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C. M. Wieland's Werke.

Vierter Band.

Leipzig.G. J. Göschen'sche Verlagshandlung.1853.
Buchdruckerei der J. G. Cotta'schen Buchhandlung in Stuttgart. ,

Geschichte des Agathon.

Quid Virtus et quid Sapientia possit
Utile proposuit nobis exemplum.

Erster Band.

Vorbericht zur ersten Ausgabe

vom Jahr 1767.

Der Herausgeber der gegenwärtigen Geschichte siehet so wenig Wahrscheinlichkeit vor sich, das Publicum zu überreden, daß sie in der That aus einer alten griechischen Handschrift gezogen sey, daß er am besten zu thun glaubt, über diesen Punkt gar nichts zu sagen, und dem Leser zu überlassen, davon zu denken was er will.

Gesetzt, daß wirklich einmal ein Agathon gelebt hätte, daß sich aber von diesem Agathon nichts Wichtigers sagen ließe, als was gewöhnlich den Inhalt des Lebenslaufs aller alltäglichern Menschen ausmacht; was würde uns bewegen können, seine Geschichte zu lesen, wenn gleich gerichtlich erwiesen werden könnte, daß sie in den Archiven des alten Athens gefunden worden sey?Die Wahrheit, welche von einem Werke, wie dasjenige ist, so wir den Liebhabern hiermit vorlegen, gefordert werden kann, bestehet darin: daß alles mit dem Laufe der Welt übereinstimme; daß die Charakter nicht bloß willkürlich nach der Phantasie oder den Absichten des Verfassers gebildet, sondern aus dem unerschöpflichen Vorrathe der Natur selbst hergenommen seyen; daß in der Entwicklung derselben sowohl die innere als die relative Möglichkeit, die Beschaffenheit des menschlichen Herzens, die Natur einer jeden Leidenschaft, mit allen den besondern Farben und Schattirungen, welche sie durch den Individualcharakter und die Umstände jeder Person bekommen, aufs genaueste beibehalten, das Eigene des Landes, des Ortes, der Zeit, in welche die Geschichte gesetzt wird, niemals aus den Augen gesetzt, und, kurz, daß alles so gedichtet sey, daß sich kein hinlänglicher Grund angeben lasse, warum es nicht gerade so, wie es erzählt wird, hätte geschehen können. Diese Wahrheit allein kann ein Buch, das den Menschen schildert, nützlich machen, und diese Wahrheit getrauet sich der Herausgeber den Lesern der Geschichte des Agathon zu versprechen.Seine Hauptabsicht war, sie mit einem Charakter, welcher genau gekannt zu werden würdig wäre, in einem mannichfaltigen Lichte und von allen seinen Seiten bekannt zu machen. Ohne Zweifel gibt es wichtigere, als derjenige, auf den seine Wahl gefallen ist. Allein, da er selbst gewiß zu seyn wünschte, daß er der Welt keine Hirngespenster für Wahrheit verkaufe, so wählte er denjenigen, den er am genauesten kennen zu lernen Gelegenheit gehabt hat. Aus diesem Grunde kann er ganz zuverlässig versichern, daß Agathon und die meisten übrigen Personen, welche in seine Geschichte eingeflochten sind, wirkliche Personen sind, und daß (die Nebenumstände, die Folge und besondere Bestimmung der zufälligen Begebenheiten, und was sonsten bloß zur willkürlichen Auszierung gehört, ausgenommen) alles, was das Wesentliche derselben ausmacht, eben so historisch, und vielleicht noch um manchen Grad gewisser sey, als die neun Musen des Vaters der Geschichte Herodot, die Römische Historie des Livius, oder die Französische des Jesuiten Daniel.Es ist etwas Bekanntes, daß im wirklichen Leben oft weit unwahrscheinlichere Dinge begegnen, als der ausschweifendste Kopf zu erdichten sich getrauen würde. Es würde also sehr übereilt seyn, die Wahrheit des Charakters unsers Helden deßwegen in Verdacht zu ziehen, weil es zuweilen unwahrscheinlich seyn mag, daß jemand so gedacht oder gehandelt habe wie er. Da es aber wohl unmöglich seyn und bleiben wird, zu beweisen, daß ein Mensch, unter den besondern Bestimmungen, unter welchen sich Agathon von seiner Kindheit an befunden, nicht so denken oder handeln könne wie er, oder wenigstens es nicht ohne Wunderwerk oder Bezauberung hätte thun können: so glaubt der Verfasser mit Recht erwarten zu können, daß man ihm auf sein Wort glaube, wenn er zuversichtlich versichert, daß Agathon wirklich so gedacht oder gehandelt habe. Zu gutem Glücke finden sich in den beglaubtesten Geschichtsschreibern, und schon allein in den Lebensbeschreibungen des Plutarch, Beispiele genug, daß es möglich sey, so edel, so tugendhaft, so enthaltsam, oder (in einer Sprache des Hippias, und einer ansehnlichen Classe von Menschen seines Schlages zu reden) so seltsam, eigensinnig und albern zu seyn, als es unser Held in einigen Gelegenheiten seines Lebens ist.Man hat an verschiedenen Stellen des gegenwärtigen Werkes die Ursache angegeben, warum man aus dem Agathon kein Modell eines vollkommen tugendhaften Mannes gemacht hat. Es ist im Grunde die nämliche, warum Aristoteles nicht will, daß der Held eines Trauerspiels von allen Schwachheiten und Gebrechen der menschlichen Natur frei seyn solle. Da die Welt mit ausführlichen Lehrbüchern der Sittenlehre angefüllt ist, so steht einem jeden frei (und es ist nichts leichter) sich einen Menschen vorzubilden, der von der Wiege bis ins Grab, in allen Umständen und Verhältnissen des Lebens, allezeit und vollkommen so empfindet und handelt, wie eine Moral. Aber damit Agathon das Bild eines wirklichen Menschen wäre, in welchem viele ihr eigenes und alle die Hauptzüge der menschlichen Natur erkennen möchten, durfte er (wir behaupten es zuversichtlich) nicht tugendhafter vorgestellt werden, als er ist; und wofern jemand hierin anderer Meinung seyn sollte, so wünschten wir, daß er uns denjenigen nenne, der unter allen nach dem natürlichen Laufe Gebornen, in ähnlichen Umständen und alles zusammen genommen, tugendhafter gewesen wäre als Agathon.Es ist möglich, daß irgend ein junger Taugenichts, wenn er siehet, daß ein Agathon den reizenden Verführungen der Liebe und einer Danae endlich unterliegt, eben den Gebrauch davon machen könnte, den der junge Chärea beim Terenz von einem Gemälde machte, welches eine von den Schelmereien des Vaters der Götter vorstellte. Wir möchten nicht dafür stehen, daß ein solcher, wenn er mit herzlicher Freude gelesen haben wird, wie ein so vortrefflicher Mann habe fallen können, nicht zu sich selbst sagen könnte: Ego homuncio hoc non facerem? ego vero illud faciam ac lubens. Eben so möglich ist es, daß ein übel gesinnter und ruchloser Mensch den Discurs des Sophisten Hippias lesen, und sich einbilden könnte, die Rechtfertigung seines Unglaubens und seines lasterhaften Lebens darin zu finden. Aber alle rechtschaffnen Leute werden mit uns überzeugt seyn, daß dieser Ruchlose und jener Unbesonnene beides gewesen und geblieben wären, wenn gleich keine Geschichte des Agathon in der Welt wäre.Dieß letztere Beispiel führt uns auf eine Erläuterung, wodurch wir der Schwachheit gewisser gut gesinnter Leute, deren Wille besser ist als ihre Einsichten, zu Hülfe zu kommen, und sie vor unzeitig genommenem Aergerniß oder ungerechten Urtheilen zu verwahren, uns verbunden glauben.Diese Erläuterung betrifft die Einführung des Sophisten Hippias in unsere Geschichte, und die Rede, wodurch er den jungen Agathon von seinem liebenswürdigen Enthusiasmus zu heilen sucht, um ihn zu einer Denkungsart zu bringen, welche er (nicht ohne Grund) für geschickter hält, sein Glück in der Welt zu machen. Leute, welche aus gesunden Augen gerade vor sich hinsehen, würden ohne unser Erinnern aus dem ganzen Zusammenhange dieses Werkes, und aus der Art, wie darin bei aller Gelegenheit von diesem Sophisten und seinen Grundsätzen gesprochen wird, ganz deutlich eingesehen haben, wie wenig der Verfasser dem Manne und dem System günstig sey: und wiewohl es sich für den Ton und die Absicht dieses Buches keinesweges geschickt hätte, mit dem heftigen Eifer gegen ihn auszubrechen, welcher einen jungen Candidaten treibt, wenn er, um sich seinem Consistorio zu einer guten Pfründe zu empfehlen, gegen die Tindal und Bolingbroke zu Felde zieht; so hofft der Verfasser doch bei vernünftigen und ehrlichen Lesern keinen Zweifel übrig gelassen zu haben, daß er den Hippias für einen schlimmen und gefährlichen Mann, und sein System (insofern als es den ächten Grundsätzen der Religion und der Rechtschaffenheit widerspricht) für ein Gewebe von Trugschlüssen ansehe, welches die menschliche Gesellschaft zu Grunde richten würde, wenn es moralisch möglich wäre, daß der größere Theil der Menschen darin verwickelt werden könnte. Er glaubt also, vor allem Verdacht über diesen Punkt sicher zu seyn. Indessen, da doch unter den Lesern dieses Buchs einige seyn können, welche ihm wenigstens Unvorsichtigkeit zur Last legen, und dafür halten möchten, daß er diesen Hippias entweder gar nicht einführen, oder, wenn der Plan seines Werkes es ja erfordert hätte, wenigstens seine Lehrsätze ausführlich hätte widerlegen sollen: so sieht man für billig an, ihnen die Ursachen zu sagen, warum das erste geschehen, und das andre unterlassen worden sey.Weil, vermöge des Plans, der Charakter Agathons auf verschiedene Proben gestellt werden sollte, durch welche seine Denkart und seine Tugend geläutert, und dasjenige, was darin unächt war, nach und nach von dem reinen Golde abgesondert würde: so war es um so viel nöthiger, ihn auch dieser Probe zu unterwerfen; da Hippias eine historische Person ist, und mit den übrigen Sophisten derselben Zeit sehr viel zur Verderbniß der Sitten unter den Griechen beigetragen hat. Ueberdem diente er, den Charakter und die Grundsätze unsers Helden durch den Contrast, den er mit ihm macht, in ein helleres Licht zu setzen. Und da es nur gar zu gewiß scheint, daß der größte Theil derjenigen, welche die sogenannte große Welt ausmachen, wie Hippias denkt, oder doch nach seinen Grundsätzen handelt; so war es auch den moralischen Absichten dieses Werkes gemäß, zu zeigen, was für eine Wirkung diese Grundsätze thun, wenn sie in den gehörigen Zusammenhang gebracht werden.Eine ausführliche Widerlegung dessen, was in seinen Grundsätzen irrig und gefährlich ist (denn in der That hat er nicht immer Unrecht), wäre im Plan dieses Werks ein wahres Hors d'oeuvre gewesen, und schien auch selbst in Rücksicht auf die Leser überflüssig, indem nicht nur die Antwort, welche ihm Agathon gibt, in der That das beste enthält, was man dagegen sagen kann, sondern auch das ganze Werk als eine Widerlegung desselben anzusehen ist. Agathon widerlegt den Hippias beinahe auf die nämliche Art, wie Diogenes den Metaphysiker, welcher läugnete, daß eine Bewegung sey. Der Metaphysiker führte seinen Beweis durch Distinctionen und Schlußreden; und Diogenes widerlegte ihn, indem er, ohne ein Wort zu sagen, davon ging. Dieß war unstreitig die einzige Antwort, die der Sonderling verdiente.
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Vorbericht

zu der Ausgabe der sämmtlichen Werke vom Jahre 1794.

Die Geschichte des Agathon, welche der Verfasser schon lange zuvor, ehe er sich der Ausarbeitung unterzog, in seinem Kopf entworfen hatte, wurde in den Jahren 1764, 65, 66 und 67 nach und nach, unter sehr ungleichen Einflüssen von außen und in sehr verschiedenen Gemüthsverfassungen, zu Papier gebracht; während der Verfasser in der Reichsstadt Biberach, seiner Vaterstadt, ein öffentliches Amt verwaltete, dessen mannichfaltige, mit seinen Lieblingsstudien kaum verträgliche Beschäftigungen einer solchen Unternehmung wenig günstig waren, und die Ausführung hätten unmöglich machen müssen, wenn seine ganze Seele nicht so voll von ihr gewesen wäre, und wenn er nicht alle seine Nebenstunden und einen Theil der Nächte auf sie verwendet hätte.

Dem ungeachtet konnte er damals nicht dazu gelangen, weder seinen ganzen Plan, noch die zweite Hälfte des Werkes (die den zweiten Theil, oder das 8te, 9te, 10te und 11te Buch der Zürcher Ausgabe von 1767 ausmacht) so gut auszuführen, daß die Wenigen, welche damals in Deutschland Geisterwerke dieser Art scharf zu beurtheilen fähig waren, nicht Ungleichheit des Tons, ästhetische Lücken und eine ziemlich auffallende Bestrebung, die Lücken im psychologischen Gange der Geschichte mit Räsonnements auszustopfen oder zu überkleistern, in dem zweiten Theile hätten wahrnehmen müssen, welches alles sie gewissermaßen zu der Frage berechtigte: —
— Amphora coepit
Institui, currente rota cur urcaus exit?
Iene fatalen Umstände enthalten den Grund der Nothwendigkeit der beträchtlichen Veränderungen, die im letzten Theile des Werkes vorgenommen werden mußten, wiewohl es in der ersten Ausgabe mit allen seinen Mängeln und Gebrechen eine sehr günstige Aufnahme fand; wie es denn auch in der That zur damaligen Zeit für eine ungewöhnliche Erscheinung in unsrer literarischen Welt gelten konnte, so wußte doch der Verf. selbst am besten, was ihm fehlte und warum es fehlte: und da die Ursache mehr in zufälligen Umständen und dem physischen Einflusse derselben auf seine Phantasie und innere Stimmung lag, als in einer wesentlichen Veränderung der Denkart, worin die Idee des Werkes in seiner Seele empfangen wurde, so blieb es immer sein Vorsatz, sobald er die dazu nöthige Muße und innere Ruhe finden würde, jenen Mängeln abzuhelfen, und den Agathon demjenigen, was er nach dem ursprünglichen Plane hätte werden sollen, so nahe zu bringen als ihm möglich wäre. Dieß würde denn auch bei der zweiten Ausgabe von 1773 schon geschehen seyn, wenn nicht eine abermalige große Veränderung der Lage und Umstände des Verf. ihn daran verhindert hätte. Die geheime Geschichte der Danae, welche bei dieser Ausgabe hinzu kam, war also (außer einer Menge kleiner Veränderungen, die sich hauptsächlich auf Sprache, Ton und Styl bezogen, einer andern Eintheilung der Bücher und Kapitel, und einem ganz neuen Schluß) alles was der Verf. damals für seinen Liebling thun konnte, und Agathon blieb wider seinen Willen, über 20 Jahre lang noch immer unvollendet.Diesem Gebrechen hofft der Verfasser nunmehr in der Ausgabe von der letzten Hand abgeholfen zu haben. Er hat weder Zeit noch Fleiß gespart, alle Flecken, die er, in Rücksicht auf die Reinigkeit der Sprache, die Harmonie des Styls, die Richtigkeit der Gedanken, die Schicklichkeit des Ausdrucks, und alle andern Erfordernisse dieser Art, noch entdecken konnte, sorgfältig abzuwischen. Aber seine hauptsächlichste Bemühung war darauf gerichtet, die Lücken, die den reinen Zusammenhang der Seelengeschichte Agathons bisher noch unterbrochen hatten, zu ergänzen, einige fremdartige Auswüchse dafür wegzuschneiden, dem moralischen Plane des Werkes durch den neu hinzu gekommenen Dialog zwischen Agathon und Archytas (der den größten Theil des XVIten Buchs ausmacht) die Krone aufzusetzen, und vermittelst alles dieses das Ganze in die möglichste Uebereinstimmung mit der ersten Idee desselben zu bringen, um es der Welt mit dem innigsten Bewußtseyn hinterlassen zu können, daß er wenigstens sein Möglichstes gethan habe, es der Aufschrift
quid Virtus et quid Sapientia possit
würdig zu machen.
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Inhalt

des ersten Theils. Seite

Ueber das Historische im Agathon. 3Erstes Buch. Agathon wird durch Cilicische Seeräuber aus einem gefährlichen Abenteuer gerettet, und in Smyrna zum Sklaven verkauft.Erstes Capitel. Erster Auftritt unsers Helden . . . . . . . 17Zweites Capitel. Etwas ganz Unerwartetes . . . . . . . 19Drittes Capitel. Unterbrechung des Bacchusfestes . . . . . 23Viertes Capitel. Unverhoffte Zusammenkunft zweier Liebenden. Erzählung der Psyche . . . . . . . . . . . . . 26Fünftes Capitel. Wie Psyche und Agathon wieder getrennt werden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35Sechstes Capitel. Ein Selbstgespräch . . . . . . . . . . 37Siebentes Capitel. Agathon wird zu Smyrna verkauft . . . 43 SeiteZweites Buch. Agathon im Hause des Sophisten Hippias.Erstes Capitel. Wer der Käufer des Agathon war . . . . . 47Zweites Capitel. Verwunderung, in welche Agathon über die Weisheit seines neuen Herrn gesetzt wird . . . . . . . 53Drittes Capitel. Welches bei einigen den Verdacht erregen wird, daß diese Geschichte erdichtet sey . . . . . . . . . . 56Viertes Capitel. Schwärmerei unsers Helden . . . . . . . 60Fünftes Capitel. Ein Gespräch zwischen Hippias und seinem Sklaven . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63Sechstes Capitel. Worin Agathon für einen Schwärmer ziemlich gute Schlüsse macht . . . . . . . . . . . . . 73Siebentes Capitel. Vorbereitung zum Folgenden . . . . . . 77Drittes Buch. Darstellung der Philosophie des Hippias.Erstes Capital. Prolog eines interessanten Discurses . . . . 81Zweites Capitel. Fortsetzung der Rede des Hippias. Seine Theorie der angenehmen Empfindungen . . . . . . . 85Drittes Capitel. Geisterlehre eines ächten Materialisten . . . 95Viertes Capitel. Worin Hippias eine feine Kenntniß der Welt zu zeigen scheint . . . . . . . . . . . . . . . . 102Fünftes Capitel. Der Anti-Platonismus in nuce . . . . . . 111Viertes Buch. Agathon wird durch Hippias mit der schönen Danae bekannt.Erstes Capitel. Unerwartete Ungelehrigkeit Agathons . . . . 124 SeiteZweites Capitel. Ein geheimer Anschlag gegen die Tugend unsers Helden . . . . . . . . . . . . . . . . 132Drittes Capitel. Hippias stattet einen Besuch bei einer Dame ab, die eine große Rolle in dieser Geschichte spielen wird . . 135Viertes Capitel. Einige Nachrichten von der schönen Danae . 145Fünftes Capitel. Wie gefährlich eine verschönernde Einbildungskraft ist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150Sechstes Capitel. Pantomimen . . . . . . . . . . . 154Siebentes Capitel. Geheime Nachrichten . . . . . . . . . 159Achtes Capitel. Was die Nacht durch im Gemüthe der Hauptpersonen vorgegangen . . . . . . . . . . . . . 165Neuntes Capitel. Eine kleine metaphysische Abschweifung . . 167Fünftes Buch. Agathon im Hause der Danae.Erstes Capitel. Worin die Absichten des Hippias einen merklichen Schritt machen . . . . . . . . . . . . . . . . 170Zweites Capitel. Veränderung der Scene . . . . . . . . . 173Drittes Capitel. Natürliche Geschichte der Platonischen Liebe . 178Viertes Capitel. Neue Talente der schönen Danae . . . . . 184Fünftes Capitel. Magische Kraft der Musik . . . . . . . . 186Sechstes Capitel. Eine Abschweifung, welche zum Folgenden vorbereitet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191Siebentes Capitel. Nachrichten zu Verhütung eines besorglichen Mißverstandes. Beschluß des vierten Kapitels, nebst einer Herzenserleichterung des Autors . . . . . . . . . . 196Achtes Capitel. Welch ein Zustand, wenn er dauern könnte! . 202 SeiteNeuntes Capitel. Eine bemerkenswürdige Bemerkung der Liebe, oder von der Seelenvermischung . . . . . . . . . . 205Sechstes Buch. Fortsetzung der Liebesgeschichte Agathons und der schönen Danae.Erstes Capitel. Danae erhält einen Besuch von Hippias . . . 210Zweites Capitel. Eine Probe von den Talenten eines Liebenden 217Drittes Capitel. Zuckende Bewegungen der wieder auflebenden Tugend . . . . , . . . . . . . . . . . . . 223Viertes Capitel. Ein Traum . . . . . . . . . . . . . 228Fünftes Capitel. Ein starker Schritt zu einer Katastrophe . . . 236

Geschichte des Agathon.

Erster Theil.

Ueber das Historische im Agathon.

Wiewohl beim ersten Anblick Agathon weniger in die Classe des berühmten Fieldingischen Findlings (wie Einige gemeint haben) als in die Classe der Cyropädie des Xenophon zu gehören scheint, — mit dem Unterschiede jedoch, daß in dieser das Erdichtete in die historische Wahrheit, in jenem hingegen das Historisch-wahre in die Erdichtung eingewebt ist: so ist doch, von einer andern Seite, nicht zu läugnen, daß unser Held sich in einem sehr wesentlichen Stücke von dem Xenophontischen eben so weit entfernt, als er dem Fieldingischen näher kommt. Xenophon hatte (wenn wir einem Kenner von großem Ansehen glauben dürfen) die Absicht, in seinem Cyrus das Ideal eines vollkommnen Regenten aufzustellen, in welchem die Tugenden des besten Fürsten mit den angenehmen Eigenschaften des liebenswürdigsten Mannes vereinigt seyn sollten; oder, wie ein späterer Schriftsteller sagt, es war ihm weniger darum zu thun, den Cyrus zu schildern wie er gewesen war, als wie er hätte seyn sollen, um als König ein Sokratischer Καλος χαι αγαδος zu seyn. Hingegen war die Absicht des Verfassers der Geschichte des Agathon nicht sowohl in seinem Helden ein Bild sittlicher Vollkommenheit zu entwerfen, als ihn so zu schildern, wie, vermöge der Gesetze der menschlichen Natur, ein Mann von seiner Sinnesart gewesen wäre, wenn er unter den vorausgesetzten Umständen wirklich gelebt hätte. In dieser Rücksicht hat er den Horazischen Vers: Quid Virtus et quid Sapientia possit, zum Motto seines Buches gewählt: nicht als ob er an Agathon hätte zeigen wollen, was Weisheit und Tugend an sich selbst sind, sondern, "wie weit es ein Sterblicher durch die Kräfte der Natur in beiden bringen könne; wie viel die äußerlichen Umstände an unsrer Art zu denken, an unsern guten Handlungen oder Vergehungen, an unsrer Weisheit oder Thorheit Antheil haben, und wie es, natürlicher Weise, nicht wohl möglich sey, anders als durch Erfahrung, Fehltritte, unermüdete Bearbeitung unsrer selbst, öftere Veränderungen in unsrer Art zu denken, hauptsächlich aber durch gute Beispiele und Verbindung mit weisen und guten Menschen, selbst ein weiser und guter Mensch zu werden." Und aus diesem Gesichtspunkte hoffet der Verfasser von den Kennern der menschlichen Natur das Zeugniß zu erhalten, daß sein Buch (ob es gleich in einem andern Sinn unter die Werke der Einbildungskraft gehört) des Namens einer Geschichte nicht unwürdig sey.

Da aber gleichwohl der Ort und die Zeit der Begebenheiten sowohl als verschiedene in dieselbe verflochtene Personen wirklich historisch sind: so hat man dem größern Theil der Leser, die vielleicht in dem alten Gräcien niemals sehr bewandert gewesen, oder manches was sie davon wußten wieder vergessen haben, einen kleinen Dienst zu erweisen geglaubt, wenn man einige aus alten Schriftstellern gezogene Nachrichten voraus schickte, vermittelst welcher besagte Leser sich desto leichter in diese Geschichte hinein denken, und von der Uebereinstimmung des erdichteten Theils mit dem historischen richtiger urtheilen könnten.Um also zuvörderst die Zeit, in welcher diese Geschichte sich zugetragen haben soll, festzusetzen, so kann man ungefähr die fünf und neunzigste und hundert und zehnte Olympiade oder das dreihundert acht und neunzigste und dreihundert acht und dreißigste Jahr vor unsrer gemeinen Zeitrechnung als die beiden äußersten Punkte annehmen, in welche die Begebenheiten Agathons eingeschlossen sind. Erweislicher Maßen haben alle in dieselben eingeflochtene Personen innerhalb dieses Zeitraumes gelebt. Und dennoch wollen wir lieber offenherzig gestehen, als erwarten, bis es einem Gelehrten einfallen möchte uns dessen zu überweisen, daß es eine beinahe unmögliche Sache wäre, die Zeitrechnung im Agathon von einigen merklichen Abweichungen von der historischen frei zu sprechen. Die größte Schwierigkeit (wenn die Sache etwas zu bedeuten haben könnte) würde von dem Sophisten Hippias und der schönen Danae entstehen. Der erste war unstreitig ein Zeitgenosse des Sokrates; und da dieser in einem Alter von siebenzig im ersten Jahre der fünf und neunzigsten Olympiade getödtet wurde, Agathon aber, nach den Umständen, welche in seiner Geschichte angegeben werden, nicht wohl vor der fünf und neunzigsten Olympiade hätte geboren werden können: so ließe sich ziemlich genau berechnen, daß in der hundert und zweiten (welches ungefähr die Zeit ist, worin Agathon und Hippias zusammen gekommen) dieser Sophist, wenn wir auch annehmen, daß er zwanzig Jahre jünger als Sokrates gewesen sey, entweder gar nicht mehr gelebt haben, oder wenigstens viel zu betagt gewesen seyn müßte, um die Schönen zu Smyrna im Bade zu besuchen. Bei Danae wird die nämliche Schwierigkeit noch beträchtlicher. Denn gesetzt auch, daß sie nicht über dreizehn Jahre gehabt habe, da sie mit dem Alcibiades bekannt wurde, der, wie man glaubt, im ersten Jahre der vier und neunzigsten Olympiade umkam: so müßte sie doch, als sie dem Agathon eine so außerordentliche Liebe einflößte, bereits eine Frau von fünfzig gewesen seyn. Es ist wahr, das Beispiel der schönen Lais, welche wenigstens eben so alt war, als sie die Unhöflichkeit hatte, dem großen Demosthenes zweitausend Thaler für einen Kuß abzufordern; das weit ältere Beispiel der schönen Helena, welche damals, da die alten Räthe des Königs Priamus durch die Magie ihrer Schönheit einen Augenblick lang in Jünglinge verwandelt wurden, sechzig volle Jahre zählte; das Beispiel der Flötenspielerin Lamia, welche den König Demetrius fesselte, wiewohl sie alt genug war seine Mutter zu seyn; und die neueren der Ninon Lenclos und der Marquise von Maintenon könnten mit gutem Fug zur Verminderung der Unwahrscheinlichkeit einer solchen Dichtung angeführt werden. Aber alle möglichen Beispiele dieser Art würden doch das Unschickliche derselben nicht vermindern; und das beste ist also, den Leser zu ersuchen: daß er sich die schöne Danae, der Chronologie zu Trotz, nicht älter vorstelle, als man seyn muß, um ohne Wunder oder Zauberer noch einen Liebhaber zu haben wie Agathon war. Wenn wir bei der Dido des Virgil oder Metastasio ohne Mühe vergessen können, daß sie dreihundert Jahre nach dem frommen Aeneas, ihrem Verführer, erst geboren wurde: warum sollten wir uns nicht eben so leicht vorstellen können, daß Alcibiades einige Jahre später das Opfer seiner Feinde und seines unruhigen Geistes geworden sey, als uns die griechischen Geschichtschreiber, deren Zeitrechnung ohnehin äußerst verworren ist, berichtet haben?Von den verschiedenen Orten, wohin die Scene im Agathon verlegt wird, wird in diesem Werke immer nach den Begriffen gesprochen, welche die Alten davon haben. Die Gelehrten werden beim ersten Anblick in dem Tempel von Delphi, wo Agathon erzogen wurde, eben denselben Delphischen Tempel erkennen, den uns Euripides in seinem Ion, und Pausanias in seiner Beschreibung von Gracien schildert; in dem Syrakus, wo die Tugend des armen Agathon eine eben so starke Verdunkelung erlitt, als seine Weisheit zu Smyrna erlitten hatte, dasselbe Syrakus, welches uns Plutarch im Leben Dions und Timoleons, und Plato in einem seiner Briefe charakterisirt; und in dem Smyrna, welches Hippias und Danae aus allen andern griechischen Städten zum Aufenthalt erkoren, dieses Smyrna, von welchem auf den Oxfordischen Marmorn gesagt wird, daß es die schönste und glänzendste aller asiatischen Städte sey, und welches uns der Redner Aristides und der Sophist Philostratus als den Sitz der Musen und der Grazien und aller Annehmlichkeiten des Lebens anpreisen. Eben dieß gilt auch von den Sitten, von dem Costume, und von allem, was Zeit, Völker und Personen unterscheidend bezeichnet. Die Athener, welche Agathon beschreibt, sind das nämliche Volk, welches wir aus dem Aristophanes, Xenophon, Demosthenes u. s. w. kennen; die Sophisten nicht viel besser als sie Plato (wiewohl selbst in seiner Art kaum weniger Sophist als jene in der ihrigen) in seinen Dialogen schildert. Lebensart, Ergötzungen, Beschäftigungen und Spiele, alles ist Griechisch, und das Unterscheidende der Griechen in Ionien von den Griechen in Achaja, und dieser von denen in Sicilien und Italien, ist überall mit kennbaren Zügen ausgedrückt, und dem Begriffe gemäß, den das Lesen der Alten in unserm Gemüthe davon zurück läßt — wiewohl zu der Zeit, da Agathon geschrieben wurde, der gelehrte und im alten Gräcien so ganz einheimische Abbé Barthelemy seinen jungen Anacharsis noch nicht hatte reisen lassen.Was die in dieser Geschichte vorkommenden Personen, und zwar fürs erste den Agathon selbst betrifft, so müssen wir unverhohlen gestehen, daß man ihn vergebens in irgend einem Geschichtschreiber suchen würde. Gleichwohl finden wir unter den Freunden des Sokrates einen Agathon, der einige Grundzüge zu dem Bilde unsers Helden hergegeben haben könnte.Dieser Agathon war, wie es scheint, aus einem guten Hause in Athen und einer der liebenswürdigsten Leute seiner Zeit. Plato, der von ihm als einem noch sehr jungen Manne redet, schreibt ihm die schönste Gestalt und eine natürliche Anlage zu einem edeln und tugendhaften Charakter zu. Er that sich unter den dramatischen Dichtern der besten Zeit hervor, und es gereicht ihm zur Ehre, daß ein Kunstrichter, wie Aristoteles, ihn seines Lobes sowohl als seines Tadels gewürdiget hat. Der Vorwurf selbst, der ihm wegen seiner zu großen Neigung zu Gegensätzen gemacht wurde, beweiset seinen Ueberfluß an Witz; einen schönen Fehler, der ihn bei der guten Sinnesart, die man ihm beilegt, nur zu einem desto liebenswürdigern Gesellschafter machen mußte. Dieß ist es auch was Aristophanes, welcher selten rühmt und auch dieses Agathons nicht geschont hat, gleichwohl an ihm lobet; wobei einer seiner Scholiasten (vermuthlich um dieses Lob desto begreiflicher zu machen) anmerkt, daß der Dichter Agathon einen guten Tisch geführt habe. Als ein Beispiel davon pflegt man das berühmte Gastmahl anzuführen, welches er bei Gelegenheit eines Sieges gab, den er in einem öffentlichen Wettstreite der tragischen Dichter davon getragen, und von welchem Plato Gelegenheit zu einem seiner schönsten Dialogen genommen hat. Der Umstand, daß er einen Theil seines Lebens an dem Hofe des Königs Archelaus von Macedonien zugebracht, dem seine Liebe zu den schönen Künsten und die Achtung die er einem Euripides zu beweisen fähig war, einen Platz in dem Andenken der Nachwelt erworben hat, scheint den Beweis, daß dieser Agathon unter die schönen Geister des Sokratischen Jahrhunderts zu zählen sey, vollkommen zu machen; und alles dieß erhöht das Bedauern über den Verlust seiner Tragödien und Lustspiele, aus denen nur wenige unbedeutende Fragmente bis zu uns gekommen sind.Wiewohl nun dieser historische Agathon einige Züge zu dem Charakter des erdichteten geliehen haben mag, so ist doch gewiß, daß der Verfasser das eigentliche Modell zu dem letztern in dem Ion des Euripides gefunden hat. Beide wachsen unter den Lorbern des Delphischen Gottes in gänzlicher Unwissenheit ihrer Abkunft auf; beide gleichen sich an körperlicher und geistiger Schönheit; die nämliche Empfindsamkeit, dasselbe Feuer der Einbildung, dieselbe schöne Schwärmerei, bezeichnet den einen und den andern. Es würde zu weitläuftig seyn, die Aehnlichkeit umständlich zu beweisen; genug daß wir den jungen Freunden der Litteratur einen Fingerzeig gegeben haben, wofern sie die nähere Vergleichung selbst vornehmen wollen. Der Verfasser des Agathon hatte in seinen jüngern Jahren den Euripides vorzüglich aus dem Gesichtspunkt und in der Absicht studirt, woraus und womit junge Künstler den Laokoon, die Gruppe der Niobe, den Vaticanischen Apollo, die Mediceische Venus und andere Werke der höchsten Kunst studiren sollten. — und er hat sich, ob er gleich kein Euripides geworden ist, nicht übel dabei befunden.Auch von der schönen Danae finden wir nicht bloß in der poetischen Welt, sondern unter den griechischen Schönen von derjenigen Classe, die unter dem unmittelbaren Schutze der Liebesgöttin standen, eine Art von Gegenbild gleiches Namens, Leontium, berühmt durch ihre Freundschaft für den Philosophen Epikur, und durch die Aehnlichkeit, welche St. Evremond zwischen ihr und seiner Freundin Ninon Lenclos fand, war die Mutter dieser historischen Danae, welche (nach dem Berichte des Athenäus) die Profession ihrer Mutter mit so gutem Erfolge trieb, daß sie zuletzt die Beischläferin eines gewissen Sophron, Statthalters von Ephesus, und die Vertraute der berüchtigten Königin Laodice von Syrien wurde. Doch weder dieser Umstand, noch dasjenige, was der angezogene Autor von ihrem tragischen Tod erzählt, scheint hinlänglich, ihr die Ehre (wofern es eine ist) zuzuwenden, das Modell der liebenswürdigen Verführerin unsers Helden gewesen zu seyn. Wichtiger werden wir es in der schönen Glycera, welche Alciphron so reizende Briefe an ihren geliebten Menander schreiben läßt, und in einigen, mit der wollüstigsten Schwärmerei der Liebe ausgemalten Schilderungen finden, welche den ersten, zweiten, zwölften und sechs und zwanzigsten der Briefe, oder vielmehr Erzählungen, die dem Aristänet zugeschrieben werden, auszeichnen.Bei dem Sophisten Hippias sind die Nachrichten zum Grunde gelegt worden, welche man im Plato, Cicero, Philostratus und andern alten Schriftstellern von ihm antrifft; aber sein Aufenthalt in Smyrna, und was dahin gehört, ist vermuthlich eine bloße Erdichtung; wenigstens finden sich dazu keine historischen Zeugen. Dieser Hippias war von Elis, einer Stadt in einer im Peloponnesus gelesenen Provinz gleiches Namens, gebürtig. Er war ein Zeitgenosse des Protagoras, Prodikus, Gorgias, Theodorus von Byzanz, und anderer berühmter Sophisten des Sokratischen Jahrhunderts, und that sich durch seine Beredsamkeit und Geschicklichkeit in Geschäften so sehr hervor, daß er, häufiger als irgend ein anderer seinesgleichen, in Gesandtschaften und Unterhandlungen gebraucht wurde. Da er überdieß, nach dem Beispiele des Gorgias, seine Kunst um Geld lehrte: so brachte er ein Vermögen zusammen, welches ihn in den Stand setzte, die prächtige und wollüstige Lebensart auszuhalten, die man ihn im Agathon führen läßt. In der That, wenn man sagen kann, daß es jemals Leute gegeben habe, welche das Geheimniß besaßen, Materien von wenigem Werth in Gold zu verwandeln, so läßt es sich von den Sophisten sagen; und Hippias wußte sich desselben so gut zu bedienen, daß er, seiner eigenen Versicherung nach, mehr damit gewann, als zwei andere von seiner Profession zusammen genommen.Ueberhaupt wurden die Sophisten in der Zeit, wovon hier die Rede ist, für Leute gehalten, die alles wußten. Der vorerwähnte Gorgias soll der erste gewesen seyn, der so viel Zuversicht zu sich selbst oder vielmehr eine so geringe Meinung von seinen Zuhörern hegte, daß er einst bei den olympischen Spielen die ganze griechische Nation herausgefordert haben soll, ihm welche Materie sie wollten zu einer Rede aus dem Stegreif aufzugeben. Eine Prahlerei, die damals für einen vollständigen Beweis einer ganz außerordentlichen Geschicklichkeit galt, und dem Redekünstler Gorgias nichts Geringer's als eine Bildsäule von gediegenem Golde im Delphischen Tempel erwarb; in der Folge aber etwas so Gemeines wurde, daß schon zu Cicero's Zeiten kein auf der Profession des Bei-esprit herum irrender Graeculus war, der nicht alle Augenblicke bereit gewesen wäre, einer geneigten Zuhörerschaft über alles Wirkliche und Mögliche, Große und Kleine, Alte und Neue, stehendes Fußes alles was sich davon sagen lasse, vorzuschwatzen. Auch in diesem Stücke ließ Hippias seine übrigen Professonsverwandten hinter sich. Er ging so weit, daß er (wie ihm der Platonische Sokrates ins Angesicht sagt) die Dreistigkeit hatte, zu Olympia, vor allen Griechen aufzutreten und zu prahlen: es gebe keinen Zweig der menschlichen Erkenntniß, den er nicht verstehe, und keine Kunst, deren Theorie sowohl als Ausübung er nicht in seiner Gewalt habe. "Meine Herren, habe er gesagt, ich verstehe mich nicht nur vollkommen auf Gymnastik, Musik, Sprachkunst und Poetik, Geometrie, Astronomie, Physik, Ethik und Politik, ich verfertige nicht nur Heldengedichte, Tragödien, Komödien, Dithyramben und alle Arten von Werken in Prosa und in Versen; sogar, wie ihr mich hier seht (und er war sehr prächtig gekleidet), hab' ich mich mit eigener Hand ausstaffirt: Unterkleid, Kaftan, Gürtel, Mantel, alles hab' ich selbst gemacht; den Siegelring an meinem Finger hab' ich selbst gestochen; sogar diese Halbstiefeln sind von meiner eigenen Arbeit." Ich weiß nicht, ob alle Achtung, die wir dem Plato und seinem Sokrates (der dem Sohne des Sophroniskus nicht immer ähnlich sieht) schuldig sind, hinlänglich seyn kann, uns von einem Manne, wie Hippias (einem Weltmanne, welcher Geschicklichkeit und Klugheit genug besaß, sich bei seinen Zeitgenossen in das größte Ansehn zu setzen) einen Zug, der den Aufschneidereien eines Marktschreiers in einem Cirkel von Austerweibern und Sackträgern so ähnlich sieht, glauben zu machen. Platons Zuverlässigkeit in demjenigen, was er zum Nachtheil des Hippias sagt, scheint ohnehin um so verdächtiger, da er in den beiden Dialogen, welche dessen Namen führen, den armseligen Kunstgriff gebraucht, diesen Sophisten, um ihn desto lächerlicher zu machen, so unausstehlich dumm und unwissend vorzustellen, ihn so erbärmliche Antworten geben, und am Ende, nachdem er ihn ohne Mühe zu Boden geworfen hat, gleichwohl so abgeschmackt prahlen zu lassen: daß entweder die Griechen zu Platons Zeiten wenig besser als Topinambus gewesen seyn müßten, oder Hippias unmöglich der elende Tropf seyn konnte, wozu ihn Plato erniedrigt. Indessen läßt sich doch aus jener Stelle, und überhaupt aus allem, was der Philosoph und seine Abschreiber von unserm Hippias sagen, so viel ableiten: daß der Verfasser des Agathon hinlänglichen Grund vor sich gehabt habe, diesen Sophisten als einen Prätendenten an allgemeine Gelehrsamkeit, Geschmack, Weltkenntnisse und keine Lebensart abzuschildern.Alles, was von Perikles, Aspasia und Alcibiades im Agathon gesagt wird, ist den Nachrichten gemäß, die uns Plutarch, ein Schriftsteller, der in jedermanns Händen ist oder seyn soll, in den Lebensbeschreibungen des ersten und des letzten hinterlassen hat. Eben dieß gilt auch von dem jüngern Dionysius zu Syrakus, von Philippus, seinem Minister und Vertrauten, und von Dion, seinem Verwandten und Antagonisten. Denn wiewohl die Rolle, die man den Agathon an dem Hofe dieses Fürsten spielen läßt, und verschiedene Begebenheiten, in welche er zu diesem Ende eingeflochten werden mußte, ohne historischen Grund sind: so hat man sich gleichwohl zum Gesetz gemacht, die an diesen philosophischen Roman Antheil habenden historischen Personen weder besser noch schlimmer, als wir sie aus der Geschichte kennen, vorzustellen; und man hat der Erdichtung nicht mehr verstattet, als die historischen Begebenheiten näher zu bestimmen und völliger auszumalen, indem man diejenigen Umstände und Ereignisse hinzu dichtete, welche am geschicktesten schienen, sowohl die Hauptperson der Geschichte, als den bekannten Charakter der vorbenannten historischen Personen in das beste Licht zu stellen, und dadurch den Endzweck des moralischen Nutzens, um dessentwillen das ganze Werk da ist, desto vollkommener zu erreichen.Diejenigen, welchen es vielleicht scheinen möchte, daß der Verfasser den Philosophen Aristipp zu sehr verschönert, dem Plato hingegen nicht hinlängliche Gerechtigkeit erwiesen habe, werden die Gründe, warum jener nicht häßlicher und dieser nicht vollkommner geschildert worden, dereinst in einer ausführlichen Geschichte der Sokratischen Schule (wenn wir anders Muße gewinnen werden, ein Werk von diesem Umfang auszuführen) entwickelt finden. Hier mag es genug seyn, wenn wir versichern, daß beides nicht ohne sattsame Ursachen geschehen ist. Aristipp, bei aller seiner Aehnlichkeit mit dem Sophisten Hippias, unterschied sich unstreitig durch eine bessere Sinnesart und einen ziemlichen Theil von Sokratischem Geiste. Ein Mann wie Aristipp wird der Welt immer mehr Gutes als Böses thun; und wiewohl seine Grundsätze, ohne das Laster eigentlich zu begünstigen, von einer Seite der Tugend nicht sehr beförderlich sind: so erfordert doch die Billigkeit zu gestehen, daß sie auf der andern, als ein sehr wirksames Gegengift gegen die Ausschweifungen der Einbildungskraft und des Herzens, gute Dienste thun, und dadurch jenen Nachtheil reichlich wieder vergüten können. Aber wir besorgen sehr, daß Plato, anstatt einige Genugthuung an den Verfasser des Agathons fordern zu können, bei genauester Untersuchung ungleich mehr zu verlieren, als zu gewinnen haben dürfte.Der edelste, ehrwürdigste und lehrreichste Charakter in dem ganzen Werke ist unstreitig der alte Archytas; und um so viel angenehmer ist uns, zur Ehre der Menschheit versichern zu können, daß dieser Charakter ganz historisch ist. Archytas, der beste Mann, den die Pythagorische Schule hervorgebracht, vereinigte wirklich in seiner Person die Verdienste des Philosophen, des Staatsmannes und des Feldherrn; was Plato scheinen wollte, das war Archytas; und wenn jemals ein Mann verdient hat als ein Muster von Weisheit und Tugend aufgestellt zu werden, so war es dieser Vorsteher der Tarentinischen Republik. Da er ein Zeitgenosse der hauptsächlichsten Personen in unserer Geschichte war, so schien er sich dem Verfasser gleichsam selbst zu dem Gebrauch anzubieten, den er von ihm macht. Wen hätte er mit besserm Grund und Erfolg einem Hippias entgegen stellen können, als diesen wahren Weisen, dessen Grundsätze das gewisseste Gegengift gegen die verführerischen Trugschlüsse des Sophisten enthielten, und dessen ganzes Leben die vollständigste Widerlegung derselben gewesen war?
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Erstes Buch.

