seinen Unwillen und seinen Haß gegen einen so siegreichen Nebenbuhler in sich selbst zu verschließen, lauerte er nur desto ungeduldiger auf Gelegenheiten, ingeheim am Untergange desselben zu arbeiten. Und wie hätte es ihm an einem Hofe, und an dem Hofe eines solchen Fürsten, an Gelegenheiten dazu fehlen können?"
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Drittes Capitel.

Beispiele, daß nicht alles was gleißt Gold ist.

Wenn Agathon während einer Staatsverwaltung, welche nicht ganz zwei Jahre dauerte, das vollkommenste Vertrauen seines Prinzen und die allgemeine Liebe der Nation, welche er regierte, gewann, und wenn er sich dadurch auf die hohe Stufe des Ansehens und der scheinbaren Glückseligkeit empor schwang, welche unverdienter Weise der Gegenstand der Bewunderung aller kleinen, und des Neides aller zugleich boshaften Seelen zu seyn pflegt: so müssen wir gestehen, daß diese launische unerklärbare Macht, die man Glück oder Zufall nennt, den wenigsten Antheil daran hatte. Die Verdienste, die er sich in so kurzer Zeit um den Prinzen und die Nation machte, die Beruhigung Siciliens, das befestigte Ansehen von Syrakus, die Verschönerung dieser Hauptstadt, die Verbesserung ihrer Polizei, die Belebung der Künste und Gewerbe, und die allgemeine Zuneigung, welche er einer vormals verabscheueten Regierung zuwandte: alle diese Erfolge legten ein unverwerfliches Zeugniß für die Weisheit seiner Staatsverwaltung ab. Und da so viele und so wichtige Verdienste durch die Uneigennützigkeit und Regelmäßigkeit seines Betragens in ein Licht gestellt wurden, welches keine Mißdeutung zuzulassen schien, so blieb seinen inen heimlichen Feinden, ohne die ungewisse Hülfe irgend eines Zufalls, von dem sie selbst noch keine Vorstellung hatten, wenig Hoffnung übrig, ihn so bald wieder zu stürzen, als sie es für ihre Absichten wünschen mußten.Aber wie konnte ein Mann, der sich so untadelig betrug und um jedermann Gutes verdiente, Feinde haben? So werden diejenigen vielleicht denken, welche bei Gelegenheit zu vergessen scheinen, daß der weise Mann nothwendig alle Thoren, und der rechtschaffene, unvermeidlicher Weise, alle die es nicht sind, entweder zu öffentlichen, oder doch gewiß zu immerwährenden heimlichen Feinden haben muß. Eine Wahrheit, welche in der Natur der Sachen so gegründet und durch eine nie unterbrochene Erfahrung so bestätiget ist, daß wir mit besserem Grunde fragen könnten: wie sollte ein Mann, der sich so wohl betrug, keine Feinde gehabt haben? Es konnte nicht anders seyn, als daß derjenige, dessen beständige Bemühung dahin ging, seinen Prinzen tugendhaft, oder doch wenigstens seine Laster unschädlich zu machen, sich den herzlichen Haß dieser Höflinge zuziehen mußte, welche (wie Montesquieu allzu streng von allen Hofleuten behauptet) nichts so sehr fürchten als die Tugend des Fürsten, und keinen zuverlässigern Grund ihrer Hoffnungen kennen, als seine Schwachheiten. Wie hätten sie den Agathon nicht für denjenigen ansehen sollen, der allen ihren Absichten und Entwürfen im Wege stand? Er verlangte, zum Beispiele, daß man vorher Verdienste haben müsse, ehe man an Belohnungen Anspruch machen könne: sie hingegen wußten einen kürzern und gemächlichern Weg; einen Weg, auf welchem zu allen Zeiten (die Regierungen der Antonine ausgenommen) die nichtswürdigsten Leute an Höfen ihr Glück gemacht haben, — kriechende Schmeichelei, blinde Gefälligkeit gegen die Leidenschaften der Fürsten und ihre Günstlinge, Gefühllosigkeit gegen alle Regungen des Gewissens und der Menschlichkeit, Taubheit gegen die Stimme aller Pflichten, unerschrockene Unverschämtheit sich selbst Talente und Verdienste beizulegen, die man nie gehabt hat, fertige Bereitwilligkeit jedes Bubenstück zu begehen, welches eine Stufe zu unsrer Erhebung werden kann; —und diesen Weg hatte ihnen Agathon auf einmal versperrt. Sie sahen, so lange dieser Mann den Platz eines Günstlings bei Dionysen behaupten würde, keine Möglichkeit, wie Leute von ihrer Art sollten gedeihen können. Sie haßten ihn also; und wir können versichert seyn, daß in den Herzen aller dieser Höflinge eine Art von Zusammenverschwörung gegen ihn brütete, ohne daß es dazu einiger geheimen Verabredung bedurfte.Allein von allem diesem wurde noch nichts sichtbar. Die Maske, welche sie vorzunehmen für gut fanden, sah einem natürlichen Gesichte so ähnlich, daß Agathon selbst dadurch betrogen wurde, und sich gegen die Philiste und Timokrate und ihre Creaturen eben so bezeigte, als ob die Hochachtung, welche sie ihm bewiesen, und der Beifall, den sie allen seinen Maßnehmungen gaben, aufrichtig gewesen wäre. Diese wackern Männer hatten einen gedoppelten Vortheil über ihn. Er, weil er sich nichts Böses zu ihnen versah, dachte nicht daran sie scharf zu beobachten: sie, weil sie sich ihrer eigenen Bosheit bewußt waren, suchten desto vorsichtiger ihre wahren Gesinnungen in eine undurchdringliche Verstellung einzuhüllen. Versichert daß ein Mensch nothwendig eine schwache Seite haben müsse, gaben sie sich alle mögliche Mühe die seinige zu finden, und stellten ihn, ohne daß er einen Verdacht deßwegen auf sie werfen konnte, auf alle möglichen Proben. Da sie ihn aber gegen Versuchungen, denen sie selbst zu unterliegen pflegten, gleichgültig oder gewaffnet fanden, so blieb ihnen, bis auf irgend eine günstige Gelegenheit, nichts übrig, als ihn durch den zauberischen Dunst einer subtilen Schmeichelei einzuschläfern, welche er desto leichter für Freundschaft halten konnte, da sie alle Anscheinungen derselben hatte. Und wie natürlich mußte es ihm seyn, in einem Lande, worin er sich um alle verdient machte, einen jeden für seinen Freund zu halten! Diese Absicht gelang ihnen, und man muß gestehen, daß sie dadurch schon ein Großes über ihn gewonnen hatten.Uebrigens können wir nicht umhin (es mag nun unserm Helden nachtheilig seyn oder nicht) zu gestehen, daß zu einer Zeit, da sein Ansehen den höchsten Gipfel erreicht hatte; da Dionysius ihn mit Beweisen einer unbegränzten Gunst überhäufte; da er von dem ganzen Sicilien für seinen Schutzgott angesehen wurde, und das seltne Glück zu genießen schien, lauter Bewunderer und Freunde und keinen Feind zu haben; daß in einem so blendenden Glückstande — die Damen zu Syrakus die einzigen Personen waren, welche ziemlich deutlich merken ließen, daß sie nicht sehr günstig von ihm dachten.Die Damen zu Syrakus hatten so gut Augen wie die zu Smyrna — und Herzen dazu; oder, in Ermanglung der letztern, wenigstens etwas, dessen Bewegungen gewöhnlich mit den Bewegungen des Herzens verwechselt werden. Ja diejenigen, welche auch dessen ermangelten (wenn es anders solche gab), hatten doch Eitelkeit, und konnten also nicht gleichgültig gegen die eigensinnige Unempfindlichkeit eines Mannes seyn, dessen Ueberwindung seine Siegerin zur Liebenswürdigsten ihres Geschlechts zu erklären schien. In den Augen der meisten Schönen ist der Günstling eines Monarchen allezeit ein Adonis. Wie natürlich war also der Wunsch, einen Adonis empfindlich zu machen, der noch überdieß der Liebling eines Königs, und in der That (den Namen und das Diadem ausgenommen) der König selbst war!Man kann sich auf die Geschicklichkeit der schönen Sicilierinnen verlassen, daß sie nichts vergessen haben werden, seiner Kaltsinnigkeit auch nicht den Schatten einer anständigen Entschuldigung übrig zu lassen. Und womit hätte sie wohl entschuldiget werden können? Es ist wahr, ein mit der Sorge für einen ganzen Staat beladener Mann hat nicht so viel Muße, als ein junger Herr, der sonst nichts zu thun hat, als sein Gesicht alle Tage ein paarmal im Vorzimmer zu zeigen, und die übrige Zeit von einer Schönen und von einer Gesellschaft zur andern zu flattern. Aber man mag so beschäftigt seyn als man will, so behält man doch allezeit Stunden für sich selbst und für sein Vergnügen übrig. Und wiewohl Agathon sich seinen Beruf etwas schwerer machte, als er in unsern Zeiten zu seyn pflegt, nachdem man das Geheimniß erfunden hat, die schwersten Dinge mit einer gewissen, unsern plumpern Vorfahren unbekannten Leichtigkeit, vielleicht nicht so gut, aber doch artiger, zu thun: so war es doch augenscheinlich, daß er solche Stunden hatte. Sein Einfluß in die Staatsverwaltung schien ihm so wenig zu schaffen zu geben; er brachte so viel Freiheit des Geistes, so viel Munterkeit und wie Laune zur Gesellschaft und zu den Ergötzlichkeiten, wobei ihn Dionysius fast immer um sich haben wollte, daß man die Schuld seiner seltsamen Aufführung unmöglich seinen Geschäften beimessen konnte.Man mußte also, um sie begreiflich zu machen, auf andere Hypothesen verfallen. Anfangs hielt eine jede die andere im Verdacht, die geheime Ursache davon zu seyn; und so lange dieses dauerte, hätte man sehen sollen, mit was für Augen die guten Damen einander beobachteten, und wie oft man in einem Augenblicke eine Entdeckung gemacht zu haben glaubte, welche der folgende wieder vernichtete. Endlich fand sich's , daß man einander Unrecht gethan hatte: Agathon war gegen alle gleich verbindlich, und liebte keine. Auf eine Abwesende konnte man keinen Argwohn werfen: denn was hätte ihn bewegen sollen, den Gegenstand seiner Liebe von sich entfernt zu halten?Es blieben also zuletzt keine andern als solche Vermuthungen übrig, welche unserm Helden, auf die eine oder andre Art, nicht sonderlich Ehre machten, ohne den gerechten Verdruß mindern zu können, den man über ein so wenig natürliches und in jeder Betrachtung so verhaßtes Phänomen empfinden mußte.Unsre Leser, welche noch nicht vergessen haben können, was Agathon zu Smyrna war, werden sogleich auf einen Gedanken kommen, welcher freilich den Damen zu Syrakus unmöglich einfallen konnte: nämlich, daß es diesen vielleicht an Reizungen gefehlt habe, um einen hinlänglichen Eindruck auf ein Herz zu machen, welches nach einer Danae (welch ein Gemälde macht dieses einzige Wort!) nicht leicht etwas würdig finden konnte, seine Neugier rege zu machen, Allein, wenn die Nachrichten, denen wir in dieser Geschichte folgen, Glauben verdienen, so hat eine den besagten Damen so wenig schmeichelnde Vermuthung nicht den geringsten Grund. Syrakus hatte Schönen, welche so gut als Danae den Polykleten zu Modellen hätten dienen können; und diese Schönen hatten alle noch etwas dazu, was die Schönheit noch geltender macht. Einige Witz, andre Zärtlichkeit, andre wenigstens einen guten Theil von dieser edeln Unverschämtheit, welche zuweilen schneller zum Zweck führt, als die vollkommensten Reizungen, wenn sie, unter dem Schleier der Bescheidenheit versteckt, ein nachtheiliges Mißtrauen in sich selbst zu verrathen scheinen. Es konnte also nicht dieß seyn. — Gut! So wird er sich etwan des Sokratischen Geheimnisses bedient, und in den verschwiegenen Liebkosungen irgend einer gefälligen Cypassis das leichteste Mittel gefunden haben, sich vor der Welt die Miene eines Xenokrates zu geben? — Auch dieß nicht! Wenigstens sagen unsre Nachrichten nichts davon. Ohne also den Leser mit vergeblichen Muthmaßungen aufzuhalten, wollen wir gestehen, daß die Ursache dieser Kaltsinnigkeit unsers Helden etwas so Natürliches und Einfältiges war, daß (sobald wir es entdeckt haben werden) Schach Baham selbst sich einbilden würde, wo nicht eben das, doch ungefähr beinahe so etwas erwartet zu haben.Der Kaufmann, welcher unsern Helden nach Syrakus gebracht hatte, war einer von denjenigen, welchen er ehmals zu Athen das Bildniß seiner Psyche zu dem Ende gegeben hatte, damit sie mit desto besserm Erfolg aller Orten möchte aufgesucht werden können. Agathon erinnerte sich dieses Umstands nicht eher, bis er einsmals dieß Bildniß von ungefähr in dem Cabinet seines Freundes ansichtig wurde. Alles was er empfunden hätte, wenn es Psyche selbst gewesen wäre, empfand er in diesem Augenblicke. Die Erinnerungen seiner ersten Liebe wurden dadurch wieder so neu belebt, daß er (wie schwach auch seine Hoffnung war, das Urbild jemals wieder zu sehen) sich aufs neue in dem Entschluß bestätigte, ihrem Andenken getreu zu bleiben. Die Damen von Syrakus hatten also wirklich eine Nebenbuhlerin. Aber wie hätten sie errathen sollen, daß diese zärtlichen Seufzer, welche jede unter ihnen seinem Herzen abzugewinnen wünschte, in mitternächtlichen Stunden vor einer gemalten Gebieterin ausgehaucht würden?
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Viertes Capitel.

Kleonissa.

Von allen, welche sich durch die Unempfindlichkeit unsers Helden beleidiget fanden, konnte keine der schönen Kleonissa den Preis der glänzendsten Vorzüge streitig machen.Eine vollkommen regelmäßige Schönheit ist (mit Erlaubniß derjenigen, welche Ursache haben die Grazien der Venus vorzuziehen) unter allen Eigenschaften, die eine Dame haben kann, diejenige, die den allgemeinsten, geschwindesten und stärksten Eindruck macht. Und sie hat für tugendhafte Personen noch den schätzbaren Vortheil, daß sie das Verlangen, von der Besitzerin eines so seltnen Vorzugs geliebt zu seyn, in dem nämlichen Augenblick durch eine Art von mechanischer Ehrfurcht zurückscheucht, deren sich der verwegenere Satyr kaum erwehren kann. Kleonissa besaß diese Vollkommenheit in einem Grade. der den kaltblütigsten Kennern des Schönen nichts zu tadeln übrig ließ. Es war unmöglich, sie ohne Bewunderung anzusehen. Aber die ungemeine Zurückhaltung, welche sie annahm, das Majestätische, das sie ihrer Miene, ihren Blicken und allen ihren Bewegungen zu geben wußte, mit dem Ruf einer strengen Tugend, den sie sich dadurch erworben hatte, verstärkte die natürliche Wirkung ihrer Schönheit so sehr, daß niemand sich in die Gefahr wagen wollte, den Ixion dieser Juno abzugeben.Die Mittelmäßigkeit ihrer Herkunft, und sowohl der Stand als die Vorsicht eines eifersüchtigen Ehemanns, hatten sie während ihrer ersten Jugend in einer so großen Entfernung von der Welt gehalten, daß sie eine ganz neue Erscheinung war, als Philistus (der sie, wir wissen nicht wie, aufgespürt, und Mittel gefunden hatte, sie mit guter Art zur Wittwe zu machen) sie als seine Gemahlin an den Hof der Prinzessinnen brachte; unter welchem Namen die Mutter, die Gemahlin und die Schwestern des Dionysius begriffen waren. Nicht viel geneigter als sein Vorgänger, eine Frau von so besondern Vorzügen mit einem andern zu theilen, hatte er anfangs alle Behutsamkeit gebraucht, welche der geizige Besitzer eines kostbaren Schatzes nur immer anwenden kann, um ihn vor der schlauesten Nachstellung zu verwahren. Aber die Tugend der Dame, und die herrschende Neigung, welche Dionysius in den ersten Jahren seiner Regierung für diejenige Classe von Schönen zeigte, die nicht so viel Schwierigkeiten macht; vielleicht auch eine gewisse Laulichkeit, welche die Eigenthümer der großen Schönheiten nach Verfluß zweier oder dreier Jahre, oft auch viel früher, unvermerkt zu überschleichen pflegt; — hatten seine Eifersucht nach und nach so zahm gemacht, daß er kein Bedenken trug, sie den Prinzessinnen so oft sie wollten zur Gesellschaft zu überlassen. Wir wollen nicht untersuchen, ob Kleonissa damals wirklich so tugendhaft war, als die Sprödigkeit ihres Betragens gegen die Mannspersonen, und die strengen Maximen, wornach sie ihr eigenes Geschlecht beurtheilte, zu beweisen schienen. Genug daß die Prinzessinnen und ihr Gemahl selbst vollkommen davon überzeugt waren, und daß sich noch keiner von den Höflingen unterstanden hatte, eine so ehrwürdige Tugend auf die Probe zu setzen.Während daß Plato bei dem Prinzen in Ansehen stand, war Kleonissa eine von den eifrigsten Verehrerinnen dieses Weisen, und diejenige, welche die erhabene Phraseologie seiner Metaphysik am geläufigsten sprechen lernte. Ob es aus Begierde, sich durch ihren Geist eben so sehr als durch ihre Figur über die übrigen ihres Geschlechts zu erheben, oder aus irgend einem andern Beweggrunde geschehen sey, wissen wir nicht. Aber so viel ist gewiß, daß sie alle Gelegenheiten den göttlichen Plato zu hören mit Begierde suchte, eine aufnehmende Hochachtung für seine Person, einen unbedingten Glauben an seine Begriffe von Schönheit und Liebe und an alle übrigen Theile seines Systems zeigte, mit Einem Worte, in kurzer Zeit an Seele und Leib einer Platonischen Idee so ähnlich wurde, als es diesseits der überhimmlischen Räume möglich ist. War es auf Seiten des Weisen nicht sehr natürlich, auf eine solche Schülerin stolz zu seyn? Er betrachtete sie mit den Augen eines Künstlers, der sich selbst in seinem Werke wohl gefallt; Kleonissa schien den Triumph seiner Philosophie vollkommen zu machen. Es ist wahr, es wäre nur auf ihn angekommen, bei Gelegenheiten gewisse Beobachtungen in ihren schönen Augen zu machen, welche ihn, ohne eine sehr lange Reihe von Schlüssen, auf die Vermuthung hätten bringen können, daß es vielleicht nicht unmöglich sey, diese Göttin zu humanisiren. Aber der gute Plato, der damals schon über sechzig Jahre zählte, machte keine solche Beobachtungen mehr. Kleonissa blieb also in dem Ansehen eines lebendigen Beweises des Platonischen Lehrsatzes: "daß die körperliche Schönheit ein Widerschein der intellectualen Schönheit des Geistes sey." Das Vorurtheil für ihre Tugend hielt dem Eindruck, welchen ihre Reizungen hätten machen können, das Gleichgewicht; und sie hatte das Vergnügen, die vollkommene Gleichgültigkeit, welche Dionysius für sie behielt, der Weisheit ihres Betragens zuzuschreiben, und sich dadurch ein neues Verdienst bei den Prinzeßinnen zu machen.Aber! — o wie wohl läßt sich jener Solonische Ausspruch, "daß man niemand vor seinem Ende glücklich preisen solle," auch auf die Tugend der Heldinnen anwenden! Kleonissa sah den Agathon, und —hörte in diesem Augenblick auf Kleonissa zu seyn! — Doch nein! nein! dieß ist nicht der rechte Ausdruck, wiewohl er es nach dem Platonischen Sprachgebrauche zu seyn scheint. Richtiger zu sprechen, sie bewies, daß die Prinzessinnen, und sie selbst, und ihr Gemahl, und der Hof, und die ganze Welt (den göttlichen Plato mit eingeschlossen) sich sehr geirret hatten, da sie die schöne Kleonissa für etwas andres hielten — als sie war, und als sie einem jeden mit Vorurtheilen unbefangenen Beobachter (dem Aristippus zum Exempel) in der ersten Stunde zu seyn scheinen mußte.Sich über einen so natürlichen Zufall zu verwundern, würde, unserm Bedünken nach, eine große Sünde gegen das nie genug anzupreisende NIL ADMIRARI seyn, in welchem (nach der Meinung erfahrner Kenner der menschlichen Dinge) das eigentliche Geheimniß der philosophischen Adepten verborgen liegt. Die schöne Kleonissa war — ein Frauenzimmer. Sie hatte also ihren Antheil an den Schwachheiten, welche welche die Natur ihrem Geschlecht eigen gemacht hat; Schwachheiten, ohne welche diese zärtere Hälfte der menschlichen Gattung weder zu ihrer Bestimmung in dieser sublunarischen Welt geschickt, noch in der That so liebenswürdig seyn würde als sie ist. Ja wie wenig Verdienst würde selbst ihrer Tugend übrig bleiben, wenn sie nicht durch eben diese Schwachheiten bewährt, geläutert und in Bewegung erhalten würde!Dem sey nun wie ihm wolle: die Dame fühlte, sobald sie unsern Helden erblickte, etwas das die Tugend einer gewöhnlichen Sterblichen hätte beunruhigen können. Aber es gibt Tugenden von einer so starken Beschaffenheit, daß sie durch nichts beunruhiget werden; und die ihrige war von dieser Art. Sie überließ sich den Eindrücken, welche ohne Zuthun ihres Willens auf sie gemacht wurden, mit aller Unerschrockenheit, die das Bewußtseyn unsrer Stärke zu geben pflegt. Die Vollkommenheit des Gegenstandes rechtfertigte die außerordentliche Hochachtung, welche sie für ihn bezeigte. Große Seelen sind am geschicktesten einander Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Ihre Eigenliebe ist so sehr dabei interessirt, daß sie die Parteilichkeit für einander sehr weit treiben können, ohne sich besonderer Absichten verdächtig zu machen. Ein so unedler Verdacht konnte ohnehin nicht auf die erhabene Kleonissa fallen. Indessen war doch nichts natürlicher, als ihre Erwartung, daß sie in unserm Helden eben diesen, wo nicht einen noch höhern Grad der Bewunderung erwecken werde, als sie für ihn empfand. Diese Erwartung verwandelte sich (eben so natürlich) in ein mit Unmuth vermischtes Erstaunen, da sie sich darin betrogen sah. Und was konnte aus diesem Erstaunen anders werden, als eine heftige Begierde, ihrer durch seine Gleichgültigkeit äußerst beleidigten Eigenliebe eine vollständige Genugthuung zu verschaffen? Auch wenn sie selbst gleichgültig gewesen wäre, hätte sie mit Recht erwarten können, daß ein so feiner Renner ihren Werth zu empfinden, und eine Kleonissa von den kleinen Sternen, denen nur in ihrer Abwesenheit zu glänzen erlaubt war, zu unterscheiden wissen werde. Wie sehr mußte sie sich also für beleidigt halten, da sie mit diesem edeln Enthusiasmus womit privilegirte Seelen sich über die kleinen Bedenklichkeiten gewöhnlicher Leute hinwegsetzen, ihm entgegen geflogen war, und die Beweise ihrer sympathetischen Hochachtung nicht so lange zurückzuhalten gewürdiget hatte, bis sie von der seinigen überzeugt worden wäre!Da es nur von ihrer Eigenliebe abhing, die Größe des Unrechts nach der Empfindung ihres eignen Werths zu bestimmen: so war die Rache, welche sie sich an unserm Helden zu nehmen vorsetzte, die grausamste, die nur immer in das Herz einer beleidigten Schönen kommen kann. Sie wollte die ganze Macht aller ihrer geistigen und körperlichen Reizungen, verstärkt durch alle Kunstgriffe der schlauesten Koketterie (wovon ein so allgemeines Genie als das ihrige wenigstens die Theorie besitzen muß), dazu anwenden, ihren Undankbaren zu ihren Füßen zu legen; und wenn sie ihn, durch die gehörigen Abwechslungen von Furcht und Hoffnung, endlich in den kläglichen Zustand eines von Liebe und Sehnsucht verzehrten Seladons gebracht, und sich an dem Schauspiel seiner Seufzer, Thränen, Klagen, Ausrufungen und aller andern Ausbrüche der verliebten Thorheiten, lange genug ergötzt haben würde, — ihn endlich auf einmal die ganze Schwere der kaltsinnigsten Verachtung fühlen lassen.So wohl ausgesonnen diese Rache war, so eifrig und mit so vieler Geschicklichkeit wurden die Anstalten dazu ins Werk gesetzt; und wenn der Erfolg eines Projects allein von der guten Ausführung abhinge, so hätte die schöne Kleonissa den vollständigsten Triumph erhalten müssen, der jemals über den Trotz eines widerspänstigen Herzens erhalten worden ist.Ob diese Dame. wenn Agathon sich in ihrem Netze gefangen hätte, fähig gewesen wäre, die Rache so weit zu treiben, als sie sich selbst versprochen hatte? — ist eine Aufgabe, deren Entscheidung vielleicht sie selbst, wenn der Fall sich ereignet hätte, in Verlegenheit gesetzt haben würde. Aber Agathon ließ es nicht so weit kommen. Er legte eine neue Probe ab, daß es nur einer Danae gegeben war, die schwache Seite seines Herzens ausfindig zu machen. Kleonissa hatte bereits die Hälfte ihrer Künste erschöpft, eh' er nur gewahr wurde, daß ein Anschlag gegen ihn im Werke sey: und sobald er es gewahr wurde, stieg sein Kaltsinn, in eben dem Verhältnisse wie ihre Bemühungen sich verdoppelten, auf einen solchen Grad, oder (deutlicher zu reden) der Absatz den ihre Nachstellungen mit der affectirten Erhabenheit ihrer Denkungsart und mit der Majestät ihrer Tugend machten, that eine so schlimme Wirkung der ihm, daß die schöne Kleonissa sich endlich genöthiget sah, die Hoffnung des Triumphs, womit sich ihre Eitelkeit geschmeichelt hatte, gänzlich aufzugeben. Die Wuth, in welche sie dadurch gesetzt wurde, verwandelte sich nun in den vollständigsten Haß; aber sie wußte die Bewegungen dieser Leidenschaft so geschickt zu verbergen, daß weder der Hof noch Agathon selbst gewahr wurde, mit welcher Ungeduld sie sich nach einer Gelegenheit sehnte, ihn die ganze Energie derselben empfinden zu lassen.
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Fünftes Capitel.

Eine Hofkomödie.

In dieser Lage befanden sich die Sachen, als Dionysius, des ruhigen Besitzes der immer gefälligen Bacchidion und ihrer Tänze überdrüssig, sich zum erstenmal einfallen ließ, die Beobachtung zu machen, daß Kleonissa schön sey. Kaum hatte er sie mit einiger Aufmerksamkeit beobachtet, so däuchte ihn, niemals etwas so Schönes gesehen zu haben; und nun fing er an sich zu verwundern, woher es gekommen, daß er diese Beobachtung nicht eher gemacht. Endlich erinnerte er sich, daß die Dame sich jederzeit durch eine sehr spröde Tugend und einen erklärten Hang für die Metaphysik unterschieden hatte; und nun zweifelte er nicht mehr, daß es dieser Umstand gewesen seyn müsse, was ihn verhindert habe, ihrer Schönheit eher Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Eine Art von mechanischer Ehrfurcht vor der Tugend, die von seiner Trägheit und der Furcht vor den Schwierigkeiten sie zu besiegen ihre meiste Stärke zog, würde ihn vielleicht auch dießmal in den Gränzen einer unthätigen Bewunderung gehalten haben, wenn nicht einer von diesen kleinen Zufällen, welche so oft die Ursachen der größten Begebenheiten werden, seine natürliche Trägheit auf einmal in die ungeduldigste Leidenschaft verwandelt hätte. Da dieser Zufall jederzeit eine Anekdote geblieben ist, so können wir nicht gewiß sagen, ob er vielleicht von der Art desjenigen gewesen sey, wodurch in neuern Zeiten die Schwester des berühmten Herzogs von Marlborough den ersten Grund zu dem außerordentlichen Glück ihrer Familie gelegt haben soll. Dieß in indessen ausgemacht, daß, von dieser geheimen Begebenheit an, die Leidenschaft und die Absichten des Prinzen einen Schwung nahmen, wodurch sich die Tugend der schönen Kleonissa in keiner geringen Verlegenheit befand, wie sie das, was sie sich selbst schuldig war, mit den Pflichten gegen ihren Fürsten vereinigen wollte. Dionysius war so dringend, so unvorsichtig! —Und sie, die in jedem andern Frauenzimmer eine Nebenbuhlerin sah, und bei jedem Schritte von hundert eifersüchtigen Augen belauert wurde, welche bereit waren, ihren kleinsten Fehltritt durch eben so viele Zeugen der ganzen Welt in die Ohren flüstern zu lassen, — wie viele Rücksichten hatte sie nicht zu nehmen! Auf der einen Seite, ein von Liebe brennender Fürst zu ihren Füßen, ungeduldig eine gränzenlose Gewalt um die kleinste ihrer Gunstbezeugungen hinzugeben! Auf der andern, der Ruhm einer Tugend, welche noch kein Sterblicher für fehlbar zu halten sich unterstanden hatte, das Vertrauen der Prinzessinnen, die Hochachtung ihres Gemahls! Man muß gestehen, tausend andre ihres Geschlechtes würden sich zwischen zwei auf so verschiedene Seiten ziehenden Kräften nicht zu helfen gewußt haben. Aber Kleonissa, wiewohl sie sich zum erstenmal in dieser Schwierigkeit befand, wußte dieß so gut, daß ihr der ganze Plan ihres Betragens schwerlich eine einzige schlaflose Nacht gekostet haben kann. Sie sah beim ersten Blick, wie wichtig die Vortheile waren, welche sie in diesen Umständen von ihrer Tugend ziehen könnte. Das nämliche Mittel, wodurch sie ihren Ruhm sicher stellen und die Freundschaft der Prinzessinnen erhalten konnte, war unstreitig auch dasjenige, was den unbeständigen Dionysius, bei einem klugen Gebrauch der erforderlichen Aufmunterungen, auf immer in ihren Fesseln er halten würde. Sie setzte also seinen Erklärungen, Verheißungen, Bitten, Drohungen (zu den feinern Nachstellungen war er weder zärtlich noch schlau genug) eine Tugend entgegen, welche ihn durch ihre Hartnäckigkeit nothwendig hätte ermüden müssen, wenn sie aus Mitleiden nicht zu gleicher Zeit besorgt gewesen wäre, seine Pein durch alle die kleinen Palliative zu lindern, welche im Grunde für eine Art von Gunstbezeugungen angesehen werden können, ohne daß gleichwohl die Tugend, bei einem Liebhaber wie Dionysius, dadurch zu viel von ihrer Würde zu vergeben scheint. Die zärtliche Empfindlichkeit ihres Herzens, die Gewalt, welche sie sich anthun mußte einem so liebenswürdigen Prinzen zu widerstehen, die stillschweigenden Geständnisse ihrer Schwachheit, welche zu eben der Zeit, da sie ihm den entschlossensten Widerstand that, ihrem schönen Busen wider ihren Willen entflohen — O! tugendhafte Kleonissa! was für eine gute Schauspielerin du warest! — Und was hatte Dionysius seyn müssen, wenn er, bei solchen Anscheinungen, die Hoffnung aufgegeben hätte endlich noch glücklich zu werden!Inzwischen war, ungeachtet aller Behutsamkeit, womit die Gemahlin des Philistus zu Werke ging, die Leidenschaft des Prinzen und die unüberwindliche Tugend seiner Göttin — ein Geheimniß, welches der ganze Hof wußte, wiewohl man sich nicht merken ließ, daß man Augen und Ohren habe. Sie hatte die Vorsicht so weit getrieben, von dem Augenblicke an, da sie an der Leidenschaft des Prinzen nicht mehr zweifeln konnte, seine eigenen Schwestern zu ihren Vertrauten zu machen. Diese hatten alles seiner Gemahlin entdeckt, und die Gemahlin seiner Mutter. Die Prinzessinnen (welche seine bisherigen Ausschweifungen immer vergebens beseufzt, und besonders gegen die arme Bacchidion einen Widerwillen gefaßt hatten, wovon sich kein andrer Grund als eine eigensinnige Laune angeben läßt) waren hoch erfreut, daß seine Neigung endlich einmal auf einen tugendhaften Gegenstand gefallen sey. Die aufnehmende Klugheit der schönen Kleonissa machte ihnen Hoffnung, daß es ihr gelingen würde, ihn unvermerkt auf den rechten Weg zu bringen. Sie erstattete ihnen jedesmal getreuen Bericht von allem, was zwischen ihr und ihrem Liebhaber vorgegangen war, — wenigstens von allem, was die Prinzessinnen davon zu wissen nöthig hatten. Alle Maßregeln, wie sie sich gegen ihn betragen sollte, wurden in dem Cabinet der Königin abgeredet; und diese gute Dame (welche das Unglück hatte, die Kaltsinnigkeit ihres Gemahls lebhafter zu empfinden als es für ihre Ruhe diensam war) gab sich alle möglichen Bewegungen, die Bemühungen der tugendhaften Kleonissa zu unterstützen. Alles dieß machte eine Art von geheimer Intrigue aus, welche, ohne daß es in die Augen fiel, den ganzen Hof in innerliche Bewegung setzte. Der einzige Phiiistus, der am meisten Ursache hatte aufmerksam zu seyn, wußte nichts von allem was jedermann wußte; oder bewies doch wenigstens in seinem ganzen Betragen eine so seltsame Sicherheit, daß wir (wenn uns das außerordentliche Vertrauen nicht bekannt wäre, welches er in die Tugend seiner Gemahlin zu setzen Ursache hatte) beinahe unvermeidlich auf den Argwohn gerathen müßten, als ob er gewisse Absichten bei dieser Aufführung gehabt haben könnte, welche dem Charakter eines jeden andern keine sonderliche Ehre machen würden, wiewohl sie bloß ein Flecken mehr an dem seinigen gewesen wären.Alles ging wie es gehen sollte. Dionysius setzte die Belagerung mit der äußersten Hartnäckigkeit und mit Hoffnungen fort, welche der tapfere Widerstand der weisen Kleonissa noch immer sehr zweideutig machte. Die Liebe schien noch wenig über ihre Tugend erhalten zu haben; aber gleichwohl fing diese allmählich an von ihrer Majestät nachzulassen, und zu erkennen zu geben, — daß sie nicht ganz ungeneigt wäre, sich, unter hinlänglicher Sicherheit, in ein geheimes Verständniß, sofern es eine bloße Liebe der Seele zur Absicht hätte, einzulassen. Die Prinzessinnen sahen, mit dem vollkommensten Vertrauen auf die keuschen Reizungen ihrer Freundin, der Entwicklung des Stücks entgegen, und Philistus war von einer Gefälligkeit, von einer Indolenz, wie man niemals gesehen hat: als Agathon, zum Unglück für ihn und für Sicilien, durch einen Eifer, der an einem Staatsmanne von so vieler Einsicht kaum zu entschuldigen war, sich verleiten ließ, den glücklichen Fortgang der verschiedenen Absichten, welchen Dionysius — Kleonissa — die Prinzessinnen — und vielleicht auch Philistus — schon so nahe zu seyn glaubten, durch seine unzeitige Dazwischenkunft zu stören.
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Sechstes Capitel.

Agathon begeht einen großen Fehler gegen die Hofklugheit. Folgen davon.

Die Vertraulichkeit, worin Dionysius mit seinen Günstlingen zu leben pflegte, und das natürliche Bedürfniß eines Verliebten, jemand zu haben, dem er sein Leiden oder seine Glückseligkeit entheben kann, hatten ihm nicht erlaubt, dem Agathon aus seiner neuen Liebe ein Geheimniß zu machen. Dieser trieb anfänglich die Gefälligkeit so weit, sich von dem schwatzhaftesten Liebhaber, der jemals war, mit den Angelegenheiten seines Herzens ganze Stunden lange Weile machen zu lassen. Ohne seine Wahl gerade zu mißbilligen (denn was für einen Erfolg hätte er davon hoffen können?), begnügte er sich, ihm die Schwierigkeiten, die sich bei einer Dame von so strenger und systematischer Tugend finden würden, so fürchterlich abzumalen, daß er ihn von einer Unternehmung, die sich , dem Ansehen nach wenigstens, in eine entsetzliche Länge hinaus ziehen müßte, abzuschrecken hoffte. Wie er aber sah, daß Dionysius, anstatt durch den Widerstand ermüdet zu werden, von Tag zu Tag mehr Hoffnung schöpfte, diese beschwerliche Tugend durch hartnäckig wiederholte Anfälle endlich abzumatten: so glaubte er der schönen Kleonissa nicht zu viel zu thun, wenn er sie im Verdacht eines gekünstelten Betragens hätte, welches die Leidenschaft des Prinzen zu eben der Zeit, da sie ihm alle Hoffnung zu verbieten schien, aufzumuntern wisse. Je schärfer er sie beobachtete, je mehr Umstände entdeckte er, die ihn in diesem Argwohn bestärkten: und da sein natürlicher Widerwille gegen die majestätischen Tugenden das Seinige mit dazu beitrug, so hielt er sich nun vollkommen überzeugt, daß die weise und tugendhafte Kleonissa weder mehr noch weniger als eine Betrügerin sey, welche durch einen erdichteten Widerstand zu gleicher Zeit sich in dem Ruf der Unüberwindlichkeit zu erhalten, und den leichtgläubigen Dionysius desto fester in ihrem Garne zu verstricken im Sinne habe.Nunmehr fing er an die Sache für ernsthaft anzusehen, und sich sowohl durch die Pflichten gegen den Prinzen, für den er bei allen seinen Schwachheiten eine Art von Zuneigung fühlte, als aus Sorge für den Staat, verbunden zu halten, einem Verständniß, welches für beide sehr schlimme Folgen haben konnte, sich mit Nachdruck entgegen zu setzen. Bacchidion schien ihm ihres Herzens — oder, richtiger zu reden, ihrer glücklichen Organisation wegen — ungeachtet des gemeinen und gerechten Vorurtheils gegen ihren Stand, in Vergleichung mit dieser tugendhaften Dame eine sehr schätzbare Person zu seyn. Und da sie in der Unruhe, worein die immer zunehmende Kaltsinnigkeit des Prinzen sie zu setzen anfing, ihre Zuflucht zu ihm nahm, so machte er sich desto weniger Bedenken, sich ihrer mit etwas mehr Eifer, als die Würde seines Charakters vielleicht gestatten mochte, anzunehmen. Dionysius liebte sie nicht mehr; gleichwohl maßte er sich noch immer solche Rechte über sie an, welche, ihrer Meinung nach, nur die Liebe zugestehen konnte. Die schöne Bacchidion wurde gewahr, daß sie bloß die Stelle ihrer Nebenbuhlerin in seinen Armen vertreten sollte; und wiewohl sie nur eine Tänzerin war, so däuchte sie sich doch zu einem solchen Amte zu gut. Sie setzte sich also in den Kopf, an ihrem Theil auch die Grausame zu machen, und zu versuchen, ob sie durch ein sprödes und launisches Betragen, mit einer gehörigen Dosis von Koketterie vermischt, nicht mehr, als durch zärtliche Klagen und verdoppelte Gefälligkeit gewinnen würde. Dieser Kunstgriff hatte einen so guten Erfolg, daß Agathon (der sich des Sieges zu früh versichert hielt) itzt den gelegenen Augenblick gefunden zu haben glaubte, dem Dionysius offenherzig zu gestehen, wie wenig Achtung er für die angebliche Tugend der schönen Kleonissa trage.Aber die Folgen der geheimen Unterredung, welche sie mit einander über diese Materie hatten, entsprachen der Erwartung unsers Helden nicht. Alles Nachtheilige, was Agathon dem Prinzen von seiner neuen Göttin sagen konnte, bewies höchstens, daß sie nicht so viel Hochachtung verdiene, als er geglaubt hatte; aber es verminderte seine Begierden nicht. Desto besser für seine Absichten, wenn sie nicht so tugendhaft war! war! Diesen edlen Gedanken ließ er zwar seinem Günstling nicht sehen; aber Kleonissa wurde ihn desto deutlicher gewahr. Dionysius hatte kaum vernommen, daß die Tugend der Dame nur ein Popanz sey, so eilte er was er konnte, Gebrauch von dieser Entdeckung zu machen, und setzte sie durch ein Betragen in Erstaunen, welches mit seinem vorigen, und noch mehr mit der Majestät ihres Charakters, auf eine höchst beleidigende Weise contrahirte, Er glaubte zwar, es sehr sein gemacht zu haben, da er ihr nicht geradezu sagte, was für Begriffe man ihm von ihr beigebracht habe; aber seine Handlungen sagten es so deutlich, daß sie nicht zweifeln konnte, es müßte ihr jemand schlimme Dienste bei ihm geleistet haben. Dieser Umstand setzte sie in keine geringe Verlegenheit, wie sie dasjenige, was sie ihrer beleidigten Würde schuldig war, mit der Besorgniß, einen Liebhaber von solcher Wichtigkeit durch allzu weit getriebene Strenge gänzlich abzuschrecken, zusammen stimmen wollte. Allein ein Geist wie der ihrige weiß sich aus den schwierigsten Lagen herauszuwickeln. Kurz, Dionysius verließ sie überzeugter als jemals, daß sie die Tugend selbst sey, und daß sie bloß durch die Stärke der Sympathie, wodurch ihre zum ersten Mal gerührte Seele gegen die seinige gezogen werde, fähig werden könnte, die Hoffnungen dereinst zu erfüllen, welche sie ihm weder erlaubte noch gänzlich verwehrte.Von dieser Zeit an nahm seine Leidenschaft und das Ansehen dieser Dame von Tag zu Tag zu. Die schöne Bacchidion wurde förmlich abgedankt; und Agathon würde in den Augen seines Herrn haben lesen können, wenn er es nicht aus seinem Munde vernommen hätte, wie viel Hoffnung der Prinz habe, bald den letzten Seufzer der sterbenden Tugend von den Lippen der zärtlichen und nur noch schwach widerstehenden Kleonissa aufzufassen.Itzt glaubte er, daß es die höchste Zeit sey einen Schritt zu thun, der nur durch die äußerste Nothwendigkeit gerechtfertiget werden konnte, aber, seiner Meinung nach, das einzige Mittel war, dieser gefährlichen Intrigue noch in Zeiten ein Ende zu machen. Er ließ den Philistus zu sich rufen, und entdeckte ihm, mit der ganzen Vertraulichkeit eines ehrlichen Mannes, der mit einem ehrlichen Manne zu reden glaubt, die nahe Gefahr, worin seine Ehre und die Tugend seiner Gemahlin schwebe. Freilich entdeckte er dem edeln Philistus nichts, als — was dieser in der That schon lange wußte. Aber Philistus machte nichtsdestoweniger den Erstaunten: indessen dankte er ihm mit der lebhaftesten Empfindung für ein so unzweifelhaftes Merkmal seiner Freundschaft, und versicherte, daß er auf ein schickliches Mittel bedacht seyn wollte, seine Gemahlin (von welcher er übrigens die beste Meinung von der Welt habe) gegen alle Nachstellungen der Liebesgötter sicher zu stellen.Man hat wohl sehr Recht, uns die Lehre bei allen Gelegenheiten einzuschärfen: "daß man sich die Leute nach ihrer Weise verbindlich machen müsse, und nicht nach der unsrigen." Agathon glaubte sich kein geringes Verdienst um den Philistus gemacht zu haben, und würde nicht wenig über die Apostrophen erstaunt gewesen seyn, welche dieser würdige Minister an ihn machte, sobald er sich wieder allein sah. In der That mußte es ihn nothwendig ungehalten machen, sich, durch eine so unzeitige Sorge Agathons für seine Ehre auf einmal aller Vortheile seiner bisherigen Unachtsamkeit verlustiget zu sehen. Indessen konnte er nun, ohne sich in Agathons Augen gänzlich herabzuwürdigen, nicht anders, er mußte den Eifersüchtigen spielen. Die Komödie bekam dadurch auf etliche Tage einen sehr tragischen Schwung. Wie viel Mühe hätten sich die Hauptpersonen dieses Possenspiels ersparen können, wenn sie die Maske hätten abnehmen, und sich einander in ihrer natürlichen Gestalt zeigen wollen! Aber diese Art von Menschen sind so pünktliche Beobachter des Wohlstandes !—Und sollen wir sie nicht darum beloben? Er beweiset doch immer, daß sie sich ihrer wahren Gestalt schämen, und die Verbindlichkeit, etwas Besseres zu seyn als sie sind, stillschweigend anerkennen. Kleonissa rechtfertigte sich also gegen ihren Gemahl, indem sie sich auf die Prinzessinnen, als unverwerfliche Zeugen der untadelhaften Unschuld ihres Betragens, berief. Niemals ist ein erhabneres und pathetischeres Stück von Beredsamkeit gehört worden, als die Rede war, wodurch sie ihm die Unbilligkeit seines Verdachts vorhielt. Der gute Mann wußte sich endlich nicht anders zu helfen, als daß er den Freund nannte, von dem er in diesen kleinen Anstoß einer, wie er nun vollkommen erkannte, höchst unnöthigen und sträflichen Eifersucht gesetzt worden sey.Die Wuth einer stürmischen See —einer zur Rache gereizten Hornisse — oder einer Löwin, der ihre Jungen geraubt worden, sind Bilder, deren sich in dergleichen Fällen sogar ein epischer Dichter mit Ehren bedienen könnte; aber es sind nur schwache Bilder der Wuth, in welche Kleonissens tugendhafter Busen bei Nennung des Namens Agathon aufloderte. Wirklich war nichts mit derselben zu vergleichen —als die Wollust, womit der Gedanke sie berauschte, daß sie es nun endlich in ihrer Gewalt habe, die lange gewünschte Rache an dem undankbaren Verächter ihrer Reizungen zu nehmen. Sie mißhandelte den Dionysius (den sie für die unerträgliche Beleidigung, welche sie von ihrem Gemahl erduldet hatte, zur Rechenschaft zog) so lange und so grausam, bis er ihr entdeckte, wie wenig sie dem Agathon für seine Meinung von ihr verbunden zu seyn Ursache habe. Nunmehr klärte sich, wie sie sagte, das ganze Geheimniß auf: "und in der That mußte sie sich nur über ihre eigene Einfalt verwundern, daß sie sich eines Bessern zu einem Manne versehen hatte, von dessen Rache sie natürlicher Weise das Schlimmste hätte erwarten sollen."Wenn Dionysius bei diesen Worten stutzte, so kann man sich einbilden, was er für eine Miene machte, da sie ihm, zu ihrer abgenöthigten Rechtfertigung, umständlich entdeckte, daß der Haß Agathons keinen andern Ursprung habe, als weil sie nicht für gut befunden, seine Liebe genehm zu halten. Dieß war nun freilich nicht nach der Schärfe wahr. Allein, da sie sich nun einmal dahin gebracht sah, sich selbst vertheidigen zu müssen, so begreift man leicht, daß sie es lieber auf Unkosten einer Person, die ihr verhaßt war, als auf ihre eigenen that. So viel ist gewiß, sie erreichte ihre Absicht dadurch mehr als zu gut. Dionysius gerieth in einen so heftigen Anfall von Eifersucht über seinen unwürdigen Liebling —daß Kleonissa, aus Besorgniß, ein plötzlicher Ausbruch möchte zu mißbeliebigen Erläuterungen Anlaß geben, alle ihre Gewalt über ihn anwenden mußte, ihn zurückzuhalten. Sie bewies ihm die Nothwendigkeit, einen Mann, der unglücklicher Weise der Abgott der Nation wäre, vorsichtig zu behandeln. Dionysius fühlte die Stärke dieses Beweises, und haßte den Agathon nur um so viel herzlicher. Die Prinzessinnen mischten sich auch in die Sache. Sie legten unserm Helden sehr übel aus, daß er, anstatt den Prinzen von Ausschweifungen abzuhalten, eine Creatur wie Bacchidion mit so vielem Eifer in seinen Schutz genommen hätte. Man scheuete sich nicht, diesem Eifer sogar einen geheimen Beweggrund zu leihen; und Philistus brachte unter der Hand Zeugen auf, die in dem Cabinette des Prinzen verschiedene Umstände aussagten, welche ein zweideutiges Licht auf die Enthaltsamkeit unsers Helden und die Treue der schönen Bacchidion zu werfen schienen. Der schlaue Höfling fand die Absichten seines Herrn auf seine tugendhafte Gemahlin so rein und unschuldig, daß es anstößig und lächerlich von ihm gewesen wäre, über die Freundschaft, womit er sie beehrte, eifersüchtig zu seyn. Ein täglicher Zuwachs der königlichen Gunst rechtfertigte und belohnte eine so edelmüthige Gefälligkeit. Auch Timokrates erhielt bei diesen Umständen Gelegenheit, sich wieder in das alte Vertrauen zu setzen; und beide vereinigten sich nunmehr mit der triumphirenden Kleonissa, den Fall unsers Helden desto eifriger zu beschleunigen, je mehr sie ihn mit Versicherungen ihrer Freundschaft überhäuften.
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Siebentes Capitel.

Eine merkwürdige Unterredung zwischen Agathon und Aristippus. Entschließungen des ersten, mit den Gründen für und wider.

Wir haben in den vorstehenden zwei Capiteln ein merkwürdiges Beispiel gesehen (und wollte Gott, diese Beispiele kämen uns nicht so oft im Leben selbst vor!), wie leicht es ist, einem lasterhaften Charakter den Anstrich der Tugend zu geben. Agathon erfuhr nunmehr, daß es eben so leicht ist, die reinste Tugend mit häßlichen Farben zu übersudeln. Er hatte dieß zu Athen schon erfahren. Aber bei der Vergleichung, die er zwischen jenem Fall und seinem jetzigen anstellte, schienen ihm seine Athenischen Feinde, im Gegensatz mit den verächtlichen Geschöpfen, denen er sich nun auf einmal aufgeopfert sah, so weiß zu werden, als sie ihm ehmals schwarz vorgekommen waren. Vermuthlich verfälschte die Lebhaftigkeit des gegenwärtigen Gefühls sein Urtheil über diesen Punkt ein wenig. Denn in der That scheint der ganze Unterschied zwischen der republicanischen und höfischen Falschheit darin zu bestehen: daß man in Republiken genöthiget ist, die ganze äußerliche Form tugendhafter Sitten anzunehmen; da man hingegen an Höfen genug gethan hat, wenn man den Lastern, welche des Fürsten Beispiel adelt, oder wodurch seine Absichten befördert werden, tugendhafte Namen gibt. Allein im Grunde ist es nicht ekelhafter, einen hüpfenden, schmeichelnden, unterthänigen, vergoldeten Schurken, zu eben der Zeit, da er sich vollkommen wohl bewußt ist nie eine Ehre gehabt zu haben, oder in diesem Augenblick im Begriff ist, wofern er eine hätte, sie zu verlieren, — von den Pflichten für seine Ehre reden zu hören; als einen gesetzten, nüchternen, schwerfälligen, gravitätischen Schurken zu sehen, der, unter dem Schutz seiner Nüchternheit, Eingezogenheit und pünktlichen Beobachtung aller äußerlichen Formalitäten der Religion und der Gesetze, ein unversöhnlicher Feind aller derjenigen ist, welche anders denken als er, oder nicht zu allen seinen Absichten helfen wollen, und sich nicht das mindeste Bedenken macht, sobald es seine Convenienz erfordert, eine gute Sache zu unterdrücken, oder eine böse mit seinem ganzen Ansehen zu unterstützen. Unparteiisch betrachtet, ist dieser noch der schlimmere Mann: denn er ist ein eigentlicher Heuchler; da jener nur ein Komödiant ist, der nicht verlangt, daß man ihn für das halten soll wofür er sich ausgibt, sondern vollkommen zufrieden ist, wenn die Mitspielenden und Zuschauer nur dergleichen thun, ohne daß es ihm einfällt sich zu bekümmern, ob es ihr Ernst sey oder nicht.Agathon hatte nun gute Muße, dergleichen Betrachtungen anzustellen; denn sein Ansehen und Einfluß nahmen zusehends ab. Aeußerlich zwar schien alles noch zu seyn wie es gewesen war. Dionysius und der ganze Hof liebkoseten ihm so sehr als jemals. Kleonissa selbst schien es ihrer unwürdig zu halten, ihm einige Empfindlichkeit zu erkennen zu geben. Aber desto mehr Mißvergnügen wurde ihm durch verborgene und schleichende Wege gemacht. Er mußte zusehen, wie nach und nach, unter tausend falschen und nichtswürdigen Vorwänden, seine besten Anordnungen, als schlecht ausgesonnen, überflüssig, oder schädlich, wieder aufgehoben oder durch andere unnütz gemacht, —wie die wenigen von seinen Creaturen, welche wirkliche Verdienste hatten, entfernt, — wie alle seine Absichten übel gedeutet, alle seine Handlungen geflissentlich aus einem falschen Gesichtspunkte beurtheilt, alle seine Vorzüge oder Verdienste lächerlich gemacht wurden. Zu eben der Zeit, da man seine Talente und Tugenden erhob, behandelte man ihn, als ob er nicht das geringste von den einen oder von den andern hätte. Man behielt zwar noch aus politischen Absichten (wie man es zu nennen pflegt) den Schein bei, als ob man nach den nämlichen Grundsätzen handle, denen er in seiner Staatsverwaltung gefolgt war: in der That aber geschah, in jedem vorkommenden Falle, gerade das Widerspiel von dem was er gethan haben würde. Kurz, Dionysius sank wieder in seine alten Gewohnheiten und in die Gewalt der verderbtesten Menschen in ganz Sicilien zurück.Hier wäre es Zeit gewesen, die Clausel geltend zu machen, welche er seinem Vertrage mit dem Dionysius angehängt hatte, —sich zurück zu ziehen, da er nicht mehr zweifeln konnte, daß er am Hofe dieses Prinzen zu nichts mehr nütze sey: und dieß war auch der Rath, den ihm der einzige von seinen Hoffreunden, der ihm getreu blieb, der Philosoph Aristippus gab. "Du hättest (sagte er ihm in einer vertraulichen Unterredung über den gegenwärtigen kauf der Sachen), du hättest dich entweder niemals mit einem Dionysius einlassen, oder an dem Platze, den du einmal angenommen hattest, deine moralischen Begriffe — oder doch wenigstens deine Handlungen — nach den Umständen bestimmen sollen. Auf diesem Schauplatze der Verstellung, des Betrugs, der Intriguen, der Schmeichelei und Verrätherei, — wo Tugenden und Pflichten bloße Rechenpfennige, und alle Gesichter Masken sind, — kurz an einem Hofe gilt keine andre Regel als die Convenienz, keine andre Politik, als einen jeden Umstand mit unsern eignen Absichten so gut zu vereinigen als man kann. Im übrigen ist es vielleicht eine Frage, ob du so wohl gethan hast, dich um einer an sich wenig bedeutenden Ursache willen mit Dionysen abzuwerfen? Ich gestehe es, in den Augen eines Philosophen ist die Tänzerin Bacchidion viel schätzbarer als diese majestätische Kleonissa, die, mit aller ihrer Metaphysik und Tugend, weder mehr noch weniger als ein falsches, herrschsüchtiges und boshaftes Weibsstück ist. Bacchidion hat dem Staat keinen Schaden gethan; Kleonissa wird unendlich viel Böses thun."— Bloß aus dieser Betrachtung (unterbrach ihn Agathon) habe ich mich für jene und gegen diese erklärt. — "Und doch war es leicht vorherzusehen, daß Kleonissa siegen würde," sagte Aristipp. — Aber ein rechtschaffener Mann, Aristipp, erklärt sich nicht für die Partei, welche siegen wird, sondern für die, welche Recht, oder doch am wenigsten Unrecht hat. — "O Agathon, wie schwer ist es für den rechtschaffnen Mann, der an einem Hofe leben will, zwischen den Klippen, die ihn umgeben, unversehrt hindurch zu kommen! Aber, sage mir, ist es nicht schade, daß so viel Gutes, das du noch gethan haben würdest, bloß darum verloren seyn soll, weil du eine schöne Frau nicht verstehen wolltest, da sie dir's so deutlich zu erkennen gab, daß sie schlechterdings von dir —geliebt seyn wollte? Doch dieser Fehler hätte sich vielleicht wieder gut machen lassen, wenn du wenigstens gefällig genug gewesen wärest, ihre Absichten auf Dionysen zu befördern. Wolltest du auch dieses nicht, war es denn nöthig ihr entgegen zu seyn? Was für Schade würde daraus erfolgt seyn, wenn du neutral geblieben wärest? Die kleine Bacchidion würde nicht mehr getanzt haben, und Kleonissa hätte die Ehre gehabt ihren Platz einzunehmen, bis er ihrer eben sowohl überdrüssig geworden wäre als so vieler andrer. Dieß wäre alles gewesen. Und gesetzt, du hättest auch die Gewalt über ihn mit ihr theilen müssen, so würdest du ihr wenigstens das Gleichgewicht gehalten und noch immer Ansehen genug behalten haben, viel Gutes zu thun. Dem Schein nach in gutem Vernehmen mit ihr, würde dir dein Platz und die Vertraulichkeit mit dem Prinzen tausend Gelegenheiten gegeben haben, sie, sobald ihre Gunstbezeugungen den Reiz der Neuheit verloren hätten, mit der besten Art von der Welt wieder auf die Seite zu schaffen. Aber ich kenne dich zu gut, Agathon! Du bist nicht dazu gemacht dich zu Verstellung und Ränken herabzulassen. Dein Herz ist zu edel, und (wenn ich es sagen darf) deine Einbildungskraft zu warm, um dich jemals zu der Art von Klugheit zu gewöhnen, ohne welche es unmöglich ist, sich lange in der Gunst der Großen zu erhalten. Alles dieß hätte ich dir ungefähr vorhersagen können, als ich dich überreden half dich mit Dionysen einzulassen; aber es war besser, durch deine eigene Erfahrung davon überzeugt zu werden. Ziehe dich itzt zurück, ehe das ungewitter, das ich aufsteigen sehe, über dich ausbrechen kann. Dionysius verdient keinen Freund wie du bist. Wie sehr hättest du dich betrogen, wenn du jemals geglaubt hättest, daß er dich hochachte! Woher sollte ihm die Fähigkeit dazu gekommen seyn? Selbst damals, da er am stärksten für dich eingenommen war, liebte er dich aus keinem andern Grunde, als warum er seine Affen und seine Papagaien liebt, — weil du ihm Kurzweil machtest. Seine Gunst hätte eben so leicht auf einen andern Neuangekommenen fallen können, der die Cither noch besser gespielt hätte als du. Nein, Agathon, du bist nicht gemacht, mit solchen Leuten zu leben. Ziehe dich zurück! Du hast genug für deine Ehre gethan. Die Thorheit der neuen Staatsverwaltung wird die Weisheit der Deinigen am besten rechtfertigen. Deine Handlungen, deine Tugenden, und ein ganzes Volk, welches deine Zeiten zurückwünschen und dein Andenken segnen wird, werden dich am besten gegen die Verleumdungen und den albernen Tadel eines Hofes voll Thoren und schelmischer Sklaven vertheidigen, deren Haß dir mehr Ehre macht als ihr Beifall. Du befindest dich in Umständen, daß du in einem unabhängigen Privatstande mit Würde leben kannst. Deine Freunde zu Tarent werden dich mit offenen Armen empfangen. Ich wiederhole es, Agathon, verlaß einen Fürsten, der seiner Sklaven, und Sklaven, die eines solchen Fürsten würdig sind; und denke nun daran, wie du des Lebens selbst genießen wollest, nachdem du den Versuch gemacht hast, wie schwer, wie gefährlich, und wie vergeblich es ist, für anderer Glück zu arbeiten."So sprach Aristipp; und Agathon würde wohl gethan haben, seinem Rathe zu folgen. Aber, wir wiederholen es, wie sollte es möglich seyn, daß derjenige, welcher selbst eine Hauptrolle in einem Stücke spielt, so gelassen davon urtheilen sollte als ein bloßer Zuschauer? Agathon sah die Sachen aus einem ganz andern Gesichtspunkte. Er betrachtete sich als einen Mann, der sich selbst die Verbindlichkeit aufgelegt habe, die Wohlfahrt Siciliens zu befördern. Warum kam ich nach Syrakus? — sagte er zu sich selbst — und mit welchen Absichten übernahm ich das Amt eines Freundes und Rathgebers bei diesem Tyrannen? That ich es, um ein Knecht seiner Leidenschaften oder das Werkzeug einer willkürlichen Regierung zu seyn? Hatte ich nicht einen großen und rechtschaffenen Zweck? Würde ich mich jemals mit ihm eingelassen haben, wenn er mir nicht Hoffnung gemacht hätte, daß die Tugend endlich die Oberhand über seine Laster erhalten würde? Er hat mich betrogen. Die Erfahrungen, die ich von seiner Gemüthsart habe, überzeugen mich, daß er unverbesserlich ist. Aber würde es edel von mir gehandelt seyn, ein Volk, dessen Wohlfahrt der Endzweck meiner Bemühungen war, ein Volk, welches mich als seinen Wohlthäter ansieht und sein ganzes Vertrauen auf mich setzt, den Launen eines grausamen Wollüstlings und der Raubsucht seiner Schmeichler und Sklaven Preis zu geben? Was für Pflichten hab' ich gegen ihn, die sein undankbares niederträchtiges Verfahren gegen mich nicht aufgehoben und vernichtet hätte? Oder, wenn ich noch Pflichten gegen ihn habe, sind nicht diejenigen unendliche Mal heiliger, welche mich an ein Land binden, das durch meine Wahl, und die Dienste die ich ihm geleistet habe, mein zweites Vaterland geworden? — Wer ist denn dieser Dionysius? Was für ein Recht hat er an die höchste Gewalt, deren er sich anmaßt? Wem anders als dem Agathon hat er das einzige Recht zu danken, worauf er sich mit einigem Schein berufen kann? Seit wann ist er aus einem von aller Welt verabscheueten Tyrannen ein König geworden, als seitdem ich ihm, durch eine gerechte und wohlthätige Regierung, die Liebe des Volks zugewandt habe? Er ließ mich arbeiten; er verbarg seine Laster hinter meine Tugenden, eignete sich meine Verdienste zu, und genoß die Früchte davon, der Undankbare — Und nun, da er sich stark genug glaubt, mich entbehren zu können, überläßt er sich wieder seinem eigenen Charakter, und vernichtet alles Gute wieder, was ich in seinem Namen gethan habe, gleich als ob er sich schäme, eine Zeit lang sich selbst unähnlich gewesen zu seyn; als ob er nicht genug eilen könne, die ganze Welt zu belehren, daß es Agathon, nicht Dionysius, gewesen sey, der den Siciliern eine Morgenröthe besserer Zeiten gezeigt, und der ihnen Hoffnung gemacht hat, sich von den Mißhandlungen einer Reihe schlimmer Regenten wieder zu erholen. —Was würd' ich also seyn, wenn ich sie in solchen Umständen verlassen wollte, wo sie meiner mehr als jemals benöthiget sind? — Nein! Dionysius hat Beweise genug gegeben, daß er unverbesserlich ist; daß er durch Nachsicht gegen seine Laster nur in der lächerlichen Einbildung bestärkt wird, als ob man ihnen Ehrfurcht schuldig sey. Es ist Zeit der Komödie ein Ende zu machen, und diesem kleinen Theaterkönige den Platz anzuweisen, wozu ihn seine persönlichen Eigenschaften bestimmen!Man sieht aus dieser Probe der geheimen Gespräche, welche Agathon mit sich selbst hielt, wie weit er noch davon entfernt war, sich von diesem enthusiastischen Schwung der Seele Meister gemacht zu haben, der bisher die Quelle seiner Fehler sowohl als seiner schönsten Thaten gewesen ist. Wir haben keinen Grund, in seine Aufrichtigkeit gegen sich selbst einigen Zweifel zu setzen. Wir können demnach als gewiß annehmen, daß er zu dem Entschluß, eine Empörung gegen den Dionysius zu erregen, durch eben so tugendhafte Gesinnungen getrieben zu werden glaubte, als diejenigen waren, welche fünfzehn Jahre später einen der edelsten Sterblichen die jemals gelebt haben, den Timoleon von Korinth, aufmunterten, die Befreiung Siciliens zu unternehmen. Allein es ist darum nicht weniger wahrscheinlich, daß eine lebhafte Empfindung des persönlichen Unrechts, welches ihm zugefüget wurde, der Unwille über die Undankbarkeit des Dionysius, und der Verdruß, sich einer verachtungswürdigen Buhlschaft aufgeopfert zu sehen, zur Entzündung dieses heroischen Feuers, welches itzt in seiner Seele brannte, nicht wenig beigetragen habe. Im Grunde hatte er keine andern Pflichten gegen die Sicilier. als welche aus seinem Vertrag mit dem Dionysius entsprangen; sie hörten vermöge eben dieses Vertrags auf, sobald dein Prinzen seine Dienste nicht mehr angenehm seyn würden. Syrakus war nicht sein Vaterland. Dionysius hatte durch die stillschweigende Anerkenntniß der Erbfolge, kraft deren er nach seines Vaters Tode den Thron bestieg, eine Art von Recht erlangt. Agathon selbst würde sich nicht in seine Dienste begeben haben, wenn er ihn nicht für einen rechtmäßigen Fürsten gehalten hätte. Die nämlichen Gründe, welche ihn damals bewogen hatten die Monarchie der Republik vorzuziehen, und aus diesem Grunde sich bisher den Absichten des Dion zu widersetzen, bestanden noch in ihrer ganzen Stärke. Es war sehr ungewiß, ob eine Empörung gegen Dionysen die Sicilier in einen glücklichern Stand setzen, oder ihnen nur einen andern, vielleicht noch schlimmern, Herrn geben würde, da sie bereits durch so viele Proben bewiesen hatten, daß sie die Freiheit nicht ertragen konnten. Ueberdieß hatte der Tyrann Macht genug, seine Absetzung schwer zu machen; und die verderblichen Folgen eines Bürgerkriegs waren die einzigen gewissen Folgen, welche man von einer so zweifelhaften Unternehmung voraussehen konnte. Alle diese Betrachtungen würden kein geringes Gewicht auf der Wagschale einer kalten unparteiischen Ueberlegung gemacht, und vermuthlich den entgegen stehenden Gründen das Gleichgewicht gehalten haben. Aber Agathon war weder kalt noch unparteiisch; er war ein Mensch, — dessen Eigenliebe an ihrem empfindlichsten Theile verletzt worden war. Der Affect, in welchen ihn dieß setzen mußte, gab den Gegenständen eine andre Farbe. Dionysius, dessen Laster er ehmals mit freundschaftlichen Augen als Schwachheiten betrachtet hatte, stellte sich ihm itzt in der häßlichen Gestalt eines Tyrannen dar. Je besser er vorhin von Philistus gedacht hatte, desto abscheulicher fand er itzt den Charakter dieses Ministers, nachdem er ihn einmal falsch und niederträchtig gefunden hatte: es war nichts so schlimm und schändlich, das er einem solchen Manne nicht zutraute. Die reizenden Bilder der Glückseligkeit Siciliens unter einer wohlthätigen Staatsverwaltung erhielten durch den Unmuth, sie vor seinen Augen vernichten zu sehen, eine desto größere Gewalt über seine Einbildungskraft. Es war ihm unerträglich, Leute, welche nur darum seine Feinde waren, weil sie Feinde alles Guten, Feinde der Tugend und der öffentlichen Wohlfahrt waren, einen solchen Sieg davon tragen zu lassen. Er hielt es für eine öffentliche Pflicht, sich ihren Unternehmungen zu widersetzen; und die Stelle, die er beinahe zwei Jahre lang in Sicilien behauptet hatte, machte (wie er glaubte) seinen Beruf zur besondern Ausübung dieser Pflicht im gegenwärtigen Falle unzweifelhaft. Alle diese Betrachtungen hatten außer ihrer eigenthümlichen Stärke noch sein Herz und seine Einbildungskraft auf ihrer Seite. Mußten sie also nicht nothwendig alles überwiegen, was die Klugheit dagegen einwenden konnte?
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Achtes Capitel.