Agathon wird durch Cilicische Seeräuber aus einem gefährlichen Abenteuer gerettet, und in Smyrna zum Sklaven verkauft.

Erstes Capitel.

Erster Auftritt unsers Helden.

Die Sonne neigte sich zum Untergang, als Agathon, der sich in einem unwegsamen Walde verirrt hatte, abgemattet von der vergeblichen Bemühung einen Ausgang zu finden, an dem Fuß eines Berges anlangte, welchen er noch zu ersteigen wünschte, in Hoffnung von dem Gipfel desselben irgend einen bewohnten Ort zu entdecken, wo er die Nacht zubringen könnte. Er schleppte sich mit Mühe durch einen Fußweg hinauf, den er zwischen den Gesträuchen gewahr ward; allein da er ungefähr die Mitte des Berges erreicht hatte, fühlte er sich so entkräftet, daß er den Muth verlor den Gipfel erreichen zu können, der sich immer weiter von ihm zu entfernen schien, je mehr er ihm näher kam. Er warf sich also ganz athemlos unter einen Baum hin, der eine kleine Terrasse umschattete, und beschloß die einbrechende Nacht daselbst zuzubringen.Wenn sich jemals ein Mensch in Umständen befand, die man unglücklich nennen kann, so war es dieser Jüngling, in der Lage, worin unsere Bekanntschaft mit ihm sich anfängt. Vor wenigen Tagen noch ein Günstling des Glücks und der Gegenstand des Neides seiner Mitbürger, sah er sich, durch einen plötzlichen Wechsel, seines Vermögens, seiner Freunde, seines Vaterlandes beraubt, allen Zufällen des widrigen Glücks und selbst der Ungewißheit ausgesetzt, wie er das nackte Leben, das ihm übrig gelassen war, erhalten möchte. Und dennoch, wiewohl so viele Widerwärtigkeiten sich vereinigten seinen Muth niederzuschlagen, versichert uns die Geschichte, daß derjenige, der ihn in diesem Augenblicke gesehen hätte, weder in seiner Miene noch in seinen Gebärden einige Spur von Verzweifelung, Ungeduld oder nur von Mißvergnügen hätte bemerken können.Vielleicht erinnern sich einige hierbei an den Weisen der Stoiker, von welchem man ehemals versicherte, daß er in dem glühenden Ochsen des Phalaris zum wenigsten so glücklich seyn würde, als ein morgenländischer Bassa in den Armen einer schönen Tschirkassierin. Da sich aber in dem Laufe dieser Geschichte verschiedene Proben einer nicht geringen Ungleichheit unsers Helden mit dem Weisen des Seneca zeigen werden: so halten wir für wahrscheinlicher, daß seine Seele von der Art derjenigen gewesen sey, welche dem Vergnügen immer offen stehen, und bei denen eine einzige angenehme Empfindung hinlänglich ist, sie alles vergangenen und künftigen Kummers vergessen zu machen. Eine Oeffnung des Waldes zwischen zwei Bergen zeigte ihm — die untergehende Sonne. Es brauchte nichts mehr als diesen Anblick, um das Gefühl seiner widrigen Umstände zu unterbrechen, Er überließ sich der Begeisterung, in welche dieses majestätische Schauspiel empfindliche Seelen zu setzen pflegt, ohne sich eine Zeit lang seiner dringendsten Bedürfnisse zu erinnern. Endlich weckte ihn das Rauschen einer Quelle, die nicht weit von ihm aus einem Felsen hervorsprudelte, aus dem angenehmen Staunen, worin er sich selbst vergessen hatte; er stand auf, und schöpfte mit der hohlen Hand von diesem Wasser, dessen fließenden Kristall, seiner Einbildung nach, eine wohlthätige Nymphe ihm aus ihrem Marmorkrug entgegen goß; und, anstatt die von Cyprischem Weine sprudelnden Becher der gewohnten Athenischen Gastmähler zu vermissen, däuchte ihm, daß er niemals angenehmer getrunken habe. Er legte sich wieder nieder, entschlief unter dem sanft betäubenden Gemurmel der Quelle, und träumte, daß er seine geliebte Psyche wieder gefunden habe, deren Verlust das Einzige war, was ihm von Zeit zu Zeit einige Seufzer auspreßte.
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Zweites Capitel.

Etwas ganz Unerwartetes.

Wenn es seine Richtigkeit hat, daß alle Dinge in der Welt in der genauesten Beziehung auf einander stehen, so ist nicht minder gewiß, daß diese Verbindung unter einzelnen Dingen oft ganz unmerklich ist; und daher scheint es zu kommen, daß die Geschichte zuweilen viel seltsamere Begebenheiten erzählt, als ein Romanschreiber zu dichten wagen dürfte. Dasjenige, was unserm Helden in dieser Nacht begegnete, gibt eine neue Bekräftigung dieser Bemerkung ab. Er genoß noch die Süßigkeit des Schlafs, welchen Homer für ein so großes Gut hält, daß er ihn auch den Unsterblichen zueignet, als er durch ein lärmendes Getöse plötzlich aufgeschreckt wurde. Er horchte gegen die Seite, woher es zu kommen schien, und glaubte in dem vermischten Getümmel ein seltsames Heulen und Jauchzen zu unterscheiden, welches von den entgegenstehenden Felsen fürchterlich widerhallte. Agathon, der nur im Schlaf erschreckt werden konnte, beschloß diesem Getöse muthig entgegen zu gehen. Er bestieg den obern Theil des Berges mit so vieler Eilfertigkeit als er konnte, und der Mond, dessen voller Glanz die ganze Gegend weit umher aus den dämmernden Schatten hob, begünstigte sein Unternehmen. Das Getümmel nahm immer zu, je näher er dem Rücken des Berges kam. Er unterschied itzt den Schall von Trommeln und ein schmetterndes Getön von Schalmeien und Pfeifen, mit einem wilden Geschrei weiblicher Stimmen vermischt, die ihn nicht länger ungewiß ließen, was dieser Lärm bedeuten möchte; als sich ihm plötzlich ein Schauspiel darstellte, worüber der obenerwähnte Weise selbst seiner Göttlichkeit auf einen Augenblick hätte vergessen können. Ein schwärmender Haufe von jungen Thracischen Frauen war es, welche sich in dieser Nacht versammelt hatten, die unsinnigen Gebräuche zu begehen, die das heidnische Alterthum zum Andenken des berühmten Zuges des Bacchus aus Indien eingesetzt hatte. Ohne Zweifel könnte eine ausschweifende Einbildungskraft, oder der Griffel eines la Fage von einer solchen Scene eine ziemlich verführerische Abbildung machen; allein die Eindrücke, die der wirkliche Anblick auf unsern Helden machte, waren nichts weniger als von der reizenden Art. Das stürmisch fliegende Haar, die rollenden Augen, die beschäumten Lippen, die aufgeschwollenen Muskeln, die wilden Gebärden und die rasende Fröhlichkeit, womit diese Unsinnigen, in tausend frechen Stellungen, ihre mit Epheu und zahmen Schlangen umwundnen Spieße schüttelten, ihre Klapperbleche zusammenschlugen, oder abgebrochene Dithyramben mit lallender Zunge stammelten: alle diese Ausbrüche einer fanatischen Wuth, die ihm nur desto schändlicher vorkam, weil sie den Aberglauben zur Quelle hatte, machten seine Augen unempfindlich, und erweckten in ihm einen Ekel vor Reizungen, welche mit der Schamhaftigkeit alle Macht über seine Sinnen verloren hatten. Er wollte zurück fliehen, aber es war unmöglich, weil er in dem nämlichen Augenblicke von ihnen bemerkt wurde. Der Anblick eines Jünglings, an einem Ort und an einem Feste, welche von keinem männlichen Aug' entweihet werden durften. hemmte plötzlich den Lauf ihrer lärmenden Fröhlichkeit, um alle ihre Aufmerksamkeit auf diese Erscheinung zu wenden.Hier können wir unsern Lesern einen Umstand nicht länger verhehlen, der in diese ganze Geschichte keinen geringen Einfluß hat. Agathon war von einer so wunderbaren Schönheit, daß die Zeuxis und Alkamenes seiner Zeit, weil sie die Hoffnung aufgaben, eine vollkommnere Gestalt zu erfinden oder aus den erfreuten Schönheiten der Natur zusammen zu setzen, die seinige zum Muster zu nehmen pflegten, wenn sie den schönen Apollo oder den jungen Bacchus darstellen wollten. Niemals hatte ihn ein weibliches Aug' erblickt, ohne die Schuld ihres Geschlechtes zu bezahlen, welches für die Schönheit so empfindlich gemacht zu seyn scheint, daß diese einzige Eigenschaft den meisten unter ihnen die Abwesenheit aller übrigen verbirgt. Agathon hatte der seinigen in diesem Augenblicke noch mehr zu danken: sie rettete ihn von dem Schicksal des Pentheus und Orpheus. Seine Schönheit setzte diese Mänaden in Erstaunen. Ein Jüngling von einer solchen Gestalt, an einem solchen Orte, zu einer solchen Zeit! Konnten sie ihn für etwas Geringeres halten, als für den Bacchus selbst? In dem Taumel, worin sich ihre Sinnen befanden, war nichts natürlicher als dieser Gedanke; auch gab er ihrer Phantasie plötzlich einen so feurigen Schwung, daß sie zur Gestalt dieses Gottes, welche sie vor sich sahen, alles Uebrige hinzu dichtete, was ihm zu einem vollständigen Bacchus mangelte. Ihre bezauberten Augen stellten ihnen die Silenen vor, und die ziegenfüßigen Saturn, die um ihn her schwärmten, und Tiger und Leoparden, die mit liebkosender Zunge seine Füße leckten; Blumen, so däucht' es sie, entsprangen unter seinen Fußsohlen, und Quellen von Wein und Honig sprudelten von jedem seiner Tritte auf, und rannen in schäumenden Bächen die Felsen hinab. Auf einmal erschallte der ganze Berg, der Wald und die benachbarten Felsen von ihrem lauten Evan, Evoe! mit einem so entsetzlichen Getöse der Trommeln und Klapperbleche, daß Agathon, von Entsetzen und Erstaunen gefesselt, und wie eine Bildsäule stehen blieb, indeß die entzückten Bacchantinnen gaukelnde Tänze um ihn her wanden, und durch tausend unsinnige Gebärden ihre Freude über die vermeinte Gegenwart ihres Gottes ausdrückten.Allein auch die unmäßigste Schwärmerei hat ihre Gränzen, und muß endlich der Obermacht der Sinnen weichen. Zum Unglück für den Helden unserer Geschichte kamen diese Unsinnigen allmählich aus einer Entzückung zurück, worüber sich vermuthlich ihre Einbildungskraft gänzlich abgemattet hatte, und bemerkten immer mehr Menschliches an demjenigen, den seine ungewöhnliche Schönheit in ihren trunkenen Augen vergöttert hatte. Etliche, die das Bewußtseyn ihrer eignen stolz genug machte, die Ariadnen dieses neuen Bacchus zu seyn, näherten sich ihm, und setzten ihn durch die Lebhaftigkeit, womit sie ihre Empfindungen ausdrückten, in eine desto größere Verlegenheit, je weniger er geneigt war, ihre ungestümen Liebkosungen zu erwiedern. Vermuthlich würde unter ihnen selbst ein grimmiger Streit entstanden seyn, und Agathon zuletzt das tragische Schicksal des Orpheus erfahren haben, wenn nicht die Unsterblichen, die das Gewebe der menschlichen Zufälle leiten, ein unverhofftes Mittel seiner Errettung in dem nämlichen Augenblicke herbei gebracht hätten, da weder seine Stärke, noch seine Tugend ihn zu retten hinlänglich war.
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Drittes Capitel.

Unterbrechung des Bacchusfestes.

Eine Schaar Cilicischer Seeräuber, welche, um frisches Wasser einzunehmen, bei nächtlicher Weile an dieser Küste gelandet, hatten von fern das Getümmel der Bacchantinnen gehört, und es für einen Aufruf zu einer ansehnlichen Beute angenommen. Sie erinnerten sich, daß die vornehmsten Frauen dieser Gegend die geheimnißvollen Orgien um diese Zeit zu begehen, und dabei in ihrem schönsten Putz aufzuziehen pflegten; wiewohl sie vor Besteigung des Berges sich dessen gänzlich entledigten, und alles bis zu ihrer Wiederkunft von einer Anzahl Sklavinnen bewachen ließen. Die Hoffnung, außer diesen Frauen, von denen sie die schönsten für die Gynäceen asiatischer Fürsten und Satrapen bestimmten, eine Menge von kostbaren Kleidern und Juwelen zu erbeuten, schien ihnen wohl werth, sich etwas länger aufzuhalten. Sie theilten sich also in zwei Haufen, wovon der eine sich der Sklavinnen bemächtigte, welche die Kleider hüteten, indessen die übrigen den Berg bestiegen, und, mit großem Geschrei unter die Thracierinnen einstürmend, sich von ihnen Meister machten, ehe sie Zeit oder Muth hatten sich zur Wehre zu setzen. Die Umstände waren allerdings so beschaffen, daß sie sich allein mit den gewöhnlichen und anständigen Waffen ihres Geschlechts vertheidigen konnten. Allein diese Cilicier waren allzu sehr Seeräuber, um auf die Thränen und Bitten, ja selbst auf die Reizungen dieser Schönen einige Achtung zu geben, wiewohl sie in diesem Augenblicke, da Schrecken und Zagheit ihnen den sanften Zauber der Weiblichkeit wieder gegeben hatte, selbst dem sittsamen Agathon so verführerisch vorkamen, daß er für gut befand, seine nicht gerne gehorchenden Augen an den Boden zu heften. Die Räuber hatten jetzt andre Sorgen, und waren nur darauf bedacht, wie sie ihre Beute aufs schleunigste in Sicherheit bringen möchten. Und so entging Agathon —für etliche nicht allzu feine Scherze über die Gesellschaft worin man ihn gefunden hatte, und für seine Freiheit — einer Gefahr, aus welcher er, seinen Gedanken nach, sich nicht zu theuer loskaufen konnte. Der Verlust der Freiheit schien ihn in den Umständen, worin er war, wenig zu bekümmern. In der That, da er alles verloren, was die Freiheit schätzbar macht, so hatte er wenig Ursache sich wegen eines Verlustes zu kränken, der ihm wenigstens eine Veränderung im Unglück versprach.Nachdem die Cilicier mit ihrer gesammten Beute wieder zu Schiffe gegangen, und die Theilung derselben mit größerer Eintracht, als womit die Vorsteher mancher kleinen Republik sich in die öffentlichen Einkünfte zu theilen pflegen, geendigt hatten, brachten sie den Rest der Nacht mit einem Schmause zu, bei welchem sie nicht vergaßen, sich für die Unempfindlichkeit zu entschädigen, die sie bei Eroberung der Thracischen Schönen bewiesen hatten. Unterdessen aber, daß das ganze Schiff beschäftigt war, das angefangene Bacchusfest zu vollenden, hatte sich Agathon unbemerkt in einen Winkel zurückgezogen, wo er vor Müdigkeit abermals einschlummerte, und gerne den Traum fortgesetzt hätte, aus welchem ihn das Evan Evoe der berauschten Mänaden geweckt hatte.
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Viertes Capitel.

Unverhoffte Zusammenkunft zweier Liebenden. Erzählung der Psyche.

Als die aufgehende Sonne das Ionische Meer mit ihren ersten Strahlen vergoldete, fand sie alle diejenigen (mit Virgil zu reden) von Wein und Schlaf begraben, welche die Nacht durch dem Bacchus und seiner Göttin Schwester geopfert hatten. Nur Agathon, gewohnt mit der Morgenröthe zu erwachen, wurde von den ersten Strahlen geweckt, die in horizontalen Linien an seiner Stirne hinschlüpften. Indem er die Augen aufschlug, sah er einen jungen Menschen in Sklavenkleidung vor sich stehen, welcher ihn mit großer Aufmerksamkeit betrachtete. Wie schön Agathon war, so schien er doch von diesem liebenswürdigen Jüngling an Feinheit der Gestalt und Farbe übertroffen zu werden. In der That hatte dieser in seiner Gesichtsbildung und in seiner ganzen Figur etwas so Jungfräuliches, daß er, gleich dem Horazischen Gyges in weiblicher Kleidung unter eine Schaar von Mädchen gemischt, gar leicht das Auge des schärfsten Kenners betrogen haben würde.Agathon erwiederte den Anblick des jungen Sklaven mit einer Aufmerksamkeit, in welcher ein angenehmes Erstaunen nach und nach sich bis zur Entzückung erhob. Eben diese Bewegungen enthüllten sich auch in dem anmuthigen Gesichte des jungen Sklaven: ihre Seelen erkannten einander zugleich, und schienen durch ihre Blicke schon in einander zu fließen, eh' ihre Arme sich umfangen, ehe die von Entzückung bebenden Lippen — Psyche — Agathon — ausrufen konnten.Sie schwiegen eine lange Zeit. Dasjenige was sie empfanden, war über allen Ausdruck. Und wozu hätten sie auch der Worte bedurft? Der Gebrauch der Sprache hört auf, wenn sich die Seelen einander unmittelbar mittheilen, sich unmittelbar anschauen und berühren, und in Einem Augenblick mehr empfinden, als die Zunge der Musen selbst in ganzen Jahren auszusprechen vermöchte. Die Sonne würde vielleicht unbemerkt über ihrem Haupte weg und wieder in den Ocean hinab gestiegen seyn, ohne daß sie in dem fortdauernden Momente der Entzückung den Wechsel der Stunden bemerkt hätten: wenn nicht Agathon (dem es allerdings zukam hierin der erste zu seyn) sich mit sanfter Gewalt aus den Armen seiner Psyche losgewunden hätte, um von ihr zu erfahren, durch was für einen Zufall sie in die Gewalt der Seeräuber gekommen sey. Die Zeit ist kostbar, liebe Psyche, sagte er, wir müssen uns der Augenblicke bemächtigen, da diese Barbaren, von der Gewalt ihres Gottes bezwungen, zu Boden liegen. Erzähle mir, durch was für einen Zufall du von meiner Seite gerissen wurdest, ohne daß es mir möglich war zu erfahren, wie, oder wohin? Und wie finde ich dich jetzt in diesem Sklavenkleide und in der Gewalt dieser Seeräuber?"Du erinnerst dich, antwortete ihm Psyche, jener unglücklichen Stunde, da die eifersüchtige Pythia unsre Liebe, so geheim wir sie zu halten vermeinten, entdeckte. Nichts war ihrer Wuth zu vergleichen, und es fehlte nur, daß ihre Rache mein Leben selbst zum Opfer verlangte; denn sie ließ mich einige Tage alles erfahren, was verschmähte Liebe erfinden kann, um eine glückliche Nebenbuhlerin zu quälen. Wiewohl sie es nun in ihrer Gewalt hatte, mich deinen Augen gänzlich zu entziehen, so hielt sie sich doch niemals sicher, so lang' ich zu Delphi seyn würde. Sie machte bald ein Mittel ausfindig, sich meiner zu entledigen, ohne Argwohn zu erwecken; sie schenkte mich einer Verwandten, die sie zu Syrakus hatte, und weil sie mich an diesem Orte weit genug von dir entfernt hielt, säumte sie nicht, mich in der größten Stille nach Sicilien bringen zu lassen. Die Thörin! die nicht wußte, daß keine Scheidung der Leiber deine Psyche verhindern könne, über Länder und Meere wegzufliegen, und gleich einem liebenden Schatten über dir zu schweben! Oder hoffte sie etwa reizender in deinen Augen zu werden, wenn du mich nicht mehr neben ihr sehen würdest? Wie wenig kannte sie dich und mich! —"Ich verließ Delphi mit zerrissenem Herzen. Als ich den letzten Blick auf die bezauberten Haine heftete, wo deine Liebe mir ein neues Wesen, ein neues Daseyn gab, wogegen mein voriges Leben eine ekelhafte Abwechslung von einförmigen Tagen und Nächten, ein ungefühltes Pflanzenleben war, — als ich diese geliebte Gegend endlich ganz aus den Augen verlor — nein, Agathon, ich kann es nicht beschreiben! ich hörte auf, mich selbst zu fühlen. Man brachte mich ins Leben zurück. Ein Strom von Thränen erleichterte mein gepreßtes Herz. Es war eine Art von Wollust in diesen Thränen, ich ließ ihnen freien Lauf, ohne mich zu bekümmern, daß sie gesehen wurden. Die Welt schien mir ein leerer Raum, alle Gegenstände um mich her Träume und Schatten; du und ich waren allein; ich sah nur dich, hörte nur dich, ich lag an deiner Brust, legte meinen Arm um deinen Hals, zeigte dir meine Seele in meinen Augen. Ich führte dich in die heiligen Schatten, wo du mich einst die Gegenwart der Unsterblichen fühlen ehrtest; ich saß zu deinen Füßen, und meine an deinen Lippen bangende Seele glaubte den Gesang der Musen zu hören, wenn du sprachst. Wir wandelten Hand in Hand beim sanften Mondscheine durch elysische Gegenden, oder setzten uns unter die Blumen, stillschweigend, indem unsre Seelen in ihrer eignen geistigen Sprache sich einander enthüllten, lauter Licht und Wonne um sich her sahen, und nur unsterblich zu seyn wünschten, um sich ewig lieben zu können. Unter diesen Erinnerungen, deren Lebhaftigkeit alle äußre Empfindungen verdunkelte, beruhigte sich mein Herz allgemach. Ich, die sich selbst nur für einen Theil deines Wesens hielt, konnte nicht glauben, daß wir immer getrennt bleiben würden. Diese Hoffnung machte nun mein Leben aus. und bemächtigte sich meiner so sehr, daß ich wieder heiter wurde. Denn ich zweifelte nicht, ich wußte es, daß du nicht aufhören könntest mich zu lieben. Ich überließ dich der glühenden Leidenschaft einer mächtigen und reizenden Nebenbuhlerin, ohne sie einen Augenblick zu fürchten. Ich wußte, daß, wenn sie es auch so weit bringen könnte, deine Sinnen zu verführen, sie doch unfähig sey, dir eine Liebe einzuflößen wie die unsrige, und daß du dich bald wieder nach derjenigen sehnen würdest, die dich allein glücklich machen kann, weil sie allein dich lieben kann, wie du geliebt zu seyn wünschest. —"Unter tausend solchen Gedanken kam ich endlich zu Syrakus an. Die vorsichtige Priesterin hatte Anstalten gemacht, daß ich nirgend Mittel finden konnte, dir von meinem Aufenthalte Nachricht zu geben. Meine neue Gebieterin war von der guten Art von Geschöpfen, welche gemacht sind sich selbst zu gefallen und sich alles gefallen zu lassen. Ich wurde zu der Ehre bestimmt, den Aufputz ihres schönen Kopfes zu besorgen; und die Art, wie ich dieses Amt verwaltete, erwarb mir ihre Gunst so sehr, daß sie mich beinahe so zärtlich liebte wie — ihren Schooßhund. In diesem Zustande hielt ich mich für so glücklich, als ich es, ohne deine Gegenwart, in einem jeden andern hätte seyn können. Aber die Ankunft des Sohnes meiner Gebieterin veränderte die Scene."Narcissus (so hieß der junge Herr) war von seiner Mutter nach Athen geschickt worden, die Weisen daselbst zu hören, und die keinen Sitten der Athener an sich zu nehmen. Allein er hatte keine Zeit gefunden, weder das eine noch das andre zu thun. Einige junge Leute, welche sich seine Freunde nannten, machten jeden Tag eine neue Lustbarkeit ausfindig, die ihn verhinderte, die schwermüthigen Spaziergänge der Philosophen zu besuchen. Ueberdieß hatten ihm die artigsten Blumenhändlerinnen von Athen gesagt, daß er ein sehr liebenswürdiger junger Herr wäre, er hatte es ihnen geglaubt, und sich also keine Mühe gegeben erst zu werden, was er, nach einem so vollgültigen Zeugnisse, schon war. Er hatte sich mit nichts beschäftiget, als seine Person in das gehörige Licht zu setzen; niemand in Athen konnte sich rühmen, lächerlicher geputzt zu seyn, weißere Zähne und sanftere Hände zu haben als Narcissus. Er war der erste in der Kunst, sich in einem Augenblick zweimal auf einem Fuße herum zu drehen, oder ein Blumensträußchen an die Stirne einer Schönen zu stecken. Mit solchen Vorzügen glaubte er einen natürlichen Beruf zu haben, sich dem weiblichen Geschlecht anzubieten. Die Leichtigkeit, womit seine Verdienste über die zärtlichen Herzen der Blumenmädchen gesiegt hatten, machte ihm Muth, sich an die Kammermädchen zu wagen, und von den Nymphen erhob er sich endlich zu den Göttinnen selbst. Ohne sich zu bekümmern, wie sein Herz aufgenommen wurde, hatte er sich angewöhnt zu glauben, daß er unwiderstehlich sey; und wenn er nicht allemal Proben davon erhielt, so machte er sich dafür schadlos, indem er sich der Gunstbezeugungen am meisten rühmte, die er nicht genossen hatte. —Wunderst du dich, Agathon, woher ich so wohl von ihm unterrichtet bin? Von ihm selbst, Was meine Augen nicht an ihm entdeckten, sagte mir sein Mund. Denn er selbst war der unerschöpfliche Inhalt seiner Gespräche, so wie der einzige Gegenstand seiner Bewunderung. Ein Liebhaber von dieser Art sollte, dem Ansehn nach, wenig zu bedeuten haben. Eine Zeit lang belustigte mich seine Thorheit; aber endlich fand er es unanständig, daß eine Aufwärterin seiner Mutter unempfindlich gegen ein Herz bleiben sollte, um welches die Blumenhändlerinnen und Flötenspielerinnen zu Athen einander beneidet hatten, und ich sah mich genöthigt, meine Zuflucht zu seiner Mutter zu nehmen. Allein eben diese leutselige Sinnesart, welche sie gütig gegen sich selbst, gegen ihr Schooßhündchen, und gegen alle Welt machte, machte sie auch gütig gegen die Thorheiten ihres Sohnes. Sie schien es sogar übel zu nehmen, daß ich von den Vorzügen eines so liebreizenden Jünglings nicht stärker gerührt würde, Die Ungeduld über die Anfälle, denen ich beständig ausgesetzt war, gab mir tausendmal den Gedanken ein, mich heimlich wegzustehlen. Allein da ich keine Nachricht von dir hatte, wohin hätte ich fliehen sollen? Ein Reisender von Delphi hatte uns zwar gesagt, daß du daselbst unsichtbar geworden, aber niemand konnte sagen, wo du seyst. Diese Ungewißheit stürzte mich in eine Unruhe, die meiner Gesundheit nachtheilig zu werden anfing, als eben dieser Narcissus, dessen lächerliche Liebe — zu sich selbst mich so lange gequält hatte, mir ohne seine Absicht das Leben wieder gab, indem er erzählte: daß ein gewisser Agathon von Athen, nach einem Sieg über die aufrührischen Einwohner von Euböa, diese Insel seiner Republik wieder unterworfen habe. Die Umstände, die er von diesem Agathon hinzu fügte, ließen mich nicht zweifeln, daß du es seyst. Eine gutherzige Sklavin beförderte meine Flucht. Sie hatte einen Liebhaber, der sie beredet hatte, sich von ihm entführen zu lassen. Ich half ihr dieses Vorhaben ausführen, und begleitete sie; der junge Sicilianer verschaffte mir zur Dankbarkeit dieses Sklavenkleid, und brachte mich auf ein Schiff, welches nach Athen bestimmt war. Ich wurde für einen Sklaven ausgegeben, der seinen Herrn zu Athen suchte, und überließ mich zum zweiten Mal den Wellen, aber mit ganz andern Empfindungen als das erste Mal, da sie nun, anstatt mich von dir zu entfernen, uns wieder zusammen bringen sollten."Unsere Fahrt war einige Tage glücklich, außer daß ein widriger Wind unsre Reise ungewöhnlich verlängerte. Allein am Abend des sechsten Tages erhob sich ein heftiger Sturm, der uns in wenigen Stunden wieder einen großen Weg zurück machen ließ; unsre Schiffer waren endlich so glücklich, eine von den unbewohnten Cykladen zu erreichen, wo wir uns vor dem Sturm in Sicherheit setzten. Wir fanden in der Bucht, wohin wir uns geflüchtet hatten, ein Schiff liegen, worin sich eben diese Cilicier befanden, denen wir jetzt zugehören. Sie hatten eine griechische Flagge aufgesteckt, sie grüßten uns, sie kamen zu uns herüber, und weil sie unsre Sprache redeten, so hatten sie keine Mühe uns so viele Mährchen vorzuschwatzen, als sie nöthig fanden uns sicher zu machen. Nach und nach wurde unser Volk vertraulich mit ihnen; sie brachten etliche große Krüge mit cyprischem Weine, wodurch sie in wenig Stunden alle unsre Leute wehrlos machten. Sie bemächtigten sich hierauf unsers ganzen Schiffes, und begaben sich, sobald sich der Sturm in etwas gelegt hatte, wieder in die See. Bei der Theilung wurd' ich einmüthig dem Hauptmanne der Räuber zuerkannt. Man bewunderte meine Gestalt, ohne mein Geschlecht zu muthmaßen. Allein diese Verborgenheit half mir nicht so viel, als ich gehofft hatte. Der Cilicier, den ich für meinen Herrn erkennen mußte, verzog nicht lange, mich mit einer ekelhaften Leidenschaft zu quälen. Er nannte mich seinen kleinen Ganymed, und schwor bei allen Tritonen und Nereiden, daß ich ihm seyn müßte, was dieser Trojanische Prinz dem Jupiter gewesen sey. Wie er sah, daß seine Schmeicheleien ohne Wirkung waren, nöthigte er mich zuletzt, ihm zu zeigen, daß ich mein Leben gegen meine Ehre für nichts halte. Dieß verschaffte mir einige Ruhe, und ich fing an, auf ein Mittel meiner Befreiung zu denken. Ich gab dem Räuber zu verstehen. daß ich von einem ganz andern Stande sey, als mein sklavenmäßiger Anzug zu erkennen gäbe, und bat ihn aufs inständigste mich nach Athen zu führen, wo er für meine Erledigung erhalten würde, was er nur fordern wollte. Allein über diesen Punkt war er unerbittlich, und jeder Tag entfernte uns weiter von diesem geliebten Athen, welches, wie ich glaubte, meinen Agathon in sich hielt. Wie wenig dachte ich, daß eben diese Entfernung, über die ich untröstbar war, uns wieder zusammen bringen würde! Aber ach! in was für Umständen finden wir uns beide wieder! Beide der Freiheit beraubt, ohne Freunde, ohne Hülfe, ohne Hoffnung befreit zu werden; verurtheilt, ungesitteten Barbaren dienstbar zu seyn. Die unsinnige Leidenschaft meines Herrn wird uns sogar des einzigen Vergnügens berauben, welches unsern Zustand erleichtern könnte. Seitdem ihm meine Entschlossenheit die Hoffnung benommen hat, seinen Endzweck zu erreichen, scheint sich seine Liebe in eine wüthende Eifersucht verwandelt zu haben, welche sich bemüht, dasjenige, was man selbst nicht genießen kann, wenigstens keinem andern zu Theil werden zu lassen. Der Barbar wird dir keinen Umgang mit mir verstatten, da er mir kaum sichtbar zu seyn erlaubt. Doch, die ungewisse Zukunft soll mir nicht einen Augenblick von der gegenwärtigen Wonne rauben. Ich sehe dich, Agathon, und bin glücklich. Wie begierig hätte ich vor wenigen Stunden einen Augenblick wie diesen mit meinem Leben erkauft!"Indem sie dieses sagte, umarmte sie den glücklichen Agathon mit einer so rührenden Zärtlichkeit, daß die Entzückung, die ihre Herzen einander mittheilten, eine zweite sprachlose Stille hervorbrachte. Und wie sollten wir beschreiben können, was sie empfanden, da der Mund der Liebe selbst nicht beredt genug war, es auszudrücken?
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Fünftes Capitel.

Wie Psyche und Agathon wieder getrennt werden.

Nachdem unsre Liebhaber aus ihrer Entzückung zurück gekommen waren, verlangte Psyche von Agathon eben dieselbe Gefälligkeit, die sie durch Erzählung ihrer Begebenheiten für seine Neugierde gehabt hatte. Er meldete ihr also: auf was Weise er von Delphi entflohen; wie er mit einem angesehenen Athener bekannt geworden, und wie sich entdeckt habe, daß dieser Athener sein Vater sey; wie er durch einen Zufall in die öffentlichen Angelegenheiten verwickelt, und durch seine Beredsamkeit dem Volke angenehm geworden; die Dienste, die er der Republik geleistet; durch was für Mittel seine Neider das Volk wider ihn aufgebracht, und wie er vor wenigen Tagen, mit Verlust aller seiner väterlichen Güter und Ansprüche, lebenslänglich aus Athen verbannt worden; wie er den Entschluß gefaßt, eine Reise in die Morgenländer vorzunehmen, und durch was für einen Zufall er in die Hände der Cilicier gerathen.Sie fingen nun auch an, sich über die Mittel ihrer Befreiung zu berathschlagen; allein die Bewegungen, welche die allmählich erwachenden Räuber machten, nöthigten Psychen sich aufs eilfertigste zu verbergen, um einem Verdacht zuvorzukommen, wovon der Schatten genug war, ihrem Geliebten das Leben zu kosten. Jetzt beklagten sie bei sich selbst, daß sie, nach dem Beispiel der Liebhaber in Romanen, eine so günstige Zeit mit unnöthigen Erzählungen verloren hatten, da sie doch voraussehen konnten, daß ihnen künftig wenig Gelegenheit würde gegeben werden, sich zu sprechen. Allein, was sie hierüber hätte trösten können, war, daß alle ihre Berathschlagungen und Erfindungen vergeblich gewesen wären. Denn an eben diesem Morgen erhielt der Hauptmann Nachricht von einem reich beladenen Schiffe, welches im Begriff sey, von Lesbos nach Korinth abzugehen, und, nach den Umständen die der Bericht angab, unterwegs aufgefangen werden könnte. Diese Zeitung veranlaßte eine geheime Berathschlagung unter den Häuptern der Räuber, wovon der Ausschlag war, daß Agathon mit den gefangnen Thracierinnen und einigen andern jungen Sklaven unter einer Bedekung in eine Barke gesetzt wurde, um ungesäumt nach Smyrna geführt und verkauft zu werden; indessen die Galeere mit dem größten Theil der Seeräuber sich fertig machte, der reichen Beute, die sie schon in Gedanken verschlangen, entgegen zu sehen. In diesem Augenblicke verlor Agathon die Gelassenheit, womit er bisher alle Stürme des widrigen Glücks ausgehalten hatte. Der Gedanke, von seiner Psyche wieder getrennt zu werden, setzte ihn außer sich selbst. Er warf sich zu den Füßen des Ciliciers, er schwor ihm, daß der verkleidete Ganymed sein Bruder sey; er bot sich selbst zu seinem Sklaven an, er flehte, er weinte — aber umsonst. Der Seeräuber hatte die Natur des Elements, welches er bewohnte; die Sirenen selbst hätten ihn nicht bereden können, seinen Entschluß zu ändern. Agathon erhielt nicht einmal die Erlaubniß, von seinem geliebten Bruder Abschied zu nehmen; die Lebhaftigkeit, die er bei diesem Anlaß gezeigt, hatte ihn dem Hauptmann verdächtig gemacht. Er wurde also, von Schmerz und Verzweiflung betäubt, in die Barke getragen, und befand sich schon eine geraume Zeit außer dem Gesichtskreise seiner Psyche, eh' er wieder erwachte, um den ganzen Umfang seines Elends zu fühlen.
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Sechstes Capitel.

Ein Selbstgespräch.

Da wir uns zum unverbrüchlichen Gesetze gemacht haben, in dieser Geschichte alles sorgfältig zu vermeiden, was gegen die historische Wahrheit derselben einigen gerechten Verdacht erwecken könnte; so würden wir uns ein Bedenken gemacht haben, das Selbstgespräch, welches wir hier in unsrer Handschrift vor uns finden, mitzutheilen, wenn der Verfasser nicht die Vorsicht gebraucht hätte uns zu melden: daß seine Erzählung sich in den meisten Umständen auf eine Art von Tagebuch gründe, welches (sichern Anzeichen nach) von der eignen Hand des Agathon sey, und wovon er durch einen Freund zu Krotona eine Abschrift erhalten habe. Dieser Umstand macht begreiflich, wie der Geschichtschreiber wissen konnte, was Agathon bei dieser und andern Gelegenheiten mit sich selbst gesprochen; und schützet uns vor den Einwürfen, die man gegen die Selbstgespräche machen kann, worin die Geschichtschreiber den Poeten so gerne nachzuahmen pflegen, ohne sich, wie sie, auf die Eingebung der Musen berufen zu können.Unsre Urkunde meldet also, nachdem die erste Wuth des Schmerzens (welche allezeit stumm und gedankenlos zu seyn pflegt) sich gelegt, habe Agathon sich umgesehen; und da er von allen Seiten nichts als Luft und Wasser um sich her erblickt, habe er, seiner Gewohnheit nach, also mit sich selbst zu philosophiren angefangen:"War es Täuschung, was mir begegnet ist, oder sah ich sie wirklich? Hört' ich wirklich den rührenden Klang ihrer süßen Stimme, und umfingen meine Arme keinen Schatten? Wenn es mehr als ein Traumgesicht war, warum ist mir von einem Gegenstande, der alle andern aus meiner Seele auslöschte, nichts als die Erinnerung übrig? — Wenn Ordnung und Zusammenhang die Kennzeichen der Wahrheit sind; o wie ähnlich dem ungefähren Spiele der träumenden Phantasie sind die Zufälle meines ganzen Lebens! —Von Kindheit an unter den heiligen Lorbern des Delphischen Gottes erzogen, schmeichle ich mir unter seinem Schutz, in Beschauung der Wahrheit und im geheimen Umgange mit den Unsterblichen, ein stilles und sorgenfreies Leben zuzubringen. Tage voll Unschuld, einer dem andern gleich, fließen in ruhiger Stille, wie Augenblicke, vorbei, und ich werde unvermerkt ein Jüngling. Eine Priesterin, deren Seele eine Wohnung der Götter seyn soll, wie ihre Zunge das Werkzeug ihrer Aussprüche, vergißt ihre Gelübde, und bemüht sich meiner unerfahrnen Jugend Netze zu stellen. Ihre Leidenschaft beraubt mich derjenigen, die ich liebe; ihre Nachstellungen treiben mich endlich aus dem geheiligten Schutzorte, wo ich, seitdem ich mich selbst empfand, von Bildern der Götter und Helden umgeben, mich einzig beschäftigt hatte ihnen ähnlich zu werden. In eine unbekannte Welt ausgestoßen, finde ich unvermuthet einen Vater und ein Vaterland, die ich nicht kannte. Ein schneller Wechsel von Umständen setzt mich eben so unvermuthet in den Besitz des größten Ansehens in Athen. Das blinde Zutrauen eines Volkes, das in seiner Gunst so wenig Maß hält als in seinem Unwillen, nöthigt mir die Anführung seines Kriegsheeres auf; ein wunderbares Glück kommt allen meinen Unternehmungen entgegen, und führt meine Anschläge aus; ich kehre siegreich zurück. Welch ein Triumph! Welch ein Zujauchzen! Welche Vergötterung! Und wofür? Für Thaten, an denen ich den wenigsten Antheil hatte. Aber kaum schimmert meine Bildsäule zwischen den Bildern des Kekrops und Theseus, so reißt mich eben dieser Pöbel, der vor wenig Tagen bereit war mir Altäre aufzurichten, mit ungestümer Wuth vor Gerichte hin. Die Mißgunst derer, die das Uebermaß meines Glücks beleidigte, hat schon alle Gemüther wider mich eingenommen, alle Ohren gegen meine Vertheidigung verstopft; Handlungen, worüber mein Herz mir Beifall gibt, werden auf den Lippen meiner Ankläger zu Verbrechen; mein Verdammungsurtheil wird ausgesprochen. Von allen verlassen, welche sich meine Freunde genannt hatten, kurz zuvor die eifrigsten gewesen waren, neue Ehrenbezeugungen für mich zu erfinden, fliehe ich aus Athen, fliehe mit leichterem Herzen, als womit ich vor wenigen Wochen, unter dem Zujauchzen einer unzählbaren Menge, durch ihre Thore eingeführt wurde, und entschließe mich den Erdboden zu durchwandern, ob ich einen Ort finden möchte, wo die Tugend, vor auswärtigen Beleidigungen sicher, ihrer eigenthümlichen Glückseligkeit genießen könnte, ohne sich aus der Gesellschaft der Menschen zu verbannen. Ich nehme den Weg nach Asien, um an den Ufern des Oxus die Quellen zu besuchen, aus denen die Geheimnisse des Orphischen Gottesdienstes zu uns geflossen sind. Ein Zufall führt mich unter einen Schwarm rasender Bacchantinnen, und ich entrinne ihrer verliebten Wuth bloß dadurch, daß ich in die Hände seeräuberischer Barbaren falle. In diesem Augenblicke, da mir von allem was man verlieren kann nur noch das Leben übrig ist, finde ich meine Psyche wieder; aber kaum fange ich an meinen Sinnen zu glauben, daß sie es sey, die ich in meinen Armen umschlossen halte, so verschwindet sie wieder, und hier bin ich auf diesem Schiffe, um zu Smyrna als Sklave verkauft zu werden. — Wie ähnlich ist alles dieß einem Fiebertraume, wo die schwärmende Phantasie, ohne Ordnung, ohne Wahrscheinlichkeit, ohne Zeit oder Ort in Betrachtung zu ziehen, die betäubte Seele von einem Abenteuer zu dem andern, von der Krone zum Bettlersmantel, von der Wonne zur Verzweiflung, vom Tartarus ins Elysium fortreißt! —Und ist denn das Leben ein Traum, ein bloßer Traum, so eitel, so unwesentlich, so unbedeutend als ein Traum? Ein unbeständiges Spiel des blinden Zufalls, oder unsichtbarer Geister, die eine grausame Belustigung darin finden, uns zum Scherze bald glücklich bald unglücklich zu machen? Oder ist es diese allgemeine Seele der Welt, deren Daseyn die geheimnißvolle Majestät der Natur ankündiget, ist es dieser alles belebende Geist, der die menschlichen Sachen anordnet: warum herrschet in der moralischen Welt nicht eben diese unveränderliche Ordnung und Zusammenstimmung, wodurch die Elemente, die Jahres- und Tageszeiten, die Gestirne und die Kreise des Himmels in ihrem gleichförmigen Lauf erhalten werden? Warum leidet der Unschuldige? Warum sieget der Betrüger? Warum verfolgt ein unerbittliches Schicksal den Tugendhaften? Sind unsre Seelen den Unsterblichen verwandt, sind sie Kinder des Himmels: warum verkennt der Himmel sein Geschlecht, und tritt auf die Seite seiner Feinde? Oder, hat er uns die Sorge für uns selbst gänzlich überlassen: warum sind wir keinen Augenblick unsers Zustandes Meister? Warum vernichtet bald Nothwendigkeit, bald Zufall, die weisesten Entwürfe?"Hier hielt Agathon eine Zeit lang ein. Sein in Zweifeln verwickelter Geist arbeitete sich los zu winden, bis ein neuer Blick auf die majestätische Natur, die ihn umgab, eine andre Reihe von Vorstellungen in ihm entwickelte. — "Was sind, fuhr er mit sich selbst fort, meine Zweifel anders, als Eingebungen der eigennützigen Leidenschaft? Wer war diesen Morgen glücklicher als ich ? Alles war Wollust und Wonne um mich her. Hat sich die Natur binnen dieser Zeit verändert, oder ist sie minder der Schauplatz einer gränzenlosen Vollkommenheit, weil Agathon ein Sklave, und von Psyche getrennt ist? Schäme dich, Kleinmüthiger, deiner trübsinnigen Zweifel und deiner unmännlichen Klagen! Wie kannst du Verlust nennen, dessen Besitz kein Gut war? Ist es ein Uebel, deines Ansehens, deines Vermögens, deines Vaterlandes beraubt zu seyn? Alles dessen beraubt, warst du in Delphi glücklich, und vermißtest es nicht. Und warum nennest du Dinge dein, die nicht zu dir selbst gehören, die der Zufall gibt und nimmt, ohne daß es in deiner Willkür steht sie zu erlangen oder zu erhalten? — Wie ruhig, wie heiter und glücklich floß mein Leben in Delphi hin, eh' ich die Welt, ihre Geschäfte, ihre Sorgen, ihre Freuden und ihre Abwechslungen kannte; eh' ich genöthigt war, mit den Leidenschaften anderer Menschen, oder mit meinen eigenen zu kämpfen, mich selbst und den Genuß meines Daseyns einem undankbaren Volk aufzuopfern, und unter der vergeblichen Bemühung, Thoren oder Lasterhafte glücklich zu machen, selbst unglücklich zu seyn! Meine eigene Erfahrung widerlegt die ungerechten Zweifel des Mißvergnügens am besten. Es gab Augenblicke, Tage, lange Reihen von Tagen, da ich glücklich war; glücklich in den frohen Stunden, wenn meine Seele, vom Anblick der Natur begeistert in tiefsinnigen Betrachtungen und süßen Ahnungen, wie in den bezauberten Gärten der Hesperiden, irrte; glücklich, wenn mein befriedigtes Herz in den Armen der Liebe aller Bedürfnisse, aller Wünsche vergaß, und nun zu verstehen glaubte, was die Wonne der Götter sey; glücklicher, wenn in Augenblicken, deren Erinnerung den bittersten Schmerz zu versüßen genug ist, mein Geist in der großen Betrachtung des Ewigen und Unbegränzten sich verlor. —Ja du bist's, alles beseelende, alles regierende Güte —ich sah, ich fühlte dich! Ich empfand die Schönheit der Tugend, die dir ähnlich macht; ich genoß die Glückseligkeit, welche Tagen die Schnelligkeit der Augenblicke, und Augenblicken den Werth von Jahrhunderten gibt. Die Macht der Empfindung zerstreut meine Zweifel; die Erinnerung der genossenen Glückseligkeit heilet den gegenwärtigen Schmerz und verspricht eine bessere Zukunft. Diese allgemeinen Quellen der Freude, woraus alle Wesen schöpfen, fließen, wie ehmals, um mich her; meine Seele ist noch eben dieselbe, wie die Natur, die mich umgibt. —O Ruhe meines Delphischen Lebens, und du, meine Psyche! euch allein, von allem was außer mir ist, nenne ich mein! mein! Wenn ihr auf ewig verloren wäret, dann würde meine untröstbare Seele nichts auf Erden finden, das ihr die Liebe zum Leben wieder geben könnte. Aber ich besaß beide, ohne sie mir selbst gegeben zu haben, und die wohlthätige Macht, welche sie gab, kann sie wieder geben. Theure Hoffnung, du bist schon ein Anfang der Glückseligkeit, die du versprichst! Es wäre zugleich gottlos und thöricht, sich einem Kummer zu überlassen, der den Himmel beleidigt, und uns selbst der Kräfte beraubt, dem Unglück zu widerstehen, und der Mittel, wieder glücklich zu werden. Komm denn, du süße Hoffnung einer bessern Zukunft, und feßle meine Seele mit deinen schmeichelnden Bezauberungen! Ruhe und Psyche — dieß allein, ihr Götter! Lorberkränze und Schätze gebet, wem ihr wollt!"
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Siebentes Capitel.

Agathon wird zu Smyrna verkauft.

Das Wetter war unsern Seefahrern so günstig, daß Agathon gute Muße hatte, seinen Betrachtungen so lange nachzuhängen als er wollte; zumal da seine Reise von keinem der Umstände begleitet war, womit eine poetische Seefahrt ausgeschmückt zu seyn pflegt. Denn man sahe da weder Tritonen, die aus krummen Ammonshörnern bliesen; noch Nereiden, die auf Delphinen, mit Blumenkränzen gezäumt, über den Wellen daher ritten; noch Sirenen, die, mit halbem Leib aus dem Wasser hervorragend, die Augen durch ihre Schönheit, und das Ohr durch die Süßigkeit ihrer Stimme bezauberten. Die Winde selbst waren etliche Tage lang so zahm, als ob sie es mit einander abgeredet hätten, uns keine Gelegenheit zur Beschreibung eines Sturms oder eines Schiffbruchs zu geben; kurz, die Reise ging so glücklich von Statten, daß die Barke am Abend des dritten Tages in den Hafen von Smyrna einlief; wo die Räuber, nunmehr unter dem Schutze des großen Königs gesichert, sich nicht säumten, ihre Gefangenen ans Land zu setzen, in der Hoffnung, auf dem Sklavenmarkte keinen geringen Vortheil aus ihnen zu ziehen. Ihre erste Sorge war, sie in eines der öffentlichen Bäder zu führen, wo man nichts vergaß, was sie des folgenden Tages verkäuflicher machen konnte. Agathon war noch zu sehr mit allem, was mit ihm vorgegangen war, angefüllt, als daß er auf das Gegenwärtige aufmerksam hätte seyn können. Er wurde gebadet, abgerieben, mit Salben und wohlriechenden Wassern begossen, mit einem Sklavenkleide von vielfarbiger Seide angethan, mit allem was seine Gestalt erheben konnte ausgeschmückt, und von allen die ihn sahen bewundert; ohne daß ihn etwas aus der tiefen Unempfindlichkeit erwecken konnte, welche in gewissen Umständen eine Folge der übermäßigen Empfindlichkeit ist. Auf das, was in seiner Seele vorging, geheftet, schien er weder zu sehen noch zu hören, weil er nichts sah noch hörte was er wünschte; und nur der Anblick, der sich ihm auf dem Sklavenmarkte darstellte, war vermögend, ihn aus dieser wachenden Träumerei aufzurütteln. Diese Scene hatte zwar das Abscheuliche nicht, das ein Sklavenmarkt zu Barbados sogar für einen Europäer haben könnte, dem die Vorurtheile der gesitteten Völker noch einige Ueberbleibsel des angebornen menschlichen Gefühls gelassen hätten; allein sie hatte doch genug, um eine Seele zu empören, welche sich gewöhnt hatte, in den Menschen mehr die Schönheit ihrer Natur, als die Erniedrigung ihres Zustandes, mehr das, was sie nach gewissen Voraussetzungen seyn könnten, als was sie wirklich waren, zu sehen. Eine Menge von traurigen Vorstellungen stieg in gedrängter Verwirrung bei diesem Anblick in ihm auf; und indem sein Herz von Mitleiden und Wehmuth zerfloß, brannte es zugleich von einem zürnenden Abscheu vor den Menschen, dessen nur diejenigen fähig sind, welche die Menschheit lieben. Er vergaß über diesen Empfindungen seines eignen Unglücks: als ein Mann von edlem Ansehen, welcher schon bei Jahren zu seyn schien, im Vorübergehen seiner gewahr ward, stehen blieb, und ihn mit besondrer Aufmerksamkeit betrachtete. Wem gehört dieser junge Leibeigene? fragte der Mann einen von den Ciliciern, der neben ihm stand. Dem, der ihn von mir kaufen wird, versetzte dieser. Was versteht er für eine Kunst? fuhr jener fort. Das wird er dir selbst am besten sagen können, erwiederte der Cilicier. — Der Mann wandte sich also an Agathon selbst, und fragte ihn, ob er nicht ein Grieche sey? ob er sich in Athen aufgehalten, und ob er in den Künsten der Musen unterrichtet worden? Agathon bejahete diese Fragen. —"Kannst du den Homer lesen?" — Ich kann lesen; und ich meine, daß ich den Homer empfinden könne. — "Kennst du die Schriften der Philosophen?" — Gut genug, um nichts darin zu verstehen. — "Du gefällst mir, junger Mensch! Wie hoch haltet ihr ihn, mein Freund?" — Er sollte, wie die andern, durch den Herold ausgerufen werden, antwortete der Cilicier; aber für zwei Talente ist er euer. —"Begleite mich mit ihm in mein Haus, erwiederte der Alte; du sollst zwei Talente haben, und der Sklave ist mein." — Dein Geld muß dir sehr beschwerlich seyn, sagte Agathon; woher weißt du, daß ich dir für zwei Talente nützlich seyn werde? — "Wenn du es auch nicht wärest, versetzte der Käufer, so bin ich unbesorgt, unter den Damen von Smyrna zwanzig für eine zu finden, die mir auf deine bloße Miene wieder zwei Talente für dich geben." — Mit diesen Worten befahl er dem Agathon, ihm in sein Hans zu folgen.
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Zweites Buch.

Agathon im Hause des Sophisten Hippias.

Erstes Capitel.

Wer der Käufer des Agathon war.

Der Mann, der sich für zwei Talente das Recht erworben hatte, den Agathon als seinen Leibeigenen zu behandeln, war einer von den merkwürdigen Leuten, welche unter dem Namen der Sophisten in den Griechischen Städten umher zogen, sich der edelsten und reichsten Jünglinge zu bemächtigen, und durch die Annehmlichkeiten ihres Umgangs und das prächtige Versprechen, ihre Schüler zu vollkommnen Rednern, Staatsmännern und Feldherren zu machen, das Geheimniß gefunden hatten, welches die Alchymisten bis auf den heutigen Tag vergeblich gesucht haben. Der Name, den sie sich selbst beilegten, bezeichnet in der Sprache der Griechen eine Person, welche von der Weisheit Profession macht, oder, wenn man so sagen kann, einen Virtuoso in der Weisheit; und dieß war es auch, wofür sie von dem größten Theil ihrer Zeitgenossen gehalten wurden. Indessen muß man gestehen, daß diese Weisheit, von der sie Profession machten, von der Sokratischen (die durch einige ihrer Verehrer so berühmt geworden ist) sowohl in ihrer Beschaffenheit, als in ihren Wirkungen unendlich unterschieden, oder, besser zu sagen, die völlige Antipode derselben war. Die Sophisten lehrten die Kunst, die Leidenschaften andrer Menschen zu erregen; Sokrates die Kunst, seine eigenen zu dämpfen. Jene lehrten, wie man es machen müsse, um weise und tugendhaft zu scheinen; dieser lehrte, wie man es sey. Jene munterten die Jünglinge von Athen auf, sich der Regierung des Staats anzumaßen; Sokrates bewies ihnen, daß sie vorher die Hälfte ihres Lebens anwenden müßten, sich selbst regieren zu lernen. Jene spotteten der Sokratischen Weisheit, die nur in einem schlechten Mantel aufzog, und sich mit einer Mahlzeit für sechs Obolen begnügte, da die ihrige in Purpur schimmerte und offne Tafel hielt. Die Sokratische Weisheit war stolz darauf, den Reichthum entbehren zu können, die ihrige wußte ihn zu erwerben. Sie war gefällig, einschmeichelnd, und nahm alle Gestalten an; sie vergötterte die Großen, kroch vor ihren Dienern, tändelte mit den Schönen, und schmeichelte allen, welche dafür bezahlten. Sie war allenthalben an ihrem rechten Platze; beliebt bei Hofe, beliebt am Putztische, beliebt bei den Großen, beliebt sogar bei der Priesterschaft. Die Sokratische war weit entfernt so liebenswürdig zu seyn. Sie war trocken und langweilig; sie wußte nicht zu leben; sie war unerträglich, weil sie alles tadelte und immer Recht hatte; sie wurde von dem geschäftigen Theile der Welt für unnützlich, von dem müßigen für abgeschmackt, und von dem andächtigen gar für gefährlich erklärt. Wir würden nicht fertig werden, wenn wir diese Gegensätze so weit treiben wollten, als sie gingen. Dieß ist gewiß, die Weisheit der Sophisten hatte einen Vorzug, den ihr die Sokratische nicht streitig machen konnte. Sie verschaffte ihren Besitzern Reichthum, Ansehen, Ruhm und ein Leben, das von allem was die Welt glücklich nennet überfloß; und man muß gestehen, daß dieß ein verführerischer Vorzug war.Hippias, der neue Herr unsers Agathon, war einer von diesen Glücklichen dem die Kunst sich die Thorheiten andrer Leute zinsbar zu machen ein Vermögen erworben hatte, wodurch er sich im Stande sah, die Ausübung derselben aufzugeben, und die andere Hälfte seines Lebens in den Ergötzungen eines begüterten Müßiggangs zuzubringen, zu deren angenehmstem Genuß das zunehmende Alter geschickter scheint, als die ungestüme Jugend. In dieser Absicht hatte er Smyrna zu seinem Wohnort ausersehen, weil die Schönheit des jonischen Himmels, die glückliche Lage dieser Stadt, der Ueberfluß, der ihr durch die Handlung aus allen Theilen des Erdbodens zuströmte, und die Verbindung des Griechischen Geschmackes mit der wollüstigen Ueppigkeit der Morgenländer, welche in ihren Sitten herrschte, ihm diesen Aufenthalt vor allen andern vorzüglich machte. Hippias stand in dem Rufe, daß ihm in den Vollkommenheiten seiner Profession wenige den Vorzug streitig machen könnten. Ob er gleich über fünfzig Jahre zählte, so hatte er doch von der Gabe zu gefallen, die ihm in seiner Jugend so nützlich gewesen war, noch so viel übrig, daß sein Umgang von den artigsten Personen des einen und andern Geschlechts gesucht wurde. Er besaß Alles, was die Art von Weisheit, die er ausübte, verführerisch machen konnte: eine edle Gestalt, eine einnehmende Gesichtsbildung, einen angenehmen Ton der Stimme, einen behenden und geschmeidigen Witz, eine Beredsamkeit, die desto mehr gefiel, weil sie mehr ein Geschenk der Natur, als eine durch Fleiß erworbene Kunst zu seyn schien. Diese Beredsamkeit, oder vielmehr diese Gabe angenehm zu schwatzen, mit einer Tinctur von allen Wissenschaften, einem feinen Geschmack für das Schöne und Angenehme, und eine vollständige Kenntniß der Welt, war mehr als er nöthig hatte, um in den Augen aller, mit denen er umging (denn er ging mit keinen Sokraten um), für ein Genie vom ersten Range zu gelten, der Mann zu seyn, der sich auf alles verstand, welchem schon zugelächelt wurde, ehe man wußte was er sagen wollte, und wider dessen Aussprüche nicht erlaubt war etwas einzuwenden.Indessen war doch das, wodurch er sein Glück hauptsächlich gemacht hatte, die besondere Gabe, die er besaß, sich der schönen Hälfte der Gesellschaft gefällig zu machen. Er war so klug, frühzeitig zu entdecken, wie viel an der Gunst dieser reizenden Geschöpfe gelegen ist, welche in den polizirten Theilen des Erdbodens die Macht wirklich ausüben, die in den Mährchen den Feen beigelegt wird; welche mit einem einzigen Blick, oder durch eine kleine Verschiebung des Halstuches, stärker überzeugen als Demosthenes und Lysias durch lange Reden, mit einer einzigen Thräne den Gebieter über Legionen entwaffnen, und durch den bloßen Vortheil, den sie von ihrer Gestalt und dem Bedürfniß des stärkern Geschlechts zu ziehen wissen, sich oft zu unumschränkten Beherrscherinnen derjenigen machen, in deren Händen das Schicksal ganzer Völker liegt. Hippias hatte diese Entdeckung von so großem Nutzen gefunden, daß er keine Mühe gespart hatte, es in der Anwendung derselben zum höchsten Grade der Vollkommenheit zu bringen; und dasjenige, was ihm in seinem Alter noch davon übrig war, bewies, was er in seinen schönen Jahren gewesen seyn müsse. Seine Eitelkeit ging so weit, daß er sich nicht enthalten konnte, die Kunst die Zauberinnen zu bezaubern in die Form eines Lehrbegriffs zu bringen, und seine Erfahrungen und Beobachtungen hierüber der Welt in einer sehr gelehrten Abhandlung mitzutheilen, deren Verlust nicht wenig zu bedauern ist, und schwerlich von einem heutigen Schriftsteller unsrer Nation zu ersetzen seyn dürfte.Nach allem, was wir bereits von diesem weisen Manne gesagt haben, wär' es überflüssig, eine Abschilderung von seinen Sitten zu machen. Sein Lehrbegriff von der Kunst zu leben wird uns in kurzem umständlich vorgelegt werden; und er besaß eine Tugend, welche nicht die Tugend der Moralisten zu seyn pflegt: er lebte nach seinen Grundsätzen.Unter andern schönen Neigungen hatte er auch einen besondern Geschmack an allem, was gut in die Augen fiel. Er wollte daß die seinigen, in seinem Hause wenigstens, sich nirgend hinwenden sollten, ohne einem gefallenden Gegenstande zu begegnen. Die schönsten Gemälde, Bildsäulen und Büsten, die reichsten Tapeten, die zierlichsten Gefäße, der prächtigste Hausrath, befriedigten seinen Geschmack noch nicht; er wollte auch, daß der belebte Theil seines Hauses mit dieser allgemeinen Schönheit übereinstimmen sollte: seine Bedienten und Sklavinnen waren die ausgesuchtesten Gestalten, die er in einem Lande, wo die Schönheit nicht ungewöhnlich ist, hatte finden können. Die Gestalt Agathons möchte also allein hinreichend gewesen seyn, seine Gunst zu erwerben; zumal da er eben einen Leser nöthig hatte, und aus dem Anblick und den ersten Worten des schönen Jünglings urtheilte, daß er sich zu einem Dienste vollkommen schicken würde, wozu eine gefallende Gesichtsbildung und eine musikalische Stimme die nöthigsten Gaben sind. Allein Hippias hatte noch eine geheime Absicht. Wiewohl die Liebe zu den Wollüsten der Sinne seine herrschende Neigung zu seyn schien, so hatte doch die Eitelkeit nicht wenig Antheil an den meisten Handlungen seines Lebens. Er hatte, bevor er sich nach Smyrna begab, den schönsten Theil seines Lebens zugebracht, die edelste Jugend der griechischen Städte zu bilden. Er hatte Redner gebildet, die durch eine künstliche Vermischung des Wahren und Falschen, und den klugen Gebrauch gewisser Figuren, einer schlimmen Sache den Schein und die Wirkung einer guten zu geben wußten; Staatsmänner, welche die Kunst besaßen, mitten unter den Zujauchzungen eines bethörten Volkes, die Gesetze durch die Freiheit und die Freiheit durch schlimme Sitten zu vernichten, um ein Volk, welches sich der heilsamen Zucht des Gesetzes nicht unterwerfen wollte, der willkürlichen Gewalt ihrer Leidenschaften zu unterwerfen; kurz, er hatte Leute gebildet, die sich Ehrensäulen dafür aufrichten ließen, daß sie ihr Vaterland zu Grunde richteten. Allein dieses befriedigte seine Eitelkeit noch nicht. Er wollte auch jemand hinterlassen, der seine Kunst fortzusetzen geschickt wäre; eine Kunst, die in seinen Augen allzu schön war, als daß sie mit ihm sterben sollte. Schon lange hatte er einen jungen Menschen gesucht, bei dem er das natürliche Geschick, der Nachfolger eines Hippias zu seyn, in derjenigen Vollkommenheit finden möchte, die dazu erfordert wurde. Seine wirkliche oder eingebildete Gabe, aus der Gestalt und Miene das Inwendige eines Menschen zu errathen, beredete ihn, bei Agathon zu finden was er suchte; wenigstens hielt er es der Mühe werth, eine Probe mit ihm zu machen; und da er ein so gutes Vorurtheil von seiner Tüchtigkeit hegte, so fiel ihm nur nicht ein, in seine Willigkeit zu den großen Absichten, die er mit ihm vorhatte, einigen Zweifel zu setzen.
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Zweites Capitel.

Verwunderung, in welche Agathon über die Weisheit seines neuen Herrn gesetzt wird.

Agathon wußte noch nichts, als daß er einem Manne zugehöre, dessen äußerliches Ansehen sehr zu seinem Vortheil sprach, als er beim Eintritt in sein Haus durch die Schönheit des Gebäudes, die Bequemlichkeiten der Einrichtung, die Menge und die gute Miene der Bedienten, und durch einen Schimmer von Pracht und Ueppigkeit, der ihm allenthalben entgegen glänzte, in eine Art von Verwunderung gesetzt wurde, welche ihm sonst nicht gewöhnlich war, und desto mehr zunahm, als man ihm sagte, daß er die Ehre haben sollte, ein Hausgenosse von Hippias, dem Weisen, zu werden.Er war noch im Nachdenken begriffen, was für eine Art von Weisheit dieß seyn möchte, als ihn Hippias zu sich rufen ließ, um ihm seine künftige Bestimmung bekannt zu machen. Die Gesetze, Kallias (denn dieß soll künftig dein Name seyn), geben mir zwar das Recht, sagte der Sophist, dich als meinen Leibeigenen anzusehen; aber es wird nur von dir abhängen, so glücklich in meinem Hause zu seyn, als ich es selbst bin. Alle deine Verrichtungen werden darin bestehen, den Homer bei meinem Tische, und die Aufsätze, mit deren Ausarbeitung ich mir die Zeit vertreibe, in meinem Hörsaale vorzulesen. Wenn dieses Amt leicht zu seyn scheint, so versichere ich dich, daß ich nicht leicht zu befriedigen bin, und daß du Kenner zu Hörern haben wirst. Ein jonisches Ohr will nicht nur ergötzt, es will bezaubert seyn. Die Annehmlichkeit der Stimme. die Reinigkeit und das Weiche der Aussprache, die Wichtigkeit des Accents, das Muntere, das Ungezwungene, das Musikalische ist nicht hinlänglich; wir fordern eine vollkommene Nachahmung, einen Ausdruck, der jedem Theile des Stückes, jeder Periode, jedem Verse, das Leben, den Affect, die Seele gibt, die sie haben sollen; kurz, die Art wie gelesen wird, soll das Ohr an die Stelle aller übrigen Sinne setzen. Das Gastmahl des Alcinous wird diesen Abend dein Probestück seyn. Die Fähigkeiten, welche ich an dir zu entdecken hoffe, werden meine Absichten mit dir bestimmen; und vielleicht wirst du in der Zukunft Ursache finden, den Tag, an dem du dem Hippias gefallen hast, unter deine glücklichen zu zählen.Mit diesen Worten verließ er unsern Jüngling, und ersparte sich dadurch die Demüthigung, zu sehen, wie wenig der neue Kallias durch die Hoffnungen gerührt schien, wozu ihn diese Erklärung berechtigte. In der That hatte die Bestimmung, die jonischen Ohren zu bezaubern, in Agathons Augen nicht Edles genug, daß er sich deßwegen hätte glücklich schätzen sollen; und überdem war etwas in dem Ton dieser Anrede, welches ihm mißfiel, ohne daß er eigentlich wußte warum?Inzwischen vermehrte sich seine Verwunderung, je mehr er sich in dem Hause des weisen Hippias umsah; und er begriff nun ganz deutlich, daß sein Herr, was auch sonst seine Grundsätze seyn möchten, wenigstens von der Ertödtung der Sinnlichkeit, wovon er ehemals den Plato zu Athen sehr schöne Dinge sagen gehört hatte, keine Profession mache. Allein wie er sah, was die Weisheit in diesem Hause für eine Tafel hielt, wie prächtig sie sich bedienen ließ, was für reizende Gegenstände ihre Augen, und welche wollüstige Harmonien ihre Ohren ergötzten, indessen der Schenktisch, mit griechischen Weinen und den angenehm betäubenden Getränken der Asiaten beladen, den Sinnen zu so mannichfaltigem Genuß neue Kräfte zu geben schien; wie er die Menge von jungen Sklaven sah, die den Liebesgöttern glichen, die Chöre von Tänzerinnen und Lautenspielerinnen, die durch die Reizungen ihrer Gestalt so sehr als durch ihre Geschicklichkeit bezauberten, und die nachahmenden Tänze, in denen sie die Geschichte einer Leda oder Danae durch bloße Bewegungen mit einer Lebhaftigkeit vorstellten, die einen Nestor hätte verjüngern können; wie er die üppigen Bäder, die bezauberten Gärten, kurz, wie er alles sah, was das Haus des weisen Hippias zu einem Tempel der ausgekünsteltsten Sinnlichkeit machte: so stieg seine Verwunderung bis zum Erstaunen, und er konnte nicht begreifen, was dieser Sybarit gethan haben müsse, um den Namen eines Weisen zu verdienen; oder wie er sich einer Benennung nicht schäme, die ihm (seinen Begriffen nach) nicht besser anstand, als dem Alexander von Fera, wenn man ihn den Leutseligen, oder der Phryne, wenn man sie die Keusche hätte nennen wollen. Alle Auflösungen, die er sich selbst hierüber machen konnte, befriedigten ihn so wenig, daß er sich vornahm, bei der ersten Gelegenheit diese Aufgabe — dem Hippias selbst vorzulegen.
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Drittes Capitel.

Welches bei Einigen den Verdacht erwecken wird, daß diese Geschichte erdichtet sey.

Die Verrichtungen des Agathon ließen ihm so viele Zeit übrig, daß er in wenig Tagen in einem Hause, wo alles Freude athmete, sehr lange Weile hatte. Freilich lag die Schuld nur an ihm selbst, wenn es ihm an einem Zeitvertreibe mangelte, der die hauptsächlichste Beschäftigung der Leute von seinem Alter auszumachen pflegt. Die Nymphen dieses Hauses waren von einer so gefälligen Gemüthsart, von einer so anziehenden Figur, und von einem so günstigen Vorurtheil für den neuen Hausgenossen eingenommen, daß es weder die Furcht abgewiesen zu werden, noch der Fehler ihrer Reizungen war, was den schönen Kallias so zurückhaltend oder unempfindlich machte, als er sich, zu ihrer nicht geringen Befremdung, finden ließ.Einige, die aus seinem Betragen schlossen, daß er noch ein Neuling seyn müsse, waren so gefällig, daß sie ihm die Schwierigkeiten zu erleichtern suchten, die ihm seine Schüchternheit (ihren Gedanken nach) in den Weg legte, und ihm Gelegenheiten gaben, die den Zaghaftesten hätten unternehmend machen sollen. Allein — wir müssen es nur gestehen, was man auch von unserm Helden deßwegen denken mag — er gab sich eben so viel Mühe, diesen Gelegenheiten auszuweichen, als man sich geben konnte, sie ihm zu machen. Wenn dieß anzuzeigen scheint, daß er entweder einiges Mißtrauen in sich selbst, oder ein allzu großes Vertrauen in die Reizungen dieser schönen Verführerinnen gesetzt habe: so dienet vielleicht zu seiner Entschuldigung, daß er noch nicht alt genug war, ein Xenokrates zu seyn; und daß er, vermuthlich nicht ohne Ursache, ein Vorurtheil wider dasjenige gefaßt hatte, was man im Umgange von jungen Personen beiderlei Geschlechts unschuldige Freiheiten zu nennen pflegt. Dem sey indessen wie ihm wolle, dieß ist gewiß, daß Agathon durch dieses seltsame Betragen einen Argwohn erweckte, der ihm bei allen Gelegenheiten beißende Spöttereien von den übrigen Hausgenossen, und selbst von den Schönen zuzog, welche sich durch seine Sprödigkeit nicht wenig beleidigt fanden, und ihm auf eine feine Art zu verstehen gaben, daß sie ihn für geschickter hielten, die Tugend der Damen zu bewachen, als auf die Probe zu stellen.Agathon fand nicht rathsam, sich in einen Wettstreit einzulassen, wo er besorgen mußte, daß die Begierde Recht zu haben, die sich in der Hitze des Streites auch der Klügsten zu bemeistern pflegt, ihn zu gefährlichen Erörterungen führen könnte. Er machte daher bei solchen Anlässen eine so alberne Figur, daß man von seinem Witz eine eben so verdächtige Meinung bekommen mußte, als man schon von seiner Person gefaßt hatte; und die allgemeine Verachtung, in die er deßwegen fiel, trug vielleicht nicht wenig dazu bei, ihm den Aufenthalt in einem Hause beschwerlich zu machen, wo ihm ohnehin alles, was er sah und hörte, ärgerlich war. Er liebte zwar die Künste, über welche, nach dem Glauben der Griechen, die Musen die Aufsicht hatten: aber er war zu sehr gewöhnt, sich die Musen und die Grazien, ihre Gespielen, nie anders als im Gefolge der Weisheit zu denken, um von dem Mißbrauche, welchen Hippias von ihren Gaben machte, nicht beleidiget zu werden. Die Gemälde, womit alle Säle und Gänge des Hauses ausgeziert waren, stellten so schlüpfrige und unsittliche Gegenstände vor, daß er seinen Augen um so weniger erlauben konnte, sich darauf zu verweilen, je vollkommener die Natur darin nachgeahmt war, und je mehr sich das Genie bemüht hatte, der Natur selbst neue Reizungen zu leihen. Eben so weit war die Musik, die er alle Abende nach der Tafel hören konnte, von derjenigen unterschieden, welche, seiner Einbildung nach, allein der Musen würdig war. Er liebte eine Musik, welche die Leidenschaften besänftigte, und die Seele in ein angenehmes Staunen wiegte, oder mit einem feurigen Schwung von Begeisterung das Lob der Unsterblichen sang, und das Herz in heiliges Entzücken und in ein schauervolles Gefühl der gegenwärtigen Gottheit setzte; oder drückte sie Zärtlichkeit und Freude aus, so sollte es die Zärtlichkeit der Unschuld und die rührende Freude der einfältigen Natur seyn.Allein in diesem Hause hatte man einen ganz andern Geschmack. Was Agathon hörte, waren Sirenengesänge, die den üppigsten Liedern Anakreons, Sappho's und Korinnens einen Reiz gaben, welcher selbst aus unangenehmen Lippen verführerisch gewesen wäre; Gesänge, die durch den nachahmenden Ausdruck der schmeichelnden, seufzenden und schmachtenden, oder der triumphirenden und in Entzücken aufgelösten Leidenschaft die Begierde erregten, dasjenige zu erfahren, was in der Nachahmung schon so reizend war; Lybischen Flöten, deren girrendes, verliebtes Flüstern die redenden Bewegungen der Tänzerinnen ergänzte, und ihrem Spiel eine Deutlichkeit gab, welche der Einbildungskraft nichts zu errathen übrig ließ; Symphonien, welche die Seele in ein bezaubertes Vergessen ihrer selbst versenkten, und, nachdem sie alle ihre edlern Kräfte entwaffnet hatten, die erregte und willige Sinnlichkeit der ganzen Gewalt der von allen Seiten eindringenden Wollust auslieferten.Agathon konnte bei diesen Scenen, wo so viele Künste, so viele Zaubermittel sich vereinigten, den Widerstand der Tugend zu ermüden, nicht so gleichgültig bleiben, als diejenigen zu seyn schienen, die derselben gewohnt waren; und die Unruhe, in die er dadurch gesetzt wurde, machte ihm (was auch die Stoiker sagen mögen) mehr Ehre, als dem Hippias und seinen Freunden ihre Gelassenheit. Er befand also für gut, allemal, wenn er seine Rolle als Homerist geendigt hatte, sich hinweg zu begeben, und irgend einen Winkel zu suchen, wo er in ungestörter Einsamkeit von den widrigen Eindrücken sich befreien konnte, die das geschäftige und fröhliche Getümmel des Hauses, und der Anblick so vieler Gegenstände, die seinen moralischen Sinn beleidigten, den Tag über auf sein Gemüthe gemacht hatten.
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Viertes Capitel.

Schwärmerei unsers Helden.

Die Wohnung des Hippias war auf der mittäglichen Seite von Gärten umgeben, in deren weitläuftigem Bezirke die Kunst und der Reichthum alle ihre Kräfte aufgewandt hatten, die einfältige Natur mit ihren eignen und mit fremden Schönheiten zu überladen. Gefilde voll Blumen, die, aus allen Welttheilen gesammelt, jeden Monat zum Frühling eines andern Klima machten; Lauben von allen Arten wohlriechender Stauden; Lustgänge von Citronenbäumen, Oelbäumen und Cedern, in deren Länge der schärfste Blick sich verlor; Haine von allen Arten fruchtbarer Bäume, und Irrgänge von Myrten und Lorberhecken, mit Rosen von allen Farben durchwunden, wo tausend marmorne Najaden, die sich zu regen und zu athmen schienen, kleine murmelnde Bäche zwischen die Blumen hingossen, oder mit muthwilligem Plätschern in spiegelhellen Brunnen spielten, oder unter überhangenden Schatten von ihren Spielen auszuruhen schienen: alles dieß machte die Gärten des Hippias den bezauberten Gegenden ähnlich, diesen Spielen einer dichterischen und malerischen Phantasie, welche man erstaunt ist außerhalb seiner Einbildung zu sehen.Hier war es, wo Agathon seine angenehmsten Stunden zubrachte; hier fand er die Heiterkeit der Seele wieder, die er dem angenehmsten Taumel der Sinne unendlich weit vorzog; hier konnt' er sich mit sich selbst besprechen; hier sah er sich von Gegenständen umgeben, die zu seiner Gemüthsbeschaffenheit stimmten: wiewohl die seltsame Denkart, wodurch er die Erwartung des Hippias so sehr betrog, auch hier nicht ermangelte, sein Vergnügen durch den Gedanken zu vermindern, daß alle diese Gegenstände weit schöner wären, wenn sich die Kunst nicht angemaßt hätte, die Natur ihrer Freiheit und rührenden Einfältigkeit zu berauben.Oft wenn er beim Mondschein, den er mehr als den Tag liebte, einsam im Schatten lag, erinnert' er sich der frohen Scenen seiner ersten Jugend; der unbeschreiblichen Eindrücke, die jeder schöne Gegenstand, jeder ihm neue Auftritt der Natur auf seine noch unverwöhnten Sinnen gemacht hatte, der süßen Stunden, die ihm in den Entzückungen einer ersten schuldlosen Liebe zu Augenblicken geworden waren. Diese Erinnerungen, mit der Stille der Nacht und dem Gemurmel sanfter Bäche und sanft wehender Sommerlüfte, wiegten seine Sinnen in eine Art von leichtem Schlummer ein worin die innerlichen Kräfte der Seele mit verdoppelter Stärke wirken. Dann bildeten sich ihm die reizenden Aussichten einer bessern Zukunft vor; er sah alle seine Wünsche erfüllt, er fühlte sich etliche Augenblicke glücklich: und erwachte er wieder, so beredete er sich, daß diese Hoffnungen ihn nicht so lebhaft rühren, nicht in eine so gelassene Zufriedenheit senken würden, wenn es nur nächtliche Spiele der Einbildung, und nicht vielmehr innerliche Ahnungen wären, Blicke, welche der Geist, in der Stille und Freiheit, die ihm die schlummernden Sinne lassen, in die Zukunft, und in eine weitere Sphäre thut, als diejenige ist, die von der Schwäche seiner körperlichen Sinne umschrieben wird.In einer solchen Stunde war es, als Hippias, den die Anmuth einer schönen Sommernacht zum Spaziergang einlud, ihn unter diesen Beschauungen überraschte, denen er, in der Meinung allein zu seyn, sich zu überlassen pflegte. Hippias blieb eine Weile vor ihm stehen, ohne daß Agathon seiner gewahr ward; endlich aber redete er ihn an, und ließ sich in ein Gespräch mit ihm ein welches ihn nur allzu sehr in dem Argwohne bestärkte, den er von dem Hang unsers Helden zu demjenigen, was die Welt Schwärmerei nennt, bereits gefaßt hatte.
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Fünftes Capitel.

Ein Gespräch zwischen Hippias und seinem Sklaven.