Agathon verwickelt sich in einen Anschlag gegen den Tyrannen, und wird in Verhaft genommen.

Sobald Agathon seinen Entschluß genommen hatte, so arbeitete er an der Ausführung desselben. Dion, der sich damals zu Athen befand, hatte einen beträchtlichen Anhang in Sicilien, durch welchen er bisher alle möglichen Bewegungen gemacht hatte, seine Zurückberufung von dem Prinzen zu erhalten. Er hatte sich deßhalb vorzüglich an den Agathon gewandt, sobald ihm berichtet worden war, in welchem Ansehen dieser bei dem Fürsten stehe. Aber Agathon dachte damals nicht so gut von dem Charakter Dions als die Akademie zu Athen. Eine Tugend, welche mit Stolz, Unbiegsamkeit und Härte vermischt war, schien ihm, wo nicht verdächtig, doch wenig liebenswürdig. Er besorgte mit einiger Wahrscheinlichkeit, daß die Gemüthsart dieses Prinzen ihn niemals ruhig lassen würde, und daß er (ungeachtet seiner republikanischen Grundsätze) eben so ungeneigt seyn würde, das höchste Ansehen im Staat mit jemand zu theilen, als ohne Ansehen zu leben. Er hatte also, anstatt seine Zurückberufung zu befördern, wenig oder nichts gethan, um die äußerste Abneigung, welche Dionysius dagegen zeigte, zu bestreiten, und durch dieses Benehmen sich einiges Mißvergnügen von Seiten der Freunde Dions zugezogen, die es ihm eben so übel nahmen, daß er nichts für diesen Prinzen that, als ob er gegen ihn gearbeitet hätte.Allein seitdem seine eigene Erfahrung das Schlimmste, was Dionysens Feinde von dem Tyrannen denken konnten, rechtfertigte, hatte sich auch seine Gesinnung gegen den Dion gänzlich umgewandt. Dieser Prinz, welcher unstreitig große Eigenschaften besaß, stellte sich ihm itzt unter dem Bilde eines rechtschaffenen Mannes dar, in welchem der langwierige Anblick des gemeinen Elendes unter einer heillosen Regierung, und die immer vergebliche Bemühung dem reißenden Strome der Verderbniß entgegen zu arbeiten, einen anhaltenden gerechten Unmuth erzeugt hat, der, ungeachtet des Scheins einer gallsüchtigen Grämlichkeit, im Grunde die Frucht der edelsten Menschenliebe ist. Er beschloß also mit ihm gemeine Sache zu machen, und entdeckte den Freunden Dions seine veränderte Gesinnung. Erfreut über den Beitritt eines Mannes, der durch seine Talente und seine Gunst beim Volk ihrer Partei das Uebergewicht zu geben vermögend war, eröffneten ihm diese hinwieder die ganze Beschaffenheit der Angelegenheiten Dions, die Anzahl seiner Anhänger, und die geheimen Anstalten, welche, in Erwartung irgend eines günstigen Zufalls, bereits zu seiner Zurückkunft nach Sicilien gemacht worden waren. Und so wurde Agathon in kurzer Zeit, aus einem Freund und ersten Minister des Dionysius, das Haupt einer Verschwörung gegen ihn, an welcher alle diejenigen Theil nahmen, die aus edlen oder eigennützigen Bewegursachen, mit der gegenwärtigen Verfassung unzufrieden waren. Er entwarf einen Plan, wie die ganze Sache geführt werden sollte; und dieß setzte ihn in einen geheimen Briefwechsel mit Dion, wodurch die bessere Meinung, welche sie von einander zu fassen angefangen, immer mehr befestigt wurde.Der Hof, in Lustbarkeiten und ein wollüstiges Vergessen aller Gefahren versunken, begünstigte den Fortgang der geheimen Unternehmung durch eine Sorglosigkeit, welche so wenig natürlich schien, daß die Zusammenverschwornen dadurch beunruhiget wurden. Sie verdoppelten ihre Wachsamkeit, und (was bei Unternehmungen von dieser Art am meisten zu bewundern, und dennoch sehr gewöhnlich ist) ungeachtet der großen Anzahl derjenigen, die um das Geheimniß wußten, blieb alles so verschwiegen, daß vielleicht niemand auf einigen Argwohn verfallen wäre, wofern gewisse Umstände den von Natur mißtrauischen Philistus nicht endlich aufmerksam gemacht hätten. Auf der einen Seite fand er gar zu unwahrscheinlich, daß Agathon seinen Fall so gleichgültig ansehen sollte, als er es zu thun schien. Auf einer andern kamen ihm Nachrichten von gewissen Zurüstungen des Dion zu, welche eine sehr ernsthafte Absicht verriethen. Der Gedanke, wie, wenn Agathon und Dion gemeine Sache machten? war hier zu natürlich, um sich ihm nicht darzustellen, und zu furchtbar, um ihn nicht äußerst zu beunruhigen. Von diesem Augenblick an wurde sowohl Agathon als die bekannten Freunde Dions von tausend unsichtbaren Augen aufs schärfste beobachtet; bis es endlich dem Philistus glückte, sich eines Sklaven zu bemächtigen, der mit Briefen an Agathon von Athen gekommen war.Aus diesen Briefen (welche die Ursachen enthielten, warum Dion die vorhabende Landung in Sicilien nicht so bald, als es zwischen ihnen verabredet war, ausführen könne) erhellte, daß Agathon und die übrigen Freunde Dions an der eigenmächtigen Wiederkunft desselben Antheil hätten. Allein von einem Anschlag gegen die Regierung und die Person des Tyrannen war (außer einigen unbestimmten Ausdrücken, welche ein Geheimniß zu verbergen schienen) nichts darin enthalten.Diese Entdeckung verursachte große Bewegungen im Cabinet des Dionysius. Man war sich Ursachen genug bewußt, um das Aergste zu besorgen. Aber eben darum hielt Philistus für rathsam, die Sache als ein Staatsgeheimniß zu behandeln. Agathon wurde, unter dem Vorwande verschiedener Verbrechen, die er wahrend seiner Staatsverwaltung begangen haben sollte, in Verhaft genommen, ohne daß dem Publicum etwas Bestimmtes, am allerwenigsten die wahre Ursache, bekannt wurde. Man fand für besser, die Partei des Dion (welche man sich im Schrecken größer vorstellte als sie wirklich war) in Verlegenheit zu setzen, als zur Verzweiflung zu treiben; und, indessen man sich begnügte sie aufs genaueste zu beobachten, gewann man Zeit, sich gegen einen Ueberfall in Verfassung zu setzen.Wir sind es schon gewohnt, unsern Helden niemals größer zu sehen, als im widrigen Glücke. Auf das Aergste gefaßt, was er von seinen Feinden erwarten konnte, setzte er sich vor, ihnen den Triumph nicht zu gewähren, den Agathon zu etwas, das seiner unwürdig wäre, erniedriget zu haben. Er weigerte sich schlechterdings, dem Philistus und Timokrates, welche zu Untersuchung seiner angeblichen Verbrechen ernannt waren, Antwort zu geben. Er verlangte von dem Prinzen selbst gehört zu werden, und berief sich auf den Vertrag, der zwischen ihnen errichtet worden war. Aber Dionysius hatte den Muth nicht, eine geheime Unterredung mit seinem ehmaligen Günstling auszuhalten. Man versuchte es, Agathons Standhaftigkeit durch harte Begegnung und Drohungen zu erschüttern; ja die schöne Kleonissa würde ihre Stimme zu dem strengsten Urtheil gegeben haben, wenn die Furchtsamkeit des Tyrannen und die Klugheit seines Ministers gestattet hätten ihren Eingebungen zu folgen. Sie mußte sich also durch die entfernte Hoffnung zufrieden stellen lassen, sobald man sich nur erst den Dion auf eine oder andere Art vom Halse geschafft haben würde, den verhaßten Agathon zu einem öffentlichen Opfer ihrer nach Rache dürstenden Tugend zu machen.
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Neuntes Capitel.

Dermaliger Gemüthszustand unsers Helden.

Da wir uns zum Gesetz gemacht haben, die Leser dieser Geschichte nicht bloß mit den Begebenheiten und Thaten unsers Helden zu unterhalten, sondern ihnen auch von dem, was bei den wichtigern Abschnitten seines Lebens in seinem Innern vorging, alles mitzutheilen, was die Quellen, woraus wir schöpfen, uns davon an die Hand geben; so erwartet man mit Recht, daß wir diese Pflicht am wenigsten vergessen werden, da wir ihn, am Ende der merkwürdigsten Epoche seines Lebens, nun zum zweitenmale von großen Erwartungen getauscht und aus einer ruhmvollen Laufbahn plötzlich herausgeworfen sehen; ihn, — vor kurzem noch, durch das unbegränzte Vertrauen eines sich selbst erwählten Gebieters und die beinahe abgöttische Liebe eines durch seine Staatsverwaltung glücklichen Volkes, den ersten Mann in Sicilien, — auf einmal in einer Lage sehen, worin ihm vielleicht weder seine Verdienste, noch die vermeinte Lauterkeit seiner Absichten, ohne die Dazwischenkunft irgend eines hülfreichen Genius, gegen die Anschläge seiner Feinde und die Folgen seiner eigenen Unvorsichtigkeit zu Statten kommen werden.Natürlicher Weise kann man erwarten, daß der Ueberblick der ganzen Reihe neuer Erfahrungen, die er so in kurzer Zeit gemacht, und die Reflexionen über sich selbst, die sich ihm in der Stille und Einsamkeit seines Verhaßtes aufdringen mußten, einen Mann, der von seinen frühesten Jahren an mehr in sich selbst, in seiner eigenen Jdeenwelt, als außer sich zu leben gewohnt war, um so stärker beschäftigt haben werde, da er weder auf Rechtfertigung oder Bemäntelung begangener Uebelthaten zu denken hatte, noch die geringste Versuchung in sich fühlte, auf Mittel und Wege zu sinnen, wie er sich mit dem Tyrannen aussöhnen, oder wenigstens seine Freiheit auf eine andere Art, als durch öffentliche Anerkennung seiner Unschuld, wieder erlangen könnte.Man erinnert sich vielleicht noch, daß Agathon schon bei seiner Erscheinung am Hofe zu Syrakus lange nicht mehr so erhaben von der menschlichen Natur dachte, als zu Delphi, wo er, mit den wirklichen Menschen noch wenig bekannt, seine erste Jugend unter Bildsäulen von Göttern und Halbgöttern zugebracht hatte. Athen und Smyrna hatten seinen Standpunkt unvermerkt herabgesetzt; aber nachdem er die an diesen beiden Orten gesammelten Bemerkungen noch durch nähere Bekanntschaft mit den Großen und den Hofleuten zu Syrakus bereichert hatte, sank seine Meinung von der angebornen Schönheit und Würde der menschlichen Natur so tief herab, daß er zuweilen in Versuchung gerieth, alles was der göttliche Plato Hohes und Herrliches davon gesagt und geschrieben hatte, für wenig besser als eine edlere Art Milesischer Mährchen anzusehen. Unvermerkt kamen ihm die Begriffe, welche Hippias ihm vor einigen Jahren beizubringen gesucht hatte, nicht mehr so ungeheuer vor, als damals, da er sich in den Gärten dieses wollüstigen Sophisten in den Mondschein setzte, und, im Geist an der Seite seiner geliebten Psyche, Betrachtungen über den Zustand entkörperter Seelen anstellte. Nach und nach fand er diese Begriffe immer weniger ungereimt; ja sie däuchten ihm, nachdem er die Menschen um ihn her genauer kennen gelernt hatte, wahrscheinlich genug, um sich vorstellen zu können, wie ein Mann, der in seinem eigenen Herzen nichts fände, das ihn edlere Gedanken von seiner Natur zu fassen nöthigte, durch einen langen Umgang mit der Welt dahin gebracht werden könnte, sich gänzlich von der Wahrheit derselben zu überreden.Aber auch hierbei blieb es nicht, nachdem er sich das Vertrauen des Dionysius, um welches er (wie er sich bewußt zu seyn glaubte) aus den reinsten Beweggründen, durch die schuldlosesten Mittel und zu den edelsten Zwecken sich beworben hatte, ohne die geringste Verschuldung auf seiner Seite, durch so verächtliche Menschen und auf eine so unwürdige Art entrissen sah. Der Gedanke, seine schönsten Hoffnungen durch die Thorheit oder Bosheit solcher Menschen vor seinen Augen vernichtet zu sehen, erfüllte ihn mit einem Unmuth, der sich nach und nach über die ganze Gattung ausbreitete; und es kamen Augenblicke, wo er, in dieser grämlichen Verdüsterung seiner Seele, geneigt schien, sich selbst von der Wahrheit der Hippiassischen Theorie zu überreden. "Nein, dachte er dann, die Menschen sind das nicht, wofür ich sie hielt, da ich sie nach mir selbst, und mich selbst nach den jugendlichen Empfindungen eines gefühlvollen wohlmeinenden Herzens und nach einer noch ungeprüften Unschuld, beurtheilte. Meine Erfahrungen bestätigen das Aergste was Hippias von ihnen sagte. Und wenn sie denn wirklich nichts Besseres sind, was für Ursache habe ich, mich zu beschweren, daß sie sich nicht nach Grundsätzen behandeln lassen, welche in keinem Ebenmaß mit ihrer Natur stehen? An mir lag der Fehler, der sie zu etwas Besserm machen wollte, als sie seyn können; der sie glücklicher machen wollte, als sie selbst zu seyn wünschen. Dieß ist nun das zweitemal, daß Philistus, ein ächter Anhänger des Systems meines Sophisten, über Weisheit und Tugend den Sieg davon getragen hat. Hätte er das gekonnt, wofern nicht die Unredlichkeit, der Eigennutz, die Feigheit, der Leichtsinn, die thierische Sinnlichkeit, kurz, alle die unzähligen Blößen, die der schwache Mensch dem boshaften, der unbesonnene dem schlauen, der niederträchtige dem ehrgeizigen gibt, ihn beinah' in jedem Menschen, auf den er die Augen warf, ein bereitwilliges oder doch um irgend einen Preis erkäufliches Werkzeug seiner Plane hätte finden lassen? Bedarf es noch einer neuen Erfahrung, um mich zu überzeugen, daß er eben so gewiß über einen andern Platon, über einen andern Agathon siegen würde? Wie viel ließ ich von der Strenge meiner Grundsätze nach, wie tief stimmt' ich mich selbst herunter, da ich die Unmöglichkeit sah, diejenigen, mit denen ich's zu thun hatte, zu mir hinauf zu ziehen! Wozu half es mir? Ich konnte mich nicht entschließen niederträchtig zu handeln, ein Schmeichler, ein Kuppler, ein Verräther an dem wahren Interesse des Landes und des Fürsten zu werden: und so verlor ich die Gunst des letztern, und mit ihr die einzige Belohnung, die ich für meine Arbeiten verlangte, die Vortheile, die dieses Land von meiner Verwaltung zu genießen anfing; verlor sie, weil ich nicht von mir erhalten konnte, alles recht und anständig zu finden was nützlich ist! — O gewiß, Hippias, deine Begriffe, deine Maximen, deine Moral, deine Staatskunst, gründen sich auf die Erfahrung aller Zeiten! Wann haben die Menschen jemals die Tugend hochgeschätzt, als wenn sie ihrer Dienste benöthigt waren? Wann ist sie ihnen nicht verhaßt gewesen, sobald sie dem Vortheil ihrer Leidenschaften im Lichte stand?"Man begreift leicht, daß diese Betrachtungen, denen Agathon seit seinem Falle bei Hofe, mehr als seiner Gemüthsruhe zuträglich war, nachhing, während seines Verhafts mit verdoppelter Stärke wieder kamen, und durch die anscheinende Gleichgültigkeit der Syrakuser über das Schicksal eines Mannes, der so viele Rechte an ihre Zuneigung und Dankbarkeit hatte, mit jedem Tage und bei jeder neuen Kränkung, die ihm von seinen Feinden widerfuhr, tiefer und schmerzlicher in sein Gemüth eindrangen. War es schon ein so peinliches Gefühl, als er sich gezwungen sah, seine gute Meinung von der schönen und so sehr geliebten Danae, die doch nur eine einzelne Person war, aufzugeben: wie marternd mußte erst das Gefühl seyn, in seiner Meinung von der ganzen menschlichen Gattung, die er mit so inniger Liebe umfaßt hatte, sich betrogen zu haben! Kein Wunder, wenn jener kosmopolitische Enthusiasmus, der bei seiner Flucht aus Smyrna seine ganze Seele durchglühte, bis auf den letzten glimmenden Funken erloschen zu seyn schien! Was für einen Reiz könnte der Gedanke, für das Glück des Menschengeschlechts zu arbeiten, für denjenigen haben, der in den Menschen nichts Edleres sieht, als eine Heerde halbvernünftiger Thiere, deren größter Theil den letzten Zweck aller seiner Bemühungen auf seine körperlichen Bedürfnisse einschränkt, in Befriedigung derselben seinen höchsten Genuß setzt, und dabei noch dumm genug ist, durch feigherzige Unterwürfigkeit unter eine kleine Anzahl der schlimmsten seiner Gattung, sich in den Fall zu sehen, auch dieses armseligen Lebensgenusses nur unter den härtesten Bedingungen und im kärglichsten Maße habhaft zu werden? — Das Thier sucht seine Nahrung, gräbt sich eine Höhle oder baut sich ein Nest, wird von einem blinden Triebe zur Erhaltung seiner Gattung genöthiget, schläft und stirbt. Was thut der größte Theil der Menschen mehr? Das beträchtlichste Geschäft, das sie vor den übrigen Thieren voraus haben, ist die Sorge sich zu bekleiden, die allein viele Millionen Hände auf dem Erdboden beschäftiget. Und ich (sagte Agathon in einer dieser übellaunigen Stunden zu sich selbst), ich sollte meine Vergnügungen, meine Kräfte, mein Daseyn, der Sorge aufopfern, damit irgend eine besondere Heerde dieser edeln Creaturen besser esse, bequemer wohne sich häufiger vermehre, sich zierlicher kleide, und weicher schlafe als zuvor? Ist das nicht was sie wünschen? Und gebrauchen sie etwa mich dazu? Oder, wenn dieß auch wäre, was sollte mich bewegen, mir diese Verdienste um sie zu machen? Ist vielleicht nur ein einziger unter ihnen, der bei allem was er unternimmt eine edlere Absicht hat als seine eigne Befriedigung? Bin ich ihnen Dank dafür schuldig, wenn sie für meine Bedürfnisse oder für mein Vergnügen arbeiten? Ich bin schuldig sie dafür zu bezahlen: dieß ist alles was sie wollen, und alles was sie an mich fordern können.Sobald es mit Agathon erst dahin gekommen war, daß er verächtlich von der Gattung dachte, zu welcher er gehörte, so konnt' es wohl nicht anders seyn, als daß er zuletzt auch an sich selbst irre werden, und in starke Zweifel gerathen mußte, ob es nicht bloße Täuschung einer überspannten Eigenliebe sey, eine höhere Meinung von seiner eigenen Natur zu hegen, als mit dem Begriffe, den er sich von der menschlichen Natur zu machen genöthigt war, verträglich zu seyn schien. Oder sollte er etwa sich selbst für ein höheres Wesen, für irgend eine Art guter Dämonen halten, die aus dem reinern Elemente des überhimmlischen Raums in menschliche Leiber herabgesenkt worden, um durch ihre wohlthätigen Einwirkungen die Menschen aus dem Stande der Thierheit, der ihr natürlichster Zustand zu seyn scheint, nach und nach zur Würde vernünftiger Wesen zu erheben? —Diese Hypothese, die ein Bewohner der Delphischen Haine sich wahrscheinlich genug hätte machen können, hatte zu wenig haltbaren Grund, als daß ein Mann, dessen Phantasie unter Staatsgeschäften und Hofzerstreuungen abgekühlt worden war, sich bei ihr hätte beruhigen können. Was blieb also übrig, als der Gedanke, die Vorzüge, deren er sich vor dem großen Haufen der Menschen bewußt war, möchten wohl nichts andres seyn als bloße Blüthen einer feinern Organisation und Früchte einer höhern Cultur, die ihm durch einen günstigen Zusammenfluß äußerer Umstände zu Theil geworden? Glücklich für ihn und andere, daß er dadurch eines schönern, ausgebreitetern, vollkommnern Lebensgenusses fähig wurde! Aber warum sollte er sich selbst mit eben so undankbaren als vergeblichen Bemühungen verzehren, andre Leute besser und glücklicher zu machen, als sie seyn wollten? Wozu mit Aufopferung seiner Ruhe und Freiheit unmögliche Dinge unternehmen, Mohren weiß waschen und das Faß der Danaiden füllen? Wie groß auch für ihn der Reiz jener idealischen Plane gewesen war, die er in Sicilien auszuführen hoffte, wie sehr sie die Anstrengung aller seiner Kräfte und die Aufopferung aller geringern Freuden des Lebens verdient hätten: waren diese Plane darum weniger chimärisch? Hatte er nicht alles Mögliche gethan sie gelingen zu machen? Könnte er mehr thun, wenn er —selbst mit allen den Kenntnissen, die ihm die Erfahrung über die Ursachen, warum sie fehl geschlagen, verschafft hatte — wieder von neuem an ihnen zu arbeiten anfangen sollte? Waren sie nicht einem weisern Mann als er mißlungen? — Und wenn diese Plane eben darum, weil sie einige Millionen Menschen zu einem höhern Grade von Glückseligkeit erheben sollten als sie fähig sind, bloße Dichterträume waren: was sollte er von den Triebfedern und Bewegungsgründen halten, die ihn verleitet hatten, diese hochfliegenden Phantasien wirklich machen zu wollen? Sollte nicht auch das Streben nach einer mehr als menschlichen Größe, Stärke und Erhabenheit der Seele bloße Täuschung und subtiles Gaukelwerk eines sich selbst vergötternden Egoismus seyn? Wie, Agathon, wenn Hippias auch hierin am Ende Recht behielte, und diese idealische Tugend, der du schon so viel Opfer brachtest, selbst die größte, wenn auch die schönste, aller Chimären wäre?Wir können nicht läugnen, diese und ähnliche Gedanken waren in einer trübsinnigen Stunde in unserm Helden aufgestiegen: und wofern sie mehr als bloße Mißklänge einer durch gereizte Empfindlichkeit und gerechten Unwillen verstimmten Seele gewesen, wofern sie gar in Gesinnungen übergegangen wären; so schwebte er am äußersten Rande des Abgrunds, der zwischen Weisheit und Tugend und dem System des Hippias liegt, und seine Feinde hätten einen allzu fürchterlichen Sieg über ihn erhalten, wenn sie ihn nicht bloß vom Gipfel seines Glücks in Syrakus, sondern sogar von der moralischen Höhe, auf der er so weit über sie erhaben stand, hätten herabstürzen können. Aber dieser Triumph sollte ihnen nicht zu Theil werden, denn der Genius seiner Tugend führte in eben dieser Stunde, da sein Gemüthszustand eine neue Probe seiner bis in ihrem Grund erschütterten Rechtschaffenheit gefährlicher als jemals zu machen schien, einen Zufall herbei, der gerade das, was ihren Fall beschleunigen konnte, zum Mittel machte, ihr das Uebergewicht wieder zu geben, welches sie unter allen seinen Schwachheiten und Verirrungen bisher noch immer glücklich behauptet hatte.
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Zehntes Capitel.

Agathon erhält einen sehr unvermutheten Besuch, und wird auf eine neue Probe gestellt.

Wiewohl die Feinde Agathons keine Maßregel der Vorsichtigkeit vergessen hatten, ihm eine heimliche Entweichung oder seinen Anhängern eine gewaltsame Entführung unmöglich zu machen; so hatte man doch, da die schärfste Untersuchung nichts, das eine allzugroße Strenge rechtfertigen konnte, gegen ihn aufgebracht, und der erste Zorn des Tyrannen sich wieder abgekühlt hatte, sich nicht entbrechen können, ihn nach Verfluß einiger Wochen gelinder zu behandeln; und sein Verhaft war nicht mehr so enge, daß man irgend einem von seinen ehemaligen Bekannten, auf den kein Verdacht von geheimem Einverständniß mit ihm oder Dion fiel, besonders denen von der gelehrten Zunft, die Erlaubniß, ihm seine gezwungene Einsamkeit zu erleichtern, schwer gemacht hätte.Unter diesem Titel hatte er schon mehrere Besuche von seinem Freund Aristippus erhalten; und dieser war es auch den er vermuthete, als die Thür seines Zimmers aufgeschlossen wurde, und — anstatt desselben — wer anders? als eben dieser nämliche Hippias herein trat, den er noch vor wenigen Minuten, da er ihn mehr als hundert Meilen von Syrakus entfernt glaubte, so lebhaft apostrophirt, eben dieser Hippias, zu dessen antiplatonischer Philosophie er bereits mit so stark gefühlter Ueberzeugung, wie es schien, sich zu bekehren angefangen hatte.Berge kommen nicht zusammen, sagt ein sehr altes Sprüchwort, aber Menschen, wie weit sie auch getrennt seyn mögen, sind nie sicher, einander unverhofft zu finden oder wieder zu sehen. Hippias, nachdem er den Olympischen Spielen (deren Begehung in dieses Jahr fiel) seiner Gewohnheit nach beigewohnt hatte, war, sey es nun aus Vorwitz, oder um gelegenheitlich eine kleine Rolle zu spielen, nach Syrakus herüber gekommen; und, wiewohl er unsern Helden in einer ganz andern Lage zu finden geglaubt hatte, so schien er doch nichts Befremdendes zu hören, als man ihm sagte, daß Agathon in Ungnade gefallen, und sogar, wegen einer vermuthlichen geheimen Verbindung mit dem Schwager des Tyrannen, in Verhaft gekommen sey. Hippias wollte sich das Vergnügen nicht versagen, seine Augen an dem Falle dieses politischen Jkarus zu weiden, dem, seiner Meinung nach, nichts begegnet war, als was er durch seine Ungelehrigkeit, und durch die Vermessenheit, sich auf den Wachsflügeln der Schwärmerei in die sonnigen Höhen des Hofes und der Fürstengunst zu wagen, mehr als zu wohl verschuldet hatte. Er eilte also, sobald er binnen einigen Tagen die nöthigen Vorkenntnisse von Agathons Umständen eingezogen hatte, unter dem Titel eines alten Bekannten sich bei ihm einführen zu lassen.Nach der Stimmung zu urtheilen, worin wir unsern Helden wenige Minuten vor dem Eintritt des Sophisten verladen haben, sollte man mit Grund erwarten dürfen, daß ihm diese so ganz unverhoffte Erscheinung eines Mannes, mit dessen Denkart er sich so gut ausgesöhnt zu haben schien, vielmehr angenehm als unwillkommen hätte seyn sollen. Gleichwohl zeigte sich, sobald ihm die wohlbekannte Gestalt des hereintretenden Hippias in die Augen fiel, das Gegentheil auf eine Art, die für diesen nicht sehr schmeichelhaft war. Eine plötzliche Röthe glühte in seinem bleichen Gesicht auf; er fuhr betroffen und beinahe bestürzt zurück, und alle Züge seines Gesichts verriethen jene Art von Verlegenheit, in welche man geräth, wenn man sich unversehens von einem Menschen überfallen sieht, den man nicht gern zum Zeugen seiner Gedanken haben möchte, und vor dessen Scharfsinnigkeit man doch nicht sicher zu seyn glaubt. Hippias, der mit allem Scharfblick seines Schalksauges die wahre Ursache dieser Verlegenheit unmöglich erspähen konnte, schrieb sie einer in Agathons Lage (seiner Meinung nach) sehr natürlichen Verwirrung zu, und ging nur desto zuversichtlicher, mit aller anscheinenden Offenheit einer Person, die sich zum freundlichsten Empfang berechtigt hält, auf ihn zu. Agathon fand sich durch diese Vertraulichkeit um so mehr beleidigt, da er Schadenfreude und Triumph unter den buschigen Augenbrauen des Sophisten hervorblicken zu sehen glaubte. Auf einmal standen alle seine ehemaligen Verhältnisse zu ihm, mit allen den Scenen, worin Hippias sich ihm als ein Gegenstand der tiefsten Verachtung und des innigsten Abscheues dargestellt hatte, im wärmsten Colorit der Gegenwart vor seiner Seele: ihm war als sähe er seinen bösen Genius vor sich; und dieses seltsame Gefühl warf ihn auf einmal wieder in sich selbst zurück. Die Theorie des Sophisten verlor im unmittelbaren Anblick seiner verhaßten Gestalt alles Täuschende, was ihr Agathons eigne verstimmte Phantasie geliehen hatte; und sobald er in dem Manne, den er vor sich sah, den ganzen leibhaften Hippias, wie er ihn zu Smyrna verlassen hatte, wieder fand, fühlte er auch in sich den ganzen Agathon.Unser Sophist war, mit allem seinem Stolz, nicht gesonnen, sich durch einen unhöflichen Besuch irre machen zu lassen. Ei, ei! rief er in einem Tone von ironischer Verwunderung, was ist das? Ich komme nach Syrakus, um ein Augenzeuge des glänzenden Glückes und der ruhmvollen Staatsverwaltung meines Freundes Agathon zu seyn, und ich treffe ihn in einem Gefängnisse an! Wie geht das zu, Agathon? Sollte dir etwa dein Platonism auch an Dionysens Hofe einen seiner alten Streiche gespielt haben? Ich hoffte was Besseres von den Schulen, die du zu Smyrna durchgegangen bist; und ich beklage sehr, daß ich, der nach Sicilien gekommen war, sich deines Glücks zu erfreuen, dir in der Lage, worin ich dich finde, vielleicht mit nichts als einem unfruchtbaren Mitleiden dienen kann."Erspare dir auch dieß, Hippias, erwiederte Agathon mit einem Blick der kältesten Verachtung: oder, wenn du ja so gutherzig bist, mir mit etwas, das mir noch lieber als dein Mitleiden wäre, dienen zu wollen, so suche dir eine Gesellschaft, für die du dich besser schickest, und überlaß mich der meinigen."Lieber Agathon, versetzte Hippias. ohne die geringste Empfindlichkeit über einen so unfreundlichen Empfang zu verrathen, ich begreife, daß man mit einem so zarten Gefühl wie das deinige, in einer solchen Lage, nicht immer bei guter Laune seyn kann. Wir kennen uns, und unter alten Freunden kommt es auf eine saure Miene mehr oder weniger nicht an. Ich bin nicht hier, deines Unglücks zu spotten —"Wirklich nicht?" fiel ihm Agathon mit einem bittern Lächeln ins Wort.Es ist doch noch nicht so lange her, fuhr Hippias fort, daß du dich nicht solltest erinnern können, auf welchem Fuß wir einst zu Smyrna lebten; daß ich, von dem ersten Augenblick an, da der Zufall uns zusammen brachte, dich lieb gewann; und daß es an mir nicht lag, wenn du nicht einer der glücklichsten Menschen wurdest, auf welche jemals die Ionische Sonne geschienen hat. Aber du wolltest lieber deinen eigenen Weg gehen. Ich sagte dir voraus, wohin er dich führen würde; aber du hörtest nicht auf mich, und ich mußte mir's gefallen lassen. Da ich mir selbst und meinen Grundsätzen immer getreu bleibe — (das mag dir leicht werden, dachte Agathon erröthend) so blieb ich auch dein Freund —"Du, mein Freund? — Hippias der Freund Agathons?"Warum nicht, wenn anders der unser Freund ist, der es wohl mit uns meint, und auch in einem Unglücke, das wir uns selber zugezogen haben, herbeieilt, uns die Hand zu bieten?"Ich bin nicht unglücklich, Hippias; aber wenn ich es wäre; was sollte mir das, was du deine Freundschaft nennst, helfen können?"O sehr viel, wenn du nicht, noch so früh, schon ganz unverbesserlich bist.Unverbesserlich? — Doch, ja! Verlaß dich darauf, daß ich es bin, und ziehe deine bessernde Hand von mir ab! Je eher je lieber! du würdest Zeit und Mühe umsonst verschwenden. Ich bin in der That unverbesserlich."Das kann und will ich nicht glauben, Agathon! du bist übellaunig, verdrießlich, siehst jetzt gerade alles braungelb, weil dir ein wenig Galle ins Blut getreten ist. Aber — wir sind Männer; du bist Agathon, ich bin Hippias —Warum sollten wir einander nicht Gerechtigkeit widerfahren lassen können?"O! die laß ich dem Hippias gewiß widerfahren," sagte Agathon, indem er ihm einen verachtenden Blick zuwarf, und dann nach der Thür hinsah.Höre, Agathon, erwiederte der weise Hippias mit der ganzen unanfechtbaren Iovialität, die er zu allen Zeiten in seiner Gewalt hatte, und indem er sich zugleich, mit aller Behaglichkeit eines Mannes der zu Hause ist, auf einen Polstersitz niederließ; ich hoffe dir einen Beweis zu geben, daß ich gerecht gegen den Mann zu seyn weiß, welcher Zaubermacht genug in sich hatte, um sogar Einen der Tiger, die den Wagen des Dionysos ziehen, zahm zu machen; gegen den Mann, der das goldne Alter nach Sicilien zurückgebracht —haben würde, wenn die Menschen nicht wären — was ich dir schon zu Smyrna sagte daß sie seyen, und was sie so lange bleiben werden, als sie nichts als ein Paar feiner organisirte Vorderpfoten und die Gabe der Sprache vor den übrigen Thieren voraus haben.Agathon fing itzt an, sich als einen Menschen zu betrachten, den ein Zufall auf einem Marktschiffe mit einer schlimmen Gesellschaft zusammengebracht hat, die er für gut nehmen muß, und, in Hoffnung sich bald wieder von ihr zu trennen, duldet so gut er kann. Er zuckte die Achseln und ließ den Sophisten reden.Gewiß ist es nicht deine Schuld, fuhr Hippias lächelnd fort, wenn Dionysius nicht der tugendhafteste und weiseste aller Tyrannen, sein Hof nicht ein Tempel aller Musen, seine Räthe und Diener nicht alle eben so uneigennützig als du selbst, sein Volk nicht das glücklichste Volk unter der Sonne, und — sogar die kleine Bacchidion nicht die harmloseste aller jungen Dirnen ist, die sich jemals in die Arme eines Königs hinein getanzt haben.Agathon erröthete abermal, schlug die Augen nieder und schwieg fort. Was sollte er auch gesagt haben? Hippias hatte ihn nun einmal in seiner Gewalt, und immer war es ein Vorrecht der Leute seiner Art, gute Menschen nicht nur über das, was sie sich bewußt sind, sondern noch öfter über das was jene von ihnen zu denken scheinen, schamroth zu machen.Gewiß, fuhr Hippias fort, kamst du mit solchen Absichten nach Syrakus; gewiß hattest du dir den schönsten Plan von der Welt darüber gemacht, und gabst dir alle Mühe ihn zur Wirklichkeit zu bringen. Wie kam es denn, Agathon daß dir die Ausführung nicht besser gelang?"Vermuthlich, weil man nicht alles kann was man will," antwortete Agathon; "oder, du hörtest wohl lieber, wenn ich sagte: weil ich nicht klug genug war, von den Grundsätzen der geheimen Philosophie Gebrauch zu machen, in deren Mysterien du mich einzuweihen gewürdiget hattest?Mein lieber Agathon, versetzte der Sophist mit einem schalkhaft mitleidigen Lächeln, man kann alles was man will, sobald man nichts will als was man kann: und was den andern Punkt betrifft, so sollt' ich beinahe selbst glauben, du würdest mit meinen Maximen zwar keines der Wunderwerke, die du hier verrichten wolltest, weder gethan noch unternommen haben; aber dafür auch höchst wahrscheinlich noch zu dieser Stunde der Günstling des Dionysius seyn, und das Vergnügen haben, die Philiste und Timokraten, ja die majestätische Kleonissa selbst, nach jeder Melodie, die du ihnen vorspielen wolltest, tanzen zu sehen."Ohne Zweifel," sagte Agathon, "würde sich der weise Hippias an meinem Platze ganz anders benommen haben als ich. Er würde Mittel gefunden haben, den Tiger des Dionysos mit lauter Rosenbetten vor seinen eigenen Wagen zu spannen; die Philiste und Timokraten, und wer nur irgend schlau genug gewesen wäre, euch seinen Antheil an der gemeinsamen Beute abzuverdienen, würden sich willig haben finden lassen, dir deinen Plan ausführen zu helfen, und bei Gelegenheit ihren Beschützer wieder beschützt haben. Diese schöne Harmonie hätte so lange gedauert, als jedes bei der stillschweigenden Uebereinkunft, sich von den andern betrügen zu lassen, seine Rechnung gefunden hätte; und niemand hätte sich bei eurer Eintracht übel gestanden, als der Staat und das Volk von Sicilien, und die kleine Zahl der ehrlichen Leute, deren Daseyn euern Blicken entgangen wäre. Nicht wahr?"O Agathon, Agathon, rief der Sophist mit dem theilnehmenden Ton eines Mannes aus, der seinen oft gewarnten Freund eigensinnig auf einem Wege, der ihn ins Verderben führen wird, fortgehen sieht — So sollen denn auch diese neuen Erfahrungen, die du auf deine eignen Kosten gemacht hast, und vielleicht nur zu theuer bezahlen wirst, so sollen denn auch diese für dich verloren seyn!! — Aber lassen wir itzt das, was ich an deiner Stelle gethan hätte, und bleiben bei dem stehen, was du gethan hast. Obgleich das Geschehene nicht mehr zu ändern ist, so kann dir doch die Erkenntniß deiner Verirrungen künftige Fehler ersparen. Wie gesagt, ich hoffe dich zu überzeugen, daß ich dein Freund bin; denn ich will dir einen Spiegel vorhalten, der dir nicht schmeicheln soll. Wenn Agathon seinen herrlichen Plan vereitelt, seinen Zweck verfehlt, seine Arbeit verloren und seine Verdienste mit Undank belohnt sieht: so hat er niemand die Schuld beizumessen als — sich. Erkenne an diesem Zuge den Charakter der Freundschaft, die sich nicht scheuet, dem Freunde zu seinem Besten wehe zu thun, und ihn strenger zu beurtheilen als er selbst. Ich will nichts von der Vermessenheit sagen, womit du dich an dein Werk wagtest, wozu dir gerade die einzigen Erfordernisse fehlten, ohne welche es nicht gelingen konnte; an ein Werk, das dem weisen Plato selbst mißlungen war! war! Arm an Weltkenntniß, aber desto reicher an Idealen, glaubtest du, aus der Regierung eines Dionysius eben so leicht das Muster einer vollkommnen Monarchie machen zu können, als es dir zu Smyrna, in einem Hause, wo dir alles zu Gebot stand und wo du alles fandest, ein Leichtes gewesen war, jeden schönen Dichtertraum zu realisiren, woran deine Phantasie zur Belustigung der schönen Danae so fruchtbar war. Ohne den Charakter des Tyrannen und seiner Günstlinge durch dich selbst zu kennen, geschweige sie lange und scharf genug beobachtet zu haben, um zu wissen, wie ein Mann von deiner Denkart von jenem zu hoffen und von diesen zu fürchten habe, unternahmst du, was kein weltkluger Mann jemals auf sich genommen hätte, — jenen zu einem guten Fürsten umzubilden, diese von ihm zu entfernen und unschädlich zu machen. Den Dionysius zu einem guten Fürsten! Es ist, als wenn Alkamenes seine Aphrodite aus einem knotigen Stück Feigenholz hätte schnitzen wollen. Einen Philistus unschädlich! Giftiges Gewürm muß man ausrotten um es unschädlich zu machen. Dir selbst solche Wunder zuzutrauen, war allerdings große Vermessenheit: indessen dient dir hier die Schönheit deines Plans, der Reiz eines so ruhmwürdigen unternehmens, und deine Unbekanntheit mit dem Hofe, als einer für dich ganz neuen Welt, allenfalls zur Entschuldigung. Aber daß du dein eignes Herz nicht besser kanntest; daß du, um die Gunst, oder (wenn du es lieber so nennen willst) das Zutrauen des Tyrannen zu gewinnen, so gefällig warst einen Theil von dir selbst zu verläugnen; daß du immer so viel von deinen Grundsätzen nachgabst, als du für deinen Zweck zu gewinnen hofftet; daß du dich zu einem schimpflichen Vergleich mit dem, was du selbst Laster nennest, erniedrigtest, durch Nachgiebigkeit gegen gewisse Leidenschaften des Tyrannen Meister von den übrigen zu werden hofftest, eine Bacchidion in deinen Schutz nahmst, um eine Kleonissa durch sie zu verdrängen; — und daß du, wie natürlich, mit aller dieser Halbheit deinen Plan doch nicht auszuführen vermochtest; daß alle diese unzulänglichen Aufopferungen am Ende vergebens gemacht waren; daß du deinen Feinden eine Blöße über die andere gabst, und die Gruben nicht gewahr wurdest, in welche du durch deine eignen Leidenschaften fallen mußtest; daß du deine Urtheile von den Menschen, deren Laufbahn die deinige durchkreuzte, so oft ändertest, als sich ihr zufälliges Verhältniß gegen dich veränderte; daß du mit eben diesem Dion, den du noch kurz zuvor ruhig seinen Feinden Preis gabst, gemeine Sache gegen einen Fürsten machtest, von dem du mit Gunstbezeugungen überschüttet worden warst, und dem du so viele Ursache gegeben hattest dich für seinen Freund zu halten: — dieß, Agathon, sind Abweichungen von deinen eigenen Grundsätzen, deren du dich billig vor dir selbst anzuklagen hast, und die dadurch nur desto verdammlicher werden, weil sie eben so sehr gegen die Gesetze der Klugheit verstoßen, als gegen jenes hohe Ideal der Tugend, dem du in deinen schwärmerischen Stunden alles aufzuopfern bereit warst. Daß du den Muth nicht hattest, entweder deinen Grundsätzen ganz getreu zu bleiben, oder, wenn Erfahrung und zunehmende Menschenkenntniß dich von der Richtigkeit der meinigen überführte, dich gänzlich von diesen führen zu lassen: das ist es was dich hierher gebracht hat, und vielleicht am Ende, für allen deinen guten Willen, das Reich der Themis und des Kronos nach Sicilien zurückzubringen, dich zum Opfer deiner Feinde machen wird, ohne daß dir nur der Trost deines eigenen Beifalls bliebe, nur das Recht, deinen Richtern und der ganzen Welt mit dem stolzen Bewußtseyn, immer dir selbst gleich geblieben zu seyn, in die Augen zu sehen. Alle diese Kränkungen von außen und innen hättest du dir ersparen können, mein guter Agathon, wenn du dich, da du die schlüpfrigste aller Bahnen zu betreten wagtest, jener Theorie hättest erinnern wollen, die ich dir, als das Resultat der Erfahrungen und Beobachtungen eines an Begebenheiten und Glückswechseln sehr reichen Lebens, in wenig Stunden mit einer Offenheit und Gutmüthigkeit mittheilte, die einer bessern Aufnahme werth waren. Deine eigene Erfahrung ist nun die sicherste Probe über die Richtigkeit meiner Rechnung; und ich kann die Anwendung meiner Maximen auf die besondern Fälle, worin du dich seit deiner Entfernung von Smyrna befunden hast, um so eher deinen eigenen Betrachtungen überlassen, da ich gewiß bin, daß sie dir auch nicht Einen von dir begangenen Fehler zeigen werden, den du nicht durch die Befolgung dieser Maximen vermieden haben würdest.Hier hielt Hippias ein, als ob er seinem in Gedanken (wie es schien) verlornen Zuhörer Zeit lassen wollte, das Gehörte zu Herzen zu nehmen. Aber, es sey nun, daß er in der Absicht noch mehr zu sagen gekommen war, oder daß seine alte Zuneigung zu unserm Helden in diesem Augenblicke wieder erwachte, indem er einen der liebenswürdigsten und vorzüglichsten Sterblichen, dem Ansehen nach, so gedemüthigt vor sich sah, — genug, da dieser noch immer mit gesenktem Haupt in tiefem Stillschweigen verharrte, nahm er das Wort wieder, und sagte, indem er aufstand und den zu ihm aufblitzenden Agathon bei der Hand nahm, mit einem Tone der Stimme, der aus dem Herzen zu kommen schien: vergib mir, Agathon, wenn ich dir weher gethan habe als meine Absicht war! Ich bin in einer sehr guten Meinung zu dir gekommen; und, wiewohl ich, wenn ich gewissen Erinnerungen Gehör geben wollte, vielleicht mit dir zürnen sollte, so ist es mir doch weit angenehmer, mich dem Hang zu überlassen, der mich seit dem Anfang unsrer Bekanntschaft immer zu dir zog. Gib meiner dir entgegenkommenden Freundschaft eine freundliche Antwort, und alles ist auf immer vergessen; ich gebe dir meine ganze Liebe für einen Antheil an der deinigen! Du kehrst mit mir nach Smyrna zurück; dein Umgang verschönert den Rest meines Lebens; du theilest alles was ich besitze mit mir, und bist, wenn ich ausgelebt habe, der Erbe meiner Talente und meiner ganzen Verlassenschaft.Hippias hatte, beim letzten Theile dieser Anrede, Agathons halb verweigerte Hand abermals mit einer Wärme ergriffen, die dem ganzen Ausdruck seines Gesichts die Wahrheit seiner Worte bekräftigen half. Laß dich, setzte er hinzu, den Contrast meines Anerbietens mit deiner gegenwärtigen Lage nicht beunruhigen. Ich bin wie du schon gemerkt haben mußt, mit allen Umständen deines hiesigen Lebens bekannt, und weiß ziemlich genau, wie weit deine Feinde allenfalls gehen dürften. Aber, ich habe Ursache zu glauben, daß ich bei dem Fürsten, und selbst bei der tugendhaften Kleonissa (die, unter uns gesagt, einst eine meiner gelehrigsten Schülerinnen war), ja, auf alle Fälle, bei dem ganzen Syrakusischen Volke so viel vermag, daß deine Aussöhnung mit Dionysius und deine Freiheit mir nur wenig Mühe kosten werden.Agathon, von einem so ganz unerwarteten Ausgange dieses Besuchs mehr gerührt als er wollte, wand seine von zwei sehr verschiedenen Regungen nach zweierlei Richtungen gezogene Hand nur langsam aus der stärkern Faust des Sophisten, und bat ihn, mit einem Blicke, der durch zwei große Thränen, die ihm in die Augen getreten waren, hindurch schimmerte, sich wieder niederzulassen, und nun auch an seiner Seite anzuhören, was er ihm aus vollem Herzen antworten würde.Hippias, der einen Antrag gemacht zu haben glaubte, den in Agathons Lage nur ein Wahnsinniger abweisen könne, schien sich von dem, was ihn der feierliche Ernst in Agathons Augen erwarten hieß, wenig Gutes zu versprechen; er biß sich schweigend in die Oberlippe, ließ Agathons sich sanft zurückziehende Hand plötzlich fahren, nahm seinen vorigen Platz wieder, und hörte mit angenommener Zerstreuung, was der eigensinnige Schwärmer gegen einen Vorschlag, womit er ein Recht an seine wärmste Dankbarkeit erlangt zu haben glaubte, einzuwenden haben könnte.
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Eilftes Capitel.

Agathons Schutzrede für sich selbst, und Erklärung auf den Antrag des Hippias.

Vor allen Dingen, Hippias (fing Agathon an), bekenne ich mich von ganzem Herzen zu den Absichten, die du mir zuschreibest, als ich den Entschluß faßte mich dem Dionysius zu widmen. Wie schwärmerisch auch der Plan, den ich nach Syrakus mitbrachte, in deinen Augen erscheinen mag, es war der meinige: und in der That, es bedurfte keines geringern, um den Zauber zu entkräften, der mich, als ich aus Smyrna entfloh, noch immer mit kaum widerstehlicher Gewalt nach dem Ionischen Ufer zurückzog; es bedurfte des ganzen Schwunges, den mein Geist in diesen gefährlichen Augenblicken durch den Gedanken erhielt, eine neue Laufbahn nach dem edelsten Ziele seiner nur zu lange durch üppige Trägheit gebundenen Kräfte vor sich eröffnet zu sehen. Lege mir's nicht als Uebermuth aus, Hippias, wenn ich sage: wer, der in dem Alter, wo der Jüngling sich in den Mann verliert, solcher Kräfte sich bewußt ist, könnte bei einem solchen Gedanken, bei einer so schönen und großen Unternehmung, vor Schwierigkeiten zittern, oder ängstlich das ihm selbst unbekannte Maß seiner Stärke ausrechnen? Wenn Eitelkeit, Ruhmdurst, oder irgend eine andere unlautere Triebfeder damals an meinen Entwürfen für die Zukunft Antheil hatte, so war ich mir dessen nicht bewußt: meine Absichten waren rein, mein Zweck der edelste, auf den ein menschliches Wesen seine Thätigkeit richten kann; denn ich hatte keinen andern, oder (was doch wohl bei Menschen für das Nämliche gelten muß) ich erkannte keinen andern in mir, als das möglichste Gute in dem ganzen Umfange des Wirkungskreises, der sich meinen Hoffnungen aufthat, hervorzubringen. Für den Erfolg konnte weder mein Wille noch mein Verstand die Gewähr leisten; und mir einen solchen Ausgang zu weissagen, würde, wenn es damals auch möglich gewesen wäre, eher Feigheit als Behutsamkeit gewesen seyn. Wer mit reinen Gesinnungen und mit unbedingter Bereitwilligkeit zu jeder Aufopferung seines besondern Vergnügens oder Vortheils für das allgemeine Beste arbeitet, wird schwerlich, wie groß auch sein Wirkungskreis sey, durch die Fehler in die er fallen mag, einem andern schaden als sich selbst. Niemand Unrecht zu thun, und immer das, was wir in den gegebenen Umständen für das möglichste Gute erkennen, zum Zweck zu haben, ist ganz in unsrer Gewalt: uns nie hierin zu irren, ist mehr als von einem Sterblichen gefordert werden kann. Ohne Zweifel habe ich während meines öffentlichen Lebens zu Syrakus manchen Irrthum dieser Art begangen; auch vielleicht manchen, den ein erfahrnerer und weiserer Mann als ich vermieden hätte. Fern sey es von mir, mich hierüber selbst täuschen, oder in anderer Augen besser scheinen zu wollen als ich bin. Aber eine Stimme, deren ernsten Ton ich zu gut kenne, um ihn jemals mit dem schmeichelnden Gelispel des Eigendünkels zu verwechseln, spricht mich im Innersten meines Gemüthes von der Schuld eines unredlichen Willens oder einer sträflichen Nachlässigkeit los; und ist nicht schon allein der Umstand, daß ich hier bin, ein Beweis meiner Unschuld? — Mehr Gelehrigkeit gegen deine Theorie der Lebensweisheit hätte mir, sagst du, die falschen Schritte erspart, die mich hierher gebracht haben. O gewiß! Aber nur, weil sie mich zum Mitschuldigen derer gemacht hätte, die bloß darum meine Feinde wurden, weil sie keine Lust hatten mir, auf Unkosten ihrer Selbstheit, Gutes wirken zu helfen, und ich ihnen im Bösesthun weder zum Gehülfen noch zum Werkzeug dienen wollte.Doch, gerade in diesem Stücke, glaubst du, habe ich mich von der unerkannten Schwäche meines Herzens betrügen lassen. Ich hatte nicht Muth genug, sagst du, meinen Grundsätzen getreu zu bleiben; ich schwankte zwischen der Rechtschaffenheit, die ich mir selbst zur Maxime gemacht hatte, und der Klugheit, worin, nach deiner Theorie, die Tugend des Weisen besteht, unbeständig hin und her. Daher die Nachgiebigkeit gegen die Ausschweifungen des Tyrannen, die du mir Schuld gibst; daher diese Halbheit, und der schimpfliche Vergleich mit dem, was ich selbst Laster nenne, wozu ich mich erniedrigt haben soll. —In der That steht es übel mit mir, Hippias, wenn ich diese Beschuldigungen verdient habe, ohne mir dessen bewußt zu seyn, und du hast mir den größten aller Dienste erwiesen, daß du gekommen bist, mein Gewissen aus einem so gefährlichen Zauberschlaf aufzurütteln. Nun wäre ich nicht länger zu entschuldigen, wenn ich fortfahren wollte mich selbst zu hintergehen. Allein, wie sehr du dich auch durch einen so uneigennützigen Liebesdienst als meinen Freund bewiesen hast, so erwartest du doch nicht, daß ich mich, gegen mein eigenes Bewußtseyn, zu irgend einer Schuld bekenne, von welcher mich der Richter in meinem Busen frei spricht. Als ich, — im Gedränge zwischen der Wahl, entweder meinen ganzen Plan aufzugeben, oder mich zu einiger Nachsicht gegen die verderbten Menschen, mit denen ich es zu thun haben mußte, zu bequemen, —als ich da dem Glauben Platz gab, daß es nicht unmöglich sey, die Räthe der Klugheit mit den Forderungen der Rechtschaffenheit zu vereinigen, glaubte ich mir bewußt zu seyn, daß die Unmöglichkeit, meinen Plan ohne diese Nachgiebigkeit auszuführen, mein einziger Bewegungsgrund sey; und erlaube mir dich zu erinnern, daß es ein Plan war, in welchem mein Privatinteresse in ganz und gar keine Betrachtung kam. Ich beruhigte mich damit, daß ich nicht gegen mich selbst, sondern nur gegen andere etwas von der Strenge meiner Grundsätze nachließ, und nicht mehr als mir unvermeidlich schien, wenn ich sie nicht gänzlich von dem guten Wege zurückschrecken wollte, auf welchen ich sie zu bringen hoffte; auf einen Weg, von dem sie zu weit verirrt waren, als daß ich, um sie dahin zu bringen, alle Krümmungen und Seitenpfade hätte vermeiden können. Dieß allein, Hippias, war die Ursache der Halbheit, deren du mich mit mehr Strenge als Billigkeit beschuldigest. Daß ich durch ein solches Benehmen meinen Feinden Blößen geben mußte, war, wie ich itzt bei kälterm Blute sehe, unvermeidlich: aber ich bitte dich, nicht zu vergessen, daß ich keine andern Feinde hatte, noch haben konnte, als die Feinde des Guten, das ich schaffen wollte, und das mit den Forderungen ihrer Leidenschaften unverträglich war. Ihnen diese Blößen nicht zu geben, waren nur zwei Wege, entweder den Hof zu verlassen, oder die Rolle an demselben zu spielen, welche hippias an meinem Platze gespielt hätte. Das erste wollte ich nicht, weil ich die Hoffnung eines guten Erfolgs nicht zu früh aufgeben wollte; das andere konnte ich nicht, weil ich nicht aufhören konnte Agathon zu seyn. —Doch, es gab noch einen dritten Weg, sagst du: ich hätte Muth genug haben sollen meinen Grundsätzen ganz getreu zu bleiben, und dem Ideal der Tugend alles aufzuopfern. Wenn ich dich recht verstehe, so heißt dieß: ich hätte meinen Wirkungskreis an Dionysens Hofe für einen Kampfplatz auf Leben oder Tod ansehen sollen; hätte alles darauf anlegen, und mich nicht eher zufrieden geben sollen, bis ich über der Ausführung meines Plans entweder selbst die Seele ausgeblasen, oder meine Gegenkämpfer leblos zu meinen Füßen hingestreckt hätte. Aber dieß, weiser Hippias, war mehr, als wozu der strenge Platon selbst sich verbunden geglaubt hätte; war etwas, was sogar der noch strengere Dion nicht eher unternahm, als bis er, durch die empfindlichsten Beleidigungen herausgefordert, Gewalt für das einzige Mittel hielt, Sicilien zu retten, und —sich selbst Genugthuung zu verschaffen. Wenn du neugierig genug bist, dich nach allen Umständen, unter welchen ich mit dem Dionysius und seinem Hofe in Bekanntschaft kam, zu erkundigen, — wozu dir, wie es scheint, deine hiesigen Verhältnisse überflüssige Gelegenheit geben, — so wirst du finden, daß der Gedanke, als ein Athlet aufzutreten, und diejenigen mit Faust und Ferse zu bekämpfen, die ich zu gewinnen hoffen konnte, unter jenen Umständen nicht natürlich war, und einem rechtschaffenen Manne, der zugleich an den Namen eines vernünftigen Anspruch machte, nicht eher einfallen konnte, bis er erst alle gelindern Mittel vergebens versucht hatte, den Tyrannen und seine Rathgeber und Günstlinge so unschädlich zu machen, als es einem jeden möglich scheinen konnte, der, wie ich, des Gegentheils erst durch Erfahrung überwiesen werden mußte. Daß ich, nachdem mich diese große Lehrerin, die uns ihre Schule so theuer bezahlen läßt, endlich von der Unzulänglichkeit jener gelindern Mittel überzeugt hatte, daß ich da die Partei nahm, die ich (deiner Meinung nach) gleich anfangs hätte nehmen sollen, hat mich —freilich nur zufälliger Weise — hierher gebracht: mein Anschlag mißlang; allein über das Vorhaben selbst und den Zweck desselben macht mein Herz mir die Vorwürfe nicht, die mir Hippias macht. Wenn sich mein Urtheil von Dion änderte, oder, richtiger zu reden, wenn ich mich in eine Verbindung mit ihm einließ, der ich ehmals ausgewichen war; so kam es nicht daher, weil sein zufälliges Verhältniß gegen mich, sondern weil die Umstände sich dergestalt verändert hatten, daß wir, den Staat vom Verderben zu retten, kein andrer Weg übrig schien, als mich zu einer offenen Fehde gegen die Verführer des Dionysius, nicht gegen seine Person, mit Dion zu vereinigen. Wer nach einerlei Grundsätzen und zu eben demselben Zweck, unter veränderten Umständen, bloß die Art zu verfahren und die Mittel ändert, kann eben so wenig einer Veränderlichkeit beschuldigt werden, als derjenige, der sein Urtheil von Personen und Sachen, nach Maßgabe des Wachsthums seiner durch Erfahrung, Nachdenken oder bessern Unterricht berichtigten Kenntniß derselben, genauer zu bestimmen sucht.Bei der günstigen Gesinnung, die dich zu mir geführt hat, Hippias, wirst du es hoffentlich sehr natürlich finden, daß ich nicht gern schlechter in deiner Meinung seyn möchte, als ich mir selbst vorkomme: aber noch weniger möchte ich in meiner eigenen besser erscheinen, als ich wirklich bin. Zu diesem Behuf ist mir dein unerwarteter Besuch wohlthätiger gewesen, als du vermuthlich wolltest, wenigstens in einem ganz andern Sinne, als du wolltest daß er es seyn sollte. Mir war, als du hereintratest, beim ersten Anblick, als ob ich meinen bösen Dämon auf mich zukommen sähe. Wie sehr irrte ich mich! Jetzt fühl' ich mich im Gegentheil geneigt zu glauben, daß mein guter Genius deine Gestalt angenommen habe, um mich einer gefährlichen Täuschung zu entreißen, in welcher die Eigenliebe mein besseres Selbst zu verstricken angefangen hatte. Nur zu wahr sagtest du, Hippias, mit einem Herzen wie das meinige sollte sich niemand auf die schlüpfrige Bahn des Hofes wagen. Nur zu wohl erkenne ich itzt, daß es thöricht war, mit der Cither in der Hand der Mentor eines Dionysius werden zu wollen. Die Schönheit, die Größe, die Wohlthätigkeit meines Zwecks riß mich dahin: ich kannte die Menschen zu wenig, und traute mir selbst zu viel. Ich wurde nicht gewahr, wie viel Antheil eine zu lebhafte Empfindung meines eignen Werths an der eiteln Hoffnung hatte, höchst verderbte Menschen entweder durch meine Talente, meine Beredsamkeit, mein Beispiel zu gewinnen, oder — warum sollt' ich dir nicht die reine Wahrheit bekennen? — durch die Ueberlegenheit meines Genius zu überwältigen. Ich wurde nicht gewahr, wie ungleich größer die Vortheile waren, die ihnen eben diese, durch eine gefällige Außenseite bedeckte Verdorbenheit über mich gab, und wie wenig meine Aufrichtigkeit, mein Edelmuth, und die Gewohnheit immer mit dem Herzen in der Hand zu reden und zu handeln, es gegen ihre Gewandtheit, ihre Verstellungskunst, ihre Ränke. ihre Gleißnerei, ihre gänzliche Gefühllosigkeit für allen Unterschied zwischen Recht und Unrecht, in die Länge aushalten konnte. Kurz, ich wurde nicht gewahr, daß ein Mensch wie ich am Hof eines Dionysius immer der Betrogne seyn wird, und daß es viel leichter ist, daß er (wie du nur zu richtig bemerkt hast), durch die Nothwendigkeit sich immer zu den andern herab zu stimmen, unvermerkt vom innern Gehalt seines eigenen Charakters verliere, als daß es ihm gelänge den ihrigen umzuschaffen. Seltsam genug, daß es Hippias seyn mußte, der meine in der betäubenden Hofluft unvermerkt eingeschläferte Wachsamkeit erwecken, und mir die Augen über Gefahren öffnen sollte, die ich, aus zu großem Vertrauen in die Unschuld meines Herzens, entweder übersah oder verachtete! In diesem Augenblick erst fühl' ich, wie viel der Feind schon über mich gewonnen haben mußte, da ich mir selbst nicht verbergen kann noch will, daß die Gewohnheit mir bereits Menschen erträglich, ja beinahe angenehm zu machen anfing, die ich zu Smyrna, als ich noch unter dem Zauder der süßesten Schwärmerei und — der schönen Danae lebte, unausstehlich gefunden hätte. Mein Auge, mein Ohr, mein Geschmack machte sich unvermerkt einer Gefälligkeit, oder wenigstens einer Duldsamkeit schuldig, über die ich wenige Jahre zuvor erröthet wäre. Wie sollte es möglich gewesen seyn, daß die Nothwendigkeit, von jedem Guten das ich bewirken wollte, immer etwas nachzulassen, um nicht alles aufzugeben — die Nothwendigkeit, kleinere Uebel zu dulden, um größeren den Zugang zu sperren — die Nothwendigkeit, bei tausend Gelegenheiten von gering scheinender Wichtigkeit meine wahren Gesinnungen zu verbergen, mein Mißfallen in ein erzwungenes Lächeln zu hüllen oder kalt zu loben, was ich, wenn keine Rücksichten mir die Zunge banden, sehr lebhaft getadelt hätte — wie wär' es möglich gewesen, daß diese so häufig wiederkommende Gewalt, die ich meiner Denkart, meinem Gefühl, meiner Freiheit anthun mußte, nicht zuletzt meine Grundsätze selbst angegriffen haben sollte?Du siehest, Hippias, daß ich mich in deinen Augen so wenig als in meinen eigenen, zu einem größern und bessern Menschen zu machen begehre als ich bin; und die Offenheit dieser freiwilligen Geständnisse könnte dir zugleich für meine Aufrichtigkeit in allem, was ich zu meiner Rechtfertigung angeführt habe, bürgen, wenn die Sache selbst nicht schon zu laut für mich spräche. Denn gewiß bedarf es keines andern Beweises, daß ich mich wissentlich nie zu einem schimpflichen Vergleich mit dem Laster erniedriget habe, als das Schicksal, das ich mir bloß dadurch zuzog, weil ich mich zu einem solchen Vergleich nicht erniedrigen wollte. Indessen, da ich einmal im Bekennen bin, will ich dir noch mehr gestehen, Hippias! Daß das bittre Gefühl des Undanks, womit Dionysius meine Freundschaft und (wie ich wohl ohne Selbstschmeichelei sagen kann) meine Verdienste um ihn belohnte; —daß der Verdruß, mich in meiner allzu guten Meinung von ihm so häßlich betrogen zu haben, und alle meine schönen Entwürfe durch die Ränke nichtswürdiger Höflinge auf einmal wie bunte Seifenblasen zerplatzen zu sehen; — daß das Brüten über solchen Erinnerungen, in der Einsamkeit einer unerwarteten Einkerkerung, mein Gemüth mit einem Trübsinn umzog, der in den dunkelsten Stunden meine Vernunft selbst verfinsterte, und sogar meinen Glauben an eine allgemeine, nach Gesetzen der höchsten Weisheit geführte Weltregierung wanken machte: dieß könnte vielleicht mit der Schwäche der menschlichen Natur entschuldiget werden, und würde bei einem unverdorbenen Herzen von keinen dauernden Folgen gewesen seyn. Aber daß dieser Trübsinn endlich gar mein Herz ergriff; daß ich mich's reuen ließ, so viel für die Menschen gethan zu haben, die mir, in dieser Zerrüttung meines innern Sinnes, so vieler Sorge für ihre Wohlfahrt und so vieler Aufopferungen unwürdig schienen; daß es so weit kam, daß ich sogar dem Hippias bei mir selbst gewonnen zu geben anfing, und seine egoistische Lebensphilosophie, als auf die allgemeine Erfahrung gegründet, bereits in einem günstigen Lichte betrachtete: — dieß überzeugt mich, daß der verpestete Dunstkreis eines verdorbenen Hofes bereits, wiewohl mir selbst unbemerkt, die Gesundheit meiner Seele angegriffen haben mußte, und daß ich der Gefahr nur zu nahe war, das letzte und höchste Gut des Menschen, das einzige was ihn über den Verlust alles andern trösten kann, zu verlieren. In einer solchen Stunde war es, Hippias, da deine unvermuthete Erscheinung, dein ironisches Mitleiden, die Strenge deines Tadels, die Schärfe, womit du mein Benehmen an diesem Hofe gegen meine eigenen Grundsätze abwogst, und, was deinem Werke die Krone aufsetzte, dein großmüthiger Antrag— von dessen Annahme zugleich meine Befreiung und (nach deiner Schätzung) ein be: neidenswerthes Glück die Folge seyn soll, — eine Umwälzung in meinem Gemüthszustand hervorbrachte, die dich, wiewohl gegen deine wirkliche Absicht, zu meinem größten Wohlthäter macht. Deine Gegenwart stellte plötzlich unser wahres Verhältniß wieder her. Ich fühlte mich wieder denselben, der ich war, da du mich in deinem Hause zu Smyrna verließest, um mit der schönen Danae den Anschlug, der euch gleichwohl nur zur Hälfte gelang, abzureden. Dein selbst in seiner Strenge hinterlistiger Tadel (vergib mir dieses Wort!) wirkte mehr als du wolltest, und wurde mir zwiefach heilsam. Er weckte das volle Bewußtseyn in mir auf, daß mein Wille immer redlich, und mein Zweck rein gewesen war: aber mitten unter der Bestrebung, das Ganze meines Lebens in Syrakus gegen deine Anklagen zu rechtfertigen, öffneten sich meine Augen für die feinen unsichtbaren Schlingen der Eitelkeit, des zu sichern Vertrauens auf meine eigene Stärke, und der übermäßigen Selbstschätzung, worin meine Lauterkeit sich ungewahrsam verstrickte; und, indem mir mein Gewissen Zeugniß gab, daß ich nie so schwach gewesen sey als du mich beschuldigtest, sagte mir eben diese innerlich; Stimme, daß ich auch so untadelhaft nicht gewesen sep, als die Eigenliebe mir geschmeichelt hatte.Und nun , mein lieber hippias, höre, nachdem du so lange Geduld gehabt hast mich anzuhören, höre nun auch meine letzte, feste, unerschütterliche Erklärung. Dein Antrag verdient, insofern er aus einem wohlwollenden Herzen zu kommen scheint , meine wärmste Dankbarkeit: aber annehmen kann ich ihn nicht. Es ist eine Kluft zwischen uns, die uns so lange trennen wird, als jeder von uns ist, was er ist. Du siehest, meine Erfahrungen, meine Verirrungen, meine Fehltritte selbst, dienten am Ende nur mein Gemüth zu läutern, mich in meinen Grundsätzen zu befestigen, und über das, was die Würde meiner Natur und der Zweck meines Daseyns ist, mir immer mehr Licht zu geben. Nie hab' ich inniger empfunden als in diesem Augenblicke, daß unverwandte und unabsichtliche Anhänglichkeit an das, was ewig wahr und recht und gut ist, das einzige Bedürfniß und Interesse meines edlern unsichtbaren Ichs ist, dem dieses sichtbare Ich, mit allen seinen Bedürfnissen, Neigungen, Leidenschaften, Wünschen und Hoffnungen, immer untergeordnet seyn muß, wenn es in mir selbst wohl stehen, oder, was eben dasselbe ist, wenn ich in diesem großen All, worin wir zur Beförderung seines allgemeinen Endzwecks thätig zu seyn bestimmt sind, das zu seyn wünsche, was ich soll. Nur indem ich der gekränkten Eigenliebe des sichtbaren Agathons Gehör gab, der, im Zorn sein Werk von frevelhaften Händen zerstört zu sehen, diesen Frevel an der ganzen Menschheit rächen wollte, sank mein besseres Ich einen Augenblick unter sich selbst herab, und vergaß, daß es seine Natur ist, immer das Gute zu wollen und zu thun; unbekümmert ob es erkannt oder verkannt, mit Dank oder Undank, mit Ruhm oder Schande belohnt werde; unbekümmert was es fruchte, wie lang' es dauern, und von wem es wieder zerstört werden könne. Dieß, Hippias, ist es, was ich Tugend nenne; und dieser Tugend schwöre ich hier, in deiner Gegenwart, von neuem unverbrüchliche Treue; fest entschlossen, jede neue Laufbahn, die sie mir eröffnen wird, muthig anzutreten, sollte auch etwas viel Aergeres, als was ich bereits erfahren habe, am Ziel derselben auf mich warten. Noch einmal, Hippias, ich erkenne das Wohlwollende in deinem Antrage mit einem Dankgefühl, dem ich mich nicht ganz überlassen darf, weil ich deine Wohlthat nicht annehmen kann. Was mein Schicksal seyn wird, weiß ich nicht; wiewohl mir kaum zweifelhaft ist, was meine Feinde über mich beschlossen haben. Eine höhere Macht gebietet über sie und mich. Uebrigens fehlt es mir nicht an Freunden, die sich für meine Befreiung verwenden werden; und ich vertraue zu deinem Edelmuth, Hippias, daß du, unbeleidigt von meiner Aufrichtigkeit, ihnen hierin eher beförderlich seyn als im Wege stehen wirst. Indessen will ich meine Freiheit weder unrechtmäßigen Mitteln, noch der Gnade des Tyrannen zu danken haben. Wie weit ich auch unter dem, was ich seyn sollte und seyn konnte, geblieben bin, die Sicilier, Dionysius und seine Hofleute haben sich nicht zu beklagen, irgend ein Unrecht von mir erlitten zu haben; und in diesem Bewußtseyn meiner Unschuld erwart' ich mit Ruhe was über mich verhängt ist.Hier hörte Agathon zu reden auf; und Hippias, der ihm mit anscheinender Unbefangenheit, bald mehr bald weniger aufmerksam, zugehört hatte, erhob sich von seinem Sitz, und sagte in dem jovialischen Tone, der ihm eigen war: wir sind also geschiedene Leute, Agathon? — Ich muß es mir gefallen lassen, weil du es so willst. Wie wunderlich aber diese schwärmerische Vorstellungsart in meinen Augen ist, genug, sie scheint dir zur andern Natur geworden zu seyn; ich ehre deine Aufrichtigkeit, und verlasse dich ohne Groll. Mein Aufenthalt zu Syrakus wird von keiner langen Dauer seyn; denn ich liebe die Tyrannen so wenig wie du, und bin glücklich genug ihrer nicht zu bedürfen: sollt' ich aber Gelegenheit finden, dir meinen guten Willen zu beweisen, so soll mich die Kluft, die zwischen uns liegt, nicht verhindern, dem Gefühl gemäß zu handeln, welches mich zu dem Antrage, den du ausschlugst, bewogen hat. Mit diesen Worten ergriff er Agathons dargebotne Hand, schüttelte sie mit einem leisen Druck und entfernte sich, dem Ansehen nach, eben so vergnügt und frohen Muthes als er gekommen war. Was, nachdem Hippias abgetreten war, in dem Gemüthe unsers sich selbst wieder überlassenen Helden vorging, zu errathen, überlassen wir nun der eigenen Divinationsgabe unsrer Leser um so ruhiger, da wir sie auf den Weg gebracht haben, auf dem sie es nicht verfehlen können. Alles was wir davon sagen wollen, ist: daß ihm in langer Zeit nie so leicht ums Herz gewesen war, und daß alle Betrachtungen, wozu ihm diese so unverhoffte und für ihn so wichtige Scene Anlaß gab, ihn in der edlen Gesinnung und Entschließung bestärkten, mit welchen er den Versucher Hippias auf immer von sich entfernt hatte.
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Zwölftes Capitel.

Agathon wird wieder in Freiheit gesetzt, und verläßt Sicilien.

Inzwischen waren die Freunde Agathons seiner Rettung wegen in desto größerer Verlegenheit, da sie sich von allen Seiten zu scharf beobachtet sahen, um in Syrakus selbst etwas unternehmen zu können. Denn, wiewohl man ziemlich sicher auf die Liebe des Volks zu ihm rechnen konnte, so war doch die Wahrscheinlichkeit, einen Aufstand zu seinem Vortheil zu erregen, ungewiß, und ein verunglückter Versuch würde das Schlimmste, was sie von der Bosheit seiner Feinde und der Schwäche des wollüstigen Tyrannen befürchteten, beschleuniget und unvermeidlich gemacht haben. Man hatte sogar Ursache zu glauben, daß der Hof — der seit Agathons Verhaftnehmung eine besondere Wachsamkeit zeigte, und in der Stille allerlei Vorkehrungen für seine eigene Sicherheit machte — einen Schritt, der ihn in den Augen der Welt zu der größten Strenge berechtigt haben würde, eher wünsche als befürchte.In dieser mißlichen Lage entschloß sich Dion selbst zu einer Maßregel, von welcher man sich alles versprach, und die von seiner Seite um so großmüthiger war, je weniger persönliche Beweisgründe er hatte, sich dem gefallenen Günstling besonders verbunden zu halten. Er ließ ein sehr dringendes Schreiben an den Dionysius ab, worin er sich verbindlich machte, seine Kriegsvölker sogleich wieder abzudanken, und seine Zurückberufung als eine bloße Gnade von dem guten Willen des Fürsten zu erwarten, wofern Agathon freigesprochen würde, dessen einziges Verbrechen darin bestehe, daß er sich für seine Zurückkunft in sein Vaterland beeifert habe. So edel dieser Schritt von Dions Seite war, so würde er doch vielleicht die gehoffte Wirkung nicht gethan haben, wenn Agathons Freunde in Italien nicht geeilt hätten, dem Tyrannen einen noch dringendern Beweggrund vorzulegen. Aber um eben die Zeit, da Dions Schreiben ankam, langten auch Gesandte von Tarent an, deren Auftrag war, im Namen des Archytas und der Republik die Freilassung seines Freundes aufs ernstlichste zu bewirken. Sie waren angewiesen, im Nothfall zu erklären, daß die Republik sich genöthigt sehen würde, die Partei Dions mit ihrer ganzen Macht zu unterstützen, wofern Dionysius sich länger weigern würde, diesem Prinzen sowohl, als dem gleich unschuldigen Agathon, vollkommene Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Dionysius kannte den Charakter des Archytas zu gut, um den Ernst dieser Drohung, die ihm nicht anders als fürchterlich seyn konnte, im geringsten zu bezweifeln. Er hoffte sich also am besten aus der Sache zu ziehen, wenn er, unter der Versicherung, von einer Aussöhnung mit seinem Schwager nicht abgeneigt zu seyn, in die Entlassung des Agathon einwilligte. Aber dieser erklärte sich, daß er seine Freiheit weder als eine Gnade annehmen, noch allein der Fürbitte seiner Freunde zu danken haben wolle. Er verlangte, daß die Verbrechen, um derentwillen er in Verhaft genommen worden, angezeigt, und in Gegenwart des Dionysius, der Tarentinischen Gesandten und der Vornehmsten zu Syrakus öffentlich untersucht, seine Rechtfertigung gehört, und sein Urtheil nach den Gesetzen ausgesprochen werden sollte. Aber dazu durften es Kleonissa, Philist und der Tyrann selbst nicht kommen lassen; und da die Tarentiner ihnen keine Zeit ließen, die Sache in die Länge zu ziehen, so sah man sich endlich genöthigt öffentlich zu erklären: daß eine starke Vermuthung, als ob Agathon sich in eine Verschwörung gegen den Staat habe verwickeln lassen, die einzige Ursache seines Verhafts gewesen sey; da sich aber indessen keine hinlänglichen Beweise vorgefunden, so sey man bereit ihn wieder auf freien Fuß zu stellen, sobald er, unter Verbürgung der Tarentiner, sich durch ein feierliches Versprechen, nichts gegen den Dionysius zu unternehmen, von diesem Verdacht gereiniget haben werde. Die Bereitwilligkeit, womit die Gesandten von Tarent sich diesen Antrag gefallen ließen, bewies, daß es dem Archytas bloß um Agathons Befreiung zu thun war; und wir werden in der Folge den Grund entdecken, warum dieser Vorsteher einer in die Sache nicht unmittelbar verwickelten Republik sich unsers Helden, der ihm von Person noch unbekannt war, mit so außerordentlichem Eifer annahm. Allein Agathon konnte lange nicht dazu gebracht werden, eine Erklärung von sich zu geben, die den Anschein eines Geständnisses hatte, daß er seiner Partei untreu geworden sey. Indessen mußte doch diese, in Ansehung der Umstände vielleicht allzugroße Bedenklichkeit endlich der Betrachtung weichen: das er durch Ausschlagung eines so billigen Vergleichs sich selbst in die größte Gefahr setzen würde, ohne seiner Partei einigen Vortheil dadurch zu verschaffen; indem Dionysius viel eher einwilligen würde, ihn heimlich aus dem Wege räumen zu lassen, als zugeben, daß er mit so viel Reizungen zur Rache die Freiheit erhalten sollte, der Faction Dions neues Leben zu geben, und sich mit diesem Prinzen zu seinem Untergange zu vereinigen. Die lebhaften Schilderungen, welche die Tarentiner ihm von dem glücklichen Leben machten, das im ruhigen Schooß ihres Vaterlandes und in der Gesellschaft seiner dortigen Freunde auf ihn warte, vollendeten endlich die Wirkung, die der gewaltsame Zustand, worin er seit einiger Zeit gelebt hatte, auf ein Gemüth wie das seinige machen mußte; indem sie ihm zugleich den ganzen Widerwillen, den er nach seiner Verbannung von Athen gegen den Stand eines Staatsmannes gefaßt hatte, und seinen ganzen Hang zur Abgeschiedenheit von der Welt und zum Leben mit sich selbst und mit guten Menschen wieder gaben, welches ihm, wie er glaubte, itzt um so nöthiger war, da er sein Gemüth auch von den geringsten Rostflecken, die von seinem Syrakusischen Hofleben zurückgeblieben seyn könnten, zu reinigen wünschte. Er bequemte sich also endlich zu einem Schritte, der ihm von den Freunden Dions für eine feigherzige Verlassung der guten Sache ausgedeutet wurde, wiewohl er das Einzige war, was ihm in seiner Lage vernünftiger Weise zu thun übrig blieb. Aber wie viele dunkle Stunden würde er sich selbst und wie viele Sorge und Mühe seinen Freunden erspart haben, wenn er dem Rathe des weisen Aristippus etliche Monate früher gefolgt hätte!Es ist unstreitig einer von den zuverlässigsten und seltensten Beweisen der Rechtschaffenheit eines Ministers, wenn er ärmer, oder doch wenigstens nicht reicher in seine Hütte zurück kehrt, als er gewesen war, da er auf den Schauplatz des öffentlichen Lebens versetzt wurde. Agathon hatte über den Sorgen für die Wohlfahrt Siciliens sich selbst so vollkommen vergessen, daß er eben so arm aus Syrakus gegangen wäre, als er vor einigen Jahren aus Athen ging, wofern ihm nicht, bald nach seiner Erhebung zu einer Würde, die ihm kein geringes Ansehen in allen Griechischen Staaten gab, ein Theil seines väterlichen Vermögens unvermuthet wieder zugefallen wäre. Die Athener, die eben damals der Freundschaft des Dionysius zu gewissen Handlungsentwürfen nöthig hatten, fanden für gut, ehe sie sich bei Agathon um seine Vermittlung bewarben, ihm ein Decret überreichen zu lassen, kraft dessen sein Verbannungsurtheil aufgehoben, der ganze Proceß, wodurch er seines Erbgutes beraubt worden war, vernichtet, und der unrechtmäßige Inhaber des letztern zur gänzlichen Wiederherstellung verurtheilt war. Agathon hatte großmüthig nur die Hälfte davon angenommen, welche zwar für die Bedürfnisse eines Alcibiades oder Hippias nicht zureichend gewesen wäre, aber doch weit mehr war, als ein weiser Mann bedarf, um unabhängig und sorgenfrei zu leben; und so viel war für einen Agathon genug.Unser Held verweilte sich, nachdem er seine Freiheit wieder erlangt hatte, nicht länger in Syrakus, als nöthig war, sich von seinen Freunden zu beurlauben. Dionysius, der (wie wir wissen) den Ehrgeiz hatte, alles mit guter Art thun zu wollen, verlangte, daß er in Gegenwart seines ganzen Hofes Abschied von ihm nehmen sollte. Er überhäufte bei dieser Gelegenheit seinen ehmaligen Günstling mit Lobsprüchen und Liebkosungen, und glaubte den feinsten Staatsmann zu machen, indem er sich stellte, als ob er unsern in seine Entlassung einwilligte, und als ob sie als die besten Freunde von einander schieden. Agathon trug um so weniger Bedenken, diesen letzten Auftritt der Komödie mitspielen zu helfen, da es vermuthlich die letzte Gefälligkeit dieser Art war, zu welcher er sich jemals wieder herabzulassen gewürdiget seyn würde. Und so entfernte er sich, in Gesellschaft der Gesandten von Tarent, von jedermann beurtheilt, von vielen getadelt, von den wenigsten (selbst unter denen, welche günstig von ihm dachten) gekannt, aber von allen Redlichen vermißt und oft zurückgewünscht, aus einer Stadt und einem Lande, worin er die Zufriedenheit hatte viele Denkmäler seiner ruhmwürdigen, wiewohl kurzen Staatsverwaltung zu hinterlassen, und aus welchen er nichts mit sich hinaus nahm, als eine Reihe von Erfahrungen, die ihn in dem lobenswerthen Entschluß bestärkten, ohne dringenden Beruf keine andere von dieser Art mehr zu machen.
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Dreizehntes Buch.

Agathon kommt nach Tarent, wird in die Familie des Archytas eingeführt, entdeckt in der wieder gefundenen Psyche seine Schwester, und findet unverhofft die schöne Danae wieder.

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Erstes Capitel.

Archytas und die Tarentiner. Charakter eines seltnen Staatsmanns.

Archytas von Tarent, durch dessen nachdrückliche Verwendung Agathon den Händen seiner Feinde zu Syrakus entrissen wurde, war ehmals ein vertrauter Freund seines Vaters Stratonikus, und beide Familien waren durch die Bande des Gastrechts von uralten Zeiten her verbunden gewesen. Der ausgebreitete Ruhm, welchen der Weise von Tarent, als der würdigste unter den Nachfolgern des Pythagoras, als ein tiefer Kenner der Geheimnisse der Natur und der Kunst, als ein kluger Staatsmann, als ein geschickter und glücklicher Feldherr, und, was allen diesen Vorzügen die Krone aufsetzt, als ein rechtschaffener Mann in der vollkommensten Bedeutung dieses Worts, sich erworben, hatte seinen Namen dem Agathon schon lange ehrwürdig gemacht. Hierzu kam noch, daß dessen jüngerer Sohn, Kritolaus, in den Zeiten des höchsten Wohlstandes unsers Helden zu Athen, zwei Jahre in seinem Hause zugebracht, und, mit allen möglichen Freundschaftserweisungen überhäuft, eine Zuneigung von derjenigen Art für ihn gefaßt hatte, welche in schönen Seelen sich nur mit dem Leben endet. Diese Freundschaft war zwar durch verschiedene zufällige Umstände eine Zeit lang unterbrochen worden: aber kaum hatte Agathon den Entschluß gefaßt, sich dem Dionysius zu widmen, so war eine seiner ersten Angelegenheiten gewesen, diese Verbindung wieder zu erneuern. Er hatte während seiner Staatsverwaltung sich öfters bei der weisen Erfahrenheit des Archytas Raths erholt; und die Verhältnisse worin die Tarentiner und Syrakuser standen, hatten ihm mehrmals Gelegenheit gegeben, sich um die erstern einiges Verdienst zu machen. Bei allen diesen Umständen ist leicht zu ermessen, daß er in seiner gegenwärtigen Lage den dringenden Einladungen seines Freundes Kritolaus um so weniger widerstehen konnte, da schon die Pflicht der Erkenntlichkeit gegen seine Erretter ihm keine Freiheit zu lassen schien, andere Beweggründe bei der Wahl seines Aufenthalts in Betrachtung zu ziehen.In der That hätte er sich keinen zu seinen nunmehrigen Absichten bequemern Ort erwählen können als Tarent. Diese Republik war damals gerade in dem Zustande, worin jeder patriotische Republicaner die seinige zu sehen wünschen muß. Zu klein, um ehrgeizige Entwürfe zu machen; zu groß, um den Ehrgeiz und die Vergrößerungssucht ihrer Nachbarn fürchten zu müssen; zu schwach, um in andern Unternehmungen als in den Künsten des Friedens ihren Vortheil zu finden; aber stark genug, sich gegen jeden nicht allzu übermächtigen Feind (und einen solchen hatte sie damals noch nicht) in ihrer Verfassung zu erhalten. Archytas hatte sie (in einem Zeitraume von mehr als dreißig Jahren, in welchem er siebenmal die Stelle eines obersten Befehlshabers bekleidete) an die weisen Gesetze, die er ihnen gegeben, so gut angewöhnt, daß sie mehr durch die Macht der Sitten als durch das Ansehen der Gesetze regiert zu werden schienen. Fabricanten und Handelsleute machten den größern Theil der Tarentiner aus. Die Wissenschaften und schönen Künste standen daher in keiner besondern Hochachtung bei ihnen; aber sie waren auch nicht verachtet. Diese Gleichgültigkeit bewahrte die Tarentiner vor den Fehlern und Ausschweifungen der Athener, bei denen jedermann, bis auf die Gerber und Schuster, ein Philosoph und Redner, ein witziger Kopf und ein Kenner seyn wollte. Sie waren eine gute Art von Leuten, einfältig von Sitten, emsig, arbeitsam, regelmäßig, Feinde der Pracht und Verschwendung, leutselig und gastfrei gegen die Fremden, Hasser des Gezwungenen, Spitzfindigen und Uebertriebenen in allen Sachen, und, aus eben diesem Grunde, Liebhaber des Natürlichen und Gründlichen, die bei allem mehr auf die Materie als auf die Form sahen, und nicht begreifen konnten, daß eine zierlich gearbeitete Schüssel aus Korinthischem Erz besser seyn könne als eine schlechte aus Silber, oder daß ein Narr liebenswürdig seyn könne weil er artig sey. Sie liebten ihre Freiheit, wie eine Ehegattin, nicht wie eine Beischläferin, — ohne Leidenschaft, und ohne Eifersucht. Sie setzten ein gerechtes Vertrauen in diejenigen, denen sie die Vormundschaft über den Staat anvertrauten; aber sie forderten auch, daß man dieses Vertrauen verdiene. Der Geist der Emsigkeit, der dieses anbetungswürdige und glückliche Volk beseelte, —der unschuldigste und wohlthätigste unter allen sublunarischen Geistern, die uns bekannt sind, — machte, daß man sich zu Tarent weniger, als in den meisten mittelmäßigen Städten zu geschehen pflegt, um andre bekümmerte. Insofern man sie nicht durch eine gesetzwidrige That oder durch einen beleidigenden Widerspruch ihrer Sitten ärgerte, konnte jeder leben wie er wollte. Alles dieß zusammen genommen machte, wie uns däucht, eine sehr gute Art von republicanischem Charakter aus; und Agathon hätte schwerlich einen Freistaat finden können, welcher geschickter gewesen wäre, seinen gegen dieselben gefaßten Widerwillen zu besänftigen. Ohne Zweifel hatten die Tarentiner auch ihre Fehler, wie alle andern Erdenbewohner. Aber der weise Archytas, unter welchem ihr Nationalcharakter erst eine gesetzte und feste Gestalt gewonnen hatte. wußte die Temperanientsfehler seines Volkes so klüglich zu behandeln, daß sie, durch die Vermischung mit ihren Tugenden, beinahe aufhörten, Fehler zu seyn. Eine nothwendige und vielleicht die größte Kunst des Gesetzgebers, deren genauere Untersuchung wir denjenigen empfohlen haben wollen, die an Auflösung der schweren Aufgabe, welche Gesetzgebung unter gegebenen Bedingungen die beste sey? zu arbeiten sich berufen fühlen.Das erste, was unserm Helden, als er ans Land stieg, in die Augen fiel, war sein Freund Kritolaus, der mit einem Gefolge der edelsten Jünglinge von Tarent ihm entgegengeflogen war, um ihn in freundschaftlichem Triumph in eine Stadt einzuführen, welche sich's zur Ehre rechnete, von einem Manne wie Agathon vor andern zu seinem Aufenthalt erwählt zu werden. Der Anblick eines der schönsten Länder unter der Sonne, und das Wiedersehen eines Freundes, von dem er aufs zärtlichste geliebt wurde, machten ihn in einem einzigen Augenblicke alles Ungemach vergessen, das er in Sicilien und in seinem ganzen Leben erlitten hatte. Eine frohe Vorempfindung der Glückseligkeit, die in diesem zum erstenmal betretenen Lande auf ihn wartete, verbreitete ein unschreibliches Behagen durch sein ganzes Wesen. Diese unbestimmte Wollust, welche alle seine Empfindungskräfte zugleich einzunehmen schien, war nicht das seltsame Zaubergefühl, womit ihn die Schönheiten der Natur und die Empfindung ihrer reinsten Triebe in seiner Jugend durchdrungen hatten. Diese Blüthe der Empfindlichkeit, diese zärtliche Sympathie mit allem was lebt oder zu leben scheint, der Geist der Freude, der uns aus allen Gegenständen entgegenathmet, der magische Firniß, der sie überzieht, und uns über einem Anblick, von dem wir zehn Jahre später kaum noch flüchtig gerührt werden, in stillem Entzücken zerfließen macht, —dieses beneidenswürdige Vorrecht der ersten Jugend, verliert sich unvermerkt mit dem Anwachs unsrer Jahre, und kann nicht wieder gefunden werden. Aber es war doch etwas das diesem ähnlich war. Seine Seele schien dadurch von allen verdüsternden Flecken ihres unmittelbar vorhergehenden Zustandes ausgewaschen und zu den schönen Eindrücken vorbereitet zu werden, welche sie in dieser neuen Periode seines Lebens bekommen sollte.Eine der glückseligsten Stunden desselben (wie er in der Folge öfters zu versichern pflegte) war diejenige, worin er die persönliche Bekanntschaft des Archytas machte. Dieser ehrwürdige Greis hatte der Natur, und einer Mäßigung, die von seiner Jugend an ein unterscheidender Zug seines Charakters gewesen war, den Vortheil einer Lebhaftigkeit aller Kräfte zu danken, welche in seinem Alter etwas Seltnes ist, aber es doch bei den alten Griechen lange nicht so sehr war, als bei den meisten Europäischen Völkern unsrer Zeit. So abgekühlt die Einbildungskraft unsers Helden war, so konnte er doch nicht anders, als etwas Idealisches in dem Gemische von Majestät und Anmuth, welches sich über die ganze Person dieses liebenswürdigen Alten ausbreitete, zu empfinden; und es desto stärker zu empfinden, je stärker dieser Anblick von allem demjenigen abstach, woran sich seine Augen seit geraumer Zeit hatten gewöhnen müssen. — "Und warum konnte er nicht anders?" — Die Ursache ist ganz einfach: weil dieses Idealische nicht in seinem Gehirne, sondern in dem Gegenstande selbst lag. Man stelle sich einen großen stattlichen Mann vor, dessen Ansehen beim ersten Blick ankündiget, daß er dazu gemacht ist andre zu regieren, und der, ungeachtet seiner silbernen Haare, die Miene hat, vor fünfzig Jahren ein sehr schöner Mann gewesen zu seyn. Vermuthlich gibt es wenige unter unsern Lesern, denen im ganzen Lauf ihres Lebens nicht einmal ein solcher Mann vorgekommen wäre. Aber nun stelle man sich auch vor, daß dieser Mann von früher Jugend an ein tugendhafter Mann gewesen war; daß eine lange Reihe von Jahren seine Tugend zu Weisheit gereift hatte; daß die unbewölkte Heiterkeit seines Geistes, die Ruhe seines Herzens, die allgemeine Güte wovon es beseelt war, das stille Bewußtseyn eines schuldlosen und mit guten Thaten erfüllten Lebens, sich in seinen Augen und in seiner ganzen Gesichtsbildung mit einer Wahrheit, mit einem Ausdruck von stiller Größe und Würde abmalte, dessen Macht unwiderstehlich war. —Dieß ist was man vielleicht noch nicht gesehen hat, was gewiß unter die seltensten Erscheinungen unter dem Monde gehört, und wovon Agathon so stark gerührt wurde. Er hatte nun endlich gefunden, was er so oft gewünscht, aber noch nie gefunden zu haben vermeint hatte, ohne in der Folge auf eine oder die andere Art seines Irrthums überführt worden zu seyn — einen wahrhaftig weisen Mann; einen Mann, der nichts scheinen wollte als was er war, und an welchem das scharfsichtigste Auge nichts entdecken konnte, das man anders hätte wünschen mögen. Die Natur schien sich vorgesetzt zu haben, in ihm zu beweisen, daß die Weisheit nicht weniger ein Geschenk von ihr sey als der Genie; und daß, wofern es gleich der Philosophie nicht unmöglich ist, ein schlimmes Naturell zu verbessern, ja wohl gar aus einem Silen (so der Himmel will) einen Sokrates zu machen, es dennoch der Natur allein zukomme, diese glückliche Temperatur der Elemente der Menschheit hervorzubringen, welche, unter einem Zusammenfluß eben so glücklicher Umstände, endlich zu dieser vollkommenen Harmonie aller Kräfte und Bewegungen des Menschen, worin Weisheit und Tugend zusammenstießen, erhöht werden kann. Archytas hatte niemals weder eine glühende Einbildungskraft noch heftige Leidenschaften gehabt. Eine gewisse Stärke, die den Mechanismus seines Kopfes und seines Herzens auszeichnete, hatte von seiner Jugend an die Eindrücke der Gegenstände auf seine Seele gemäßigt. Diese Eindrücke waren deutlich und stark genug, um seinen Verstand mit wahren Bildern zu erfüllen, und die Verwirrung zu verhindern, welche in dem Gehirne derjenigen zu herrschen pflegt, deren allzu schlaffe Spannung nur eine schwache und matte Einwirkung der Gegenstände zuläßt. Aber sie waren nicht so lebhaft und von keiner so starken Erschütterung begleitet, wie bei denen, welche, durch zartere Organe und reizbarere Sinne zu den enthusiastischen Künsten der Musen bestimmt, den zweideutigen Vorzug einer zaudernden Einbildungskraft und eines unendlich empfindlichen Herzens theuer genug bezahlen müssen. Archytas hatte es dem Mangel dieses eben so schimmernden als wenig beneidenswerthen Vorzugs zu danken, daß es ihm wenig Mütze kostete, Ruhe und Ordnung in seiner innerlichen Verfassung zu erhalten: daß er, anstatt von seinen Vorstellungen und Gefühlen beherrscht zu werden, immer Meister von ihnen blieb, und die Verirrungen des Geistes und des Herzens, von denen das schwärmerische Volk der Helden, Dichter und Virtuosen aus Erfahrung sprechen kann, nur aus fremden Erfahrungen kannte. Daher kam es auch, daß die Pythagoräische Philosophie, in deren Grundsätzen er erzogen worden war, — eben diese Philosophie, welche in dem Gehirne so vieler andrer zu einem abenteuerlichen Gemische von Wahrheit und Träumerei wurde, — sich durch Nachdenken und Erfahrung in dem seinigen zu einem System von eben so einfachen als fruchtbaren und praktischen Begriffen ausbildete; zu einem System, welches der Wahrheit näher als irgend ein andres zu kommen scheint; welches die menschliche Natur veredelt, ohne sie aufzublähen, und ihr Aussichten in bessere Welten eröffnet, ohne sie fremd und unbrauchbar in der gegenwärtigen zu machen. Ein System, das durch das Erhabenste und Beste, was wir von Gott, von der Welt, und von unsrer eigenen Natur und Bestimmung zu denken fähig sind, unsre Leidenschaften reiniget, unsre Gesinnungen verschönert, und (was das wichtigste ist) uns von der tyrannischen Herrschaft dieser pöbelhaften Begriffe befreiet, welche die Seele verunstalten, sie klein, niederträchtig, furchtsam, falsch und sklavenmäßig machen, jede edle Neigung, jeden großen Gedanken abschrecken und erblicken, und doch darum nicht weniger von politischen und religiösen Demagogen unter dem größten Theile des menschlichen Geschlechts (aus Absichten, woraus diese Herren billig ein Geheimniß machen) eifrigst unterhalten werden.Die zuverlässigste 'Probe über die Güte der Philosophie des weisen Archytas ist, wie uns däucht, der moralische Charakter, den ihm das einstimmige Zeugniß der Alten beilegt. Diese Probe, es ist wahr, würde bei einem System von bloßen metaphysischen Speculationen betrüglich seyn; aber die Philosophie des Archytas war durchaus praktisch. Das Beispiel so vieler großen Geister, welche in der Bestrebung, über die Gränzen des menschlichen Verstandes hinaus zu gehen, verunglückt waren, hätte ihn in diesem Stücke vielleicht nicht weiser gemacht, wenn er mehr Eitelkeit und weniger kaltes Blut gehabt hätte. Aber so wie er war, überließ er diese Art von Speculationen seinem Freunde Plato, und schränkte seine eigenen Nachforschungen über die intellectualen Gegenstände lediglich auf diese einfältigen Wahrheiten ein, welche das allgemeine Gefühl erreichen kann, welche die Vernunft bekräftiget, und deren wohlthätiger Einfluß auf den Wohlstand unsers Privatsystems sowohl, als auf das allgemeine Beste, allein schon genugsam ist ihren Werth zu beweisen. Von dem Leben eines solchen Mannes läßt sich ganz sicher auf die Güte seiner Denkungsart schließen. Archytas verband alle häuslichen und bürgerlichen Tugenden mit dieser schönsten und göttlichsten unter allen, welche sich auf keine andre Beziehung gründet, als das allgemeine Band, womit die Natur alle Wesen verknüpft. Er hatte das seltene Glück, daß die untadelige Unschuld seines öffentlichen und Privatlebens, die Bescheidenheit, wodurch er den Glanz so vieler Verdienste zu mildern wußte, und die Mäßigung, womit er sich seines Ansehens bediente, endlich den Neid selbst entwaffnete, und ihm die Herzen seiner Mitbürger so gänzlich gewann, daß er (ungeachtet er sich, seines hohen Alters wegen, von den Geschäften zurückgezogen hatte) bis in seinen Tod als die Seele des Staats und der Vater des Vaterlandes angesehen wurde. In der That fehlte ihm zum Könige nichts als die äußerlichen Zeichen dieser Würde. Niemals hat ein Despot unumschränkter über die Leider seiner Sklaven geherrschet, als dieser ehrwürdige Greis über die Herzen eines freien Volkes; niemals ist der beste Vater von seinen Kindern zärtlicher geliebt worden.Glückliches Volk, welches von einem Archytas regiert wurde, und den ganzen Werth dieses Glücks so wohl zu schätzen wußte! Und glücklicher Agathon, der in einem solchen Mann einen Beschützer, einen Freund und einen zweiten Vater fand!
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Zweites Capitel.

Eine unverhoffte Entdeckung.

Archytas hatte zwei Söhne, deren wetteifernde Tugend die seltene und verdiente Glückseligkeit seines Alters vollkommen machte. Diese liebenswürdige Familie lebte in einer Harmonie beisammen, deren Anblick unsern Helden in die selige Einfalt und Unschuld des goldnen Alters versetzte. Niemals hatte er eine so schöne Ordnung, eine so vollkommne Eintracht, ein so regelmäßiges und schönes Ganzes gesehen, als das Haus des weisen Archytas darstellte. Alle Hausgenossen, bis auf die unterste Classe der Bedienten, waren eines solchen Hausvaters würdig. Jedes schien für den Platz, den es einnahm, ausdrücklich gemacht zu seyn. Archytas hatte keine Sklaven. Der freie, aber sittsame Anstand seiner Bedienten, die Munterkeit, die Genauigkeit, der Wetteifer womit sie ihre Pflichten erfüllten, das Vertrauen welches man auf sie setzte, bewies, daß er Mittel gefunden hatte, selbst diesen rohen Seelen ein Gefühl von Ehre und Tugend einzuflößen. Die Art wie sie dienten, und die Art wie ihnen begegnet wurde, schien das Unedle und Demüthigende ihres Standes auszulöschen. Sie waren stolz darauf einem so vortrefflichen Herrn zu dienen, und es war nicht Einer, der die Unabhängigkeit, selbst unter den vortheilhaftesten Bedingungen, angenommen hätte, wenn er der Glückseligkeit, ein Hausgenosse des Archytas zu seyn, hätte entsagen müssen. Das Vergnügen mit ihrem Zustande leuchtete aus jedem Gesicht hervor; aber keine Spur dieses üppigen Uebermuths, der gemeiniglich den müßiggängerischen Haufen der Bedienten in großen Häusern bezeichnet. Alles war in Bewegung; aber ohne dieses lärmende Geräusch, welches den schweren Gang der Maschine ankündiget. Das Haus des Archytas glich der innerlichen Oekonomie des animalischen Körpers, in welchem alles in rastloser Arbeit begriffen ist, ohne daß man eine Bewegung wahrnimmt, wenn die äußern Theile ruhen.Agathon befand sich noch in diesem angenehmen Erstaunen, welches in den ersten Stunden seines Aufenthalts in einem so sonderbaren Hause sich mit jedem Augenblick vermehren mußte, als er auf einmal durch eine Entdeckung überrascht wurde, welche ihn beinahe dahin gebracht hätte, alles was er sah für einen Traum zu halten.Das Gynäceon (oder das Innerste des Hauses, welches von dem weiblichen Theile der Familie bewohnt wurde) war, wie man weiß, bei den Griechen einem Fremden, der in einem Hause aufgenommen wurde, ordentlicher Weise eben so unzugangbar, als der Harem bei den Morgenländern. Aber, Agathon wurde in dem Hause des Archytas nicht wie ein Fremder behandelt. Dieser liebenswürdige Alte führte ihn also, nachdem sie sich einige Zeit mit einander besprochen hatten, in Begleitung seiner beiden Söhne in das Gynäceon, um (wie er sagte) seinen Töchtern ein Vergnügen, worauf sie sich schon so lange gefreuet hätten, nicht länger vorzuenthalten. Man stelle sich vor, was für eine süße Bestürzung ihn befiel, da die erste Person, die ihm beim Eintritt in die Augen fiel, seine Psyche war!Augenblicke von dieser Art lassen sich besser malen als beschreiben. Die Erscheinung war zu unerwartet, als daß er durch die Aehnlichkeit dieser jungen Dame mit seiner geliebten Psyche nicht getäuscht zu werden hätte glauben sollen. Er stutzte; er betrachtete sie von neuem; und wenn er nunmehr auch seinen Augen nicht hätte trauen wollen, so ließ ihm das, was in seinem Herzen vorging, keinen Zweifel übrig. Und doch kam es ihm so wenig glaublich vor, daß er glücklich genug seyn sollte, nach einer so langen Abwesenheit, und bei so wenigem Anschein sie jemals wieder zu sehen, seine Psyche in dem Hause seiner Freunde zu Tarent wieder zu finden!Ein andrer Gedanke, der in diesen Umständen sehr natürlich war, vermehrte seine Verwirrung, und hielt ihn ab, sich der Freude zu überlassen, die ein eben so erwünschter als unverhoffter Anblick über seine Seele ergoß. Psyche hatte nicht das Aussehen, eine Sklavin in diesem Hause vorzustellen. Was konnte er also anders denken, als daß sie die Gemahlin eines von den Söhnen des Archytas seyn müßte? Es ist wahr, er hätte eben sowohl denken können, daß sie seine wiedergefundene Tochter seyn könnte. Aber in solchen Umständen bildet man sich immer das ein, was man am meisten fürchtet. In der That errieth er die Sache aufs erstemal. Psyche war seit einigen Monaten die Gemahlin seines Freundes Kritolaus.Unsere Leser sehen auf den ersten Blick, was für eine schöne Gelegenheit zu rührenden Beschreibungen und tragischen Auftritten uns dieser kleine Umstand geben könnte. Welche Situation! Den Gegenstand der zärtlichsten Neigung seines Herzens, seiner ersten Liebe, nach einer langen schmerzlichen Trennung unverhofft wieder finden, aber nur dazu wieder finden, um ihn in den Armen eines andern und (was uns nicht einmal das Recht zu klagen, zu wüthen und Rache zu schnauben übrig läßt) in den Armen unsers liebsten Freundes zu sehen.Zu gutem Glücke für unsern Helden und für seine Geschichtschreiber waren diejenigen, welche in diesem Augenblicke Zeugen seiner Bestürzung waren, keine so großen Liebhaber stürmischer Auftritte, daß sie, bloß um sich an seiner vergeblichen Qual zu ergötzen, grausam genug hätten seyn können, Tragödie mit ihm zu spielen, wie glücklich auch am Ende die Entwicklung immer hätte seyn mögen. Die zärtliche Psyche sah ein paar Augenblicke seiner Verwirrung zu; aber länger konnte sie sich nicht zurückhalten. Sie flog ihm mit offenen Armen entgegen, und indem ihre Freudenthränen an seinen glühenden Wangen herabrollten, hörte er sich mit einem Namen benennen, der ihre zärtlichsten Liebkosungen, selbst in Gegenwart eines Gemahls, rechtfertigte.Wäre die Liebe, welche sie ihm im Hain zu Delphi eingeflößt hatte, weniger rein und tugendhaft gewesen, so würde die Entdeckung einer Schwester in der Geliebten seines Herzens so erfreulich nicht gewesen seyn als sie ihm war. Aber man erinnert sich vermuthlich noch, daß diese Liebe allezeit mehr derjenigen, welche die Natur zwischen Geschwistern von übereinstimmender Gemüthsart stiftet, als der gemeinen Leidenschaft geglichen hatte, die sich auf den Zauder eines andern Instincts gründet. Die ihrige war von den fieberischen Symptomen des letztern allezeit frei geblieben. Sie hatten immer ein sonderbares Vergnügen daran gefunden, sich einzubilden, daß wenigstens ihre Seelen einander verschwistert seyen, da sie nicht Grund genug hatten (so sehr sie es auch wünschten), die unschuldige Anmuthung, welche sie für einander fühlten, der Sympathie des Blutes zuzuschreiben. Agathon befand sich also über alle seine Hoffnung glücklich, da er, nach den Erläuterungen, welche ihm gegeben wurden, nicht mehr zweifeln konnte, in Psyche eben diese Schwester, welche er nach der ehmaligen Erzählung seines Vaters für todt gehalten hatte, wieder zu finden, und durch sie ein Theil einer Familie zu werden, für welche sein Herz bereits so eingenommen war, daß der Gedanke, sich jemals wieder von ihr zu trennen, ihm unerträglich gewesen seyn würde.Und nun, zärtliche Leserinnen, was mangelte ihm noch, um so glückselig zu seyn als es Sterbliche seyn können, — als daß Archytas nicht irgend eine liebenswürdige Tochter oder Nichte hatte, mit der wir ihn vermählen könnten? — Unglücklicher Weise für den armen Agathon hatte Archytas keine Tochter; und wofern er Nichten hatte (welches wir nicht für gewiß sagen können), so waren sie entweder schon verheirathet, oder nicht geschickt, das Bild der schönen Danae, und die Erinnerungen seiner ehmaligen Glückseligkeit mit ihr, welche von Tag zu Tag wieder lebendiger in seinem Gemüthe wurden, auszulöschen.Diese Erinnerungen hatten schon zu Syrakus in trüben Stunden wieder angefangen einige Gewalt über sein Herz zu bekommen. Der Gram, wovon seine Seele in der letzten Periode seines Hoflebens öfters ganz verdüstert und niedergeschlagen wurde, veranlaßte ihn, Vergleichungen zwischen seinem vormaligen und nunmehrigen Zustande anzustellen, welche unmöglich anders als zum Vortheil des ersten ausfallen konnten. Er machte sich selbst Vorwürfe, daß er das liebenswürdigste unter allen Geschöpfen — aus so schlechten Ursachen —auf die bloße Anklage eines so verächtlichen Menschen als Hippias, eine Anklage, über welche sie sich vielleicht, wenn er sie gehört hätte, vollkommen hätte rechtfertigen können — verlassen habe. Diese That, auf welche er sich damals — da er sie für einen herrlichen Sieg über die unedlere Hälfte seiner selbst, für ein großes, der beleidigten Tugend gebrachtes Sühnopfer ansah — so viel zu gut gethan hatte, schien ihm itzt eine undankbare und niederträchtige That. Es schmerzte ihn, wenn er dachte, wie glücklich er durch die Verbindung seines Schicksals mit dem ihrigen hätte werden können; und er zürnte nur desto mehr auf sich selbst, wenn er sich zugleich erinnerte, durch was für chimärische Vorstellungen und Hoffnungen ihn seine damalige Schwärmerei um ein so großes Gut gebracht habe. Aber der Gedanke, daß er durch ein so schnödes Verfahren die schöne Danae gezwungen habe ihn zu verachten, zu hassen, sich ihrer Liebe zu ihm bloß als einer unglücklichen Schwachheit zu erinnern, deren Andenken sie mit Gram und Reue erfüllen mußte, —dieser Gedanke war ihm ganz unerträglich. Danae, wie gröblich sie auch beleidiger war, konnte ihn unmöglich so sehr verabscheuen, als er in Stunden, da diese Vorstellungen seine Vernunft überwältigten, sich selbst verabscheuete.Allein diese Stunden gingen endlich vorüber; und wie wär' es auch möglich gewesen, daß die glückliche Veränderung, welche die Versetzung in den Schooß der liebenswürdigsten Familie, die vielleicht jemals gewesen ist, in seinen Umständen hervorbrachte, nicht auch die Farbe seiner Einbildungskraft verändert, und die Vorwürfe, die er sich selbst machte, gemildert haben sollte? Hätte er Danae nicht verlassen, so würde er weder seine Schwester gefunden, noch mit dem weisen Archytas persönlich bekannt worden seyn. Mußten diese Folgen seiner tugendhaften Untreue den Wunsche sie nicht begangen zu haben, nicht unmöglich machen? Aber sie beförderten dagegen einen andern, der in seiner gegenwärtigen Lage sehr natürlich war. Die heitre Stille, welche in seinem ohnehin zur Freude aufgelegten Gemüth in kurzem wieder hergestellt wurde; die Freiheit von allen Geschäften und Sorgen; der Genuß alles dessen, womit die Freundschaft ein gefühlvolles Herz beseligen kann; der Anblick der Glückseligkeit seines Freundes Kritolaus, welche im Besitz der liebenswürdigen Psyche alle Tage zuzunehmen schien; der Mangel an Zerstreuungen, wodurch das Gemüth verhindert wird, sich in seine angenehmsten Ideen und Empfindungen einzuhüllen; und die natürliche Folge hiervon, daß diese Ideen und Empfindungen desto lebhafter werden müssen: alles dieß vereinigte sich, ihn nach und nach wieder in eine Fassung zu setzen, welche die zärtlichsten Erinnerungen an die einst so sehr geliebte Danae erweckte, und ihn von Zeit zu Zeit in eine Art von sanfter Melancholie versetzte, worin sein Herz sich ohne Widerstand in jene zauberischen Scenen von Liebe und Wonne zurückführen ließ. Scenen, welche — aus Ursachen, die wir den Psychologen zu entwickeln überlassen —durch die in seiner Seele vorgegangene Revolution ungleich weniger von ihrem Reize verloren hatten, als die abgezogenern und bloß intellectualen Gegenstände seines ehmaligen Enthusiasmus. Können wir ihm verdenken, daß er in solchen Stunden die schöne Danae unschuldig zu finden wünschte? daß er dieses so oft und so lebhaft wünschte, bis er sich endlich überredete, sie für unschuldig zu halten? und daß die Unmöglichkeit, ein Gut wieder zu erlangen, dessen er sich selbst so leichtgläubig und auf eine so verhaßte Art beraubt hatte, ihn zuweilen in eine Traurigkeit versenkte, die ihm den Geschmack seiner gegenwärtigen Glückseligkeit verbitterte, und sich desto tiefer in sein Gemüth eingrub, weil er sich nicht entschließen konnte, sein Anliegen denjenigen anzuvertrauen, denen er (diesen einzigen Winkel ausgenommen) das Innerste seiner Seele aufzuschließen pflegte?."Wohin uns diese Vorbereitung wohl führen soll? — werden vielleicht einige von unsern kritischen Lesern denken. Ohne Zweifel wird man nun auch die Dame Danae von irgend einem dienstwilligen Sturmwind herbei führen lassen, nachdem uns, ohne zu wissen, wie? das gute Mädchen Psyche, durch einen wahren Schlag mit der Zauberruthe, aus dem Gynäceon des alten Archytas entgegen gesprungen ist."Und warum nicht, da wir nun einmal wissen, wie glücklich wir unsern Freund Agathon dadurch machen könnten?"Aber wo bleibt alsdann das Vergnügen der Ueberraschung, welches andre Verfasser ihren Lesern mit so vieler Mühe und Kunst zuzuwenden pflegen?"Es bleibt aus; und wenn Diderot Recht hat (wie uns däucht), so ist wenig oder nichts dabei zu verlieren. Inzwischen ist uns lieb, erinnert worden zu seyn, daß wir einige Nachricht schuldig sind, wie Psyche (welche wir, in einen Ganymed verkleidet, in den Händen eines Seeräubers verlassen hatten) dazu gekommen sey, die Gemahlin des Kritolaus und die Schwester Agathons zu werden. Ein kurzer Auszug aus der Erzählung, welche dem letztern theils von seiner Schwester selbst, theils von ihrer Pflegemutter gemacht wurde, wird hinlänglich seyn, die gerechte Wissensbegierde des Lesers über diesen Punkt zu befriedigen.
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Drittes Capitel.

Begebenheiten der Psyche.