Du scheinst in Gedanken vertieft, Kallias?"Ich glaubte allein zu seyn."Ein andrer an deiner Stelle würde die Freiheit meines Hauses anders zu benutzen wissen. Doch vielleicht gefällst du mir um dieser Zurückhaltung willen nur desto besser. Aber mit was für Gedanken vertreibst du dir die Zeit, wenn man fragen darf?"Die allgemeine Stille, der Mondschein, die rührende Schönheit der schlummernden Natur, die mit den Ausdünstungen der Blumen durchwürzte Nachtluft, tausend angenehme Empfindungen, deren liebliche Verwirrung meine Seele trunken machte, setzten mich in eine Art von Entzückung, worin ein andrer Schauplatz von unbekannten Schönheiten sich vor mir aufthat. Es war nur ein Augenblick, aber ein Augenblick, den ich um eines von den Jahren des Königs von Persien nicht vertauschen wollte."Hippias lächelte."Dieses brachte mich auf die Gedanken, wie glücklich der Zustand der Geister sey, die den groben thierischen Leib abgelegt haben, und im Anschauen des wesentlichen Schönen, des Unvergänglichen, Ewigen und Göttlichen, Jahrtausende durchleben, die ihnen nicht länger scheinen als mir dieser Augenblick; und in den Betrachtungen, denen ich hierüber nachhing, bin ich von dir überrascht worden."Du schliefst doch nicht, Kallias? Du hast, wie ich sehe, mehr Talente als ich dir zutraute; du kannst auch wachend träumen?"Es gibt vielerlei Arten von Träumen, und bei einigen Menschen scheint ihr ganzes Leben Traum zu seyn. Wenn meine Vorstellungen Träume sind, so sind sie wenigstens angenehmer als alles, was ich in dieser Zeit wachend hätte erfahren können."Du gedenkst also vielleicht selbst einer von diesen Geistern zu werden, die du so glücklich preisest?"Ich hoff' es zu werden, und würde ohne diese Hoffnung mein Daseyn für kein Gut achten."Besitzest du etwan ein Geheimniß, körperliche Wesen in geistige zu erhöhen? einen Zaubertrank von der Art derjenigen, womit die Medeen und Circen der Dichter so wunderbare Verwandlungen zuwege bringen?"Ich verstehe dich nicht, Hippias."So will ich deutlicher seyn. Wenn ich anders dich verstanden habe, so hältst du dich für einen Geist, der in einen thierischen Leib eingekerkert ist ?"Wofür sollt' ich mich sonst halten?"Sind die vierfüßigen Thiere, die Vögel, die Fische, die Gewürme, auch Geister die in einen thierischen Leib eingeschlossen sind?"Vielleicht."Und die Pflanzen?"Vielleicht auch diese."Du bauest also deine Hoffnung auf ein Vielleicht? Wenn die Thiere vielleicht auch nicht Geister sind, so bist du vielleicht eben so wenig einer; denn dieß ist einmal gewiß, daß du ein Thier bist. Du entstehest wie die Thiere, wächsest wie sie, hast ihre Bedürfnisse, ihre Sinnen, ihre Leidenschaften, wirst erhalten wie sie, vermehrst dich wie sie, stirbst wie sie, und wirst, wie sie, wieder zu einem bißchen Wasser und Erde, wie du vorher gewesen warst. Wenn du einen Vorzug vor ihnen hast, so ist es eine schönere Gestalt, ein Paar Hände, mit denen du mehr ausrichten kannst als ein Thier mit seinen Pfoten, eine Bildung gewisser Gliedmaßen, die dich der Rede fähig macht, und ein lebhafterer Witz, der von einer schwächern und reizbarern Beschaffenheit deiner Fibern herkommt, und dennoch alle Künste, womit wir uns so groß zu machen pflegen, den Thieren abgelernt hat."Wir haben also sehr verschiedene Begriffe von der menschlichen Natur, du und ich."Vermuthlich, weil ich sie für nichts anders halte, als wofür meine Sinnen und eine Beobachtung ohne Vorurtheile sie mir geben. Doch ich will freigebig seyn; ich will dir zugeben, dasjenige, was in dir denke sey ein Geist, und wesentlich von deinem Körper unterschieden. Worauf gründest du aber die Hoffnung, daß dieser Geist noch denken werde. wenn dein Leib zerstört seyn wird? Ich will nicht sagen, daß er zu nichts werde. Aben wenn dein Leib durch den Tod die Form verliert, die ihn zu deinem Leibe machte, woher hoffest du, daß dein Geist die Form nicht verlieren werde, die ihn zu deinem Geiste macht?"Weil ich mir unmöglich vorstellen kann, daß der oberste Geist, dessen Geschöpfe oder Ausflüsse die übrigen Geister sind, ein Wesen zerstören werde, das er fähig gemacht hat, so glücklich zu seyn, als ich es schon gewesen bin."Ein neues Vielleicht? Woher kennst du diesen obersten Geist?"Woher kennst du den Meister, der diesen Amor gemacht hat?"Weil ich ihm zusah als er ihn machte; denn vielleicht könnte eine Bildsäule auch entstehen, ohne daß sie von einem Künstler gemacht würde."Wie so?"Eine ungefähre Bewegung ihrer kleinsten Elemente könnte diese Form endlich hervorbringen."Eine regellose Bewegung ein regelmäßiges Werk?"Warum das nicht? Du kannst im Würfelspiel von ungefähr alle drei werfen. So gut als dieses möglich ist, könntest du auch unter etlichen Billionen von Würfen einen werfen, wodurch eine gewisse Anzahl Sandkörner in eine cirkelrunde Figur fallen würden. Die Anwendung ist leicht zu machen."Ich verstehe dich. Aber es bleibt allemal unendlich unwahrscheinlich, daß die ungefähre Bewegung der Elemente nur eine Muschel, deren so unzählig viele an jenem Ufer liegen, hervorbringen könne; und die Ewigkeit selbst scheint nicht lang genug zu seyn, nur diese Erdkugel, diesen kleinen Atomen des ganzen Weltgebäudes, auf solche Weise entstehen zu machen."Es ist genug, daß unter unendlich vielen ungefähren Bewegungen, die nichts Regelmäßiges und Dauerhaftes hervorbringen, Eine möglich ist, die eine Welt hervorbringen kann. Dieß setzt der Wahrscheinlichkeit deiner Meinung ein Vielleicht entgegen, wodurch sie auf einmal entkräftet wird."So viel als das Gewicht einer unendlichen Last, durch die Hinwegnahme eines einzigen Sandkorns."Du hast vergessen, daß eine unendliche Zeit in die andere Wagschale gelegt werden muß. Doch ich will diesen Einwurf fahren lassen, ob er gleich weiter getrieben werden kann; was gewinnt deine Meinung dadurch? Vielleicht ist die Welt immer in der allgemeinen Verfassung gewesen, worin sie ist? — Vielleicht ist sie selbst das einzige Wesen, das durch sich selbst bestehet? — Vielleicht ist der Geist, von dem du sagtest, durch die wesentliche Beschaffenheit seiner Natur gezwungen, diesen allgemeinen Weltkörper nach den Gesetzen einer unveränderlichen Nothwendigkeit zu beleben? Und gesetzt, die Welt sey, wie du meinest, das Werk eines verständigen und freien Entschlusses: vielleicht hat sie viele Urheber? Mit Einem Worte, Kallias, du hast viele mögliche Fälle zu vernichten, eh' du nur das Daseyn deines obersten Geistes außer Zweifel gesetzt hast."Ein mäßiger Gebrauch des allgemeinen Menschenverstandes könnte dich überführen, Hippias, daß alle die Fälle, von denen du sprichst, keine möglichen Fälle sind. Kein Mensch in der Welt ist jemals albern genug gewesen zu glauben, daß eine ungefähre Bewegung der Buchstaben des Alphabets nur eine Iliade hervorbringen könnte. Und was ist eine ungefähre Bewegung? Was ist ein untheilbares, ewiges, nothwendiges, durch sich selbst bestehendes Stäubchen? Oder eine durch sich selbst bestehende Welt? Oder eine Welt, welche viele Urheber hat? Entwickle die Begriffe, die du mit diesen Wörtern zu verbinden glaubst, und du wirst finden, daß sie einander vernichten, daß du wirklich nichts dabei denkst, noch denken kannst. Die Rede ist hier nicht davon, sich selbst muthwillig, durch willkürliche Abstractionen zu betrügen, sondern die Wahrheit zu suchen; und wenn es dein Ernst wäre, die Wahrheit zu suchen, wie wär' es möglich, sie zu verfehlen? sie, die sich dem allgemeinen Gefühl der Menschheit aufdringt? Was ist dieses große Ganze, welches wir die Welt nennen, anders als ein Inbegriff von Wirkungen? Wo ist die Ursache davon? Oder kannst du Wirkungen ohne Ursache, oder zusammenhängende, regelmäßige, sich aus einander entwickelnde, und in Einen Zweck zusammenstimmende Wirkungen ohne eine verständige Ursache denken? O Hippias, glaube mir, nicht dein Kopf (es müßte nur ein sehr zerrütteter Kopf seyn), dein Herz ist ein Gottesläugner. Deine Zweifel sind die unredlichen Ausflüchte eines Menschen, der nur darum der Wahrheit zu entwischen sucht, weil er sich fürchtet von ihr beleuchtet zu werden. Ein gerades Herz, eine unverfälschte Seele hat nicht vonnöthen, die erste, die augenscheinlichste und liebenswürdigste aller Wahrheiten durch alle diese Irrgänge metaphysischer Begriffe zu verfolgen. Ich brauche nur die Augen zu öffnen, nur mich selbst zu empfinden, um in der ganzen Natur, um in dem Innersten meines eigenen Wesens den Urheber derselben, diesen höchsten wohlthätigen Geist, zu erblicken. Ich erkenne sein Daseyn nicht bloß durch Vernunftschlüsse; ich fühle es, wie ich fühle daß eine Sonne ist, wie ich fühle daß ich selbst bin."Ein Träumender, ein Kranker, ein Wahnwitziger sieht; und doch ist das nicht, was er sieht."Weil er in diesem Zustande nicht recht sehen kann."Wie kannst du beweisen, daß du nicht gerad' in diesem Punkte krank bist? Frage die Aerzte: man kann in einem einzigen Stücke wahnwitzig, und in allen übrigen klug seyn; so wie eine Laute bis auf eine einzige falsche Saite rein gestimmt seyn kann. Der rasende Ajax sieht zwei Sonnen, ein doppeltes Thebe. Was für ein untrügliches Kennzeichen hast du, das Wahre von dem was nur scheint, das was du wirklich empfindest von dem was du dir nur einbildest, das was du richtig empfindest von dem was eine verstimmte Nerve dich empfinden macht, zu unterscheiden? Und wie, wenn alle Empfindung betröge, und nichts von allem was ist so wäre, wie du es empfindest?"Darum bekümmere ich mich wenig. Gesetzt, was ich ohnehin sehr wahrscheinlich finde, die Sonne sey nicht so, wie ich sie sehe und fühle; für mich ist sie darum nicht minder so, wie ich sie sehe und fühle, und das ist für mich genug. Ihr Einfluß in das System aller meiner übrigen Empfindungen ist darum nicht weniger wirklich, wenn sie gleich nicht so ist, wie sie sich meinen Sinnen darstellt, ja wenn sie gar nicht ist."Die Anwendung hiervon, wenn dir's beliebt?"Die Empfindung, die ich von dem höchsten Geist habe, hat in das innerliche System des meinigen den nämlichen Einfluß, den die Empfindung, die ich von der Sonne habe, auf mein körperliches System hat."Wie so?"Wenn sich mein Leib übel befindet, so vermehrt die Abwesenheit der Sonne das Unbehagliche dieses Zustandes. Der wiederkehrende Sonnenschein belebt, ermuntert, erquickt meinen Körper wieder, und ich befinde mich wohl oder doch erleichtert. Eben diese Wirkung thut die Empfindung des allbeseelenden Geistes auf meine Seele. Sie erheitert, sie beruhiget, sie ermuntert mich; sie zerstreut meinen Unmuth, sie belebt meine Hoffnung; sie macht, daß ich in einem Zustande nicht unglücklich bin, der mir ohne sie unerträglich wäre."Ich bin also glücklicher als du, weil ich alles dieses nicht vonnöthen habe. Erfahrung und Nachdenken haben mich von Vorurtheilen frei gemacht; ich genieße alles was ich wünsche, und wünsche nichts, dessen Genuß nicht in meiner Gewalt ist. Ich weiß also wenig von Unmuth und Sorgen. Ich hoffe wenig, weil ich mit dem Genusse des Gegenwärtigen zufrieden bin. Ich genieße mit Mäßigung, damit ich desto länger genießen könne; und wenn ich einen Schmerz fühle, so leide ich mit Geduld, weil dieß das beste Mittel ist, seine Dauer abzukürzen."Und worauf gründest du deine Tugend? Womit nährest und belebest du sie? Womit überwindest du die Hindernisse, die sie aufhalten; die Versuchungen, die von ihr ablocken; das Ansteckende der Beispiele, die Unordnung der Begierden, und die Trägheit, welche die Seele so oft erfährt, wenn sie sich erheben will?"O Jüngling, lange genug hab' ich deinen Ausschweifungen zugehört. In was für ein Gewebe von Hirngespinnsten hat dich die Lebhaftigkeit deiner Einbildungskraft verwickelt! Deine Seele schwebt in einer immerwährenden Bezauberung, in einer steten Abwechselung von quälenden und entzückenden Träumen; und die wahre Beschaffenheit der Dinge bleibt dir so verborgen, als die sichtbare Gestalt der Welt einem Blindgebornen. Ich bedaure dich, Kallias. Deine Gestalt, deine Gaben berechtigen dich, nach allem zu trachten, was das menschliche Leben Glückliches hat; deine Denkungsart allein wird dich unglücklich machen. Angewöhnt lauter idealische Wesen um dich her zu sehen, wirst du niemals die Kunst, von den Menschen Vortheil zu ziehen, lernen. Du wirst in einer Welt, die dich so wenig kennen wird als du sie, wie ein Einwohner des Mondes herum irren, und nirgends am rechten Platze seyn, als in einer Einöde oder im Fasse des Diogenes. Was soll man mit einem Menschen anfangen, der Geister sieht? der von der Tugend fordert, daß sie mit aller Welt und mit sich selbst in beständigem Kriege leben soll? Mit einem Menschen, der sich in den Mondschein setzt und Betrachtungen über das Glück der entkörperten Geister anstellt? Glaube mir, Kallias (ich kenne die Welt und sehe keine Geister), deine Philosophie mag vielleicht gut genug seyn, eine Gesellschaft müßiger Köpfe statt eines andern Spieles zu belustigen; aber es ist Thorheit sie ausüben zu wollen. — Doch, du bist jung; die Einsamkeit deiner ersten Jugend, und die morgenländischen Schwärmereien, die uns von etlichen Griechischen Müßiggängern aus Aegypten und Chaldäa mitgebracht worden sind, haben deiner Phantasie einen romanhaften Schwung gegeben; die übermäßige Empfindlichkeit deiner Organisation hat den angenehmen Betrug befördert. Leuten von dieser Art ist nichts schön genug was sie fühlen; die Phantasie muß ihnen andre Welten schaffen, die Unersättlichkeit ihres Herzens zu befriedigen. Allein diesem Uebel kann noch abgeholfen werden. Selbst in den Ausschweifungen deiner Einbildungskraft entdeckt sich eine natürliche Richtigkeit des Verstandes, der nichts fehlt als — auf andre Gegenstände angewandt zu werden. Ein wenig Gelehrigkeit ist alles was du nöthig hast, um von dieser seltsamen Art von Wahnwitz geheilt zu werden, die du für Weisheit hältst. Ueberlaß es mir, dich aus den unsichtbaren Welten in die wirkliche herab zu führen. Sie wird dich anfangs befremden, aber nur weil sie dir neu ist; und wenn du ihrer einmal gewohnt bist, wirst du die ätherischen so wenig vermissen, als ein erwachsener Mensch die Spiele seiner Kindheit. Diese Schwärmereien sind Kinder der Einsamkeit und der Muße. Wer nach angenehmen Empfindungen dürstet, und der Mittel beraubt ist, sich wirkliche zu verschaffen, ist genöthiget sich mit Einbildungen zu speisen, und aus Mangel einer bessern Gesellschaft mit den Sylphen umzugehen. Die Erfahrung wird dich hiervon am besten überzeugen können. Ich will dir die Geheimnisse einer Weisheit entdecken, die zum Genuß alles dessen führt, was die Natur, die Kunst, die Gesellschaft, und selbst die Einbildung (denn der Mensch ist doch nicht gemacht immer weise zu seyn) Gutes und Angenehmes zu geben haben; und ich müßte mich ganz an dir betrügen, wenn die Stimme der Vernunft, die du noch niemals gehört zu haben scheinst, dich nicht von einem Jrrwege zurückrufen könnte, wo du am Ende deiner Reise in das Land der Hoffnungen dich um nichts reicher befinden würdest, als um die Erfahrung dich betrogen zu haben. Jetzt ist es Zeit schlafen zu gehen; aber der nächste ruhige Morgen, den ich habe, soll dein seyn. Ich brauche dir nicht zu sagen, wie zufrieden ich mit der Art bin, wie du bisher dein Amt versehen hast; und ich wünsche nichts, als daß eine bessere Uebereinstimmung unserer Denkungsart mich in den Stand setze, dir Beweise von meiner Freundschaft zu geben.Mit diesen Worten begab sich Hippias hinweg, und ließ unsern Agathon in einer Verfassung, die der Leser aus dem folgenden Kapitel ersehen wird.
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Sechstes Capitel.

Worin Agathon für einen Schwärmer ziemlich gute Schlüsse macht.

Wir zweifeln nicht, verschiedene Leser dieser Geschichte werden vermuthen, Agathon müsse über diese nachdrucksvolle Apostrophe des weisen Hippias nicht wenig betroffen, oder doch in einige Unruhe gesetzt worden seyn. Das Alter des Sophisten, der Ruf der Weisheit worin er stand, der zuversichtliche Ton womit er sprach, der Schein von Wahrheit der über seine Rede ausgebreitet war, und, was nicht das wenigste scheint, das Ansehen welches ihm seine Reichthümer gaben; alle diese Umstände hätten nicht fehlen sollen, einen Menschen aus der Fassung zu setzen, der ihm so viele Vorzüge eingestehen mußte, und überdieß noch sein Sklave war. Gleichwohl hatte Agathon diese ganze nachdrucksvolle Rede mit einem Lächeln angehört, welches fähig gewesen wäre, alle Sophisten der Welt irre zu machen, wenn die Dunkelheit und das Vorurtheil des Redners für sich selbst es hätten bemerken lassen; und kaum befand er sich allein, so war die erste Wirkung derselben, daß dieses Lächeln sich in ein Lachen verwandelte, welches er zum Nachtheil seines Zwerchfells länger zurück zu halten unnöthig hielt, und welches immer wieder anfing, so oft er sich die Miene, den Ton und die Gebärden vorstellte, womit der weise Hippias die kräftigsten Stellen seiner Rede von sich gegeben hatte. Es ist wahr, sagte er zu sich selbst, ein Mensch, der so lebt wie Hippias, muß so denken; und wer so denkt wie Hippias, würde unglücklich seyn, wenn er nicht so leben könnte. Aber gleichwohl muß ich lachen, wenn ich an den Ton der Unfehlbarkeit denke womit er sprach. Dieser Ton ist mir nicht so neu, als der weise Hippias glauben mag. Ich habe Gerber und Grobschmiede zu Athen gekannt, die sich nicht zu wenig däuchten, mit dem ganzen Volke in diesem Tone zu sprechen. Er glaubt mir etwas Neues gesagt zu haben, wenn er meine Denkungsart Schwärmerei nennt, und mir mit der Gewißheit eines Propheten die Schicksale ankündiget, die sie mir zuziehen wird. Wie sehr betrügt er sich, wenn er mich dadurch erschreckt zu haben glaubt! O Hippias, was ist das was du Glückseligkeit nennest? Niemals wirst du fähig seyn zu wissen was Glückseligkeit ist. Was du so nennst, ist Glückseligkeit, wie das Liebe ist, was dir deine Tänzerinnen einflößen. Du nennst die meinige Schwärmerei? Laß mich immer ein Schwärmer seyn, und sey du ein Weiser! Die Natur hat dir biese Empfindlichkeit, diese innerlichen Sinnen versagt, die den Unterschied zwischen uns beiden machen; du bist einem Tauben ähnlich, der die fröhlichen Bewegungen, welche die begeisternde Flöte eines Damon in alle Glieder seiner Hörer bringt, dem Wein oder der Unsinnigkeit zuschreibt; er würde tanzen wie sie, wenn er hören könnte. Die Weltleute sind in der That nicht zu verdenken, wenn sie uns andre für ein wenig mondsüchtig halten. Wer will ihnen zumuthen zu glauben, es mangle ihnen etwas, das zu einem vollständigen Menschen gehört? Ich kannte zu Athen ein junges Frauenzimmer, welches die Natur wegen der Häßlichkeit ihrer übrigen Figur durch den feinsten Fuß getröstet hatte. Ich möchte doch wissen, sagte sie zu einer Freundin, was diese jungen Gecken an der einbildischen Timandra sehen, da sie sonst für niemand Augen haben als für sie? Es ist wahr, ihre Gesichtsfarbe geht noch mit, ihre Züge sind so so, ihre Augen wenigstens aufmunternd genug; aber was sie für Füße hat! Wie kann man einen Anspruch an Schönheit machen, ohne einen feinen Fuß zu haben? Du hast Recht, versetzte die Freundin, die der Natur nichts Schöneres zu danken hatte, als ein Paar ungemein kleine Ohren: um schön zu seyn, muß man einen Fuß haben wie du; aber was sagst du zu ihren Ohren, Hermia? So wahr mir Diana gnädig sey, sie würden einem Faun Ehre machen. — So sind die Menschen, und es wäre unbillig ihnen übel zu nehmen, daß sie so sind. Die Nachtigall singt, der Rabe krächzt, und er müßte kein Rabe seyn, wenn er nicht dächte, daß er gut krächze; ja, er hat noch Recht, wenn er denkt, die Nachtigall krächze nicht gut. Es ist wahr, dann geht er zu weit, wenn er über die Nachtigall spottet, daß sie nicht so gut krächze wie er: aber sie würde eben so Unrecht haben, wenn sie über ihn lachte, daß er nicht singe wie sie; singt er nicht, so krächzt er doch gut, und das ist für ihn genug. — Aber Hippias ist besorgt für mich, er bedauert mich, er will mich so glücklich haben, wie er ist. Dieß ist großmüthig! — Er hat ausfindig gemacht, daß ich das Schöne liebe, daß ich gegen den Reiz des Vergnügens nicht unempfindlich bin. Die Entdeckung war leicht zu machen; aber in den Schlüssen, die er daraus zieht, könnt' er sich betrogen haben. Der kluge Ulysses zog sein steiniges kleines Ithaka, wo er frei war, und seine alte Frau, mit welcher er vor zwanzig Jahren jung gewesen war, der bezauberten Insel der schönen Kalypso vor, wo er unsterblich und ein Sklave gewesen wäre; und der Schwärmer Agathon würde, mit allem seinem Geschmack für das Schöne und mit aller seiner Empfindlichkeit für die Ergötzungen, ohne sich einen Augenblick zu bedenken, lieber in das Faß des Diogenes kriechen, als den Palast, die Gärten, das Gynäceon und die Reichthümer des weisen Hippias besitzen, und Hippias seyn.Immer Selbstgespräche! hören wir den Leser sagen. Wenigstens ist dieß eines, und wer kann dafür? Agathon hatte sonst niemand mit dem er hätte reden können als sich selbst; denn mit den Bäumen und Nymphen reden nur die Verliebten. Wir müssen uns schon entschließen, ihm diese Unart zu gut zu halten; und wir sollten es desto eher thun können, da ein so feiner Weltmann, als Horaz unstreitig war, sich nicht geschämt hat zu gestehen, daß er öfters mit sich selbst zu reden pflege.

Siebentes Capitel.

Vorbereitungen zum Folgenden.

Agathon hatte noch nicht lange genug unter den Menschen gelebt, um die Welt so gut zu kennen, wie ein Theophrast sie kannte da er sie verlassen mußte. Allein was ihm an Erfahrung abging, ersetzte seine natürliche Gabe in den Seelen zu lesen, die durch die Aufmerksamkeit geschärft worden war, womit er die Menschen und die Auftritte des Lebens, welche er zu sehen Gelegenheit gehabt, beobachtet hatte. Daher kam es, daß seine letzte Unterredung mit dem Hippias, anstatt ihn etwas Neues zu lehren, nur den Verdacht rechtfertigte, den er schon einige Zeit gegen den Charakter und die Denkungsart dieses Sophisten gefaßt hatte. Er konnte also leicht errathen, von was für einer Art die geheime Philosophie seyn würde, von welcher man ihm so große Vortheile versprochen hatte. Demungeachtet verlangte ihn nach dieser Zusammenkunft: theils weil er neugierig war, die Denkungsart eines Hippias in ein System gebracht zu sehen; theils weil er sich von der Beredsamkeit desselben diejenige Art von Ergötzung versprach, die uns ein geschickter Gaukler macht, der uns sehen läßt, was wir nicht sehen, ohne es darum bei einem klugen Menschen so weit zu bringen, daß er nur einen Augenblick zweifeln sollte, ob er betrogen werde oder nicht.Mit einer Gemüthsverfassung, die so wenig von der Gelehrigkeit hatte, welche Hippias forderte, fand sich Agathon ein, als er nach Verfluß einiger Tage an einem Morgen in das Zimmer des Sophisten gerufen wurde; welcher, auf einem Ruhebette liegend, seiner wartete, und ihm befahl, sich neben ihm niederzusetzen und das Frühstück mit ihm zu nehmen.Diese Höflichkeit war nach der Absicht des weisen Hippias eine Vorbereitung, und er hatte, um die Wirkung derselben zu befördern, das schönste Mädchen in seinem Hause ausersehen, sie dabei zu bedienen. In der That die Gestalt dieser Nymphe, und die gute Art womit sie ihr Amt versah, machten ihre Aufwartung für einen Weisen von Agathons Alter ein wenig beunruhigend. Das Schlimmste war, daß die kleine Zaubrerin, um sich wegen der Gleichgültigkeit, womit er ihre zuvorkommende Güte bisher vernachlässiget hatte, zu rächen, keinen von den Kunstgriffen verabsäumte, wodurch sie ihm den Werth des verscherzten Glückes empfindlicher zu machen glaubte. Sie hatte die Bosheit gehabt, sich in einem so niedlichen, so sittsamen, und doch so verführerischen Morgenanzug darzustellen, daß Agathon sich nicht verhindern konnte zu denken, die Grazien selbst könnten, wenn sie gekleidet erscheinen wollten, keinen Anzug erfinden, der auf eine wohlanständigere Art das Mittel zwischen Kleidung und Nacktheit hielte. Die Wahrheit zu sagen, das rosenfarbene Gewand, welches sie umfloß, war eher demjenigen ähnlich, was Petron einen gewebten Wind oder einen leinenen Nebel nennt, als einem Zeuge der den Augen viel entziehen soll. Die kleinste Bewegung entdeckte Reizungen, welche desto gefährlicher waren, da sie sich sogleich wieder in verrätherische Schatten verbargen, und mehr der Einbildungskraft als den Augen nachzustellen schienen.Demungeachtet würde unser Held sich vielleicht ganz wohl aus der Sache gezogen haben, wenn er nicht beim ersten Anblicke die Absichten des Hippias und der schönen Cyane (so hieß die junge Schöne) errathen hätte. Diese Entdeckung setzte ihn in eine Art von Verlegenheit, die desto merklicher ward, je größere Gewalt er sich anthat sie zu verbergen. Er erröthete zu seinem größten Verdrusse bis an die Ohren, machte allerlei gezwungene Gebärden, und sah alle Gemälde im Zimmer nach einander an, um seine Verwirrung unmerklich zu machen. Aber alle seine Mühe war umsonst; die Geschäftigkeit der schalkhaften Cyane fand immer neuen Vorwand seinen zerstreuten Blick auf sich zu ziehen.Doch der Triumph, dessen sie in diesen Augenblicken genoß, wahrte nicht lange. So empfindlich Agathons Augen waren, so waren sie es doch nicht mehr als sein moralischer Sinn; und ein Gegenstand, der diesen beleidigte, konnte keinen so angenehmen Eindruck auf jene machen, daß er nicht von der unangenehmen Empfindung des andern wäre überwogen worden. Die Ansprüche der schönen Cyane, das Gekünstelte, das Schlaue, das Schlüpfrige, das ihm an ihrer ganzen Person anstößig war, löschte das Reizende so sehr aus, und erkälteten seine Sinnen so sehr, daß ein einziger Grad mehr, gleich dem Anblick der Medusa, fähig gewesen wäre ihn in einen Stein zu verwandeln. Die Freiheit und Gleichgültigkeit, die ihm dieses gab, blieb Cyanen nicht verborgen. Er sorgte dafür sie durch gewisse Blicke, und ein gewisses Lächeln, dessen Bedeutung ihr ganz deutlich war, zu überzeugen, daß sie zu früh triumphirt habe. Dieses Betragen war für ihre Reizungen allzu beleidigend, als daß sie es für ungezwungen hätte halten sollen. Der Widerstand, den sie fand, forderte sie zu einem Wettstreit heraus, worin sie alle ihre Künste anwandte, den Sieg zu erhalten. Allein die Stärke ihres Gegners ermüdete endlich ihre Hoffnung, und sie behielt kaum noch so viel Gewalt über sich selbst, den Verdruß zu verbergen, den sie über diese Demüthigung ihrer Eitelkeit empfand.Hippias, der sich eine Zeit lang stillschweigend an diesem Spiele belustigte, urtheilte bei sich selbst, daß es nicht leicht seyn werde, "den Verstand eines Menschen zu fangen, dessen Herz, selbst auf der schwächsten Seite, so wohl befestiget schien." Allein diese Anmerkung bekräftigte ihn nur in seinen Gedanken von der Methode, die er bei seinem neuen Schüler gebrauchen müsse; und da er selbst von seinem System besser überzeugt war, als irgend ein Bonze von der Kraft der Amulete, die er seinen dankbaren Gläubigen austheilt, so zweifelte er nicht, Agathon würde durch einen freimüthigen Vortrag besser zu gewinnen seyn, als durch die rednerischen Kunstgriffe, deren er sich bei schwächern Seelen mit gutem Erfolge zu bedienen pflegte. Sobald also das Frühstück genommen, und die beschämte Cyane abgetreten war, fing er, nach einem kleinen Vorbereitungsgespräche, den merkwürdigen Discurs an, durch dessen vollständige Mittheilung wir desto mehr Dank zu verdienen hoffen, da wir von Kennern versichert worden sind, daß der geheime Verstand desselben den buchstäblichen an Wichtigkeit noch weit übertreffe, und der wahre und unfehlbare Proceß, den Stein der Weisen zu finden, darin verborgen liege.
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Drittes Buch.

Darstellung der Philosophie des Hippias.

Erstes Capitel.

Prolog eines interessanten Discurses.

Wenn wir auf das Thun und Lassen der Menschen Acht geben, mein lieber Kallias, so scheint zwar, daß alle ihre Sorgen und Bemühungen kein andres Ziel haben als sich glücklich zu machen: allein die Seltenheit derjenigen die es wirklich sind, oder es doch zu seyn glauben, beweiset zugleich, daß die meisten nicht wissen, durch was für Mittel sie sich glücklich machen sollen, wenn sie es nicht sind, das ist, wie sie sich ihres gutes Glückes bedienen sollen, um in denjenigen Zustand zu kommen den man Glückseligkeit nennt. Es gibt eben so viele, die im Schooße des Ansehens, des Glücks und der Wollust, als solche, die in einem Zustande von Mangel, Dienstbarkeit und Unterdrückung elend sind. Einige haben sich aus diesem letztern Zustand empor gearbeitet, in der Meinung, daß sie nur darum unglückselig wären, weil es ihnen am Besitze der Güter des Glücks fehle. Allein die Erfahrung hat sie gelehrt, daß, wenn es eine Kunst gibt, die Mittel zur Glückseligkeit zu erwerben, es vielleicht eine noch schwerere, zum wenigsten eine seltnere Kunst sey, diese Mittel recht zu gebrauchen. Es ist daher allezeit die Beschäftigung der Verständigsten unter den Menschen gewesen, durch Verbindung dieser beiden Künste diejenige heraus zu bringen, die man die Kunst glücklich zu leben nennen kann, und in deren Ausübung, nach meinem Begriffe, die Weisheit besteht, die so selten ein Antheil der Sterblichen ist. Ich nenne sie eine Kunst, weil sie von der fertigen Anwendung gewisser Regeln abhängt, die nur durch die Uebung erlangt werden kann: allein sie setzt, wie alle Künste, einen gewissen Grad von Fähigkeit voraus, den nur die Natur gibt, und den sie nicht allen zu geben pflegt.Einige Menschen scheinen kaum einer größern Glückseligkeit fähig zu seyn als die Austern; und wenn sie ja eine Seele haben, so ist es nur so viel als vonnöthen ist, um ihren Leib eine Zeit lang vor der Fäulniß zu bewahren. Ein größerer, und vielleicht der größte Theil der Menschen befindet sich nicht in diesem Falle; aber, weil es ihnen an genugsamer Stärke des Gemüths, und an einer gewissen Feinheit der Empfindung mangelt, so ist ihr Leben, gleich dem Leben der übrigen Thiere des Erdbodens, zwischen Vergnügen, die sie weder zu wählen noch zu genießen, und Schmerzen, denen sie weder zu widerstehen noch zu entfliehen wissen, getheilt. Wahn und Leidenschaften sind die Triebfedern dieser menschlichen Maschinen: beide setzen sie einer unendlichen Menge von Uebeln aus, die es nur in einer betrogenen Einbildung, aber eben darum, wo nicht schmerzlicher, doch anhaltender und unheilbarer sind, als diejenigen die uns die Natur auferlegt. Diese Art von Menschen ist keines gesetzten und anhaltenden Vergnügens, keines Zustandes von Glückseligkeit fähig; ihre Freuden sind Augenblicke, und ihr übriges Leben ist entweder wirkliches Leiden, oder ein unaufhörliches Gefühl verworrener Wünsche, eine immerwährende Ebbe und Flut von Furcht und Hoffnung, von Phantasien und Gelüsten; kurz, eine unruhige Bewegung, die weder ein gewisses Maß noch ein festes Ziel hat, und also weder ein Mittel zur Erwerbung dessen was gut ist seyn kann, noch dasjenige genießen läßt, was man wirklich besitzt. Es scheint also unmöglich zu seyn, ohne eine gewisse Feinheit und Zartheit des Gefühls, die uns in einem weiten Umkreise, mit schärfern Sinnen, und auf eine angenehmere Art genießen läßt, und ohne die Stärke der Seele, die uns fähig macht das Joch der Einbildung und des Wahns abzuschütteln und die Leidenschaften in unsrer Gewalt zu haben, zu demjenigen ruhigen Zustande von Genuß und Zufriedenheit zu kommen, der die Glückseligkeit ausmacht. Nur derjenige ist in der That glücklich, der sich von den Uebeln, die nur in der Einbildung bestehen, gänzlich frei zu machen, diejenigen aber, denen die Natur den Menschen unterworfen hat, entweder zu vermeiden oder doch zu vermindern gelernt hat, und das Gefühl derselben einzuschläfern; hingegen sich in den Besitz alles des Guten, dessen uns die Natur fähig gemacht, zu setzen, und was er besitzt, auf die angenehmste Weise zu genießen weiß; und dieser Glückselige allein ist der Weise.Wenn ich dich anders recht kenne, Kallias, so hat dich die Natur mit den Fähigkeiten es zu seyn so reichlich begabt, als mit den Vorzügen, deren kluger Gebrauch uns die Gunstbezeugungen des Glückes zu verschaffen pflegt. Demungeachtet bist du weder glücklich, noch wirst du es jemals werden, so lange du nicht von beiden einen andern Gebrauch zu machen lernest, als du bisher gethan hast. Du wendest die Stärke deiner Seele an, dein Herz gegen das wahre Vergnügen unempfindlich zu machen, und beschäftigest deine Empfindlichkeit mit unwesentlichen Gegenständen, die du nur in der Einbildung siehest, und nur im Traume genießest. Die Vergnügungen, welche die Natur dem Menschen zugetheilt hat, sind für dich Schmerzen, weil du dir Gewalt anthun mußt sie zu entbehren; und du setzest dich allen Uebeln aus, die sie uns vermeiden lehrt, indem du, statt einer nützlichen Geschäftigkeit, dein Leben in den süßen Einbildungen wegträumest, womit du dir die Beraubung des wirklichen Vergnügens zu ersetzen suchest. Dein Uebel, lieber Kallias, entspringt von einer Einbildungskraft, welche dir ihre Geschöpfe in einem überirdischen Glanze zeigt, der dein Herz verblendet, und ein falsches Licht über das was wirklich ist ausbreitet; von einer dichterischen Einbildungskraft, die sich beschäftiget schönere Schönheiten und angenehmere Vergnügungen zu erfinden als die Natur hat; einer Einbildungskraft, ohne welche weder Homere, noch Alkamene, noch Polygnote wären; welche gemacht ist unsre Ergötzungen zu verschönern, aber nicht die Führerin unsers Lebens zu seyn. Um weise zu seyn, hast du nichts nöthig, als die gesunde Vernunft an die Stelle dieser begeisterten Zaubrerin, und die kalte Ueberlegung an den Platz eines sehr oft betrüglichen Gefühls zu setzen. Bilde dir auf etliche Augenblike ein, daß du den Weg zur Glückseligkeit erst suchen müssest; frage die Natur, höre ihre Antwort, und folge dem Pfade, den sie dir vorzeichnen wird.
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Zweites Capitel.

Fortsetzung der Rede des Hippias. Seine Theorie der angenehmen Empfindungen.

Und wen anders als die Natur können wir fragen, um zu wissen, wie wir leben sollen, um wohl zu leben? "Die Götter?" Sie sind entweder die Natur selbst, oder die Urheber der Natur: in beiden Fällen ist die Stimme der Natur die Stimme der Gottheit. Sie ist die allgemeine Lehrerin aller Wesen; sie lehrt jedes Thier vom Elephanten bis zum Insect, was seiner besondern Verfassung gut oder schädlich ist. Um so glücklich zu seyn als es diese innerliche Einrichtung erlaubt, braucht das Thier nichts weiter, als dieser Stimme der Natur zu folgen, welche bald durch den süßen Zug des Vergnügens, bald durch das ungeduldige Fordern des Bedürfnisses, bald durch das ängstliche Pochen des Schmerzens, es entweder zu demjenigen locket, was ihm zuträglich ist, oder es zur Erhaltung seines Lebens und seiner Gattung auffordert, oder es vor demjenigen warnet, was seinem Wesen die Zerstörung dräuet. Sollte der Mensch allein von dieser mütterlichen Vorsorge ausgenommen seyn, oder er allein irren können, wenn er der Stimme folget, die zu allen Wesen spricht? Oder ist nicht vielmehr die Unachtsamkeit und der Ungehorsam gegen ihre Erinnerungen die einzige wahre Ursache, warum unter einer unendlichen Menge von lebenden Wesen der Mensch das einzige unglückselige ist?Die Natur hat allen ihren Werken eine gewisse Einfalt eingedrückt, die ihre mühsamen Anstalten und die genaueste Regelmäßigkeit unter einem Scheine von Leichtigkeit und Anmuth verbirgt. Mit diesem Stempel sind auch die Gesetze der Glückseligkeit bezeichnet, welche sie dem Menschen vorgeschrieben hat. Sie sind einfältig, leicht auszuüben, führen gerade und sicher zum Zweck. Die Kunst glücklich zu leben würde die gemeinste unter allen Künsten seyn, wie sie die leichteste ist, wenn die Menschen nicht gewohnt wären sich einzubilden, "daß man große Zwecke nicht anders als durch große Anstalten erreichen könne." Es scheint ihnen zu einfältig, daß alles, was uns die Natur durch den Mund der Wahrheit zu sagen hat, in diese drei Erinnerungen zusammen fließen soll: befriedige deine Bedürfnisse; vergnüge alle deine Sinnen; erspare dir so viel du kannst alle schmerzhaften Empfindungen. Und doch wird dich eine kleine Aufmerksamkeit überführen, daß die vollständigste Glückseligkeit, deren die Sterblichen fähig sind, in die Linie, die von diesen dreien Formeln bezeichnet wird, eingeschlossen ist.Es hat Narren gegeben, welche die Frage mühsam untersucht haben, ob das Vergnügen ein Gut, und der Schmerz ein Uebel sey? Es hat noch größere Narren gegeben, welche wirklich behaupteten, der Schmerz sey kein Uebel und das Vergnügen kein Gut; und, was das lustigste dabei ist, beide haben Thoren gefunden, die albern genug waren, diese Narren für klug zu halten. Das Vergnügen ist kein Gut, sagen sie, weil es Fälle gibt wo der Schmerz ein größeres Gut ist; und der Schmerz ist kein Uebel, weil er zuweilen besser ist als das Vergnügen. Sind diese Wortspiele einer Antwort werth? Was würde ein Zustand seyn, der in einem vollständigen unaufhörlichen Gefühl des höchsten Grades aller möglichen Schmerzen bestände? Wenn dieser Zustand das höchste Uebel ist, so ist der Schmerz ein Uebel.Doch wir wollen die Schwätzer mit Worten spielen lassen, die ihnen bedeuten müssen was sie wollen. Die Natur entscheidet diese Frage, wenn es eine seyn kann, auf eine Art, die keinen Zweifel übrig läßt. Wer ist, der nicht lieber vernichtet als unaufhörlich gepeiniget werden wollte? Wer sieht nicht einen schönen Gegenstand lieber als einen ekelhaften? Wer hört nicht lieber den Gesang der Nachtigall, als das Geheul der Nachteule? Wer zieht nicht einen angenehmen Geruch oder Geschmack einem widrigen vor? Und würde nicht der enthaltsame Kallias selbst lieber auf einem Lager von Blumen in den Rosenarmen irgend einer schönen Nymphe ruhen, als in den glühenden Armen des ehernen Götzenbildes, welchem die unmenschliche Andacht gewisser syrischer Völker ihre Kinder opfert? Eben so wenig scheint einem Zweifel unterworfen zu seyn, daß der Schmerz und das Vergnügen so unverträglich sind, daß eine einzige gepeinigte Nerve genug ist, uns gegen die vereinigten Reizungen aller Wollüste unempfindlich zu machen. Die Freiheit von allen Arten der Schmerzen ist also unstreitig eine unumgängliche Bedingung der Glückseligkeit, allein da sie nichts Positives ist, so ist sie nicht sowohl ein Gut, als der Zustand, worin man des Genusses des Guten fähig ist. Dieser Genuß allein ist es, dessen Dauer den Stand hervorbringt, den man Glückseligkeit nennt.Es ist unläugbar, daß nicht alle Arten und Grade des Vergnügens gut sind. Die Natur allein hat das Recht uns die Vergnügen anzuzeigen, die sie uns bestimmt hat. So unendlich die Menge dieser angenehmen Empfindungen zu seyn scheint, so ist doch leicht zu sehen, daß sie alle entweder zu den Vergnügungen der Sinne, oder der Einbildungskraft, oder zu einer dritten Classe, die aus beiden zusammen gesetzt ist, gehören. Die Vergnügen der Einbildungskraft sind entweder Erinnerungen an ehemals genossene sinnliche Vergnügen; oder Mittel, uns den Genuß derselben reizender zu machen; oder angenehme Dichtungen und Träume, die entweder in einer neuen willkürlichen Zusammensetzung angenehmer sinnlicher Vorstellungen, oder in einer eingebildeten Erhöhung der Grade jener Vergnügen, die wir erfahren haben, bestehen. Es sind also, wenn man genau reden will, alle Vergnügungen im Grunde sinnlich, indem sie, es sey nun unmittelbar oder vermittelst der Einbildungskraft, von keinen andern als sinnlichen Vorstellungen entstehen können.Die Philosophen reden von Vergnügen des Geistes, von Vergnügen des Herzens, von Vergnügen der Tugend. Alle diese Vergnügen sind es für die Sinnen, oder für die Einbildungskraft, oder sie sind — nichts.Warum ist Homer unendliche Mal angenehmer zu lesen als Heraklitus? Weil die Gedichte des ersten eine Reihe von Gemälden darstellen, die — entweder durch die eigenthümlichen Reizungen des Gegenstandes, oder die Lebhaftigkeit der Farben, oder einen Contrast, der das Vergnügen durch eine kleine Mischung mit widrigen Empfindungen erhöhet, oder die Erregung angenehmer Gemüthsbewegungen — unsere Phantasie bezaubern: da hingegen die trocknen Schriften des Philosophen nichts darstellen, als eine Reihe von Wörtern, welche nicht Bilder, sondern bloße Zeichen abgezogener Begriffe sind, von welchen sich die Einbildungskraft nicht anders als mit vieler Anstrengung, und mit einer beständigen Bemühung, die Verwirrung so vieler gestalt- und farbenloser Schatten zu verhüten, einige Vorstellungen machen kann. Es ist wahr, es gibt abgezogene Begriffe, die für gewisse enthusiastische Seelen entzückend sind; aber warum sind sie es? In der That bloß darum, weil die Einbildungskraft sie auf eine schlaue Art zu verkörpern weiß. Untersuche alle angenehmen Ideen von dieser Art, so unkörperlich und geistig sie scheinen mögen und du wirst finden, daß das Vergnügen, das sie deiner Seele machen, von den sinnlichen Vorstellungen entsteht, womit sie begleitet sind. Bemühe dich so sehr als du willst, dir Götter ohne Gestalt, ohne Glanz, ohne etwas das die Sinnen rührt, vorzustellen; es wird dir unmöglich seyn. Der Jupiter des Homer und Phidias, die Idee eines Hercules oder Theseus, wie unsere Einbildungskraft sich diese Helden vorzustellen pflegt, die Ideen eines überirdischen Glanzes, einer mehr als menschlichen Schönheit, eines ambrosischen Geruchs, werden sich unvermerkt an die Stelle derjenigen setzen, die du dich vergeblich zu machen bestrebest, und du wirst noch immer an dem irdischen Boden kleben, wenn du schon in den empyräischen Gegenden zu schweben glaubst.Sind die Vergnügen des Herzens weniger sinnlich? Sie sind die allersinnlichsten. Ein gewisser Grad derselben verbreitet eine wollüstige Wärme durch unser ganzes Wesen, belebt den Umlauf des Blutes, ermuntert das Spiel der Fibern, und setzt unsre ganze Maschine in einen Zustand von Behaglichkeit, der sich der Seele um so mehr mittheilet, als ihre eignen natürlichen Verrichtungen auf die angenehmste Art dadurch erleichtert werden. Die Bewunderung, die Liebe, das Verlangen, die Hoffnung, das Mitleiden, jeder zärtliche Affect bringt diese Wirkung in einigem Grade hervor, und ist desto angenehmer, je mehr er sich derjenigen Wollust nähert, die unsere Alten würdig gefunden haben, in der Gestalt der personificirten Schönheit, aus deren Genusse sie entspringt, unter die Götter gesetzt zu werden. Derjenige, den sein Freund niemals in Entzückungen gesetzt hat, die den Entzückungen der Liebe ähnlich sind, ist nicht berechtigt von den Vergnügen der Freundschaft zu reden. Was ist das Mitleiden, welches uns zur Gutthätigkeit treibt? Wer anders ist desselben fähig, als diese empfindlichen Seelen, deren Auge durch den Anblick, deren Ohr durch den ächzenden Ton des Schmerzens und Elends gequälet wird, und die in dem Augenblicke, da sie die Noth eines Unglücklichen erleichtern, beinahe dasselbe Vergnügen fühlen, welches sie in eben diesem Augenblick an seiner Stelle gefühlt hätten? Wenn das Mitleiden nicht ein wollüstiges Gefühl ist, warum rührt uns nichts so sehr als die leidende Schönheit? Warum lockt die klagende Phädra in der Nachahmung zärtliche Thränen aus unsern Augen, da die winselnde Häßlichkeit in der Natur nichts als Ekel erweckt? Und sind etwan die Vergnügen der Wohlthätigkeit und Menschenliebe weniger sinnlich? Dasjenige was in dir vorgehen wird, wenn du dir die contrastirenden Gemälde einer geängstigten und einer fröhlichen Stadt vorstellest, die Homer aus den Schild des Achilles setzt, wird dir diese Frage auflösen. Nur diejenigen, die der Genuß des Vergnügens in die lebhaftere Entzückung setzt, sind fähig, von den lachenden Bildern einer allgemeinen Freude und Wonne so sehr gerührt zu werden, daß sie dieselbe außer sich zu sehen wünschen; das Vergnügen der Gutthätigkeit wird allemal mit demjenigen in Verhältniß stehen, welches ihnen der Anblick eines vergnügten Gesichts, eines fröhlichen Tanzes, einer öffentlichen Lustbarkeit macht: und es ist nur der Vortheil ihres Vergnügens, je allgemeiner diese Scene ist. Ie größer die Anzahl der Fröhlichen und die Mannichfaltigkeit der Freuden, desto größer die Wollust, wovon diese Art von Menschen, an denen alles Sinn, alles Herz und Seele ist, beim Anblick derselben überströmet werden. Laß uns also gestehen, Kallias, daß alle Vergnügen, die uns die Natur anbeut, sinnlich sind; und daß die hochfliegendste, abgezogenste und geistigste Einbildungskraft uns keine andern verschaffen kann, als solche, die wir auf eine weit vollkommnere Art aus dem rosenbekränzten Becher und von den Lippen der schönen Cyane saugen könnten.Es ist wahr, es gibt noch eine Art von Vergnügen, die beim ersten Anblick eine Ausnahme von meinem Satze zu machen scheint. Man könnte sie künstliche nennen, weil wir sie nicht aus den Handen der Natur empfangen, sondern nur gewissen Einverständnissen der menschlichen Gesellschaft zu danken haben, durch welche dasjenige, was uns dieses Vergnügen macht, die Bedeutung eines Gutes erhalten hat. Allein die kleinste Ueberlegung wird uns überzeugen, daß diese Dinge keine andere Art von Vergnügen gewähren, als die uns der Besitz des Geldes gibt; welches wir mit Gleichgültigkeit ansehen würden, wenn es uns nicht für alle die wirklichen Vergnügen Gewähr leistete, die wir uns dadurch verschaffen können. Von der nämlichen Art ist dasjenige, welches der Ehrgeizige empfindet, wenn ihm Bezeigungen einer scheinbaren Hochachtung gemacht werden, die ihm als Zeichen seines Ansehens, und der Macht, die ihm dasselbe über andere gibt, angenehm sind. Ein morgenländischer Despot bekümmert sich wenig um die Hochachtung seiner Völker; sklavische Unterwürfigkeit ist für ihn genug. Ein Mensch hingegen, dessen Glück in den Händen solcher Leute liegt, die seinesgleichen sind, ist genöthigt, sich ihre Hochachtung zu erwerben. Allein diese Unterwürfigkeit ist dem Despoten, diese Hochachtung ist dem Republicaner nur darum angenehm, weil sie ihm das Vermögen oder die Gelegenheit gibt, die Leidenschaften und Begierden desto besser zu befriedigen, welche die unmittelbaren Quellen des Vergnügens sind. Warum ist Alcibiades ehrgeizig? Alcibiades bewirbt sich um einen Ruhm, der seine Ausschweifungen, seinen Uebermuth, seinen schleppenden Purpur, seine Schmäuse und Liebeshändel bedeckt; der es den Athenern erträglich macht, den Liebesgott mit dem Blitze Jupiters bewaffnet auf dem Schilde ihres Feldherrn zu sehen; der die Gemahlin eines spartanischen Königs so sehr verblendet, daß sie stolz darauf ist, für seine Buhlerin gehalten zu werden. Ohne diese Vortheile würde ihm Ansehen und Ruhm so gleichgültig seyn, als ein Haufen Rechenpfennige einem Korinthischen Wechsler."Allein," spricht man, "wenn es seine Richtigkeit hat, daß die Vergnügen der Sinne alles sind, was uns die Natur zuerkannt hat: was ist leichter und was braucht weniger Kunst und Anstalten, als glücklich zu seyn? Wie wenig bedarf die Natur um genug zu haben?"Es ist wahr, die rohe Natur bedarf wenig. Unwissenheit ist der Reichthum des Wilden. Eine Bewegung, die seinen Körper munter erhält, eine Nahrung, die seinen Hunger stillt, ein Weib, schön oder häßlich, wenn ihn die Ungeduld des Bedürfnisses spornt, ein schattiger Rasen, wenn er des Schlafs bedarf, und eine Höhle, sich vor dem Ungewitter zu sichern, ist alles was der wilde Mensch nöthig hat, um in einem Leben von achtzig Jahren sich nur nicht träumen zu lassen, daß man mehr vonnöthen haben könne. Die Vergnügungen der Einbildungskraft und des Geschmackes sind nicht für ihn; er genießt nicht mehr als die übrigen Thiere, und genießt wie sie. Wenn er glücklich ist, weil er sich nicht für unglücklich hält, so ist er es doch nicht in Vergleichung mit demjenigen, für den die Künste des Witzes und des Geschmackes die angenehmste Art zu genießen, und eine unendliche Menge von Ergötzungen der Sinne und der Einbildung erfunden haben, wovon die Natur in ihrem rohen Zustande keinen Begriff hat. Wahr ist's, diese Vergleichung findet nur in dem Stand einer Gesellschaft statt, die in einer langen Reihe von Jahrhunderten sich endlich zu einem gewissen Grade der Vollkommenheit erhoben hat. In diesem Stande aber wird alles das zum Bedürfniß, was der Wilde nur darum nicht vermisset, weil es ihm unbekannt ist; und Diogenes könnte zu Korinth nicht glücklich seyn, wenn er nicht — ein Narr wäre.Gewisse poetische Köpfe haben sich ein goldnes Alter, ein idealisches Arkadien, ein reizendes Hirtenleben geträumt, welches zwischen der rohen Natur und der Lebensart des begüterten Theils eines gesitteten und sinnreichen Volkes das Mittel halten soll. Sie haben die verschönerte Natur von allem demjenigen entkleidet, wodurch sie verschönert worden ist, und diesen abgezogenen Begriff die schöne Natur genannt. Allein (außerdem, daß diese schöne Natur in der nackten Einfalt, welche man ihr gibt, niemals irgendwo vorhanden war) wer siehet nicht, daß die Lebensart des goldnen Alters der Dichter zu derjenigen, welche durch die Künste mit allem bereichert und ausgeziert wird, was uns im Genuß einer ununterbrochenen Wollust vor dem Ueberdruß der Sättigung bewahren kann, daß, sage ich, jene dichterische Lebensart zu dieser sich eben so verhält, wie die Lebensart des wildesten Sogdianers zu jener? Wenn es angenehmer ist, in einer bequemen Hütte zu wohnen, als in einem hohlen Baum: so ist es noch angenehmer, in einem geräumigen Hause zu wohnen, das mit den ausgesuchtesten und wollüstigsten Bequemlichkeiten versehen, und allenthalben mit Bildern des Vergnügens ausgeziert ist. Und wenn eine mit Bändern und Blumen geschmückte Phyllis reizender ist, als eine schmutzige Wilde: muß nicht eine von unsern Schönen, deren natürliche Reizungen durch einen wohl ausgesonnenen und schimmernden Putz erhoben werden, um eben so viel besser gefallen als jene Schäferin?
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Drittes Capitel.