Ein heftiger Sturm ist ein sehr unglücklicher Zufall für Leute, die sich mitten auf der offenen See, nur durch die Dicke eines Brettes von einem feuchten Tode geschieden finden. Aber für die Geschichtschreiber der Helden und Heldinnen ist es beinahe der glücklichste unter allen Zufällen, welche man herbeibringen kann, um sich aus einer Schwierigkeit heraus zu helfen.Es war also ein Sturm (und wir hoffen niemand wird sich darüber zu beschweren haben, denn es ist, unsers Wissens, der erste in dieser Geschichte), der die liebenswürdige Psyche aus der furchtbaren Gewalt eines verliebten Seeräubers rettete. Das Schiff scheiterte an der Italienischen Küste, einige Meilen von Capua; und Psyche, von den Nereiden oder Liebesgöttern beschirmt, war die einzige Person auf dem Schiffe, welche, vermuthlich auf einem Brette, wohlbehalten von den Zephyrn ans Land getragen wurde. Die Zephyrn allein wären hierzu vielleicht nicht hinreichend gewesen; aber mit Hülfe einiger Fischer, welche glücklicher Weise bei der Hand waren, hatte die Sache keine Schwierigkeit.Dieß war nun alles sehr glücklich; aber es ist nichts in Vergleichung mit dem was folgen wird. Einer von den Fischern, weil er, zum Glück, sehr mitleidig war, trug die verkleidete Psyche, welche nichts so sehr vonnöthen hatte als sich zu trocknen und von dem ausgestandenen Ungemach zu erholen, zu seinem Weibe in seine Hütte. Die Fischerin (eine gute runde Frau von etwa vierzig Jahren) bezeigte ungemeines Mitleiden mit dem Unglück eines so liebenswürdigen jungen Herrn; sie pflegte seiner, so gut es nur immer möglich war, und konnte sich nicht satt an ihm sehen. Es war ihr immer, sagte sie, als ob sie schon einmal ein solches Gesicht gesehen hätte wie das seinige; und sie konnte es kaum erwarten, bis der schöne Fremdling im Stande war, nach eingeführter Gewohnheit, seine Geschichte zu erzählen. Aber Psyche hatte der Ruhe vonnöthen; sie wurde also zu Bette gebracht; und bei dieser Gelegenheit entdeckte die besorgte und aufmerksame Fischerin, daß der vermeinte Jüngling ein überaus schönes Mädchen, aber doch nicht ganz so schön mehr war, als in ihren Mannskleidern.Es war natürlich, über diese Verwandlung im ersten Augenblick ein wenig mißvergnügt zu seyn: doch der kleine vorübergehende Unmuth verwandelte sich bald in die lebhafteste und zärtlichste Freude. — Denn, kurz, es entdeckte sich, daß die Fischerin Klonarion die ehmalige Amme der schönen Psyche war, welche (mit Hülfe dieses Namens) sich ihrer eben so gut wieder erinnerte, als diese aus den Gesichtszügen der Psyche, aus ihrer Aehnlichkeit mit ihrer Mutter Musarion, — besonders aus einem kleinen Male, welches sie unter der linken Brust hatte — ihre liebste Pflegetochter erkannte.Klonarion war die vertrauteste Sklavin der Mutter unsrer Heldin gewesen, und ihrer Pflege wurde nach dem Tode derselben die kleine Psyche, oder Philoklea (wie sie eigentlich hieß), anvertraut. Denn Psyche war nur ein Liebkosungsname, den ihr die Amme aus Zärtlichkeit gab, und welchen die kleine Philoklea (weil sie sich niemals anders als Psyche oder Psycharion nennen gehört hatte) in der Folge als ihren wirklichen Namen angab. Stratonikus hatte der guten Klonarion mit der noch unmündigen Psyche eine hinlängliche Summe Goldes übergeben, und ihr befohlen, sie in der Nähe von Korinth zu erziehen, weil er dort die beste Gelegenheit hatte, sie von Zeit zu Zeit unerkannt zu sehen. Die junge Psyche, die Freude und der Stolz ihrer zärtlichen Amme, wuchs so schön heran, daß man nichts Liebenswürdiger's sehen konnte. Die Hoffnung des Gewinnstes reizte endlich einige Bösewichter, sie, da sie ungefähr fünf bis sechs Jahre alt war, heimlich wegzustehlen und an die Priesterin zu Delphi zu verkaufen. Ein Halsgeschmeide, woran ein kleines Bildniß ihrer Mutter hing, und womit die junge Psyche allezeit geschmückt zu seyn pflegte, wurde zugleich mit ihr verkauft, und diente in der Folge zur Bestätigung, daß sie wirklich die verlorne Tochter des Stratonikus sey. Klonarion raufte sich einen guten Theil ihrer Haare aus, da sie ihre Psyche vermißte: und nachdem sie eine ziemliche Zeit zugebracht hatte, sie allenthalben (außer da, wo sie war) zu suchen; wußte sie kein andres Mittel, sich bei ihrem Herrn von der Schuld einer strafbaren Nachlässigkeit zu entledigen, als vorzugeben, daß sie gestorben sey; und Stratonikus konnte desto leichter hintergangen werden, weil er damals eben in Geschäfte verwickelt war, welche ihn lange Zeit hinderten nach Korinth zu kommen.Inzwischen hatte die allenthalben herumirrende Klonarion eine Menge Abenteuer, welche sich endlich damit endigten, daß sie die Gattin eines schon ziemlich bejahrten Fischers aus der Gegend von Capua ward, in dessen Augen sie damals wenigstens so schön als Thetis und Galatea war. Sie hatte ihre geliebte Pflegetochter in so zärtlichem Andenken behalten, daß sie einer Tochter, von der sie selbst entbunden wurde, den Namen Psyche gab, bloß um sich derselben beständig zu erinnern. Der Tod dieses Kindes, der beinahe in eben dem Alter erfolgte, worin ihr jene geraubt worden war, riß die alte Wunde wieder auf; und da ihr durch diese Umstände das Bild der jungen Psyche immer gegenwärtig blieb, so hatte sie desto weniger Mühe sie wieder zu erkennen, ungeachtet vierzehn oder fünfzehn Jahre einige Veränderung in ihren Gesichtszügen gemacht haben mußten.Unsre Heldin vermehrte also nunmehr die kleine Familie des alten Fischers, welcher seinen Aufenthalt veränderte, und in die Gegend von Tarent zog, wo er die schöne Psyche für seine Tochter ausgab. Psyche bequemte sich so gut in die geringen Umstände, worin sie bei ihrer Pflegemutter leben mußte, als ob sie niemals in bessern gelebt hätte, und ließ sich nichts angelegener seyn, als ihr durch emsiges Arbeiten die Last ihres Unterhalts zu erleichtern.Endlich fügte es sich zufälliger Weise, daß der junge Kritolaus unsre Heldin zu sehen bekam, welche, in ihrem bäurischen aber reinlichen Anzug und mit frischen Blumen geschmückt; demjenigen, dem sie in einem Haine begegnete, eher eine von den Gespielen der Diana, als die Tochter eines armen Fischers zu seyn scheinen mußte. Der junge Mann faßte die heftigste Leidenschaft für sie. Weil seine Liebe eben so tugendhaft als zärtlich war, so brachte er bald die mitleidige Klonarion auf seine Seite; und da Psyche selbst nunmehr wußte, daß Agathon ihr Bruder sey, so war nichts vorhanden, was sie gegen die Zuneigung eines so liebenswürdigen jungen Menschen unempfindlich hätte machen können. In der That war Kritolaus in mehrern Absichten der zweite Agathon. Allein die Umstände ließen so wenig Hoffnung zu, daß eine Verbindung zwischen ihnen möglich seyn könnte, daß Psyche sich verbunden hielt, ihm alles, was zu seinem Vortheil in ihrem Herzen vorging, desto sorgfältiger zu verbergen, je entschlossener er schien, seiner Liebe alle andern Betrachtungen aufzuopfern.Endlich wußte er sich nicht anders zu helfen, als daß er das Geheimniß seines Herzens demjenigen entdeckte, dessen Beifall er am wenigsten zu erhalten hoffen konnte. Die ganze Beredsamkeit der begeisterten Liebe würde über einen Archytas wenig vermocht haben, wenn Kritolaus nicht so viel Außerordentliches von dem Geist und der Tugend seiner Geliebten gesagt hätte, daß sein Vater endlich aufmerksam zu werden anfing.Archytas hatte die Macht des Dämons der Liebe nie erfahren; aber er war menschlich, gütig, und über die in solchen Fällen gewöhnlichen Vorurtheile und Absichten weit erhaben. Ein schönes und tugendhaftes Mädchen war in seinen Augen ein sehr edles, sehr vornehmes Geschöpf, dessen Werth durch den Schatten der Niedrigkeit und Armuth nur desto mehr erhoben wurde.Kaum wurde der junge Kritolaus gewahr, daß sein Vater zu wanken anfing, so wagte er's, ihm das Geheimniß der Geburt seiner Geliebten zu entdecken, welches ihm Klonarion ohne Wissen der schönen Psyche vertraut hatte. Archytas, der sich erinnerte, ehmals aus des Stratonikus eigenem Munde die ganze Geschichte seiner Liebe zu Musarion vernommen zu haben, war über diesen Zufall nicht wenig erfreut. Er wünschte nichts mehr, als daß diejenige, fur welche sein Sohn so heftig eingenommen war, die Tochter seines liebsten Freundes seyn möchte. Aber er wollte gewiß seyn, daß sie es sey; und hierzu schien ihm das bloße Zeugniß eines Fischerweibes zu wenig. Er veranstaltete es, daß er Psychen und ihre angebliche Amme selbst zu sehen bekam. Er glaubte in der Gesichtsbildung der ersten einige Züge von ihrem Vater zu entdecken. Eine Unterredung mit ihr bestätigte den günstigen Eindruck, den ihr Anblick auf sein Gemüth gemacht hatte. Er ließ sich ihre Geschichte mit allen Umständen erzählen, und fand immer weniger Ursache, an der Wahrheit dessen zu zweifeln, was sein Sohn, ohne die mindeste Untersuchung, für ausgemacht hielt. Das Halsgeschmeide, welches Psyche in den Händen der Pythia hatte zurücklassen müssen, schien allein noch abzugehen, um ihn gänzlich zu überzeugen. Er schickte deßwegen einen seiner Vertrauten nach Delphi ab; und die Pythia, da sie sah, daß ein Mann von solcher Wichtigkeit sich des Schicksals ihrer ehemaligen Sklavin annahm, machte keine Schwierigkeiten, dieses Merkzeichen der Abkunft derselben auszuliefern. Nunmehr glaubte Archytas berechtigt zu seyn, Psychen als die Tochter eines Freundes, dessen Andenken ihm theuer war, anzusehen; und nun hatte er selbst nichts Angelegner's, als sie je eher je lieber in seine Familie zu verpflanzen. Sie wurde also die Gemahlin des Kritolaus; und diese Verbindung gab ihm natürlicher Weise neue Beweggründe, sich der Befreiung Agathons mit so lebhaftem Eifer anzunehmen, als es oben erzähltermaßen geschehen war.
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Viertes Kapitel.

Etwas das man vorhersehen konnte.

Agathon hatte zwar viel früher zu leben angefangen, als es gemeiniglich geschieht; aber er war doch noch lange nicht alt genug, um sich der Welt ganz zu entäußern. Indessen glaubte er, nachdem er schon zweimal eine nicht unansehnliche Rolle auf dem Schauplatze des öffentlichen Lebens gespielt, und sie, fur einen jungen Mann, ziemlich gut gespielt hatte, berechtiget zu seyn, — so lange er keinen besondern Beruf erhalten würde seiner Nation zu dienen, oder so lange sie seiner Dienste nicht schlechterdings vonnöthen hätte, sich in den Cirkel des Privatlebens zurückzuziehen; und hierin stimmten die Grundsätze des weisen Archytas völlig mit seiner Art zu denken überein. Ein Mann von mehr als gewöhnlicher Fähigkeit, sagte Archytas, hat zu thun genug, an seiner eigenen Besserung und Vervollkommnung zu arbeiten. Er ist am geschicktesten zu dieser Beschäftigung, nachdem er durch eine Reihe beträchtlicher Erfahrungen sich selbst und die Welt kennen zu lernen angefangen hat; und indem er solchergestalt an sich selbst arbeitet, arbeitet er zugleich für die Welt. Denn um so viel geschickter wird er, seinen Freunden, seinem Vaterlande, und den Menschen überhaupt nützlich zu seyn, und auf jeden Wink der Pflicht, — es sey nun in einem größern oder kleinern Kreise, mit mehr oder weniger Gepränge, öffentlich oder im Verborgnen, —zum allgemeinen Besten des Ganzen mitzuwirken.Dieser Maxime zufolge beschäftigte sich Agathon, nachdem er zu Tarent einheimisch zu seyn angefangen hatte, hauptsächlich mit den mathematischen Wissenschaften, mit Erforschung der Kräfte und Eigenschaften der natürlichen Dinge, mit der Astronomie, kurz mit demjenigen Theile der speculativen Philosophie, welcher uns auf dem Wege der Beobachtung zu einer zwar mangelhaften, aber doch zuverlässigen Erkenntniß der Natur und ihrer majestätisch einfältigen, weisen und wohlthätigen Gesetze führt. Er verband mit diesen erhabenen Studien, worin ihm die Anleitung des Archytas vorzüglich zu Statten kam, das Lesen der besten Schriftsteller von allen Classen (insonderheit der Geschichtschreiber) und das Studium des Alterthums und der Sprache, welches er für eines der edelsten oder der nichtswurdigsten hielt, je nachdem es auf eine philosophische, oder bloß mechanische Art getrieben werde. Nicht selten setzte er diese anstrengenden Beschäftigungen bei Seite, um, wie er sagte, mit den Musen zu scherzen; und der natürliche Schwung seines Genius machte ihm diese Art von Gemüthsergözung so angenehm, daß es ihm oft schwer wurde, sich wieder von ihr loszureißen. Auch die Musik und die bildenden Künste, die Schwestern der Dichtkunst, deren höhere Theorie sich in den geheimnißvollen Tiefen der Philosophie verliert, hatten einen Antheil an seinen Stunden, und halfen ihm, das Allzueinförmige in den Beschäftigungen seines Geistes, und die schädlichen Folgen, die aus der Einschränkung desselben auf eine einzige Art von Gegenständen entspringen, vermeiden.Die häufigen Unterredungen, welche er mit dem weisen Archytas hatte, trugen viel und vielleicht das meiste dazu bei, seinen Geist in dem tiefsinnigen Erforschen der übersinnlichen Gegenstände vor Abwegen zu bewahren. Agathon, welcher ehmals, da alles in seiner Seele zur Empfindung wurde, seinen Beifall zu leicht überraschen ließ, fand itzt, seitdem er mit kälterm Blute philosophirte, beinahe alles zweifelhaft. Die Zahl der menschlichen Begriffe und Meinungen, welche die Probe einer ruhigen, gleichgültigen und genauern Prüfung aushielten, wurde alle Tage kleiner für ihn; die Systeme der dogmatischen Weisen verschwanden nach und nach, und zerstossen vor den Strahlen der prüfenden Vernunft, wie die Luftschlösser und Zaubergärten, welche wir zuweilen an Sommermorgen im duftigen Gewölke zu sehen glauben, vor der aufgehenden Sonne.Der weise Archytas billigte zwar den bescheinen Skepticismus seines Freundes; doch, — indem er ihn von allzukühnen Reisen im Lande der Ideen zu den wenigen einfachen aber desto schäzbarern Wahrheiten zurückführte, die der Leitfaden zu seyn scheinen, an welchem uns der allgemeine Vater der Wesen durch die Irrgänge des Lebens sicher hindurch fuhren will, — verwahrte er ihn zugleich vor jener gänzlichen Ungewißheit des Geistes, die durch Unentschlossenheit und Muthlosigkeit des Willens fur die Ruhe und Glückseligkeit unsers Lebens so gefährlich wird, daß der Zustand des bezaubertsten Enthusiasten dem Zustand eines solchen Weisen vorzuziehen zu seyn scheinet, der, aus lauter Furcht zu irren, sich endlich gar nichts mehr zu bejahen oder zu verneinen getraut. In der That gleicht die Vernunft in diesem Stück ein wenig dem Doctor Peter Rezio von Aguero. Sie hat gegen alles , womit unsre Seele genährt werden soll, so viel einzuwenden, daß diese endlich ebensowohl aus Inanition verschmachten müßte, als die unglücklichen Statthalter der Insel Barataria bei der Diät, wozu sie das verwünschte Stäbchen ihres allzu bedenklichen Leibarztes verurtheilte. Das Beste ist in diesem Falle, sich wie Sancho zu helfen. Der allgemeine Menschensinn, dieses am wenigsten betrügliche Gefühl des Wahren und Guten, und dieses innigste Bewußtseyn dessen was recht, und also Pflicht für vernünftige Wesen ist, welches die Natur allen Menschen zugetheilt hat, können uns am besten sagen, woran wir uns halten sollen; und dahin müssen, früher oder später, die größten Geister zurückommen, wenn sie nicht das Schicksal haben wollen, wie die Taube des Altvaters Noah, allenthalben herum zu flattern und nirgends Ruhe zu finden.
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Fünftes Kapitel.

Agathon verirrt sich auf der Jagd, und stößt in einem alten Schlosse auf ein sehr unerwartetes Abenteuer.

Bei allen diesen mannichfaltigen Beschäftigungen, womit unser ehmaliger Held seine Muße zu seinem eignen Vortheil erfüllte, blieben ihm doch viele Stunden übrig, welche der Freundschaft und dem geselligen Vergnügen gewidmet waren, und für seine Ruhe nur allzuviele, worin eine Art von zärtlicher unwiderstehlicher Schwermuth seine Seele in die Zaubergegenden zurückführte, deren wir im zweiten Kapitel dieses Buches schon Erwähnung gethan haben.In einer solchen Gemüthsfassung liebt man vorzüglich den Aufenthalt auf dem Lande, wo man Gelegenheit hat seinen Gedanken ungestörter nachzuhängen, als unter den Pflichten und Zerstreuungen des geselligern Stadtlebens. Agathon zog sich also öfters in ein Landgut zurück, welches sein Bruder Kritolaus etliche Stunden von Tarent besaß, und wo er sich in seiner Gesellschaft zuweilen mit der Jagd belustigte.Hier geschah es einsmals, daß sie von einem Ungewitter überrascht wurden, welches wenigstens so heftig war, als dasjenige, wodurch, auf Veranstaltung zweier Göttinnen, Aeneas und Dido, in die nämliche Höhle zusammengescheucht wurden. Aber da zeigte sich nirgends eine wirthbare Höhle, welche ihnen einigen Schirm angeboten hätte. Das Schlimmste war, daß sie sich von ihren Leuten verloren hatten, und eine geraume Zeit nicht wußten wo sie waren: ein Zufall, der an sich selbst wenig Außerordentliches hat, aber, wie man sehen wird, eines der glücklichsten Abenteuer veranlaßte, das unserm Helden jemals zugestoßen ist.Nachdem sie sich endlich aus dem Walde herausgefunden, erkannte Kritolaus die Gegend wieder: aber er sah zugleich, daß sie etliche Stunden weit von Hause entfernt waren. Das Ungewitter wüthete noch immer fort, und es fand sich kein näherer Ort, wohin sie ihre Zuflucht nehmen konnten, als ein einsames Landhaus, welches seit mehr als einem Jahre von einer fremden Dame von sehr sonderbarem Charakter bewohnt wurde. Man vermuthete aus einigen Umständen, daß sie die Wittwe eines Mannes von Ansehen und Vermögen seyn müsse; aber es war bisher unmöglich gewesen, ihren Namen und vorigen Aufenthalt auszuforschen, oder was sie bewogen haben könnte ihn zu verändern, und in einer gänzlichen Abgeschiedenheit von der Welt zu leben. Das Gerüchte sagte Wunder von ihrer Schönheit; indessen war doch niemand, der sich rühmen konnte sie gesehen zu haben. Ueberhaupt hatte man eine Zeit lang viel und desto mehr von ihr gesprochen, je weniger man wußte. Allein da sie fest entschlossen schien, sich nichts darum zu bekümmern, so hatte man endlich auf einmal aufgehört von ihr zu reden, und es der Zeit überlassen, das Geheimniß, das unter dieser Person und ihrer sonderbaren Lebensart verborgen seyn möchte, zu entdecken. Vielleicht, sagte Kritolaus, ist sie eine zweite Artemisia, die sich, ihrem Schmerz ungestört nachzuhängen, in dieser Einöde lebendig begraben will. Ich bin schon lange begierig gewesen sie zu sehen. Dieser Sturm soll uns, wie ich hoffe, Gelegenheit dazu geben. Sie kann uns eine Zuflucht in ihrem Hause nicht versagen; und wenn wir nur einmal über die Schwelle sind, so wollen wir wohl Mittel finden vorgelassen zu werden, wiewohl wir die ersten in dieser Gegend wären, denen dieses Glück zu Theil würde.Man kann sich leicht vorstellen, daß Agathon, so gleichgültig er auch seit seiner Entfernung von der schönen Danae gegen ihr ganzes Geschlecht war, dennoch begierig werden mußte, eine so außerordentliche Person kennen zu lernen. Sie kamen vor dem äußersten Thor eines Hauses an, welches einem verwünschten Schlosse ähnlicher sah, als einem Landhause in Ionischem oder Korinthischem Geschmacke. Das schlimme Wetter, ihr anhaltendes Bitten, und vielleicht auch ihre gute Miene brachte zuwege, daß sie eingelassen wurden. Einige alte Sklaven führten sie in einen Saal, wo man sie mit vieler Freundlichkeit nöthigte, alle die kleinen Dienste anzunehmen, welche sie in ihrem Zustande nöthig hatten.Die Figur der Fremden schien die Leute des Hauses in Verwunderung zu setzen, und die Meinung von ihnen zu erwecken, daß es Personen von Bedeutung seyn müßten. Aber Agathon, dessen Aufmerksamkeit bald einige Gemälde an sich zogen, womit der Saal ausgeziert war, wurde nicht gewahr, daß er von einer Sklavin mit noch weit größerer Aufmerksamkeit betrachtet werde. Diese Sklavin schien einer Person gleich zu sehen, welche nicht weiß, ob sie ihren Augen trauen soll; und nachdem sie ihn einige Minuten mit verschlingenden Blicken angestarrt hatte, verlor sie sich auf einmal aus dem Saale.Sie lief so hastig dem Zimmer ihrer Gebieterin zu, daß sie ganz außer Athem kam. "Und wer meinen Sie wohl, meine Gebieterin (keuchte sie), daß unten im Saal ist? Hat es Ihnen Ihr Herz nicht schon gesagt? Diana sey mir gnädig! Was für ein Zufall das ist! Wer hätte sich das nur im Traum einbilden können? Ich weiß vor Erstaunen nicht wo ich bin."In der That däucht mich, du bist nicht recht bei Sinnen, versetzte die Dame ein wenig betroffen; und wer ist denn unten im Saale?"O! bei den Göttinnen! ich hätte es beinahe meinen eignen Augen nicht geglaubt. Aber ich erkannte ihn auf den ersten Blick, ob er gleich ein wenig stärker geworden ist. Es ist nichts gewisser; er ist es, er ist es!"Plage mich nicht länger mit deinem geheimnißvollen Unsinn, rief die Dame immer mehr bestürzt. Rede, Närrin! Wer ist es?"Aber Sie errathen doch auch gar nichts, gnädige Frau! — Wer es ist? — Ich sage Ihnen ja, daß Agathon unten im Saal ist! — Ja, Agathon; es kann nichts gewisser seyn! Er selbst, oder sein Geist, eines von beiden unfehlbar. Denn die Mutter, die ihn geboren hat, kann ihn nicht besser kennen, als ich ihn erkannt habe, sobald er den Mantel von sich warf, worin er anfangs eingewickelt war."Das gute Mädchen würde noch länger in diesem Tone fortgeplaudert haben (denn ihr Herz überfloß von Freude), wenn sie nicht auf einmal gesehen hätte, daß ihre Gebieterin ohnmächtig auf ihren Sofa zurückgesunken war. Sie hatte einige Mühe sie wieder zu sich selbst zu bringen. Endlich erholte sich die schöne Dame wieder; aber nur um über sich selbst zu zürnen, daß sie sich so empfindlich fand."Sie machen einem ja ganz bange, rief die Sklavin. Wenn Sie schon bei seinem bloßen Namen in Ohnmacht fallen, wie wird es erst werden wenn Sie ihn selbst sehen? — Soll ich gehen und ihn geschwinde heraufholen?"Ihn heraufholen? versetzte die Dame: nein wahrhaftig; ich will ihn nicht sehen!"Sie wollen ihn nicht sehen? Was für ein Einfall! Aber es kann nicht Ihr Ernst seyn. O wenn Sie ihn nur sehen sollten! Er ist so schön, so schön als er noch nie gewesen ist, däucht mich. Sie müssen ihn sehen! — Es wäre unverantwortlich, wenn Sie ihn wieder fortgehen lassen wollten, ohne daß er Sie gesehen hätte. Wofür hätten Sie sich denn —"Schweige! Nichts weiter! (rief die Dame) Verlaß mich! Aber unterstehe dich nicht, wieder in den Saal hinunter zu gehen. Wenn er's ist, so will ich nicht, daß er dich erkennen soll. Ich hoffe doch nicht, daß du mich schon verrathen hast?"Nein, gnädige Frau, erwiederte die Vertraute; er hat mich noch nicht wahrgenommen; denn er schien ganz in die Betrachtung der Gemälde vertieft, und mich däuchte, ich hörte ihn ein- oder zweimal seufzen. Vermuthlich —"Du bist nicht klug (fiel ihr die Dame ins Wort); verlaß mich! Ich will ihn nicht sehen, und er soll nicht wissen in wessen Hause er ist. Wenn er's erfährt, so —hast du eine Freundin verloren!Die Vertraute entfernte sich also, in Hoffnung, daß ihre Gebieterin sich wohl eines Bessern besinnen würde, und —die schöne Danae blieb allein.Eine Erzählung alles dessen, was in ihrem Gemüthe vorging, würde etliche Bogen ausfüllen, wiewohl es weniger Zeit als sechs Minuten einnahm. Welch ein Streit! Welch ein Getümmel von widerwärtigen Bewegungen! — Sie hatte ihn bis auf diesen Augenblick so zärtlich geliebt, und glaubte itzt zu fühlen, daß sie ihn hasse. Sie fürchtete sich vor seinem Anblick, und konnte ihn kaum erwarten. Was hätte sie vor einer Stunde gegeben, diesen Agathon zu sehen, der, auch undankbar, auch ungetreu, über ihre ganze Seele herrschte! Dessen Verlust ihr alle Vorzüge ihres ehmaligen Zustandes, den Aufenthalt zu Smyrna, ihre Freunde, ihre Reichthümer, unerträglich gemacht hatte! Dessen Bild, mit allen den zauberischen Erinnerungen ihrer ehmaligen Glückseligkeit, das einzige Gut war, was noch einen Werth in ihren Augen hatte! Aber nun, — da sie wußte, daß es in ihrer Gewalt stehe, ihn wieder zu sehen oder nicht, — wachte auf einmal ihr ganzer Stolz auf, und schien sich nicht entschließen zu können ihm zu vergeben. Wenn auch einen Augenblick lang die Liebe die Oberhand erhielt, so stürzte sie die Furcht, ihn unempfindlich zu finden, sogleich wieder in die vorige Verlegenheit.Zu allem diesem kam noch eine andere Betrachtung, welche vielleicht für eine Danae allzu spitzfindig scheinen könnte, wenn wir nicht, zu ihrer Rechtfertigung, entdecken müßten, daß die Flucht unsers Helden, die Entdeckung der Ursachen welche ihn zu einem so gewaltsamen Entschluß getrieben, der Gedanke, daß ihre eigenen Fehltritte sie in den Augen des einzigen Mannes, den sie jemals geliebt hatte, verächtlich gemacht, — eine merkwürdige Revolution in ihrer ganzen Denkungsart hervorgebracht hätten. Danae ließ sich durch die Vorwürfe, welche sie sich selbst zu machen hatte, und wovon vielleicht ein guter Theil auf ihre Umstände fiel, nicht von dem edeln Vorsatz abschrecken, sich in einem Alter, wo dieser Vorsatz noch einiges Verdienst in sich schloß, der Tugend zu widmen. Wir wollen nicht läugnen, daß eine Art von verliebter Verzweiflung den größten Antheil an dem außerordentlichen Schritt hatte, sich aus einer Welt, worin sie angebetet wurde, in eine Einöde zu verbannen, wo die Freiheit sich mit ihren Empfindungen zu unterhalten das einzige Vergnügen war, welches sie für so große Opfer entschädigen konnte. Aber es gehörte doch keine gemeine Seele dazu, um in den glänzenden Umständen, worin sie zu leben gewohnt war, einer solchen Verzweigung fähig zu seyn, und in einem Vorsatz auszuhalten, unter welchem jede schwächere Seele gar bald eingesunken wäre. Hätte es ihr zu Smyrna und allenthalben an Gelegenheit mangeln können, den Verlust eines Liebhabers zu ersetzen, wenn es ihr bloß um einen Liebhaber zu thun gewesen wäre? Aber ihre Liebe zu Agathon war von einer edlern Art, war so nahe mit der Liebe der Tugend selbst verwandt, daß wir Ursache haben zu vermuthen, daß in der gänzlichen Abgeschiedenheit, worin unsre Heldin lebte, jene sich endlich gänzlich in dieser verloren haben würde. Und eben darum, weil ihre Liebe zur Tugend aufrichtig war, machte sie sich ein gerechtes Bedenken, bei dem Bewußtseyn der unfreiwilligen Schwachheit ihres Herzens für den allzu liebenswürdigen Agathon, sich der Gefahr auszusetzen, durch eine nur allzu mögliche Wiederkehr seiner ehmaligen Empfindungen mit dahin gerissen zu werden. Ein Gedanke, der ohne eine übertriebne Meinung von ihren Reizungen in ihr entstehen konnte, und durch das Mißtrauen in sich selbst, womit die wahre Tugend allezeit begleitet ist, kein geringes Gewicht erhalten mußte.Solchergestalt kämpften Liebe, Stolz und Tugend für und wider das Verlangen den Agathon zu sehen in ihrem unschlüssigen Herzen. Mit welchem Erfolg, läßt sich leicht errathen. Die Liebe müßte nicht Liebe seyn, wenn sie nicht Mittel fände, den Stolz und die Tugend selbst endlich auf ihre Seite zu bringen. Sie flößte jenem die Begierde ein, zu sehen wie sich Agathon halten würde, wenn er, so plötzlich und unerwartet, der einst so sehr geliebten und so grausam beleidigten Danae unter die Augen käme; und munterte diese auf sich selbst Stärke genug zuzutrauen, von den Entzückungen, in welche er vielleicht bei diesem Anblick gerathen möchte, nicht zu sehr gerührt zu werden. Kurz, der Erfolg dieses innerlichen Streites war, daß sie eben im Begriff war, ihre Vertraute (die einzige Person, welche sie bei ihrer Entfernung von Smyrna mit sich genommen hatte) hereinzurufen, um ihr die nöthigen Verhaltungsbefehle zu geben; als diese Sklavin selbst hereintrat, um ihrer Gebieterin zu melden: daß die beiden Fremden auf eine sehr dringende Art um die Erlaubniß anhalten ließen, vor die Frau des Hauses gelassen zu werden.Neue Unentschlossenheit, über welche sich niemand wundern wird, der das weibliche Herz kennt. In der That klopfte der guten Danae das ihrige in diesem Augenblicke so stark, daß sie nöthig hatte, sich vorher in eine ruhigere Verfassung zu setzen, ehe sie es wagen durfte, eine so schwere Probe zu bestehen.
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Sechstes Kapitel.

Ein Studium für die Seelenmaler.

Unterdessen, bis sie mit sich selbst einig seyn wird, wozu sie sich entschließen, und wie sie sich bei einer so erwünschten und gefürchteten Zusammenkunft verhalten wolle, kehren wir einen Augenblick zu unserm Helden in den Saal zurück.Je mehr Agathon die Gemälde betrachtete, womit die Wände desselben behängt waren, je lebhafter wurde die Einbildung, daß er sie — in dem Landhause der Danae zu Smyrna gesehen habe. Allein er konnte sich so wenig vorstellen, durch was für einen Zufall sie von Smyrna hierher gekommen seyn sollten, daß er für weniger unmöglich hielt von seiner Einbildung betrogen zu werden. Zudem konnte ja eben derselbe Meister unterschiedliche Copien von seinen Stücken gemacht haben. Aber wenn er wieder die Augen auf eine Luna heftete, die mit Augen der Liebe den schlafenden Endymion betrachtete, so glaubte er es so gewiß für das nämliche zu erkennen, vor welchem er in einem Gartensaale der Danae oft Viertelstunden lang in bewundernder Entzückung gestanden, daß es ihm unmöglich war, seiner Ueberzeugung zu widerstehen. Die Verwirrung, in die er dadurch gesetzt wurde, ist unbeschreiblich. "Sollte Danae — aber wie könnte das möglich seyn?" — Und doch schien alles das Sonderbare, was ihm Kritolaus von der Frau dieses Hauses gesagt hatte, den Gedanken zu bekräftigen, der itzt in ihm aufstieg, und den er sich kaum auszudenken getrauete. Die schöne Danae hätte zufrieden seyn müssen, wenn sie gesehen hätte was in seinem Herzen vorging. Er hätte nicht erschrockner seyn können, vor das Antlitz einer beleidigten Gottheit zu treten, als er es vor dem Gedanken war, sich dieser Danae darzustellen, welche er seit geraumer Zeit gewohnt war sich wieder so unschuldig zu denken, als sie ihm damals, da er sie verließ, verächtlich und hassenswürdig schien. Allein das Verlangen sie zu sehen verschlang endlich alle andern Gefühle, von denen sein Herz erschüttert wurde. Seine Unruhe war so sichtbar, daß Kritolaus sie bemerken mußte. Agathon würde besser gethan haben, ihm die Ursache davon zu entdecken. Aber er that es nicht, sondern behalf sich mit der allgemeinen Ausflucht, daß ihm nicht wohl sey. Demungeachtet bezeigte er ein so ungeduldiges Verlangen die Frau des Hauses zu sehen, daß sein Freund aus allem, was er an ihm wahrnahm, zu muthmaßen anfing, es müßte irgend ein Geheimniß darunter verborgen seyn, dessen Entwicklung er begierig erwartete. Inzwischen kam der Sklave, den sie abgeschickt hatten, mit der Antwort zurück: daß er Befehl habe, sie in ihr Zimmer zu führen.Hier ist es, wo wir mehr als jemals zu wünschen versucht sind, daß dieses Buch von niemand gelesen werden möchte, der keine schönen Seelen glaubt. Die Situation, worin man unsern Helden in wenig Augenblicken sehen wird, ist unstreitig eine von den schwierigsten, in welche man in seinem Leben kommen kann. Wäre hier die Rede von phantasirten Charaktern, so würden wir uns kaum in einer kleinern Verlegenheit befinden, als Agathon selbst, da er mit pochendem Herzen und schwer athmender Brust dem Sklaven folgte, der ihn in das Vorgemach einer Unbekannten führte, von der er fast mit gleicher Heftigkeit wünschte und fürchtete, daß es Danae seyn möchte. Allein da Agathon und Danae so gut historische Personen sind als Brutus, Porcia, und hundert andere, welche darum nicht weniger existirt haben, weil sie nicht gerade so dachten und handelten wie gewöhnliche Leute: so bekümmern wir uns wenig, wie dieser Agathon und diese Danae, vermöge der moralischen Begriffe des einen oder andern, der über dieses Buch gut oder übel urtheilen wird, hätten handeln sollen, oder gehandelt haben würden, wenn sie nicht gewesen wären was sie waren. Unsre Pflicht ist zu erzählen, nicht zu dichten; und wir können nichts dafür, wenn Agathon bei dieser Gelegenheit sich nicht weise und heldenmäßig genug verhalten, oder Danae die Rechte des weiblichen Stolzes nicht so gut behaupten sollte, als viele andre — welche dem Himmel danken, daß sie keine Danaen sind — an ihrem Platze gethan haben würden.Die schöne Danae erwartete, auf einem Sopha sitzend, ihren Besuch mit so vieler Stärke, als eine weibliche Seele nur immer zu haben fähig seyn mag, die zugleich so zärtlich und lebhaft ist, als eine solche Seele seyn kann. Aber was in ihrem Herzen vorging, mögen Leserinnen, welche im Stande sind sich an ihre Stelle zu setzen, in ihrem eigenen lesen. Sie wußte, daß Agathon einen Gefährten hatte. Dieser Umstand kam ihr zu Statten; aber Agathon befand sich wenig dadurch erleichtert. Die Thür des Vorzimmers wurde ihnen von der Sklavin eröffnet. Er erkannte beim ersten Anblick die Vertraute seiner Geliebten; und nun konnte er nicht mehr zweifeln, daß die Dame, die er in einigen Augenblicken sehen würde, Danae sey. Er raffte seinen ganzen Muth zusammen, indem er zitternd hinter seinem Freunde Kritolaus herwankte. Er sah sie — wollte auf sie zugehen — konnte nicht — heftete seine Augen auf sie — und sank, vom Uebermaß seiner Empfindlichkeit überwältigt, in die Arme seines Freundes zurück.Auf einmal vergaß die schöne Danae alle die großen Entschließungen von Gelassenheit und Zurückhaltung, welche sie mit so vieler Mühe gefaßt hatte. Sie lief in zärtlicher Bestürzung auf ihn zu, nahm ihn in ihre Arme, ließ dem ganzen Strom ihrer Empfindungen den Lauf, ohne daran zu denken, daß sie einen Zeugen hatte, der über alles, was er sah und hörte, erstaunt seyn mußte.Allein die Güte des Herzens und diese Sympathie, durch welche schöne Seelen in wenig Augenblicken vertraut mit einander werden, machte daß Kritolaus in einer Lage, auf die er so wenig vorbereitet war, sich gerade so benahm, als ob er schon viele Jahre der Vertraute ihrer Liebe gewesen wäre. Er trug seinen Freund auf den Sopha, auf welchen sich Danae neben ihn hinwarf: und da er nun schon genug wußte, um zu sehen daß er hier zu nichts mehr helfen könne, so entfernte er sich unvermerkt weit genug, um unsre Liebenden von dem Zwang einer Zurückhaltung zu entledigen, welche, in so sonderbaren Augenblicken, ein größeres Uebel ist, als unempfindliche Leute sich vorstellen können.Allmählich bekam Agathon, an der Seite der gefühlvollen Danae, und von einem ihrer schönen Arme umschlungen, das Vermögen zu athmen wieder. Sein Gesicht ruhte an ihrem Busen, und die Thränen, welche ihn zu benetzen anfingen, waren das erste, was ihr seine wiederkehrende Empfindung anzeigte. Ihre erste Bewegung war, sich von ihm zurückzuziehen; aber ihr Herz versagte ihr die Kraft dazu. Es sagte ihr, was in dem seinigen vorging; und sie hatte den Muth nicht, ihm eine Linderung zu entziehen, welche er so nöthig zu haben schien und in der That nöthig hatte. In wenigen Augenblicken machte er sich selbst den Vorwurf, daß er einer so großen Gütigkeit unwürdig sey. Er raffte sich auf, warf sich zu ihren Füßen, umfaßte ihre Knie, versuchte es sie anzusehen, und sank, weil er ihren Anblick nicht auszuhalten vermochte, mit einem von Thränen überschwemmten Gesicht auf ihren Schooß nieder. Danae konnte nun nicht zweifeln, daß sie geliebt werde, und es kostete ihr Mühe, die Entzückung zurückzuhalten, worein sie durch diese Gewißheit gesetzt wurde. Aber es war nöthig, dieser allzu zärtlichen Scene ein Ende zu machen.Agathon konnte noch nicht reden. Und was hätte er reden sollen? — Ich bin zufrieden, Agathon, sagte sie mit einer Stimme, welche wider ihren Willen verrieth, wie schwer es ihr wurde ihre Thränen zurückzuhalten. — Ich bin zufrieden! Du findest eine Freundin wieder; und ich hoffe, du werdest sie künftig deiner Hochachtung weniger unwürdig finden als jemals. Keine Entschuldigungen, mein Freund (denn Agathon wollte etwas sagen das einer Entschuldigung gleich sah, und woraus er sich, in der heftigen Bewegung worin er war, schwerlich zu seinem Vortheile gezogen hätte)— denn du wirst keine Vorwürfe von mir hören. Wir wollen uns des Vergangenen nur erinnern, um das Vergnügen eines so unverhofften Wiedersehens desto reiner zu genießen. — Großmüthige, göttliche Danae! rief Agathon in einer Entzückung von Dankbarkeit und Liebe. — Auch keine Beiwörter, Agathon! (unterbrach sie ihn) keine Schwärmerei! du bist zu sehr gerührt. Beruhige dich! Wir werden Zeit genug haben, uns von allem Rechenschaft zu geben, was, seitdem wir uns zum letztenmale gesehen haben, vorgegangen ist. Laß mich das Vergnügen, dich wieder gefunden zu haben, unvermischt genießen! Es ist das erste, das mir seit unserer Trennung zu Theil wird.Mit diesen Worten — (und in der That hätte sie die letztern für sich selbst behalten können, wenn es möglich wäre immer Meister von seinem Herzen zu seyn)— stand sie auf, näherte sich dem Kritolaus, und ließ dem mehr als jemals bezauberten Agathon Zeit, sich in eine ruhigere Gemüthsfassung zu setzen.Was diese zärtliche Scene für Folgen haben mußte, ist leicht vorauszusehen. Danae und Kritolaus wurden gar bald traute Freunde. Dieser junge Mann gestand, seine Psyche ausgenommen, nichts Vollkommneres gesehen zu haben als Danae; und Danae erfuhr mit vielem Vergnügen, daß Kritolaus der Gemahl der schönen Psyche, und Psyche die wiedergefundene Schwester Agathons sey. Sie hatte nicht viel Mühe ihre Gäste zu bereden, ein Nachtlager in ihrem Hause anzunehmen. Sie meldete ihrem Freunde, daß sie die Ursache seiner heimlichen Entweichung bei ihrer Zurückkunft nach Smyrna bald entdeckt habe. Sie verbarg ihm nicht, daß der Schmerz, ihn verloren zu haben, sie zu dem seltsamen Entschluß gebracht, der Welt zu entsagen; und in irgend einer entlegenen Einöde sich selbst für die Schwachheiten und Fehltritte ihres vergangenen Lebens zu bestrafen. Jedoch, setzte sie hinzu, hoffe sie, daß, wenn sie einmal Gelegenheit haben würde, ihm eine ganz aufrichtige und umständliche Erzählung der Geschichte ihres Herzens, bis auf die Zeit, da sein Umgang ihrer Seele wie ein neues Wesen gegeben habe, zu machen, — er Ursache finden würde, sie, wo nicht immer zu entschuldigen, doch mehr zu bedauern als zu verdammen.Die Furcht, den Gedanken in ihr zu veranlassen, als ob sie durch das, was ehmals zwischen ihnen vorgegangen war, von seiner Hochachtung verloren hätte, zwang unsern Helden eine geraume Zeit, die Lebhaftigkeit seiner Empfindungen in seinem Herzen zu verschließen. Danae wurde indessen mit der Familie des Archytas bekannt, nachdem vorher zwischen Agathon und Kritolaus verabredet worden war, das dem letztern entdeckte vormalige Verhältniß des erstern zu dieser Dame vor der Hand noch ein Geheimniß seyn zu lassen. Man mußte sie lieben, sobald man sie sah; und sie gewann desto mehr, je besser man sie kennen lernte. Es war überdieß eine von ihren Gaben, daß sie sich sehr leicht und mit der besten Art in alle Personen, Umstände und Lebensarten zu schicken wußte. Wie konnte es also anders seyn, als daß sie in kurzem durch die zärtlichste Freundschaft mit einer solchen Familie verbunden wurde? Sogar der weise Archytas liebte ihre Gesellschaft; und Danae machte sich ein Vergnügen daraus, einem Greise von so seltnen Verdiensten die kleinen Beschwerden des Alters durch die Annehmlichkeiten ihres Umgangs erleichtern zu helfen. Aber nichts war der Zuneigung zu vergleichen, welche Psyche und Danae einander einflößten. Niemals hat vielleicht unter zwei Frauenzimmern, welche so geschickt waren Rivalinnen zu seyn, eine so vollkommne Freundschaft geherrschet.Man kann sich einbilden, ob Agathon dabei verlor. Er sah die schöne Danae alle Tage; er hatte alle Vorrechte eines Bruders bei ihr: aber — wie sollte es möglich gewesen seyn, daß er sich immer daran begnügt hätte?
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Siebentes Kapitel.

Vorbereitung zur Geschichte der Danae.

Wenn wir alles, was im zweiten Kapitel dieses Buchs von den Dispositionen unsers Helden in Absicht auf die schöne Danae gesagt worden ist, mit den Wirkungen zusammen halten, welche das unvermuthete Wiederfinden derselben, und der tägliche Umgang, der nun wieder zwischen ihnen hergestellt war, auf sein Herz und vermuthlich auch auf seine Sinnen machen mußte; wenn wir überdieß erwägen, daß für eine so gefühlvolle Seele wie die seinige, in der Muße und Freiheit worin er zu Tarent lebte, die Liebe eine Art von Bedürfniß war: so werden wir sehr begreiflich finden, daß es nur von Danae abhing, alles aus ihm zu machen was sie wollte.Dieß vorausgesetzt, werden vielleicht wenige seyn, welche nicht erwarten sollten, daß sie ihre wieder erlangte Gewalt dazu angewendet haben werde, einen Gemahl aus ihm zu machen. Eine Vermuthung, welche durch viele Umstände wahrscheinlich gemacht wird, und beinahe zur Gewißheit steigt, wenn wir den Umstand hinzu thun, daß sie fest entschlossen war, in einem gewissen Sinne nicht mehr Danae für ihren Freund zu seyn.Dieser letzte Umstand läßt vermuthen, sie müsse Veranlassungen gehabt haben, eine für unsern Helden so ungemächliche Entschließung zu fassen; und dieß bringt natürlicher Weise auf den Gedanken: Agathon werde Versuche gemacht haben, die Rechte eines begünstigten Liebhabers wieder bei ihr geltend zu machen. Gleichwohl würde ihm ein solcher Gedanke Unrecht thun. Nicht als ob es ihm, in Augenblicken der Schwachheit, an derjenigen Art von Regungen des Willens gefehlt hätte, welche (nach dem Urtheil der Sittenlehrer) mehr mechanisch als freiwillig, und von der weisen Natur bloß dazu veranstaltet worden sind, uns vor Gefahr zu warnen und zum Widerstand aufzufordern. Aber die Hochachtung, die ihm das ganze Betragen seiner schönen Freundin einflößte; die Vergütung, die er ihr schuldig zu seyn glaubte; die Besorgniß, daß sie sogar solche Freiheiten, welche die Vertraulichkeit der Freundschaft rechtfertigen konnte, weniger für Ergießungen der Empfindung als für Vorboten demüthigender Unternehmungen ansehen möchte: alles dieß gab seinem Umgange mit ihr die ganze Schüchternheit einer ersten Liebe. Allein eben dieß machte ihn, in Augenblicken, wo die gegenwärtige Empfindung, durch die Erinnerungen des Vergangnen verstärkt, ihr eigenes Herz schmelzte, nur desto gefährlicher; und es war mehr gegen sich selbst als gegen ihn, daß sich Danae durch Entschließungen waffnete, deren Standhaftigkeit sie vielleicht eben so viel seiner Zurückhaltung als ihrer Tugend zu danken hatte.Nichts ist wohl gewisser, als daß sie sich gerade so hätte betragen müssen, wenn sie die vorhin erwähnte Absicht gehabt hätte. Allein demungeachtet ist eben so gewiß, daß sie sich bloß darum so betrug, weil sie diese Absicht nicht hatte, sondern, trotz allen Bemühungen ihres Liebhabers und allen Versuchungen ihres eigenen Herzens, fest entschlossen war, keinen Gebrauch von seiner Schwäche zu machen.Wir haben uns vergebens Mühe gegeben, den Grund einer so außerordentlichen Entschließung in irgend einer eigennützigen Neigung oder Leidenschaft zu entdecken. Sie liebte den Agathon; sie wurde wieder geliebt, mehr als jemals geliebt; das ganze Haus des Archytas war von ihr eingenommen. Ihre Geschichte war zu Tarent unbekannt; und wem sollte träumen, daß sie selbst treuherzig genug habe seyn können, sie zu erzählen? Agathon wandte alle Beredsamkeit der Liebe, alle zärtlichen Verführungen der Sympathie, er wandte alles an, was eine schöne Seele versuchen, und ein halb besiegtes Herz völlig entwaffnen kann, um ihren Entschluß zu erschüttern. Mit welcher Begeisterung schilderte er ihr die Seligkeiten einer von der Tugend geheiligten Liebe — und einer Liebe wie die ihrige — vor! Wie schwer ward es ihr, in solchen Stunden, durch das Feuer womit er sprach, durch das Entzücken das alle seine Züge schwellte, durch die Ueberwallungen des Herzens, welche oft, mitten im Bestreben sie zu überreden, die Worte auf seinen Lippen erstickten, und ein Stillschweigen hervorbrachten, dessen stumme Beredsamkeit einem mitgerührten Herzen unaussprechliche Dinge sagt — wie schwer ward es ihr da, oder vielmehr, wie war es ihr in solchen Augenblicken möglich, nicht überwältiget zu werden? Was, um aller Liebesgötter willen, konnte sie bewegen zu widerstehen; sie fähig machen auszuhalten? — "Eigensinn?" — Gesetzt auch es wäre wahr, daß die wichtigsten Entschließungen der Schönen oft keine andre Triebfeder hätten: bloßer Eigensinn konnte es hier wohl nicht seyn. Gleichwohl sehen wir uns genöthiget, entweder zu dieser verborgenen Qualität unsre Zuflucht zu nehmen, oder zu gestehen, daß es eine höhere Art von Liebe, daß es die Leidenschaft der Tugend war, was sie fähig machte einen so heldenmüthigen Widerstand zu thun. — Aber welche neue Schwierigkeiten! — Die Tugend einer Danae! Wer kann nach den Proben, die wir mit der Tugend einer Priesterin und einer Schülerin des Platon gemacht haben, zu der Tugend einer Danae Vertrauen fassen? Können wir erwarten, daß diese Leidenschaft der Tugend, wovon wir die gelehrige Schülerin eines Hippias begeistert zu seyn voraussehen, für etwas Besseres als für eine Göttin aus einer Wolke von Leinewand werde angesehen werden?Wir gestehen es, in so weit ein Vorurtheil gerecht heißen kann, ist nichts gerechter, als das Vorurtheil, welches der schönen Danae entgegensteht. Allein demungeachtet würde es sehr ungerecht seyn, wenn wir sie zum Opfer eines allgemeinen Satzes machen wollten, der unstreitig einige Ausnahmen leidet. Eine schöne Seele, welcher die Natur die Lineamenten der Tugend (wie Cicero es nennet) eingezeichnet hat, begabt mit der zartesten Empfindlichkeit für das Schöne und Gute, und mit angeborner Leichtigkeit jede gesellschaftliche Tugend auszuüben, kann durch einen Zusammenfluß ungünstiger Zufälle an ihrer Entwicklung gehindert, oder an ihrer ursprünglichen Bildung verunstaltet werden. Ihre Neigungen können eine falsche Richtung bekommen. Die Verführung, in der einnehmenden Gestalt der Liebe, kann sich ihrer Unerfahrenheit zur Wegweiserin aufdringen. Niedrigkeit und Mangel können in ihr diesen edeln Stolz niederschlagen, der so oft die letzte Brustwehr der Tugend ist. Erziehung und Beispiele können sie über ihre wahre Bestimmung verblenden. Die unschuldigsten, ja selbst die edelsten Regungen des Herzens, Gefälligkeit, Dankbarkeit, Großmuth, können durch Umstände zu Fallstricken für sie werden. Hat sie sich einmal auf dem blumichten Pfade des Vergnügens den Liebesgöttern, Scherzen und Freuden als Führern vertraut, wie sollte sie gewahr werden, wohin sie der sanfte Abhang eines so lustigen Weges fuhren kann? zumal, wenn sich die Grazien und Musen selbst zu der fröhlichen Schaar gesellen, und der sophistische Witz, in den Mantel der Philosophie gehüllt, Gefühle zu Grundsätzen und die Kunst zu genießen zu Weisheit adelt? Eine lange Reihe angenehmer Verirrungen kann die Folge des ersten Schrittes seyn, den sie auf einem Wege gethan hat, der ihrem bezauberten Auge der gerade Pfad zum Tempel der Glückseligkeit schien. — Aber warum sollte sie nicht von ihrem Jrrwege zurückkommen können? Die Umstände können der Tugend eben sowohl beförderlich als nachtheilig seyn. Ihre Augen können geöffnet werden. Erfahrung und Sättigung lehren sie anders von den Gegenständen urtheilen, in deren Genuß sie ehmals ihre Glückseligkeit setzte. Andre Begriffe zeugen andre Gesinnungen, oder, deutlicher zu reden, richtige Begriffe geben auch den Neigungen ihre wahre Richtung. Die Grundzüge der Seele bleiben unveränderlich. Eine schöne Seele kann sich verirren, kann durch Blendwerke getäuscht werden; aber sie kann nicht aufhören eine schöne Seele zu seyn. Laßt den magischen Nebel zerstreut werden, laßt sie die Gottheit der Tugend kennen lernen! Dieß ist der Augenblick, wo sie sich selbst kennen lernt; wo sie fühlt, daß Tugend kein leerer Name, kein Geschöpf der Einbildung, keine Erfindung des Betrugs, — daß sie die Bestimmung, die Pflicht, die Wollust, der Ruhm, das höchste Gut eines denkenden Wesens ist. Die Liebe zur Tugend, das Verlangen sich selbst nach diesem göttlichen Ideal der moralischen Schönheit umzubilden, bemächtigt sich nun aller ihrer Neigungen; es wird zur Leidenschaft; in diesem Zustande, mehr als in irgend einem andern, ist es, wo man sagen kann, daß die Seele von einer Gottheit besessen ist; und welche Probe ist so schwer, welches Opfer so groß, um zu schwer, zu groß für den Enthusiasmus der Tugend zu seyn?Ob dieses nicht ganz eigentlich der Fall der schönen Danae gewesen sey, darüber sollen unsre Leser selbst urtheilen, sobald sie ihre Geschichte aus ihrem eignen Munde vernommen haben werden. Danae fand sich in der Nothwendigkeit sie zu erzählen, weil ihr Agathon kein andres Mittel übrig ließ, ihre standhafte Weigerung gegen eine Verbindung, welcher nichts im Wege zu stehen schien, vor den Augen der Familie des Archytas und vor den seinigen zu rechtfertigen. In ihre Wahrhaftigkeit scheinen wir nicht Ursache zu haben einigen Zweifel zu setzen. Ihre Absicht war es wenigstens, die Wahrheit, selbst auf Unkosten ihrer Eigenliebe, zu sagen. Freilich ist diese Eigenliebe eine ganz vortreffliche Coloristin, wenn wir in der Abschilderung unsers lieben Selbst auf diejenigen Theile kommen, welche wir in den dunkelsten Schatten zu stellen Ursache haben. Sie besitzt ganz eigene Geheimnisse, diese Theile, wenn sie ja nicht ganz versteckt werden können, so zu beleuchten und zu nuanciren, daß sie dem Ganzen den möglichst kleinsten Schaden thun; ja, sie findet wohl gar Mittel, die schönern Theile dadurch zu erheben, und uns glauben zu machen, das Ganze gewinne durch die Fehler selbst. Danae hätte mehr als eine Sterbliche seyn müssen, um auch gegen die unmerklichen Drücke dieser ersten Springfeder der menschlichen Natur immer auf der Hut zu seyn. Aber uns däucht, man kann mit dem Grade von Glaubwürdigkeit zufrieden seyn, der daher entspringt, wenn der Erzähler seiner eigenen Geschichte die Wahrheit sagen will.Hören wir also immer, was sie uns von einem Gegenstande sagen wird, von dem sie mit der vollständigsten Kenntniß sprechen konnte, und dem sie, bei aller ihrer Aufrichtigkeit, gewiß nicht zu viel geschehen lassen wird!
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Vierzehntes Buch.

Geheime Geschichte der Danae.

Erstes Kapitel.

Danae beginnt ihre geheime Geschichte zu erzählen.

Wir überlassen es dem Leser selbst, sich die Scene wo die schöne Danae ihrem Freunde die geheime Geschichte ihres Lebens mittheilte, nach eignem Gefallen vorzustellen. Er kann sie auf einen Sofa, oder unter eine Sommerlaube, oder unter den Schatten einer hohen Cypresse an den Rand eines rieselnden Baches versetzen: für die Hauptsache — Doch nein! ich irre mich; die Scene ist bei einer solchen Erzählung (und überhaupt bei welcher Art von Handlung es immer seyn mag) niemals gleichgültig. Hätte Danae irgend einen geheimen Anschlag auf die Sinnen oder auf das Herz unsers Helden gehabt, so würde sie vermuthlich Mittel gefunden haben, es so einzuleiten, daß sie sich zufälliger Weise entweder in einem artigen Boudoir (denn die Griechen hatten auch ihre Boudoirs) oder unter einer lieblich dämmernden Rosenlaube ihm gegenüber befunden hätte. Aber da sie schlechterdings keine Nebenabsichten hegte, so ist eine gemächliche Rasenbank, im Schatten eines freien Baumes, unter den ehrwürdigen Augen der Natur, — so ein Platz wie der, wo Sokrates mit dem schönen Phädrus über das wesentliche Schöne philosophirte, — unstreitig der schicklichste.Es war also am Abend eines schönen Sommertages; der Himmel, heiter; nur hier und da ein leicht schwebendes Wölkchen, von sanften Lüftchen getragen. Danae, schön und rührend wie die Natur, deren Anblick Ruhe und allgemeines Wohlwollen über ihre Seele verbreitete: doch milderte einige ernste Züge diese schöne Heiterkeit; und eine sanfte Schamröthe, die ihre reizenden Wangen überzog, indem sie die schönsten Augen, die jemals gewesen sind, auf ihren erwartungsvollen Freund heftete, schien den Inhalt ihrer Rede anzukündigen. Agathon, ihr gegenüber; seine ganze in ihr Anschauen ergoss'ne Seele im Begriff, sobald sie die Lippen öffnen würde, lauter Ohr zu werden! — Ich wünschte Apelles oder Raphael zu seyn, um dieses Gemälde zu malen, und dann Palet und Pinsel auf immer an den Altar der Grazien aufzuhängen!Danae spricht — und der Gedanke an den Ton ihrer Stimme, den ich nicht malen könnte, an den Ausdruck, der unter dem Reden mit jedem Augenblick ihrem Gesichte Reizungen gab, die mein Pinsel nicht schaffen könnte, dieser Gedanke tröstet mich wieder, daß ich nicht Apelles noch Raphael bin.So schwer es mich ankommt, mein lieber Agathon (sprach sie), dir eine ungeschmeichelte Abschilderung von meinem vergangenen Leben zu machen: so wenig ist es doch in meiner Gewalt, mich dieser Demüthigung zu überheben. Es war eine Zeit, da du zu gut von mir dachtest: und damals war es mir vielleicht zu verzeihen, daß ich den Muth nicht hatte, dich aus einem süßen Irrthum zu ziehen, der uns beide glücklich machte. Hippias nahm diesen Dienst über sich: aber es ist mehr als wahrscheinlich, daß er nicht einmal den Willen hatte, mir Gerechtigkeit zu erweisen. Und wenn er ihn auch gehabt hätte, was würde ich dabei gewonnen haben? Er kannte nur die Hälfte von Danae, — und war unfähig mehr von ihr zu kennen. Deine plötzliche Flucht von Smyrna entdeckte mir alles, was er dir gesagt haben konnte. Wie tief mußte ich in deiner Meinung gefallen seyn! Das Bewußtseyn, es nicht zu verdienen daß du so übel von mir dachtest; war damals nur ein schwacher Trost! Das Schicksal hat es auf sich genommen mich an dir zu rächen — wenn ich so sagen kann; denn ich liebe diese Vorstellung nicht. Ohne Bedenken gesteh' ich es dir, es ist keine Glückseligkeit für mich, wenn Agathon nicht glücklich ist. — Seitdem wir uns so unverhofft wieder gefunden, hat mir dein ganzes Betragen die vollkommenste Genugthuung gegeben. Nur ein Herz wie deines ist eines so edelmüthigen Verfahrens, einer so feinen Empfindsamkeit, eines so zärtlich abgewogenen Gleichgewichts zwischen einer Freiheit und einer Zurückhaltung, welche mich in gleichem Grad erniedrigt haben würden, fähig. Von dieser Seite hast du mir nichts zu wünschen übrig gelassen. Wollte der Himmel für die Ruhe deines Herzens und des meinigen, daß Agathon dessen Freundschaft zu verdienen der äußerste Wunsch meiner Eigenliebe ist — sich hätte begnügen können, gerecht gegen seine Freundin zu seyn! Ich rufe nicht die Götter zu Zeugen der Aufrichtigkeit dieses Wunsches an: meine ganze Seele liegt aufgeschlossen vor dir, und keine Regung, die mir selbst noch merklich ist, soll dir ein Geheimniß bleiben. Mitten in dem Wunsche, daß du mich weniger lieben möchtest, begreife ich, daß ich etwas Unmögliches wünsche, so lange du diese Danae nicht völlig kennst, die du liebest. Ich habe wohl überlegt, was ich zu thun im Begriff bin. Was ich selbst dadurch verliere, ist das Wenigste. Aber ich gestehe dir's, Agathon, es kostet mir Ueberwindung, dich aus deinem schönen Traum aufzuwecken. Die Danae deines Herzens, und die Danae, die du hier vor dir siehst, sind nicht eben dieselbe. Die Zerstreuung eines Irrthums, den du liebest, kann nicht anders als schmerzhaft seyn. Aber sie ist zu deiner Ruhe, sie ist für den Ruhm deines künftigen Lebens nothwendig. Höre mich also, bester Agathon!
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Zweites Kapitel.

Erste Jugend der Danae, bis zu ihrer Bekanntschaft mit dem Alcibiades.