Geisterlehre eines ächten Materialisten.

Wir haben die Natur gefragt, Kallias, worin die Glückseligkeit bestehe, und wir hörten ihre Antwort: "Ein schmerzenfreies Leben, die angenehmste Befriedigung unserer natürlichen Bedürfnisse, und der abwechselnde Genuß aller Arten von Vergnügen, womit die Einbildungskraft, der Witz und die Künste unsern Sinnen zu schmeicheln fähig sind." Dieß ist alles, was der Mensch fordern kann. Wenn es eine erhabnere Art von Glückseligkeit gibt, so können wir wenigstens gewiß seyn, daß sie nicht für uns gehört, da wir nicht einmal fähig sind, uns eine Vorstellung von ihr zu machen. Es ist wahr, der enthusiastische Theil unter den Verehrern der Götter schmeichelt sich mit einer zukünftigen Glückseligkeit, zu welcher die Seele nach der Zerstörung des Körpers erst gelangen soll. Die Seele, sagen sie, war ehemals eine Freundin und Gespielin der Götter, sie war unsterblich wie sie, und begleitete (wie Plato homerisirt) den geflügelten Wagen Jupiters, um mit den übrigen Unsterblichen die unvergänglichen Schönheiten zu beschauen, womit die unermeßlichen Räume über den Sphären erfüllt sind. Ein Krieg, der unter den Bewohnern der unsichtbaren Welt entstand, verwickelte sie in den Fall der Besiegten; sie wurde vom Himmel gestürzt und in den Kerker eines thierischen Leibes eingeschlossen, um durch den Verlust ihrer ehemaligen Wonne, in einem Zustande, der eine Kette von Plagen und Schmerzen ist, ihre Schuld auszutilgen. Das unendliche Verlangen, der nie gestillte Durst nach einer Glückseligkeit, die sie in keinem irdischen Gute findet, ist das Einzige, das ihr zu ihrer Qual von ihrem vormaligen Zustand übrig geblieben ist; und es ist unmöglich, daß sie diese vollkommne Seligkeit, wodurch sie allein befriedigt werden kann, wieder erlange, ehe sie sich wieder in ihren ursprünglichen Stand, in das reine Element der Geister, empor geschwungen hat. Sie ist also vor dem Tode keiner andern Glückseligkeit fähig, als derjenigen, deren sie durch eine freiwillige Absonderung von allen irdischen Dingen, durch Ertödtung aller irdischen Leidenschaften und Entbehrung aller sinnlichen Vergnügen fähig gemacht wird. Nur durch diese Entkörperung wird sie der Beschauung der wesentlichen und göttlichen Dinge fähig, worin die Geister ihre einzige Nahrung und diese vollkommne Wonne finden, von welcher die sinnlichen Menschen sich keinen Begriff machen können. Solchergestalt kann sie nur, nachdem sie, durch verschiedene Grade der Reinigung, von allem, was thierisch und körperlich ist, gesäubert worden, sich wieder zu der überirdischen Sphäre erheben, mit den Göttern leben, und im unverwandten Anschauen des wesentlichen und ewigen Schönen, wovon alles Sichtbare bloß der Schatten ist, Ewigkeiten durchleben, die eben so gränzenlos sind, als die Wonne, von der sie überströmet werden.Vielleicht gibt es Leute, Kallias, bei denen die Milzsucht hoch genug gepriesen ist, daß diese Begriffe eine Art von Wahrheit für sie haben. Es ist auch nichts Leichteres, als daß junge Personen von lebhafter Empfindung und feuriger Einbildungskraft durch eine einsame Lebensart und den Mangel solcher Gegenstände und Freuden, worin sich dieses übermäßige Feuer verzehren könnte, von solchen hochfliegenden Chimären eingenommen werden, welche so geschickt sind, ihre nach Vergnügen lechzende Seele durch eine Art von Wollust zu täuschen, die nur desto lebhafter ist, je verworrener und dunkler die bezaubernden Phantomen sind, die sie hervorbringen. Allein ob diese Träume, außer dem Gehirn ihrer Erfinder, und derjenigen, deren Einbildungskraft so glücklich ist ihnen nachfliegen zu können, einige Wahrheit oder Wirklichkeit haben, ist eine Frage, deren Erörterung, wenn sie der gesunden Vernunft aufgetragen wird, nicht zum Vortheil derselben ausfällt. Wem anders als der Unwissenheit und dem Aberglauben der ältesten Welt haben die Nymphen und Faunen, die Najaden und Tritonen, die Furien und die erscheinenden Schatten der Verstorbenen ihre vermeinte Wirklichkeit zu danken? Ie besser wir die Körperwelt kennen lernen, desto enger werden die Gränzen des Geisterreichs. Ich will jetzt nichts davon sagen, ob es nicht wahrscheinlich sey, daß die Priesterschaft, die von jeher einen so zahlreichen Orden unter den Menschen ausgemacht, bald genug die Entdeckung machen mußte, was für große Vortheile man durch diesen Hang der Menschen zum Wunderbaren, von ihren beiden heftigsten Leidenschaften, der Furcht und der Hoffnung, ziehen könne. Wir wollen bei der Sache selbst bleiben. Worauf gründet sich die erhabene Theorie, von der wir reden? Wer hat jemals diese Götter, diese Geister gesehen, deren Daseyn sie voraussetzt? Welcher Mensch erinnert sich dessen, daß er ehemals ohne Körper in den ätherischen Gegenden geschwebt, den geflügelten Wagen Jupiters begleitet, und mit den Göttern Nektar getrunken habe? Was für einen sechsten oder siebenten Sinn haben wir, um das wirkliche Daseyn der Gegenstände damit zu erkennen, womit man die Geisterwelt bevölkert? Sind es unsre innerlichen Sinnen? Was sind diese anders als das Vermögen der Einbildungskraft, die Erscheinungen der äußern Sinne nachzuäffen? Was sieht das inwendige Auge eines Blindgebornen? Was hört das innere Ohr eines gebornen Tauben? Oder was sind die erhabensten Scenen, in welche die Einbildungskraft auszuschweifen fähig ist, anders als neue Zusammensetzungen, die sie gerade so macht, wie ein Madchen aus den zerstreuten Blumen in einem Parterre einen Kranz flicht; oder höhere Grade dessen was die Sinnen einst empfunden haben, von welchen man jedoch immer unfähig bleibt, sich einige klare Vorstellung zu machen? Denn was empfinden wir bei dem ätherischen Schimmer, oder den ambrosischen Gerüchen der Homerischen Götter? Wir sehen, wenn ich so sagen kann, den Schatten eines Glanzes in unsrer Einbildung; wir riechen, so zu sagen, den Schatten eines lieblichen Duftes; aber wir sehen keinen ätherischen Glanz und empfinden keinen ambrosischen Geruch. Kurz, man verbiete den Schöpfern der überirdischen Welten sich keiner irdischen und sinnlichen Materialien zu bedienen: so werden ihre Welten (um mich eines ihrer Ausdrücke zu bedienen) plötzlich wieder in den Schooß des Nichts zurückfallen, woraus sie gezogen worden.Und brauchen wir wohl noch einen andern Beweis, um uns diese ganze Theorie verdächtig zu machen, als die Methode, die man uns vorschreibt, um zu der geheimnißvollen Glückseligkeit zu gelangen, welcher wir diejenige aufopfern sollen, die uns die Natur und unsre Sinnen anbieten? Wir sollen uns den sichtbaren Dingen entziehen, um die unsichtbaren zu sehen; wir sollen aufhören zu empfinden, damit wir desto lebhafter phantasiren können. Verstopfet eure Sinnen, sagen sie, so werdet ihr Dinge sehen und hören, wovon diese thierischen Menschen, die gleich dem Vieh mit den Augen sehen und mit den Ohren hören, sich keinen Begriff machen können. Eine vortreffliche Diät, in Wahrheit! Die Schüler des Hippokrates werden dir beweisen, daß man keine bessere erfinden kann, um — wahnsinnig zu werden.Es ist also sehr wahrscheinlich, daß alle diese Geister, diese Welten, welche sie bewohnen, und diese Glückseligkeiten, welche man nach dem Tode mit ihnen zu theilen hofft, nicht mehr Wahrheit haben, als die Nymphen, Liebesgötter und Grazien der Dichter, als die Gärten der Hesperiden und die Inseln der Circe und Kalypso, kurz, als alle diese Spiele der Einbildungskraft, welche uns belustigen, ohne daß wir sie für wirklich halten. Die Religion unsrer Vater befiehlt uns, einen Jupiter, einen Apollo, eine Pallas, eine Aphrodite zu glauben: ganz gut! aber was für eine Vorstellung macht man uns von ihnen? Jedermann gesteht, daß es unmöglich sey, diese Götter, diese Göttinnen auf eine vollkommnere Weise abzubilden, als es von Phidias und Praxiteles geschehen ist. Gleichwohl ist der Jupiter des Phidias nichts anders als ein heroischer Mann, die Cythere des Praxiteles nichts mehr als ein schönes Weib; von dem Gott und der Göttin hat kein Mensch in Griechenland den mindesten Begriff. Man verspricht uns nach dem Tod ein unsterbliches Leben bei den Göttern; aber die Begriffe, die wir uns davon machen, sind entweder aus den sinnlichen Wollüsten, oder den feinern und geistigern Freuden, die wir in diesem Leben erfahren haben, zusammen gesetzt; es ist also klar, daß wir gar keine ächte Vorstellung von dem Leben der Geister und von ihren Freuden haben.Ich will hiermit nicht läugnen, daß es Götter, Geister, oder vollkommnere Wesen als wir sind, geben könne, oder vielleicht wirklich gebe. Alles was meine Schlüsse beweisen, ist dieß: "daß wir unfähig sind, uns eine richtige Vorstellung von ihnen zu machen, oder kurz, daß wir nichts von ihnen wissen." Wissen wir aber nichts, weder von ihrem Zustande noch von ihrer Natur, so ist es für uns eben so viel als ob sie gar nicht wären. Anaragoras bewies mir einst mit dem ganzen Enthusiasmus eines Sternsehers, daß der Mond Einwohner habe. Vielleicht sagte er die Wahrheit. Allein was sind diese Mondbewohner für dich oder mich? Meinest du, der König Philippus werde sich die mindeste Sorge machen, die Griechen möchten sie gegen ihn zu Hülfe rufen? Es mögen Einwohner im Monde seyn: aber für uns ist der Mond weder mehr noch weniger als eine leere glänzende Scheide, die unsre Nächte erheitert, und unsre Zeit abmißt.Wenn es denn also, mein lieber Kallias, mit allen jenen übersinnlichen Dingen diese Bewandtniß hat und nothwendig haben muß: wie thöricht wär' es, den Plan unsers Lebens auf Chimären zu gründen, und uns der Glückseligkeit, deren wir wirklich genießen könnten, zu begeben, um uns, wie der Hund im Nil, mit ungewissen Hoffnungen, den Schatten unsrer Wünsche, zu speisen! Was könnte widersinniger seyn, als die Frucht seines Daseyns zu verlieren, in Hoffnung sich dafür schadlos zu halten, wenn man nicht mehr seyn wird! Denn daß wir itzt leben, und daß dieses Leben aufhören wird, das wissen wir gewiß; ob ein anderes alsdann anfange, ist wenigstens ungewiß; und wenn es auch gewiß wäre, so ist doch unmöglich das Verhältniß desselben gegen das itzige zu bestimmen, da wir kein Mittel haben, uns einen achten Begriff davon zu machen. Laß uns also den Plan unsers Lebens auf das gründen, was wir kennen und wissen; und nachdem wir gefunden haben, was das glückliche Leben ist, den geradesten und sichersten Weg suchen, auf dem wir dazu gelangen können.
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Viertes Capitel.

Worin Hippias eine seine Kenntniß der Welt zu zeigen scheint.

Ich habe schon bemerkt, daß die Glückseligkeit, welche wir suchen, nur in dem Stand einer Gesellschaft, die sich schon zu einem gewissen Grade der Vollkommenheit erhoben hat, statt finde. In einer solchen Gesellschaft entwickeln sich alle diese mannichfaltigen Geschicklichkeiten, die bei dem rohen Menschen, der wenig bedarf, einsam lebt, und wenig Leidenschaften hat, immer müßige Fähigkeiten bleiben. Die Einführung des Eigenthums, die Ungleichheit der Güter und Stände, die Armuth der einen, der Ueberfluß, die Ueppigkeit und Trägheit der andern, dieses sind die wahren Götter der Künste, die Merkure und die Musen, denen wir ihre Erfindung oder doch ihre Vollkommenheit zu danken haben. Wie viele Menschen müssen ihre Bemühungen vereinigen, um einen einzigen Reichen zu befriedigen! Diese bauen seine Felder und Weinberge, jene pflanzen seine Lustgärten; andere bearbeiten den Marmor, woraus seine Wohnung aufgeführt wird; Tausende durchschiffen den Ocean, um ihm die Reichthümer fremder Länder zuzuführen; Tausende beschäftigen sich die Seide und den Purpur zu bereiten, die ihn kleiden, die Tapeten, die seine Zimmer schmücken, die kostbaren Gefäße, woraus er ist und trinkt, und das weiche Lager, worauf er der wollüstigen Ruhe genießt; Tausende strengen in schlaflosen Nächten ihren Witz an, um neue Bequemlichkeiten, neue Wollüste, eine leichtere und angenehmere Art die leichtesten und angenehmsten Verrichtungen, die uns die Natur auferlegt, zu thun, für ihn zu erfinden, und durch die Zaubereien der Kunst, die den gemeinsten Dingen einen Schein der Neuheit zu geben weiß, seinen Ekel zu täuschen, und seine vom Genuß ermüdeten Sinnen aufzuwecken. Für ihn arbeitet der Maler, der Tonkünstler, der Dichter, der Schauspieler, und überwindet unendliche Schwierigkeiten, um Künste zur Vollkommenheit zu treiben, welche die Anzahl seiner Ergötzungen vermehren sollen. Allein alle diese Leute, welche für den glücklichen Menschen arbeiten, würden sie es thun, wenn sie nicht selbst glücklich zu seyn wünschten? Für wen arbeiten sie als für denjenigen, der ihre Bemühung ihn zu vergnügen belohnen kann? Der König von Persien selbst ist nicht mächtig genug, einen Zeuxis zu zwingen, daß er ihm eine Leda male. Nur die Zauberkraft des Goldes, welchem eine allgemeine Uebereinkunft der gesitteten Völker den Werth aller nützlichen und angenehmen Dinge beigelegt hat, kann das Genie und den Fleiß einem Midas dienstbar machen, der ohne seine Schätze vielleicht kaum würdig wäre, dem für ihn arbeitenden Maler die Farben zu reiben.Die Kunst, sich die Mittel zur Glückseligkeit zu verschaffen, ist also schon gefunden, mein lieber Kallias, sobald wir die Kunst gefunden haben, einen genugsamen Vorrath von diesem wahren Steine der Weisen zu bekommen, der uns die ganze Natur unterwirft, Millionen unsersgleichen zu freiwilligen Sklaven unserer Ueppigkeit macht, uns in jedem schlauen Kopf einen dienstwilligen Merkur, und, durch den unwiderstehlichen Glanz eines goldnen Regens, in jeder Schönen eine Danae finden läßt.Die Kunst reich zu werden, Kallias, ist im Grunde nichts anders, als die Kunst, sich des Eigenthums andrer Leute mit ihrem guten Willen zu bemächtigen. Ein Despot hat unter dem Schutz eines Vorurtheils, welches demjenigen sehr ähnlich ist, womit die Aegypter den Krokodil vergöttern, in diesem Stück ungemeine Vortheile. Da sich seine Rechte so weit erstrecken als seine Macht, und diese Macht durch keine Pflichten eingeschränkt ist, weil ihn niemand zwingen kann sie zu erfüllen: so kann er sich das Vermögen seiner Unterthanen zueignen, ohne sich darum zu bekümmern, ob es mit ihrem guten Willen geschieht. Es kostet ihm keine Mühe, unermeßliche Reichthümer zu erwerben; und um mit der unmäßigsten Schwelgerei in Einem Tage Millionen zu verschwenden, braucht er nur den Theil des Volkes, den seine Dürftigkeit zu einer immerwährenden Arbeit verdammt, an diesem Tage — fasten zu lassen. Allein, außerdem daß dieser Vortheil nur sehr wenigen Sterblichen zu Theil werden kann, ist er auch nicht so beschaffen, daß ein weiser Mann ihn beneiden könnte. Das Vergnügen hört auf Vergnügen zu seyn, sobald es über einen gewissen Grad getrieben wird. Das Uebermaß der sinnlichen Wollüste zerstöret die Werkzeuge der Empfindung; das Uebermaß der Vergnügen der Einbildungskraft verderbt den Geschmack des Schönen, indem für unmäßige Begierden nichts reizend seyn kann, was in die Verhältnisse und das Ebenmaß der Natur eingeschlossen ist. Daher ist das gewöhnliche Schicksal eines morgenländischen Fürsten, der in die Mauern seines Serails eingekerkert ist, in den Armen der Wollust vor Ersättigung und Ueberdruß umzukommen. Er vergeht vor langer Weile, indeß die süßesten Gerüche von Arabien vergeblich für ihn duften, die geistigsten Weine ihm ungekostet aus Krystallen entgegen blinken, tausend Schönheiten, deren jede zu Paphos einen Altar erhielte, alle ihre Reizungen, alle ihre buhlerischen Künste umsonst verschwenden, seine schlaffen Sinnen zu erwecken, und zehntausend Sklaven seiner Ueppigkeit in die Wette eifern, um unerhörte und ungeheure Wollüste zu erdenken, welche vielleicht fähig seyn möchten, das abgestumpfte Gefühl dieses unglückseligen Glücklichen auf etliche Augenblicke zu täuschen. Wir haben also mehr Ursache als man insgemein glaubt, der Natur zu danken, wenn sie uns in einen Stand setzt, wo wir das Vergnügen durch Arbeit erkaufen müssen, und unsre Leidenschaften erst mäßigen lernen, eh' wir zu einer Glückseligkeit gelangen, die wir ohne diese Mäßigung nicht genießen könnten.Da nun die Despoten — und die Straßenräuber die Einzigen sind, denen es (auf ihre Gefahr) zusteht, sich des Vermögens andrer Leute mit Gewalt zu bemächtigen: so bleibt demjenigen, der sich aus einem Zustande von Mangel und Abhängigkeit emporschwingen will, nichts anders übrig, als "daß er sich die Geschicklichkeit erwerbe, den Vortheil und das Vergnügen der Lieblinge des Glückes zu befördern."Unter den vielerlei Arten, wie dieses geschehen kann, sind einige dem Menschen von Genie, mit Ausschluß aller übrigen, vorbehalten; und diese theilen sich, nach ihrem verschiedenen Endzweck, in zwei Classen ein, wovon die erste die Vortheile, und die andre das Vergnügen des beträchtlichsten Theils einer Nation zum Gegenstande hat. Die erste, unter welcher die Regierungs- und Kriegskünste begriffen sind, scheint ordentlicher Weise nur in freien Staaten Platz zu finden; die andre hat keine Gränzen als den Grad des Reichthums und der Ueppigkeit eines jeden Volks, von welcher Art seine Staatsverfassung seyn mag. In dem armen Athen wurde ein guter Feldherr unendliche Mal höher geschätzt als ein guter Maler. In dem reichen, wollüstigen Athen hingegen gibt man sich keine Mühe zu untersuchen, wer der tüchtigste sey ein Kriegsheer anzuführen. Man hat wichtigere Dinge zu entscheiden. Die Frage ist, welche unter etlichen Tänzerinnen die artigsten Füße hat und die leichtesten Sprünge macht? Ob die Venus des Praxiteles, oder des Alkamenes die schönere ist? —Daher kommt es auch, daß die Künste des Genie's von der ersten Classe, für sich allein, selten zum Reichthum führen. Die großen Talente, die großen Verdienste und Tugenden, die dazu erfordert werden, finden sich gemeiniglich nur in armen und emporstrebenden Republiken, die alles, was man für sie thut, nur mit Lorberkränzen bezahlen. In Staaten aber, wo Reichthum und Ueppigkeit schon die Oberhand gewonnen haben, kann man aller dieser Talente und Tugenden, welche die Regierungskunst zu erfordern scheint, entbehren. Man kann in solchen Staaten Gesetze geben, ohne ein Solon, .Kriegsheere anführen, ohne ein Leonidas oder Themistokles zu seyn. Perikles, Alcibiades, regierten zu Athen den Staat und führten die Völker an; obgleich jener nur ein Redner war, und dieser keine andre Kunst kannte, als die Kunst, Herzen zu fangen. "In solchen Freistaaten hat das Volk die Eigenschaften, die in einem despotischen der Einzige hat, der kein Sklave ist; man braucht ihm nur zu gefallen, um zu allem tüchtig befunden zu werden." Perikles herrschte, ohne die äußerlichen Zeichen der königlichen Würde, so unumschränkt in dem freien Athen, als Artaxerxes in dem unterthänigen Asien. Seine Talente, und die Künste, die er von der schönen Aspasia gelernt hatte, erwarben ihm eine Art von Oberherrschaft, die nur desto unumschränkter war, da sie ihm freiwillig zugestanden wurde. Die Kunst eine große Meinung von sich zu erwecken, die Kunst zu überreden, die Kunst von der Eitelkeit der Athener Vortheil zu ziehen und ihre Leidenschaften zu lenken, machten seine ganze Regierungskunst aus. Er verwickelte die Republik in ungerechte und unglückliche Kriege, erschöpfte die öffentliche Schatzkammer, erbitterte die Bundsgenossen durch gewaltsame Erpressungen; und damit das Volk keine Zeit hätte, eine so schnöde Staatsverwaltung genauer zu beobachten, so bauete er Schauspielhäuser, gab ihnen schöne Bildsäulen und Gemälde zu sehen, unterhielt sie mit Tänzerinnen und Virtuosen, und gewöhnte sie so sehr an diese abwechselnden Ergötzungen, daß die Vorstellung eines neuen Stücks, oder der Wettstreit unter etlichen Flötenspielern zuletzt Staatsangelegenheiten wurden, über welchen man diejenigen vergaß, die es in der That waren. Nur fünfzig Jahre früher würde man einen Perikles für eine Pest der Republik angesehen haben; allein damals würde Perikles ein Aristides gewesen seyn. In seinem Zeitraume war er, gerade so wie er war und weil er so war, der größte Mann des Staats: der Mann, der Athen zu dem höchsten Grade der Macht und des Glanzes erhob, den es erreichen konnte; der Mann, dessen Zeit als das goldne Alter der Musen in allen künftigen Jahrhunderten angezogen werden wird; und, was für ihn selbst das wichtigste war, der Mann, für welchen die Natur die Euripiden und Aristophane, die Phidias, die Zeuxis, die Dämonen und die Aspasien zusammen brachte, um sein Privatleben so angenehm zu machen, als sein öffentliches Leben glänzend war. "Die Kunst über die Einbildungskraft der Menschen zu herrschen, die geheimen, ihnen selbst verborgnen Triebfedern ihrer Bewegungen nach unserm Gefallen zu lenken, und sie zu Werkzeugen unsrer Absichten zu machen, indem wir sie in der Meinung erhalten, daß wir es von den ihrigen sind," ist also, ohne Zweifel, diejenige, die ihrem Besitzer am nützlichsten ist, und dieß ist die Kunst, welche die Sophisten lehren und ausüben; die Kunst, welcher sie das Ansehen, die Unabhängigkeit und die glücklichen Tage, deren sie genießen, zu danken haben. Du kannst dir leicht vorstellen, Kallias, daß sie sich in etlichen Stunden weder lehren noch lernen läßt: allein meine Absicht ist auch für itzt nur, dir überhaupt einen Begriff davon zu geben.Dasjenige, was man die Weisheit der Sophisten nennt, ist die Geschicklichkeit, sich der Menschen so zu bedienen, daß sie geneigt sind, unser Vergnügen zu befördern, oder überhaupt die Werkzeuge unsrer Absichten zu seyn. Die Beredsamkeit, welche diesen Namen erst alsdann verdient, wenn sie im Stand ist, die Zuhörer, wer sie auch seyn mögen, von allem zu überreden was wir wollen und in jeden Grad einer jeden Leidenschaft zu setzen, die zu unsrer Absicht nöthig ist; eine solche Beredsamkeit ist unstreitig ein unentbehrliches Werkzeug, und das vornehmste, wodurch die Sophisten diesen Zweck erreichen. Die Sprachlehrer bemühen sich, junge Leute zu Rednern zu bilden: die Sophisten thun mehr; sie lehren sie Ueberreder zu werden, wenn mir dieses Wort erlaubt ist. Hierin allein besteht das Erhabne einer Kunst, die vielleicht noch niemand in dem Grade besessen hat, wie Alcibiades, der in unsern Zeiten so viel Aufsehens gemacht hat. Der Weise bedient sich dieser Ueberredungsgabe nur als eines Werkzeugs zu höhern Absichten. Alcibiades überlaßt es einem Antiphon, sich mit Ausfeilung einer künstlich gesetzten Rede zu bemühen; er überredet indessen seine Landsleute, daß ein so liebenswürdiger Mann wie Alcibiades das Recht habe zu thun was ihm einfalle; er überredet die Spartaner zu vergessen, daß er ihr Feind gewesen, und daß er es bei der ersten Gelegenheit wieder seyn werde; er überredet die Königin Timea, die Mutter eines jungen Alcibiades durch ihn zu werden, und die Satrapen des großen Königs, daß er ihnen die Athener zu eben der Zeit verrathen wolle, da er diese überredet, daß sie ihn mit Unrecht für einen Verräther hielten. Eine solche Ueberredungskraft setzt die Geschicklichkeit voraus, jede Gestalt anzunehmen, wodurch wir demjenigen gefällig werden können, auf den wir Absichten haben; die Geschicklichkeit, sich der verborgensten Zugänge seines Herzens zu versichern, seine Leidenschaften, je nachdem wir es nöthig finden, zu erregen, zu liebkosen, eine durch die andre zu verstärken, oder zu schwächen, oder gar zu unterdrücken: sie erfordert eine Gefälligkeit, die von den Sittenlehrern Schmeichelei genannt wird, aber diesen Namen nur alsdann verdient, wenn sie von den Gnathonen, die um die Tafeln der Reichen sumsen, nachgeäffet wird, —— eine Gefälligkeit, die aus einer tiefen Kenntniß der Menschen entspringt, und das Gegentheil von der lächerlichen Sprödigkeit gewisser Phantasten ist, die den Menschen übel nehmen, daß sie anders sind als wie diese ungebetenen Gesetzgeber es haben wollen; kurz, diejenige Gefälligkeit, ohne welche es vielleicht möglich ist, die Hochachtung, aber niemals die Liebe der Menschen zu erlangen; weil wir nur diejenigen lieben können die uns ähnlich sind, die unsern Geschmack haben oder zu haben scheinen, und so eifrig sind, unser Vergnügen zu befördern, daß sie hierin die Aspasia von Milet zum Muster nehmen, welche sich bis ans Ende in der Gunst des Perikles erhielt, indem sie in demjenigen Alter, worin man die Seele der Damen zu lieben pflegt, sich in die Gränzen der Platonischen Liebe zurückzog, und die Rolle des Körpers durch andre spielen ließ.Ich lese in deinen Augen, Kallias, was du gegen diese Künste einzuwenden hast, die sich so übel mit den Vorurtheilen vertragen, die du gewohnt bist für Grundsätze zu halten. Es ist wahr, die Kunst zu leben, welche die Sophisten lehren, ist auf ganz andre Begriffe von dem, was in sittlichem Verstande schön und gut ist, gebaut, als diejenigen hegen, die von dem idealischen Schönen und von einer gewissen Tugend, die ihr eigner Lohn seyn soll, so viel schöne Dinge zu sagen wissen. Allein, wenn du noch nicht müder bist mir zuzuhören, als ich es bin zu schwatzen: so denke ich, es soll mir nicht schwer werden dich zu überzeugen, daß das idealische Schöne und die idealische Tugend mit jenen Geistermährchen, deren ich vorhin erwähnte, in die nämliche Classe gehören.
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Fünftes Capitel.

Der Anti-Platonismus in nuce.