Meine Abkunft ist niedrig, und diejenigen, die mir das Leben gaben, kannten nie was Gemächlichkeit, Ueberfluß und Ansehen ist. Meine erste Erziehung war diesen Umständen gemäß: die Natur mußte alles thun. Und in der That —es wäre Undank es nicht bekennen zu wollen — sie hatte so viel für die kleine Myris (so nannte man mich damals) gethan, daß es vielleicht am besten war, ihr alles zu überlassen. Die kleine Myris hatte eine Figur, von der man sich große Hoffnungen machte; und schon damals, wenn sie unter andern Kindern ihres Alters im Reihen hüpfte, pflegte man sie die Grazie zu nennen: die kleine Myris hatte auch ein Herz; aber darum bekümmerte sich niemand. Ihre Mutter war eine Flötenspielerin. Sie mochte vielleicht den Entwurf ihres eigenen Glückes auf die Gaben, die sich in dem jungen Mädchen entwickelten, gegründet haben: denn ihr einziges Bemühen war, sie von ihrem siebenten oder achten Jahre an zur Bestimmung einer dem öffentlichen Vergnügen gewidmeten Person zu bilden. Alle meine kleinen Fähigkeiten wurden angebaut, so gut als es die Umstände zuließen, und so weit als meiner Mutter eigene, vermuthlich sehr eingeschränkte, Geschicklichkeit reichte. Man fand, daß ich in der Musik und im Tanzen den Unterricht und das Beispiel, so sie mir geben konnte, bald überholte. Nun bildete ich mich selbst, so gut ich konnte; denn ich fand etwas in mir — ohne zu wissen oder mich zu bekümmern was es war — das mich weder mit dem, was ich um mich her sah, noch mit mir selbst und mit dem Beifall, den ich erhielt, zufrieden seyn ließ. Die Natur hatte die Idee des Schönen in meine Seele gezeichnet; noch sah ich sie bloß durch einen Nebel; aber auch das Wenige, was ich davon erblickte, that seine Wirkung.Ein Umstand, der bei diesem allem zur Ehre meiner guten Mutter gereicht, ist zu wichtig, als daß ich ihn vorbeigehen könnte. Wenn sie, wie ich schon bemerkte, nichts that, um mein Herz zu bilden, so that sie doch auch wenig oder nichts, um es zu verderben. Sie schien (so viel ich mich ihrer erinnern kann) über diesen Punkt ohne alle Sorgen. Die ihrigen gingen bloß auf die körperliche Hälfte meiner Person; auf die Erhaltung meiner feinen Haut und schönen Gesichtsfarbe, auf die Entwicklung aller der Reizungen, die sie an mir zu sehen glaubte, und in welche sie um so viel verliebter war, je weniger sie selbst jemals Ansprüche von dieser Seite zu machen gehabt hatte. Sie that sich viel auf eine Menge kleiner kosmetischer Geheimnisse zu gut, in deren ausschließendem Besitz sie zu seyn versicherte; und ich bin gewiß, daß die junge Myris die nachmals so sehr gepriesene Schönheit ihrer Hand und ihres Fußes, und das was man die Eleganz ihrer Leibesgestalt nannte, der außerordentlichen Sorgfalt der guten Frau zu danken hatte.Unter den Hausgöttern, an welche sie mich meine Andacht richten lehrte, war eine Venus, die von den Grazien geschmückt wird, der vornehmste Gegenstand ihrer eigenen. Sie bat diese Göttinnen für ihre Tochter um Schönheit und um die Gabe zu gefallen. Nach ihrer Meinung war das Beste, was sie mir von den Unsterblichen erbitten konnte, in diese beiden Eigenschaften eingeschlossen; wenigstens that sie alles was sie konnte, um diese Meinung in mir zu erwecken.Diese Venus und diese Grazien, die ich alle Morgen mit frischen Rosen oder Myrtenzweigen bekränzen mußte, waren das Werk eines sehr mittelmäßigen Bildschnitzers, und nichts weniger als geschickt, die Idee göttlicher Vollkommenheit in einer jungen Seele zu entzünden. Diese Betrachtung entstand oft in der jungen Myris, wenn sie sich selbst mit diesen Bildern verglich, und war allemal von dem Wunsche begleitet, die Göttin der Schönheit und ihre Gespielen in ihrer wahren Gestalt zu sehen. Diesem Wunsche folgten oft Bestrebungen der Einbildungskraft, ein ihrer würdigeres Bild in sich selbst zu erschaffen; und diese Bestrebungen schienen zuweilen von den Göttinnen begünstiget zu werden. Ein Zufall machte ihr einst aus dem Munde eines Sängers von Theben Pindars erhabnen Gesang auf die Grazien bekannt. Ein himmlischer Lichtstrahl schien ihr, da sie ihn hörte, in ihre Seele zu fallen. Ihr war als würde ein dichter Schleier vor ihren Augen weggezogen, und nun sah sie "diese Grazien, von welchen alles Angenehme und Liebliche zu den Sterblichen ausgießt; unter deren Einfluß der Weise, der Tugendhafte, der Held und der Liebhaber des Schönen sich bildet; diese himmlischen Grazien, ohne welche die Götter selbst keine Freuden kennen, und durch deren Hände alles geht was im Himmel geschieht; sie, die, neben dem Pythischen Apollo thronend, nie aufhören die unvergängliche Majestät des Olympischen Vaters anzubeten." Von diesem Augenblick an blieb das göttliche Bild meiner Seele eingedrückt. Ich konnte mir selbst nicht entwickeln, was ich dabei fühlte; aber ich schwor den Grazien einen heiligen Schwur, sie in allem meinem Thun zu meinen Führerinnen zu erwählen. Wie du siehest, Agathon, hatte die junge Myris einen feinen Ansatz zu eben dieser schönen Schwärmerei, welche in den Hallen und Lorberhainen von Delphi deiner Seele die erste Bildung gab. Die Umstände machten den ganzen Unterschied. Zu Delphi erzogen, würde sie eine Psyche geworden seyn.Ich hatte nun ungefähr dreizehn Jahre, als meine Mutter sich entschloß, mich zu einer alten Vatersschwester nach Athen zu bringen, dem einzigen Ort in der Welt, wo, ihrer Meinung nach, Talente, Jugend und Schönheit die Ungerechtigkeiten des Glucks verbessern konnten. Dort hoffte sie die Früchte einer Erziehung einzuernten, durch welche sie sich das größte Verdienst um mich gemacht zu haben glaubte. Aber das Schicksal gönnte ihr diese Freude nicht. Sie starb, und ich ging nun in den Schutz eines Bruders über, der, um sich der Sorge für mich zu entledigen, nichts Angelegner's hatte, als den Wunsch unsrer sterbenden Mutter in Ansehung meiner zu erfüllen.Ich kam also nach Athen, das nun den Namen der Hauptstadt von Griechenland behaupten konnte, nachdem es von Perikles zum Sitze der Musen und der Künste erhoben worden war. Die Anverwandte, zu der man mich brachte, schien über das Vermächtniß, das ihr meine Mutter in meiner kleinen Person gemacht hatte, sehr erfreut zu seyn. Sie baute die nämlichen Hoffnungen auf meine Gaben, und gab sich alle mögliche Mühe, mich zu unterrichten, wie ich's anfangen musse, um sie zu meinem Glücke anzuwenden. Witz und eine gewisse Feinheit der Sitten, des Geschmacks und der Sprache sind in Athen sogar den niedrigsten Classen des Volkes eigen. Meine neue Pflegemutter, wiewohl sie nur eine Kräuterhändlerin war, gab mir Lehren, welche einer in den Geheimnissen der schlauesten Koketterie eingeweihten Schülerin der Aspasia nicht unwürdig gewesen wären. Aber ein mir selbst unbekanntes innerliches Widerstreben machte mich ungelehrig fur ihren Unterricht. Mein Herz schien mir zu sagen, daß ich für einen edlern Zweck gemacht sey; aber wenn ich es weiter fragte, verstummte es. Die Profession einer Tänzerin, welche ich zu treiben genöthigt war, wurde mir verhaßt, so sehr ich die Kunst an sich selbst liebte; allein dieser Widerwille nahm unvermerkt ab, je mehr der Anblick so vieler mir ganz neuer Gegenstände, und die unmerkliche Ansteckung mit dem Geiste des Leichtsinns und der Ueppigkeit, der das Volk zu Athen beherrschte, ihren Einfluß auf mich äußerten. Die Unschuld, die ich aus meiner armen väterlichen Hütte mitgebracht hatte, lief nun immer größere Gefahr, so wie die Unwissenheit sich verlor, von der sie ihre Sicherheit zog. Eine schöne Wohnung, ein prächtiger Putz, ein glänzendes Gefolge, eine niedliche Tafel, Gemälde, Bildsäulen, Persische Tapeten und Ruhebetten, und tausend andre Bedürfnisse der Gemächlichkeit und der Wollust, fingen an Reiz für meine Einbildungskraft zu bekommen, und mir ihre Entbehrung zur Qual zu machen; und nun gab es Augenblicke, wo das Verlangen nach einer in meinem Wahne so beneidenswerthen Glückseligleit mich zu allem bereitwillig zu machen schien, was ein Mittel dazu werden konnte.Die alte Krobyle war, zu meinem Unglück, die Person nicht, die mich richtiger denken lehren konnte. Ihre eigenen Begriffe von Glückseligkeit erstreckten sich nicht über den Kreis der gröbern Sinnlichkeit, und sie ließ sich gar nicht einfallen, daß, außer der Armuth und Dürftigkeit, etwas schändlich sey. Sie unterhielt mich also in einem Taumel, von dem sie selbst große Vortheile zu ziehen hoffte. Der gute Erfolg meiner ersten Versuche in der pantomimischen Tanzkunst machte unsre beiderseitige Bethörung vollkommen. Das gedankenlose Mädchen sog mit wollüstigen Zügen das Vergnügen eines Beifalls ein, der sie hätte demüthigen sollen; und die geldgierige Alte berechnete Tag und Nacht die Schätze, die sie mit meiner Gestalt und mit meinem Talent gewinnen könnte. Ungewohnt sich jemals im Besitz einer größern Summe als einer Hand voll Obolen zu sehen, verwandelte sich beim Anblick eben so vieler Drachmen alles um sie her in Gold und Silber. Unsre Lebensart wurde sofort nach unsern Hoffnungen eingerichtet.Aber ein kleiner Zufall, den, so gewöhnlich er auch war, die äußerste Unerfahrenheit der jungen Myris sie nicht hatte voraussehen lassen, warf sie gar bald wieder so weit als jemals von dem Ziele ihrer Wünsche zurück. Sie liebte zwar die Freude, und mochte gern gefallen und bewundert werden, aber wollte sich von der vornehmen Jugend in den Häusern, wohin sie ihre Kunst auszuüben berufen wurde, nicht so begegnen lassen, wie man jungen Nymphen von ihrem Range zu begegnen pflegt. Ein gewisser Stolz empörte sich in ihrem kleinen Herzen, der allen unbesonnenen Wünschen ihrer jugendlichen Eitelkeit das Gegengewicht hielt. Die Jünglinge aus dem Stamme der Theseen und Alkmäonen fanden lächerlich, daß eine kleine Tänzerin sich durch ihre Lebhaftigkeiten beleidiget finden sollte; und die kleine Tänzerin fühlte eine Seele in sich erwachen, die den Gedanken, diesen Heldensöhnen zum Spielwerk zu dienen, unerträglich fand.Die wirthschaftliche Krobyle wollte über eine so unzeitige Spitzfindigkeit von Sinnen kommen; aber Myris dachte an das Gelübde, das sie den Grazien geschworen hatte, und blieb unbeweglich. Nicht als ob sie nicht bereits zu fühlen angefangen hätte, daß ihr Herz seine eigenen Bedürfnisse habe: die kleinen halb verschwiegenen Geständnisse, die es ihr that, gaben ihr immer mehr Licht über diesen Punkt. Sie fühlte Fähigkeiten in sich, welche entwickelt zu werden strebten, und einen Schatz von Zärtlichkeit, womit sie nichts anzufangen wußte. Ihre Seele verlor sich in den Träumen einer angenehmen Schwermuth; sie gab ihren Wünschen Gestalten, und versuchte, sich Gegenstände in sich selbst zu bilden, in deren Anschauen sie ein Vergnügen fände, das die verhaßten Eindrücke derjenigen, wovon sie sich umgeben sah, auslöschen möchte. Aber alle diese Bestrebungen dienten nur dazu, ihr das Gefühl ihres gegenwärtigen Zustandes unerträglich zu machen. Ihre Umstände paßten nicht zu ihren Gesinnungen; sie stellten sie in ein falsches Licht; alles was die Göttin der Schönheit und die Grazien für sie gethan hatten, verlor seinen Werth dadurch; und wie konnte sie hoffen, daß Amor den Verlust ersetzen würde? Wie konnte ein Geschöpf, das seinen Unterhalt damit verdienen mußte, die Reichen zu Athen bei ihren Gastmählern durch üppige Tänze zu vergnügen, sich träumen lassen, jemals der Gegenstand einer zärtlichen Leidenschaft zu werden? Die arme Myris ermüdete sich vergebens mit Nachsinnen, wie sie es anfangen könnte, ihrem Schicksal, dessen Schwere sie täglich schmerzlicher fühlte, eine andre Gestalt zu geben: indessen bestärkte sie sich doch in dem Entschlusse, nicht mehr bei den Gastmählern der Athener zu tanzen.Die alte Krobyle, die ihre Rechnung gar nicht dabei fand, erschöpfte ihre ganze Beredsamkeit, sie auf andre Gedanken zu bringen; und da das eigensinnige Mädchen unbeweglich blieb, erklärte sie ihr endlich mit dürren Worten, daß sie entweder gefälliger seyn, oder selbst für ihren Unterhalt sorgen müßte. Die Unglückliche hatte, da es Ernst wurde, nicht Muth genug sich zum Spinnrocken zu entschließen. Sie bequemte sich also endlich, wiewohl mit Widerwillen, dem Antrage des Malers Aglaophon Gehör zu geben, dem sie zum Modell für den Alcibiades bestellten Hebe dienen sollte.Der Maler schien mit seinem Modell außerordentlich zufrieden zu seyn. Ich weiß nicht wie er es machte, aber seine Hebe wurde so schön, daß die junge Myris in Gefahr kam, gleich dem Narcissus der Dichter, in ihr eigenes Ebenbild verliebt zu werden.Alcibiades gerieth (wie er ihr in der Folge glauben machen wollte) beim Anblick dieses Gemäldes außer sich. Er wollte wissen, wer die Sterbliche sey, die dem Maler die Grundzüge zu einem so schönen Ideal geliehen habe. Aglaophon versicherte, daß es ein bloßes Geschöpf seiner Einbildungskraft sey. In der That hatte er eine besondere Absicht bei diesem Vorgeben, denn es war ihm mit seiner Hebe ergangen, wie dem Pygmalion mit seiner Bildsäule; und wiewohl die Statue, für die er brannte, schon beseelt war, so fand er dennoch, daß es ihm vielleicht nicht weniger Mühe kosten würde, sie für ihn zu beseelen; und um so viel weniger war er geneigt, sie den Augen eines Alcibiades auszusetzen.Inzwischen bestellte dieser eine Danae bei ihm, welche das Seitenstück der Hebe werden sollte, und Myris mußte sich abermal gefallen lassen, das Urbild dazu abzugeben. Ihre durch den glücklichen Erfolg des ersten Versuchs gereizte Eitelkeit — eine jugendliche Thorheit, die ich nicht damit entschuldigen will, daß sie in ihren Umständen natürlich war — half ihr über die Bedenklichkeiten weg, die sie dabei zu überwinden hatte. Auch war sie noch weit entfernt, die ganze Stärke der Rolle, die sie übernahm, zu kennen. Gegen den Künstler, dessen Augen verdächtig zu werden anfingen, schützte sie die Gegenwart der alten Krobyle, welche so ziemlich die Miene eines Drachen hatte, der zum Hüter eines bezauberten Schatzes bestellt ist; und überdieß hatte Aglaophon schwören müssen, so lange die Versuchung dauern würde, lauter Auge zu seyn. Demungeachtet setzte es einen großen Streit ab, da die neue Danae sich zu einem Wurf des Gewandes bequemen sollte, der dem Maler einen zu großen Vortheil über sie einzuräumen schien. Aglaophon führte zu seinem Behuf an, daß er für den Alcibiades malen müsse; für einen Kenner, der ihm nicht verzeihen würde, wenn er die Vollkommenheit seines Stücks Bedenklichkeiten aufopfern wollte, die er sich die Freiheit nahm übertrieben zu finden. Die Alte, die des Preises halben bereits mit ihm überein gekommen, und wenig geneigt war, der seinem Denkungsart ihrer Untergebenen zu schonen, unterstützte ihn mit ihrem ganzen Ansehen. Gleichwohl würde vielleicht alles dieß nicht hinreichend gewesen seyn, wenn nicht ein Gedanke, der aus dem eigenen Busen der jungen Myris aufstieg, ihren Eigensinn überwältigt hätte. Die kindische Thörin besorgte, der Künstler — denn für sie war Aglaophon sonst nichts — möchte ihre Weigerung einem Mißtrauen in sich selbst beimessen, dessen sie sich nicht schuldig wußte. Sie überredete sich, daß es undankbar wäre, der Natur nicht Ehre machen zu wollen, und willigte also endlich ein, weil sie doch einmal Danae seyn sollte, es ganz zu seyn. Gleichwohl behauptete Alcibiades (der ohne des Malers Vorwissen einen verstohlnen Zuschauer bei dieser Scene abgab), daß sie mehr einer Grazie die mit einem Amor spielt, als derjenigen, welche sie hätte vorstellen sollen, gleich gesehen habe.Dieser von der Raserei der Sinnlichkeit und der Ruhmsucht in gleichem Grade beherrschte junge Mann hatte sich bei seinem Maler ein kleines Cabinet bloß zu dem Ende verfertigen lassen, um, so oft es ihm einfiel, die Modelle desselben heimlich in Augenschein zu nehmen, und sich darunter was ihm beliebte auszulesen. Eben darum hatte Aglaophon vorgegeben, daß er seine Hebe ohne Modell verfertigt habe. Aber Alcibiades war ein zu feiner Kenner um sich hintergehen zu lassen. Er glaubte in dieser Hebe Reize zu sehen, welche man nur von der Natur abstehlen könne; und bloß, um sich seine Vermuthungen wahr zu machen, bestellte er eine Danae. Der Eindruck, den das Modell derselben auf ihn machte, war zu stark, als daß ein verzärtelter Günstling der Natur und des Glücks, der nicht wußte was das wäre eine Begierde aufzuopfern, sich durch irgend eine Bedenklichkeit hätte zurückhalten lassen sollen, sichtbar zu werden, und den bestürzten Maler mitten in seinen Beschauungen zu unterbrechen. — "Du kannst deine Pinsel nur auswaschen, Freund Aglaophon, sagte er zu ihm; deine Danae — würde zwar etwas sehr Schönes, aber doch — keine Danae werden. Ueberlaß mir die Sorge, das reizende Modell erst dazu zu bilden! Sobald es Zeit seyn wird, will ich dich rufen lassen; dann sollst du malen! wenn du anders bei ihrem Anblick fähig bleiben wirst, einen Pinsel in der Hand zu halten."Die Verwirrung der jungen Myris bei einer so unerwarteten Erscheinung würde noch schwerer zu malen seyn als das, was Alcibiades zu einer vollkommnen Danae an ihr vermißte. Sie selbst hätte sich, in den ersten Augenblicken, von dem Tumult von Regungen, der ihr Herz bestürmte, keine Rechenschaft geben können. Aber endlich drang das Gefühl des Uebermuths in dem Betragen des jungen Herrn mit ihrer eigenen Erniedrigung allen andern vor, und das gekränkte Mädchen brach in Thränen aus. Alcibiades war nicht zärtlich genug, davon gerührt zu werden, aber zu höflich, um sie nicht durch eine plötzliche Aenderung seines Bezeigens wieder zu beruhigen. Niemals besaß ein Sterblicher eine größere Leichtigkeit von einem Ton in einen andern überzugehen, und, ohne sich darauf vorbereitet zu haben, die widersprechendsten Rollen zu spielen. Er entschuldigte seine Dazwischenkunft mit einer so feinen Art, sagte der kleinen Myris so verbindliche Sachen, und sagte sie mit einem so gutherzigen Ton und offnen Gesicht, daß es ihr unmöglich war ungehalten auf ihn zu bleiben. Was sie am meisten mit ihm aussöhnte, war, daß er ihr nun mit einer Achtung begegnete, welche kaum größer hätte seyn können, wenn sie ihm an Stande gleich gewesen wäre. Von einem Manne, der an Adel der Geburt und persönlichen Eigenschaften in Griechenland nichts über sich sah, den seine Reichthümer in den Stand setzten den Aufwand eines Fürsten zu machen, und dem das von ihm bezauberte Athen, ohne es selbst recht zu merken, die Vorrechte eines unumschränkten Gebieters einräumte, war ein solches Bezeigen wirklich mehr, als die Eitelkeit eines jungen Geschöpfes, wie die arme Myris war, ertragen konnte. Sie vergab ihm nicht nur bei sich selbst; das unerfahrne Mädchen sah ihn sogar mit Blicken an, welche, wiewohl sie nur Dankbarkeit ausbrücken sollten, Feuer genug hatten, um von dem zuversichtlichsten Manne der je gewesen ist für etwas noch Schmeichelhafteres aufgenommen zu werden. Sie verdient Aspasien bekannt zu werden, sagte er, indem er sich mit einer ihm eigenen reizenden Lebhaftigkeit zu Aglaophon und Krobyle wandte. Aber — Myris nennt sie sich, sagt ihr? Welch ein Name für so viel Reizungen! Von nun an soll sie Danae heißen! Noch diesen Abend soll Aspasia ihre neue Freundin unter diesem Namen kennen lernen! — Ein Wort, gute Mutter! — Und nun nahm er die Alte auf die Seite, sprach mit ihr, drückte ihr vertraulich die Hand, flog zurück, küßte die meinige, und verschwand.
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Drittes Kapitel.

Alcibiades macht seine junge Geliebte mit Aspasien bekannt.

Ich bin, wie du siehest, auf den Zeitpunkt meiner Geschichte gekommen, der für mein ganzes übriges Leben entscheidend gewesen ist, und ich halte mich um so mehr verbunden, dir genauere Rechenschaft davon zu thun, da es mir (ungeachtet mich dieses Geständniß deiner Liebe unwürdig macht) noch immer unmöglich ist, an diesen Alcibiades, durch den ich Danae wurde, ohne Vergnügen zu denken. Erwarte nicht daß ich mich rechtfertigen werde, bester Agathon! Ich würde es versuchen, wenn ich eine andre Absicht haben könnte, als dich zu überführen, daß Danae die Ehre, die du ihr zugedacht hast, nicht annehmen kann. Ihr ist genug, wenn sie nicht unwürdig ist eine Freundin Agathons zu seyn. Aber sie ist zu stolz, auch diese Ehre durch Entschuldigungen erschleichen zu wollen, und die bloße Erzählung ihrer Geschichte ist die ganze Apologie, die sie jemals für ihre Schwachheiten machen wird.Nach allen den Geständnissen, die ich dir über meine Herkunft, Erziehung und übrigen Umstände gethan habe, wirst du es, denke ich, sehr begreiflich finden, daß ein Mann wie Alcibiades einen außerordentlichen Eindruck auf ein so unerfahrnes, rohes, vernachlässigtes Geschöpf, wie ich war, machen mußte. Es würde mir damals schwer gefallen seyn, zu sagen, ob meine Sinne, mein Herz oder meine Einbildung am meisten eingenommen waren. Itzt, da ich mit mehr Kenntniß des Herzens und mit kälterm Blut in die Abenteuer meiner Jugend zurücksehe, glaube ich ziemlich zuverlässig sagen zu können, daß Sinne und Einbildung den meisten Antheil an dem Irrthum meines Herzens hatten.Ich habe in meinem Leben nur Einen Mann gesehen, der ihm den Vorzug der Gestalt, des Anstandes und der männlichen Grazie hätte streitig machen können. Die Gaben seines Geistes waren eben so glänzend als seine Außenseite. Nichts war lebhafter als sein Witz, nichts überredender als seine Beredsamkeit, nichts einschmeichelnder als sein Umgang. Alle Herzen flogen ihm entgegen. Unwiderstehlich wenn er gefallen wollte, tapfer wie ein Theseus, freigebig als ob er Königreiche zu verschenken hätte, stolz wie ein Halbgott, in allem was er that von den übrigen Menschen unterschieden und über sie erhaben, und (was ihn am gefährlicheren machte) selbst in seinen Lastern liebenswürdig, riß er durch eine Art von Uebermacht, deren er sich nur gar zu wohl bewußt war, alles mit sich fort. Er wußte nicht was Widerstand war, denn er hatte nie einen erfahren; und der Uebermuth, den ihm dieser Umstand gab, half nicht wenig dazu, seine Siege zu beschleunigen und glänzender zu machen. Zum Unglück für eine jede, die in seinen Wirbel gezogen wurde, war dieser Maun, der so viel Liebe einflößte, selbst unfähig Liebe zu empfinden. Er spielte nur mit den Herzen, die er von allen Seiten an sich zog; und nie hat ein Mann, mit feurigern Sinnen und einer größern Gabe sich selbst und (wenn er wollte) auch andre über diesen Punkt zu täuschen, eine der Zärtlichkeit unfähigere Seele gehabt. Fiel ihm irgend ein neues Gesicht, oder eine Figur, die seine Phantasie reizte, in die Augen, so hätte die ganze Welt glauben müssen, Amor mit allen seinen Flammen sey in seinen Busen gefahren. Er glaubte es zuweilen selbst. Aber der Irrthum dauerte nur so lange, als er noch etwas zu wünschen hatte. Von dem Augenblick an, da das Räthsel aufgelöst und seiner Einbildung nichts mehr zu rathen übrig war, verschwand die Bezauberung; und der Verräther hatte nicht einmal die Geduld, von seinen Schauspielergaben Gebrauch zu machen, und das arme betrogene Geschöpf durch verstellte Zärtlichkeit in seinem süßen Irrthum zu unterhalten.So war der Mann beschaffen, den mein Schicksal in meinen Weg brachte, um mich aus Umständen, die so wenig mit dem, wozu mich die Natur gemacht hatte, zusammen stimmten, in einen Kreis zu versetzen, wo ich vielleicht mehr, als ich jetzt wünschen sollte, geglänzt habe; aber durch den ich doch, wie mich däucht, nothwendig gehen mußte, um das werden zu können was ich bin.Die alte Krobyle fand nicht für gut, ihrer Pflegetochter zu entdecken, wie theuer sie dem Alcibiades ihre anmaßlichen Rechte über sie verhandelt habe. Sie sagte ihr von dem ganzen Vertrage nichts, als daß sie sich anschicken sollte, noch diesen Abend vor Aspasien zu erscheinen.Das außerordentliche Ansehen, worin diese Dame lebte, welche durch den Tod des Perikles wenig oder nichts von ihrem Einfluß über Athen verloren hatte, machte die junge Danae vor dem bloßen Gedanken eines solchen Besuchs zittern. Indessen wurde doch jeder Augenblick dazu angewandt, ihre kleine Person in ein Licht zu setzen, welches ihr den ersten Blick einer so berühmten Kennerin des Schönen günstig machen möchte. Beinahe bin ich versucht zu sagen, sie hatte, wie Sokrates, eine Art von Genius, der ihr bei solchen Gelegenheiten sagte, was sie nicht thun sollte. Krobyle, welcher die Casse des Alcibiades zu Dienste stand, war der Meinung, ihre Reizungen müßten durch einen schimmernden Putz der Aufmerksamkeit einer so großen Dame, wie Aspasia wäre, empfohlen werden. Aber Danae verstand ihren Vortheil besser. Nichts konnte einfacher und ungekünstelter seyn als ihr Kopfputz und ganzer Anzug; aber anziehender hätte er nicht seyn können, wenn die Grazien selbst ihre Aufwärterinnen gewesen wären.Niemals in meinem Leben schlug mir das Herz, wie in dem Augenblicke, da ich von einer lieblichen jungen Sklavin, durch Gemächer, die den Aufenthalt einer Königin ankündigten, in das Zimmer der Aspasia geführt wurde. Verblendet von dem Glanze, der meinem schüchternen Blick allenthalben entgegen schimmerte, glaubte ich, da ich es endlich wagte, die Augen zu ihr zu erheben, daß ich eine Göttin vor mir sehe. Sie saß auf einem Persischen Ruhebette, und schien sich mit beobachtendem Blick an meiner Verwirrung zu ergötzen. Aber sie hatte in einer Gesichtsbildung, die ausdrücklich für die Majestät ihrer Figur gemacht war, etwas so unwiderstehlich Reizendes, und dieser forschende Blick war durch ein so einnehmendes Lächeln gemildert, daß es unmöglich war, sie ohne Liebe anzusehen. Was in diesen Augenblicken in meiner Seele vorging, ist wirklich über alle Beschreibung. Ich fühlte ein neues Wesen, eine andere vollkommnere Art von Daseyn, gleich der Versetzung in die Wohnung der Götter, oder in Elysium. Meine durch das Anschauen eines Gegenstandes, der alle Träume meiner Phantasie auslöschte, befriedigte Seele schwamm in einem Aether von Liebe und Wonne. Ich warf mich zu ihren Füßen, und hob Augen zu ihr auf, in welchen, wie ich glaube, alles was ich fühlte ausgedrückt war, Augen, die von Thränen der süßesten Empfindlichkeit glänzten.Aspasia fuhr noch etliche Augenblicke fort, der sympathetischen Wollust, die ihr mein Entzücken mittheilte, zu genießen; aber endlich warf sie ihre schönen Arme um meinen Leib, hob mich zu sich auf, drückte mich an ihren Busen, und sagte: liebenswürdiges Machen, diese Empfindlichkeit hat dir in Aspasien eine Freundin mit der ganzen Zärtlichkeit einer Mutter gewonnen.Was ich ihr antwortete, erräth Agathon. Keine Worte —ich hatte keine; und Worte würden auch nicht ausgedrückt haben, was ich empfand —aber sie war mit mir zufrieden. Und nun mußte ich mich neben sie auf das Ruhebette setzen.Welch eine Veränderung in meinem Zustande hatten diese wenigen Minuten hervorgebracht! Wie hätte die Tochter einer armen Flötenspielerin von Chios, die Pflegetochter der alten Krobyle, die vor kurzem noch genöthigt war dem Maler Aglaophon die Dienste einer beweglichen Statue zu thun, sich träumen lassen dürfen, in wenigen Stunden an Aspasiens Seite zu sitzen, und mit den zärtlichsten Liebkosungen von ihr überhäuft zu werden? Aber wie unglücklich würde sie sich auch gefühlt haben, hätte sie nach einem so wonnevollen Zustande wieder in die Hütte der alten Krobyle zurückkehren, und sich selbst sagen müssen, daß alles nur ein entzückender Traum gewesen sey! Dieß nur zu denken hätte die glückliche Danae auf einmal aus dem Sitze der Götter in den Tartarus herabgestürzt. Aber ihre ganze Seele war von dem gegenwärtigen Anblicke verschlungen; sie konnte jetzt an nichts Künftiges denken.Die großmüthige Aspasia vermied alles, was das arme Mädchen aus ihrer angenehmen Bezauberung hätte erwecken können. Sie fragte nicht nach ihren vorigen Umständen, und ließ ihr auch nicht merken, daß sie davon unterrichtet sey. Sie sprach nicht einmal von ihren Talenten; und um sogar der Besorgniß, daß ihr Glück nur von kurzer Dauer sein möchte, zuvorzukommen, stand sie nach einer kleinen Weile auf, und führte mich in ein sehr schönes Gemach, wovon das Cabinet unmittelbar an ihr eignes Schlafzimmer stieß. Dieß, meine liebste Danae, sagte sie, ist dein eignes Zimmer, und wird es so lange seyn, als es dir gefällt, und als dir Aspasia lieb genug bleiben wird, um sie nicht ohne Schmerz verlassen zu können. — So werd' ich es ewig bewohnen, rief die entzückte Danae.
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Viertes Kapitel.

Charakter des Alcibiades, von Aspasien geschildert. Wie die junge Danae in Aspasiens Hause erzogen wird.

Bald darauf kam Alcibiades. Er that nicht als ob er mich kennte, und ersparte mir dadurch die Fortdauer der Verlegenheit und des Erröthens, worein mich seine Erscheinung setzte. Sein Bezeigen gegen mich war zurückhaltend und voll von dieser ungezwungenen Urbanität, die den Athener von den übrigen Griechen eben so sehr unterscheidet, als die Griechen überhaupt allen andern Völkern an Witz und Lebensart vorgehen. Die Unterredung zwischen ihm und Aspasien war lebhaft, und so neu für mich, daß ich lauter Ohr und Auge war. Er sprach von Staatssachen und Liebeshändeln mit dem gleichen muntern Ton, und mit dem Leichtsinne, dessen verführerischer Reiz ihn für die Ruhe seines Vaterlandes eben so gefährlich machte als für die Ruhe der weiblichen Herzen. Nach einiger Zeit stand er auf, entschuldigte sich, daß er den Abend nicht mit ihr zubringen könnte, und gab zur Ursache davon eine Lustbarkeit vor, die zwischen ihm und einigen jungen Herren von seiner Bekanntschaft angestellt sey. Die schöne Spartanerin wird dabei seyn, setzte er hinzu, indem er einen beobachtenden Seitenblick auf mich warf; und so verschwand er.Der leichtsinnigste, witzigste, verwegenste, aber liebenswürdigste Bösewicht, auf den je die Sonne geschienen hat! — sagte Aspasia, nachdem er fortgegangen war. Ich weiß keine Tugend, keine Vollkommenheit, wovon er nicht entweder den Schein oder die Wirklichkeit besäße; aber er allein hat das Mittel gefunden, mit allem, was einen Mann schätzbar und liebenswürdig macht, alle Laster, deren die menschliche Natur fähig ist, zu verbinden. Perikles, dessen Pflegesohn er war, hat in seinem ganzen Leben nichts Tadelnswürdiger's gethan, als daß er durch zu viel Nachsicht diesen verzärtelten Menschen aus ihm gemacht hat, der er nun ist. Doch das ganze Athen, der weise Sokrates selbst machte es nicht besser. Von seiner Kindheit an wurde er angewöhnt, der allgemeine Liebling aller Welt zu seyn. Alles was er that gefiel, seine Unarten waren angenehme Lebhaftigkeiten, seine Wildheit das Feuer einer Heldenseele, seine muthwilligsten Ausschweifungen witzige Einfälle und Ergießungen eines fröhlichen, nichts Arges denkenden Herzens. Immer hatte er das Glück, oder vielmehr das Unglück, daß man seine Untugenden, um der schönen Form willen, die er ihnen zu geben wußte, entschuldigte, oder gar für Verdienste gelten ließ. Er übte seine Leichtfertigkeiten mit einer so guten Art aus, gab seinen Lastern eine so angenehme Wendung, eine so eigene Grazie, daß man ihn auch da, wo er Tadel und Bestrafung verdiente, immer liebenswürdig fand. Dinge, die man einem andern nie vergeben hätte, wurden an ihm bewundert, oder wenigstens dadurch, daß man bloß darüber lachte, gebilliget und aufgemuntert. Nun, da es zu spät ist, fangen die Athener an gewahr zu werden, daß sie übel daran gethan haben. Aber sein Genius überwältigt sie auch wider ihre bessere Ueberzeugung, und die Bezauberung wird nicht eher völlig aufhören, als wenn er sie zu Grunde gerichtet haben wird. Es geht ihnen nicht besser mit ihm, als unsern Schönen. Seine Unbeständigkeit, seine Treulosigkeit, sein Uebermuth gegen unser Geschlecht, sind weltkundig. Tausend warnende Beispiele sollten uns klug gemacht haben. Aber alles ist umsonst. Eine jede, die es noch nicht erfahren hat, eilt was sie eilen kann, die Zahl der Betrogenen zu vermehren. Jede schmeichelt sich, reizender, oder geschickter, oder wenigstens glücklicher zu seyn als ihre Vorgängerinnen. Man thut alles ihn zu gewinnen, alles ihn zu erhalten; er wird mit der pünktlichsten Treue geliebt; kein Opfer, das er fordern kann, ist zu groß; man glaubt nie zu viel für ihn thun zu können; man verblendet sich über seine Untreue; und zuletzt, wenn man nicht mehr daran zweifeln kann, tröstet man sich wenigstens mit dem süßen Gedanken, daß man doch einmal von Alcibiades geliebt worden sey, und jede schmeichelt sich, es mehr gewesen zu seyn als die übrigen. Ich habe es für nöthig gehalten, Danae (fuhr sie fort), dir den gefährlichen Menschen in seiner wahren Gestalt zu zeigen; denn du wirst ihn täglich in meinem Hanse sehen. Ich selbst erfahre das allgemeine Loos: ich liebe ihn; wiewohl die Zeit. da er mir gefährlich war, schon lange vorüber ist. Die deinige, meine liebe Danae, wird noch kommen. Ich mußte dich warnen, weil ich dich liebe. Aber nun überlass' ich dich deinem Herzen. Alles was ich um dich zu verdienen wünsche, ist, daß du mich zu deiner Vertrauten machest, sobald du eine Vertraute nöthig haben wirst.Ich versprach es ihr mit einer Naivität, über die sie lächeln mußte, und setzte hinzu: die Begierde mich ihrer Liebe würdig zu machen, würde meinem Herzen keine Zeit lassen, sich mit einem andern Gegenstande zu beschäftigen. — Du hast noch nicht lange genug gelebt, meine Tochter, erwiederte sie, um dein Herz zu kennen; und noch weniger, um alle die Gefahren zu kennen, wovon es umgeben ist. In einigen Jahren wird dich deine eigene Erfahrung gelehrter gemacht haben. Indessen wird es nur auf dich ankommen, dich der meinigen zu deinem Vortheil zu bedienen. Ein gefühlvolles Herz ist sehr zu beklagen, wenn es bloß auf eigene Unkosten lernen muß, sich gegen ein Geschlecht zu verwahren, das bei uns nichts als seine Befriedigung sucht, und von dem wir immer betrogen werden, so lange wir es nach uns selbst beurtheilen. — Ich versicherte sie, mit einem Ton in den mein ganzes Herz einstimmte, daß von nun an mein angelegenstes Geschäft seyn würde, mich nach ihr zu bilden und ihren Lehren zu folgen.Meine Erfahrung, bester Agathon, hat mich gelehrt, wie wichtig es für ein junges Mädchen ist, frühzeitig eine Person ihres Geschlechts kennen zu lernen, welche vortrefflich genug ist, sich ihres Herzens zu bemächtigen. Vor wenigen Stunden war das meinige noch ganz von dem Bilde des verführerischen Alcibiades erfüllt. Wie leicht würde ihm sein Sieg geworden seyn, wenn er damals, anstatt mich in Aspasiens Schutz zu bringen, sich der Mittel, woran er nur allzu reich war, hätte bedienen wollen, mich in seine eigene Gewalt zu bekommen! Aber er wollte sich seinen Sieg schwer machen; wiewohl er in der Folge mehr als Einmal Ursache fand zu wünschen, daß er sich weniger auf die Unwiderstehlichkeit seiner Verdiente und Gaben verlassen haben möchte. Der erste Augenblick, da ich Aspasia sah, schien mich zu einer andern Person umzuschaffen. Der Wunsch, dem Ideal weiblicher Vollkommenheit, welches ich in ihr zu erblicken glaubte, ähnlich zu werden, wurde die herrschende Leidenschaft meiner Seele. Mir war als ob mein Herz mir sagte: diese Göttin ist doch immer nicht mehr als was du auch werden kannst; sie ist —doch nur ein Weib. Dieser Gedanke machte mich stolz auf mein Geschlecht; und, ohne diesen Stolz, womit sollten wir uns gegen den Uebermuth des eurigen schützen? Alcibiades schien mir nun ein ganz andrer Mann, da ich ihn neben Aspasien sah. Ihr Glanz verdunkelte den seinigen; ich konnte ihn ungeblendet ansehen. Meine Augen verweilten darum nicht mit minderm Vergnügen auf seiner Gestalt; ich fühlte seine Reizungen nicht schwächer: aber ich empfand stärker den Werth der meinigen.Aspasia pflegte beinahe alle Abende Gesellschaft zu sehen, und an gewissen Tagen versammelte sich alles, was in Athen durch Stand, Schönheit, Geist und Talente vorzüglich war, in ihrem Hause. Sie sagte mir, wenn ich lieber allein seyn wollte, sollten einige von ihren Mädchen mir den Abend angenehm zubringen helfen. Ich ersuchte sie darum. Sie verließ mich unter neuen Ausdrücken einer Zärtlichkeit, die mich über allen Ausdruck glücklich machte. Bald darauf traten drei angenehme junge Mädchen in mein Zimmer, wovon die älteste kaum vierzehn Jahre hatte. Sie glichen in ihrer leichten und niedlichen Kleidung den Freuden, welche die Dichter und Maler, in Gestalt junger Mädchen, vor dem Wagen der Liebesgöttin hertanzen lassen. Wir wurden in kurzer seit vertraut miteinander; denn sie begegneten mir als ob wir uns immer gekannt hätten. Sie waren Sklavinnen der Aspasia, in ihrem Hause geboren, und, da sie vorzügliche Gaben zu den Künsten der Musen zeigten, zu ihrem Vergnügen erzogen. Es befanden sich noch mehrere von dieser Art im Hause, die an Reizungen und Geschicklichkeiten vollkommen genug gewesen wären, den Hof eines Königs zu zieren; und dieß mag wohl in einer Stadt, wo der zaumlose Muthwille der Komödienschreiber weder Talente noch Tugend, weder Götter noch Menschen schont, Gelegenheit zu gewissen Verleumdungen gegeben haben, die dir nicht unbekannt seyn können. Es ist wahr, die Freiheit eines Hauses, welches eine Art von Tempel aller Musen und Götter der Freude war, schien den Aristophanes einigen Vorwand zu geben. Aber um diesem Vorwand alle Scheinbarkeit zu benehmen, braucht man nur zu bedenken, daß Aspasia die Gemahlin des Ersten unter allen Griechen war; daß Sokrates seine jungen Freunde, und die edelsten Athener ihre Gemahlinnen in keine bessere Gesellschaft führen zu können glaubten; und daß man die verdorbnen Sitten eines Aristophanes haben mußte, um die Akademie des Geschmacks, der Philosophie, der Wohlredenheit und der feinsten Lebensart, dem niedrigsten Pöbel, der das nicht kennt noch kennen kann was edle Seelen Freude nennen, als ein Gelag von Bacchanten und Mänaden, oder als eine Schule der Ausschweifung und Liederlichkeit vorzuschildern.Dieser erste Abend, da ich mit den liebenswürdigen Sklavinnen der Aspasia Bekanntschaft zu machen anfing, lehrte mich, wie welt ich noch in der einzigen Kunst, in welcher ich mir einige Stärke zugetraut hatte, von der Vollkommenheit entfernt war. Einige Tage darauf machte Aspasia Gelegenheit, daß es schien als ob sie von ungefähr dazu komme, als ich mich mit den drei Mädchen in pantomimischen Tänzen übte. Sie setzte sich unter uns hin, und wurde unsre Lehrmeisterin, indem sie scherzend vorgab, bloß unsre Richterin seyn zu wollen. Sie gab uns Fabeln aus der Göttergeschichte, oder Begebenheiten aus der Heldenzeit zu Tänzen auf. Meine Gelehrigkeit und feine Empfindung erhielt ihren Beifall. In der That verstand ich ihre leisesten Winke; und da sie sich eine Ergötzlichkeit daraus machte, diese Uebungen fortzusetzen, so erreichte ich in kurzer Zeit eine Fertigkeit darin, die vielleicht nicht wenig dazu beitrug mich zu ihrem Liebling zu machen. Denn sie selbst hatte ehmals den Ruhm der vollkommensten Tänzerin; und noch itzt liebte sie diese Kunst so sehr, daß sie, wenn sie mich einen Charakter oder eine Situation vorzüglich gut machen sah, in einem augenblicklichen Vergessen dessen was sie itzt war, ausrief: mich däucht ich sehe mich selbst in meine Jugend zurück versetzt!Mit diesen Uebungen wurden alle andern verbunden, die man bei uns Griechen zur vollkommnen Erziehung einer Schönen rechnet. Aspasia, welche so viele Ursache hatte die meinige als ihr eignes Werk anzusehen, schien den ganzen Umfang ihres Vermögens in Vewollkommnung eines Werkes, worin sie sich selbst gefiel, erschöpfen zu wollen. Die Virtuosen von allen Arten, die das Haus des Perikles als ihr eigenes anzusehen gewohnt waren, eiferten in die Wette, diese Absicht meiner edlen Wohlthäterin befördern zu helfen. Ein jeder schien seinen größten Stolz darin zu suchen, wenn er sich rühmen könnte, etwas zu Verschönerung und Vollendung dieser Danae, in welcher Aspasia sich selbst wieder hervorbringen wollte, beigetragen zu haben. Alles Verdienst, was ich mir selbst dabei zueignen kann, war Gelehrigkeit, und brennende Begierde einer Wohlthäterin zu gefallen, die alles für mich that, was die beste Mutter für eine einzige Tochter thun kann, und die ich, auch ohne Rücksicht auf das was ich ihr schuldig war, um ihrer selbst willen unaussprechlich liebte. Und war nicht auch diese Gelehrigkeit, dieser Enthusiasmus für das Schöne, dieses Verlangen, einer Wohlthäterin, deren Güte ich durch nichts anders vergelten konnte, das Vergnügen, ihre Absicht mit mir erreicht zu sehen, zu gewähren — war nicht auch dieß ein bloßes Geschenk der Natur?
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Fünftes Kapitel.

Absichten des Alcibiades mit der jungen Danae. Er umringt seinen Plan um selbstgemachten Schwierigkeiten, und wird in seiner eigenen Schlinge gefangen.

Alcibiades — denn zu ihm müssen wir doch wieder zurückkehren; er spielt eine Hauptrolle in meiner Geschichte, und in der That, er war nicht gemacht in irgend einer Sache eine andere zu spielen — Alcibiades sah mit Vergnügen, wie seine Danae (er zählte gänzlich darauf, daß sie es sey) unter den Händen der Musen und Grazien täglich sich verschönerte. So stark der Eindruck gewesen zu seyn schien, den sie in dem Arbeitssaale des Malers Aglaophon auf ihn gemacht hatte, so war gleichwohl sein Entwurf, nicht eher ernsthafte und entscheidende Anfälle auf ihr Herz zu thun, bis sie, unter Aspasiens Augen, alles was sie werden könnte geworden wäre. Seinem Stolze schmeichelte kein geringerer Sieg. Die Gefälligkeit der Schönen zu Athen setzte ihn in den Stand, diesen Zeitpunkt ganz gemächlich abzuwarten; und wenn es auch eine kleine Ueberwindung gekostet hätte, so hielt er sich durch das Vergnügen, ein noch so neues Herz zu beobachten, und so viel Versuche als ihm belieben könnten damit anzustellen, reichlich entschädiget.Die junge Danae, so sehr sie ein Neuling war, unterließ doch nicht in dem Betragen ihres Liebhabers etwas wahrzunehmen, welches ihr, es mochte nun natürlich oder gekünstelt seyn, von seiner Art zu lieben nicht die vortheilhafteste Meinung gab. Sie bemerkte in seinen Augen weniger Vergnügen an ihrem Anschauen, als Begierde in ihrer Seele zu lesen; und in den Momenten, wo er mehr als gewöhnlich gerührt schien, weniger Zärtlichkeit als Feuer. Sie machte nach und nach ausfindig, daß es ihm weit mehr darum zu thun wäre, sie von der Macht seiner eignen Reizungen als von den Wirkungen der ihrigen zu überzeugen, und daß diejenige, welche schwach genug wäre sich von ihm einnehmen zu lassen, ihre gefährlichste Nebenbuhlerin in seiner Eitelkeit finden würde. Ein junges Mädchen von lebhaftem Geist und feiner Empfindung, zumal wenn es sich vorzüglicher Reizungen bewußt zu seyn glaubt, hat selbst zu viel Eitelkeit, um einem Liebhaber die seinige zu übersehen. Sie sah das Betragen des Alcibiades als eine Art von Aufforderung an, und nahm so starke Entschließungen gegen ihn, als ein Mädchen von fünfzehn Jahren nehmen kann. Aber was das gute Mädchen selbst nicht wußte, und also auch dem erfahrnen und scharfsichtigern Alcibiades nicht verbergen konnte, war: daß sie, dessen ungeachtet, lebhaft genug von ihm eingenommen war, um nichts Schöner's zu finden als seine Figur, nichts Reizender's als alles was er sagte oder that, sich nirgends besser zu gefallen als wo er war, durch niemands Beifall mehr geschmeichelt zu seyn als durch den seinigen, und für seinen Ruhm und für den Erfolg seiner Unternehmungen sich so lebhaft zu interessiren, daß in der That nur eine sehr alte Freundschaft oder eine sehr junge Liebe die Quelle davon seyn konnte.Der Vortheil, welchen Alcibiades dadurch über sie gewann, war zu groß, als daß er Aspasiens Aufmerksamkeit hätte entgehen können: aber Danae täuschte sich selbst, weil die scheinbare Freiheit, die er ihrem Herzen ließ, sie sicher machte. Sie war gewohnt, sich die Liebe unter einer ganz andern Gestalt vorzustellen, als diejenige war, in welcher sie von ihr überschlichen wurde. Ernsthaft, tiefsinnig, zerstreut, unruhig in der Gegenwart des Geliebten, traurig in seiner Abwesenheit seyn; sich über nichts erfreuen das sich nicht auf ihn bezieht; die Einsamkeit suchen, oder mitten in Gesellschaft sich einbilden, man habe bloß Bäume und Felsen und rieselnde Quellen zu Zeugen seiner Empfindungen; staunen ohne zu wissen was, seufzen ohne zu wissen warum; — dieß waren, ihrer Meinung nach, die wahren Symptomen der Liebe: und da sie von allem diesem, seit ihrer Bekanntschaft mit dem Alcibiades, nichts an sich bemerkte, so ließ sie sich gar nicht einfallen das geringste Mißtrauen in ihr Herz zu setzen. Alcibiades belustigte sie. Seine Lebhaftigkeit, seine Launen, sein Witz, sein Talent das Lächerliche an allen Leuten ausfindig zu machen und auf die feinste Art zu verspotten, seine Geschicklichkeit in Erzählungen und Abschilderungen, die ihm eigene Gabe, aus einer Kleinigkeit, durch die Wendung die er ihr gab, etwas Unterhaltendes zu machen, kurz, alle diese Eigenschaften, die ihn zur Lust aller Leute von Verstand und zum Schrecken aller Thoren machten, machten auch ihr seinen Umgang angenehm. Sie gestand den Geschmack den sie an ihm fand; aber sie konnte nicht begreifen, was der Mann so Gefährliches haben sollte: und dieß war es eben, was er zu seinen Absichten vonnöthen hatte. Niemand, der ihn nicht genau kannte, hätte nur vermuthen können, daß er Absichten auf Dingen habe. Sein einziges Bemühen schien, ihr Kurzweile zu machen; und er unterhielt sie oft Stunden lang von den Mängeln andrer jungen Frauenzimmer in der Stadt, ohne daß er ein Wort von ihren eigenen Vorzügen mit einfließen ließ. Freilich sagte er ihr zuweilen sehr schmeichelhafte Dinge vor; aber dieß geschah mit einem so freien, so aufgeweckten Wesen, in einem so leichtsinnigen, unempfindsamen Tone, daß er ihr in diesem Tone die stärke Liebeserklärung hätte machen können, ohne daß sie für nöthig gehalten hätte, einen Augenblick ernsthaft dabei auszusehen.Durch diese Ausführung erhielt der schlaue Mann einen doppelten Vortheil: Danae gewöhnte sich keine Vorsichtigkeit gegen ihn zu gebrauchen; und er durfte sich, unter dem Vorrecht eines Freundes, eines nahen Verwandten der Aspasia, eines Mannes den man täglich sah, allerlei kleine Freiheiten herausnehmen, welche in der Vertraulichkeit, worin sie mit einander standen, von keiner Bedeutung zu seyn schienen. Unvermerkt erweiterte er seine Vorrechte, aber mit einer so guten Art, mit Beobachtung einer so feinen Gradation, daß Danae, da sie weder in ihn noch in sich selbst das mindeste Mißtrauen setzte, die Veränderung nicht einmal gewahr worden wäre, wenn Aspasia (welche, ohne sich's anmerken zu lassen, beide genau beobachtete) ihr über seine Absichten und ihre Gefahr die Augen nicht geöffnet hätte.Der Gedanke, sich wie eine unbesonnene Thörin fangen zu lassen, beleidigte den Stolz des jungen Mädchens. Sie wurde aufmerksamer. Sie untersuchte ihr eignes Herz, und fand, daß sie fähig wäre den bösen Mann zu lieben, wenn die Natur, die in allen andern Stücken so verschwenderisch gegen ihn gewesen war, nicht unglücklicher Weise sein Herz allein verwahrloset hätte. Aber diese Entdeckung bestärkte sie nur desto mehr in dem Vorsatze, ihn dafür zu bestrafen, daß er zwischen ihr und einer Nemea keinen bessern Unterschied zu machen wußte. Aspasia, welche aus besondern Ursachen seinen Uebermuth gedemüthiget zu sehen wünschte, unterrichtete sie, wie sie sich betragen sollte, um ihm, wenn er den glücklichen Moment gefunden zu haben glauben würde, das Fehlschlagen seiner Hoffnung desto empfindlicher zu machen. Es war Gefahr dabei, und Aspasia machte ihr kein Geheimniß daraus; aber die Ehre, die erste zu seyn, die ihr Geschlecht an dem muthwilligsten und gefährlichsten Verächter desselben rächen würde, war zu groß um nicht alles zu wagen.Alcibiades, wenig besorgend, daß man solche Anschläge gegen ihn schmiede, rechtfertigte in kurzem die Vermuthungen der klugen Aspasia. Er glaubte seine Maßregeln aufs schlaueste genommen zu haben. Alles schien sein Vorhaben zu begünstigen, und ihm einen glücklichen Erfolg zu weissagen. Danae selbst war in einer Laune, die einem minder unternehmenden Liebhaber Muth gemacht hätte. Ihre Munterkeit gränzte an den reizenden Muthwillen, der in ihrem Alter den Gaben der Aurora und der Venus etwas so Anlockendes gibt. Ihr Blut schien in ihren Adern zu tanzen, und ihre Augen versprachen alles — was sie nicht zu halten entschlossen war. Alcibiades, ein zu feiner Wollüstling, um durch Uebereilung sich des kleinsten Vergnügens zu berauben, das den Werth seines Sieges vollkommen machen konnte; wollte sie durch stufenweise Vorbereitungen führen, in deren Theorie und Ausübung er niemand über sich zu haben stolz war. Eine von seinen Regeln war: daß man weniger darauf bedacht seyn müsse die Sinnen, als die Einbildungskraft einer Schönen, auf die man Absichten habe, ins Spiel zu ziehen. Diesem Grundsatze gemäß, nahm er von einem Discurs des Sokrates über die Gränzen des Schönen Gelegenheit, die Frage aufzuwerfen: wie weit die pantomimische Tanzkunst in Vorstellung gewisser aus der ärgerlichen Chronik des Olymps genommenen Begebenheiten gehen dürfte? Er sprach über diesen Gegenstand wie ein zweiter Sokrates, und affectirte (ohne Zweifel um Danaen zum Widerspruch zu reizen) eine Strenge, welche in dem Munde dieses weisen Mannes vielleicht ehrwürdig gewesen wäre, aber in des Alcibiades seinem lächerlich war. Eine Ariadne, die sich von dem schönen Bacchus trösten läßt, war von Sokrates selbst gebilliget worden. So weit, meinte er, möchte in Sachen dieser Art die Kunst aufs höchste gehen dürfen; aber eine Leda! — eine Leda könnte, ohne Beleidigung der Grazien, nicht getanzt werden. Der Verräther kannte die schwache Seite der jungen Person, die er vor sich hatte. Danae liebte den pantomimischen Tanz bis zur Ausschweifung. Man legte ihr darin ein mehr als gewöhnliches Talent bei —"Man hatte nur zu viel Ursache dazu," sagte Agathon — Und besonders erhob man ihre Delicatesse im Ausdruck der feinsten Grade und Schattirungen der Leidenschaften. Gereizt von seiner Strenge, die ihr übertrieben schien, vielleicht auch aus jugendlicher Eitelkeit, eine Kunstprobe abzulegen, deren Schwierigkeiten unläugbar waren, behauptete sie: daß es nicht unmöglich wäre; den Schleier der Sokratischen Grazien um die Fabel der Leda zu ziehen, ohne der Wahrheit des Ausdrucks in der Vorstellung Abbruch zu thun. Alcibiades behauptete die Unmöglichkeit so zuversichtlich, daß kein anderes Mittel ihn zu widerlegen übrig blieb als der Augenschein. Ihres Sieges gewiß unternahm sie es, Leda zu seyn; — und wenn ihr Aspasia (welche bei dieser ganzen Scene eine ungesehene Zuschauerin abgab) nicht geschmeichelt hat, so führte sie aus was sie versprochen hatte. Wenn eine Grazie an der Stelle der Leda seyn, oder sich einfallen lassen könnte sie vorzustellen, so würde sie es gerade so gemacht haben, sagte Aspasia. Aber Alcibiades, wiewohl er von dem Tanze der jungen Thörin, und von den Reizen die sie dabei entwickelte, ganz entzückt zu seyn vorgab, wollte nicht eingestehen, daß Wahrheit in ihrem Spiel gewesen sey.Der kleine Streit, der sich darüber zwischen ihnen erhob, wurde zuletzt lebhaft genug, um (seiner Meinung nach) das Zeichen zu einem andern zu seyn, wobei er unfehlbar den Sieg davon zu tragen hoffte. Was seine junge Freundin verhinderte, dieses Strick wirklich zum Triumph ihrer Kunst zu machen, wäre bloß der Mangel an Erfahrung, meinte er. Unmöglich kann man seine Dienste mit einer bessern Art anbieten als er that; und, ungewarnt, möchte es der neuen Leda vielleicht nicht besser als ihrem Urbild ergangen seyn. Aber Aspasiens Warnungen und Unterricht — und, was unstreitig ihrer Schwäche am meisten zu Hülfe kam, das Bewußtseyn der heimlichen Gegenwart Aspasiens — gaben ihr eine Stärke, auf welche freilich Alcibiades nicht gerechnet hatte. Gleichwohl hatte ihr Widerstand zu viel Anlockendes, um von einem so geübten Helden, wie er war, für Ernst genommen zu werden. Er verfolgte also seinen vermeintlichen Sieg; aber, da er sich's am wenigsten versah, entschlüpfte ihm die ungelehrige Leda aus den Händen. Er kannte Aspasiens Haus zu wohl, um nicht zu wissen, daß der Weg, den sie im Fliehen nahm, in ein kleines Cabinet führte, dessen Einrichtung zu den Unterweisungen, die er ihr geben wollte, noch bequemer war als der Ort wo sie sich befanden. Dieß schien ein Umstand von guter Vorbedeutung zu seyn. Er hielt sich also, da er ihr nacheilte, seiner Sache wenigstens so gewiß, als Apollo, da er die fliehende Daphne an das Ufer des Peneus verfolgte. Aber wie groß war seine Betroffenheit, als er sie beim Eintritt ins Cabinet in — Aspasiens Arme fliegen sah, einer Person, deren Gegenwart er hier eben so wenig erwartete, als sie ihm willkommen war!Die Sache sah einer Abrede zu ähnlich um für einen Zufall gehalten zu werden; und niemals vielleicht in seinem Leben hatte es ihm so viel gekostet, den Unmuth, sich so unbedachtsam in seinen eigenen Schlingen gefangen zu haben, nicht ausbrechen zu lassen. Indessen war doch weiter nichts zu thun, als, mit Danaen einstimmig, aus der ganzen Sache einen Scherz zu machen, und so gut er konnte mitzulachen, da die beiden Damen über die Mißlingung des Anschlags, dessen sie ihn beschuldigten, mit aller Schärfe des Attischen Witzes so lange kurzweilten, bis er, der ungemächlichen Rolle die er dabei spielte überdrüssig, sich zurückzog; sehr ungewiß, wie er die Rache nehmen wollte, die er der kleinen Betrügerin und ihrer unzeitigen Schutzgöttin in seinem Herzen angelobte.Ob übrigens die schöne Aspasia wohl oder übel daran gethan habe, daß sie ein junges Mädchen, bei welchem sie die Stelle einer Mutter zu vertreten übernommen hatte, einer Gefahr aussetzte, aus der es immer unmöglich war ganz unbeschädigt zu entkommen, dieß kann wohl keine Frage seyn. Ohne Zweifel that sie übel; aber vermuthlich war es gar nie in ihre Gedanken gekommen, aus der jungen Danae etwas Vollkommneres als eine zweite Aspasia zu machen. Vielleicht sah sie auch die Eindrücke, welche von dieser Scene in ihrer Einbildung zurückbleiben könnten, nicht für so bedeutend an, daß sie den Vortheil überwiegen sollten, den ihr eine solche Uebung in der Kunst List durch List zu vereiteln bringen würde; einer Kunst, worin man (ihrer Meinung nach) in Danae's Umständen, und mit den Gaben die man ihr zuschrieb, nicht anders als auf Unkosten seiner Sicherheit ein Fremdling seyn konnte.Wie dem auch seyn mochte, dieß ist gewiß, daß Danae durch ihr gutes Benehmen in dieser Begebenheit in Aspasiens Augen unendlich viel gewann. Von dieser Zeit an begegnete sie ihr als einer Person, welcher sie alle ihre Geheimnisse vertrauen, und alle ihre Kenntnisse mittheilen könnte. "Du bist dazu gemacht, sagte sie ihr unter der zärtlichsten Umarmung, Aspasiens Nachfolgerin zu seyn: der Antheil, den ich daran haben werde, befriedigt meinen Stolz genug, um, ohne Neid, mich von dir sogar übertroffen zu sehen." Sie machte sich itzt mehr als jemals ein Geschäft daraus, meinen Verstand auszubilden, mich den Menschen und die Welt kennen zu lehren, und besonders mich in den Geheimnissen der Kunst zu iniziiren, welche einen Sokrates zu ihrem Schüler, einen Perikles zu ihrem Gemahl, und sie selbst, ohne andre Vorzüge als ihre Gaben und Geschicklichkeiten, zur Seele der öffentlichen Angelegenheiten ihrer Zeit in Griechenland gemacht hatte.Danae's eigne Sinnesart, welche sie von dem Gedanken, jemals eine große Rolle auf dem Schauplatze der Welt zu spielen, gänzlich entfernte, erlaubte ihr nicht, sich Aspasiens Beispiel und Unterricht so vollkommen, als es diese zu wünschen schien, zu Nutze zu machen; aber gleichwohl gesteht sie gern, daß sie beiden die Ausbildung ihres Geistes, die Verfeinerung ihres Geschmacks, und Kenntnisse, deren Werth die Erfahrung sie erst recht schätzen lehrte, zu danken gehabt hat. Soll sie dir noch mehr gestehen, Agathon? Die Unterredungen, welche Aspasia mit mir pflog, oder wobei mir erlaubt war eine Zuhörerin abzugeben, schienen mir so wichtig, daß ich nicht ein Wort davon zu verlieren wünschte. Ich schrieb sie also, da sie mir frisch im Gedächtnisse lagen, damals heimlich auf; und ich brachte nach und nach eine Sammlung von Diskursen dieser außerordentlichen Frau zusammen, die ich immer fur meinen größten Schatz angesehen habe. Dieser Schatz ist, wie du vermuthen kannst; noch in meinen Händen. Es war eine Zeit, da ich sie als Geheimnisse ansah, die ich, so standhaft als eine Pythagoräerin die ihrigen, vor ungeweihten Augen verwahrte. Aber außerdem, daß die Absichten, die ich hierbei haben konnte, nicht mehr stattfinden, warum sollte ich sie vor einem Freunde wie Agathon verbergen wollen? Du sollst sie also sehen, Agathon; und ich bin gewiß, daß ich dem Andenken meiner Freundin — der vollkommensten Sterblichen, die jemals den Ruhm unsers Geschlechts an dem eurigen gerochen hat — keine größere Ehre erzeigen kann.
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Sechstes Kapitel.

Neue Kunstgriffe des Alcibiades. Eine Philippika gegen das männliche Geschlecht, als eine Probe der Philosophie der schönen Aspasia.

Da dem Leser wenig daran gelegen seyn muß, wie oft Danae in ihrer Erzählung entweder durch die Zwischenreden ihres Zuhörers oder durch irgend einen andern Zufall unterbrochen worden: so glauben wir am besten zu thun, wenn wir annehmen, als ob sie niemals unterbrochen worden sey, und sie so lange fortreden lassen als es ihr beliebt; einbedungen, daß wir nicht verbunden sind, ihr länger zuzuhören, als sie uns interessiren wird.Alcibiades (fuhr sie fort) empfand es sehr hoch, nicht allein, daß ihm sein Anschlag auf die junge Danae, die er als sein rechtmäßiges Eigenthum ansah, mißlungen war — denn dieß hätte sich wohl leicht wieder gut machen lassen, dachte er — sondern daß es auf eine Art geschehen war, die, wenn er auch hoffen könnte nicht die Fabel von ganz Athen dadurch zu werden, ihn wenigstens in seinen eignen Augen herabsetzte. Er glaubte sich an Danaen nicht besser dafür rächen zu können, als indem er ihr eine Gleichgültigkeit zeigte, die ihr, wofern sie sich jemals geschmeichelt hätte sein Herz gerührt zu haben, auch nicht den Schatten einer solchen Einbildung übrig ließe.Zu diesem Ende entführte er, so öffentlich und mit so vielem Geräusch als nur immer zu machen möglich war, eine junge Sklavin der Aspasia, die (außer einem vortrefflichen Ansatz zur Ausgelassenheit) nichts hatte, was die ungeheure Leidenschaft, die er für sie affectirte, rechtfertigen konnte, als eine sehr mittelmäßige Stimme und einiges Talent zur Pantomimik. Seine Absicht dabei war, Aspasien und ihre junge Freundin recht empfindlich zu kränken, indem er diese kleine Creatur zu der bewundernswürdigsten Person von Griechenland machte, oder wenigstens die Welt beredete daß sie es sey. Da er schon lange im Besitz war in allen Sachen den Ton anzugeben; da er einen ganzen Hof von Freunden, Schmeichlern und Parasiten um sich hatte, die sich ohne Bedenken zu blinden Werkzeugen aller seiner Einfälle gebrauchen ließen; da er, um eine Absicht, so unbedeutend auch ihr Gegenstand seyn mochte, durchzusetzen, keine Mühe zu groß, keinen Aufwand zu kostbar, kein Mittel zu ausschweifend fand: so gelang es ihm auch, wiewohl mit vieler Mühe, die kleine Pannychis auf etliche Augenblicke zum Abgott der Athener zu machen. Aber der Triumph, Aspasien und ihre junge Freundin dadurch so sehr zu demüthigen als er sich geschmeichelt hatte, wurde ihm durch die unbegränzte Gelehrigkeit der letztern gegen die Anweisungen der erstern vereitelt.Um so aufrichtig zu bleiben als ich bisher in meiner Erzählung gewesen bin, darf ich nicht verbergen, daß die junge Danae das muthwillige Vergnügen, dem Alcibiades einen kleinen Streich gespielt zu haben, durch die Eindrücke, welche diese Scene in ihrem Gehirne zurückließ, weit über seinen Werth bezahlen mußte. Sobald sie allein war, drangen sich die verführerischen Bilder ihrer Einbildung auf. Ein beunruhigender Vorwitz machte sie lüstern, zu wissen was daraus erfolgt seyn möchte, wenn sie dem Alcibiades mehr Gelehrigkeit gezeigt hätte. Sie erröthete vor sich selbst, wie sie sich bei dem Wunsch ertappte, noch einmal eine solche Gelegenheit zu bekommen; aber es war nicht in ihrer Gewalt — und in der That wandte sie auch keine große Gewalt an — diesen Wunsch zu unterdrücken. Das Bild des Alcibiades stellte sich ihr von dieser Zeit an mit so lebhaften Farben, mit so besiegenden Reizungen dar, daß die Ruhe ihres Herzens darunter zu leiden anfing. Urtheile selbst, wie empfindlich es ihr, in einer solchen Lage des Gemüths, seyn mußte, sich um eine Pannychis verachtet und verlassen zu sehen! Ohne Aspasiens Beistand würde sie viel zu schwach gewesen seyn, dem Verräther ihren Schmerz darüber zu verbergen; zumal da selten ein Tag vorbeiging, ohne daß er gekommen wäre, um sie mit Beweisen seiner vollkommensten Gleichgültigkeit und mit Abschilderungen der unendlichen Reizungen ihrer Nebenbuhlerin und seiner Leidenschaft zu quälen.Aber Aspasia, die das Vertrauen, womit ihr Danae ihr Innerstes aufzuschließen pflegte, nicht nöthig hatte, um jede Bewegung ihrer Seele wahrzunehmen, kam ihr noch zu rechter Zeit zu Hülfe. Da sie bald entdeckte, daß die Krankheit ihrer jungen Freundin mehr in der Einbildung als im Herzen ihren Sitz habe, so schien ihr die Cur desto leichter zu seyn: und, wiewohl das Mädchen die Offenherzigkeit nicht völlig so weit gegen sie trieb als gegen sich selbst; so glaubte sie doch zu sehen, daß die Erhitzung ihrer Phantasie und die Empfindlichkeit ihrer beleidigten Eigenliebe einem jeden liebenswürdigen Manne, der sich den Augenblick zu Nutze zu machen wüßte, zu Statten kommen, und ihr wenigstens Stärke genug geben würde, der Gleichgültigkeit des Alcibiades so viel Kaltsinn entgegen zu setzen, als vonnöthen wäre, um ihn über seine abermals fehlgeschlagene und so theuer erkaufte Erwartung zur Verzweiflung zu bringen.Ariochus, ein junger Mann, der in jeder Betrachtung niemand als den Alcibiades über sich sah, und auch diesem (wiewohl er einer von seinen Freunden war) ungern den Vorzug eingestand, war der Mann, durch den sie ihre Absichten am gewissesten zu erreichen hoffte. Er hatte für Danaen vom ersten Anblick an eine heftige Leidenschaft gefaßt, welche durch den Widerstand, den er in ihrem Vorurtheile für seinen Freund gefunden, nur desto heftiger geworden war. Zwanzig andere befanden sich ungefähr in dem nämlichen Falle: aber Alcibiades hatte sie alle in einer gewissen Entfernung gehalten. Sein Abenteuer mit der Tänzerin Pannychis erneuerte ihre Ansprüche. Der Gedanke, diesen ganzen Schwarm von Rivalen zu zerstreuen, und den Alcibiades selbst — der, seiner Gewohnheit nach, seinen Sieg über Danae's Herz für vollständiger ausgegeben hatte als er war — aus ihrem Andenken auszulöschen, däuchte dem schönen Ariochus würdig alle seine Reizungen gegen die nichts übels besorgende Danae aufzubieten.Aspasia, deren Verwandter er war, unterstützte seine Hoffnungen; und Danae, ohne sich selbst das was in ihr vorging recht entziffern zu können, rechtfertigte in kurzem die Vermuthungen ihrer weiseren Freundin. Ohne das Geringste von diesen zärtlichen Regungen, die allein des Namens der Liebe würdig sind, für Ariochus zu empfinden, fühlte sie sich unvermerkt von den Reizen seiner Person getroffen: und wiewohl sie den Vorsatz nicht hatte, ihm Aufmunterungen zu geben, so neigte sich doch ihr williges Ohr zu seinen verliebten Beschwörungen, und ihr Auge verweilte mit Vergnügen auf seiner Gestalt, welche — den unerklärbaren Zauber, der dem Alcibiades eigen war, ausgenommen — als Statue betrachtet, von vielen der seinigen selbst vorgezogen wurde. Ohne voraussehen zu wollen, wohin diese Sorglosigkeit sie führen könnte, überließ sie sich dem angenehmen und ihr neuen Spiele des Instincts und der Eitelkeit, welche sich vereinigten, sie über den Verlust eines Liebhabers zu trösten, dessen Betragen die hassenswürdige Abschilderung, welche ihr Aspasia von ihm gemacht hatte, so sehr zu rechtfertigen schien.Ariochus schmeichelte sich, mit jedem Tag einen neuen Vortheil über Danae's Herz erhalten zu haben, und wurde, mit aller Kenntniß unsers Geschlechts (eines Zweiges von Gelehrsamkeit, worauf er sich viel zu Gute that), nicht gewahr, daß er alle diese vermeintlichen Vortheile nicht sich selbst, sondern ganz allein eben diesem Alcibiades, den er verdrängt zu haben glaubte, zu danken hatte. Indessen würde er vielleicht am Ende durch den Irrthum der von sich selbst betrognen Danae glücklich geworden seyn, wenn Aspasia nicht abermal die Stelle ihres guten Genius vertreten hätte. Diese außerordentliche Frau wachte zu eben der Zeit, da sie ihre Untergebene auf die schlüpfrigen Wege leitete, wo die Unschuld bei jedem Schritte in Gefahr ist auszuglitschen, über jede ihrer Bewegungen, und bediente sich aller Scharfsichtigkeit, die ihr ein durchdringender Geist und eine große Kenntniß des Herzens gab, sie vor Fehltritten zu bewahren. — Warum, o Agathon! warum mußte jemals der Augenblick kommen, wo die vereinigten Verführungen des Herzens, da Einbildung und der Sinne die Wirkung ihrer Lehren unkräftig machten!"Die Männer, sagte Aspasia zu ihr, haben aus einer angemaßten Machtvollkommenheit; fur welche sie nicht den mindesten Titel aufweisen können, die ungerechteste Theilung mit uns gemacht, die sich denken läßt. Nicht zufrieden, uns von allen andern wichtigen Geschäften auszuschließen, haben sie sich sogar der Gesetzgebung einseitig bemächtiget, sie gänzlich zu ihrem eignen Vortheil eingerichtet, uns hingegen tyrannischer Weise genöthiget, Gesetzen zu gehorchen, zu denen wir unsre Einwilligung nicht gegeben haben, und die uns beinahe aller Rechte vernünftiger und freigeborner Wesen berauben. Nachdem sie alles gethan was nur immer zu thun war, um uns des bloßen Gedankens einer Empörung gegen ihre unrechtmäßige Herrschaft unfähig zu machen, sind sie unedelmüthig genug, unsrer Schwäche, die ihr Werk ist, noch zu spotten; nennen uns das schwächere Geschlecht; behandeln uns als ein solches; fordern zum Preis alles Unrechts, das wir von ihnen leiden, unsre Liebe; wenden alle nur ersinnlichen Verührungen an, uns zu überreden, daß sie ohne uns nicht glücklich seyn können; und bestrafen uns gleichwohl dafür, wenn wir sie glücklich machen. Doch in diesem einzigen Punkte find' ich sie lobenswürdig. Wir verdienen bestraft zu werden, wenn wir blöde genug sind, die Feinde unsrer Ruhe, die Tyrannen unsers Lebens, die Räuber unsrer angebornen Rechte zu lieben. Warum fühlen wir nicht die Vortheile, die uns die Natur über sie gegeben hat? Warum bedienen wir uns derselben nicht? Wir sollten das schwächere Geschlecht seyn? Sie das stärkere? Die lächerlichen Geschöpfe! Wie fein steht es ihnen an, mit ihrer Stärke gegen uns zu prahlen, da die schwächste aus unserm Mittel es in ihrer Gewalt hat, ihre Helden, ihre eingebildeten Halbgötter selbst, mit einem lächelnden oder sauren Blick zu ihren Füßen zu legen! In der Güte unsers Herzens liegt unsre Schwäche; die schönste unserer Tugenden ist es, die uns von den Unverschämten zum Verbrechen gemacht wird. — Sie das stärkere Geschlecht? Wo ist eine Fähigkeit, ein Talent, eine Kunst, eine Vollkommenheit, eine Tugend, in der sie nicht weit hinter uns zurückblieben? An Schönheit, an Reiz, an feinem Gefühl, an Behendigkeit und Feuer des Geistes, an Großmuth, sogar an Entschlossenheit und Standhaftigkeit, übertreffen wir sie unläugbar; — und ich möchte den Mann sehen, der den Muth hätte zu thun oder zu leiden, was eine Frau zu thun oder zu leiden fähig ist. Unter welchem Geschlechte haben wir die meisten und außerordentlichsten Beispiele von Thaten, die nur eine große Seele unternehmen kann? und alle diese Vorzüge — sind gleichwohl nur der Ueberrest dessen, was sie uns genommen haben! Aller Hülfsmittel zur Vervollkommnung, so viel an ihnen liegt, beraubt, haben wir nichts, als was uns die Tyrannen nicht nehmen konnten; und dieß beweis't was wir seyn würden, wenn die Erziehung, die sie uns geben, die Vorurtheile, womit sie uns fesseln, der Cirkel von Kleinigkeiten, in den sie uns einsperren, die Entwicklung und den freien Schwung unsrer Fähigkeiten nicht verhinderte. — Aber unsre Tyrannen haben uns zu bloßen Werkzeugen ihres Vergnügens herabgewürdiget. Sie fürchteten die Macht unsrer Reizungen, wenn sie durch die Vollkommenheiten des Geistes unterstützt würden; sie fühlten, daß es ihnen alsdann unmöglich seyn würde eine Herrschaft zu behaupten, zu der sie, außer der Stärke ihrer Knochen, nicht das mindeste natürliche Vorrecht haben. Kurz, es ist ihnen gelungen uns zu unterjochen; und ihre Usurpation ist durch die Länge der Zeit zu sehr befestiget, als daß die wenigen unter uns, welche durch irgend einen günstigen Zufall zum Besitz ihrer natürlichen Vorzüge gelangen, daran denken könnten die Befreiung ihres Geschlechts zu unternehmen. Alles was uns also übrig bleibt, ist, daß jede, so gut sie kann, für sich selbst sorge: und wenn sie glücklich genug gewesen ist, es so weit als Aspasia zu bringen; warum sollte sie nicht geneigt seyn, jungen Personen ihres Geschlechts, die durch vorzügliche Gaben von der Natur zu einer edlern Rolle ausgezeichnet sind, durch Mittheilung einer vielleicht theuer genug erkauften Weisheit nützlich zu werden? zumal da ihr kein andrer Weg, sich um ihre Gattung verdient zu machen, übrig gelassen ist?"Höre mich also, liebste Danae, fuhr sie fort, und sey versichert, daß das Glück deines Lebens von dem Gebrauch abhangen wird, den du von dem, was ich dir sage, machen wirst."Eine Person unsers Geschlechts, die sich mit dem zweideutigen Vorzuge begabt sieht, durch einen mehr als gewöhnlichen Grad von Liebenswürdigkeit die Augen der Männer auf sich zu heften, hat alle ihre Sorgen und Bemühungen auf den gedoppelten Zweck zu richten — sich selbst von diesen Herren der Schöpfung unabhängig zu erhalten, und so viel Gewalt über sie zu bekommen, als nur immer möglich ist. Zu dem letztern hat uns die Natur mit einer Art von bezauberten Waffen versehen, gegen welche alle ihre eingebildete Stärke und Weisheit ohne Wirkung bleibt. Hier ist der Vortheil ganz auf unsrer Seite. Aber unglücklicher Weise scheint sie, über der Sorge uns zum Angriff auf die Herzen unsrer Gegner zu bewaffnen, vergessen zu haben unsre eignen gehörig zu verschanzen. Die Vertheidigung, liebste Danae, ist unsre blinde Seite; und hier ist es, wo wir am meisten vonnöthen haben, den Fehler der Natur durch Kunst zu verbessern."Sehr reizbare Sinnen, eine warme, immer geschäftige Einbildung, und ein Herz voll sympathetischer zärtlicher Gefühle sind auf einer Seite das, was unsern größten Werth ausmacht, aber auf einer andern gerade das, was uns den Nachstellungen unsrer Feinde am gewissesten Preis gibt. Wundre dich nicht, daß ich ein so hartes Wort gebrauche: nichts ist nöthiger, als daß du dich angewöhnest, dir die Männer unter diesem verhaßten Bilde vorzustellen. Eine junge Person ist durch die Güte und Aufrichtigkeit ihres eigenen Herzens nur zu sehr geneigt, jeden der ihr liebkoset für einen Freund anzusehen. Da sie, in glücklicher Eintracht mit der ganzen Natur, lauter wohlwollende Blicke um sich herwirft: woher sollte sie in einem Geschöpfe, dessen Annäherung ihr Herz in so angenehme Regungen setzt, dessen Worte sich so sanft in ihre Seele einschmeicheln, den Zerstörer ihrer Glückseligkeit argwohnen? Gleichwohl ist dieß die wahre Gestalt des gefallenden Betrügers; der, wenn unsre gutherzige Thorheit ihm nichts mehr zu wünschen übrig gelassen hat, von der Person, die er vorstellte, da ein einziger Hoffnung gebender Blick ihn in Entzückung setzen konnte, so verschieden ist, als es zwei Wesen von ganz verschiedner Gattung nur immer seyn können."Die sichersten Mittel, unser Herz gegen ihre Berührungen zu bewahren, sind — wenn wir sie so gut kennen lernen, daß sie uns keine Hochachtung einflößen können; denn dieß ist doch gewöhnlich die Empfindung, unter deren Schutz sie unsre Liebe erschleichen; — wenn wir eine große Meinung von der Würde unsers eignen Geschlechts und eine geringe von dem ihrigen fassen; — wenn wir ihre anmaßlichen Vorzüge auf ihren wirklichen Werth heruntersetzen, und einsehen lernen, daß es der Gipfel der Thorheit wäre, sie für die Vortheile, die sie von unsrer Unterdrückung ziehen, noch belohnen zu wollen; — wenn wir, anstatt uns selbst über die Quelle ihrer vorgeblichen Empfindungen für uns zu verblenden, aufrichtig genug sind uns zu gestehen, daß es bloß die Befriedigung ihrer Begierden oder ihrer Eitelkeit ist, was sie bei uns suchen; — wenn wir, ohne uns alberner Weise der Natur zu schämen, uns selbst über diesen Punkt eben so viel Gerechtigkeit widerfahren lassen als ihnen; — und endlich, wenn wir durch Beschäftigungen und Zerstreuungen die Schärfe unsrer Empfindlichkeit stumpfer zu machen suchen, und, indem wir unser Gemüth auf einmal so vielen und mannichfaltigen Eindrücken, als nur immer möglich ist, aussetzen, verhindern, daß kein besonderer Gegenstand sich unsrer ganzen Empfindlichkeit bemächtige."Die 'Belohnung, die uns für das Beschwerliche dieser Wachsamkeit über unser Herz entschädigt, und uns die angenehmen Täuschungen, deren wir uns berauben indem wir der Liebe entsagen, reichlich ersetzt, ist das Vergnügen, uns durch das Verdienst unsers eignen Betragens in alle Vorrechte unsers Geschlechts eingesetzt zu sehen. Denn je weniger Gewalt wir unsern Verehrern über unser Herz gestatten, je größer ist diejenige, die wir über das ihrige erlangen. Ich setze zum voraus, was sich von selbst versteht, daß wir nie zu viel Reizungen und Talente, nie zu viel Eigenschaften haben können, wodurch wir anlocken, gefallen, bezaubern, uns den Reiz der Neuheit geben, und durch die Mannichfaltigkeit und Größe der Vortheile, die sie in unserm Umgang finden, uns ihnen unentbehrlich machen können. Die ganze Theorie, von der ich dir spreche, ist nur für die Danaen und ihresgleichen gemacht. Aber außerdem, daß es uns ungleich leichter als den Männern wird, in allen Dingen die Vollkommenheit zu erreichen, sollte der gedoppelte Vortheil, den wir durch Ausbildung unsers Geistes erhalten, nicht fähig seyn, uns auch die größten Schwierigkeiten, die damit verbunden seyn könnten, übersteigen zu helfen? Die Schönheit ist ein vorgeblicher Firniß, um den Vorzügen des Geistes und den Talenten einen höhern Glanz zu geben: aber nichts ist gewisser, als daß sie von ihnen mehr zurück empfängt als sie ihnen gibt; und daß die Vorzüge eines durch schöne Kenntnisse, Philosophie und Geschmack aufgeklärten, erhöhten und verfeinerten Geistes, verbunden mit den Reizungen eines schimmernden Witzes und eines gefälligen Umgangs, hinlänglich sind, um die unbedeutendste Figur über jedes belebte Venusbild, dem diese innere Quelle mannichfaltiger und nie veralternder Reizungen mangelt, triumphiren zu machen. Die Schönheit thut ihre stärkste Wirkung beim ersten Anblick, und verliert ihre anziehende Kraft in dem Maße, wie man mit ihr bekannter wird. Ueberdieß gibt es Stunden, Tage, ganze Perioden des Lebens, wo besondere Beschaffenheiten des Leibes oder der Seele — Sättigung — Launen — erschöpfte Lebensgeister — oder Sorgen und Unruhe des Gemüths — oder ernsthafte Geschäfte — oder der Frost des Alters, allem Zauder der Schönheit Trotz bieten. Vergebens berührt die schöne Circe den von Minerva mit einem Gegenmittel versehenen Ulysses mit ihrem Zauberstab, und befiehlt ihm die Gestalt anzunehmen die sie ihm geben will: unverwandelr bleibt Ulysses vor ihr stehen, und Circe ist für ihn keine Zaubrerin, sondern eine gemeine Frau. Aber sobald ihn die Sirenen, unter feinen Schmeicheleien seiner Ruhmbegierde, zu Vergnügungen des Geistes einladen, ihm sagen, "daß sie alles wissen, was geschehen ist und geschehen wird:" — dann fühlt er einen unwiderstehlichen Hang, verliert alle Gewalt über sich selbst, und würde in die Wellen springen, um zu den Ufern dieser Seelenbezwingerinnen hinüber zu schwimmen, wenn seine Gefährten die Bande nicht verdoppelten, womit er an den Mast gebunden ist. Ich weiß nicht, ob Homer die Absicht hatte, unter diesen Bildern die Wahrheit anzudeuten, von der ich rede; aber dieß ist gewiß, daß sie sich nicht besser dazu schicken könnten, wenn er sie ausdrücklich dazu gewählt hätte. Die Schöne, welche, ohne darum weniger ein Gegenstand angenehmer Empfindungen zu seyn, den Verstand eines Liebhabers, oder — was im Grunde auf dasselbe hinaus kommt — eines Freundes zu interessiren weiß; die sich ihm durch ihren Rath in Geschäften, durch ihren Witz in Verlegenheiten, durch ihre Scherze in trübsinnigen Stunden, durch ergötzende Talente, wenn er belustiget, durch ernsthafte Gespräche, wenn er unterhalten seyn will, nothwendig machen kann; — die Schöne, die eine Schülerin und Gespielin der Musen ist, und von den Charitinnen die Gabe empfangen hat, Anmuth und Gefälligkeit über alles was sie sagt und thut zu gießen, —glaube mir, Danae, diese Schöne ist mehr Königin, als die oberste Sklavin des Despoten von Persien. Sie herrschet über die Herzen. Alles was Empfindung und Verstand hat, huldiget ihr. Die Philosophen, die Helden, die Virtuosen machen ihren Hof aus. In ihren Augen, von ihren Lippen erwartet jeder die Bestätigung seiner eignen Vorzüglichkeit. Der Dichter, der Künstler ist nicht eher mit seinem Werke zufrieden, bis er ihres Beifalls gewiß ist; und der Weise selbst erröthet nicht, sich für ihren Schüler anzugeben. Aber nicht nur über das Reich des Schönen erstreckt sich ihre Herrschaft; ihr Einfluß über diejenigen, die am Ruder der Staaten sitzen, macht sie zur ersten Bewegerin der Triebräder der politischen Welt; und öfter als es diejenigen vermuthen, die nicht in das Innere der Maschine sehen, entscheidet sie, wohl oder übel, das Schicksal der Völker."Wir sind allein, Danae — warum sollte mich eine falsche Bescheidenheit zurückhalten, dir über alles dieses mich selbst zum Beispiel aufzustellen? Die schöne Thargelia, die, nachdem sie in Ionien lange eine glänzende Rolle gespielt hatte, in Thessalien endlich einen Thron bestieg, diese Thargelia ist mir eben das gewesen, was ich dir zu seyn wünsche. Ihr Unterricht und ihr Beispiel bildeten mich. Der Ruhm, den ich mir schon zu Milet erworben hatte, bahnte mir den Weg nach Athen. Eine Frau, die mit allem, was die Männer bei unserm Geschlechte suchen, alle die Eigenschaften verband, die sie als ein Eigenthum des ihrigen anzusehen gewohnt sind, war in Athen eine Art von Wunder. Aspasia erregte die allgemeine Aufmerksamkeit; in kurzem wurde sie der Gegenstand der Bewunderung der einen und der Mißgunst der andern. Man machte ihr ein Verbrechen daraus, daß sie die edelsten und wichtigsten Personen des Staats durch den Reiz der Vergnügungen in ihr Haus zöge; und eben davon, daß es nur Personen vom ersten Rang oder von dem ausgezeichnetsten Verdienste offen war, nahm der große Haufe der Ausgeschlossenen Anlaß, ihre Sitten zu lästern. Aber sie ging ihren Weg fort, Zufrieden die ersten Männer der Nation unter ihren Freunden zu sehen, verachtete sie die Urtheile des Pöbels und die Spöttereien der Athenischen Possenspiele. Ihr Haus war eine Art von Akademie der schönsten Geister und der größten Künstler Gräciens. Staatsmänner besuchten es, um im Schooß der Musen und Grazien auszuruhen; die Anaxagoras und Sokrates, um ihre Philosophie aufzuheitern; die Phidias und Zeuxis, um schöne Ideen zu haschen; die Dichter, um ihren Werken die letzte Politur zu geben; die edelste Jugend von Athen, um sich zu bilden, oder wenigstens um sich rühmen zu können in Aspasiens Schule gebildet zu seyn. Viele der ersten Redner Griechenlands schätzten sich's zur Ehre, die Geheimnisse ihrer Kunst von Aspasien gelernt zu haben; und diese Aspasia — die in ihrem ersten Anfange nichts mehr gewesen war, als was Danae war, da der schöne Alcibiades sie aus der Werkstätte des Malers Aglaophon und den Klauen der alten Krobyle rettete — endigte damit, die Gemahlin des Perikles zu werden, und einige Jahre, ohne Diadem, unumschränkter in Griechenland zu herrschen, als ihre Lehrmeisterin Thargelia mit einem Diadem in Thessalien geherrscht hatte."Aber laß mich dir zum zweitenmal sagen, was nicht oft genug wiederholt werden kann: Aspasia würde diese edle Rolle nicht gespielt haben, würde höchstens eine Nemea, eine Theodota gewesen seyn, wenn sie weniger Meister von ihrem Herzen weniger vorsichtig in ihrer Aufführung, und (ungeachtet einer überlegten Verachtung der Urtheile des Pöbels) weniger sorgfältig gewesen wäre, sich die Hochachtung derjenigen zu erwerben, deren Beifall für den öffentlichen Bürge ist. Glaubst du, Perikles würde sich haben einfallen lassen, sie zu seiner Gemahlin zu machen, wenn er Ursache gefunden hätte, nur zu vermuthen, daß sie um einen andern Preis zu haben wäre?"Ich habe mich (fuhr Danae nach einer kleinen Pause fort) von der Gelegenheit, und von dem Eindrucke, den diese Rede in mein Gedächtniß gemacht, verleiten lassen, dir durch diesen Auszug davon eine Probe von den Discursen der Aspasia zu geben, die ich dir schriftlich mitzutheilen versprochen habe. Ihre Neigung zu mir, welche täglich zunahm, ging zuletzt so weit, daß sie mir ihre Geschichte, ohne selbst den geheimsten Theil davon auszunehmen, mit einer Offenherzigkeit vertraute, die durch Einwebung einer Menge feiner und lehrreicher Anmerkungen sie für mich unendlich interessant machte.Hier unterbrach sie Agathon um sie zu versichern, daß diese Geschichte es eben so sehr für ihn seyn würde; und er setzte hinzu, er hoffe, Danae werde sie nicht weniger als die übrigen Unterredungen der schönen Aspasia aufgeschrieben haben. Ihre Antwort gab ihm einige Hoffnung, daß sie seine Neugier vielleicht auch in diesem Stücke würde befriedigen können; und nun setzte sie, auf sein Bitten, ihre eigene Geschichte folgendermaßen fort.
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Fünfzehntes Buch.

Verfolg und Beschluß der geheimen Begebenheiten der Danae.

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Erstes Kapitel.

Aspasiens Tod. Erste Verirrung der schönen Danae.

Danae hätte in den Händen einer so vortrefflichen Frau, als die Wittwe des Perikles war, billig eine zweite Aspasia werden sollen. Man schmeichelte ihr auch in der Folge mit diesem Namen, der in ihren Augen alles was Schönes, Liebenswürdiges und Großes von einem weiblichen Wesen gedacht werden kann, in sich schließt. Aber wenn sie gleich, weder durch ihre persönlichen Eigenschaften noch durch ihr Betragen, sich einer solchen Lehrmeisterin unwürdig zeigte, so ist doch gewiß, daß die Natur eine Quelle von Schwachheit in ihr Herz gelegt hatte, die den Lehren und Warnungen der weisen Aspasia den größten Theil von ihrer Kraft benahm, und Ursache war, daß sie so weit hinter ihrem geliebten und bewunderten Urbilde zurück geblieben ist. Der Verfolg ihrer Geschichte wird mehr als zu deutliche Beweise davon enthalten.Da sie sich seit jener großen Unterredung Aspasiens Führung mehr als jemals überließ, so wurde es ihr nun [um]so viel leichter, den Anschlag des schönen Ariochus gegen sie zu vereiteln, weil die Eindrücke, die er auf sie machte, nicht stark genug waren, um bis zu ihrem Herzen einzudringen. Indessen begegnete sie ihm doch, nach Aspasiens eignem Rathe, so wohl, daß alle Welt, und sogar Alcibiades (der, ungeachtet seiner scheinbaren Sorglosigkeit, kein Auge von ihr verwandte) ihn für glücklicher hielt als er war. Ariochns selbst dachte zu gut von seinen eignen Vollkommenheiten, um nicht jeden Blick, jedes Wort, und sogar die Strenge, die man ihn erfahren ließ, zu seinem Vortheil auszulegen; und so vermehrte er den Argwohn und die Eifersucht seines Freundes durch die vertraulichen Eröffnungen, die er ihm von seinen vermeinten Progresse machte. Raum bildete sich Alcibiades ein, daß ein andrer im Begriff sey, sich eines Gutes zu bemächtigen, welches er dem Jupiter selbst nicht abzutreten entschlossen war: so kehrte seine Neigung mit verdoppelter Lebhaftigkeit wieder. Die kleine Pannychis wurde, mit eben so vielem Geräusche als womit man sie angenommen hatte, wieder abgeschafft; und, anstatt daß seine erste Liebe zu Danaen mehr Geschmack als Leidenschaft gewesen war, so schien hingegen das, was er itzt für sie empfand, oder zu empfinden vorgab, alle Kennzeichen derjenigen Art von Liebe zu tragen, die von der Göttin zu Paphos denen zugeschickt wird, welche sie für die Verachtung ihrer Macht bestrafen will. Wenn wahre Sympathie wenig oder keinen Antheil an diesen seinen Empfindungen hatte, so ist doch gewiß, daß er selbst mehr von seinem eignen Herzen betrogen wurde, als daß er den Vorsatz gehabt hätte zu betrügen. Gewohnt überhaupt alles was er wollte mit feuriger Ungeduld zu wollen, und in einem Augenblick mit der größten Leichtigkeit die Farbe des Gegenstandes anzunehmen, dem er zu gefallen wünschte, setzte er alle seine Freunde, und vielleicht sich selbst, durch eine Verwandlung in Erstaunen, die er für ein Wunder der Liebe hielt, wiewohl sie, wenn ja Liebe Theil daran hatte, gewiß nur ein Wunder seiner Eigenliebe war. Mit Einem Worte, die Furcht vor Ariochus (einem Rival, dem er eben darum weniger als irgend einem andern aufgeopfert werden wollte, weil er fähig schien ihm den Vorzug streitig zu machen) scheuchte ihn eine Zeit lang aus seinem eigenthümlichen Charakter heraus: er wurde zärtlich, aufmerksam, bescheiden; hatte keine Augen als für seine Geliebte, keinen Gedanken, den nicht die Begierde ihr zu gefallen zeugte, und (was in der That einem Wunder nahe kam) schien alle seine hohen Einbildungen von sich selbst zu den Füßen seiner Göttin niedergelegt zu haben. Zum Unglück für ihn ließ Aspasia ihre junge Freundin den kleinen Triumph, den ihre Eigenliebe über alle diese vermeinten Siege ihrer Liebenswürdigkeit zu halten bereit war, nicht ungestört genießen. Sie entwickelte ihr die wahren Ursachen davon mit so vieler Scharfsichtigkeit, daß Alcibiades (wiewohl er demungeachtet einen geheimen Fürsprecher in Danaens Herzen behielt) die Vortheile wenigstens nicht einerntete, die er sich davon hätte versprechen können.Um dir nicht mit einer wenig interessirenden Umständlichkeit beschwerlich zu seyn, begnüge ich mich zu sagen: daß Aspasia, durch ihre unermüdeten Bemühungen, den Hang ihrer Freundin zur Zärtlichkeit zu vermindern — ihre Eigenliebe (das natürliche Gegengewicht desselben) zu verstärken — ihrer Einbildung tausend Zerstreuungen zu geben — und ihre Liebhaber, durch die mannichfaltigen Operationen, wodurch einer des andern Absichten zu vernichten bemüht war, für sie zu Gegenständen einer das Herz frei lassenden Belustigung zu machen, — daß, sage ich, Aspasia durch alle diese Bemühungen so viel erhielt, daß, so lange sie lebte, keiner von den gefährlichen Leuten, von denen ihre junge Freundin umringt war, sich eines entscheidenden Vortheils über ihr Herz rühmen konnte. Alcibiades, — der niemals einen Begriff davon gehabt hatte, wie man ihm so lange widerstehen könnte, — nachdem er alles Mögliche versucht hatte, den Sieg über Aspasiens Einfluß (denn er sah nur zu wohl daß Danae alle ihre Stärke aus dieser Quelle zog) zu erhalten, that nun eben so viel um über eine Leidenschaft zu siegen, welche durch Schwierigkeiten, die sich täglich erneuerten und vermehrten, wider seinen Willen ernsthaft geworden war. Aber alle seine Bestrebungen schienen vergeblich. Je leichter es ihm die Schönen von Athen machten, je mehr sie in die Wette stritten ihn zu entschädigen: je gewisser kam er nach jeder kleinen Untreue zu seiner Unerbittlichen zurück, deren kleinste Gunstbezeugungen, weil sie alles waren was er von ihr erhalten konnte, mehr Reiz für ihn hatten, als die vollständigsten Siege, die er taglich ohne Mühe über Personen erhalten konnte, welche in ihrem Stand und Rang ein Recht zu finden glaubten, den Trieben dessen, was sie ihr Herz zu nennen beliebten, freien Lauf zu lassen. Er endigte endlich damit, allen andern Verbindungen gänzlich zu entsagen, und mit einer Regelmäßigkeit, welche Aspasien selbst in Erstaunen setzte, alle Stunden, die er den Geschäften entziehen konnte, einer Liebe zu widmen, welche nunmehr bei der armen Danae ansteckend zu werden anfing. In der That war er damals so liebenswürdig, daß ich — wiewohl ich hierin zu parteiisch seyn mag um Glauben zu verdienen — selbst itzt, nachdem meine Einbildung in mehr als zwanzig Jahren Zeit genug gehabt hat sich abzukühlen, nicht begreife, wie es möglich gewesen seyn sollte, nicht von ihm eingenommen zu werden.Aspasia — laß mich dem Andenken der vollkommensten Frau, die jemals gewesen ist, diese Thräne opfern —Aspasia starb um diese Zeit. Der Schmerz über den Verlust einer Beschützerin von so unersetzlichem Werthe verschlang eine Zeit lang alle andern Gefühle in meiner Seele. Alcibiades schien seiner selbst zu vergessen, um die Traurigkeit mit mir zu theilen, in welche sich mein erster Schmerz nach und nach auflöste. Er selbst hatte Aspasien einst geliebt; und, wiewohl ihm seine unüberwindliche Unbeständigkeit nicht gestattet hatte, ihr so zu begegnen wie sie es verdiente, so behielt er doch immer einen Grad von Hochachtung für sie, den einem Manne wie er nur eine Aspasia einflößen konnte. Die zarte, achtungsvolle Zurückhaltung, welche seit ihrem Tode in seinem Betragen gegen Danae herrschte; die aus einem selbst gerührten Herzen entspringende Theilnehmung an ihrer Traurigkeit; die Gefälligkeit; womit er sich dazu bequemte, daß Aspasia viele Tage lang der einzige Inhalt ihrer Gespräche war; kurz, ein Benehmen, worin die bescheidenste Liebe nur unter dem Schutze der zärtlichsten Freundschaft um Duldung zu bitten schien, stellte unvermerkt ein Verständniß zwischen ihnen her, an dessen Folgen Danae nicht dachte. Da sie kein Bedenken trug, ihm ihre Empfindungen für ihre verstorbene Freundin ohne einige Zurückhaltung zu zeigen: so gewöhnte sie sich unvermerkt, ihn in ihrer Seele lesen zu lassen. Alcibiades gewann täglich mehr Raum in ihrem Herzen; und da das Bedürfniß etwas zu lieben, welchem durch Aspasiens Tod seine gewohnte Nahrung entzogen war, hinzukam; wie hätte sie sich erwehren können, endlich von der Leidenschaft eines Mannes gerührt zu werden, der in ihren Augen der liebenswürdigste unter allen Sterblichen war?Es würde unfreundlich seyn, lieber Agathon, wenn ich dich mit einer Abschilderung der Glückseligkeit meiner ersten Liebe unterhalten wollte. Aber dieß bin ich doch seinem Andenken schuldig, zu gestehen, daß, so lange der süße Irrthum unsrer Herzen dauerte — und nie hatte er bei Alcibiades so lange gedauert — mein ganzes Daseyn ein einziger Augenblick von Entzücken war.Nichts scheint gewisser zu seyn, als daß die Seele, nach dem Grade der Intension womit sie liebt, sich in den Gegenstand ihrer Liebe zu verwandeln sucht. Mich dünkt, dieß ist es, was unsre Dichter durch die Fabel von der Nymphe Salmacis haben andeuten wollen. Alcibiades legte, während seine Liebe sich dem äußersten Punkt ihrer Höhe näherte, unvermerkt seinen eigenthümlichen Charakter ab, und der flatterhasteste, muthwilligste, ungezähmteste unter den Männern wurde sanft; zärtlich, empfindsam. Aber sobald auch die erste Trunkenheit der glücklichen Liebe vorüber war, trat er durch eben so unmerkliche Stufen in seine eigne Person zurück; und so verlor er wieder, was er durch Danaens Einfluß auf sein Herz gewonnen hatte.Die arme Danae, welche natürlicher Weise stärker liebte als er, mußte also auch desto mehr durch jene Wirkung der Liebe verlieren; und was sie dadurch gewann, wiewohl ich nicht so strenge seyn möchte ihm allen Werth abzusprechen, war doch in aller Betrachtung nur ein schlechter Ersatz. Alcibiades theilte ihr nach und nach so viel von seiner leichtsinnigen Fröhlichkeit — wozu er ohnehin Anlage genug in ihrer Sinnesart fand — und durch diese so viel von seiner Art zu denken mit, daß sie unvermerkt über die feinen Gränzlinien hinweg kam, in welche Aspasiens Unterricht den Plan ihres sittlichen Verhaltens eingeschlossen hatte. Die Abweichungen waren klein; aber es waren doch immer Abweichungen, wodurch sie, um so viel als sie von ihrem Urbilde sich entfernte, den Nemeen und Theodoten — mit denen sie doch verglichen zu werden erröthet hätte — näher kam.Eine der wichtigsten Folgen dieser Untreue an den Grundsätzen ihrer Lehrmeisterin, wozu der reizende Verführer sie verleitete, war wohl diese: daß sie, auch nachdem sie sich selbst nicht mehr verbergen konnte, daß alles Geistige von seiner Liebe gänzlich verraucht war, gleichwohl schwach oder leichtsinnig genug blieb, sich an dem zu begnügen, was nur für eine Nemea ein würdiges Opfer seyn konnte. Zwei Betrachtungen könnten ihr vielleicht zu einiger Entschuldigung dienen: — die eine, daß er Achtung genug für sie hegte, um das Auffallende in seinem Betragen durch sehr seine Gradationen zu vermindern; — die andre, daß ihre Neigung zu ihm niemals auf wirkliche Sympathie gegründet, sondern bloßer Geschmack war, dem die Umstände die Gestalt der Liebe gaben.Aber ich selbst. mein lieber Agathon, fühle zu sehr, daß Entschuldigungen eine schlimme Sache nicht besser machen, als daß ich von diesen einigen Vortheil zu ziehen hoffen sollte. Indessen bin ich doch der Wahrheit das Geständniß schuldig, daß dieser Irrthum nicht lange genug dauerte, um Danaen in den Augen ihres flatterhaften Liebhabers, oder (was noch schlimmer gewesen wäre) in ihren eignen verächtlich zu machen. Und, wie vielleicht kein Uebel ist, das nicht zu etwas gut seyn sollte, so diente er wenigstens dazu, daß sie unvermerkt auf den Augenblick vorbereitet wurde, der bei einem Liebhaber wie Alcibiades früher oder später nothwendig kommen mußte und daß sie die angenehme Bezauberung, unter welcher sie sich befunden hatten, mit einer Art von Gleichgültigkeit verschwinden sah, die zwar der Eitelkeit ihres Ungetreuen nicht sehr schmeichelte, aber ihm doch auch die tragischen Auftritte ersparte, womit gewöhnlich die Heldinnen verliebter Geschichten den Ausgang derselben veredeln zu können glauben.Danae war durch Aspasiens Tod ohne Zweifel zu früh einer Führerin beraubt worden, deren Aufsicht und Gewalt über ihr Herz sie vielleicht vor den Verirrungen, deren sie sich anklagen muß, bewahrt hätte. Aber wenigstens hatte diese großmüthige Freundin dafür gesorgt, daß die Noth — unter allen Ursachen, die uns in Abwege stürzen können, die grausamste — nicht die Schuld tragen möchte, wenn die junge Danae ihrer Lehren jemals vergessen sollte; und Alcibiades, der bei allen seinen Fehlern ein königliches Herz besaß, hatte Mittel gefunden, dieses Vermächtniß aus eine so edle Weise zu verdoppeln, daß er ihr keinen Vorwand ließ, seine Wohlthaten auszuschlagen. Sie sah sich dadurch im Stande, die Lebensart fortzuführen, an welche sie in Aspasiens Hause gewöhnt worden war. Aber demungeachtet wurde ihr der Aufenthalt an einem Orte, der das Grabmal ihrer Freundin in sich hielt, von dem Augenblick an verhaßt, da die Letheische Kraft der ersten Liebe zu wirken aufhörte.Ein Umstand, der ihren Entschluß, Athen zu verlassen, nothwendig machte und beschleunigte, war das Verlangen, sich dem Ungestüm des großen Haufens ihrer Liebhaber zu entziehen, welche ihre Anmaßungen wieder erneuerten, sobald es bekannt war, daß Alcibiades sich zurückgezogen habe. Die Art, wie diese Herren sich dabei benahmen, bewies ihr, wie viel sie durch ihre Schwachheit (welche, Dank ihrer eigenen Unvorsichtigkeit, ganz Athen zum Zeugen hatte) in den Augen der Welt verloren haben mußte. Diese Vorstellung war ihr um so unerträglicher, je weiter sie von dem Gedanken entfernt war, durch einen zweiten freiwilligen Fehltritt die Schuld des ersten, des gewissermaßen unvorsentzlich genannt werden konnte, zu vergrößern. Denn ungeachtet ihre Verbindung mit dem Alcibiades den Namen der Liebe, in der edelsten Bedeutung dieses Wortes, nicht verdiente: so machten doch alle die besondern Umstände, die dabei vorgewaltet hatten, daß sie als eine Ausnahme von der gemeinen Regel angesehen werden konnte. Das Herz hatte wenigstens vielen Antheil an ihrem Irrthume gehabt; und die außerordentlichen Eigenschaften ihres Besiegers entschuldigten sie einigermaßen in den Augen derjenigen, die in solchen Fällen irgend eine Entschuldigung gelten lassen. Aber was hätte sie entschuldigen können, wenn sie die Zahl derjenigen hätte vermehren wollen, welche ihre Niederlage voraussehen, den ganzen Plan ihres Verfahrens zu diesem Endzweck anordnen, und dem Wohlstande völlig genug gethan zu haben glauben, wenn sie nicht zu wissen scheinen, was nur einer gänzlichen Unerfahrenheit unbekannt seyn kann?Nicht wenige von den vornehmsten Frauen in Athen befanden sich damals in diesem Falle. Aber Danae erinnerte sich zu lebhaft wieder des Gelübdes, welches sie in ihrer ersten Jugend den Grazien gethan, und der Lehren, die sie von Aspasien empfangen hatte, um in fremden Beispielen ein Heilungsmittel wider die Verachtung ihrer selbst zu finden."Aber das Bedürfniß etwas zu lieben?" sagte Agathon. — Gestehen wir, es war ein wenig hart von ihm (wiewohl er's nur mit leiser Stimme that) diesen aus ihrem eignen Munde aufgefaßten Einwurf gegen sie geltend zu machen. Auch schien die gute Danae die ganze Grausamkeit desselben zu empfinden. Sie schwieg etliche Augenblicke; doch nicht lange genug, daß es das Ansehen hätte haben können, als ob sie auf Ausflüchte denken müsse. — Wenn Agathon noch nicht müde ist meiner Erzählung zuzuhören, versetzte sie, so wird ihm der Verfolg meiner Begebenheiten die Antwort auf eine Frage geben, welche, so natürlich sie an sich selbst ist, aus dem Mund eines Freundes unerwartet seyn könnte.Agathon fühlte die Stärke dieses Vorwurfs desto tiefer, je sanfter er war. Er war nicht mehr jung genug, um seine Sache durch Entschuldigungen schlimmer zu machen. Sie schwiegen. Er wagte es eine gute Weike nicht, Danaen anzusehen. Endlich hob er die Augen zu ihr auf, um sie mit einem von diesen Blicken, womit eine Seele die andre zu durchdringen scheint, um Vergebung zu bitten. Er sah eine Thräne in ihren schönen Augen zittern, und sank unaussprechlich gerührt zu ihren Füßen.Dieß war ein gefährlicher Augenblick! Danae fühlte es, und hatte Stärke genug, ihn nicht länger als wenige Augenblicke dauern zu lassen. Sie stand auf, indem sie zugleich seine Hand ergriff. — Sie befanden sich eben damals in einem kleinen Gartensaale, welchem hohe Gebüsche von wilden Lorbern und Myrten Schatten und Kühlung gaben. — Die Scene (wie wir schon einmal erinnerten) ist in solchen Umständen nicht gleichgültig. — Komm, Agathon, sagte sie, wir wollen unsre Psyche aufsuchen. Wir werden sie ganz gewiß mit ihren Kindern unter den Blumen sitzend finden. Ich fühle, daß ich eines solchen Anblicks vonnöthen habe.Agathon druckte zitternd ihre Hand an seinen Mund, und folgte ihr, stillschweigend, ohne Widerstand.
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Zweites Kapitel.

Danae und Cyrus.

Wir haben (so fuhr Danae, als sie sich wieder dazu aufgelegt fand, in ihrer Geschichte fort) einen Mann aus dem Gesichte verloren, der nicht die Miene hatte, aufzutreten um nur wieder zu verschwinden.Ariochus, als der erste unter des Alcibiades Freunden und als Aspasiens Erbe, hatte zu viel Veranlassung, auch nach dem Tode derselben die mit Danaen in ihrem Hause gemachte Bekanntschaft zu unterhalten — und hatte vormals schon zu viel Hoffnung glücklich bei ihr zu werden gehabt, als daß er sich nicht, vor allen andern, mit einem Vorrecht an die von seinem Freund erledigte Stelle in ihrem Herzen hätte schmeicheln sollen. Die Schwierigkeiten, die seinen erneuerten Bemühungen entgegengesetzt wurden, verdoppelten seinen Muth, so lange er sie für bloße Grimassen ansah; aber da er sie endlich fur Ernst erkennen mußte, wurde er behutsamer. Er betrachtete sie als Schlingen, wodurch man ihn dahin zu bringen hoffte, wohin Aspasia den großen Perikles gebracht hatte. Es war natürlich, daß er alles Mögliche anwandte, seine Leidenschaft um einen geringern Preis zu befriedigen. Allein, da ihm Danae mit einer Vorsichtigkeit, die der Schülerin Aspasiens würdig war, alle Gelegenheit, ihr mit einigem Schein von Wohlstand andre Vorschläge zu thun, abschnitt: so stimmte er zuletzt sein Betragen und seine Sprache auf einen solchen Ton, daß sie unrecht zu thun geglaubt hätte, ihm nicht wenigstens so gut zu begegnen, als es die scheinbare Anständigkeit seiner Absichten zu erfordern schien.Ariochus hatte den größten Theil seines Vermögens in der Nachbarschaft von Milet; und in eben dieser Gegend lag ein kleines Gut, welches Aspasia ihrer jungen Freundin hinterlassen hatte. Danae beschloß (unter dem Schutz einer ehmaligen vertrauten Freundin ihrer Wohlthäterin, welche gewöhnlich zu Milet wohnte) sich dahin zu begeben. Ariochus, welcher vermuthlich auf eine oder andere Art Vortheil davon zu ziehen hoffte, bestärkte sie in diesem Vorsatz, und half ihr die Ausführung desselben beschleunigen.Danae befand sich itzt in dem Alter, wo ihr Spiegel mit ihrer Eitelkeit so gut einverstanden war, daß sie die Lobsprüche, die man ihren Reizungen gab, für etwas mehr als Schmeicheleien halten mußte. In der That, Agathon, ich würde mir selbst noch lächerlicher scheinen als dir, wenn ich von dem, was ich damals in meinen eignen Augen war, eine Abschilderung zu machen versuchen wollte. Indessen, wenn ich mir zu viel schmeichelte, bin ich mir wenigstens die Gerechtigkeit schuldig zu sagen, daß alle, die mich sahen, es verabredet zu haben schienen, mich des Gegentheils zu überreden. Und wie hätte eine Person von zwanzig Jahren, die unter der Form bald einer Aurora oder Latona, bald einer Diana oder Venus oder einer von den Nymphen für welche sich Jupiter verwandelte, allenthalben ihr eignes Bildniß erblickte, wie hätte sie nicht in gewissen Augenblicken so vielen Versuchen zur Eitelkeit unterliegen sollen? Wie natürlich war es, wenn sie zuweilen dachte, was eine Semiramis, eine Rhodope, eine Thargelia ursprünglich gewesen, und wodurch sie sich bis zu dem, was das äußerste Ziel der menschlichen Wünsche ist, hinaufgeschwungen hatten, — daß sie sich alsdann in Träume verirrte, die zu Wünschen und aus Wünschen oft zu Entwürfen wurden! — So viel Thörichtes auch immer in allen diesen Dingen seyn mochte, so fand sie doch darin ein mächtiges Gegenmittel gegen die Versuchungen, von denen sie umgeben war, und selbst gegen das Bedürfniß etwas zu lieben, dessen du neulich erwähntest. Dieses Bedürfniß müßte außerordentlich dringend seyn, und wenigstens seinen Grund nicht im Herzen haben, wofern es nicht eine Zeit lang von Eitelkeit und Ehrbegierde überwogen werden könnte. Je mehr wir in uns selbst verliebt sind, pflegte Aspasia zu sagen, je weniger sind wir fähig etwas außer uns zu lieben. —Das Schicksal spielt zuweilen so wunderlich mit den Sterblichen, daß Danae in der Folge nahe dabei war, dasjenige erfüllt zu sehen, was sie selbst fur den ausschweifendsten Traum gehalten hatte.Um die Zeit da ich nach Asien überzugehen beschloß, machten die Cilicischen und Pisidischen Seeräuber, unter dem Schutze, den ihnen die Statthalter des Königs von Persien gegen einen beträchtlichen Antheil an ihrer Beute angedeihen ließen, die Griechischen Meere mehr als jemals unsicher. Ich hatte das Unglück, auf meiner Ueberfahrt nach Milet in die Hände eines von diesen Corsaren zu fallen. Antiochus, der mich begleitete, bezahlte meine Vertheidigung mit seinem Leben, und ich wurde als Sklavin nach Sardes verkauft, wo sich damals Cyrus, der jüngere Bruder des großen Königs, aufhielt.Die außerordentlichen Eigenschaften dieses Prinzen, sein Entwurf seinen Bruder vom Throne zu werfen, und sein unglückliches Ende sind dir bekannt. Die Natur schien sich in seiner Hervorbringung erschöpft zu haben. Eine barbarische Erziehung hatte wenig gethan seine Fähigkeiten auszubilden, und daher behielten seine Tugenden selbst etwas Wildes, das ihnen oft das Ansehen von Ausschweifungen gab. Aber die Majestät seiner Gestalt, seine außerordentliche Leibesstärke, seine Geschicklichkeit in allen kriegerischen Uebungen, seine Großmuth und Freigebigkeit, kurz das Heldenmäßige, das die Morgenländer an ihren Königen so sehr lieben, nahm die Persischen Völker dergestalt fur ihn ein, daß sie ihn allein für würdig hielten, den Thron des Cyrus, dessen Namen er führte, auszufüllen.Dieser Prinz unterhielt nach der Gewohnheit seines Landes ein zahlreiches Gynäceum, welches die Intendanten seiner Vergnügungen mit Schönheiten aus allen Gegenden der Welt anzufüllen besorgt waren. Danae hatte die Ehre, zugleich mit fünf oder sechs andern jungen Griechinnen, für diese Sammlung gekauft zu werden. Die Veränderung ihres Schicksals war zu plötzlich und zu stark, um mit Gleichgültigkeit ertragen zu werden. Gleichwohl kam ihr in diesen Umständen die Philosophie der schönen Aspasia, und (was nicht zu vergessen ist) eine Sinnesart, die sehr gut zu ihr stimmte, nicht wenig zu Statten. "Sklavin oder frei, ein schönes Weib, das seine Macht kennt und sie gelten zu machen weiß, ist allenthalben Königin wohin sie kommt," — war, wie du dich erinnerst der erste Grundsatz ihres Systems.Danaens neue Gespielen oder Rivalinnen (denn daß sie das letzte seyn würden, kündigte ihr Betragen deutlich an) kamen nicht aus Aspasiens Schule. Sie glaubten es vortrefflich gemacht zu haben, wenn sie die Sinnen ihres neuen Herrn mit allen ihren Reizen und Künsten auf einmal betrinken. Ihre Blicke, ihre Gebärden, ihr Ton, ihr Putz, erklärten ihm in der ersten Minute, da wir ihm vorgestellt wurden, ihre Absichten auf eine so unzweideutige Art, daß der Prinz keinen Augenblick zweifelhaft bleiben konnte, zu welchem Gebrauch er sie zu bestimmen hätte. Danae, in ihren Schleier eingewickelt, stand hinter den übrigen, und wurde zuletzt bemerkt: aber Cyrus schien von ihrem Anblick getroffen zu werden. Er betrachtete sie eine Weile mit einer Art von angenehmem Erstaunen, welches an einem morgenländischen Fürsten, dessen Augen sich vermuthlich an allen Arten der Schönheit satt gesehen hatten, schmeichelhaft seyn mußte. Ein Wink mit der Hand machte die Rivalinnen verschwinden, und Danae befand sich mit ihrem neuem Gebieter allein.Gebieter! — dieß Wort befand sich nicht in dem Wörterbuch einer Schülerin der Aspasia. Auch wurde Cyrus bald genug überzeugt, daß es unmöglich seyn würde, sie jemals mit der Bedeutung desselben zu versöhnen. Eine Schöne, die etwas mehr Seele hat, als vonnöthen ist um eine Bildsäule zu beleben, schien eine große Neuigkeit für ihn zu seyn. — Ich hoffe, Agathon, du erlässest mir eine genaue Umständlichkeit in der Erzählung dieser Scene, und einiger folgenden, welche der Streit zwischen den Anmaßungen eines despotischen Liebhabers und der Ungeschmeidigkeit einer freigebornen und an die vorerwähnten Grundsätze gewöhnten Griechin nothwendig veranlassen mußte. Bei Gegenständen dieser Art ist es allzu schwer seine eigne Geschichte zu erzählen, wenn man, um der Wahrheit getreu zu bleiben, sich den Schein der Parteilichkeit gegen sich selbst zuziehen muß. Agathon weiß, daß ich weit von der Thorheit entfernt bin, auf die Vorzüge, die ich der Natur und dem Glücke zu danken haben kann, einbildisch zu seyn. Und eben so wenig denke ich falsch genug, mir daraus ein Verdienst machen zu wollen, daß ich keinen Beruf in mir spürte, mit den übrigen demüthigen Werkzeugen der Vergnügungen eines üppigen Barbaren, so blendend auch immer seine Geburt und seine persönlichen Vorzüge seyn mochten, in die nämliche Classe gestellt zu werden. Genug, mein Betragen, worin Sprödigkeit und Gefälligkeit, anziehende und zurückstoßende Kräfte seltsam genug zusammen spielten, gab durch den Erfolg einen neuen Beweis von der Nichtigkeit des Systems der weiblichen Politik, wovon Aspasia in gewinnt Verstande als die Urheberin angesehen werden kann.Cyrus hätte nur der Erziehung genossen haben sollen, welche Perikles und Sokrates an den ausschweifenden Alcibiades verschwendeten, und er würde der beste unter den Fürsten geworden seyn. Seine Fehler lagen weder in seinem Kopfe noch in seinem Herzen: es waren Fehler eines zu leicht aufwallenden Blutes, oder Fehler seines Standes, seiner Nation, seiner schlechten Erziehung; und die von der letzten Art — nicht eingewurzelt genug, um nicht noch einige Verbesserung zuzulassen; zumal da ihn seine natürliche Neigung zu allem, was schön und gut und edel ist, hinzog. Es gelang also Danaen endlich, den halb erstickten Keim von zärtlicher Empfindung, den die Natur in seine Seele gelegt hatte, wieder aufleben zu machen. Cyrus, der das bloße Spiel der Sinne so lange für Liebe gehalten hatte, lernte lieben, und wurde selbst liebenswürdig.Von diesem Augenblick an war Danae die einzige Besitzerin seines Herzens; sie vermochte alles über ihn, und theilte seine Zuneigung mit keiner andern. Man sagte, sie hätte dieß zur unumgänglichen Bedingung ihrer Gefälligkeiten für ihn gemacht. Aber diejenigen, die dieß sagten oder glaubten, kannten sie nicht. Sie verstand sich besser auf ihre Vortheile, um etwas zu fordern, das ihre Gesinnungen für ihn verdächtig hätte machen müssen. Aller Antheil, den sie an der Entlassung seiner Beischläferinnen hatte, war, daß sie das Geheimniß besaß, ihm, zu eben der Zeit da sie ihm am schlimmsten zu begegnen schien, einen Grad von Hochachtung einzuflößen, den er noch für keine andre ihres Geschlechts empfunden hatte. Die Vergleichung, die er zwischen ihr und ihren Rivalinnen anstellte, war diesen nachtheilig; und er entfernte sie, weniger um Danaen ein Opfer zu bringen, als um sich selbst von beschwerlichen Gegenständen zu entledigen. Die allzu willigen Geschöpfe hatten sich an der demüthigen Ehre begnügt, seine Begierden zu erwecken; Danae hingegen ließ ihm keine Hoffnung, jemals anders als durch Gewinnung ihres Herzens glücklich bei ihr zu werden. Jene hatten höchstens nur seine Person in ihm geliebt: Danae überzeugte ihn, daß sie seine Glückseligkeit suche, an seinem Ruhm Antheil nehme, und sobald sie den Prinzen Cyrus eines so glorreichen Namens würdig sähe, alles für ihn zu thun fähig sey. Natürlicher Weise mußte seine Liebe zu ihr mit dieser Ueberzeugung von ihren Gesinnungen in gleichem Verhältnisse steigen. Eben so natürlich ging es zu, daß sie, auch nachdem sie aus Dankbarkeit und Neigung seine Liebe gekrönt hatte, sich unverändert in dem Besitz seines Herzens erhielt. Die Perserinnen konnten nicht begreifen, wie dieß ohne Zaubermittel zugehen könne. Sie wußten nicht, daß man, nachdem was bei ihnen die letzte Gunst war, noch unendlich viel zu bewilligen haben könne. Danae hatte von Aspasien (und, um aufrichtig zu seyn, von einem noch größern Meister) die Kunst gelernt, die man die Oekonomie der Liebe nennen könnte. Sie wußte Kleinigkeiten einen Werth zu geben, und verkleidete das Vergnügen in so mancherlei Gestalten, daß es immer den Reiz der Neuheit hatte. Cyrus fand in ihrem Geist, in ihrem Herzen, in ihren Talenten, in ihren Launen selbst, unerschöpfliche Quellen gegen lange Weile und Ueberdruß; aber, was das wichtigste war, er fühlte daß er besser durch sie wurde. Mit Einem Worte, sie wurde für ihn was Aspasia für Perikles gewesen war, und er gefiel sich selbst so wohl in dieser Vorstellung, daß er sie gewöhnlich nur seine Aspasia zu nennen pflegte.Gewohnt alle seine Geheimnisse, Anschläge und Sorgen mit ihr zu theilen, entdeckte er ihr auch sein Vorhaben gegen den König seinen Bruder: und Danae, nachdem sie es lange bestritten hatte, ergab sich endlich (es sey nun daß sie recht oder unrecht daran that) der Stärke seiner Gründe. In der That konnte sie die Sachen in dem Lichte, worin sie ihr dargestellt wurden, nicht anders sehen. Cyrus hatte große Beschwerden gegen Artaxerres zu führen; sein Geburtsrecht zur Krone war so unläugbar als seine persönlichen Vorzüge; die Herzen der Völker waren für ihn; man hoffte die glücklichen Zeiten des ersten Cyrus unter ihm wieder kommen zu sehen; überdieß war die Erbitterung zwischen dem König und ihm schon so weit gekommen, daß nothwendig einer von beiden das Opfer davon werden mußte. und wie wollte ich einem Manne, der das menschliche Herz so gut kennt wie Agathon, verbergen können, daß die Parteilichkeit für einen Prinzen den ich hochschätzte, und die Aussichten womit meiner Eigenliebe durch seine Entwürfe geschmeichelt wurde, mehr als hinlänglich waren, jenen Betrachtungen ein überwiegendes Gewicht zu geben? Welches Frauenzimmer würde, wenn es in ihrer Gewalt stande, den Mann, von dem sie angebetet wird, nicht zum Monarchen des Erdbodens machen?Danae, unter dem Namen Aspasia, den er ihr beigelegt hatte, begleitete den Cyrus in den Feldzug, dessen Ausgang alle ihre Hoffnungen mit seinem Leben endigte. Seine Liebe zu ihr war so groß, daß sie ihn nur mit vieler Mühe dahin bringen konnte, sie den Gefahren und der Ungewißheit seines eigenen Schicksals ausgesetzt zu sehen. Der Gedanke, daß sie im unglücklichen Falle, die Beute des ihm so sehr verhaßten Artaxerres werden könnte, war ihm unerträglich; auch erhielt sie seine Einwilligung nicht eher, bis alle mögliche Vorsicht für ihre Sicherheit gebraucht worden war. Sie folgte ihm in männlichen Kleidern. Unter ihren Begleiterinnen befand sich eine junge Griechin, die ihr an Gestalt ähnlich genug, und überdieß mit Vorzügen versehen war, welche sie im Nothfalle fähig machten, die Aspasia des Prinzen in einem Persischen Harme vorzustellen. Der unglückliche Ausgang der entscheidenden Schlacht bei Kynara machte diese Vorsicht nur allzu nothwendig. Danae hatte den Muth — oder die Schwachheit — einen Prinzen zu überleben, von dem sie so zärtlich geliebt worden, und der eines glücklichern Schicksals so würdig war. Vielleicht ist dieß der schwärzeste Flecken in ihrem ganzen Leben: — aber (setzte sie mit einem Blick hinzu, der fähig gewesen wäre einen noch schwätzern Flecken auszulöschen) ich überlasse es dem Agathon selbst, mich hierüber zu entschuldigen. — Daß Agathon etwas hierauf gesagt haben werde, läßt sich leicht vermuthen; aber es gehört nicht zur Geschichte der Danae, und wir lassen sie selbst fortreden.
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Drittes Kapitel.