Was ist das Schöne? Was ist das Gute? — Ehe wir diese Frage beantworten können, müssen wir, däucht mich, vorher fragen: was ist das, was die Menschen schön und gut nennen? Wir wollen vom Schönen anfangen. Was für eine unendliche Verschiedenheit in den Begriffen, die man sich bei den verschiedenen Völkern des Erdbodens von der Schönheit macht! Alle Welt kommt darin überein, daß ein schönes Weib das schönste unter allen Werken der Natur sey. Allein wie muß sie seyn, um für eine vollkommne Schönheit in ihrer Art gehalten zu werden? Hier fängt der Widerspruch an. Stelle dir eine Versammlung von so vielen Liebhabern vor, als es verschiedene Nationen unter verschiedenen Himmelsstrichen gibt; was ist gewisser als daß ein jeder den Vorzug seiner Geliebten vor den übrigen behaupten wird? Der Europäer wird die blendende Weiße, der Mohr die rabengleiche Schwärze der seinigen vorziehen; der Grieche wird einen kleinen Mund, eine Brust, die mit der hohlen Hand bedeckt werden kann, und das angenehme Ebenmaß einer feinen Gestalt; der Afrikaner die eingedrückte Nase, die ölichte Haut und die aufgeschwollenen Lippen; der Perser die großen Augen und den schlanken Wuchs; der Seerer die kleinen Augen, den runden Wanst und die winzigen Füße, an der seinigen bezaubernd finden. Hat es vielleicht mit dem Schönen im sittlichen Verstande, mit dem was sich geziemt, eine andre Bewandtniß? Ich glaube nein. Die Spartanischen Jungfrauen scheuen sich nicht in einem Aufzuge gesehen zu werden, wodurch in Athen die geringste öffentliche Metze sich entehrt hielte. In Persien würde ein Frauenzimmer, das an einem öffentlichen Orte sein Gesicht entblößte, eben so angesehen werden, als in Smyrna eine die sich ohne alle Kleidung sehen ließe. Bei den morgenländischen Völkern erfordert der Wohlstand eine Menge von Beugungen und unterthänigen Gebärden, die man gegen diejenigen macht die man ehren will; wir Griechen finden diese Höflichkeit eben so schändlich und sklavenmäßig, als die Attische Urbanität zu Persepolis grob und bäurisch scheinen würde. Bei den Griechen hat eine Freigeborne ihre Ehre verloren, die sich den jungfräulichen Gürtel von einem andern als ihrem Manne auflösen läßt; bei gewissen Völkern jenseits des Ganges ist ein Mädchen desto vorzüglicher, je mehr es Liebhaber gehabt hat, die seine Reizungen aus Erfahrung anzurühmen wissen. Diese Verschiedenheit der Begriffe vom sittlichen Schönen zeigt sich nicht nur in besondern Gebräuchen und Gewohnheiten verschiedener Völker, wovon sich die Beispiele ins Unendliche häufen ließen; sondern selbst in dem Begriffe, den sie sich überhaupt von der Tugend machen. Bei den Römern ist Tugend und Tapferkeit einerlei; bei den Athenern schließt dieses Wort alle Arten von nützlichen und angenehmen Eigenschaften in sich. Zu Sparta kennt man keine andre Tugend als den Gehorsam gegen die Gesetze; in despotischen Reichen keine andre, als die sklavische Unterthänigkeit gegen den Monarchen und seine Satrapen; am Kaspischen Meere ist der tugendhafteste, der am besten rauben kann und die meisten Feinde erschlagen hat; in dem wärmsten Striche von Indien hat nur der die höchste Tugend erreicht, der sich durch eine völlige Unthätigkeit, ihrer Meinung nach, den Göttern ähnlich macht.Was folget nun aus allen diesen Beispielen? Ist nichts an sich selbst schön oder recht? Gibt es kein gewisses Modell, wonach dasjenige, was schön oder sittlich ist, beurtheilt werden muß? Wir wollen sehen. Wenn ein solches Modell ist, so muß es in der Natur seyn. Denn es wäre Thorheit, sich einzubilden, daß irgend ein Pygmalion eine Bildsäule schnitzen könne, welche schöner wäre, als die berühmte Phryne, die sich der Vollkommenheit aller Formen ihrer Gestalt dermaßen bewußt war, daß sie kein Bedenken trug eine unendliche Menge von Augen zu Richtern darüber zu machen, als sie an einem Feste der Eleusinischen Göttinnen sich, bloß in ihre langen fliegenden Haare eingehüllt, öffentlich im Meere badete. Gewiß ist die Venus eines jeden Volks nichts anders als die Abbildung derjenigen Frau, bei welcher sich, nach dem allgemeinen Urtheile dieses Volks, die Nationalschönheit im höchsten Grade befinden würde. Aber welches unter so vieler !erler Modellen ist denn an sich selbst das schönste? Wer soll unter so vielen, die an den goldnen Apfel mit anscheinend gleichem Recht Anspruch machen, den Ausschlag geben? Wir wollen es versuchen. Gesetzt, es würde eine allgemeine Versammlung angestellt, wozu eine jede Nation den schönsten Mann und das schönste Weib, nach ihrem Nationalmodell zu urtheilen, geschickt hätte, und wo die Weiber zu entscheiden hätten, welcher unter allen diesen Mitwerbern um den Preis der Schönheit der schönste Mann, und die Männer, welche unter allen das schönste Weib wäre. Dieß vorausgesetzt, sage ich, man würde gar bald diejenigen aus allen übrigen aussondern, die unter diesen wilden und gemäßigten Himmelsstrichen geboren worden wären, wo die Natur allen ihren Werken ein feineres Ebenmaß der Gestalt und eine angenehmere Mischung der Farben zu geben pflegt. Denn die vorzügliche Schönheit der Natur in den gemäßigten Zonen erstreckt sich vom Menschen bis auf die Pflanzen. Unter diesen Auserlesenen von beiden Geschlechtern würde vielleicht der Vorzug lange zweifelhaft seyn; allein endlich würde doch unter den Männern derjenige den Preis erhalten, bei dessen Landsleuten die verschiednen gymnastischen Uebungen ohne Uebermaß und in dem höchsten Grade der Vollkommenheit getrieben würden; und alle Männer würden mit Einer Stimme diejenige für die Schönste unter den Schönen erklären, die von einem Volke abgeschickt worden wäre, welches bei der Erziehung der Töchter die möglichste Entwicklung und Pflege der natürlichen Schönheit zur Hauptsache machte. Der Spartaner würde also vermuthlich für den schönsten Mann, und die Perserin für das schönste Weib erklärt werden. Der Grieche, welcher der Anmuth den Vorzug vor der Schönheit gibt, weil die Griechischen Weiber mehr reizend als schön sind, würde nichtsdestoweniger zu eben der Zeit, da sein Herz einem Mädchen von Paphos oder Milet den Vorzug gäbe, bekennen müssen, daß die Perserin schöner sey; und eben dieses würde der Serer thun, ob er gleich das dreifache Kinn und den Wanst seiner Landsmännin reizender finden würde.Vermuthlich hat es die nämliche Bewandtniß mit dem sittlichen Schönen. So groß auch hierin die Verschiedenheit der Begriffe unter verschiednen Zonen ist, so wird doch schwerlich geleugnet werden können, daß der Preis der Sitten derjenigen Nation gebühre, welche die geistreichste, die ausgebildetste, die belebteste, geselligste und angenehmste ist. Die ungezwungene und einnehmende Urbanität des Atheners muß einem jeden Fremden angenehmer seyn, als die abgemessene, ernsthafte und ceremonielle Höflichkeit des Morgenländers. Das verbindliche Wesen, der Schein von Leutseligkeit, den jener seinen kleinsten Handlungen zu geben weiß, muß vor dem steifen Ernst des Persers, oder der rauhen Gutherzigkeit des Skythen eben so sehr den Vorzug erhalten, als der Putz einer Dame von Smyrna, der die Schönheit weder ganz verhüllt, noch ganz den Augen Preis gibt, vor der Vermummung der Morgenländerin, oder der thierischen Blöße einer Wilden. Das Muster der aufgeklärtesten und geselligsten Nation scheint also die wahre Regel des sittlichen Schönen, oder des Anständigen zu seyn, und Athen und Smyrna sind die Schulen, worin man seinen Geschmack und seine Sitten bilden muß.Allein nachdem wir eine Regel für das Schöne gefunden haben, was für eine werden wir für das, was Recht ist, finden? wovon so verschiedene und widersprechende Begriffe unter den Menschen herrschen, daß eben dieselbe Handlung, die bei dem einen Volke mit Lorberkränzen und Statuen belohnt wird, bei dem andern eine schmähliche Todesstrafe verdient, und daß kaum ein Laster ist, welches nicht irgendwo seinen Altar und seinen Priester habe. Es ist wahr, die Gesetze sind bei dem Volke, welchem sie gegeben sind, die Richtschnur des Rechts und Unrechts; allein, was bei diesem Volke durch das Gesetz befohlen wird, wird bei einem andern durch das Gesetz verboten.Die Frage ist also: gibt es nicht ein allgemeines Gesetz, welches bestimmt, was an sich selbst Recht ist? Ich antworte Ja; und dieses allgemeine Gesetz, was könnt' es anders seyn als die Stimme der Natur, die zu einem jeden spricht: suche dein eigenes Bestes; oder mit andern Worten: befriedige deine natürlichen Begierden, und genieße so viel Vergnügen als du kannst. Dieß ist das einzige Gesetz, das die Natur dem Menschen gegeben hat; und so lang er sich im Stande der Natur befindet, ist das Recht, das er an alles hat, was seine Begierden verlangen, oder was ihm gut ist, durch nichts anders als das Maß seiner Stärke eingeschränkt; er darf alles, was er kann, und ist keinem andern etwas schuldig. Allein der Stand der Gesellschaft, welcher eine Anzahl von Menschen zu ihrem gemeinschaftlichen Besten vereiniget, setzt zu jenem einzigen Gesetze der Natur: suche dein eigenes Bestes, die Einschränkung: ohne einem andern zu schaden. Wie also im Stande der Natur einem jeden Menschen alles recht ist, was ihm nützlich ist: so erklärt im Stande der Gesellschaft das Gesetz alles für unrecht und strafwürdig, was der Gesellschaft schädlich ist; und verbindet hingegen die Vorstellung eines Vorzugs und belohnungswürdigen Verdienstes mit allen Handlungen, wodurch der Nutzen oder das Vergnügen der Gesellschaft befördert wird.Die Begriffe von Tugend und Laster gründen sich also einestheils auf den Vertrag, den eine gewisse Gesellschaft unter sich gemacht hat, und insoferne sind sie willkürlich; anderntheils auf dasjenige, was einem jeden Volke nützlich oder schädlich ist; und daher kommt es, daß ein so großer Widerspruch unter den Gesetzen verschiedener Nationen herrschet. Das Klima, die Lage, die Regierungsform, die Religion, das eigne Temperament und der Nationalcharakter eines jeden Volks, seine Lebensart, seine Stärke oder Schwäche, seine Armuth oder sein Reichthum, bestimmen seine Begriffe von dem, was ihm gut oder schädlich ist. Daher diese unendliche Verschiedenheit des Rechts oder Unrechts unter den polizirten Nationen; daher der Contrast der Moral der glühenden Zonen mit der Moral der kalten Länder, der Moral der freien Staaten mit der Moral der despotischen Reiche, der Moral einer armen Republik, welche nur durch den kriegerischen Geist gewinnen kann, mit der Moral einer reichen, die ihren Wohlstand dem Geiste der Handelschaft und dem Frieden zu danken hat; daher endlich die Albernheit der Moralisten, welche sich den Kopf zerbrechen, um zu bestimmen, was für alle Nationen recht sey, ehe sie die Auflösung der Aufgabe gefunden haben, wie man machen könne, daß ebendasselbe für alle Nationen gleich nützlich sey.Die Sophisten, deren Sittenlehre sich nicht auf abgezogene Ideen, sondern auf die Natur und wirkliche Beschaffenheit der Dinge gründet, finden die Menschen an einem jeden Orte so, wie sie seyn können. Sie schätzen einen Staatsmann zu Athen, an sich selbst, nicht höher als einen Gaukler zu Persepolis, und eine Matrone von Sparta ist in ihren Augen kein vortrefflicheres Wesen als eine Lais zu Korinth. Es ist wahr, der Gaukler würde zu Athen, und die Lais zu Sparta schädlich seyn; allein ein Aristides würde zu Persepolis, und eine Spartanerin zu Korinth, wo nicht eben so schädlich, doch wenigstens ganz unnützlich seyn. Die Idealisten, wie ich diese Philosophen zu nennen pflege, welche die Welt nach ihren Ideen umschmeissen wollen, bilden ihre Lehrjünger zu Menschen, die man nirgends für einheimisch erkennen kann, weil ihre Moral eine Gesetzgebung voraussetzt, welche nirgends vorhanden ist. Sie bleiben arm und ungeachtet, weil ein Volk nur demjenigen Hochachtung und Belohnung zuerkennt, der seinen Nutzen befördert, oder doch zu befördern scheint; ja, sie werden als Verderber der Jugend und als heimliche Feinde der Gesellschaft angesehen, und die Landesverweisung oder der Giftbecher ist zuletzt alles, was sie für die undankbare Bemühung davon tragen, die Menschen zu entkörpern, um sie in die Classe der mathematischen Punkte, Linien und Dreiecke zu erheben. Klüger als diese eingebildeten Weisen, die, wie jener Citherschläger von Aspendus, nur in und für sich selbst musiciren, überlassen die Sophisten den Gesetzen eines jeden Volks, ihre Bürger zu lehren was Recht oder Unrecht sey. Da sie selbst zu keinem besondern Staatskörper gehören, so genießen sie die Vorrechte eines Weltbürgers; und indem sie den Gesetzen und der Religion eines jeden Volks, bei dem sie sich befinden, diejenige Achtung bezeigen, welche sie vor allen Ungelegenheiten mit den Handhabern derselben sichert, so erkennen und befolgen sie doch in der That kein andres als jenes allgemeine Gesetz der Natur, welches dem Menschen sein eignes Bestes zur einzigen Richtschnur gibt. Alles, wodurch ihre natürliche Freiheit eingeschränkt wird, ist die Beobachtung einer nützlichen Klugheit, die ihnen vorschreibt, ihren Handlungen die Farbe, den Schnitt und die Auszierung zu geben, wodurch sie denjenigen, mit welchen sie zu thun haben, am gefälligsten werden. Das moralische Schöne ist für unsre Handlungen eben das, was der Putz für unsern Leib; und es ist eben so nöthig, seine Aufführung nach den Vorurtheilen und dem Geschmack derjenigen zu modeln, mit denen man lebt, als es nöthig ist sich so zu kleiden wie sie. Ein Mensch, der nach einem gewissen besondern Modell gebildet worden ist, sollte, wie die wandelnden Bildsäulen des Dädalus, an seinen väterlichen Boden angefesselt werden; denn er ist nirgends an seinem Platz als unter seinesgleichen. Ein Spartaner würde sich nicht besser schicken die Rolle eines obersten Sklaven des Artaxerxes zu spielen, als ein Sarmata sich schickte Polemarchos (Kriegsminister) zu Athen zu seyn. Der Weise hingegen ist der allgemeine Mensch, der Mensch, dem alle Farben, alle Umstände, alle Verfassungen und Stellungen anstehen; und er ist es eben darum, weil er keine besondern Vorurtheile und Leidenschaften hat, weil er nichts als ein Mensch ist. Er gefällt allenthalben, weil er, wohin er kommt, sich die Vorurtheile und Thorheiten gefallen läßt, die er antrifft. Wie sollte er nicht geliebt werden, er, der immer bereit ist sich für die Vortheile andrer zu beeifern, ihre Begriffe zu billigen, ihren Leidenschaften zu schmeicheln? Er weiß daß die Menschen von nichts überzeugter sind als von ihren Irrthümern, nichts zärtlicher lieben als ihre Fehler, und daß es kein gewisseres Mittel gibt sich ihr Mißfallen zuzuziehen, als wenn man ihnen eine Wahrheit entdeckt, die sie nicht wissen wollen. Weit entfernt also, ihnen die Augen wider ihren Willen zu eröffnen, oder einen Spiegel vorzuhalten, der ihnen ihre Häßlichkeit vorrückte, bestärkt er den Thoren in dem Gedanken, daß nichts abgeschmackter sey als Verstand zu haben; den Verschwender in dem Wahne, daß er großmüthig, den Knicker in dem Gedanken, daß er ein guter Haushalter, die Häßliche in der süßen Einbildung, daß sie desto geistreicher, und den Großen und Reichen in der Ueberredung, daß er ein Staatsmann, ein Gelehrter, ein Held, ein Gönner der Musen, ein Liebling der Schönen, kurz alles was er wolle, sey. Er bewundert das System des Philosophen, die einbildische Unwissenheit des Hofmanns und die großen Thaten des Generals. Er gestehet dem Tanzmeister ohne Widerrede zu, daß Cimon der größte Mann in Griechenland gewesen wäre, wenn er — die Füße besser zu setzen gewußt hätte; und dem Maler, daß man mehr Genie braucht, ein Zeuxis, als ein Homer zu seyn. Diese Art mit dem Menschen umzugehen ist von unendlich größerm Vortheil als man beim ersten Anblick denken sollte. Sie erwirbt uns ihre Liebe, ihr Zutrauen, und eine desto größere Meinung von unserm Verdienste, je größer diejenige ist, die wir von dem ihrigen zu haben scheinen. Sie ist das gewisseste Mittel zu den höchsten Stufen des Glücks empor zu steigen. Meinest du, daß es die größten Talente, die vorzüglichsten Verdienste seyen, die einen Archonten, einen Heerführer, einen Satrapen, oder den Günstling eines Fürsten machen? Siehe dich in den Republiken um: du wirst finden, daß der eine sein Ansehen der lächelnden Miene zu danken hat, womit er die Bürger grüßt; ein andrer der ansehnlichen Peripherie seines Wanstes; ein dritter der Schönheit seiner Gemahlin, und ein vierter seiner brüllenden Stimme. Gehe an die Höfe: du wirst Leute finden, welche das Glück worin sie schimmern, der Empfehlung eines Kammerdieners, der Gunst einer Dame die sich für ihre Talente verbürgt hat, oder der Gabe des Schlafs schuldig sind, womit sie befallen werden, wenn der Vezier mit ihren Weibern scherzt. Nichts ist in diesem Lande der Bezauberungen gewöhnlicher, als einen unbärtigen Knaben in einen Feldherrn, einen Gaukler in einen Staatsminister, einen Kuppler in einen Oberpriester verwandelt zu sehen; ja, ein Mensch ohne alle sittlichen Verdienste kann oft durch ein einziges Talent, welches er vielleicht nicht einmal gestehen darf, zu einem Glücke gelangen, das ein andrer durch die größten Verdienste vergeblich zu erhalten gesucht hat.Wer könnte demnach zweifeln, daß die Kunst der Sophisten nicht fähig seyn sollte, ihrem Besitzer auf diese oder jene Art die Gunst des Glücks zu verschaffen? — Vorausgesetzt, daß er die natürlichen Gaben besitze, ohne welche der Mann von Verstand allezeit dem Narren Platz machen muß, der damit versehen ist. Allein selbst auf dem Wege der Verdienste ist niemand gewisser sein Glück zu machen, als er. Wo ist das Amt, das er nicht mit Ruhm bekleiden wird? Wer ist geschickter die Menschen zu regieren, als derjenige, der am besten mit ihnen umzugehen weiß? Wer schickt sich besser zu öffentlichen Unterhandlungen? Wer ist fähiger Rathgeber eines Fürsten oder Demagog eines unabhängigen Volks zu seyn? Ja, wofern er nur das Glück auf seiner Seite hat, wer wird mit größerm Ruhm ein Kriegsheer anführen? Wer die Kunst besser verstehen, sich für die Geschicklichkeit und die Verdienste seiner Untergebenen belohnen zu lassen? Wer die Vorsicht, die er nicht gehabt, die klugen Anstalten, die er nicht gemacht, die Wunden, die er nicht bekommen hat, besser gelten zu machen wissen, als er?Doch, es ist Zeit einen Discurs zu enden, der für uns beide ermüdend zu werden anfängt. — Ich habe dir genug gesagt, um den Zauber zu vernichten, den die Schwärmerei auf deine Seele geworfen hat; und wenn dieß nicht genug ist, so würde alles überflüssig seyn, was ich hinzu thun könnte.Glaube übrigens nicht, Kallias, daß der Orden der Sophisten einen unansehnlichen Theil der menschlichen Gesellschaft mache. Die Anzahl derjenigen, die unsre Kunst ausüben, ist in allen Standen sehr beträchtlich, und du wirst unter hundert, die ein großes Glück gemacht haben, schwerlich einen einzigen finden, der es nicht einer geschickten Anwendung unsrer Grundsätze zu danken habe. Diese Grundsätze machen (wiewohl sie aus Klugheit nicht laut bekannt oder eingestanden werden) die gewöhnliche Denkungsart der Höflinge, der Leute die sich dem Dienste der Großen gewidmet haben, und überhaupt derjenigen Classe von Menschen aus, die an jedem Orte die Ersten und Angesehensten sind, und (die wenigen Fälle ausgenommen, wo das spielende Glück durch einen blinden Wurf einen Narren an den Platz eines klugen Menschen fallen läßt) sind die geschickten Köpfe, die von diesen Maximen den besten Gebrauch zu machen wissen, allezeit diejenigen, die es auf der Bahn der Ehre und des Glücks am weitesten bringen.
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Viertes Buch.

Agathon wird durch Hippias mit der schönen Danae bekannt.

Erstes Capitel.

Unerwartete Ungelehrigkeit des Agathon.

Hippias konnte sich wohl für berechtiget halten, einigen Dank bei seinem Lehrjünger verdient zu haben, da er sich so viele Mühe gegeben hatte, ihn weise zu machen. Allein, wir müssen es nur gestehen, er hatte es mit einem Menschen zu thun, der nicht fähig war, die Wichtigkeit dieses Dienstes einzusehen, oder die Schönheit eines Lehrbegriffs zu empfinden, welcher dem ganzen System seiner eigenen Begriffe und Gefühle so sehr zuwider war. Die Erwartung des Sophisten wurde also nicht wenig betrogen, als Agathon, wie er sah, daß sein weiser Gebieter zu reden aufgehört hatte, ihm diese kurze Antwort gab:"Du hast eine schöne Rede gehalten, Hippias; deine Beobachtungen sind sehr fein, deine Schlüsse sehr bündig, deine Maximen sehr praktisch, und ich zweifle nicht, daß der Weg, den du mir vorgezeichnet hast, wirklich zu einer Glückseligkeit führe, deren Vorzüge vor der meinigen du in ein so helles Licht gesetzt hast. Demungeachtet empfinde ich nicht die mindeste Lust so glücklich zu seyn; und wenn ich mich anders recht kenne, so werde ich schwerlich eher ein Sophist werden, bis du deine Tänzerinnen entlässest, dein Haus zu einem öffentlichen Tempel der Diana widmest, und nach Indien ziehst, ein Gymnosophist zu werden."Hippias lachte über diese Antwort, ohne daß sie ihm desto besser gefiel. Und was hast du gegen mein System einzuwenden? fragte er."Daß es mich nicht überzeugt," erwiederte Agathon.Und warum nicht?"Weil meine Erfahrungen und Empfindungen deinen Schlüssen widersprechen."Ich möchte wohl wissen, was dieß für Erfahrungen und Empfindungen sind, die demjenigen widersprechen, was alle Welt erfährt und empfindet?"Du würdest mir beweisen, daß es Chimären sind."Und wenn ich es bewiesen hätte?"So würdest du es nur dir bewiesen haben; du würdest nichts damit beweisen, als daß du nicht Kallias bist."Aber die Frage ist, ob Hippias oder Kallias richtig denkt?"Wer soll Richter seyn?"Das ganze menschliche Geschlecht."Was würde das wider mich beweisen?"Sehr viel. Wenn zehn Millionen Menschen urtheilen, daß zwei oder drei aus ihrem Mittel Narren sind, so sind sie es; dieß ist unläugbar."Aber wie, wenn die zehn Millionen, deren Ausspruch dir so entscheidend vorkommt, Millionen Thoren wären, und die drei wären die Klugen?"Wie müßte dieß zugehen?"Können nicht zehn Millionen die Pest haben, und Sokrates allein gesund bleiben?"Diese Instanz beweist nichts für dich. Ein Volk hat nicht immer die Pest; allein die zehn Millionen denken immer so wie ich. Sie sind in ihrem natürlichen Zustande, wenn sie so denken; und wer anders denkt, gehört also entweder zu einer andern Gattung von Wesen, oder zu den Wesen, die man Thoren nennt."So ergeb' ich mich in mein Schicksal."Es gibt noch eine Alternative, junger Mensch. Du schämest dich entweder, deine Gedanken so schnell zu verändern, oder du bist ein Heuchler."Keines von beiden, Hippias."Läugne mir, zum Exempel, wenn du kannst, daß dir die schöne Cyane, die uns beim Frühstück bediente, Begierden eingeflößt hat, und daß du verstohlne Blicke —"Ich läugne nichts."So gestehe, daß das Anschauen dieser runden schneeweißen Arme, dieses aus der flatternden Seide hervor athmenden Busens, die Begierde in dir erregte, ihrer zu genießen."Ist das Anschauen kein Genuß?"Keine Ausflüchte, junger Mensch!"Du betrügst dich, Hippias, wenn es erlaubt ist einem Weisen das zu sagen; ich bedarf keiner Ausflüchte. Ich mache nur einen Unterschied zwischen einem mechanischen Triebe, der nicht gänzlich von mir abhängt, und dem Willen meiner Seele. Ich habe den Willen nicht gehabt, dessen du mich beschuldigest."Ich beschuldige dich nichts. als daß du meiner spottest. Ich denke, daß ich die Natur kennen sollte. Die Schwärmerei kann in deinen Jahren keine so unheilbare Krankheit seyn, daß sie wider die Reizungen des Vergnügens sollte aushalten können."Deßwegen vermeide ich die Gelegenheiten."Du gestehest also, daß Cyane reizend is?"Sehr reizend."Und daß ihr Genuß ein Vergnügen wäre?"Vermuthlich."Warum quälest du dich denn, dir ein Vergnügen zu versagen, das in deiner Gewalt ist?"Weil ich mich dadurch vieler andrer Freuden berauben würde, die ich höher schätze."Kann man in deinem Alter so sehr ein Neuling seyn? Was für ein Vergnügen, das allen übrigen Menschen unbekannt ist, hat die Natur für dich allein aufbehalten? Wenn du noch größere kennest, als dieses — Doch, ich merke dich. Du wirst mir wieder von der Wonne der Geister, von Nektar und Ambrosia sprechen; aber wir spielen itzt keine Komödie, mein Freund."Hippias, ich rede wie ich denke. Ich kenne Vergnügungen, die ich höher schätze als diejenigen, die der Mensch mit den Thieren gemein hat."Zum Exempel?"Das Vergnügen eine gute Handlung zu thun."Was nennest du eine gute Handlung?"Eine Handlung wodurch ich, mit einiger Anstrengung meiner Kräfte oder Aufopferung eines Vortheils oder Vergnügens, andrer Bestes befördere."Du bist also thöricht genug, zu glauben, daß du andern mehr schuldig seyst als dir selbst?"Das nicht; sondern ich glaube vernünftig zu handeln, wenn ich ein geringeres Gut dem größern aufopfere, welches ich genieße wenn ich das Glück meiner Nebengeschöpfe befördern kann."Du bist sehr dienstfertig. Gesetzt aber es sey so, wie hängt dieß mit demjenigen zusammen, wovon itzt die Rede ist?"Dieß ist leicht zu sehen. Gesetzt, ich überließe mich den Eindrücken, welche die Reizungen der schönen Cyane auf mich machen könnten, und sie gewährte mir alles — was ein Geschöpf wie sie gewähren kann. Eine Verbindung von dieser Art könnte wohl von keiner langen Dauer seyn. Aber würden die Erinnerungen der genossenen Freuden nicht die Begierden erwecken, sie wieder zu genießen?"Eine neue Cyane —"Würde mir wieder gleichgültig werden, und eben diese Begierden zurücklassen."Eine immerwährende Abwechslung ist also hierin, wie du siehst, das Gesetz der Natur."Aber auf diese Art würde ich's gar bald so weit bringen, keiner Begierde widerstehen zu können."Wozu brauchst du zu widerstehen, so lange deine Begierden in den Schranken der Natur und der Mäßigung bleiben?"Wie aber, wenn endlich das Weib meines Freundes, oder welche es sonst wäre, die der ehrwürdige Name einer Mutter gegen den bloßen Gedanken eines unkeuschen Anfalls sicher stellen soll; oder wie, wenn die unschuldige Jugend einer Tochter, die vielleicht keine andre Mitgift als ihre Unschuld und Schönheit hat, der Gegenstand dieser Begierden würde, über die ich durch so vieles Nachgeben alle Gewalt verloren hätte?"So hättest du dich, in Griechenland wenigstens, vor den Gesetzen vorzusehen. Allein was müßte das für ein Gehirn seyn, das in solchen Umständen kein Mittel ausfindig machen könnte, seine Leidenschaft zu vergnügen, ohne sich mit den Gesetzen abzuwerfen? Ich sehe, du kennest die Schönen zu Athen und Sparta nicht."O was dieß betrifft, ich kenne sogar die Priesterinnen zu Delphi. Aber ist's möglich, daß du im Ernste gesprochen hast?"Ich habe nach meinen Grundsätzen gesprochen. Die Gesetze haben in gewissen Staaten (denn es gibt einige, wo sie mehr Nachsicht tragen) für nöthig gefunden, unser natürliches Recht an eine jede, die unsere Begierden erregt, einzuschränken. Allein da dieß nur geschah, um gewisse Ungelegenheiten zu verhindern, die aus dem ungescheuten Gebrauch jenes Rechts in solchen Staaten zu besorgen wären: so siehst du, daß der Geist und die Absicht des Gesetzes nicht verletzt wird, wenn man vorsichtig genug ist, zu den Ausnahmen die man davon macht, keine Zeugen zu nehmen."O Hippias!" rief Agathon hier aus, "ich habe dich, wohin ich dich bringen wollte. Sieh einmal die Folgen deiner selbstsüchtigen Grundsätze! Wenn alles an sich selbst recht ist, was meine Begierden wollen; wenn die ausschweifenden Forderungen der Leidenschaft, unter dem Namen des Nützlichen, den sie nicht verdienen, die einzige Richtschnur unsrer Handlungen sind; wenn den Gesetzen nur mit einer guten Art ausgewichen werden muß, und im Dunkeln alles erlaubt ist; wenn die Tugend und die Hoffnungen der Tugend nur Chimären sind: was hindert die Kinder, sich, sobald es ihnen nützlich ist und ungestraft geschehen kann, wider ihre Eltern zu verschwören? Was hindert die Mutter, sich selbst und ihre Tochter dem Meistbietenden Preis zu geben? Was hindert mich, wenn ich dadurch gewinnen kann, den Dolch in die Brust meines Freundes zu stoßen, die Tempel der Götter zu berauben, mein Vaterland zu verrathen, oder mich an die Spitze einer Räuberbande zu stellen, und (wenn ich Macht genug dazu habe) ganze Länder zu verwüsten, ganze Völker in ihrem Blute zu ertranken? Siehst du nicht, daß deine Grundsätze (die du unverschämt Weisheit nennest und durch eine künstliche Vermischung des Wahren und Falschen scheinbar zu machen suchst), wenn sie allgemein würden, die Menschen in weit ärgere Ungeheuer, als Hyänen, Tiger und Krokodile, verwandeln würden? — Du spottest der Religion und der Tugend? Wisse, nur den unauslöschlichen Zügen, womit ihr Bild in unsre Seelen eingegraben ist, nur dem geheimen und wunderbaren Reize, der uns zu Wahrheit, Ordnung und Güte zieht, und den Gesetzen besser zu statten kommt als alle Belohnungen und Strafen; nur diesem ist es zuzuschreiben, daß es noch Menschen auf dem Erdboden gibt, und daß unter diesen Menschen noch ein Schatten von Sittlichkeit und Güte zu finden ist. Du erklärst die Ideen von moralischer Vollkommenheit für Phantasien. Siehe mich hier, Hippias, so wie ich hier bin, biete ich den Verführungen aller deiner Cyanen, den scheinbarsten Ueberredungen deiner egoistischen Weisheit, und allen Vortheilen die mir deine Grundsätze und dein Beispiel versprechen, Trotz. Eine einzige von jenen Phantasien ist hinreichend, die unwesentliche Zauberei aller deiner Blendwerke zu zerstreuen. Nenne die Tugend immerhin Schwärmerei; diese Schwärmerei macht mich glücklich, und würde alle Menschen glücklich machen, würde den ganzen Erdboden in ein Elysium verwandeln, wenn deine Grundsätze und diejenigen welche sie ausüben, nicht, so weit ihr ansteckendes Gift dringt, Elend und Verderbniß ausbreiteten."Agathon wurde ganz glühend, indem er dieß sagte; und ein Maler, um den zürnenden Apollo zu malen, hätte sein Gesicht in diesem Augenblick zum Urbild nehmen müssen. Der weise Hippias hingegen erwiederte diesen Eifer mit einem Lächeln, welches dem Momus selbst Ehre gemacht hätte, und sagte, ohne seine Stimme zu verändern: Nunmehr glaube ich dich zu kennen, Kallias, und du wirst von meinen Verführungen weiter nichts zu besorgen haben. Die gesunde Vernunft ist nicht für so warme Köpfe gemacht wie der deinige. Wie leicht, wenn du mich zu verstehen fähig gewesen wärest, hättest du dir den Einwurf selbst beantworten können, daß die Grundsätze der Sophisten verderblich wären, wenn sie allgemein würden! Die Natur hat schon dafür gesorgt, daß sie nicht allgemein werden. — Doch ich würde mir selbst lächerlich seyn, wenn ich deine begeisterte Apostrophe beantworten, oder dir zeigen wollte, wie sehr auch der Affect der Tugend das Gesicht verfälschen kann. Bleibe, wenn du kannst, immer was du bist, Kallias! Fahre fort, dich um den Beifall der Geister und die Gunst der ätherischen Schönen zu bewerben; rüste dich, dem Ungemach, das dein Platonismus dir in dieser Unterwelt zuziehen wird, großmüthig entgegen zu gehen, und tröste dich, wenn du Leute siehst, die niedrig genug sind sich an irdischen Glückseligkeiten zu weiden, mit dem frommen Gedanken, daß sie in einem andern Leben, wo die Reihe an dich kommt glücklich zu seyn, sich in den Flammen des Phlegethon wälzen werden.Mit diesen Worten stand Hippias auf, warf einen verächtlich-mitleidigen Blick auf Agathon, und wandte ihm den Rücken zu, um ihm, mit einer unter seinesgleichen gewöhnlichen Höflichkeit, zu verstehen zu geben, daß er sich zurück ziehen könne.

Zweites Capitel.

Geheimer Anschlag gegen die Tugend unsers Helden.

Vermuthlich wird es einige Leser dünken, Hippias habe in seinem Discurs bei seinem schönen Sklaven einen größern Mangel an Erfahrung und Kenntniß der Welt vorausgesetzt, als er, nach allem was mit unserm Helden bereits vorgegangen war, zu thun Ursache hatte. Wir müssen also zu Entschuldigung dieses Weisen sagen, daß Agathon (aus Ursachen die uns unbekannt geblieben sind) für gut befunden hatte, aus dem glänzenden Theile seiner Begebenheiten und sogar aus seinem Namen ein Geheimniß zu machen. Denn dieser Name war durch die Rolle, die er zu Athen gespielt hatte, in den Griechischen Städten allzu bekannt geworden, als daß er es nicht auch dem Hippias hätte seyn sollen; wiewohl dieser, seitdem er in Smyrna wohnte, sich wenig um die Staatsangelegenheiten der Griechen bekümmerte, als welche er in den Händen seiner Freunde und Schüler ganz wohl versorgt glaubte. Da nun Agathon die Vorsicht gebraucht hatte, ihm alles zu verbergen, was einigen Verdacht hätte erwecken können, als ob er jemals etwas mehr als ein Aufwärter in dem Tempel zu Delphi gewesen sey: so konnte ihn Hippias um so mehr für einen gänzlichen Neuling in der Welt ansehen, als weder die Denkungsart noch das Betragen dieses jungen Mannes so beschaffen war, daß ein Kenner auf günstigere Gedanken hätte gebracht werden sollen. Leute von seiner Art können in der That zehn Jahre hinter einander in der großen Welt gelebt haben, ohne daß sie dieses fremde und entlehnte Ansehen verlieren, welches beim ersten Blicke verkündiget, daß sie hier nicht einheimisch sind; geschweige, daß sie fähig wären, sich jemals zu dieser edeln Freiheit von den Fesseln der gesunden Vernunft, zu dieser weisen Gleichgültigkeit gegen alles was schöne Seelen Gefühl nennen, und zu dieser verzärtelten Feinheit des Geschmacks zu erheben, wodurch die Hippiasse sich auf eine so vortheilhafte Art unterscheiden. Sie können freilich auch Beobachtungen machen; allein, da ihnen natürlicher Weise der sympathetische Instinct mangelt, mittelst dessen jene einander so schnell und zuverlässig ausfindig machen; da sie von allem auf eine andre Art gerührt werden, und sich mit aller möglichen Anstrengung der Einbildungskraft doch niemals recht an die Stelle eines Egoisten setzen können: so sind sie in einer Welt, deren ansehnlichster Theil aus Menschen dieses Schlages besteht, immer in einem unbekannten Lande, wo ihre Erkenntniß bloß bei Muthmaßungen stehen bleibt, und ihre Erwartung alle Augenblicke durch unbegreifliche Zufälle und unverhoffte Erscheinungen betrogen wird.Mit allen seinen Vorzügen war Agathon gleichwohl ein Mitglied dieser letztern Classe, und es ist also kein Wunder, daß er, ungeachtet der tiefen Betrachtungen, die er über seine Unterredung mit seinem Gebieter anstellte, sehr weit entfernt war, die Gedanken zu errathen, womit der Sophist jetzt umging, dessen Eitelkeit durch den schlechten Fortgang seines Vorhabens und den Eigensinn dieses seltsamen Jünglings weit mehr beleidiget war, als er sich hatte ansehen lassen. Agathon, wenn er das wirklich wäre was er zu seyn schien, wäre (dachte Hippias nicht ohne Grund) eine lebendige Widerlegung seines Systems. "Wie?" sagte er zu sich selbst, "ich habe mehr als vierzig Jahre in der Welt gelebt, und unter einer unendlichen Menge von Menschen, von allen Ständen und Classen, nicht einen einzigen angetroffen, der meine Begriffe von der menschlichen Natur nicht bestätiget hätte, und dieser junge Mensch sollte mich noch an die Tugend glauben lehren? Es kann nicht seyn; er ist ein Phantast oder ein Heuchler. Was er auch seyn mag, ich will es ausfindig machen. —— Gut! Ein glücklicher Einfall! Ich will ihn auf eine Probe stellen, wo er unterliegen muß, wenn er ein Schwärmer, oder wo er die Maske ablegen wird, wenn er ein Komödiant ist. Er hat gegen Cyanen ausgehalten; dieß hat ihn stolz und sicher gemacht; aber es beweist noch nichts. Wir wollen ihn auf eine stärkere Probe setzen! Wenn er auch in dieser den Sieg erhält, so muß er — Nun ja, dann will ich, beim Hercules! meine Nymphen entlassen, mein Haus den Priestern der Cybele vermachen, und an den Ganges ziehen, um in der Höhle eines alten Palmbaumes, mit geschlossenen Augen, und den Kopf zwischen den Knieen, so lange sitzen zu bleiben, bis ich, allen meinen Sinnen zu Trotz, mir einbilde daß ich nicht mehr bin!"Dieß war ein hartes Gelübde! Auch hielt sich Hippias sehr überzeugt, daß es so weit nicht kommen würde; und damit er keine Zeit versäumen möchte, machte er noch an demselbigen Tag Anstalt seinen Anschlag auszuführen.
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Drittes Capitel.

Hippias stattet einen Besuch bei einer Dame ab, die eine große Rolle in dieser Geschichte spielen wird.

Die Damen zu Smyrna hatten damals eine Gewohnheit, welche ihrer Schönheit mehr Ehre machte als ihrer Sittsamkeit. Sie pflegten sich in den warmen Monaten gemeiniglich alle Nachmittage eines kühlenden Bades zu bedienen; und, um keine lange Weile zu haben, nahmen sie um diese Zeit die Besuche derjenigen Mannspersonen an, die das Recht eines freien Zutritts in ihren Häusern hatten. Diese Gewohnheit war in Smyrna eben so unanstößig, als es der Gebrauch bei unsern westlichen Nachbarinnen ist, Mannspersonen bei der Toilette um sich zu haben; auch kam diese Freiheit nur den Freunden zu statten, und (den besondern Fall ausgenommen, wenn die hartnäckige Blödigkeit eines noch unerfahrnen Neulings einiger Aufmunterung nöthig hatte) waren die Liebhaber gänzlich davon ausgeschlossen.Unter einer ziemlichen Anzahl von Schönen, bei denen der weise Hippias dieses Vorrecht genoß, war auch eine, welche unter dem Namen Danae den ersten Rang in derjenigen Classe von Frauenzimmern einnahm, die man bei den Griechen Gesellschafterinnen zu nennen pflegte. Diese waren damals unter ihrem Geschlechte, was die Sophisten unter dem männlichen; sie standen auch in keiner geringern Achtung, und konnten sich rühmen, daß die vollkommensten Modelle aller Vorzüge ihres Geschlechts, wenn man die strenge Tugend ausnimmt, die Thargelien, die Aspasien, die Leontion, sich kein Bedenken machten von ihrem Orden zu seyn. Was unsre Danae betrifft, so machten die Mannspersonen zu Smyrna kein Geheimniß daraus, daß sie an Schönheit und Artigkeit alle andern Frauenzimmer, galante und spröde, tugendhafte und andächtige, übertreffe. Es ist wahr, die Geschichte meldet nicht, daß die Damen sich sehr beeifert hätten, das Urtheil der Mannspersonen durch einen öffentlichen Beitritt zu bestätigen; allein so viel ist gewiß, daß keine unter ihnen war, die sich selbst nicht gestanden hätte, daß, eine einzige Person ausgenommen, welche man niemals öffentlich nennen wollte, die schöne Danae alle übrigen eben so weit übertreffe, als sie von dieser einzigen Ungenannten übertroffen werde. In der That war ihr Ruhm von dieser Seite so festgesetzt, daß man das Gerüchte nicht unwahrscheinlich fand, welches versicherte, sie habe in ihrer ersten Jugend den berühmtesten Malern zum Modell gedient, und bei einer solchen Gelegenheit den Namen erhalten, unter welchem sie in Ionien berühmt war. Jetzt hatte sie zwar das dreißigste Jahr schon zurückgelegt, allein ihre Schönheit schien dadurch mehr gewonnen als verloren zu haben; denn der blendende Jugendglanz, der mit dem Mai des Lebens zu verschwinden pflegt, wurde durch tausend andre Reizungen ersetzt, welche ihr (nach dem Urtheile der Kenner) eine Anziehungskraft gaben, die man, ohne sich eines schwülstigen Ausdrucks schuldig zu machen, in gewissen Umständen für unwiderstehlich halten konnte. Demungeachtet scheute sich, unter der Aegide der Gleichgültigkeit, worin ihn damals ordentlicher Weise auch die schönsten Figuren zu lassen pflegten, der weise Hippias nicht, seine Tugend öfters dieser Gefahr auszusetzen. Er war der schönen Danae unter dem Titel eines Freundes vorzüglich angenehm; die geheime Geschichte sagt sogar, daß sie ihn ehmals nicht unwürdig gefunden habe, ihm eine noch interessantere Stelle bei ihrer Person anzuvertrauen; eine Stelle, die nur von den Liebenswürdigsten seines Geschlechts bekleidet zu werden pflegte. Diese Dame war es, deren Beihülfe Hippias sich zu Ausführung seines Anschlags wider unsern Helden bedienen wollte, dessen schwärmerische Tugend, seinen Gedanken nach, eine Beschimpfung seiner Grundsätze war, die er viel weniger leiden konnte, als die allerscharfsinnigste Widerlegung in forma.Er begab sich also zu der gewöhnlichen Stunde zu ihr, und war kaum in den Saal getreten, wo sie in den Bedürfnissen des Bades von zwei jungen Knaben, welche ein paar Liebesgötter zu seyn schienen, bedient wurde, als sie schon in seinem Gesichte etwas bemerkte, das mit seiner gewöhnlichen Heiterkeit einen Abstich machte. "Was hast du, Hippias, sagte sie zu ihm, daß du eine so tiefsinnige Miene mitbringst?"Ich weiß nicht, antwortete er, warum ich tiefsinnig aussehen sollte, wenn ich eine Dame im Bade besuche; aber dieß weiß ich, daß ich dich noch nie so schön gesehen habe, als diesen Augenblick."Gut, sagte sie, dieß bekräftiget meine Bemerkung. Ich bin gewiß, daß ich heute nicht besser aussehe, als das letzte Mal da du mich sahest; aber deine Phantasie ist höher gestimmt als gewöhnlich, und du schreibst den Einfluß, den sie auf deine Augen hat, großmüthig auf die Rechnung des Gegenstandes, den du vor dir siehst. Ich wollte wetten, die häßlichste meiner Kammermädchen würde dir in diesem Augenblick eine Grazie scheinen."Ich habe, versetzte Hippias, keine Ansprüche an eine lebhaftere Einbildungskraft zu machen als Zeuxis und Polygnotus, die sich nichts Vollkommneres zu erfinden getrauten als Danae. Welche schöne Gelegenheit zu einer neuen Verwandlung, wenn ich Jupiter wäre!"Und was für eine Gestalt wolltest du annehmen, um zu gleicher Zeit meine Sprödigkeit und die Wachsamkeit deiner Juno zu hintergehen? Denn unter allen geflügelten, vierfüßigen und kriechenden Thieren ist wohl keines, das nicht bereits einem Unsterblichen hätte dienen müssen, irgend ein ehrliches Mädchen zu beschleichen."Ich würde mich nicht lange besinnen; was für eine Gestalt könnte ich annehmen, die dir angenehmer und mir zu meiner Absicht bequemer wäre, als dieses Sperlings, der deine Liebhaber so oft zu gerechter Eifersucht reizt; der, durch die zärtlichsten Namen aufgemuntert, mit solcher Freiheit um deinen Nacken flattert, mit muthwilligem Schnabel den schönsten Busen neckt, und die Liebkosungen allezeit doppelt wieder empfängt, die er dir gemacht hat?"Es ist dir leichter, wie es scheint, versetzte Danae, einen Sperling an deine Stelle, als dich an die Stelle eines Sperlings zu setzen; bald könntest du mir die Schmeicheleien meines kleinen Lieblings verdächtig machen. Aber genug von den Wundern, die du meiner Schönheit zutrauest; laß uns von was anderm reden. Weißt du, daß ich meinem Liebhaber den Abschied gegeben habe?" Dem schönen Hyacinthus?"Ihm selbst, und, was noch mehr ist, mit dem festen Entschluß, seine Stelle nimmer zu ersetzen." Eine tragische Entschließung, schöne Danae!"Nicht so sehr als du denkest. Ich versichre dich, Hippias, meine Geduld reicht nicht mehr zu, alle Thorheiten dieser abgeschmackten Gecken auszustehen, welche die Sprache der Empfindung reden wollen, und nichts fühlen; deren Herz nicht so viel, als eine Nadelritze beträgt, verwundet ist, ob sie gleich von Martern und Flammen reden; die unfähig sind etwas anders zu lieben als sich selbst, und meine Augen nur als einen Spiegel gebrauchen, worin sie die Wichtigkeit ihrer kleinen unverschämten Figur bewundern. Kaum vermeinen sie ein Recht an unsre Gütigkeit zu haben, so glauben sie uns noch viel Ehre zu erweisen, wenn sie unsere Liebkosungen mit einer zerstreuten Miene dulden. Jeder Blick, den sie auf uns werfen, sagt uns, daß wir ihnen nur zum Spielzeuge dienen, und die Hälfte unserer Reizungen geht an ihnen verloren, weil sie keine Seele haben, um die Schönheiten einer Seele zu empfinden."Dein Unwille ist gerecht, versetzte der Sophist; es ist verdrießlich, daß man diesen Mannsleuten nicht begreiflich machen kann, daß die Seele das Liebenswürdigste an einer Schönen ist. Aber beruhige dich! Nicht alle Männer denken so unedel. Ich kenne einen, der dir gefallen würde, wenn du, zur Abwechselung, einmal Lust hättest, es mit einem geistigen Liebhaber zu versuchen."Und wer kann das seyn, wenn man fragen darf?"Es ist ein Jüngling, der dazu gemacht scheint deine Hyacinthen zu demüthigen — schöner als Adonis."Fi, Hippias, das ist als ob du sagtest, süßer als Honigseim. Du begreifst nicht, wie sehr mir vor diesen schönen Herren ekelt."O dieß hat nichts zu bedeuten; ich stehe dir für diesen. Er hat keinen von den Fehlern der Narcissen, die dir so ärgerlich sind. Kaum scheint er es zu wissen, daß er einen Leib hat. Es ist ein Mensch, wie man nicht viele sieht: schön wie ein Apollo, aber geistig wie ein Zephpr; ein Mensch der lauter Seele ist; der dich selbst, wie du hier bist, für eine bloße Seele ansehen würde, und alles auf eine geistige Art thut, was wir andern körperlich thun. Du verstehst mich doch, schöne Danae?"Nicht allzu wohl; aber deine Beschreibung gefällt mir nichtsdestoweniger. Sprichst du im Ernste?"Im ganzen Ernste! Wenn du Lust haben solltest die metaphysische Liebe zu kosten, so habe ich deinen Mann gefunden. Er ist Platonischer als Plato selbst! — Und ich denke doch, du könntest uns geheime Nachrichten von diesem berühmten Weisen geben."Ich erinnere mich, antwortete Danae lächelnd, daß er einmal mit einer meiner Freundinnen eine kleine Zerstreuung gehabt hat, die du ihm nicht übel nehmen mußt. Wo ist ein Geist, dem ein artiges Mädchen von achtzehn Jahren nicht einen Körper geben könnte?"Das sagst du bloß, weil du meinen Mann noch nicht kennst; die Göttin von Paphos, ja du selbst würdest es bei ihm so weit nicht bringen. Du kannst ihn Tag und Nacht um dich haben. Du kannst ihn auf alle Proben stellen; du kannst ihn — bei dir schlafen lassen, Danae, ohne daß er dir Gelegenheit geben wird, nur die mindeste kleine Ausrufung anzubringen. Kurz, bei ihm kann deine Tugend ganz ruhig einschlummern, ohne jemals in Gefahr zu kommen, aufgeweckt zu werden."Ach! nun verstehe ich dich; es verlohnte sich auch wohl der Mühe, den Scherz so weit zu treiben! Ich verlange keinen Liebhaber, der sich nur darum an meine Seele hält, weil ihm das Uebrige zu nichts nütze ist."Auch ist derjenige, den ich dir anpreise, weit entfernt in diese Classe zu gehören: mache dir darüber keinen Kummer. Was du für die Folgen einer physischen Ursache hältst, ist bei ihm die Wirkung der Tugend, der erhabnen Philosophie, von der er Profession macht."Den Mann möcht' ich wohl sehen! — Aber weißt du auch, Hippias, daß meine Eitelkeit nicht zufrieden wäre, auf eine so kaltsinnige Art geliebt zu werden? Es ist wahr, ich bin dieser mechanischen Liebhaber von Herzen überdrüssig; aber ich würde doch auch nicht ganz mit einem andern zufrieden seyn, der gegen dasjenige gänzlich ohne Empfindung wäre, wofür jene allein empfindlich sind. Ein Frauenzimmer findet allezeit ein Vergnügen darin, Begierden einzuflößen, auch wenn sie nicht gesonnen ist, sich zu vergnügen. Die Spröden selbst sind von dieser Schwachheit nicht ausgenommen. Wozu brauchen wir von einem Liebhaber zu hören, daß wir reizend sind? Wir wollen es aus den Wirkungen sehen, die wir auf ihn machen. Je weiser er ist, desto schmeichelnder ist es für unsre Eitelkeit, wenn wir ihn aus seiner Fassung setzen können. Nein, du begreifst nicht, wie sehr das Vergnügen, alle die Thorheiten zu sehen, wozu wir diese Herren der Schöpfung bringen können, alles andre übertrifft, das sie uns zu geben fähig sind. Ein Philosoph, der zu meinen Füßen wie eine Turteltaube girret, der mir zu gefallen seine Haare und seinen Bart kräuseln läßt, der alle Wohlgerüche von Arabien und Indien um sich duftet, und, um sich bei mir einzuschmeicheln, meinem Schoßhund liebkoset und Oden auf meinen Sperling macht, —ah! Hippias, man muß ein Frauenzimmer seyn, um zu begreifen was dieß für ein Vergnügen ist!"So bedaure ich dich, daß du diesem Vergnügen bei dem Virtuosen, von dem ich spreche, entsagen mußt. Er hat seine Proben schon gemacht. Er ist zärtlich wie ein Knabe von sechzehn Jahren, aber, wie gesagt, nur für die Seelen der Schönen; alles Uebrige macht keinen größern Eindruck auf ihn als auf eine Bildsäule."Das wollen wir sehen, Hippias! Ich verlange schlechterdings, daß du ihn diesen Abend zu mir bringest. Du wirst nur eine kleine Gesellschaft finden, die uns nicht stören soll. — Aber wer ist denn dieser Ungenannte, von dem wir schon so lange schwatzen?"Es ist ein Sklave, den ich vor etlichen Wochen von einem Cilicier gekauft habe, aber ein Sklave, wie man sonst nirgends sieht; zu Delphi im Tempel des Apollo erzogen; vermuthlich hat er sein Daseyn der antiplatonischen Liebe dieses Gottes, oder eines von seinen Vertretern, zu irgend einer hübschen Schäferin zu danken, die sich zu tief in seinen Lorderhain wagte. Er ist in der Folge nach Athen gekommen, und die schönen Reden des Plato haben die romanhafte Erziehung vollendet, die er in den geheiligten Hainen von Delphi erhielt. Er gerieth durch einen Zufall in die Hände Cilicischer Seeräuber, und aus diesen in die meinigen. Er nannte sich Pythokles; aber weil ich diese Art von Namen nicht leiden kann, so hieß ich ihn Kallias; und er verdient so zu heißen, denn er ist der schönste Mensch, den ich jemals gesehen habe. Seine übrigen Gaben bestätigen die gute Meinung, die sein Anblick von ihm erweckt. Er hat Witz, Geschmack, Kenntnisse; er ist ein Liebhaber und selbst ein Günstling der Musen; aber mit allen diesen Vorzügen scheint er doch nichts weiter als ein wunderlicher Kopf, ein Schwärmer und ein unbrauchbarer Mensch zu seyn. Er nennt seinen Eigensinn Tugend, weil er sich einbildet, die Tugend müsse die Gegenfüßlerin der Natur seyn; er hält die Ausschweifungen seiner Phantasie für Vernunft, weil er sie in einen gewissen Zusammenhang gebracht hat; und sich selbst für weise, weil er auf eine methodische Art raset. Er gefiel mir beim ersten Anblick; ich faßte den Entschluß, etwas aus dem jungen Menschen zu machen; aber alle meine Mühe war umsonst. Wenn es möglich ist, daß er durch jemand zurecht gebracht werde, so muß es durch ein Frauenzimmer geschehen; denn ich glaube bemerkt zu haben, daß man nur durch sein Herz in seinen Kopf kommen kann. Die Unternehmung wäre deiner würdig, schöne Danae. Wenn sie dir nicht gelingt, so ist er unverbesserlich, und verdient daß man ihn seiner Thorheit und seinem Schicksal überlasse."Du hast meinen ganzen Ehrgeiz rege gemacht, Hippias, versetzte die schöne Danae. Bring' ihn diesen Abend mit; ich will ihn sehen; und wenn er nicht aus andern Elementen zusammengesetzt ist als die übrigen Erdensöhne, so wollen wir eine Probe machen, ob Danae ihrer Lehrmeisterin würdig ist."Hippias war sehr erfreut, den Zweck seines Besuchs so glücklich erreicht zu haben, und versprach beim Abschied, zur bestimmten Zeit diesen wunderbaren Jüngling aufzuführen, an welchem die schöne Danae so begierig war die Macht ihrer Reizungen zu versuchen.
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Viertes Capitel.