Danae zu Smyrna. Beschluß ihrer Geschichte, mit dem schönen Siege, den sie über Agathon erhält.

Die List, die ich nicht weniger aus eigner Neigung, als um den geliebten Schatten eines unglücklichen Prinzen zu befriedigen, dem Artaxerres spielte, gelang vollkommen. Die schöne Milto, meine Vertraute, ging an meiner Statt in die Hände des Siegers über, flößte diesem Monarchen die heftigste Leidenschaft ein, und spielte, unter dem Namen Aspasia, viele Jahre lang zu Babylon und Ekbatana eine Rolle, welche Stoff genug für eine Milesische Fabel von zwanzig oder dreißig Büchern geben könnte. Die wahre Danae hingegen, welche von den Herrlichkeiten des Serails zu Babylon einen zu richtigen Begriff hatte, um ihre Freiheit dagegen zu vertauschen, entkam mit eben dem sonderbaren Glücke, welches alle Perioden ihres Lebens bezeichnet, erwählte Smyrna — den reizendsten Ort der Welt für eine Person, die noch nicht daran denken konnte den Vergnügungen des Lebens zu entsagen — zu ihrem beständigen Aufenthalt, und fand sich durch die Vorsorge des Prinzen Cyrus in den Stand gesetzt, unter ihrem eigenen Namen auf demjenigen Fuß daselbst zu leben, von welchem Agathon ein Augenzeuge gewesen ist.Der Name Danae, unter welchem sie sich ankündigte, und der zu Smyrna nicht unbekannt war, überhob sie der Mühe, den Neugierigen von ihrer Person nähere Rechenschaft zu geben: und ihre Lebensart besänftigte nach und nach das Vorurtheil, das dieser Name gegen sie erwecken konnte. So leicht die Fesseln gewesen waren, welche sie während ihrer Verbindung mit dem Prinzen Cyrus getragen hatte, so waren es doch Fesseln gewesen, deren Erinnerung ihr die wieder erlangte Freiheit unschätzbar machte. Diese Freiheit, von niemand als ihrem eignen Herzen Gesetze anzunehmen, war in ihren Augen ein so großes Gut, daß kein Glück in der Welt sie hätte in Versuchung setzen können, es dagegen zu vertauschen. Nur die öffentliche Hochachtung wollte sie dieser Freiheit nicht aufopfern: und so schwer es vielleicht an jedem andern Orte der Welt gewesen seyn möchte, beide mit einander zu verbinden, so wohl gelang es ihr zu Smyrna, wo der sanfteste Himmel den Geist der Gefälligkeit und der Freude über ein glückliches Volk ausgießt; welchem das Geheimniß eigen ist, die Emsigkeit mit den Vergnügungen und persönliche Freiheit mit politischer Ordnung zu vereinbaren. Ohne zu irgend einer besondern Classe zu gehören, genoß Danae des Vergnügens, für die Einzige in ihrer Art erkannt zu werden; und, es sey nun mit Recht oder Unrecht, ihre Eitelkeit fand sich durch diesen Gedanken geschmeichelt. Wenn sie Aspasien — für deren Tochter man sie zu Smyrna hielt — zu ihrem Muster nahm, so geschah es auf eine Art, die ihr den Ruhm erwarb, selbst unnachahmlich zu seyn; so wie die vorzüglichsten Schüler des Sokrates ihren Meister von so verschiedenen Seiten nachbildeten, daß jeder selbst ein Urbild wurde.Eine ihrer ersten Verrichtungen, nachdem sie sich in Smyrna festgesezt hatte, war, den Grazien einen Tempel zu bauen. — Du kennst ihn, Agathon!Hier bemühte sich die schöne Danae vergebens einen Seufzer zu unterdrücken, von dem sich ihr Herz bei diesen letzten Worten erleichterte. Agathon sah ihn, wie er sich allmählich aus ihrem schönen Busen emporarbeitete, und seufzte mit. O was für rinnerungen! — rief er, indem er mit einem Blick, in welchem alle diese Erinnerungen gemalt waren, ihre Hand ergriff.Danae — welche keinen Erinnerungen Platz lassen wollte, die ihren Entschluß hätten erschüttern können — war grausam genug keine Antwort auf diese Ausrufung zu geben, und nach einer Pause fuhr sie also fort: aber —laß uns der Wahrheit dieß Opfer bringen! — die Grazien, zu deren Priesterin sie sich weihte, waren nicht die Grazien des Pindarus; nicht die Gespielen und Begleiterinnen der himmlischen Venus; nicht die keuschen Göttinnen, denen deine Psyche als Jungfrau, als Freundin, als Gattin und als Mutter, diente. Danae erröthet weniger über das was sie war, als über den Gedanken, sich selbst oder ihrem Freunde verbergen zu wollen, wie weit sie, selbst in dem höchsten Triumphe der Liebenswürdigkeit, die man ihr damals zuschrieb, unter einer Psyche war. Die Tänzerin der Leda beleidigt die Gottheit der Grazien eben dadurch, daß sie ihren keuschen Schleier um einen solchen Charakter werfen will. So empfinde ich's itzt; und ich kann mir so gute Ursachen geben diese Empfindung zu rechtfertigen, daß ich nicht besorgen darf von ihr betrogen zu werden. Aber damals machte mich eine angenehme Täuschung der Einbildung und des Herzens anders denken.Drei oder vier Olympiaden, mein lieber Freund, können den Gesichtspunkt, woraus wir die Sachen ansehen, sehr verrücken. Wie natürlich ist es, wenn Jugend und blühende Gesundheit den Geist der Freude über uns und alles um uns her ausgießt, daß wir dann alles in einem zu milden Lichte betrachten; daß alsdann die Gränzen des Wahren und Falschen, des Guten und Bösen oft in unsern Begriffen schwimmen und in einander fließen; und daß wir uns noch viel darauf zu gute thun, wenn wir das Geheimniß gefunden zu haben glauben, die Weisheit mit den Grazien und die Grazien mit der Wollust in Eine schöne schwesterliche Gruppe zusammen zu schlingen!Zu allem diesem kam noch die begeisternde Liebe der Musenkünste, das Vergnügen, das mit der Besiegung großer Schwierigkeiten verbunden ist, und der zauberische Reiz, womit ein vielleicht bloß eingebildetes Ideal der Vollkommenheit unsre ganze Seele anzieht. Vergib mir, Agathon, wenn ich selbst itzt, da ich das Unwesentliche dieser angenehmen Verblendungen einzusehen glaube, noch schwach genug bin, mich's nicht gereuen zu lassen, daß ich — Danae war.Agathon fand nur zu viel Ursache in seinem Herzen, ihr diese Schwachheit zu vergeben. — Götter! rief er, dich's gereuen zu lassen, das liebenswürdigste unter allen Geschöpfen gewesen zu seyn! Brauchte es mehr als nur Eine Danae an jedem Orte wo Menschen wohnen, um die Erde in ein Elysium zu verwandeln?Bester Agathon! erwiederte sie, in diesem Augenblicke betrügt dich doch wohl deine Phantasie sichtbarlich! — Archytas, der mildeste Weise den ich jemals gesehen habe, würde finden, daß es an Einer Danae schon zu viel sey; und du willst ihrer unzählige?Aber wie, wenn du dich besinnest, daß die Freiheit, in welcher Danae lebte, eine Ausnahme von einem Grundgesetze der Gesellschaft macht, welche sie zu machen nicht berechtigt war, wiewohl die Sitten der Griechen solche Ausnahmen dulden? Ich wollte dir einen ganz andern Wunsch anrathen, wenn jemals die Erfüllung eines Wunsches in deine Gewalt gestellt würde. Nur eine einzige Familie, wie diese worin du itzt lebst, nur Einen Archytas, Eine Psyche, Einen Kritolaus, und, lass' mich hinzusetzen, Einen Agathon, der, von den Irrungen der Phantasie und der Empfindung zurückgekommen, weise genug geworden ist, um sich dem höchsten Schönen, der Tugend, ganz zu ergeben — nur Eine solche Familie, an jedem Orte wo Menschen wohnen; so können wir die Lykurge und Solonen ihres Amts entlassen: Plato selbst würde keine Gesetze erfinden können, welche mehr Gutes wirkten, als ein solches Beispiel der Tugend und der Glückseligkeit.Und warum, Danae, kannst du ungerecht genug gegen dich selbst seyn, dich von dieser Familie auszuschließen? sagte Agathon lebhaft. Durch deinen Beitritt würde sie vollkommen werden. Und ist nicht Danae, die in bittender Stellung die Bildsäule der Tugend umfaßt, der herrlichste Triumph der Tugend?Die Freundschaft macht dich vergessen, erwiederte sie, daß eine Person, die der Tugend so viel abzubitten hat als Danae, sich niemals selbst würdig fühlen kann, der Familie eines Archytas einverleibt zu werden. Und kannst du ihr verdenken, wenn sie zu stolz ist; als daß sie den Gedanken — alle Augenblicke vor Personen, welche nichts abzubitten haben, erröthen zu müssen — erträglich finden sollte? Glaube übrigens nicht, daß sie zu strenge gegen sich selbst sey. Sie ist nur zu sehr geneigt, den Entschuldigungen der Eigenliebe mehr als sie vielleicht sollte Gehör zu geben. In der That sah sie damals, als sie kein größeres Vergnügen kannte als über die Herzen zu herrschen, und, wie Homers Jupiter aus seinen beiden Urnen, Glück und Unglück nach Gefallen auszutheilen, freilich sah sie damals die Gegenstände ihrer itzigen Verachtung mit ganz andern Augen an. Sie gefiel sich selbst in ihren angenehmen Irrthümern. Ihr Witz webte sie in ein System, welches ihren Empfindungen zu sehr schmeichelte, um nicht für wahr gehalten zu werden. Zwar konnte sie sich selbst nicht verbergen, daß die Regel, von welcher sie die Ausnahme machte, ordentlicherweise keine Ausnahmen leide; aber sie glaubte sich gerade in dem einzigen außerordentlichen Falle zu sehen, wo eine Ausnahme stattfinden könne. Das Bewußtseyn der Tugenden, welche sie hatte weil sie ihr nichts kosteten, der guten Handlungen, die sie eben darum desto leichter, desto häufiger that, weil sie keinen andern als den gefährlichen Beweggrund des Vergnügens sie zu thun kannte — dieses Bewußtseyn beruhigte sie über die einzige Tugend, die ihr mangelte. Ja ihr Selbstbetrug ging so weit, daß sie sich nicht einmal diesen Mangel eingestand. "Gemeine Formen sind keine Regeln für große Seelen, sagte sie zu sich selbst. Ist wohl unter allen diesen ehrbaren Geschöpfen, welche mich verdammen, eine einzige, welche nicht Danae wäre, wenn sie es seyn könnte? Sie machen ihr ein Verbrechen daraus, von einem Hofe von Liebhabern umgeben zu seyn? Aber sie vergessen, daß diese Liebhaber die vortrefflichsten Männer von Ionien sind, oder, wenn sie es noch nicht waren, es in Danaens Umgang werden. Wo ist der wilde Jüngling, den sie nicht gesittet gemacht, wo ist der Verdienstlose, den sie nicht zu edeln Unternehmungen begeistert hätte? Wie viele Väter haben ihr die Tugend ihrer Söhne, wie viele Frauen das gute Betragen ihrer Männer zu danken! Wie manchen guten Bürger, wie manchen großen Mann hat sie seinem Vaterlande gegeben! Nur die Besten, nur die Verdienstvollesten und Vollkommensten konnten sich Hoffnung machen, jemals ihr Herz zu rühren; und wie viele Verwandlungen, wie manches sittliche Wunder wirkte diese Hoffnung nicht! Wo ist in ganz Smyrna, in ganz Athen, die untadelhafte Matrone, die keusche Priesterin der Diana oder Minerva, die sich rühmen könnte, der Tugend so gute Dienste geleistet zu haben?" — Ich wollte nicht dafür stehen, mein lieber Agathon, daß alles dieß sich immer im strengsten Verstande und ohne alle Ausnahmen so befunden hätte. Aber es war doch immer Wahrheit genug darin, um den Schlüssen, die sie daraus zog, Scheinbarkeit zu geben. Ueberdieß hatte sie an dem Sophisten Hippias einen Freund —O nenne mir diesen Namen nicht, rief Agathon mit Ungeduld.Gleichwohl, versetzte sie mit eben so viel anscheinendem Kaltsinn, war diese Danae, mit welcher du so große Absichten hast, schwach genug, diesen Hippias in den Fall zu setzen, daß er sich eines Sieges über ihr Herz rühmen konnte, den er nie erhalten hatte.Der Unverschämte! — rief Agathon — und hielt plötzlich inne, indem er Danaen mit Augen ansah, welche sie zu bitten schienen, daß sie ihm nicht den Schatten eines Argwohns über diesen Punkt übrig lassen möchte.Ich verstehe dich, sagte Danae mit lächelnden Augen, aber mit einem Erröthen, welches von schlimmer Vorbedeutung war — Hippias hatte kein Recht sich eines Sieges über mein Herz zu rühmen, es ist wahr — aber —Wie, Danae? Ist's möglich? — rief Agathon.O, mein bester Agathon, versetzte sie — du hast die Menschen, du hast dich selbst kennen gelernt, und du weißt nicht was möglich ist? — Was können die Umstände, was kann der Augenblick nicht möglich machen?Und was könnt' ich dir nicht vergeben, Danae! —seufzte Agathon.Zu viel Nachsicht könnte mir eben sowohl schädlich seyn als andern, antwortete Danae in einem scherzenden Tone, der nicht zu dem seinigen stimmte. Und dennoch muß ich dir sagen, Agathon, daß Hippias vielleicht nicht das Schlimmste ist, was du mir zu vergeben hättest."Nicht das Schlimmste!"Ich will sagen, nicht das, was deiner Freundin am wenigsten Ehre macht. Hippias war ein Mann von Talenten und ausgebreitetem Ruhme, dem — seine Grundsätze ausgenommen — alles Uebrige das Wort redete; der die Gabe hatte, selbst diesen Grundsätzen den lebhaftesten Anstrich von Wahrheit zu geben, und der überdieß schon lange im Besitz war, selten abgewiesen zu werden. Ein solcher Mann konnte, nach einem Umgang von etlichen Jahren, gar wohl schlau oder glücklich genug seyn, den Augenblick zu finden, der vielleicht in dem ganzen Lauf ihres beiderseitigen Lebens der einzige war, wo er durch Ueberraschung erhalten konnte, was er von ihrem Herzen nie erhalten hätte. Er hatte Unrecht, sich ein Verdienst aus einem Werke des Zufalls machen zu wollen: aber Danae würde vielleicht nicht weiser seyn als er, wenn sie sich darüber mehr Vorwürfe machen wollte, als über Schwachheiten, an denen die Ueberlegung mehr Antheil hatte."Du hast beschlossen mich zum Aeußersten zu treiben, Danae."Nein, guter Agathon; bloß, dich auf ewig einem Entwurf entsagen zu machen, der, wie du siehest, auf falsche Voraussetzungen gegründet war. Glaube nicht, daß es mir keine Ueberwindung gekostet habe, so aufrichtig zu seyn! Aber konnt' ich weniger thun, da es darauf ankam, die verwundete Einbildung eines Freundes von deinem Werthe wieder herzustellen? Wenn diese Danae, von der du so günstig dachtest, und die (um nicht ganz ungerecht zu seyn) in der That in manchem Stücke deine Meinung rechtfertiget — wenn diese Danae von dem Augenblick an, da sie durch den Tod des Cyrus wieder frei wurde, glücklich genug gewesen wäre in die Bekanntschaft einer Familie zu kommen, wie die des Archytas ist; wenn sie damals schon gedacht und gelebt hätte, wie sie jetzt thut: dann hätte sie vielleicht, ohne zu viel zu wagen, der Stimme deines Herzens und ihres eigenen Gehör geben mögen! Aber — die Götter selbst haben keine Gewalt über das was geschehen ist. Lass' es genug seyn, bester Agathon! Fordere keine umständlicheren Bekenntnisse! Unterwirf dich mit mir einem gemeinschaftlichen Schicksal; und, wenn du jemals bei der Erinnerung an unsre Liebe erröthen solltest; so erinnre dich auch, daß diese Liebe Danaens Wiederkehr zur Tugend veranlaßte. Ohne dich würde sie noch immer Danae seyn. —Aber was hälfe ihr das Glück dich gekannt zu haben, wenn du nicht großmüthig genug wärest, deine Wohlthat zu vollenden? — Von diesem Augenblick an werde ein Name nicht mehr zwischen uns genannt, der uns beide demüthiget! Lass' deine Freundin unter dem Namen Chariklea, unter dem sie hier allein bekannt ist, sich des Glückes würdig machen, die Schülerin eines Archytas und die Gespielin einer Psyche zu seyn. Und wenn du sie liebest, so freue dich mit ihr, daß sie dieses Glück in einem Alter gefunden hat, wo die Opfer, die sie der Tugend bringt, noch verdienstlich sind!Der Ton, womit sie diese letzten Worte sagte, rührte das edle Herz unsers Helden. Er glaubte die Stimme einer Gottheit zu hören, und fühlte in demselben Augenblicke, daß die bessere Seele die Oberhand in ihm gewann. Er warf sich zu ihren Füßen, ergriff ihre Hand, drückte sie an sein Herz. Die Liebe, von welcher seine Seele in diesem Augenblick brannte, war heiliges Feuer. Ja, rief er, bei dieser Hand schwör' ich es, Chariklea, der Tugend, der du dich geweiht hast, und die in diesem entscheidenden Augenblicke aus deinem Munde zu mir spricht, ewig getreu zu bleiben! Für sie, für sie allein sind unsre Herzen gemacht! Wir verirrten uns von ihr — aber nur um weiser zu werden, nur um mit desto mehr Ueberzeugung zu ihr zurückzukehren, und desto standhafter bei ihr auszuhalten. Ja, Chariklea, ich fühl' es, daß ich, indem ich hier im Angesichte des Himmels dieser geliebten Hand entsage, glücklicher bin durch das was ich dir und der Tugend aufopfre, als ich durch die Befriedigung aller eigennützigen Wünsche werden könnte! Niemals, niemals werd' ich aufhören dich zu lieben, beste Chariklea, — aber zu lieben, wie ich die Tugend liebe; mit einer Liebe, die deiner würdig, selbst die schönste der Tugenden ist.Danae, — oder, um sie nicht durch einen Namen zu beleidigen, dem sie nun auf ewig entsagt hat, — Chariklea, so angenehm ihrem mitempfindenden Herzen das schöne Feuer war, welches sie in dem Busen ihres Freundes angezündet hatte, fand doch nicht für gut, es in diesem Augenblicke zu unterhalten. Sie kannte die Gefahren solcher Aufwallungen; und ohne in die Aufrichtigkeit seiner Empfindungen den mindesten Zweifel zu setzen, wußte sie doch mehr als zu wohl, daß die Zeit noch nicht gekommen war, wo sie sich schmeicheln konnte, von einem Liebhaber für eine bloße Seele angesehen zu werden. Sie hatte nun ihren Zwecke erreicht; und die Zufriedenheit, die aus ihren schönen Augen leuchtete, bewies, daß wir nicht zu günstig von ihr urtheilten, da wir versicherten, daß ihr Betragen gegen unsern Helden wirklich ohne alle eigenützigen Absichten gewesen sey.
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Sechzehntes Buch.

Beschluß.

Erstes Kapitel.

Agathon faßt den Entschluß, sich dem Archytas noch genauer zu entdecken, und zu diesem Ende sein eigener Biograph zu werden.

Je näher Agathon mit dem Charakter des vortrefflichen Mannes bekannt wurde, in welchem sein glückliches Schicksal ihn einen zweiten Vater finden ließ, desto dringender wurde sein Verlangen, mit einem solchen Manne in ganz reinem Verhältnisse zu stehen. Zwar konnte er ziemlich sicher seyn, daß ein Archytas in seiner guten Meinung von ihm weder aus Uebereilung noch aus Schwäche zu weit gehen werde: aber er fühlte nichtsdestoweniger, daß er nicht ganz ruhig seyn könne, bis er selbst von allem, was ihn vielleicht besser scheinen machte als er in seinem eigenen Bewußtseyn war, sich vor den Augen desselben entkleidet haben würde. Mit jedem Tage, den er in seinem Hause verlebte, bestärkte er sich in der Hoffnung, durch seinen Beistand wieder zu jener heitern Stille der Seele, jenem seligen Frieden in und mit sich selbst zu gelangen, die er zu Smyrna unvermerkt verloren, und deren Verlust er zu Syrakus zwar öfters lebhaft und schmerzlich empfunden, aber, mit allem Bestreben sich in seiner neuen Vorstellungsart fest zu machen, nicht zu ersetzen vermocht hatte. Archytas, oder sonst niemand in der Welt, konnte ihn von den leidigen Zweifeln befreien, die ihm seit jenem Zeitraume die erhabenen Grundlehren der Orphischen Theosophie, in welchen er erzogen worden war, und mit ihnen die seligsten Gefühle seiner Jugend verdächtig gemacht hatten. Er betrachtete diesen ehrwürdigen Greis als einen Sterblichen, der den höchsten Punkt der Vollkommenheit, nach welchem ein menschliches Wesen streben kann, erreicht habe; ja, wenn er ihn, nach Beendigung der Geschäfte des Tages, in der Vorhalle seiner Wohnung, an den Strahlen der untergehenden Sonne, so traulich im Kreise seiner Kinder und Freunde sitzen sah, schien er ihm oft weniger ein angesessener Einwohner dieser Welt, als ein Wesen von höherer Art, ein den Menschen gewogener Genius zu seyn, der sich freundlich zu diesen guten Seelen herabgelassen, um sie durch die leise Einwirkung seiner Gegenwart in der Liebe der Weisheit und der Tugend zu befestigen, und dadurch für jede schöne Freude des Menschenlebens desto empfänglicher zu machen. Auch er glaubte schon allein dadurch, daß er ein Hausgenosse dieses göttlichen Mannes war, sich in seinem Innern mit jedem Tage besser zu befinden: aber nur um so fester wurde sein Entschluß, sich ganz vor ihm zu enthüllen, und ihm besonders von jener Veränderung in seiner moralischen Verfassung, die sich während seines Aufenthalts in Smyrna zugetragen hatte, die genaueste Rechenschaft zu geben; denn sein Herz sagte ihm, daß er seit diesem Zeitpunkt an innerem Werth eher ab- als zugenommen habe. Er konnte und wollte die Lücken, die damals im System seiner Meinungen und Ueberzeugungen entstanden waren, nicht länger unberichtigt lassen. Die Uneinigkeit, die sich unvermerkt zwischen seinem Kopf und seinem Herzen entsponnen hatte, mußte schlechterdings aufs Reine gebracht werden: und wer hätte ihn in dieser, für die Ruhe und Gesundheit seiner Seele so wichtigen Angelegenheit, sicherer leiten, ihm gewisser zu einem glücklichen Ausgang aus dem Labyrinth seiner Zweifel verhelfen können, als Archytas?Dieser Vorsatz auf der einen Seite, und auf der andern die Besorgniß, daß ihm bei einer mündlichen Erzählung, im Feuer der unvermerkt sich erhitzenden Einbildungskraft, mancher erhebliche Umstand entfallen, oder ohne seinen Willen manches in ein verschönerndes Licht, manches in einen zu dunkeln Schatten gestellt werden könnte, brachte ihn auf den Gedanken, seine Beichte schriftlich abzulegen, und die Geschichte seiner Seele in den verschiedenen Epochen seines Lebens so getreu und lebendig, als er sie in der Stille einsamer Stunden in sein Gedächtniß zurückrufen könnte, zu Papier zu bringen. Er wandte hierzu hauptsächlich die frühen Morgenstunden an, über welche ihm sein Aufenthalt auf dem Lande freie Hand ließ, und war größtentheils damit zu Stande gekommen, als das unverhoffte Wiederfinden der schönen Danae, das neue Verhältniß, worein sie sich gegen ihn setzte, und sein Verlangen, sie in die Familie des Archytas aufgenommen zu sehen, ihm zur Pflicht zu machen schien, denjenigen Theil seiner Geschichte, worin sie die Hauptrolle spielt, sorgfältiger zu bearbeiten, als er es anfangs, bei der Voraussetzung, daß die Heldin dieses erotischen Drama's in Tarent persönlich unbekannt bleiben werde, für nöthig befunden hatte. Nicht als ob er sich erlaubt hätte, der Wahrheit in diesem Theile seiner Erzählung weniger getreu zu seyn als in allen übrigen. Bei solchen Personen wie Archytas, Kritolaus, und die übrigen Glieder dieser edeln Familie, lief eine Chariklea auch als Danae keine Gefahr, durch die Aufrichtigkeit ihres Biographen zu viel zu verlieren; denn wahre Weisheit ist immer gerecht, und wahre Tugend immer geneigt, mehr Nachsicht gegen andere zu beweisen, als gegen sich selbst. Aber es kommt doch immer bei Gegenständen von so großer Zartheit sehr vieles auf die Darstellung an; und wer sollte es ihm verdenken können, wenn er den Schleier der Grazien, dessen Danae in ihrer Geschichte Erwähnung that, über einige Theile derselben warf, die einer leichten Bedeckung nicht wohl entbehren konnten? — Auf diese Weise entstand nun die von Agathon selbst ausgesetzte geheime Geschichte seines Geistes und Herzens, welche aller Wahrscheinlichkeit nach die erste und reinste Quelle ist, woraus die in diesem Werk enthaltenen Nachrichten geschöpft sind.Es währte nicht lange, bis Agathon sowohl in dem freundschaftlichen Verhältniß, in welches Chariklea durch ihn mit dem Hause des Archytas gekommen war, als in seinem eigenen Gefühle, daß er den Beistand eines solchen Freundes gegen sich selbst vonnöthen haben würde, neue Bewegungsgründe fand, sobald als möglich den Gebrauch von seiner Arbeit zu machen, um dessentwillen er sie unternommen hatte. Er suchte also nur eine bequeme Gelegenheit, und diese gab ihm Archytas selbst, da er, in einem traulichen Gespräche, worin Agathon der schönen Schwärmerei seiner Jugend mit Bedauern ihrer nicht mehr fähig zu seyn erwähnte, ihm ein Verlangen zeigte, von den Umständen und der Art und Weise, wie seine Seele von jenem hohen Ton herabgestimmt worden, recht genau unterrichtet zu seyn. Dein Wunsch, mein Vater, kommt dem meinigen entgegen, sagte Agathon: schon lange fühl' ich ein dringendes Bedürfniß, dir das Innerste meiner Seele aufzuschließen. Ich glaubte dieß durch eine schriftliche Darstellung alles dessen, was ich mir seit ihrer ersten Bildung von den verschiedenen Veränderungen, durch welche sie bisher gegangen ist, bewußt bin, vollständiger und getreuer als durch eine mündliche Erzählung, bewerkstelligen zu können. Diese Arbeit beschäftigt mich schon seit einiger Zeit; ich bin vor kurzem damit fertig geworden, und wartete nur auf einen günstigen Augenblick sie dir zu übergeben. Du kannst, versetzte Archytas, keinen bequemern erwarten, als den gegenwärtigen, da ich gerade auf mehrere Tage ohne Geschäfte bin. — Und so eilte Agathon seine Handschrift zu holen, stellte sie seinem ehrwürdigen Freunde zu, und entfernte sich mit der sichtbaren Freude eines Menschen, der sich eines drückenden Geheimnisses erledigt hat.Archytas, dessen zärtliche Theilnehmung an unserm Helden durch das Lesen dieser Papiere noch inniger wurde als sie bereits war, glaubte daraus zu sehen, daß es, um ihn auf den Weg zu bringen, auf welchem er das höchste Ziel menschlicher Vollkommenheit nicht verfehlen könnte, nur noch auf zwei Punkte ankomme: seine Liebe zu Chariklea auf immer vor einem Rückfall in die Leidenschaft für Danae sicher zu stellen; und durch unerschütterliche Gründung seines Gedankensystems über das, was die wesentlichste Angelegenheit des moralischen Menschen ausmacht, seinen Kopf mit seinem Herzen auf ewig in Einverständniß zu setzen. Jenes war, seiner Meinung nach, nur durch eine ziemlich lange Entfernung möglich, auf deren Nothwendigkeit er aber aus eigner Bewegung kommen, und wobei ein großer Zweck seinen Geist in beständiger Thätigkeit erhalten müßte: zu diesem hoffte Archytas ihm selbst um so gewisser verhelfen zu können, da er noch nie einen Sterblichen gefunden zu haben glaubte, der einen hellern Sinn für Wahrheit, mit einer so reinen Liebe zum Guten und mit einem so herzlichen Widerwillen gegen Sophisterei und Selbsttäuschung in sich vereinigt hätte, als Agathon.Dieses letztere war nun von Stund' an sein Hauptaugenmerk, und veranlaßte verschiedene Unterredungen zwischen ihm und seinem jungen Freunde, die es ohne Zweifel verdienten, denjenigen von unsern Lesern, denen es mehr um Unterricht und Besserung als um Kürzung der langen Weile zu thun ist, mitgetheilt zu werden, wenn sie — noch vorhanden wären. Daß dieß nicht der Fall ist, davon liegt die Schuld bloß an Agathon, der von allen diesen Gesprächen nur ein einziges — vermuthlich ihm selbst das wichtigste — zu Papier brachte, und der mehrerwähnten geheimen Geschichte, wovon die Handschrift (wie es scheint) sich lange Zeit bei seiner Familie erhielt, als einen Anhang beifügte. Glücklicher Weise hat eben der gute Genius, der jene für uns aufbewahrte, sich auch des letztern angenommen, und uns in den Stand gesetzt, dieses Werk mit einem Dialog zu bereichern, welchem wir wünschen, daß er allen unsern Lesern, oder doch einigen, allenfalls auch nur Einem von ihnen, eben so nützlich seyn möchte, als er unserm Helden war.
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Zweites Kapitel.

Eine Unterredung zwischen Agathon und Archytas.

Es war an einem paradiesischen Sommermorgen, als Agathon den ehrwürdigen Alten, in welchem er immer seinen guten Dämon zu sehen glaubte, in einem Saale, dessen Thüren gegen den Garten und die aufgehende Sonne offen standen, mit einem aufgeschlagnen Buch auf den Knien, allein und, wie es schien, in Gedanken sitzen sah. Er wollte aus Bescheidenheit unbemerkt vorübergehen; aber Archytas, der ihn schon von fern erblickt hatte, stand auf, rief ihm näher zu kommen, und bot sich ihm auf seinem Spaziergang zum Begleiter an.Die Wohnung, wo Archytas mit einem Theil seiner Familie sich den Sommer über aufzuhalten pflegte, war, ungeachtet ihrer geringen Entfernung von der Stadt, eine eigentliche Villa, und größtentheils mit weitläufigen Gärten umgeben, die sich auf der einen Seite in einem sanften Abhang bis zum Meerufer hinzogen, auf der andern eben so unmerklich zu einer Anhöhe emporstiegen, wo ein kleiner Tempel des Apollo, aus einem Lorberwäldchen hervorglänzend, dem Aug' einen schönen Ruhepunkt gab. Schlängelnde Gänse zwischen Hecken von Myrten, hier und da von schlanken Pappeln und weinbekränzten Ulmen unterbrochen, und mit blühenden Lauben und Moosbänken zum Ausruhen abgesetzt, führten von verschiedenen Seiten zu diesem Tempel, dessen auf Ionischen Säulen ruhende Vorhalle eine herrliche Aussicht auf die Stadt Tarent, ihren Hafen und ihren von allen Arten von Fahrzeugen, Handelsschiffen und Fischerbarken belebten Meerbusen gewährte.Du hättest mir nicht gelegner begegnen können, Agathon, sagte Archytas, indem sie einen der Gänge einschlugen, die zu dem Tempel führten; ich war eben mit dir beschäftigt, und eine Stelle deiner Lebensgeschichte, die ich schon zum zweitenmale lese, erregte das Verlangen in mir, dir die Gedanken, auf welche sie mich führte, auf der Stelle mitzutheilen. Du wirst dich erinnern, daß es dir schon mehr als Einmal begegnet ist, der schönen Schwärmerei deiner Jugend gegen mich zu erwähnen, und von dem glücklichen Zustande, worein sie dich versetzte, als von etwas, dessen unwiederbringlichen Verlust du beklagtest, zu sprechen. Wie ich finde, trug deine Versetzung aus der heiligen Stille des Delphischen Hains in das Getümmel von Athen, und eine allzu frühe Verwicklung in politische Verhältnisse und Geschäfte allerdings etwas, aber doch im Grunde nur sehr wenig zu diesem Verluste bei; denn die Unfälle, die dort auf dich zusammenstürzten, schienen vielmehr deiner Seele ihren ganzen vorigen Schwung wieder gegeben zu haben. Das Haus der schönen Danae zu Smyrna war es, wo eine fur dich ganz neue Art ben Bezauberung dein nichts Böses besorgendes Herz unvermerkt auf den Ton der Personen und Gegenstände, die dich umgaben, herabstimmte. Ich finde ein sehr treffendes Bild der Täuschung, die du damals erfuhrest, in dem Wettstreite der Sirenen und Musen, den dir Danae in den ersten Tagen einer noch schuldlosen Liebe zu hören — und zu sehen gab. Du glaubtest durch den Gesang einer Muse in den Tempel der himmlischen Aphrodite versetzt zu seyn; und in der That war es die gefährlichste aller Sirenen, die dich, an Aug' und Ohr und Herz gefesselt, ohne dein Wissen in ihre Klippen zog. Die Verwandlung, die während dieser süßen Bezauberung mit dir vorging, war in der That groß, Agathon: viel größer vielleicht — als du dir selbst vorstellst. —Du erschreckst mich, Archytas! — rief Agathon erblassend, indem er seine Augen mit verdoppelter Aufmerksamkeit und Erwartung auf das freundlich-ernste Gesicht des Alten heftete.Hier ist die Stelle, fuhr Archytas fort, deren ich vorhin erwähnte, und die mich auf diese Vermuthung gebracht hat. Du bestrebtest dich, der schönen Danae — welcher wahrscheinlich alles, was du ihr damals vorsagtest, seltsam und wunderbar genug vorkommen mußte — einen Begriff davon zu geben, wie es möglich gewesen sey, daß die Orphische Theosophie, in welcher du zu Delphi erzogen wurdest, sich deiner Seele so gänzlich habe bemächtigen können; und du thatest dieß mit Wendungen und Ausdrücken, die, wenn ich nicht sehr irre, eine Art von falscher Scham verrathen, als ob du befürchtetest, deiner Zuhörerin, wiewohl du sie damals noch nicht als die Pflegetochter Aspasiens kanntest, lächerlich zu scheinen, wenn du jener schönen Schwärmerei, wie du es nanntest, einen höhern Werth beilegtest, als sie (damals wenigstens) in ihren Augen haben konnte. Und doch hätte Orpheus und Pythagoras selbst das Wahre und Erhabne jener göttlichen Philosophie nicht stärker in so wenig Worten zusammenfassen und darstellen können, als du es in folgender Stelle thatest: — "Wie willkommen ist uns in diesem Alter eine Philosophie, welche den Vortheil unsrer Wißbegierde mit der Neigung zum Wunderbaren, die der Jugend eigen ist, vereiniget, alle unsre Fragen beantwortet, alle Räthsel erklärt, alle Aufgaben auflöset! — Eine Philosophie, die alles Todte aus der Natur verbannt, jeden Atom der Schöpfung mit geistigen Wesen bevölkert, jeden Punkt der Zeit mit Begebenheiten befruchtet, die für künftige Ewigkeiten reifen! — Ein System, in welchem die Schöpfung so unermeßlich ist als ihr Urheber; welches uns in der anscheinenden Verwirrung der Natur eine majestätische Symmetrie, in der Regierung der moralischen Welt einen unveränderlichen Plan; in allen Classen und Geschlechtern der Wesen einen einzigen Staat, in den verwickelten Bewegungen aller Dinge einen allgemeinen Ruhepunkt, in unsrer Seele einen künftigen Gott, in der Zerstörung unsers Körpers die Wiedereinsetzung in unsre ursprüngliche Vollkommenheit, und im finstern Abgrunde der Zukunft helle Aussichten in gränzenlose Wonne zeigt!" — Und von einer solchen Philosophie, Agathon, konntest du der schönen Danae sagen: "Glückliche Erfahrungen" — welche andere als die, wozu sie selber dir verholfen hatte? — "hätten dich das Schwärmende und Unzuverlässige derselben kennen gelehrt?" —Wiewohl Archytas seinem jungen Freunde diesen in eine Frage an sein Herz gehüllten Vorwurf wit einem Blick und einem Tone der Stimme machte, die ihm die Hälfte seiner Strenge benahmen: so zeigte doch Agathon durch sein Erröthen und sein niedergeschlagenes Auge, daß er dessen ganze Stärke fühle. Nur zu gewiß, sagte er, befand ich mich damals unter einem gefährlichen Zauber, da ich meine Erfahrungen mit den Schlüssen, die ich daraus zog, verwechselte, ohne gewahr zu werden, wie viel Antheil die Verführung meiner Sinne an dessen Trugschlüssen hatte. Daß die Orphischen Geheimlehren so viel von der vollen Stärke ihrer vormaligen Wirkung auf mein Gemüth verloren hatten, bewies im Grunde nichts gegen ihre Zuverlässigkeit: es war die natürliche Folge unmerklich entgegenwirkender Einflüsse, des täglichen Umgangs mit Danae und ihrer Gesellschaft, der für mich ganz neuen Welt; in der ich lebte, der neuen Sprache und Vorstellungsart, an die ich unvermerkt in ihr gewöhnt wurde, und der süßen Trunkenheit, in welche mich die Liebe zu einer in jeder Betrachtung so außerordentlichen Person gesetzt hatte. Noch itzt fühle ich mich, durch ich weiß nicht welche innere Gewalt, genöthigt zu glauben, daß es damit eben so natürlich zuging, als wenn das ganze majestätische Heer der Sterne, dessen Anblick eine in sich gesammelte Seele mit so großen Gefühlen und Ahnungen begeistert, vor der Allgewalt der emporsteigenden Sonne aus unsern Augen weggedrängt wird. Die Täuschung ist in beiden Fällen dieselbe, wiewohl wir unser Leben für die Wahrheit dessen, was wir dabei fühlen, verbürgen könnten.Weil das, was wir fühlen, für uns wirklich wahr ist, versetzte Archytas. Denn die Sterne bleiben zwar in Gegenwart der Sonne wo sie sind, und funkeln immer mit gleicher Lebhaftigkeit fort: aber da sie nicht mehr in unsre Augen funkeln, sind sie für uns erloschen. Indessen läßt sich daraus nicht folgern, wir hätten uns getäuscht als wir sie sahen. Eher ließe sich mit einigem Scheine vermuthen, daß die Sonne, deren Licht das ganze Sternenheer in unsern Augen vernichtet, ein mächtigeres Wesen sey als sie: und doch wäre auch dieser Schluß trüglich; denn der kleinste dieser Sterne würde eben so wohl vermögend seyn die Sonne aus unsern Augen verschwinden zu machen, wenn er uns näher stände als sie. Auch bedarf es, um den ganzen gestirnten Himmel auszulöschen, eben keiner Sonne: ein so armseliges Ding als eine Pechfackel, wenn sie unserm Auge nah' genug ist, vermag eben dasselbe, wo nicht mit ihrem Scheine, wenigstens mit ihrem Dampfe. Aber wir wollen der Würde unsrer Natur nichts vergeben, lieber Agathon. Auch damals, da die Fackel in Amors Hand, die deinen bezauberten Augen eine Sonne schien, das erhabene System der Orphischen Theosophie nach und nach in deiner Seele verschwinden machte, blieb doch noch etwas zurück, das ohne Zweifel, wenn du ihm getreuer gewesen wärest, und dich der ganzen Kraft, die es dir mittheilen konnte, hättest bedienen wollen, dich schon damals zum Herrn über deine Leidenschaft gemacht, und alles in deinem Innern wieder in den vorigen, oder vielmehr in einen noch bessern Stand gesetzt haben würde.O gewiß, fiel Agathon ein; denn in dem nämlichen Augenblicke, da ich schwach oder verblendet genug war, der schönen Danae mit einem so großen Siege zu schmeicheln, war dieß Etwas mächtig genug wir das Geständniß abzunöthigen, "ich fühlte, daß in jenen Ideen, — die dem sinnlichen Menschen nichts Besseres als ausschweifende Träume scheinen, wiewohl ihre Uebereinstimmung mit unsern edelsten Neigungen der ächte Stempel ihrer Wahrheit ist, — daß selbst in jenen Träumen mehr Wirklichkeit mehr Unterhaltung und Aufmunterung für unsern Geist, eine Quelle reinerer Freuden, und ein festerer Grund der Selbstzufriedenheit liege, als in allem was uns die Sinne Angenehmes anzubieten haben."Dieß fühltest du, mein Bester, sagte Archytas, — und wie hättest du nicht fühlen sollen was die gewisseste aller Wahrheiten ist? — du fühltest es selbst im Angesicht der reizenden und mit Schwärmerei geliebten Danae, und unterlagest dennoch der Versuchung, dieses so mächtige, so wohlthätige, so heilige Gefühl unbenutzt wieder erkalten zu lassen? Oder ließest du dich wohl gar durch die Sophistereien einer von Leidenschaft und Sinnlichkeit besprochenen Vernunft bereden, es für schwärmerisch und unzuverlässig zu halten?In der That, erwiederte Agathon, schwankte mein Gemüth in jenem Zeitraume zwischen zwei entgegengesetzten, gleich mächtigen Gefühlen, und ich wußte den Zwiespalt, der aus meiner veränderten Vorstellungsart in meinem Inwendigen entstanden war, zuletzt nicht anders beizulegen als durch einen gezwungnen Waffenstillstand, der eine bloße Folge der Erschöpfung beider streitenden Parteien ist, und, da der Gegenstand des Kriegs unentschieden bleibt, die Gelegenheit zu neuen Fehden immer offen läßt. Nachdem einmal jene sublimen Ideen und Grundlehren in der Zauberluft, die ich in Danaens Hause athmete, eben so viel von ihrer Macht über meine Seele verloren hatten, als Liebe und Befriedigung der feinsten und (wenn ich so sagen kann) geringsten Sinnlichkeit über sie gewann: so war es nur allzunaturlich, daß die Allgewalt gegenwärtiger wirklicher Gefühle auch die lebhaftesten Erinnerungen ehmaliger Empfindungen, deren Gegenstände außerhalb dieser sichtbaren Welt lagen, verdunkelte, und unvermerkt dem Gedanken Raum verschaffte, daß diese Empfindungen wohl nur Kinder der Phantasie, schöne Träume und süße Täuschungen einer jugendlichen, nach hoher Glückseligkeit dürstenden Seele gewesen seyn könnten. Die mannichfaltigen Vollkommenheiten der liebenswürdigen Danae, die Feinheit der Bande, womit sie mein ganzes Wesen umwickelte, die Natur meiner Liebe selbst, die mit der Liebe der Musen, mit dem reinsten Wohlgefallen an allem, was Natur und Kunst dem feinsten Geschmack Schönes zu genießen geben können, so innig verwebt war, und selbst an die edelsten Triebe und Gesinnungen des Herzens, an alles sittlich Schöne und Gute, so sanft und gefällig sich anschmiegte, — alles dieß gab unvermerkt der Einbildung immer mehr Wahrscheinlichkeit, in Danae das wirklich gefunden zu haben, was ich in den Hainen von Delphi nur geahnet, und aus Unerfahrenheit in die überirdischen Formen und Bilder, die durch die Orphischen Mysterien in meine Seele gekommen wären, gekleidet hätte. Und nun war es einer von Liebe und Vergnügen, wie du sagtest, bestochenen Vernunft ein Leichtes, die Einwürfe eines Hippias gegen die Realität jener übersinnlichen Ideen und Lehrpunkte, zumal aus den reizenden Lippen einer Danae, immer scheinbarer, und zuletzt gar unwiderleglich zu finden. Nun schien mir nichts überzeugender, als daß es Thorheit sey, von Platons überhimmlischen Gegenden — einer Welt die uns von allen Seiten verschlossen und unzugangbar ist — mehr wissen zu wollen, als daß wir nichts von ihr wissen. Unsre größte Angelegenheit (sagte ich mir) ist, zu wissen, wer wir selbst sind, wo wir sind, und wozu wir sind. Hierin führen uns unsre Sinne mit Hülfe unsrer Vernunft gerade so weit, aber nicht einen Schritt weiter, als nöthig ist um einzusehen, daß wir in diesem kurzen Daseyn unsern Wünschen und Bestrebungen kein höheres Ziel setzen können, als selbst glücklich zu seyn, und so viel Glück als möglich um uns her zu verbreiten. Weiter reicht unser Vermögen nicht. Den undurchdringlichen Schleier, der auf dem Geheimnisse der Natur liegt, aufdecken zu wollen, wäre eben so vergeblich als vermessen. Ich soll nicht wissen, weder woher ich kam noch wohin ich gehe; soll nicht wissen, wie und durch welche Kraft dieses unermeßliche All, worin ich der unbedeutende Bewohner eines Sonnenstaubes bin, zusammen gehalten wird: und so will ich denn auch nichts von dem allen wissen, was die Natur eben darum vor mir verborgen hat, weil ich nichts davon wissen soll! — Dieß, mein ehrwürdiger Freund, waren die Resultate der Vorstellungsart, die sich während meines Aufenthalts in Smyrna meines Kopfes bemächtigte, ohne jedoch weder mein Herz gänzlich zu befriedigen, noch verhindern zu können, daß nicht von Zeit zu Zeit eine geheime Stimme in mir sich gegen die Gleichgültigkeit erhob, mit welcher meine Vernunft dem Gebrauch ihrer wesentlichsten Kräfte so enge Gränzen setzte. Immer, so oft ich diese Stimme hörte, nahm ich mir vor, sobald ich wieder zu der Stille gelangen könnte, die zum Forschen in den Tiefen unsers eigenen Wesens nöthig ist, eine scharfe Untersuchung über mich selbst ergehen zu lassen, und nicht eher zu ruhen, bis ich eine völlige Harmonie zwischen meinem Kopf und Herzen wieder hergestellt hätte. Aber der Wirkungskreis, worin ich mich zu Syrakus herumtrieb, ließ mich nie zu dieser Stille kommen. Ich lebte dort in einem Elemente, das meine Vorstellungsart, so zu sagen, immer noch mehr verdickte; die neuen Erfahrungen, die ich machte, waren der Hippiassischen Theorie zu günstig, als daß die entgegenstehende nicht eher dadurch hätte verlieren als gewinnen sollen. Mein Herz blieb zwar noch immer mein einziger Führer: aber auch dieses gerieth durch allzugroße Sicherheit in Gefahr sich selbst zu täuschen; und es bedurfte des unvermutheten Besuchs, den ich von Hippias in meinem Verhaft erhielt, mich aus dem Zauberschlummer einer allzugroßen Selbstzufriedenheit zu erwecken. Denn dieser veranlaßte mich zu einer Prüfung meines Innern, wovon das Resultat war, daß ich zwar erfahrner und klüger, aber nicht besser von Syrakus weggehen würde, als ich gekommen sey. Ich fühlte nun mehr als jemals den Mangel der Unterstüzung, die ein inniges Gefühl unsers Zusammenhangs mit der unsichtbaren Welt der Tugend gibt; meine zeitherige Vorstellungsart wurde mir zweifelhaft; und wiewohl meine Ruhe nicht sehr dadurch gestört wurde, so war es mir doch zuweilen lästig, daß ich mir die Einwürfe meiner Vernunft gegen jene Lehrsätze, zu denen mein Herz eine so besondere Anmuthung hatte, auf keine befriedigende Weise aufzulösen vermögend war. In dieser Verfassung, bester Archytas, kam ich hierher; sahe dich, sahe dein Haus, dein Privatleben, dein öffentliches Leben, und war so glücklich in Verhältnisse mit dir zu kommen, die mir Gelegenheit verschafften mich zu überzeugen, daß diese moralische Vollkommenheit, die dich so hoch über alle gewöhnlichen Menschen erhebt, die Frucht eben derselben Ideen und Grundsätze ist, von denen ich noch im Hause des Sophisten zu Smyrna begeistert wurde: mit dem großen Unterschied zwischen uns, daß bei dir Weisheit ist, was bei mir schwerlich fur etwas Besseres als schöne Schwärmerei gelten konnte, da es mehr auf Gefühl und Phantasie als auf feste Ueberzeugung und deutlich gedachte Begriffe gegründet war, und daher auch in der Probe, worauf Hippias und Danae diese vermeinte Weisheit setzten, so schlecht bestand. Nun, Archytas, habe ich dir alles gesagt, was du wissen mußtest, um meinen Zustand gründlich zu beurtheilen, und zu sehen (setzte er lächelnd hinzu), ob Hoffnung da ist, mich mit mir selbst in bessere Uebereinstimmung zu bringen.Die beste Hoffnung, erwiederte Archytas in einem eben so muntern Tone, sofern (wie ich bei dir mit gutem Fug voraussehen kann) der Grund des Uebels nicht im Willen sitzt. Denn dieß haben die Krankheiten der Seele vor den körperlichen voraus, daß keine unheilbar ist sobald der Patient geheilt seyn will.Unter diesen Reden waren sie unvermerkt bei dem Tempel des Apollo angekommen, in dessen von Lorberbäumen umschatteter Vorhalle sie sich auf einen marmornen Sitz niederliessen. Der herrliche Anblick des von der Morgensonne angestrahlten Meerbusens hätte zu einer andern Zeit alle andern Bilder in Agathons Seele ausgelöscht: aber itzt zog er seinen nur flüchtig über diese prächtige Scene hinlaufenden Blick gar bald wieder zurück, um ihn auf die ernst-heitere Stirne des alten Weisen zu heften, und alle seine Sinne den Aufschlitzen zu öffnen, die er aus einem Munde erwartete, von welchem man, wie von Homers Nestor, sagen konnte:
Daß von der Zunge ihm süßer als Honig die Rede dahin floß.
Nach einer kurzen Stille fuhr Archytas fort: nichts ist gewisser, Agathon, als daß den heiligen Schleier, der das Geheimniß der Natur verhüllt, kein Sterblicher aufzudecken vermag, und daß es, wie du sagtest, thörichte Vermessenheit wäre, es versuchen zu wollen. Aber hieraus mit den Hippiassen zu folgern, was über uns sey, gehe uns nichts an, wäre der rasche Schluß einer zum Dienst der Sinnlichkeit erniedrigten Vernunft, die sich selbst ihre verlorne Würde zu verbergen sucht, und auf ihr edelstes Vorrecht Verzicht thut. Denn wer, der jenem goldenen, vom Delphischen Gotte dem Menschen empfohlnen "Erkenne dich selber" gehorsam war, könnte läugnen wollen, daß diese Vernunft, die uns über unsre thierischen Halbbrüder so hoch erhebt, noch eine edlere Bestimmung habe, als die bloße Verschönerung unsers animalischen Lebens? Unstreitig ist der Mensch, wenigstens in dieser Periode seines Daseyns, nach allen seinen Anlagen zu schließen, weniger zum Forschen als zum Thun geboren. Aber wenn ihm gleich verborgen ist und bleiben soll, woher er kam, und wohin er geht (beides vermuthlich weil es für ihn selbst so besser ist), so steht es doch in seiner Macht, zu wissen, wie und wodurch er mit dem großen Ganzen, dessen Theil er ist, zusammenhängt, und wie er handeln muß, um seiner Natur gemäß zu handeln, und seine Bestimmung im Weltall zu erfüllen. Lass' ihn immerhin nur einen beseelten Atom auf einem Planeten seyn, der selbst nur ein Atom im Unendlichen ist: der Geist, der in diesem Atom webt und wirkt, strebt mit seinen Gedanken über Raum und Zeit empor, und ist stark genug, mit seiner Kraft einer über ihm zusammenstürzenden Welt Trotz zu bieten. Seine Sinne begränzen sich, so zu sagen, selbst, und scheinen ihn in den engen Kreis der Thierheit einzuschließen: aber wo sind die Gränzen der Kraft und Thätigkeit jenes Geistes, der ihm Erde und Meer unterwürfig gemacht hat? des Geistes, der ihm Mittel entdeckt hat, in tausend Fällen die Unzulänglichkeit des äußern Sinnes zu ersetzen, die Irrthümer desselben zu berichtigen, und selbst im Umfang der sichtbaren Natur, der durch ihn unermeßlich erscheint, der wirklichen Beschaffenheit der Dinge viel näher zu kommen, als der bloße Sinn vermögend ist?Doch lass' es auch seyn, daß in der sichtbaren Welt das Meiste für uns Täuschung, alles nur Erscheinung ist; lass' seyn, daß wir mit unsern äußerlichen Sinnen so wenig in das innere Wesen der Dinge als in Platons überhimmlische Gegend dringen können: liegt nicht unserm innern Sinn eine unsichtbare Welt in uns selbst aufgedeckt, deren Gränzen noch kein Sterblicher erflogen hat? Und was liegt uns näher, geht uns mehr an, als diese nur dem Auge des Geistes anschauliche Welt unsrer eigenen Gefühle, Gedanken, Ahnungen, Triebe und Bestrebungen, in deren Mitte unser geistiges Ich, wie ein Gott im Chaos, Gesetze gibt, Licht werden heißt, das Verschiedene trennt, das Gleichartige zusammenordnet, Wirkungen mit Ursachen, Mittel mit Zwecken verbindet, und indem er so, vermöge seiner gottähnlichen Natur, das Viele und Mannichfaltige immer zu Einem zu verbinden, und das Besondere dem Allgemeinen, das Zufällige dem Nothwendigen, das Geringere dem Bessern, unterzuordnen beschäftigt ist, von Ursache zu Ursache, von Zweck zu Zweck, von System zu System, als auf einer von der Erde über die Wolken emporsteigenden Leiter, sich bis zur Idee eines alles umfassenden allgemeinen Systems und eines alles belebenden, allem gesetzgebenden, alles erhaltenden und regierenden Geistes zu erheben fähig ist? Hier, in diesem heiligen Kreise, Agathon, liegt unser wahres, höchstes, ja, genau zu reden, einziges Interesse; dieß ist der Kreis unsrer edelsten und freiesten Thätigkeit; hier, oder nirgends müssen wir die Wahrheit suchen, die uns zum sichern Leitfaden durch diese Sinnenwelt dienen soll; und hier ist für den, der sie redlich sucht, keine Täuschung möglich!Diese Redlichkeit gegen mich selbst, dieß unverwandte innere Streben, dem was ich für den Zweck meines Daseyns erkenne genug zu thun, ist das, was deine Liebe zu mir nur sehr uneigentlich Vollkommenheit nennt —denn diese ist ein Ziel, das wir nie ergreifen werden, wiewohl wir ihm ewig nähern. — Aber es ist hinlänglich dein Zutrauen zu rechtfertigen; und mir selbst legt es die Pflicht auf, dir den ganz einfachen Weg vorzuzeichnen, auf welchem ich zu diesem Frieden mit mir selbst und der ganzen Natur, zu dieser mitten im Getümmel der Welt sich immer erhaltenden, nur selten durch vorübergehende Wolken leicht beschatteten Heiterkeit der Seele, und zu dieser Ruhe, womit ich dem Ende eines langen, immer beschäftigten Lebens entgegenstehe, gelangt bin, die von allem was ich besitze das Einzige sind, was ich mein nennen kann, und denen ich den reinen Genuß alles andern Guten zu danken habe.
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Drittes Kapitel.

Darstellung der Lebensweisheit des Archytas.