Einige Nachrichten von der schönen Danae.

Die Schöne, mit welcher wir die Leser im vorigen Capitel bekannt gemacht haben, hat sie vermuthlich eben so geneigt gemacht, eine nähere Nachricht von dem Charakter und der Geschichte derselben zu erwarten, als wir es sind, ihrem Verlangen ein Genüge zu thun. Gleichwohl ist dasjenige, was man damals zu Smyrna von ihr wußte, oder doch öffentlich von ihr sagte, alles was wir dem Leser vor der Hand mittheilen können; bis sich vielleicht in der Folge Gelegenheit zeigt, genauere und getreuere Nachrichten aus ihrem eigenen Munde zu erhalten.Die allgemeine Meinung zu Smyrna war, daß sie eine Tochter der berühmten Aspasia von Milet sey. Diese Aspasia hatte schon in ihrer Vaterstadt die Kunst der Galanterie, oder der weiblichen Sophistik (wie man sie auch nennen könnte), durch die Verbindung derselben mit den Künsten der Musen, zu einem so hohen Grade der Vollkommenheit erhoben, daß sie mit Recht als die wahre Erfinderin derselben anzusehen ist. Milet schien ihr endlich ein zu kleiner Schauplatz. Sie zog nach Athen, und bediente sich daselbst ihrer seltnen Vorzüge auf eine so kluge Art, daß sie zuletzt die unumschränkte Beherrscherin des großen Perikles, der in gewissem Sinne das ganze Griechenland beherrschte, oder wie die komischen Dichter seiner Zeit sich ausdrückten, die Juno dieses Athenischen Jupiters wurde.Unstreitig konnte man der schönen Danae keine Abkunft geben, welche einer Person von ihrer Classe mehr Ehre gemacht hätte. Allein die Vermuthungen, worauf sich diese Meinung gründete, sind nicht hinlänglich, ihr eignes Geständniß zu überwiegen, vermöge dessen sie aus der Insel Skios gebürtig, und nach dem Tod ihrer Eltern, in ihrem vierzehnten Jahre mit einem Bruder nach Athen gekommen war, um in dieser Stadt, worin alle angenehmen Talente Aufmunterung fanden, die ihrigen gelten zu machen. Die Kunst, welche sie hier trieb, war eine Art von pantomimischen Tänzen, wozu gemeiniglich nur eine oder zwei Personen erfordert wurden, und worin die tanzende Person, nach der Modulation einer Flöte oder Leyer, gewisse Stücke aus der Götter- und Heldengeschichte der Griechen durch Geberden und Bewegungen vorstellte. Allein, da diese Kunst, wegen der Menge derer die sie trieben, nicht zureichte sie anständig zu unterhalten, so sah sich die junge Schöne genöthigt, den Künstlern zu Athen die Dienste eines Modells zu thun. Außer dem Nutzen, den sie davon zog, erhielt sie dadurch die schmeichelhafte Ehre, bald als Danae oder Leda die Bewunderung der Kenner, bald als Diane oder Venus die Anbetung des Pöbels zu erhalten.Bei einer solchen Gelegenheit begab es sich, daß sie von dem jungen Alcibiades überraschen, und in der Stellung der Danae allzu reizend befunden wurde, als daß einem geringern wie Alcibiades auch nur der Anblick so vieler Schönheiten erlaubt seyn sollte. Wie leicht zu erachten ist, hatte dieser liebenswürdige Verführer, dem seine Gestalt, seine Manieren, sein Stand und sein Reichthum das Wort redeten, wenig Mühe, ein Mädchen dieser Gattung zu überreden, sich in seinen Schutz zu begeben. Er brachte sie in das Haus der Aspasia, welches zu gleicher Zeit eine Akademie der schönsten Geister von Athen, und eine Art von Frauenzimmerschule war, worin junge Mädchen von den vorzüglichsten Gaben, unter Aufsicht einer so vollkommnen Meisterin, eine Erziehung erhielten, welche sie zu der Bestimmung geschickt machen sollte, die Großen und die Weisen der Republik in ihren Ruhestunden zu ergötzen. Danae machte sich diese Gelegenheit so wohl zu Nutze, daß sie die Gunst, und endlich selbst die Vertraulichkeit der Aspasia erhielt, welche, weit über die Niederträchtigkeit gemeiner Seelen erhaben, sich mit so vielem Vergnügen in dieser jungen Person wieder hervorgebracht sah, daß sie dadurch zu der Vermuthung Anlaß gab, deren wir bereits Erwähnung gethan haben. Inzwischen genoß Alcibiades allein der Früchte einer Erziehung, wodurch die natürlichen Gaben seiner jungen Freundin zu einer Vollkommenheit entwickelt wurden, die ihr den Namen der zweiten Aspasia erwarb; und die schöne Danae legte sich selbst die Pflicht auf, eine Treue gegen ihn zu beobachten, welche er nicht zu erwiedern nöthig fand. Da die Liebe zur Veränderung eine stärkere Leidenschaft bei ihm war, als die Liebe die ihm irgend eine Sterbliche einflößen konnte: so mußte auch Danae, nachdem sie sich eine geraume Zeit in dem ersten Platze bei ihm erhalten hatte, einer andern weichen, die keinen Vorzug vor ihr hatte, als daß sie ihm neu war. So schwach Danae von einer gewissen Seite seyn mochte, so edel war ihr Herz in andern Stücken. Sie liebte den Alcibiades, weil sie von seiner Person und von seinen Eigenschaften bezaubert war, und dachte wenig daran, von seinen Reichthümern Vortheil zu ziehen. Sie würde also nichts von ihm übrig behalten haben, als das Andenken, von dem liebenswürdigsten Mann ihrer Zeit geliebt worden zu seyn, wenn er nicht eben so stolz und freigebig, als sie (wider die Gewohnheit ihrer Gespielen) uneigennützig war, gewesen wäre, und ihr eine Summe aufgedrungen hätte, welche mehr als hinlänglich war, sie, wie er sagte, vor der Erniedrigung zu sichern, dem Reichsten überlassen zu müssen, was nur dem Liebenswürdigsten gehörte.Nach Aspasiens Tode fand sie Gelegenheit dem jüngern Cyrus bekannt zu werden, dessen glänzende Eigenschaften durch die Feder Xenophons eben so bekannt geworden sind, als der unglückliche Ausgang der Unternehmung, wodurch er seinen Bruder Artaxerxes (Mnemon) von dem Throne des großen Cyrus zu verdrängen hoffte. Ihr erster Anblick unterwarf ihr das Herz eines Prinzen, der desto empfindlicher gegen diejenige Art von Reizungen war, wodurch sich die Schülerinnen der Aspasia unterschieden, je seltener sie unter den lebenden Statuen anzutreffen sind, welche in Persien dem Vergnügen der Großen gewidmet werden, und in der That zu dem einzigen Gebrauche, den ihre Gebieter von ihnen zu machen wissen, wenig Seele nöthig haben. Danae begleitete diesen Prinzen auf seinem Feldzuge gegen den großen König, und, nach dem unglücklichen Ausgange desselben, erwählte sie Smyrna zu ihrem beständigen Aufenthalte; durch die großmüthige Freigebigkeit des Cyrus, der sich hierin von keinem Bürger von Athen übertreffen lassen wollte, in den Stand gesetzt, ihre einzige Sorge seyn zu lassen, wie sie auf die angenehmste Art leben wollte. Sie bediente sich dieses Glücks, wie es der Name der zweiten Aspasia erforderte. Ihre Wohnung schien ein Tempel der Musen und Grazien zu seyn, und wenn Amor von einer so reizenden Gesellschaft nicht ausgeschlossen blieb, so war es jener Amor, den die Musen beim Anakreon mit Blumenkränzen binden, und der sich in dieser Gefangenschaft so wohl gefällt, daß Venus ihn vergeblich bereden will, sich in seine vorige Freiheit setzen zu lassen. Die Spiele, die Scherze und die Freuden (wenn es uns erlaubt ist, die Sprache Homers zu gebrauchen wo die gewöhnliche zu matt scheint) schlossen mit den lächelnden Stunden einen unauflöslichen Reihentanz um sie her, und Schwermuth, Ueberdruß und Langeweile waren, mit allen andern Feinden der Ruhe und des Vergnügens, gänzlich aus diesem Wohnsitze der Freude verbannt.Wir haben, däucht uns, schon mehr als genug gesagt, um unsere Leser in keine mittelmäßige Sorge für die Tugend unsers Helden zu setzen. In der That hatte er sich noch niemals in Umständen befunden, die uns weniger hoffen lassen, daß sie sich werde erhalten können. Die Gefahr, worin sie bei der üppigen Pythia, unter den rasenden Bacchantinnen, und in dem Hause des weisen Hippias, welches dem Stalle der Circe so ähnlich sah, geschwebt hatte, kommt in gar keine Betrachtung gegen diejenige, die ihr bevorsteht, und deren wir ihn gern überhoben hätten, wenn die Pflichten des Geschichtschreibers erlaubten, einer freundschaftlichen Parteilichkeit zum Nachtheile der Wahrheit Gehör zu geben.
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Fünftes Capitel.

Wie gefährlich eine verschönernde Einbildungskraft ist.

Wenn eine lebhafte Einbildungskraft ihrem Besitzer eine unendliche Menge von Vergnügungen gewährt, die den übrigen Sterblichen versagt sind; wenn ihr zauberischer Einfluß alles Schöne in seinen Augen verschönert, und ihn da in Entzückung setzt, wo andre kaum empfinden; wenn sie in glücklichen Stunden ihm diese Welt zu einem Paradiese macht, und in traurigen seine Seele von der Scene seines Kummers hinweg zieht, und in bessere Welten versetzt, welche durch die vergrößernden Schatten einer vollkommnen Wonne seinen Schmerz bezaubern: so müssen wir auf der andern Seite gestehen, daß sie nicht weniger eine Quelle von Irrthümern, Ausschweifungen und Qualen für ihn ist, wovon er, selbst mit Hülfe der Weisheit und mit der feurigsten Liebe zur Tugend, sich nicht eher los machen kann, bis er (auf welche Art es nun seyn mag) dazu gekommen ist, die allzu große Lebhaftigkeit derselben zu mäßigen.Der weise Hippias hatte unserm Helden sehr wenig Unrecht gethan, als er ihm eine Einbildungskraft von dieser Art zuschrieb; und die schlaue Danae machte sich aus der Beschreibung des Hippias eine sehr richtige Vorstellung von ihm, da sie alles gewonnen zu haben glaubte, wenn sie nur seine Einbildungskraft auf ihre Seite gebracht haben würde. Hippias, dachte sie, hatte nur darin gefehlt, daß er ihn durch die Sinne verführen wollte. Auf diese Voraussetzung gründete sie einen Plan, zu dessen Erfolg sie sich selbst zum voraus Glück wünschte, und dachte eben so wenig daran, daß die Ausführung sie ihr eignes Herz kosten könnte, als Agathon sich von der Gefahr träumen ließ, die dem seinigen zubereitet wurde.Die Stunde, welche sie dem Sophisten anberaumt hatte, war nun gekommen, und Agathon begleitete seinen Herrn, ohne zu wissen wohin. Sie traten in einen Palast, der auf einer doppelten Reihe von Ionischen Säulen ruhte, und mit vielen vergoldeten Bildsäulen ausgeziert war. Das Inwendige stimmte vollkommen mit der Pracht des äußerlichen Anblicks überein. Allenthalben begegnete ihnen das geschäftige Gewimmel von unzähligen Sklaven und Sklavinnen, wovon die erstern alle unter dem vierzehnten Jahre, und, so wie die letztern, von außerordentlicher Schönheit waren. Ihre Kleidung stellte dem Aug' eine angenehme Verbindung der Einförmigkeit mit der Abwechslung dar; einige waren weiß, andre himmelblau, andre rosenfarb, andre grün gekleidet, und jede Farbe schien eine besondre Classe zu bezeichnen, welcher ihre eignen Dienste angewiesen waren.Agathon, auf den alles Schöne lebhaftere Eindrücke zu machen pflegte, als vonnöthen war, um nach dem Maßstabe der Moralisten genug zu seyn, wurde durch alles was er sah, so sehr bezaubert, daß er sich in eine von seinen idealischen Welten versetzt glaubte. Er hatte noch nicht Zeit gehabt wieder zu sich selbst zu kommen, als ihn Hippias in einen großen, hell erleuchteten Saal führte, worin die Gesellschaft versammelt war, welche sie vermehren sollten. Kaum hatte er einen Blick auf sie geworfen, als die schöne Danae ihm mit einer ihr eigenen Anmuth entgegen kam, ihm zu sagen, daß ein Freund des Hippias das Recht habe, sich in ihrem Hause und in dieser Gesellschaft als einheimisch anzusehen. Ein so verbindlicher Willkommen verdiente wohl eine Antwort in gleichem Tone; allein Agathon war in diesem Augenblick außer Stande höflich zu seyn. Ein Blick, womit man den äußersten Grad des angenehmsten Erstaunens malen müßte, war alles, was er auf diese Anrede zu erwiedern wußte.Die Gesellschaft war aus lauter solchen Personen zusammen gesetzt, welche die Vorrechte des vertrautesten Umgangs in diesem Hause genossen, und die Attische Urbanität (die von der steifen und ceremonienreichen Höflichkeit der heutigen Europäer merklich abstach) in eben so hohem Grade als Danae selbst, besaßen. In einer Gesellschaft nach der heutigen Art würde Agathon, in den ersten Augenblicken da er sich darstellte, zu einer Menge kleiner boshafter Anmerkungen Stoff gegeben haben; in dieser war ein flüchtiger Blick alles, was er auszuhalten hatte. Die Unterredung wurde fortgesetzt; niemand zischelte dem andern ins Ohr, oder schien das Erstaunen zu bemerken, mit welchem seine Augen die schöne Danae zu verschlingen schienen; kurz, man ließ ihm alle Zeit die er brauchte um wieder zu sich selbst zu kommen; wofern sich anders dieser Ausdruck für die Verfassung schickt, worin er sich diesen ganzen Abend durch befand.Vielleicht erwartet man, daß wir eine nähere Erläuterung über diesen außerordentlichen Eindruck geben sollen, welchen Danae auf unsern allzu reizbaren Helden machte. Allein wir sehen uns noch außer Stande, die Neugierde des Lesers über einen Punkt zu befriedigen, wovon Agathon selbst nicht fähig gewesen wäre Rechenschaft zu geben. Alles was wir davon sagen können ist, daß diese Dame, dem Anschein nach, niemals weniger erwarten konnte, eine solche Wirkung zu machen; so wenig Mühe hatte sie sich gegeben, ihre Reizungen durch einen schimmernden Putz zu erhöhen, oder durch andere Kunstgriffe in ein blendendes Licht zu setzen. Ein weißes Kleid mit kleinen Streifen von Purpur, und eine halb eröffnete Rose in ihrem schwarzen Haar, machte ihren ganzen Staat aus; und von der Durchsichtigkeit, wodurch die Kleidung der Cyane den Augen unsers Helden anstößig gewesen, war die ihrige so weit entfernt, daß man mit besserm Recht aussetzen konnte, sie verhülle zu viel. Es ist wahr, sie hatte Sorge getragen, daß ein sehr artiger kleiner Fuß dem Auge nicht immer entzogen würde; allein dieser kleine Fuß, und eine schneeweiße rosenfingerige Hand, mit dem Anfang eines vollkommen schönen Armes, war alles, was das neidische Gewand vorwitzigen Blicken nicht versagte. Was es also auch seyn mochte, was in seinem Herzen vorging, so ist doch dieß gewiß, daß an der Person und dem Betragen der schönen Danae nicht das Mindeste zu entdecken war, das einige besondere Absicht auf unsern Helden hätte anzeigen können; und daß sie, es sey nun aus Unachtsamkeit oder Bescheidenheit, nicht einmal zu bemerken schien, daß Agathon für sie allein Augen, und über ihrem Anschauen den Gebrauch aller andern Sinnen verloren hatte.
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Sechstes Capitel.

Pantomimen.

Nach Endigung der Mahlzeit, der welcher Agathon beinahe einen bloßen Zuschauer abgegeben hatte, trat ein Tänzer und eine junge Tänzerin herein, um nach der Modulation zweier Flöten die Geschichte des Apollo und der Daphne zu tanzen. Die Geschicklichkeit der Tanzenden befriedigte alle Zuschauer; alles an ihnen war Seele und Ausdruck, und man glaubte sie immer zu hören, ob man sie gleich nur sah.Wie gefällt dir die Tänzerin, Kallias? fragte Danae den Agathon, welcher nur mittelmäßig aufmerksam auf dieses Spiel zu seyn schien, und der einzige war, der nicht beobachtete, daß die Tänzerin von ungemeiner Schönheit, und, eben so wie neulich Cyane, kaum mit etwas mehr als gewebter Luft umhüllt war. Mich däucht, versetzte Agathon (der itzt erst anfing, diese Daphne aufmerksamer anzusehen), mich däucht, daß sie, vielleicht aus allzu großer Begierde zu gefallen, den Charakter verläßt den sie vorstellen soll. Warum sieht sie sich im Fliehen um? Und mit einem Blicke, der es ihrem Verfolger zu verweisen scheint, daß er nicht schneller ist als sie? — Gut, sehr gut! (fuhr er fort, als die Stelle kam, wo Daphne den Flußgott um Hülfe anruft) unverbesserlich! Mit welcher Wahrheit sie ihre Verwandlung ausdrückt! Wie sie erbleicht! wie sie schauert! ihre Füße wurzeln mitten in einer schreckhaften Bewegung ein; umsonst will sie ihre ausgebreiteten Arme zurückziehen. — Aber warum dieser zärtlich bange Blick auf ihren Liebhaber? Warum die Thräne, die in ihrem Auge zu erstarren scheint?Ein allgemeines Lächeln beantwortete die Frage Agathons. Du tadelst gerade, sagte einer von den Gästen, was wir am meisten bewundern. Eine gewöhnliche Tänzerin würde nicht fähig gewesen seyn, deinen Tadel zu verdienen. Es ist unmöglich, mehr Geist, mehr Feinheit und einen schönern Contrast in diese Rolle zu bringen, als die kleine Psyche gethan hat.Daphne selbst war nicht bestürzter gewesen, da sie sich verwandelt fühlte, als Agathon in dem Augenblick, da er den Namen Psyche hörte; er stockte mitten in einem Worte, das er sagen wollte; er erröthete, und seine Verwirrung war so merklich, daß Danae, welche sie der Beschämung seines Tadels zuschrieb, für nöthig hielt ihm zu Hülfe zu kommen. Der Tadel des Kallias, sagte sie, beweist, daß er den Geist, womit Psyche ihre Rolle gespielt, so gut empfunden hat als Phädrias. Aber vielleicht ist er darum nicht minder gegründet. Psyche sollte die Person der Daphne gespielt haben, und hat ihre eigene gespielt. Ist es nicht so, Psyche? Du dachtest: wie würde mir an Daphnens Stelle gewesen seyn? —"Und wie hätte ich's anders machen können, meine Gebieterin?" fragte die kleine Tänzerin. — Du hattest den Charakter annehmen sollen, den ihr die Dichter geben, und hast dich begnügt dich selbst in ihre Umstände zu setzen. — "Was für ein Charakter ist denn dieß?" erwiederte Psyche. — Einer spröden, sagte der weise Hippias, der Lieblingscharakter des Kallias. — Abermalige Gelegenheit zum Erröthen für den guten Agathon!Du hast es nicht errathen, versetzte dieser: der Charakter, den Daphne nach meiner Idee haben soll, ist Gleichgültigkeit und Unschuld; sie kann beides haben, ohne eine Spröde zu seyn.Psyche verdient also desto mehr Lob, erwiederte Phädrias (für den sie noch etwas mehr als eine Tänzerin war), weil sie den Charakter verschönert hat, den sie vorstellen sollte. Der Streit zwischen Liebe und Ehre erfordert mehr Genie um nachgeahmt zu werden, und ist für den Zuschauer rührender, als die Gleichgültigkeit, die ihr Kallias geben will. Und zudem, wo ist die junge Nymphe, die gegen die Liebe eines so schönen Gottes, wie Apollo ist, gleichgültig seyn könnte? — Ich bin deiner Meinung, sagte Hippias. Daphne flieht vor dem Apollo, weil sie — ein junges Mädchen ist; und weil sie — ein junges Mädchen ist, so wünscht sie heimlich, daß er sie erhaschen möge. Warum sieht sie sich so oft um, als um ihm zu verweisen, daß er nicht schneller sey? Wie er ihr so nahe war, daß sie nicht mehr entfliehen konnte, so flehte sie, sagt die Fabel, dem Flußgotte, daß er sie verwandeln sollte. Grimasse! Sie brauchte ja nur sich in den Fluß zu stürzen, wenn es ihr Ernst war. Sie that was eine Nymphe thun soll, da sie den Flußgott anrief; aber wer konnte auch fürchten, so schnell erhört zu werden? Und in welchem Augenblicke konnte sie es weniger wünschen, als in eben diesem, da sie sich von den begierigen Armen ihres Liebhabers schon umschlungen fühlte? Hatte sie sich denn aus einem andern Grund außer Athem gelaufen, als damit er sie desto gewisser erhaschen möchte? — was ist also natürlicher als der Unwille, der Schmerz und die Traurigkeit, womit sie sein Betragen erwiedert, da sie die Arme, womit sie sie ihn — zurück stoßen will, zu Lorberzweigen erstarret fühlt? Selbst der zärtliche Blick ist natürlich; die Verstellung hört auf, wenn man in einen Lorberbaum verwandelt wird. War nicht dieß das ganze Spiel der Psyche? Und kann etwas natürlicher seyn? Es ist der Charakter eines jungen Mädchens; eines von denen jungen Mädchen, versteht sich, mein lieber Kallias, wie man sie in dieser materiellen Welt findet. —Ich ergebe mich, versetzte Agathon; die Tänzerin hat alles gethan, was man von ihr fordern konnte, und ich war lächerlich zu erwarten, daß sie die Idee ausführen sollte, die ich von einer Daphne in meiner Phantasie habe.Agathon hatte dieses kaum gesprochen, als Danae, ohne ein Wort zu sagen, aufstand, der Tänzerin einen Wink gab, und mit ihr verschwand. In einer kleinen Weile kam die Tänzerin allein wieder zurück, die Flöten fingen wieder an, und Apollo und Daphne wiederholten ihre Pantomime. Aber wie erstaunte Agathon, als er sah, daß es Danae selbst war, die in der Kleidung der Tänzerin die Person der Daphne spielte! — Armer Agathon! Allzu reizende Danae! Wer hätte sich eines solchen Streiches versehen sollen? Ihr ganzes Spiel drückte die eigenste Idee Agathons aus, aber mit einer Anmuth, mit einer Zauberei, wovon ihm seine Phantasie keine Idee gegeben hatte. Die Empfindungen, von denen seine Seele in diesen Augenblicken überfallen wurde, waren so lebhaft, daß er sich bemühte, seine Augen von diesem zu sehr bezaubernden Gegenstand abzuziehen. Aber vergebens! Eine unwiderstehliche Gewalt zog sie zurück. Wie edel, wie schön waren alle ihre Bewegungen! Mit welcher rührenden Einfalt drückte sie den ganzen Charakter der Unschuld aus! — Er sah noch in sprachloser Entzückung nach dem Orte, wo sie zum Lorberbaum erstarrte, als sie schon wieder verschwunden war, ohne das Lob und Händeklatschen der Zuschauer zu erwarten, welche nicht Worte genug finden konnten, das Vergnügen auszubrüten, das ihnen Danae durch diese unerwartete Probe ihres Talentes gemacht hatte. In wenigen Augenblicken kam sie schon wieder in ihrer eigenen Person zurück. — Wie sehr ist Kallias dir verbunden, schöne Danae, sagte Phädrias, indem sie herein trat. Du allein konntest seinen Tadel rechtfertigen; nur diejenige konnte es, die liebenswürdig genug ist, um die Sprödigkeit selbst reizend zu machen. Wie sehr wäre ein Apollo zu bedauern, für den du Daphne warest!Es war glücklich für den guten Agathon, daß er, indem dieses mit einem bedeutenden Blick gesagt wurde, in dem Anschauen der schönen Danae so verloren war, daß er nichts hörte; denn sonst würde ein abermaliges Erröthen die Auslegung zu diesem Text gemacht haben. Das Lob dieser Dame, und ein Gespräch über die Tanzkunst füllte den Ueberrest der Zeit aus, welche die Gesellschaft noch bei einander zubrachte; ein Gespräch, dessen Mittheilung uns der Leser gerne nachlassen wird, da wir seine Begierde nach angelegenern Materien zu befriedigen haben. Nur diesen Umstand können wir nicht vorbei gehen, daß Agathon bei diesem Anlaß auf einmal so beredt wurde, als er vorher tiefsinnig und stillschweigend gewesen war. Eine lächelnde Heiterkeit schimmerte um sein ganzes Gesicht, und noch niemals hatte sein Witz sich mit solcher Lebhaftigkeit hervorgethan. Er erhielt den Beifall der ganzen Gesellschaft, und die schöne Danae selbst konnte sich nicht enthalten, ihn von Zeit zu Zeit mit einem Ausdruck von Vergnügen und Zufriedenheit anzusehen, indessen in seinen nur selten von ihr abgewandten Augen etwas glänzte, für welches wir uns umsonst bemühet haben, in der Sprache der Menschen einen Namen zu finden.
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Siebentes Capitel.

Geheime Nachrichten.

Wir haben von Plutarch und aus eigener Erfahrung gelernt, daß sehr kleine Begebenheiten öfters durch große Folgen merkwürdig werden, und sehr kleine Handlungen nicht selten tiefere Blicke in das Inwendige der Menschen thun lassen, als die feierlichen, wozu man, weil sie dem öffentlichen Urtheil ausgesetzt sind, sich ordentlicher Weise in eine gewisse mit sich selbst abgeredete Verfassung zu setzen pflegt. Die Gründlichkeit dieser Beobachtung hat uns bewogen, in der Geschichte der Pantomime, welche das vorige Kapitel ausfüllt, so umständlich zu seyn; und wir hoffen uns deßhalb vollkommen zu rechtfertigen, wenn wir diese Erzählung durch dasjenige ergänzen, was die liebenswürdige Psyche betrifft, mit welcher der Leser schon im ersten Buche, wiewohl nur im Vorbeigehen, bekannt zu werden angefangen hat.Diese Psyche, so wie sie war, hatte bisher unter allen Wesen, welche in die Sinne fallen (wir setzen diese Einschränkung nicht ohne Ursache hinzu, so seltsam sie auch in antiplatonischen Ohren klingen mag), den ersten Platz in Agathons Herzen eingenommen; und er hatte, seitdem sie von ihm entfernt war, kein Frauenzimmer gesehen, die nicht durch die bloße Erinnerung an Psychen alle Macht über sein Herz und selbst über seine Sinne verloren hätte. Denn die Bewegungen der letztern laufen sonst nicht immer mit den erstern so parallel, als manche Romanenschreiber vorauszusetzen scheinen. Die Wahrheit zu gestehen, so war dieß nicht die Wirkung derjenigen heroischen Treue und Standhaftigkeit in der Liebe, welche in besagten Romanen zu einer Tugend von der ersten Classe gemacht wird. Psyche erhielt sich im Besitz seines Herzens, weil die bloßen Erinnerungen, die ihm von ihr übrig waren, ihm einen viel höheren Genuß gaben, als die Empfindungen, die ihm irgend eine andre Schöne einzuflößen vermochte; oder, weil er bisher keine andre gesehen hatte, die so sehr nach seinem Herzen gewesen wäre. Eine Erfahrung von etlichen Jahren beredete ihn, daß es allezeit so seyn würde; und daher kam vielleicht die Bestürzung, wovon er befallen wurde, als der erste Anblick der schönen Danae ihm eine Vollkommenheit darstellte, die seiner Einbildung nach allein jenseits des Mondes anzutreffen seyn sollte. Er müßte nicht Agathon gewesen seyn, wenn diese Erscheinung sich nicht seiner ganzen Seele so sehr bemeistert hätte, wie wir gesehen haben. Niemals, däuchte ihn, hatte er in einem so hohen Grad und in einer so seltnen Harmonie alle diese feinern Schönheiten, von welchen gemeine Seelen nicht gerührt werden, vereiniget gesehen. Ihre Gestalt, ihre Blicke, ihr Lächeln, ihre Gebärden, ihr Gang, alles hatte diese Vollkommenheit, welche die Dichter den Göttinnen zuzuschreiben pflegen. Was Wunder also, daß er in den ersten Stunden nichts als anschauen und bewundern konnte, und daß seine entzückte Seele noch keine Zeit hatte auf dasjenige Acht zu geben, was in ihr vorging? In der That waren alle ihre übrigen Kräfte so gebunden, daß er, wider seine Gewohnheit, in dieser ganzen Zeit sich seiner Psyche eben so wenig erinnerte, als ob sie nie gewesen wäre.Allein als die junge Tänzerin zum Vorschein kam, welche die Person der Daphne spielte: so stellte einige Aehnlichkeit, die sie wirklich in der Gesichtsbildung und Figur mit Psychen hatte, ihm auf einmal, wiewohl ohne daß er sich dessen deutlich bewußt war, das Bild seiner abwesenden Geliebten vor die Augen. Sogleich setzte seine Einbildungskraft durch eine gewöhnliche mechanische Wirkung Psychen an die Stelle dieser Daphne; und wenn er so vieles an der Tänzerin auszusetzen fand, so war es im Grunde nur darum, weil die Vergleichung den Betrug des ersten Anblicks entdeckte, oder weil sie nicht wirklich Psyche war. So gewöhnlich dergleichen Spiele der Einbildung sind, so seltenheit es, daß man den Einfluß deutlich unterscheidet, den sie auf unsre Urtheile oder Neigungen zu haben pflegen. Agathon selbst, der sich von seiner ersten Jugend an eine Beschäftigung daraus gemacht hatte, den geheimen Triebfedern seiner innerlichen Bewegungen nachzuspüren, merkte dennoch nicht eher, was bei diesem Anlaß in seiner Phantasie vorging, bis der Name Psyche (dieser Name, dessen bloßer Ton sonst Musik in seinen Ohren gewesen war) ihn erschütterte, und in eine Verwirrung von Empfindungen setzte, die er selbst zu beschreiben Mühe gehabt hat; wenn wir anders hiervon nach der besondern Dunkelheit, die in unsrer Urkunde über dieser Stelle liegt, urtheilen dürfen.Was auch die Ursache dieser Bestürzung gewesen seyn mag, so ist gewiß, daß er weit davon entfernt war, nur zu argwöhnen, der Genius seiner ersten Liebe stutze vielleicht darüber, eine Nebenbuhlerin in seinem Herzen zu finden, welches er von Psychen allein ausgefüllt zu sehen gewohnt war. Sein Selbstbetrug (wofern es anders einer war) scheint desto mehr Entschuldigung zu verdienen, weil dieser geliebte Name wirklich in wenig Augenblicken seine ganze Zärtlichkeit rege machte. Er bemerkte nun erst deutlich die Aehnlichkeiten, welche die beiden Psychen mit einander hatten; und er verglich sie mit einem Vorurtheile, welches der Abwesenden so günstig war, daß die Gegenwärtige ihr nur zum Schatten dienen mußte. Ja, wir wissen nicht, ob eine so lebhafte Erinnerung nicht endlich der schönen Danae selbst Abbruch gethan haben würde, wofern diese (gleich als ob sie durch eine Art von Divination errathen hätte was in seiner Seele vorging) nicht auf den glücklichen Einfall gekommen wäre, sich an den Platz der kleinen Tänzerin zu setzen, um die Vorstellung auszuführen, welche sich Agathon von einer idealischen Daphne gemacht hatte; eine Idee, deren die Geschmeidigkeit ihres Geistes sich so schnell und so glücklich zu bemächtigen wußte, wie wir gesehen haben. Einen schlimmern Streich konnte sie in der That der einen und der andern Psyche nicht spielen. Beide wurden von ihrem blendenden Glanze, wie benachbarte Sterne von dem vollen Mond, ausgelöscht. Und wie hätte auch das Bild seiner abwesenden Geliebten unsern Helden noch länger beschäftigen können, da alle Anschauungskräfte seiner Seele, auf diesen einzigen bezaubernden Gegenstand geheftet, ihm kaum zureichend schienen, dessen ganze Vollkommenheit zu empfinden; da er diese sittliche Venus mit allen ihren geistigen Grazien wirklich vor sich sah, zu deren bloßem Schattenbild ihn Psyche zu erheben vermocht hatte?Wir wissen nicht, ob man eben ein Hippias seyn müßte, um zu glauben, daß Schönheiten von einer nicht so unkörperlichen, wiewohl in ihrer Art eben so vollkommenen Natur, weit mehr, als Agathon selbst gewahr wurde, zu dieser Verzückung in die idealischen Welten beigetragen haben könnten, worin er während des pantomimischen Tanzes der Danae sich befand. Die nymphenmäßige Kleidung, welche dieser Tanz erforderte, war nur allzu geschickt, diese Reizungen in ihrer ganzen Macht und in dem mannichfaltigsten Lichte zu entwickeln; und wir müssen gestehen, die Göttin der Liebe selbst hätte sich nicht zuversichtlicher, als die untadelige Danae, dem Auge der schärfsten Kenner, ja selbst den Augen einer Nebenbuhlerin, in diesem Aufzug überlassen dürfen. Der Charakter der ungeschminkten Unschuld, welchen sie so unverbesserlich nachahmte, schien dadurch einen noch lebhaftern Ausdruck zu erhalten; aber einen so lebhaften, daß ein jeder andrer, als ein Agathon, dabei in Gefahr gewesen wäre, die seinige zu verlieren. Freilich hatten die übrigen Zuschauer Mühe genug, sich zu enthalten, die Rolle des Apollo in ganzem Ernste zu machen. Aber von unserm Helden hatte Danae nichts zu besorgen, und sie fand, daß Hippias nicht zu viel von ihm versprochen hatte. Diese körperlichen Schönheiten, die er nicht einmal deutlich unterschied, weil sie in seinen Augen mit den geistigen in Eins zusammen geflossen waren, mochten den Grad der Lebhaftigkeit seiner Empfindungen noch so sehr erhöhen, sie konnten doch die Natur derselben nicht verändern; niemals in seinem Leben waren sie reiner, begierdenfreier, unkörperlicher gewesen. Kurz (so widersinnig es jenen aus gröberm Stoffe gebildeten Erdensöhnen, welche in dem vollkommensten Weibe nur ein Weib sehen, scheinen mag) es ist nichts gewisser, als daß Danae, mit einer Gestalt und in einem Aufzuge welche (wenn uns ein Ausdruck des Hippias erlaubt ist) einen Geist hätten verkörpern mögen, diesen seltsamen Jüngling in einen so völligen Geist verwandelte, als man jemals diesseits des Mondes gesehen hat.
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Achtes Capitel.

Was die Nacht durch im Gemüthe der Hauptpersonen vorgegangen.

Wir haben schon so viel von der gegenwärtigen Gemüthsverfassung unsers Helden gesagt, daß man sich nicht verwundern wird, wenn wir hinzusetzen, daß er den übrigen Theil der Nacht in ununterbrochenem Anschauen dieser idealen Vollkommenheit zubrachte, die seine Einbildungskraft, mit einer ihr gewöhnlichen Kunst und ohne daß er den Betrug gewahr wurde, an die Stelle der schönen Danae geschoben hatte. Dieses Anschauen setzte sein Gemüth in eine so angenehme und ruhige Entzückung, daß er, gleich als ob nun alle seine Wünsche befriediget wären, nicht das geringste von der Unruhe, den Begierden, der innerlichen Gährung, der Abwechslung von Frost und Hitze fühlte, womit die Leidenschaft, mit welcher man ihn nicht ohne Wahrscheinlichkeit behaftet glauben kann, sich ordentlicher Weise anzukündigen pflegt.Was die Schöne betrifft, welche die Ehre hatte diese erhabenen Entzückungen in ihm zu erwecken, diese brachte den Rest der Nacht zwar nicht mit eben so erhabenen, aber doch in ihrer Art mit eben so angenehmen Betrachtungen zu. Agathon hatte ihr gefallen; sie war mit dem Eindrucke, den sie auf ihn gemacht, zufrieden; und sie glaubte, nach den Beobachtungen, die ihr dieser Abend bereits an die Hand gegeben, daß sie sich selbst mit gutem Grunde zutrauen könne, ihn durch die gehörigen Gradationen zu einem zweiten und vielleicht standhaftern Alcibiades zu machen. Nichts war ihr hierbei angenehmer, als die Bestätigung des Plans, den sie sich, über die Art und Weise, wie man seinem Herzen am leichtesten beikommen könne, ausgedacht hatte. Es ist wahr, der Einfall sich an die Stelle der Tänzerin zu setzen, war ihr erst in dem Augenblick gekommen da sie ihn ausführte. Allein sie würde ihn gewiß nicht ausgeführt haben, wofern sie die gute Wirkung davon nicht mit einer Art von Gewißheit voraus gesehen hätte. Hätte sie in dem ersten Augenblicke, da sie sich unserm Helden in ihrer eigenen Person darstellte, in ihren Gebärden oder in ihrem Anzuge das mindeste gehabt, das ihm anstößig hätte seyn können: so würde es ihr schwer geworden seyn, den widrigen Eindruck dieses ersten Augenblicks jemals wieder gut zu machen. Agathon mußte in den Fall gesetzt werden, sich selbst zu hintergehen, ohne das geringste davon zu merken; und wenn er für subalterne Reizungen empfindlich gemacht werden sollte, so mußte es durch Vermittelung der Einbildungskraft und auf eine solche Art geschehen, daß die geistigen und die körperlichen Schönheiten sich in seinen Augen vermengten, ohne daß er in den letzteren nichts als den Widerschein der erstern zu sehen glaubte.Der weise Hippias hatte zu viel Ursache den Agathon der dieser Gelegenheit zu beobachten, als daß ihm das geringste entgangen wäre, was ihn des glücklichen Fortgangs seiner Anschläge zu versichern schien. Allein er schmeichelte sich zu viel, wenn er hoffte, Kallias werde, in dem ekstatischen Zustande, worin er zu seyn schien, ihn zum Vertrauten seiner Empfindungen machen. Das Vorurtheil, welches dieser wider ihn gefaßt hatte, verschloß ihm den Mund, so gern er auch dem Strome seiner Begeisterung den Lauf gelassen hätte. Eine Danae war in seinen Augen ein allzu vortrefflicher Gegenstand, und das was er für sie empfand, zu rein, zu weit über die thierische Denkungsart eines Hippias erhaben, daß er nicht durch eine unzeitige Vertraulichkeit gegen diesen Ungeweihten beides zu entheiligen geglaubt hätte.
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Neuntes Capitel.

Eine kleine metaphysische Abschweifung.

Es gibt so verschiedene Gattungen von Liebe, daß es (wie uns ein Kenner versichert hat) nicht unmöglich wäre, drei oder vier Personen zu gleicher Zeit zu lieben, ohne daß sich eine derselben über Untreue zu beklagen hätte. Agathon hatte in einem Alter von siebzehn Jahren für die Priesterin zu Delphi etwas zu empfinden angefangen, das derjenigen Art von Liebe glich, die (nach dem Ausdruck Fieldings) ein wohl zubereiteter Rostbeef einem Menschen einflößt, der guten Appetit hat. Diese animalische Liebe hatte, eh' er selbst noch wußte was daraus werden könnte, der Zärtlichkeit weichen müssen, welche ihm Psyche einflößte. Die Zuneigung, die er zu diesem liebenswürdigen Geschöpfe trug, war eine Liebe der Sympathie, eine Harmonie der Herzen, eine geheime Verwandtschaft der Seelen, welche sich dem, der sie nicht aus Erfahrung kennt, unmöglich recht beschreiben läßt; eine Liebe, an der das Herz und der Geist mehr Antheil hat als die Sinne, und die vielleicht die einzige Art von Verbindung ist, welche (wofern sie allgemein seyn könnte) den Sterblichen einen Begriff von den Verbindungen und Vergnügungen himmlischer Geister zu geben fähig wäre.Agathon konnte also von dieser gedoppelten Art von Liebe, wovon eine die Antipode der andern ist, aus Erfahrung sprechen; allein diejenige, worin jene beiden sich in einander mischen, die Liebe, welche die Sinne, den Geist und das Herz zugleich bezaubert, die heftigste, die reizendste und gefährlichste aller Leidenschaften, war ihm noch unbekannt. Es ist also wohl kein Wunder, daß sie sich seines ganzen Wesens schon bemeistert hatte, eh' es ihm nur eingefallen war, ihr zu widerstehen.Freilich hätte dasjenige, was in seinem Gemüthe vorging, nachdem er in zwei oder drei Tagen die schöne Danae weder gesehen noch etwas von ihr gehört hatte, den Zustand seines Herzens einem unbefangenen Zuschauer verdächtig gemacht: aber er selbst war weit entfernt das geringste Mißtrauen in die Unschuld seiner Gesinnungen zu setzen. Was ist natürlicher, dachte er, als das Verlangen, das liebenswürdigste aller Wesen, nachdem man es einmal gesehen hat, wieder zu sehen, immer zu sehen? — So urtheilt die Leidenschaft."Aber was sagte denn die Vernunft dazu?" — Die Vernunft? O, die sagte gar nichts.Uebrigens müssen wir doch, es mag nun zur Entschuldigung unsers Helden dienen oder nicht, den Umstand nicht aus der Acht lassen: "daß er von der schönen Danae nichts anders wußte, als was er gesehen hatte." Der Charakter, den ihr die Welt beilegte, war ihm gänzlich unbekannt. Er hatte noch keinen Anlaß, und, die Wahrheit zu sagen, auch kein Verlangen gehabt, sich darnach zu erkundigen. Ihm war genug, daß er sie gesehen hatte. Ein sehr gewöhnlicher Irrthum schob das, was sie in seinen Augen war, dem, was sie selbst war, unter; sie war ihm das vollkommenste was er sich denken konnte: was kümmerte ihn das Urtheil der Welt von ihr?
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Fünftes Buch.