Meine erste Jugend, Agathon, hat dieß mit der deinigen gemein, daß ich in den Grundbegriffen und Maximen der Pythagorischen Philosophie die in der Hauptsache von der Orphischen wenig unterschieden ist; erzogen wurde. Durch sie erhielt ich also insofern meine erste Bildung, als ihre Grundlehren eine besondere Empfänglichkeit in meiner Seele antrafen, auf welche es außerdem schwer war einen bleibenden Eindruck zu machen: aber demungeachtet kann ich sagen, daß ich zu meiner Theorie der Lebensweisheit auf einem ganz praktischen Wege gekommen bin. Von meiner Kindheit an war Aufrichtigkeit und ein tödtlicher Haß gegen Verstellung und Unwahrheit der stärkste Zug meines Charakters. Zu diesem gesellte sich gar bald ein ihm gleichartiger, eben so lebhafter Abscheu vor allem, was ich für unrecht und unbillig hielt, sollte es auch nur ein gering geachtetes Thier oder selbst ein lebloses Ding betroffen haben. Dieser entschiedene Hang für Wahrheit und Recht, der noch nicht durch die Nachsicht gemildert war, die wir den Fehlenden schuldig sind, zog mir viel Unangenehmes in und außer dem väterlichen Hause zu; und weil man keine Rücksicht auf die Wärme nahm, womit ich jedes Unrecht; das andern widerfuhr, fast noch stärker empfand als ob es mir selbst geschehen wäre, so setzte sich unvermerkt die Meinung fest; daß ein hartherziger, ungefälliger und hoffärtiger Mensch aus mir werden würde. Ich hatte daher unter den Knaben meinen Alters nicht nur keinen Freund, sondern gewöhnlich vereinigten sich bei jeder Gelegenheit alle gegen mich: und so wurde ich, wiewohl es mir nicht an Neigung zur Geselligkeit fehlte, genöthigt mich in mich selbst zurückzuziehen, und beinahe alle meine Unterhaltung in dem Fleiße zu suchen, womit ich vorzüglich den mathematischen und mechanischen Wissenschaften oblag, die ich, der Schärfe ihrer Beweise und des Gebrauchs wegen, der sich von ihnen bei so vielerlei Verrichtungen des Lebens machen läßt, allen andern vorzog, deren Nutzbarkeit weniger in die Augen fiel.So wie ich an Verstand und Alter zunahm, bildete sich durch die Aufmerksamkeit auf mich selbst, an die ich so früh gewöhnt worden war, auch die vorhin erwähnte Anlage meines Charakters aus: die Liebe zur Wahrheit machte, daß ich nichts so sehr scheute, als besser zu scheinen als ich mich selbst fühlte; die Liebe zur Gerechtigkeit, daß ich mich immer sorgfältiger hütete, andern durch rasche Urtheile oder zu scharfe Strenge Unrecht zu thun. Aber was ich am stärksten scheute, war, durch eine zu schmeichelhafte Meinung von meinem eignen Werthe mich selbst zu hintergehen; und das Gefühl, vor mir selbst Unrecht zu haben, wurde der empfindlichste Schmerz, dessen ich fähig war: lieber hätte ich die schärfste körperliche Pein erduldet, als einen Vorwurf von meinem eignen Herzen. Zu meinem Glücke trug ich einen Angeber in meinem Busen, dessen Wachsamkeit nicht der kleinere Fehltritt entging, und einen Richter, der sich durch keine Ausflüchte oder Entschuldigungen der Eigenliebe bestechen ließ. Ich mußte mich also, um Friede vor ihnen zu haben, der möglichsten Unsträflichkeit befleißigen; und so bewirkte die Scheu vor mir selbst, was bei vielen keine andere Furcht erzwingen kann.Ich hatte kaum das zwanzigste Jahr zurückgelegt, als ein Krieg, der zwischen den Tarentinern und einem benachbarten Volke ausbrach, mir zur Pflicht machte, mit andern Jünglingen meines Alters ins Feld zu ziehen. Ich diente, wie es unsre Gesetze fordern, von unten auf, und zog mir durch mein Verhalten im Lager sowohl, als bei allen gefährlichen Gelegenheiten woran ich Theil nehmen mußte, die Aufmerksamkeit und den Beifall meiner Obern zu. Die Ruhmbegierde, die dadurch in mir erweckt wurde, durch die Grundtriebe meines Charakters geleitet und beschränkt, spornte mich zu mehr als gewöhnlichen Anstrengungen. Ich that mich hervor: und wiewohl das Feuer, womit ich, mehr als Einmal, um einen meiner Cameraden zu retten, mein eignes Leben wagte, mir die Liebe der Menge zu erwerben schien; so zeigte sich doch bei Gelegenheit, daß nur wenige mir das öffentliche Lob und die Preise, die ich mehrmals von unsern Obern erhielt, verzeihen konnten. Aber auch unter den letztern waren einige, auf deren Söhne oder Anverwandte die öffentliche Meinung von meinen Vorzügen einen Schatten warf, der ihre Eitelkeit beleidigte, oder ihren Entwürfen nachtheilig seyn mochte; und diese ermangelten nicht, mir bei jedem Anlaß Beweise ihres bösen Willens zu geben. Man stellte meine Handlungen in ein falsches Licht, verkleinerte meine Verdienste, machte mich für fremde Fehler verantwortlich, kurz, man ließ nichts unversucht, was meine Ruhmbegierde abzukühlen und meinen Diensteifer zu ermüden und abzuschreiben dienen konnte. Der Verdruß, der bei diesen Kränkungen mein Gemüth bald empörte, bald verdüsterte, war um so lebhafter, da ich aus eignem Gefühle nichts von Neid wußte, und mir nicht vorstellen konnte, wie gerade das, was einem Menschen Achtung und Liebe erwerben sollte, ihm Haß und Verfolgung zuziehen könne. Indessen wußte mein guter Genius auch diese Widerwärtigkeiten zu meinem Besten zu kehren. Diese Ruhmbegierde, welcher ich mich bisher mit zu vieler Sicherheit überlassen hatte, und die mir itzt so oft die peinlichste Unruhe verursachte, wurde vor Gericht gefordert, um die Gültigkeit ihrer Ansprüche und Beschwerden untersuchen zu lassen; und es befand sich, daß sie nicht zu Recht bestehen konnten. Was hat die Ungerechtigkeit andrer Menschen mit deiner Pflicht zu schaffen? sagte der Richter in meinem Busen: wie? du thust also deine Schuldigkeit als Bürger, du handelst edel und großmüthig als Mensch, um durch fremden Beifall dafür belohnt zu werden? Erröthe vor dir selbst! Willst du die Ruhe deines Gemüths vor den Pfeilen des Neides sicherstellen, so strebe nach jeder Tugend, jedem Verdienst, weil es deine Schuldigkeit ist! Thue bei jeder Aufforderung zum Handeln das Beste, was dir möglich ist, weil du nicht weniger thun könntest, ohne einen Vorwurf von deinem eignen Herzen zu verdienen: und laß dir an dem Bewußtseyn genügen deine Pflicht gethan zu haben, andere mögen es erkennen oder nicht! — Ich fühlte die Wahrheit und Gerechtigkeit dieses Urtheils, und bestrebte mich von diesem Augenblick an, jede Empfindlichkeit über Beleidigungen meiner Eigenliebe zu ersticken, und eben so gleichgültig gegen unverdiente Demüthigung, als bescheiden bei verdientem Ruhme zu bleiben.Auf diese Weise, lieber Agathon, bildete und befestigte sich mein moralischer Charakter, bevor ich mich noch in mir selbst gedrungen, oder von außen veranlaßt fand, über die theoretischen Grundsätze, in welchen ich erzogen war, und an denen ich mehr durch Gefühl und Glauben als durch wissenschaftliche Ueberzeugung hing, schärfer nachzudenken. Als der Friede in meinem Vaterlande wieder hergestellt war, unternahm ich eine Reise nach Griechenland, Asien und Aegypten. Ich ließ mich in den Mysterien von Eleusis und Samothrake, und zu Sais in den geheimen Orden der Isis und des Osiris iniziiren, und machte zufälligerweise Bekanntschaft mit verschiedenen Philosophen und Sophisten von Profession, deren Lehrsätze von den Pythagorischen weit abgingen, und von welchen einige durch die Subtilität ihrer Unterscheidungen in Begriffen, worin ich nichts mehr zu unterscheiden fand, und durch die scheinbare Stärke ihrer Einwürfe gegen Sätze, die ich immer als ausgemacht angenommen hatte, meine bisherige Sicherheit über diese Dinge um so mehr zu beunruhigen anfingen, da ich eben so wenig aufgelegt war einen Schüler als einen Antagonisten dieser spitzfindigen Vernünftler abzugeben. Mein entschiedner Widerwille gegen alles was nach Sophisterei schmeckte, und gegen alle Speculationen, die mir ins praktische Leben keinen Einfluß zu haben schienen, oder das Gemüth nur in einen Labyrinth von Zweifeln führten, um es ihm dann selbst zu überlassen wie es sich wieder herausfinden könnte, hatte mich immer von subtilen Nachforschungen über bloß intelligible Gegenstände entfernt. Aber die Ideen von einem allgemeinen System der Wesen; von einem unendlichen Geiste, der diesen unendlichen Körper beseelt, und einer unsichtbaren Welt, die der Typus der sichtbaren ist; von Gott als dem obersten Gesetzgeber dieser beiden Welten; von der ewigen Fortdauer aller Bürger der Stadt Gottes, und von den Stufen, aus welchen die verschiedenen Classen der Wesen sich dem unerreichbaren Ziele der Vollkommenheit ewig nähern: diese erhabenen Ideen waren mir immer wichtig gewesen, hatten stark auf mein Gemüth gewirkt und, da sie durch die Pythagorische Erziehung zu Glaubenspunkten bei mir geworden waren, sich mit meiner ganzen Vorstellungsart so verwebt, daß es mir itzt, da ich dem Grund ihrer Wahrheit nachforschen sollte, beinahe eben so vorkam, als ob man mir zumuthete den Grund von meinem eigenen Bewußtseyn anzugeben. Indessen sah ich scharfsinnige und gelehrte Männer, denen diese Ideen unerweislich, andere, denen sie schwärmerisch und chimärisch vorkamen; und je mehr ich die Welt kennen lernte, desto augenscheinlicher bewies mir der ungeheure Contrast der gemeinen Vorstellungsart und Lebensweise der Menschen mit derjenigen, die unmittelbar aus jenen Ideen folgt, wie unendlich klein die Zahl derjenigen seyn müsse, die von der Wahrheit derselben überzeugt genug wären, um sie zum Regulativ ihres Lebens zu machen. Gleichwohl schienen unsere weisesten Gesetzgeber, so wie die Stifter unsrer ehrwürdigsten Mysterien, sie als etwas Ausgemachtes angenommen, und entweder von ihnen ausgegangen zu seyn, oder auf sie hingeführt zu haben. Von jeher glaubten die besten unter den Menschen an sie, und lebten nach Maximen, die sich auf diesen Glauben gründeten. Und du selbst, sagte ich mir, würdest du den deinigen um irgend einen Preis aufgeben wollen? dich nicht für höchst unglücklich halten, wenn es jemals einem Sophisten gelingen könnte, dich zu bereden, daß er Täuschung sey? Wäre dieß, wenn diese Ideen nicht in dem Innersten deiner Natur gegründet wären? Und sind sie dieß, sollte es wohl so schwer seyn, bloß mit Hülfe des allgemeinen Menschenverstandes bis auf ihren Grund zu kommen?Ich beschloß mich von dieser Möglichkeit durch die That selbst zu überzeugen."Die Wahrheit, sagte ich zu mir selbst, die für alle wahr und allen unentbehrlich ist, die den Menschen zu seiner Bestimmung, zu dem was für ihn das höchste Gut ist führen soll, kann nicht in dem Brunnen des Demokritus versenkt liegen; sie kann kein Arcanum seyn, dessen Besitz die Natur einigen Wenigen ausschließlich anvertraut hätte, und welchem zu Liebe man nach Memphis oder Sais, oder zu den Gymnosophisten am Ganges reisen müßte. Sie muß uns allen nahe genug liegen, um durch bloße Aufmerksamkeit auf uns selbst, durch bloßes Forschen in unsrer eignen Natur, so weit das Licht in uns selbst den Blick des Geistes dringen läßt, gefunden zu werden."Das erste, was die auf mich selbst geheftete Betrachtung an mir wahrnimmt, ist, daß ich aus zwei verschiedenen und einander entgegengesetzten Naturen bestehe: einer thierischen, die mich mit allen andern Lebendigen in dieser sichtbaren Welt in Eine Linie stellt; und einer geistigen, die mich durch Vernunft und freie Selbstthätigkeit unendlich hoch über jene erhebt. Durch jene hange ich auf tausendfache Weise von allem, was außer mir ist, ab, bin den Bedürfnissen, die allen Thieren gemein sind, unterworfen, und selbst in der thätigen Aeußerung meiner Triebe an die Gesetze der Bewegung, der Organisation und des animalischen Lebens durch eben dieselbe Nothwendigkeit gefesselt, welcher jedes andere Thier unterthan ist. Durch diese fühle ich mich frei, unabhängig, selbstthätig, und bin nicht nur Gesetzgeber und König einer Welt in mir selbst, sondern auch fähig, mich bis auf einen gewissen Grad zum Herrn über meinen Körper und über alles andere, was innerhalb der Gränzen meines Wirkungskreises liegt, zu machen."Natürlicherweise wird durch diese wunderbare, mir selbst unerklärliche Vereinigung zweier so ungleichartiger Naturen, die thierische auf tausendfache Weise veredelt, die geistige hingegen, die ihrer Natur nach lauter Kraft, Licht und Feuer ist, abgewürdigt, verdüstert, erkältet, und, um mich eines sehr passenden Platonischen Bildes zu bedienen, durch die Verwicklung in die niedrigen Geschäfte und Bedürfnisse des Thiers, wie ein Vogel der an der Leimruthe hängen blieb, verhindert, ihren natürlichen freien Flug zu nehmen, und sich in ein reineres Element zu gleichartigen Wesen aufzuschwingen."Gleichwohl, da nun einmal diese Vereinigung das ist, was den Menschen zum Menschen macht: worin anders könnte die höchste denkbare Vollkommenheit der Menschheit bestehen, als in einer völligen, reinen, ungestörten Harmonie dieser beiden zu Einer verbundenen Naturen? — Eine Vollkommenheit, welche, wie unerreichbar sie auch mir, und vermuthlich jedem andern Menschen seyn mag, dennoch, insofern ich sie durch getreue Anwendung der Mittel, die in mir selbst liegen, befördern kann, das unverrückte Ziel meiner ernstlichsten Bestrebung seyn muß."Wenn aber eine solche Harmonie unter irgend einer Bedingung stattfinden kann, so ist es gewiß nur unter dieser, daß der thierische Theil meines Wesens von dem geistigen, nicht umgekehrt der leztere von dem erstern, regiert werde; denn was kann widersinniger seyn, als daß der Blinde den Sehenden führe, und der Verständige dem Unverständigen gehorche? Diese Unterordnung ist um so gerechter, weil der thierische Theil bei der Regierung des vernünftigen keine Gefahr läuft, und nicht die geringste Beeinträchtigung in seinen rechtmäßigen Forderungen von ihm zu besorgen hat: indem dieser zu gut erkennt, was zum gemeinsamen Besten des ganzen Menschen erfordert wird, um dem thierischen Theil etwas zu versagen, was die Natur zu einer Bedingung seiner Erhaltung und seines Wohlseyns gemacht hat. Das Thier hingegen weiß nichts von den höhern Bedürfnissen des Geistes; es kümmert sich nichts darum, ob sein unruhiges Bestreben jede seiner Begierden zu befriedigen den Geist in edlern Geschäften und reinern Vergnügungen beeinträchtiget, und ist so wenig geneigt, seinen eigennützigen Forderungen Ziel und Maß setzen zu lassen, daß es sich vielmehr jeder Einschränkung entgegen sträubt, und, sobald die Vernunft einschlummert oder den Zügel nicht fest genug hält, sich einer Willkürlichkeit und Oberherrschaft anmaßt, wovon die Zerrüttung der ganzen innern Oekonomie des Menschen die unfehlbare Folge ist."Da nun dieß (wie die Erfahrung zeigt) der Fall — wo nicht bei allen, doch gewiß bei der ungleich größern Zahl der Menschen auf dem ganzen Erdboden ist, und von jeher gewesen zu seyn scheint; und da nicht nur die allgemein anerkannte sittliche Verdorbenheit, sondern selbst der größte Theil der physischen Uebel und Leiden, die das Menschengeschlecht drücken und peinigen, nothwendige Folgen dieser Herrschaft des thierischen Theils unsrer Natur über den geistigen sind, und der schändlichen Dienstbarkeit, zu welcher die Vernunft sich nur zu leicht bequemt, wenn der Sirenengesang der Leidenschaften einmal den Eingang zu unserm Herzen gefunden hat: so folgt hieraus, als eine Regel, die — ohne Rücksicht auf mögliche, seltne Ausnahmen — mit gutem Fug für allgemein gelten kann: "daß ein rastloser Kampf der Vernunft mit der Sinnlichkeit, oder des geistigen Menschen mit dem thierischen, das einzige Mittel sey, wodurch der Verderbniß unsrer Natur und den Uebeln aller Arten, die sich aus ihr erzeugen, abgeholfen werden könne; und daß dieser innerliche Krieg in jedem Menschen so lange dauern müsse, bis das zum Dienen geborne Thier die weise und gerechte Herrschaft der Vernunft anerkennt und willig dulden gelernt hat." — Eine Bedingung, wozu das thierische Ich, dessen Thätigkeit immer nur seine eigene Befriedigung zum Zweck hat, schwerlich auf eine andere Art zu bringen ist, als wenn das geistige durch jede mögliche Verstärkung seiner Kraft und Energie eine ganz entschiedene Uebermacht gewonnen hat."Wenn dieß, wie ich innigst überzeugt bin, Wahrheit ist, so habe ich von diesem Augenblick an kein dringenderes Geschäft, als mich zu diesem Endzweck aller Kräfte und Hülfsquellen, die in der Natur meines Geistes liegen, in ihrer ganzen Stärke bedienen zu lernen; und nun begreife ich erst, warum der Delphische Apollo (hierin das Organ der höchsten Weisheit die zu allen Menschen spricht) denen, die in seinen Tempel eingehen, nichts Wichtigeres zu empfehlen wußte, als: kenne dich selbst! Denn worin anders als in dieser Unbekanntheit mit der hohen Würde unsrer Natur mit der unendlichen Erhabenheit des Unsichtbaren in uns über das Sichtbare, und mit der unerschöpflichen Stärke unsrer bloß durch Nichtgebrauch so wenig vermögenden Geisteskraft worin anders liegt die erste Quelle aller unsrer Uebel? — Ich entschlage mich hierbei jeder Untersuchung die aus Mangel eines festen Grundes, worauf die Vernunft fußen könnte, sich in bloße Hypothesen verliert. Woher es auch komme — es sey nun, daß die Seele, wie Plato sagt, durch den Sturz aus jenen überhimmlischen Gegenden (dem Element ihres vorigen Lebens) in die Materie, wo sie in einen irdischen Körper gefesselt wird, betäubt, nur langsam und stufenweise wieder zur Besinnung kommen könne; oder daß die Schwäche des kindischen Alters, die langsame und meistens sehr mangelhafte Ausbildung des Instruments, von dessen Tauglichkeit und reiner Stimmung ihre eigene Entwicklung größtentheils abhängt, und die übrigen Umstände, deren Einfluß sich bei den meisten auf ihr ganzes Leben erstreckt, hinlänglich sey, jene traurige Erfahrung zu erklären — genug, die Sache selbst liegt am Tage. Nur die Unkunde seiner eigenen Natur und Würde kann den Geist in einen so unnatürlichen Zustand versetzen, daß er, anstatt zu herrschen, dient; anstatt sich vom Stoffe loszuwinden, immer mehr in ihn verwickelt wird; anstatt immer höher emporzusteigen, immer tiefer herabsinkt; anstatt mit Götterspeise sich zu nähren, an thierischen Genüssen oder leeren Schaugerichten sich genügen läßt. Aber selbst in diesem schmählichen Zustande dringt sich ihm ein geheimes Gefühl seiner höhern Natur wider Willen auf; er ist weit entfernt sich in seiner Erniedrigung wohl zu befinden; er macht sich selbst Vorwürfe über jede seiner unwürdige Gefälligkeit gegen die Tyrannen, deren Ketten er sich zu tragen schämt, und die ewige Unruhe in seinem Innern, das stete Bestreben sein eigenes Bewußtseyn zu übertäuben, das häufige Wechseln der Gegenstände seiner Begierden und Leidenschaften, das ewige Sehnen nach einem unbekannten Gute, dessen er bei jeder Veränderung vergebens habhaft zu werden hofft, beweiset überflüssig, wie wenig Befriedigung er in jenen Genüssen findet, und daß keine Glückseligkeit für ihn ist, so lang' ihm ihre reinste Quelle im Grunde seines eigenen Wesens verborgen und verschlossen ist."Wohl mir, sagte ich bei diesen Betrachtungen zu mir selbst, daß ein Zusammenfluss günstiger Umstände, Erziehung, Unterricht, frühzeitige Anstrengung des Geistes, und Aufmerksamkeit auf die Stimme meines guten Dämons mich davor bewahrt haben, diese unglücklichen Erfahrungen an mir selbst zu machen! Wohl mir, daß weder ein überwiegender Hang zur Sinnlichkeit, noch irgend eine andre selbstsüchtige Leidenschaft, die Liebe zur Wahrheit, und das Bestreben den Beifall des Richters in meinem Herzen zu verdienen, in mir überwältigte! Aber darf ich mir darum schmeicheln, die Oberherrschaft der Vernunft in mir sey nun auf immer so fest gegründet, daß es keiner Vorsicht gegen den vielleicht nur versteckten Feind bedürfe, der, gerade wenn ich mich seiner am wenigsten versehe, aus irgend einem Hinterhalt hervorbrechen, und mein unbesonnenes Selbstvertrauen zu Schanden machen könnte? Ich habe die Laufbahn des Lebens kaum begonnen — Geburt, Erziehung, Verhältnisse und die Erwartung meiner Mitbürger bestimmen mich zu den öffentlichen Geschäften meines Vaterlandes — tausend Gelegenheiten, wo meine Rechtschaffenheit, meine Geduld, meine Gewalt über mich selbst, meine Beharrlichkeit im Guten aus unerwartete Proben gesetzt werden mögen, stehen mir bevor — mancher schwere Kampf, vielleicht mit einem mir noch unbekannten Gegenkämpfer in meinem Busen, oder doch gewiß mit den Leidenschaften, Irrthümern und Lastern andrer Menschen, mit welchen mein Lauf in der Republik oder meine Verhältnisse im bürgerlichen Leben mich verwickeln werden, und — was von allen Gefahren vielleicht die gefährlichste ist — der Geist der Welt, die unmerkliche Ansteckung herrschender Beispiele, Vorurtheile und Gewohnheiten! — Werde ich auf einer so schlüpfrigen Bahn nie ausglitschen? unter so mancherlei Geschäften, Sorgen und Zerstreuungen, bei einer so vielfach getheilten Aufmerksamkeit auf die Dinge außer mir, die Aufmerksamkeit auf mein Inneres nie verlieren? unter dem lärmenden Getümmel von außen die Stimme der Weisheit, die leisen Warnungen meines guten Dämons nie überhören? — Es ist so schwer emporzusteigen, so leicht herabzuschlüpfen; und auf der Bahn, die ich zu gehen entschlossen bin, kommt man durch bloßes Stillstehen schon zurück! — O gewiß, Archytas, hast du jede mögliche Verstärkung, die deinem Willen eine auf immer entschiedene Uebermacht geben kann, gewiß hast du ein System von Lebensweisheit vonnöthen, das auf einem Grunde stehe, den keine entgegenwirkende Kraft weder von außen noch innen zu erschüttern vermögend sey!"Aber warum solltest du suchen was du bereits gefunden hast? Oder wie wolltest du unter den Träumereien müßiger Grübler, oder in den Schulen geschwätziger Sophisten, die aus ihrer Denkkraft eine gymnastische Kunst machen, und stolz darauf sind, mit gleicher Fertigkeit und gleichem Erfolg heute für die Ideen des Parmenides, morgen für die Atomen des Leucippus zu fechten, wie solltest du bei ihnen eine bessere Norm deiner ganzen innern Verfassung, einen sicherern Leitfaden durch den Labyrinth des Lebens, ein edleres Ziel deines Daseyns, mehr Aufmunterung und Kraft zur Tugend, und einen festern Grund guter Hoffnungen finden können, als in den Grundlehren eben dieser erhabenen Weisheit, in welcher du erzogen wurdest? Den Glauben, "daß dieses unermeßliche Weltall — worin die Vernunft, sobald ihr reiner Blick durch keine zufällige Ursache verdüstert ist, selbst in den bloßen Schattenbildern der wesentlichen Dinge, die durch die äußern Sinne in den innern fallen, einen so genauen Zusammenhang von Ursache und Wirkung, Mittel und Endzweck, eine so schöne Einfalt in der unerschöpflichsten Mannichfaltigkeit, im ewigen Streit der verschiedensten Elemente und Zusammensetzungen so viel Harmonie, im ewigen Wechsel der Dinge so viel Einförmigkeit; bei aller anscheinenden Verwirrung so viel Ordnung, im Ganzen einen so reinen Zusammenklang aller Theile zu Einem gemeinschaftlichen Zweck wahrnimmt, — nicht das Werk eines blinden Ungefährs oder mechanisch wirkender plastischer Formen sey, sondern die sichtbare Darstellung der Ideen eines unbegränzten Verstandes, die ewige Wirkung einer ewigen geistigen Urkraft, aus welcher alle Kräfte ihr Wesen ziehen, eine einzige nach einerlei Gesetz regierte Stadt Gottes, deren Bürger alle vernünftige Wesen, deren Gesetzgeber und Regierer die Gerechtigkeit und Weisheit selbst, deren ewiges Grundgesetz gemeinschaftliches Aufstreben nach Vollkommenheit ist."Je mehr ich diesen großen, alles umfassenden Gedanken durchzudenken strebe, je völliger fühle ich mich überzeugt, daß sich die ganze Kraft meines Geistes in ihm erschöpft, daß er alle seine wesentlichen Triebe befriedigt, daß ich mit aller möglichen Anstrengung nichts Höheres, Besseres, Vollkommneres denken kann, und — daß eben dieß der stärkste Beweis seiner Wahrheit ist. Von dem Augenblick an, da mir dieser göttlichste aller Gedanken, in der ganzen Klarheit, womit er meine Seele durchstrahlt, so gewiß erscheint, als ich mir selbst meiner vernünftigen Natur bewußt bin, fühle ich, daß ich mehr als ein sterbliches Erdenwesen, unendlich mehr als der bloße Thiermensch bin, der ich äußerlich scheine; fühle, daß ich durch unauflösliche Bande mit allen Wesen zusammenhange, und daß die Thätigkeit meines Geistes, anstatt in die traumähnliche Dauer eines halb thierischen Lebens eingeschränkt zu seyn, für eine ewige Reihe immer höherer Auftritte, immer reinerer Enthüllungen, immer kraftvollerer, weiter gränzender Anwendungen eben dieser Vernunft bestimmt ist, die mich schon in diesem Erdenleben zum edelsten aller sichtbaren Wesen macht.Von diesem Augenblick an fühle ich, daß der Geist allein mein wahres Ich seyn kann, daß nur seine Geschäfte, sein Wohlstand, seine Glückseligkeit, die meinigen sind; daß es Unsinn wäre, wenn er einen Körper, der ihm bloß als Organ zur Entwicklung und Anwendung seiner Kraft und zu Vermittlung seiner Gemeinschaft und Verbindung mit den übrigen Wesen zugegeben ist, als einen wirklichen Theil seiner selbst betrachten, und das Thier, das ihm dienen soll, als seinesgleichen behandeln wollte; aber mehr als Unsinn, Verbrechen gegen das heiligste aller Naturgesetze, wenn er ihm die Herrschaft über sich einräumen, oder sich in ein schnödes Bündniß gegen sich selbst mit ihm einlassen, eine Art von Centaur aus sich machen, und die Dienste, die ihm das Thier zu leisten genöthigt ist, durch seiner selbst unwürdige Gegendienste erwiedern wollte.Von diesem Augenblick an, da mein Rang in der Schöpfung, die Würde eines Bürgers der Stadt Gottes, die mich zum Genossen einer höhern Ordnung der Dinge macht, entschieden ist, gehöre ich nicht mir selbst, nicht einer Familie, nicht einer besondern Bürgergesellschaft, nicht einer einzelnen Gattung, noch dem Erdschollen, den ich mein Vaterland nenne, ausschließlich an; ich gehöre mit allen meinen Kräften dem großen Ganzen an, worin mir mein Platz, meine Bestimmung, meine Pflicht, von dem einzigen Oberherrn, den ich über mir erkennen darf, angewiesen ist. Aber eben darum, und nur darum, weil in diesem Erdenleben mein Vaterland der mir unmittelbar angewiesene Posten, meine Hausgenossen, Mitbürger, Mitmenschen, diejenigen sind, auf welche meine Thätigkeit sich zunächst beziehen soll, erkenne ich mich verbunden, alles mir Mögliche zu ihrem Besten zu thun und zu leiden, sofern keine höhere Pflicht dadurch verletzt wird. Denn von diesem Augenblick an sind Wahrheit, Gerechtigkeit, Ordnung, Harmonie und Vollkommenheit, ohne eigennützige Rücksicht auf mich selbst; die höchsten Gegenstände meiner Liebe; ist das Bestreben, diese reinsten Ausstrahlungen der Gottheit in mir zu sammeln und außer mir zu verbreiten, mein letzter Zweck, die Regel aller meiner Handlungen, die Norm aller Gesetze, zu deren Befolgung ich mich verbindlich machen darf. Mein Vaterland hat alles von mir zu fordern, was dieser höchsten Pflicht nicht widerspricht: aber sobald sein vermeintes Interesse eine ungerechte Handlung von mir forderte, so hörten für diesen Moment alle seine Ansprüche an mich auf, und wenn Verlust meiner Güter, Verbannung und der Tod selbst auf meiner Weigerung stände, so wäre Armuth, Verbannung und Tod der beste Theil den ich wählen könnte.Kurz, Agathon, von dem Augenblick an, da jener große Gedanke von meinem Innern Besitz genommen hat und die Seele aller meiner Triebe, Entschließungen und Handlungen geworden ist, verschwindet auf immer jede Vorstellung, jede Begierde, jede Leidenschaft, die mein Ich von dem Ganzen, dem es angehört, trennen, meinen Vortheil isoliren, meine Pflicht meinem Nutzen oder Vergnügen unterordnen will. Nun ist mir keine Tugend zu schwer, kein Opfer, das ich ihr bringe, zu theuer, kein Leiden um ihrentwillen unerträglich. Ich scheine, wie du sagtest, mehr als ein gewöhnlicher Mensch; und doch besteht mein ganzes Geheimniß bloß darin, daß ich diesen Gedanken meines göttlichen Ursprungs, meiner hohen Bestimmung, und meines unmittelbaren Zusammenhangs mit der unsichtbaren Welt und dem allgemeinen Geist, immer in mir gegenwärtig, hell und lebendig zu erhalten gesucht habe, und daß er durch die Länge der Zeit zu einem immerwährenden leisen Gefühl geworden ist. Fühle ich auch (wie es kaum anders möglich ist) zuweilen das Loos der Menschheit, den Druck der irdischen Last, die an den Schwingen unsers Geistes hängt, verdüstert sich mein Sinn, ermattet meine Kraft, — so bedarf es nur einiger Augenblicke, worin ich den schlummernden Gedanken der innigen Gegenwart, womit die alles erfüllende Urkraft auch mein innerstes Wesen umfaßt und durchdringt, wieder in mir erwecke, und es wird mir, als ob ein Lebensgeist mich anwehe, der die Flamme des meinigen wieder ansagt, wieder Licht durch meinen Geist, Wärme durch mein Herz verbreitet, und mich wieder stark zu allem macht, was mir zu thun oder zu leiden auferlegt ist.Und ein System von Ideen, dessen Glaube diese Wirkung thut, sollte noch eines andern Beweises seiner Wahrheit bedürfen als seine bloße Darstellung? Ein Glaube, der die Vernunft so völlig befriedigt, der mir sogar durch sie selbst aufgedrungen wird, und dem ich nicht entsagen kann ohne meiner Vernunft zu entsagen; ein Glaube, der mich auf dem geradesten Wege zur größten sittlichen Güte und zum reinsten Genuß meines Daseyns führt, die in diesem Erdenleben möglich sind; ein Glaube, der, sobald er allgemein würde, die Quellen aller sittlichen Uebel verstopfen, und den schönen Dichtertraum vom goldnen Alter in seiner höchsten Vollkommenheit realisiren würde; — ein solcher Glaube beweiset sich selbst, Agaton! und wir können alle seine Gegner getrost auffordern, einen vernunftmäßigern und der menschlichen Natur zuträglichen aufzustellen. Wirf einen Blick auf das, was die Menschheit ohne ihn ist, — was sie wäre, wenn sich nicht in den Gesetzgebungen, Religionen, Mysterien und Schulen der Weisen immer einige Strahlen und Funken von ihm unter den Völkern erhalten hätten, — und was sie werden könnte, werden müßte, wenn er jemals herrschend würde, — was sie schon allein durch bloße stufenweise Annäherung gegen dieses vielleicht nie erreichbare Ziel werden wird: und alle Zweifel, alle Einwendungen, die der Unglaube der Sinnlichkeit und die Sophisterei der Dialektik gegen ihn aufbringen können, werden dich so wenig in deiner Ueberzeugung stören, als ein Sonnenstäubchen eine vom Uebergewicht eines Centners niedergedrückte Wagschale steigen machen kann.Ich kenne nur einen einzigen Einwurf gegen ihn, der beim ersten Anblick einige Scheinbarkeit hat; den nämlich, daß er zu erhaben für den großen Haufen, zu rein und vollkommen für den Zustand sey, zu welchem das Schicksal die Menschheit auf dieser Erde verurtheilt habe. Aber, wenn es nur zu wahr ist, daß der größte Theil unsrer Brüder sich in einem Zustande von Rohheit, Unwissenheit, Mangel an Ausbildung, Unterdrückung und Sklaverei befindet, der sie zu einer Art von Thierwelt zu verdammen scheint, worin dringende Sorgen für die bloße Erhaltung des animalischen Lebens den Geist niederdrücken und ihn nicht zum Bewußtseyn seiner eignen Würde und Rechte kommen lassen: wer darf es wagen, die Schuld dieser Herabwürdigung der Menschheit auf das Schicksal zu legen? Liegt sie nicht offenbar an denen, die aus höchst sträflichen Bewegursachen alle nur ersinnlichen Mittel anwenden, sie so lange als möglich in diesem Zustande von Thierheit zu erhalten? — Doch, diese Betrachtung würde uns jetzt zu weit führen. — Genug, wir, mein lieber Agathon, wir kennen unsre Pflicht: nie werden wir, wenn Macht in unsre Hände gegeben wird, unsre Macht anders als zum möglichsten Besten unsrer Brüder gebrauchen; und wenn wir auch sonst nichts vermögen, so werden wir ihnen, so viel an uns ist, zu jenem "Kenne dich selbst" behülflich zu seyn suchen, welches sie unmittelbar zu dem einzigen Mittel führt, wodurch den Uebeln der Menschheit gründlich geholfen werden kann. Freilich ist dieß nur stufenweise, nur durch allmähliche Verbreitung des Lichtes, worin wir unsre wahre Natur und Bestimmung erkennen, möglich: aber auch bei der langsamsten Zunahme desselben, wofern es nur zunimmt, wird es endlich heller Tag werden; denn so lange die Unmöglichkeit einer stufenweise wachsenden Vervollkommnung aller geistigen Wesen unerweislich bleiben wird, können wir jenen trostlosen Cirkel, worin sich das Menschengeschlecht, nach der Meinung einiger Halbweisen, ewig herumdrehen soll, zuversichtlich für eine Chimäre halten. Bei einer solchen Meinung mag wohl die Trägheit einzelner sinnlicher Menschen ihre Rechnung finden; aber sie ist weder der Menschheit im Ganzen zuträglich, noch mit dem Begriffe, den die Vernunft sich von der Natur des Geistes macht, noch mit dem Plane des Weltalls vereinbar, den wir uns, als das Werk der höchsten Weisheit und Güte, schlechterdings in der höchsten Vollkommenheit, die wir mit unsrer Denkkraft erreichen können, vorzustellen schuldig sind; und dieß um so mehr, da wir nicht zweifeln dürfen, daß die undurchbrechbaren Schranken unsrer Natur, auch der der höchsten Anstrengung unsrer Kraft, uns immer unendlich weit unter der wirklichen Vollkommenheit dieses Plans und seiner Ausführung zurückbleiben lassen.Auch der Einwurf, daß der Glaube einer Verknüpfung unsers Geistes mit der unsichtbaren Welt und dem allgemeinen System der Dinge gar zu leicht die Ursache einer der gefährlichsten Krankheiten des menschlichen Gemüthes, der religiösen oder dämonistischen Schwärmerei, werden könne, ist von keiner Erheblichkeit. Denn es hängt ja bloß von uns selbst ab, dem Hange zum Wunderbaren die Vernunft zur Gränze zu setzen, Spielen der Phantasie und Gefühlen des Augenblicks keinen zu hohen Werth beizulegen, und die Bilder, unter welchen die alten Dichter der Morgenländer ihre Ahnungen vom Unsichtbaren und Zukünftigen sich und andern zu versinnlichen gesucht haben, für nichts mehr als das was sie sind, für Bilder übersinnlicher und also unbildlicher Dinge anzusehen. Verschiedenes in der Orphischen Theologie, und das Meiste, was uns in den Mysterien geoffenbaret wird, scheint aus dieser Quelle geflossen zu seyn. Diese lieblichen Träume der Phantasie sind dem kindischen Alter der Menschheit angemessen, und die Morgenländer scheinen auch hierin, wie in allem Uebrigen, immer Kinder bleiben zu wollen. Aber uns, deren Geisteskräfte unter einem gemäßigtern Himmel und unter dem Einfluß der bürgerlichen Freiheit entwickelt, und durch keine Hieroglyphen, heilige Bücher und vorgeschriebene Glaubensformeln gefesselt werden, — uns, denen erlaubt ist, auch die ehrwürdigsten Fabeln des Alterthums für — Fabeln zu halten, liegt es ob, unsre Begriffe immer mehr zu reinigen, und überhaupt von allem, was außerhalb des Kreises unsrer Sinne liegt, nicht mehr wissen zu wollen, als was die Vernunft selber davon zu glauben lehrt, und als für unser moralisches Bedürfniß zureicht. Die Schwärmerei, die sich im Schatten einer unbeschäftigten Einsamkeit mit sinnlichgeistigen Phantomen und Gefühlen nährt, läßt sich freilich an einer so frugalen Beköstigung nicht genügen; sie möchte sich über die Gränzen der Natur wegschwingen, sich durch Ueberspannung ihres innern Sinnes schon in diesem Leben in einen Zustand versetzen können, der uns vielleicht in einem andern bevorsteht; sie nimmt Träume für Erscheinungen, Schattenbilder für Wesen, Wünsche einer glühenden Phantasie für Genuß; gewöhnt ihr Auge an ein magisches Helldunkel, worin ihm das volle Licht der Vernunft nach und nach unerträglich wird, und berauscht sich in süßen Gefühlen und Ahnungen, die ihr den wahren Zweck des Lebens aus den Augen rücken, die Thätigkeit des Geistes einschläfern, und das unbewachte Herz wehrlos jedem unvermutheten Anfall auf seine Unschuld Preis geben. Gegen diese Krankheit der Seele ist Erfüllung unsrer Pflichten im bürgerlichen und häuslichen Leben das sicherste Verwahrungsmittel; denn innerhalb dieser Schranken ist die Laufbahn eingeschlossen, die uns hienieden angewiesen ist, und es ist bloße Selbsttäuschung, wenn jemand sich berufen glaubt, eine Ausnahme von diesem allgemeinen Gesetze zu seyn. Die reine, einfache, ganz und allein auf das Bedürfniß unsers Geistes gegründete Theosophie der Pythagoräer setzt uns unmittelbar in diese Laufbahn; und, weit entfernt uns von den Geschäften des Lebens abzuziehen, unterweiset und übt sie uns vielmehr in der besten Art sie auszurichten, und bewaffnet uns mit moralischen Kräften, die uns jede Tugend, jede Selbstüberwindung, jedes Opfer das wir der Pflicht zu bringen haben, nicht nur möglich, sondern sogar leicht und natürlich machen. Meine Erfahrung, liebster Agathon, gibt mir das Recht hierüber so zuversichtlich zu sprechen. Wenn ich in fünfzig den öffentlichen Angelegenheiten meines Vaterlandes aufgeopferten Jahren, worin ich alle Stufen durchgegangen und fünfmal die höchste Würde unsrer leland , Agathon, iii. 21 Republik in Krieg und Frieden bekleidet habe, nie müde wurde meine Schuldigkeit zu thun, wie mannichfaltig und hartnäckig auch der Widerstand war, den ich zu bekämpfen hatte; wenn ich jeden Wechsel des Glücks und der Volksgunst mit Mäßigung und Geduld ertrug, und aus jeder Prüfung meiner Rechtschaffenheit reiner und geläuterter hervorging; wenn endlich, wie ich mit frohem Herzen sagen kann, die allgemeine Liebe und das unbegränzteste Vertrauen meiner Mitbürger die einzige, wiewohl in meinen Augen die reichste Belohnung ist, die ich mit meinen Diensten gewonnen habe: so sagt mir mein innerstes Bewußtseyn, daß ich nicht dazu hätte gelangen können, wenn meine Kräfte nicht immer durch den Glauben an dieses geistige Band, das mich mit einer höhern Ordnung der Dinge, mit der allgemeinen Stadt Gottes und mit der Gottheit selbst verknüpft, — genährt, ermuntert, gestillt, und in besondern Lagen sogar über ihr gewöhnliches Maß erhöhet worden wären. Indessen darf ich nicht vergessen, hinzuzusetzen, daß mir in dem langen Laufe meines Lebens vornehmlich zwei Maximen zu Statten gekommen sind, ohne welche dieser Glaube seine ganze Wohlthätigkeit nicht erweisen, ja vielmehr in manchen Fällen eher nachtheilig wirken könnte. Die erste war: bei jeder Aufforderung der Pflicht eben so zu handeln und meiner selbst so wenig zu schonen, als ob alles bloß auf meine eigenen Kräfte ankäme, und nur nach gewissenhaftester Erfüllung dieser Bedingung mich eines höhern Beistandes gewiß zu halten; die zweite: ungeachtet meines Glaubens an den Zusammenhang unsers gegenwärtigen Lebens mit einem zukünftigen, welches den Schlüssel zu allem, was uns in jenem unerklärbar ist, enthält — mein gegenwärtiges Leben als ein Ganzes zu betrachten, ihm eine eben so große Wichtigkeit beizulegen, und allem, was meine jetzigen Verhältnisse von mir forderten, eben so sorgfältig genug zu thun, kurz, so viel möglich, jeden Augenblick desselben eben so wohl und weislich anzuwenden, als ob mein ganzes Daseyn auf die Dauer dieses Erdenlebens eingeschränkt wäre. Du wirst, bei eigenem Nachdenken, diese Maximen in der Anwendung auf die gemeinen und täglichen Pflichten des Lebens so reich an praktischem Nutzen finden, Agathon, daß ich nicht nöthig habe, sie dir als die heilsamsten Mittel gegen eine gewisse subtile Schwärmerei, die uns unsre Schuldigkeit bequemer als recht ist zu machen sucht, anzupreisen.Hier hielt der ehrwürdige Greis ein, um seine noch nicht dunkel gewordnen Augen auf dem Gesichte seines jungen Freundes ruhen zu lassen, aus welchem ihm die reine Beistimmung seiner ganzen Seele lebendiger und stärker entgegen glänzte, als er sie durch die beredtesten Worte auszudrücken vermögend gewesen wäre. Agathon war um diese Zeit in jeder Ansicht völlig dazu vorbereitet, durch eine solche Darstellung von der Orphisch-Pythagorischen Glaubenslehre und Lebensphilosophie überzeugt zu werden; und wofern auch noch einer oder ein anderer Zweifelsknoten zurück geblieben wäre, so wurde er in den Unterredungen, welche sie in der Folge öfters über diesen Gegenstand und einige besondere Punkte des Pythagorischen Systems mit einander pflogen, zu einer so völligen Befriedigung seiner Vernunft, als in Dingen dieser Art verlangt werden kann, aufgelöst. Denn sobald das Herz keine geheimen Einwendungen gegen eine Lehre zu machen hat, die uns so schwere Pflichten auferlegt, und die Aufopferungen, welche sie fordert, bloß durch Vortheile und Freuden, die nur ein reines Herz dafür zu erkennen und zu genießen fähig ist, vergütet: so fällt es einem gesunden Verstande so wenig schwer, sich von ihrer Wahrheit gewiß zu machen, daß es ihm vielmehr unmöglich ist sie nicht zu glauben, oder sich durch Zweifel und Einwürfe, selbst im Falle daß er sie nicht ganz aus dem Wege räumen könnte, irre und ungewiß machen zu lassen.
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Viertes Kapitel.

Beschluß der Geschichte Agathons.

Die Geschichte der ehmaligen Danae, ihre Verhältnisse gegen Agathon, und alles was seit ihrem unverhofften Wiedersehen zwischen ihnen vorgegangen, war nun, nachdem Agathon den Archytas mit allen besondern Umständen der seinigen bekannt gemacht hatte, für diesen Weisen und seine Familie kein Geheimniß mehr. Es erfolgte was Agathon voraus gesehen hatte. Chariklea, welche zu edel gesinnt war um eine erschlichene Hochachtung usurpiren zu wollen, fand daß sie durch die Geständnisse, wozu sie ihren Freund selbst aufgemuntert hatte, in den Augen dieser im höchsten Grade gutartigen Menschen mehr gewonnen als verloren habe; oder vielmehr, sie konnte dadurch, daß sie alles von ihr wußten, nicht anders als gewinnen, indem das, was sie als Danae gewesen war, den Werth des Charakters erhöhte, den sie als Chariklea behauptete, und sie um so viel achtungswürdiger machte, je weniger ihr die Opfer, die sie der Tugend brachte, zu kosten schienen.Archytas belebte und stärkte, wie leicht zu erachten ist, die lobenswürdige Entschließung, welche Chariklea unserm Helden abgedrungen hatte; und Psyche entschädigte Charikleen für das, was sie dabei verlor, durch Verdopplung der Freundschaft, die sie einander gleich beim ersten Anblick einflößten. Die letztere erwählte nun Tarent zu ihrem gewöhnlichen Aufenthalte. Durch die Bande der Sympathie mit der Familie des Weisen vereinigt, schien sie in kurzer Zeit einen Theil derselben auszumachen. Ihre angenehmste Beschäftigung war, der Schwester Agathons drei Töchter erziehen zu helfen, über welche die Grazien alle ihre Gaben ausgegossen hatten. Sie gewöhnte sich unvermerkt, diese holdseligen Kinder als ihre eigenen anzusehen. Die Kinder wuchsen in der Ueberredung auf, als ob sie zwei Mütter hätten, und Psyche fand das größte Vergnügen daran, den angenehmen Irrthum, der aus ihr und ihrer Freundin nur Eine Person machte, in diesen jungen Herzen zu unterhalten.Agathon, dem Gelübde getreu, welches er der Tugend und Charikleen gethan hatte, betrug sich von dieser Zeit an so vorsichtig, daß — den einzigen Archytas und vielleicht Charikleen selbst ausgenommen — niemand gewahr wurde, wie viel ihm die Gewalt kostete, die er sich dabei anthun mußte. Aber nach Verdruß einiger Monate erfuhr er, daß er mehr versprochen habe als er halten könne. Es gibt Augenblicke von Begeisterung, wo unsre Seele Kräfte in sich fühlt, die nicht ihre eigenen sind, und auf deren Fortwirken sie vergebens Rechnung macht. Entfernung allein konnte ihn retten. Der Gedanke, sich von seinen Freunden, von Psyche, von Charikleen entfernen zu müssen, war entsetzlich für ihn: aber von dem Augenblick an, da er die Nothwendigkeit dieser Trennung fühlte, war sein Entschluß gefaßt. Archytas billigte denselben; und die Schwestern (so pflegten sich Psyche und Chariklea zu nennen) liebten ihren Bruder zärtlich genug, um ihm eine Trennung, deren wahren Beweggrund sie stillschweigend vermutheten, so viel als nur möglich war zu erleichtern.Agathon durchreisete, in Gesellschaft eines gelehrten Freundes aus der Pythagorischen Schule und eines Malers von Sicilien, alle Provinzen der damals bekannten Welt, in welchen die Griechische Sprache geredet oder wenigstens verstanden wurde. Natur und Kunst, und was in beiden für den Menschen das wichtigste ist, der Mensch, waren die Gegenstände seiner aufmerksamen Beobachtung.Er nahm wenig Vorurtheile mit, da er auszog, und fand sich auch von diesen wenigen entledigt, als er wieder zurück kam. Da er während der ganzen Zeit seiner philosophischen Wanderschaft einen bloßen Zuschauer des Weltschauspiels abgab, so konnte er desto unbefangener von den Handlungen sowohl als von den handelnden Personen urtheilen.Seine Beobachtungen vollendeten, was der Umgang mit Archytas und anhaltendes Nachdenken über seine eigenen Erfahrungen angefangen hatten: sie überzeugten ihn, daß die Menschen, im Durchschnitt genommen, überall so sind, wie Hippias sie schilderte, wiewohl sie so seyn sollten, wie Archytas durch sein Beispiel lehrte.Er sah allenthalben — was man bis auf diesen Tag sehen kann —daß sie nicht so gut sind; als sie seyn könnten, wenn sie weiser wären: aber er sah auch, daß sie unmöglich besser werden können, ehe sie weiser werden; und daß sie nicht weiser werden können, bis ihre Väter und Mütter, Ammen, Pädagogen, Lehrer und Priester, mit allen ihren übrigen Vorgesetzten durch alle Stufen, vom Gassenvogte bis zum Könige, so weise geworden sind, als jedes, nach dem Maße seiner Beziehung und seines Einflusses, seyn müßte, um seiner Pflicht genug zu thun und der menschlichen Gesellschaft wirklich nützlich zu seyn.Er sah also, daß wahre Aufklärung zu moralischer Besserung das Einzige ist, worauf sich die Hoffnung besserer Zeiten, das ist, besserer Menschen, gründet. Er sah, daß alle Völker, die wildesten Barbaren so gut als die cultivirten und verfeinerten Griechen, die Tugend ehren, und daß keine Gesellschaft, sollte es auch nur eine Horde Arabischer Räuber seyn, ohne einigen Grad von Tugend, oder, richtiger zu reden, ohne etwas das ihr ähnlich ist und ihre Stelle vertritt, bestehen kann. Er fand jeden Ort, jede Provinz, jede Nation, die er kennen lernte, desto glücklicher, je besser die Sitten der Einwohner waren; und, ohne Ausnahme, sah er die meiste Verderbniß, wo äußerste Armuth, oder äußerster Reichthum herrschte.Er fand bei allen Völkern, die er durchwanderte, die Religion in Aberglauben gehüllt, zum Schaden der bürgerlichen Gesellschaft gemißbraucht, und durch Heuchelei oder offene Gewalt zum Werkzeuge des Betrugs, der Herrschsucht, des Geizes, der Wollust und des Müßiggangs herabgewürdigt. Er sah, daß einzelne Menschen und ganze Völker Religion ohne Tugend haben können, und daß sie dadurch desto schlimmer sind; aber er sah auch, ohne Ausnahme, daß einzelne Menschen und ganze Völker, wenn sie schon gut sind, durch Gottesfurcht desto besser werden.Er sah die Gesetzgebung, die Staatsverwaltung und die Polizei allenthalben voller Mängel und Gebrechen: aber er sah auch, daß die Menschen ohne eben diese Gesetze, Staatsverwaltung und Polizei noch weit schlimmer und unglücklicher wären. Er hörte allenthalben über Mißbräuche klagen, sah daß jedermann die Welt verbessert wissen wollte, sah eine Menge Leute, die an der Verbesserung derselben zu arbeiten bereit und an Vorschlägen unerschöpflich waren; aber keinen einzigen, der die Verbesserung an ihm selbst anfangen lassen wollte; — und er erklärte sich ganz natürlich daraus, warum es nirgends besser werden wollte. Er sah die Menschen überall durch zwei einander entgegen stehende Triebe beherrscht, den Trieb zur Gleichheit, und den Trieb willkürlich über andre den Meister zu spielen; und dieß überzeugte ihn, daß es, so lange diesem Uebel nicht abgeholfen ist, durch keine Veränderung der Regierungsform besser mit den Menschen werden kann, sondern daß sie, in einem ewigen Cirkel, von königlichem Despotismus und aristokratischem Uebermuth — zu Volks- und Pöbels-Tyrannie, und von dieser wieder zu jenen, so lange herumgewälzt werden müssen, bis eine aus den Grundlehren der reinsten Religion und Moral abgeleitete Gesetzgebung, und eine durch dieselbe veranstaltete Erziehung, den thierischen Trieb zu gesetzloser Willkür in allen Menschen gebändiget haben wird.Er sah, daß allenthalben Künste, Fleiß und gute Wirthschaft den Reichthum, der Reichthum den Luxus, der Luxus verdorbene Sitten, verdorbene Sitten den Untergang des Staats, zur Folge haben: aber er sah auch, daß die Künste, wenn sie ihre Richtung von der Weisheit erhalten, die Menschheit verschönern, entwickeln, veredeln; daß Kunst die Hälfte unsrer Natur, und der Mensch ohne Kunst das elendeste unter allen Thieren ist.Er sah durch die ganze Oekonomie der Menschheit die Gränzen des Wahren und Falschen, des Guten und Bösen, des Rechts und Unrechts, unmerklich in einander fließen; und überzeugte sich dadurch immer mehr von der Nothwendigkeit weiser Gesetze, und von der Pflicht des guten Burgers, dem Gesetz mehr zu glauben als seinem eigenen Gefühle.Alles aber, was er gesehen hatte, befestigte ihn in der Ueberzeugung: "daß der Mensch — auf der einen Seite den Thieren des Feldes, auf der andern den höhern Wesen und der Gottheit selbst verwandt — zwar eben so unfähig sey, ein bloßes Thier als ein bloßer Geist zu seyn; aber, daß er nur alsdann seiner Natur gemäß lebe, wenn er immer empor steige; daß jede höhere Stufe der Weisheit und Tugend, die er erstiegen hat, seine Glückseligkeit erhöhe; daß Weisheit und Tugend allezeit das richtige Maß sowohl der öffentlichen als der Privatglückseligkeit unter den Menschen gewesen; und daß diese einzige Erfahrungswahrheit, welche kein Zweifler zu entkräften fähig ist, alle Trugschlüsse der Hippiasse zerstäube, und die Theorie der Lebensweisheit des Archytas unerschütterlich befestige."Diese Kenntnisse und diese Ueberzeugung waren die Früchte, welche Agathon in Stunden der einsamen Betrachtung oder des geselligen Nachforschens in freundschaftlichen Unterredungen, zum Vortheil seines Moralsystems, aus seinen Beobachtungen zog. Sie machten nur einen kleinen, aber in der That den wichtigsten Theil des Schatzes von schönen und nützlichen Kenntnissen aus, den er von einer dreijährigen Reise durch die vornehmsten Theile der damaligen Welt nach Tarent zurück brachte.Er hatte die überschwängliche Freude, seinen alten Freund Archytas und alle die er liebte in eben dem glücklichen Zustande wieder anzutreffen, worin er sie verlassen hatte. Der Tag des Wiedersehens war ein Fest der Freundschaft, an welchem das ganze Tarent Antheil nahm. Was ihre Freude vollkommen machte, war die Bemerkung, daß Agathon zwischen Psyche und Chariklea keinen Unterschied machte, und gänzlich vergessen zu haben schien, daß die letztere —einst Danae, und wie sehr sie es für ihn gewesen war.Er befestigte sich nunmehr in dem Entschlusse, Tarent zu seinem beständigen Sitze zu erwählen. Die Tarentiner beschenkten ihn mit ihrem Bürgerrecht: er verdiente das Glück, im Schooße der Freiheit und des Friedens unter gutartigen Menschen zu leben, und sie waren eines solchen Mitbürgers würdig.Durch alles was er erfahren und beobachtet hatte überzeugt, "daß man in einem großen Wirkungskreise zwar mehr schimmern, aber in einem kleinen mehr Gutes schaffen kann," widmete er sich mit Vergnügen und Eifer den öffentlichen Angelegenheiten dieser Republik; und so lange Kritolaus und Agathon lebten, glaubten die Tarentiner nichts dadurch verloren zu haben, daß Archytas in eine bessere Welt gegangen war.
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Anmerkungen.

Buch 11.

S. 6. Z. 21. Der Verfasser des Kratylus — Der Platonische Dialog Kratylus hat den Verehrern Platons von jeher viel zu schaffen gemacht wegen seiner Wortspielereien und schwerfälligen Wortklaubereien, bis endlich Schleiermacher auch hier den richtigen Gesichtspunkt nachgewiesen hat. Hier wird der Kratylus noch als ein Beweis der Pedanterie seines Verfassers genommen.S. 13. Z. 27. Diesem Schüler des Sokrates Gerechtigkeit widerfahren zu lassen — Der Verfasser des Agathons selbst hat dieß, viele Jahre später, in seinen Erläuterungen zu den von ihm übersetzten Horazischen Briefen, so wie in den Briefen Aristipps und der Lais, nach seiner Weise und, so viel wir wissen, zur Zufriedenheit einiger competenter Richter in diesem Fache bewerkstelligt. W.S. 15. Z. 28. Des Phalaris glühenden Ochsen ausgenommen — In diesem ehernen Ochsen konnten Menschen gebraten werden, deren Jammergeschrei das Brüllen des Ochsen vernehmen ließ. Die Behauptung, worauf hier angespielt wird, daß der Weise auch während dieser Qual sich glückselig fühle, kommt von einem Philosophen, dem man sie wohl am wenigsten zugetraut hätte, von Epikur. Wie sehr er dadurch mit sich in Widerspruch gerieth, bemerkte schon Cicero, Tusc. Quaest. 2, 7.S. 54. Z. 4. Den Republiken vorwirft — Uebrigens ist es vielleicht bemerkenswerth, daß alles Nachtheilige, was Agathon von den Republiken sagt, durch die neu entstandene Französische Republik so völlig bestätiget wurde, daß es Zug vor Zug nach ihr gezeichnet zu seyn schien, wiewohl es mehr als fünf und zwanzig Jahre vorher geschrieben wurde: zu einer Zeit, da sich noch niemand in der größten Fieberhitze hätte träumen lassen, daß, noch vor Ausgang des Jahrhunderts, aus dem Moder der aufgelösten Französischen Monarchie ein politisches Ungeheuer hervor steigen werde, das uns schon in den ersten Jahren seines Daseyns den gräßlich ekelhaften Anblick aller der Unordnungen, Ungerechtigkeiten, Thorheiten, Verbrechen und Gräuelthaten im Großen darstellt, welche uns die Geschichte an jenen berühmten Freistaaten des alten Griechenlandes, in der Epoche ihrer höchsten Verderbniß, im Kleinen zeigt. Welche Wahrscheinlichkeit, daß eben dieselben Ursachen, die den Untergang jener alten Republiken nach sich zogen, in Frankreich die Quellen des Gedeihens, der Dauerhaftigkeit und des blühenden Wohlstandes einer neu gebornen Mißgeburt von Republik, die das Princip ihrer baldigen Auflösung gleich mit auf die Welt brachte, sollten werden können? W.

Buch 12.

S. 57. Vgl. mit diesem Anfang Lessings Hamb. Dramaturgie — Bd. 2 St. LXlX. S. 150. fgg.S. 44. Z. 19. Odeon — Ein zu den musikalischen Wettstreiten und Spielen bestimmtes öffentliches Gebäude. W.S. 48. Z. 14. Pallas — Die Schilderung dieses freigelassenen des Claudius findet man bei Tacitus Annal. 11. 29 u. a, O., so wie die des Tigellinus bei demselben Histor. 1, 72. Vgl. Anm. zu Bd. XXV.S. 52. Z. 15. Abt von Saint-Pierre — Dieser liebenswürdige Weise, durch seine études de la Nature u. la chaumière indienne rühmlich bekannt, sann auf den Plan zu einem ewigen Frieden.S. 62. Z. 20. Des Sokratischen Geheimnisses — Ohne Zweifel ist hier angespielt auf die Stelle in Xenophons Sokratischen Denkwürdigkeiten Buch 1. Kap. 3. §. 14. (vergl. Xenophons Gastmahl 4, 38). — Die gefällige Cypassis, Ovids Sklavin, ist aus dessen Liebesgedichten bekannt. — Xenokrates durch Enthaltsamkeit berühmt, von welcher sich der nur die Miene gibt, welcher seinen Trieb aus die leichteste Weise bei dazu käuflichen Personen gefahrlos ableitet. Hierin besteht eigentlich das Sokratische Geheimniß.S. 64. Z. 19. Ixion — An die Tafel der Götter gezogen, verliebte sich in Juno, umarmte zwar nur ein von Zeus in ihrer Gestalt geschaffenes Wolkenbild, mußte aber gleichwohl für diesen Frevel in der Unterwelt hart büßen.S. 67. Z. 15. Nil admirari — Nichts zu bewundern, war ein Hauptgrundsatz des Aristippischen Glückseligkeitssystems, welchen Wieland zum 6ten Br. des Horaz im ersten Buche wohl am besten erläutert hat.S. 71. Z. 25. 26. Die Schwester des Herzogs von Marlborough — War Miß Churchill, deren schönen Körper, nach den Mémoires du Comte de Grammont, ein Sturz vom Pferde entdeckte, wovon die Wirkung war, daß sie dem Herzog von York den Herzog von Berwick und Lady Waldgrave gebar.S. 100. Z. 9. Milesische Mährchen — Waren eine Art von Romanen, denen man jenen Namen von der kleinasiatischen Stadt Milet gab, weil dort zuerst mehrere Dichter sich damit beschäftigten, Dichtungen dieser Art nach den Mustern der Persischen abzufassen.S. 117. Z. 28. Das Reich der Themis und des Kronos — D. i. die glückselige Unschuld des goldenen Zeitalters, über welches Kronos (Saturnus) geherrscht hatte, und nach welchem Themis, die Göttin der Gerechtigkeit, von der entarteten Erde entflohen war.

Buch 13.

S. 169. 1. Doctor Peter Rezio von Aguero — Der den Grundsatz des Hippokrates, daß alle Sättigung übel sey, so geltend machte, ist aus dem 47sten Kapitel des Don Quixote eben so bekannt als die Statthalter der Insel Barataria. — — Inanition, Leerheit.S. 171. Z. 15. Artemisia — Gemahlin des Karischen Königes Mausolus, fand nach dessen Tode keine Gränzen in Beweisen ihrer Liebe. Die Asche des Verstorbenen trank sie in Wein gemischt, und errichtete ihm eins der größten und prächtigsten Denkmale, wovon nachher alle Todten-Denkmale den Namen der Mausoleen erhalten haben.

Buch 14.

S. 198. Z. 6. Diese Grazien — Danae sagt im Original diese Verse Pindars (aus der neunten Olympischen Ode) mir seinen eigenen Worten her. Das Unvermögen einem Pindar nachzufliegen hat uns zu einer Umschreibung genöthigt, wodurch das Urbild vielleicht weniger verliert als durch eine wörtliche Uebersetzung. W.S. 210. Z. 17. Wie Socrates eine Art von Genius — Der Genius des Sokrates (der bis auf diesen Tag ein Problem für die Gelehrten ist) sagte ihm nie, was er thun sollte: dazu hat uns Gott fünf Sinne und Vernunft gegeben, sagte Sokrates. Aber es gibt Fälle, wo uns diese Führer und Rathgeber in der Unwissenheit lassen, oder gar irre führen; in solchen Fällen ist es glücklich einen warnenden Genius zu haben, der uns sagt: thue das nicht! W.S. 218. Z. 20. Schien den Aristophanen einigen Vorwand zu geben — Aristophanes in den Acharnern 524 führt als Ursache des Peloponnesischen Kriegs an, daß einige trunkene Jünglinge aus Megara die Hetäre Simätha geraubt, die Megarer dagegen, um sich zu rächen, zwei andere aus Aspasia's Hause entführt hätten. — Andere Komiker machten ähnliche Beschuldigungen.S. 226. Z. 16-17. Eine Ariadne ——gebilligt worden — Xenophons Symposium gegen das Ende. W.S. 231. Z. 8. Eine Philippika — Nennt man eine starke, kräftige, wohl auch zürnende, Rede nach Art derer, welche der berühmte Athenische Redner Demosthenes gegen den Macedonischen König Philippos hielt.S. 244. Z. 12. Thargelia — Von Milet, ward mit einem Thessalischen Könige vermählt, und regierte dreißig Jahre lang mit Geist und Glück.S. 245. Z. 25. 26. Nemea. Theodota — Namen zweier ihrer Schönheit wegen berühmten Hetären der damaligen Zeit. W.

Buch 15.

S. 252. Z. 24. Die Nymphe Salmacis — Umfaßte den Hermaphroditus, der sich in ihrem Gewässer badete, und schwur dem Spröden, ihn nie zu verlassen. Die Götter verwandelten beide in Einen Körper von doppeltem Geschlecht.S. 259. Z. 28. Semiramis — Wird von Griechischen Geschichtschreibern eine Hirtin von ausgezeichneter Schönheit genannt. Ein Syrischer Satrap sah, liebte und heirathete sie. Der Krieg trennte ihn von ihr, seine Sehnsucht nach ihr erwachte, und er rief sie zu sich ins Lager, wo sie bald eben so viel an Kriegsruhm als an Ruhm der Schönheit gewann. Der Babylonische König Ninus ließ sie vor sich berufen, entbrannte in Liebe zu ihr, und sie ward seine Gemahlin.S. 259. Z. 28. Rhodope — Nicht zu verwechseln mit der Tochter des Aegyptischen Pharaonen Cheops, war eine geborne Sklavin aus Thrazien, die durch ihre Schönheit sich die Freiheit erwarb. Sie schloß ihre Laufbahn damit, daß sie Gemahlin des Pharaonen Amasis wurde. Die Geschichte von ihrer Erhebung auf den Thron, wie sie bei Herodot erzählt wird, hat ganz das Ansehen eines Orientalischen Mährchens.S. 261. Z. 15. Gynäceum — (Gynäkeion), Harem, Serail.S. 267. Z. 2. Kynara — Hieß der Ort in Babylonien, einige Meilen südlich vom Eingange der Medischen Mauer, wo der jüngere Kyros geschlagen wurde. — Dieser Erzählung, so wie dem, was zu Anfange des folgenden Kapitels berichtet wird, dient zur Grundlage die Stelle bey Xenoph. de exped. Cyri 1, 10.
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Buch 16

S. 304. Z. 7. Antagonist —Gegenkämpfer, Bekämpfer. — Intelligible Gegenstände sind solche, die bloß durch den Verstand, nicht durch Sinnenwahrnehmung erkennbar sind. — Typus, Vor- und Musterbild.S. 305. Z. 28. Brunnen des Demokritus — Demokrit behauptete, die Natur habe die Wahrheit in die Tiefe eines Brunnens verborgen, und darum werde die Welt von Meinungen und Satzungen regiert. Cic. Acad. Quaest. 1, 13. 2, 10.S. 306. Z. 3. Memphis — In Mittel- und Sais in Unter-Aegypten waren Hauptorte, zu denen man um der Weisheit willen zog, wie nach Indien zu den Gymnosophisten (nackten Weisen), oder vielmehr Braminen. Die Braminen in Indien, und die ägyptischen Priester, beide nicht unwahrscheinlich mit einander verwandt, standen im Rufe vorzüglich tiefer Weisheit, und von den größten Philosophen Griechenlands wird erzählt, daß sie Schüler derselben gewesen.
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