Agathon im Hause der Danae.

Erstes Capitel.

Worin die Absichten des Hippias einen merklichen Schritt machen.

Inzwischen waren ungefähr geht Tage verflossen, welche dem stillschweigenden und melancholischen Agathon, zu großem Vergnügen des boshaften Sophisten, acht Jahrhunderte däuchten, als dieser an einem Morgen zu ihm kam, und ihm mit einer gleichgültigen Art sagte: "Danae hat einen Aufseher über ihre Gärten und Landgüter vonnöthen; was sagst du zu dem Einfall den ich habe, dich an diesen Platz zu setzen? Ich dächte, du solltest dich nicht übel zu einem solchen Amte schicken. Hast du nicht Lust in ihre Dienste zu treten?"Ein Wort, welches Bestürzung und übermäßige Freude, Mißtrauen und Hoffnung, Erblassen und Glühen zu gleicher Zeit ausdrückte, würde uns wohl zu Statten kommen, die Verwirrung auszudrücken, worein diese Anrede den guten Agathon setzte. Sie war zu groß als daß er sogleich hätte antworten können. Allein die Augen des Hippias, in welchen er einen Theil der Bosheit las, die der Sophist zu verbergen sich bemühte, gaben ihm bald die Sprache wieder. — Wenn du Lust hast dich auf diese Art von mir los zu machen, versetzte er mit so vieler Fassung als ihm möglich war, so hab' ich nur Eine Bedenklichkeit."Und diese ist?"Daß ich mich sehr schlecht auf die Landwirthschaft verstehe."Das hat nichts zu bedeuten; du wirst Leute unter dir haben, die sich desto besser darauf verstehen, und dieß ist genug. Im übrigen glaube ich, daß du mit Vergnügen in diesem Hause seyn wirst. Du liebest das Landleben, und du wirst Gelegenheit haben alle seine Annehmlichkeiten zu schmecken. Wenn du es zufrieden bist, so geh' ich, die Sache in Richtigkeit zu bringen."Du hast dir das Recht erkauft, mit mir zu machen was du willst."Die Wahrheit zu sagen, Kallias, ungeachtet der kleinen Mißhelligkeiten unsrer Kopfe, verliere ich dich ungern. Allein Danae scheint es zu wünschen, und ich habe Verbindlichkeiten gegen sie. Sie hat, ich weiß nicht woher, eine große Meinung von deiner Fähigkeit gefaßt; und da ich alle Tage Gelegenheit haben werde dich in ihrem Hause zu sehen, so kann ich mir's um so eher gefallen lassen, dich an eine Freundin abzutreten, von der ich gewiß bin, daß sie dir so begegnen wird wie du es verdienest."Agathon beharrte in seinem angenommenen Tone von Gleichgültigkeit, und Hippias, dem es Mühe kostete die Spöttereien zurück zu halten, die ihm alle Augenblicke auf die Lippen kamen, verließ ihn, ohne sich merken zu lassen, daß er wüßte was er von dieser Gleichgültigkeit denken sollte.Das Betragen Agathons bei diesem Anlaß wird ihn vielleicht in den Verdacht setzen, daß er sich bewußt gewesen sey, es stehe nicht so gar richtig in seinem Herzen. Denn warum hätte er sonst nöthig gehabt sich zu verbergen? Allein man muß sich seiner gegen den Sophisten gefaßten Vorurtheile erinnern, um zu sehen, daß er vollkommen in seinem Charakter blieb, indem er Empfindungen vor ihm zu verbergen suchte, die einem so unverbesserlichen Anti-Platon ganz unverständlich oder vollkommen lächerlich gewesen wären. Die Freude, welcher er sich überließ sobald er wieder allein war, läßt uns keinen Zweifel übrig, daß er damals noch nicht das geringste Mißtrauen in sein Herz gesetzt habe.Diese Freude war über allen Ausdruck. Liebhaber von einer gewissen Art können sich eine Vorstellung davon machen, welche der allerbesten Beschreibung werth ist; und den übrigen würde diese Beschreibung ungefähr so viel helfen als eine Seekarte einem Fußgänger. Die unvergleichliche Danae wieder zu sehen, nicht nur wieder zu sehen, in ihrem Hause zu seyn, unter ihren Augen zu leben, ihres Umgangs zu genießen, vielleicht — ihrer Freundschaft gewürdiget zu werden —hier hielt seine entzückte Einbildungskraft stille. Die Hoffnungen eines gewöhnlichen Liebhabers würden weiter gegangen seyn; allein Agathon war kein gewöhnlicher Liebhaber. Ich liebe die schöne Danae, sagte Hyacinthus, da er nach ihrem Genuß lüstern war. Eben darum liebst du sie nicht, würde ihm die Sokratische Diotima geantwortet haben. "Derjenige, der in dem Augenblicke, da ihm seine Geliebte den ersten Kuß auf ihre Hand gestattet, einen Wunsch nach einer größern Glückseligkeit hat, muß nicht sagen daß er liebe."
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Zweites Capitel.

Veränderung der Scene.

Danae besaß durch die Freigebigkeit des Prinzen Cyrus, außer dem Hause welches sie zu Smyrna bewohnte, ein Landgut in der anmuthigsten Gegend außerhalb der Stadt, wo sie von Zeit zu Zeit einige dem Vergnügen geweihte Tage zuzubringen pflegte. Hierher mußte sich Agathon begeben, um von seinem neuen Amte Besitz zu nehmen, und dasjenige zu veranstalten, was zum Empfang seiner Gebieterin nöthig war, welche sich vorgenommen hatte, den Rest der schönen Jahreszeit auf dem Lande zu genießen.Wir widerstehen der Versuchung eine Beschreibung von diesem Landgute zu machen, um dem Leser das Vergnügen zu lassen, sich dasselbe so wohl angelegt, so prächtig und so angenehm vorzustellen als er selbst will. Alles was wir davon sagen wollen ist, daß diejenigen, deren Einbildungskraft einiger Unterstützung nöthig hat, den sechzehnten Gesang des befreiten Jerusalems lesen müßten, um sich eine Vorstellung von dem Orte zu machen, den sich diese Griechische Armide zum Schauplatz der Siege auswählte, die sie über unsern Helden zu erhalten hoffte. Sie fand nicht für gut, oder konnte es nicht über sich selbst erhalten, ihn lange auf ihre Ankunft warten zu lassen: und sie war kaum angelangt, als sie ihn zu sich rufen ließ, und ihn durch folgende Anrede in eine angenehme Bestürzung setzte: die Bekanntschaft, die wir vor einigen Tagen mit einander gemacht haben, wäre, auch ohne die Nachrichten die mir Hippias von dir gegeben, schon genug gewesen, mich zu überzeugen, daß du für den Stand nicht geboren bist, in den dich ein widriger Zufall gesetzt hat. Die Gerechtigkeit, die ich Personen von Verdiensten widerfahren zu lassen fähig bin, gab mir das Verlangen ein, dich aus einem Verhältnisse gegen Hippias zu setzen, welches dir die Verschiedenheit deiner Denkungsart von der seinigen in die Länge beschwerlich gemacht haben würde. Er hatte die Gefälligkeit, dich mir als eine Person vorzuschlagen, die sich schickte die Stelle eines Aufsehers in meinem Hause zu vertreten. Ich nahm sein Erbieten an, um das Vergnügen zu haben den Gebrauch davon zu machen, den ich deinen Verdiensten und meiner Denkungsart schuldig bin. Du bist frei, Kallias, und vollkommen Herr zu thun was du für gut befindest. Kann die Freundschaft, die ich dir anbiete, dich bewegen bei mir zu bleiben, so wird der Name eines Amtes, von dessen Pflichten ich dich völlig freispreche, wenigstens dazu dienen, der Welt eine begreifliche Ursache zu geben, warum du in meinem Hause bist. Wo nicht, so soll das Vergnügen, womit ich zu Beförderung der Entwürfe, die du wegen deines künftigen Lebens machen kannst, die Hand bieten werde, dich von der Lauterkeit der Bewegungsgründe überzeugen, welche mich so gegen dich zu handeln angetrieben haben."Die edle und ungezwungene Anmuth, womit dieses gesprochen wurde, vollendete die Wirkung, die eine so großmüthige Erklärung auf den empfindungsvollen Agathon machen mußte. Was für eine Art zu denken! Was für eine Seele! — Konnt' er weniger thun, als sich zu ihren Füßen werfen, um in Ausdrücken, deren Verwirrung ihre ganze Beredsamkeit ausmachte, der Bewunderung und der Dankbarkeit den Lauf zu lassen, deren Uebermaß seine Brust zu zersprengen drohte? — Keine Danksagungen, Kallias, unterbrach ihn die großmüthige Danae; was ich gethan habe, ist nicht mehr, als ich einem jeden andern, der deine Verdienste hätte, eben so wohl schuldig zu seyn glaubte. — Ich habe keine Ausdrücke für das was ich empfinde, anbetungswürdige Danae, rief der entzückte Agathon: ich nehme dein Geschenk an, um das Vergnügen zu genießen dein freiwilliger Sklave zu seyn; eine Ehre, gegen welche ich die Krone des Königs von Persien verschmähen würde. Ja schönste Danae, seitdem ich dich gesehen habe, kenne ich kein größeres Glück als dich zu sehen; und wenn alles, was ich in deinem Dienste thun kann, fähig wäre, dich von der unaussprechlichen Empfindung, die ich von deinem Werthe habe, zu überzeugen, — würdig wäre mit einem zufriednen Blicke von dir belohnt zu werden, — o Danae! wer würde dann so glücklich seyn als ich? — Laß uns, sagte die bescheidne Nymphe, ein Gespräch enden, das die allzu große Dankbarkeit deines Herzens auf einen zu hohen Ton gestimmt hat. Ich habe dir gesagt, auf was für einem Fuß du hier seyn wirst. Ich sehe dich als einen Freund meines Hauses an, dessen Gegenwart mir Vergnügen macht, dessen Werth ich doch schätze, und dessen Dienste mir in meinen Angelegenheiten desto nützlicher seyn können, da sie freiwillige und die Frucht einer uneigennützigen Freundschaft seyn werden.Mit diesen Worten verließ sie den dankbaren Agathon, — in dessen Erklärung einige vielleicht Schwurst und Unsinn, oder wenigstens zu viel Feuer und Entzückung gefunden haben werden. Allein sie werden sich zu erinnern belieben, daß Agathon weder in einer so gelassenen Gemüthsverfassung war wie sie, noch alles wußte, was sie durch unsere Verrätherei von der schönen Danae erfahren haben. Wir wissen freilich was wir ungefähr von ihr denken sollen; allein in seinen Augen war sie eine Göttin, und, zu ihren Füßen liegend, konnte er, zumal bei der Verbindlichkeit die er ihr hatte, natürlicher Weise diese Danae nicht mit der philosophischen Gleichgültigkeit ansehen, womit wir andern — sie nicht sehen.Agathon war nun also ein Hausgenosse der schönen Danae, und entfaltete mit jedem Tage neue Verdienste, die ihn dieses Glückes würdig zeigten, und die seine geringe Achtung für den Hippias ihn verhindert hatte in dessen Hause sehen zu lassen. Da, nebst den besondern Ergötzungen des Landlebens, diese feinere Art von Belustigungen, an denen der Witz und die Musen den meisten Antheil haben, die hauptsächlichste Beschäftigung war, wozu man die Zeit in diesem angenehmen Aufenthalt anwandte: so hatte er Gelegenheit genug, seine Talente von dieser Seite schimmern zu lassen. Seine bezauberte Phantasie gab ihm so viel Erfindungen an die Hand, daß er keine andre Mühe hatte als diejenigen auszuwählen, die er am geschicktesten glaubte, seine Gebieterin und die kleine Gesellschaft von vertrauten Freunden, die sich bei ihr einfanden, zu ergötzen. So weit war es schon mit demjenigen gekommen, der vor wenigen Tagen es für eine geringschätzige Bestimmung hielt, in der Person eines unschuldigen Vorlesers die Ionischen Ohren zu bezaubern.In der That können wir länger nicht verbergen, daß diese unbeschreibliche Empfindung (wie er dasjenige nannte was ihm die schöne Danae eingeflößt hatte), dieses ich weiß nicht was, welches wir (so wenig er es auch gestanden hätte) ganz ungescheuet Liebe nennen wollen, in dem Laufe von wenigen Tagen so sehr gewachsen war, daß einem jeden andern als einem Agathon die Augen über den wahren Zustand seines Herzens hätten aufgehen müssen. Und ungeachtet wir besorgen müssen, daß die Umständlichkeit unserer Erzählung bei diesem Theile seiner Geschichte den ernsthaftern unter unsern Lesern langweilig vorkommen werde: so können wir uns doch nicht entbrechen, von dem Wie? und Warum? dieser schnellen Veränderung genauere Rechenschaft zu geben. Alle Achtung, die wir den besagten ernsthaften Lesern schuldig sind, kann und darf uns nicht verhindern, als etwas Mögliches anzunehmen, daß diese Geschichte vielleicht künftig einem jungen noch nicht ganz ausgebrüteten Agathon in die Hände fallen könnte, der aus einer genauern Beschreibung der Veränderungen, welche die Göttin Danae nach und nach in dem Herzen und der Denkungsart unsers Helden hervorgebracht, sich gewisse Beobachtungen und Cautelen ziehen könnte, von welchen er guten Gebrauch zu machen Gelegenheit bekommen möchte. Wir glauben also, wenn wir, diesem zukünftigen Agathon zu Gefallen, uns die Mühe nehmen, der Leidenschaft unsers Helden, von der Quelle an, in ihrem wiewohl noch geheimen Laufe nachzugehen, desto eher entschuldiget zu seyn, da es allen übrigen, die mit diesen Anekdoten nichts zu machen wissen, frei steht, das folgende Kapitel zu überschlagen.
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Drittes Capitel.

Natürliche Geschichte der platonischen Liebe.

Die Quelle der Liebe (sagt Zoroaster, oder hätte es doch sagen können) ist das Anschauen eines Gegenstandes, der unsere Einbildungskraft bezaubert.Der Wunsch diesen Gegenstand immer anzuschauen, ist der erste Grad derselben.Je bezauberter dieses Anschauen ist und je mehr die an dieses Bild der Vollkommenheit angeheftete Seele daran zu entdecken und zu bewundern findet, desto länger bleibt sie in den Gränzen dieses ersten Grades der Liebe stehen.Dasjenige, was sie hierbei erfährt, kommt anfangs demjenigen außerordentlichen Zustand ganz nahe, den man Verzückung nennt. Alle andern Sinnen, alle thätigen Kräfte der Seele scheinen stille zu stehen, und in einen einzigen Blick, worin man keiner Zeitfolge gewahr wird, verschlungen zu seyn.Dieser Zustand ist zu gewaltsam, als daß er lange dauern könnte.Langsamer oder schneller macht er dem Bewußtseyn eines unaussprechlichen Vergnügens Platz, welches die natürliche Folge jenes ekstatischen Anschauens ist, und wovon (wie einige Adepten uns versichert haben) keine andre Art von Vergnügen oder Wollust uns einen bessern Begriff geben kann, als der unreine und düstre Schein einer Pechfackel von der Klarheit des unkörperlichen Lichts, worin (ihrer Meinung nach) die Geister als in ihrem Elemente leben.Dieses innerliche Vergnügen äußert sich bald durch die Veränderungen, die es in dem mechanischen Theil unsers Wesens hervorbringt. Es wallt mit hüpfender Munterkeit in unsern Adern, es schimmert aus unsern Augen, es gießt eine lächelnde Heiterkeit über unser Gesicht, gibt allen unsern Bewegungen eine neue Lebhaftigkeit und Anmuth, stimmt und erhöhet alle Kräfte unsrer Seele, belebt das Spiel der Phantasie und des Witzes, und kleidet, so zu sagen, alle unsre Ideen in den Schimmer und die Farbe der Liebe.Ein Liebhaber ist in diesem Augenblicke mehr als ein gewöhnlicher Mensch; er ist (wie Plato sagt) von einer Gottheit voll, die aus ihm redet und wirket; und es ist keine Vollkommenheit, keine Tugend, keine Heldenthat so groß, wozu er in diesem Stande der Begeisterung und unter den Augen des geliebten Gegenstandes nicht fähig wäre.Dieser Zustand dauert noch fort, wenn er gleich von demselben entfernt wird, und das Bild desselben, das seine ganze Seele auszufüllen scheint, ist so lebhaft, daß es einiger Zeit bedarf bis er der Abwesenheit des Urbildes gewahr wird.Aber kaum empfindet die Seele diese Abwesenheit, so verschwindet jenes Vergnügen mit seinem ganzen Zaubergefolge; man erfährt in immer zunehmenden Graden das Gegentheil von allen Wirkungen der vorbesagten Begeisterung; und derjenige, der vor kurzem mehr als ein Mensch schien, scheint nun nichts als der Schatten von sich selbst, ohne Leben, ohne Geist, zu nichts geschickt als in einöden Wildnissen wie ein Gespenst umher zu irren, den Namen seiner Göttin in Felsen einzugraben und den tauben Bäumen seine Schmerzen vorzuseufzen.Ein kläglicher Zustand, in Wahrheit, wenn nicht ein einziger Blick des Gegenstandes, von dem diese seltsame Bezauberung herrührt, hinlänglich wäre, in einem Wink diesem Schatten wieder einen Leib, dem Leib eine Seele, und der Seele diese Begeisterung wieder zu geben, durch welche sie, ohne Beobachtung einiger Stufenfolge, von der Verzweiflung zu unermeßlicher Wonne übergeht.Wenn Agathon dieses alles nicht völlig in so hohem Grad erfuhr, als andere seiner Art, so muß es vermuthlich allein dem Einflusse beigemessen werden, welchen seine geliebte Psyche noch in dasjenige hatte, was in seinem Herzen vorging.Allein wir müssen gestehen, dieser Einfluß wurde immer schwächer; die lebhaften Farben, womit ihr Bild seiner Einbildung bisher vorgeschwebt hatte, wurden immer matter; und anstatt daß ihn sonst sein Herz an sie erinnerte, mußte es ist durch einen Zufall geschehen.Endlich verschwand dieses Bild gänzlich. Psyche hörte auf für ihn da zu seyn; ja kaum erinnerte er sich alles dessen, was vor seiner Bekanntschaft mit der schönen Danae vorgegangen war, anders als wie ein erwachsener Mensch sich seiner ersten Kindheit erinnert.Es ist also leicht zu begreifen, daß seine ganze vormalige Art zu empfinden und zu seyn einige Veränderung erlitt, und die Farbe und den Ton des Gegenstandes bekam, der mit einer so unumschränkten Macht über ihn herrschte.Sein ernsthaftes Wesen machte nach und nach einer gewissen Munterkeit Platz, die ihm vieles, das er ehemals gemißbilliget hatte, in einem günstigern Lichte zeigte; seine Sittenlehre wurde unvermerkt freier und gefälliger, und seine ehemaligen Freunde, die ätherischen Geister, wenn sie ja noch einigen Zutritt bei ihm hatten, mußten sich gefallen lassen, die Gestalt der schönen Danae anzunehmen, um vorgelassen zu werden. Vor Begierde der Beherrscherin seines Herzens zu gefallen vergaß er, sich um den Beifall unsichtbarer Zuschauer seines Lebens zu bekümmern; und der Zustand der entkörperten Seelen däuchte ihn nicht mehr so beneidenswürdig, seitdem er, ohne seinen Leib abgelegt zu haben, im Anschauen dieser irdischen Göttin ein Vergnügen genoß, welches alle seine Einbildungen überstieg.Der Wunsch immer bei ihr zu seyn, war nun erfüllt. Dem zweiten, der auf diesen gefolgt seyn würde, dem Verlangen ihre Freundschaft zu besitzen, war sie selbst gleich anfangs großmüthiger Weise zuvorgekommen; und die verbindliche und vertraute Art, wie sie etliche Tage lang mit ihm umging, ließ ihm von dieser Seite nichts zu wünschen übrig.Da er nun ihre Freundschaft hatte, so wünschte er auch ihre Liebe zu haben."Jhre Liebe?" — Ja, aber eine Liebe, wie nur die Einbildungskraft eines Agathons fähig ist sich vorzustellen. Kurz, da er anfing zu merken, daß er sie liebe, so wünschte er wieder geliebt zu werden. Allein er liebte sie mit einer so uneigennützigen, so geistigen, so begierdefreien Liebe, daß sein kühnster Wunsch nicht weiter ging, als in jener sympathetischen Verbindung der Seelen mit ihr zu stehen, wovon ihm Psyche die Erfahrung gegeben hatte. Wie angenehm (dachte er), wie entzückungsvoll, wie sehr über alles, was die Sprache der Sterblichen ausdrücken kann, müßte eine solche Sympathie mit einer Danae seyn, da sie mit Psychen schon so angenehm gewesen war!Zum Unglück für unsern Platoniker war dieß ein Plan, wozu Danae sich nicht so gut anließ, als er es gewünscht hatte. Denn sie fuhr immer fort, sich in den Gränzen der Freundschaft zu halten: es sey nun, daß sie nicht geistig genug war, sich von der intellectuellen Liebe einen rechten Begriff zu machen; oder daß sie es lächerlich fand, in ihrem Alter und mit ihrer Figur eine Rolle zu spielen, welche sich nur für Personen, die im Bade keine Besuche mehr annehmen, zu schicken schien. Zwar hatte sie zu viel Bescheidenheit, sich über diesen letztern Punkt deutlich zu erklären, aber es fehlte ihr doch nicht an Wendungen, ihm ihre Gedanken von der Sache auf eine feine Art zu verstehen zu geben. Gewisse kleine Nachlässigkeiten in ihrem Putz, ein verrätherischer Zephyr, oder ihr Sperling, der, wenn sie neben Agathon auf einer Ruhebank saß, mit muthwilligem Schnabel an dem Gewand zerrte, das zu ihren Füßen herab floß, schienen oft seiner ätherischen Liebe spotten, und ihm Aufmunterungen geben zu wollen, deren ein minder bezauberter Liebhaber nicht bedurft hätte.Sie hatte Ursache mit dem Erfolg dieser kleinen Kunstgriffe zufrieden zu seyn. Agathon, welcher gewohnt war den Leib und die Seele als zwei verschiedene Wesen zu betrachten, und in dessen Augen Danae eine geraume Zeit nichts anders als, nach dem Ausdrucke des Guidi, eine himmlische Schönheit in einem irdischen Schleier gewesen war, vermengte diese beiden Wesen je länger je mehr in seiner Vorstellung mit einander; und er konnte es desto leichter, da in der That alle körperlichen Schönheiten seiner Göttin so beseelt, und alle Schönheiten ihrer Seele so verkörpert waren, daß es beinahe unmöglich war, sich die einen ohne die andern vorzustellen.Dieser Umstand brachte zwar keine wesentliche Veränderung in seiner Art zu lieben hervor: doch ist gewiß, daß er nicht wenig dazu beitrug, ihn unvermerkt in eine Verfassung zu setzen, welche die Absichten der schlauen Danae mehr zu begünstigen als abzuschreiben schien.O du, für den wir aus großmüthiger Freundschaft uns die Mühe gegeben haben, dieses dir allein gewidmete Kapitel zu schreiben, halte hier ein und frage dein Herz! Wenn du eine Danae gefunden hast — armer Jüngling! welche Molly Seagrim kann es nicht in deinen bezauberten Augen seyn! — und du verstehest den Schluß dieses Capitels, so kommt unsre Warnung schon zu spät. Du bist verloren! Fliehe in diesem Augenblicke, fliehe und ersticke den Wunsch sie wieder zu sehen! Wenn du dieß nicht kannst; wenn du, nachdem du diese Warnung gelesen, nicht willst: so bist du kein Agathon mehr, so bist du was wir andern alle sind; thue was du willst, es ist nichts mehr an dir zu verderben.

Viertes Capitel.

Neue Talente der schönen Danae.

Danae war weit entfernt, gleichgültig gegen die Vorzüge des Kallias zu seyn, oder (die Sache unverhohlen zu sagen) es kostete ihr vielmehr einige Mühe ihm zu verbergen, wie sehr sie von seiner Liebe gerührt war, und wie gern sie sich dieselbe zu Nutze gemacht hätte. Allein aus einem Agathon einen Alcibiades zu machen, konnte nicht das Werk von etlichen Tagen seyn; zumal da er durch unmerkliche Schritte, und ohne daß sie selbst etwas dabei zu thun schien, zu einer so großen Veränderung gebracht werden mußte, wenn sie anders dauerhaft seyn sollte.Die große Kunst war also, unter der Maske der Freundschaft seine Begierden zu eben der Zeit zu reizen, da sie selbige durch eine unaffectirte Zurückhaltung abzuschreiben schien.Allein auch dieß war nicht genug; er mußte vorher die Macht verlieren zu widerstehen, wenn der Augenblick einmal gekommen seyn würde, da sie die ganze Gewalt ihrer Reizungen an ihm zu prüfen entschlossen war. Eine zärtliche Weichlichkeit mußte sich vorher seiner ganzen Seele bemeistern, und seine in Vergnügen schwimmenden Sinne mußten von einer süßen Unruhe und wollüstigen Sehnsucht eingenommen werden, ehe sie es wagen durfte, einen Versuch zu machen, der, wenn er zu früh gemacht worden wäre, gar leicht ihren ganzen Plan hätte vereiteln können.Zum Unglück für unsern Helden ersparte ihr die magische Kraft seiner Einbildung die Hälfte der Mühe, welche sie aus einem Uebermaß von Freundschaft anwenden wollte, ihm die Verwandlung, die mit ihm vorgehen sollte, zu verbergen. Ein Lächeln seiner Göttin war genug ihn in Vergnügen zu zerschmelzen; ihre Blicke schienen ihm einen überirdischen Glanz über alle Gegenstände auszugießen, und ihr Athem der ganzen Natur den Geist der Liebe einzuhauchen. Was mußte also aus ihm werden, da sie zu Vollendung ihres Sieges alles anwendete, was auch den unempfindlichsten unter allen Menschen zu ihren Füßen hätte legen können.Agathon wußte noch nicht, daß sie die Laute spielte und in der Musik eine eben so große Virtuosin als in der Tanzkunst war. Die ländlichen Feste und Lustbarkeiten, in deren Erfindung er unerschöpflich war, gaben ihr Anlaß, ihn durch Entdeckung dieser neuen Reizungen in Erstaunen zu setzen. Es ist billig, sagte sie zu ihm, daß ich deine Bemühungen mir Vergnügen zu machen durch eine Erfindung von meiner Art erwiedere. Diesen Abend will ich dir den Wettstreit der Sirenen mit den Musen geben, ein Stück des berühmten Dämons, das ich noch von Aspasiens Zeiten übrig habe, und das von den Kennern für das Meisterstück der Tonkunst erklärt wurde. Die Anstalten sind schon dazu gemacht, und du allein sollst der Zuhörer und Richter dieses Wettgesangs seyn.Niemals hatte dem Agathon eine Zeit länger gedäucht, als die wenigen Stunden, die er in Erwartung dieses versprochenen Vergnügens zubrachte. Danae hatte ihn verlassen, um durch ein erfrischendes Bad ihrer Schönheit einen neuen Glanz zu geben, indessen daß er die verschwindenden Strahlen der untergehenden Sonne einen nach dem andern zu zählen schien. Endlich kam die angesetzte Stunde.Der schönste Tag hatte der anmuthigsten Nacht Platz gemacht, und eine süße Dämmerung hatte schon die ganze schlummernde Natur eingeschleiert: als plötzlich ein zauberischer Tag, von einer unendlichen Menge künstlich versteckter Lampen verursacht, den reizenden Schauplatz erhellte, welchen die Fee des Orts zu diesem Lustspiel hatte zubereiten lassen.Eine mit Lorberbäumen beschattete Anhöhe erhob sich aus einem großen spiegelhellen Teiche, der mit Marmor gepflastert, und ringsum mit Myrten und Rosenhecken eingefaßt war, Kleine Quellen schlängelten den Lorberhain herab, und rieselten mit sanftem Gemurmel in den Teich hinab, an dessen Ufer hier und da kleine Grotten, mit Korallenmuscheln und andern Seegewächsen ausgeschmückt, hervor ragten, und die Wohnung der Nymphen dieses Wassers zu seyn schienen. Ein kleiner Nachen in Gestalt einer Perlenmuschel, von einem marmornen Triton empor gehalten, stand der Anhöhe gegenüber am Ufer, und war der Sitz, auf welchem Agathon als Richter dem Wettgesang zuhören sollte.
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Fünftes Capitel.

Magische Kraft der Musik.

Agathon hatte seinen Platz kaum eingenommen, als man ein plätscherndes Gewühl im Wasser, und aus der Ferne eine sanft zerflossene Harmonie von allen Arten musikalischer Instrumente hörte, ohne zu sehen woher sie kam. Unser Liebhaber wurde, ungeachtet er zu diesem Spiele vorbereitet war, zu glauben versucht, daß sein inneres Ohr der Harmonie der Sphären aufgethan worden sey, deren Wirklichkeit ihn die Pythagorischen Weisen schon in seiner frühesten Jugend glauben gelehrt hatten. Während dieses liebliche Getön immer näher kam, sah er zu gleicher Zeit die Musen aus dem kleinen Lorberwäldchen und die Sirenen aus ihren Grotten hervor kommen. Danae hatte die jüngsten und schönsten aus ihren Aufwärterinnen ausgelesen, diese Meernymphen vorzustellen, welche, nur von einem wallenden Streif von himmelblauem Byssus umflattert, mit Cithern und Flöten in der Hand sich über die Wellen erhoben, und mit jugendlichem Stolz untadelige Schönheiten vor den Augen ihrer eifersüchtigen Gespielen entdeckten. Kleine Tritonen bliesen, um sie her schwimmend, aus krummen Hörnern, und neckten sie durch muthwillige Spiele; indessen Danae mitten unter den Musen an den Rand der kleinen Halbinsel herab stieg, und, wie Venus unter den Grazien oder Diana unter ihren Nymphen hervor glänzend, dem Auge keine Freiheit ließ auf einem andern Gegenstande zu verweilen. Ein langes schneeweißes Gewand, unter dem halb enthüllten Busen mit einem goldnen Gürtel umfaßt, floß in leicht wallenden Falten zu ihren Füßen herab; ein Kranz von Rosen wand sich um ihre Locken, wovon ein Theil in kunstloser Anmuth um ihren Nacken schwebte; ihr rechter Arm, auf dessen Weiße und Schönheit Homers Juno hätte eifersüchtig werden können, umfaßte eine Laute von Elfenbein. Die übrigen Musen, mit verschiednen Saiteninstrumenten versehen, lagerten sich zu ihren Füßen; sie allein blieb in unnachahmlich reizender Stellung stehen und hörte der Aufforderung zu, welche die übermüthigen Sirenen ihr entgegen sangen.Man muß gestehen, das Gemälde, welches sich in diesem Augenblick unserm Helden darstellte, war nicht sehr geschickt weder sein Herz noch seine Sinnen in Ruhe zu lassen. Gleichwohl war die Absicht der Danae nur, ihn durch die Augen zu den Vergnügungen des Gehörs vorzubereiten, und ihr Stolz verlangte keinen geringern Triumph, als ein so reizendes Gemälde durch die Zaubergewalt ihrer Stimme und ihrer Saiten in seiner Seele auszulöschen.Sie schmeichelte sich nicht zu viel. Die Sirenen hörten auf zu singen, und die Musen antworteten ihrer Aufforderung durch eine Symphonie, welche auszudrücken schien, wie gewiß sie sich des Sieges hielten. Nach und nach verlor sich die Munterkeit, die in dieser Symphonie herrschte; ein feierlicher Ernst nahm ihren Platz ein; das Getön wurde immer einförmiger, bis es endlich in ein dunkles gedämpftes Murmeln, und zuletzt in eine gänzliche Stille erstarb. Allgemeines Erwarten schien dem Erfolg dieser vorbereitenden Stille entgegen zu horchen: als es auf einmal durch eine liebliche Harmonie unterbrochen wurde, welche die geflügelten und seelenvollen Finger der schönen Danae aus ihrer Laute lockten. Eine Stimme, welche fähig schien die Seelen ihren Leibern zu entführen und Todte wieder zu beseelen (wenn wir einen Ausdruck des Liebhabers der schönen Laura entlehnen dürfen), beseelte diese reizende Anrede. Der Inhalt des Wettgesangs war ein Streit über den Vorzug der Liebe die sich auf die Empfindung, oder derjenigen die sich auf die bloße Begierde gründet. Nichts konnte rührender seyn als das Gemälde, welches Danae von der ersten Art der Liebe machte. In solchen Tönen, dachte Agathon, ganz gewiß in keinen andern, sagen die Unsterblichen einander was sie empfinden; nur eine solche Sprache ist der Götter würdig! Die ganze Zeit, da dieser Gesang dauerte, däuchte ihn ein Augenblick, und er wurde ganz unwillig, als Danae aufhörte, und eine der Sirenen, von den Flöten ihrer Schwestern begleitet, verwegen genug war, es mit seiner Göttin aufzunehmen. Doch er wurde bald gezwungen andres Sinnes zu werden, als er sie hörte; alle seine Vorurtheile für die Muse konnten ihn nicht verhindern sich selbst zu gestehen, daß eine fast unwiderstehliche Verführung in ihren Tönen athmete. Ihre Stimme, die an Weichheit und Biegsamkeit nicht übertroffen werden konnte, schien alle Grade der Entzückungen auszubrüten, deren die sinnliche Liebe fähig ist; und das wollüstige Getön der Flöten erhöhte die Lebhaftigkeit dieses Ausdrucks auf einen Grad, der kaum einen Unterschied zwischen der Nachahmung und der Wahrheit übrig ließ. Wenn die Sirenen, bei welchen der kluge Ulysses vorbeifahren mußte, so gesungen haben (dachte Agathon), so hatte er wohl Ursache sich an Händen und Füßen an den Mastbaum binden zu lassen.Kaum hatten die Verführerinnen ihren Gesang geendiget, so erhob sich ein frohlockendes Klatschen aus dem Wasser, und die kleinen Tritonen stießen in ihre Hörner, den Sieg anzudeuten, den sie über die Musen erhalten zu haben glaubten. Allein diese hatten den Muth nicht verloren: sie ermunterten sich bald wieder, indem sie eine Symphonie anfingen, welche eine spottende Nachahmung des Gesanges der Sirenen zu seyn schien. Nach einer Weile wechselten sie die Tonart und das Zeitmaß, und gingen zu einem Adagio über, welches gar bald keine Spur von den Eindrücken übrig ließ, die der Sirenen Gesang auf das Gemüthe der Hörenden gemacht haben konnte. Eine süße Schwermuth bemächtigte sich Agathons, er sank in ein angenehmes Staunen, unfreiwillige Seufzer entflohen seiner Brust, und wollüstige Thränen rollten über seine Wangen herab.Mitten aus dieser rührenden Harmonie erhob sich der Gesang der schönen Danae, welche durch die eifersüchtigen Bestrebungen ihrer Nebenbuhlerin aufgefordert war, die ganze Vollkommenheit ihrer Stimme und alle Zauberkräfte der Kunst anzuwenden, um den Sieg gänzlich auf die Seite der Musen zu entscheiden. Ihr Gesang schilderte die rührenden Schmerzen einer wahren Liebe, die in ihren Schmerzen selbst ein melancholisches Vergnügen findet, ihre standhafte Treue, und die Belohnung, die sie zuletzt von der zärtlichsten Gegenliebe erhält. Die Art wie sie dieses ausführte, oder vielmehr die Eindrücke, die sie dadurch auf ihren Liebhaber machte, übertrafen alles, was inan sich davon vorstellen kann. Alle seine Sinne waren Ohr, während sein ganzes Herz in die Empfindungen zerfloß, die in ihrem Gesange herrschten. Er war nicht so weit entfernt, daß Danae nicht bemerkt hätte, wie sehr er außer sich selbst war, wie viel Gewalt er sich anthun mußte, um nicht aus seinem Sitz in die Flut herab zu stürzen, zu ihrhinüber zu schwimmen und seine in Entzücken und Liebe zerschmolzene Seele zu ihren Füßen auszuhauchen. Sie wurde durch diesen Anblick selbst so gerührt, daß sie genöthiget war die Augen von ihm abzuwerden, um ihren Gesang vollenden zu können: allein sie beschloß bei sich selbst, die Belohnung nicht länger aufzuschieben, welche sie einer so vollkommenen Liebe schuldig zu seyn glaubte.Endlich endigte sich ihr Lied; die begleitende Symphonie hörte auf; die beschämten Sirenen flohen in ihre Grotten; die Musen verschwanden; und der staunende Agathon blieb in trauriger Entzückung allein.
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Sechstes Capitel.

Eine Abschweifung, welche zum Folgenden vorbereitet.

Wir können die Verlegenheit nicht verbergen, in welche wir uns durch die Umstände gesetzt finden, worin wir unsern Helden zu Ende des vorigen Capitels verlassen haben. Sie drohen dem erhabnen Charakter, den er bisher mit rühmlicher Standhaftigkeit behauptet, und wodurch er sich billig in eine nicht gemeine Hochachtung bei unsern Lesern gesetzt hat, einen Abfall, der allen, die von einem Helden eine vollkommene Tugend fordern, eben so anstößig seyn muß, als ob sie, nach dem was bereits mit ihm vorgegangen, natürlicher Weise etwas Besseres hätten erwarten können.Wie groß ist in diesem Stücke der Vortheil eines Romanendichters vor demjenigen, welcher sich anheischig gemacht hat, ohne Vorurtheil oder Parteilichkeit, mit Verläugnung des Ruhms, den er vieleicht durch Verschönerung seiner Charakter und durch Erhebung des Natürlichen ins Wunderbare sich hätte erwerben können, der Natur und Wahrheit in gewissenhafter Aufrichtigkeit durchaus getreu zu bleiben! Wenn jener die ganze gränzenlose Welt des Möglichen zu freiem Gebrauch vor sich ausgebreitet sieht; wenn seine Dichtungen durch den mächtigen Reiz des Erhabnen und Erstaunlichen schon sicher genug sind, unsere Einbildungskraft auf seine Seite zu bringen; wenn schon der kleinste Schein von Uebereinstimmung mit der Natur hinlänglich ist, die zahlreichen Freunde des Wunderbaren von ihrer Möglichkeit zu überzeugen: ja, wenn sie ihm volle Freiheit geben die Natur selbst umzuschaffen, und, als ein anderer Prometheus, den geschmeidigen Thon, aus welchem er seine Halbgötter und Halbgöttinnen bildet, zu gestalten wie es ihm beliebt, oder wie es die Absicht, die er auf uns haben mag, erheischet: so sieht sich hingegen der arme Geschichtschreiber genöthiget, auf einem engen Pfade Schritt vor Schritt in die Fußstapfen der vor ihm her gehenden Wahrheit einzutreten, jeden Gegenstand so groß oder so klein, so schön oder so häßlich, wie er ihn findet, abzumalen; die Wirkungen so anzugeben, wie sie kraft der unveränderlichen Gesetze der Natur aus ihren Ursachen herfließen; und wenn er seiner Pflicht ein völliges Genüge gethan hat, muß er sich gefallen lassen, daß man seinen Helden am Ende um wenig oder nichts schätzbarer findet, als der schlechteste unter seinen Lesern sich ungefähr selbst zu schätzen pflegt.Vielleicht ist kein unfehlbares Mittel, mit dem wenigsten Aufwande von Genie, Wissenschaft und Erfahrenheit ein gepriesener Schriftsteller zu werden, als wenn man sich damit abgibt, Menschen (denn Menschen sollen es doch seyn) ohne Leidenschaften, ohne Schwachheit, ohne alle Mängel und Gebrechen, durch etliche Bände voll wunderreicher Abenteuer, in der einförmigsten Gleichheit mit sich selbst, herum zu führen. Eh' ihr es euch verseht, ist ein Buch fertig, das durch den Ton einer strengen Sittenlehre, durch blendende Sentenzen, durch Personen und Handlungen, die eben so viele Muster sind, den Beifall aller der gutherzigen Leute überrascht, welche jedes Buch, das die Tugend anpreist, vortrefflich finden. Und was für einen Beifall kann sich erst ein solches Werk versprechen, wenn der Verfasser die Kunst oder die natürliche Gabe besitzt, seine Schreibart auf den Ton der Begeisterung zu stimmen, und, verliebt in die schönen Geschöpfe seiner erhitzten Einbildungskraft, die Meinung von sich zu erwecken, daß er's in die Tugend selber sey! Umsonst mag dann ein verdächtiger Kunstrichter sich heiser schreien, daß ein solches Werk eben so wenig für die Talente seines Urhebers beweise, als es der Welt Nutzen schaffe; umsonst mag er vorstellen, wie leicht es sey, die Definitionen eines Auszugs der Sittenlehre in Personen, und die Maximen des Epiktets in Handlungen zu verwandeln; umsonst mag er beweisen, daß die unfruchtbare Bewunderung einer Vollkommenheit, welche man zu erreichen eben so wenig wahren Vorsatz als Vermögen hat, das äußerste sey, was diese wackeren Leute von ihren Bemühungen zum Besten einer ungelehrigen Welt erwarten können: der weisere Tadler heißt ihnen ein Zoilus, und hat von Glück zu sagen, wenn das Urtheil, das er von einem so moralischen Werke des Witzes fällt, nicht auf seinen eignen sittlichen Charakter zurückprallt, und die gesundere Beschaffenheit seines Gehirns nicht zu einem Beweise seines schlimmen Herzens gemacht wird.Bei allem dem können wir nicht verbergen, daß wir aus verschiedenen Gründen in Versuchung gerathen sind, der historischen Wahrheit dieses einzige Mal Gewalt anzuthun, und unsern Agathon, wenn es auch durch irgend einen Deus ex Machina hatte geschehen müssen. unversehrt aus der Gefahr, worin er sich befindet, heraus zu wickeln. Allein da wir in Erwägung zogen, daß diese einzige poetische Freiheit uns nöthigen würde, in der Folge seiner Begebenheiten so viele andre Veränderungen vorzunehmen, daß die Geschichte Agathons die Natur einer Geschichte verloren hatte; so haben wir uns aufgemuntert, über alle Bedenklichkeiten hinaus zu gehen, die uns anfänglich stutzen gemacht hatten, und uns zu überreden, daß der Nutzen, den verständige Leser sogar von den Schwachheiten unsers Helden in der Folge zu ziehen Gelegenheit bekommen könnten, ungleich größer sey, als der zweideutige Vortheil, den die Tugend dadurch erhalten hätte, wenn wir die schöne Danae in die Nothwendigkeit gesetzt hätten, in der Stille von ihm zu denken, was die berühmte Phryne bei einer gewissen Gelegenheit von dem weisen Xenocrates öffentlich gesagt haben soll.So wisset denn, schöne Leserinnen (und hütet euch stolz auf diesen Sieg eurer Zaubermacht zu seyn!), daß Agathon — nachdem er eine ziemliche Weile, in einem Gemüthszustande, dessen Abschilderung über die Kräfte unsers Pinsels geht, allein zurück geblieben war — wir wissen nicht ob aus eigner Bewegung oder durch den geheimen Antrieb irgend eines unsokratischen Genius, den Weg gegen einen Pavillon genommen, welcher auf der Morgenseite des Gartens, in einem kleinen Hain von Citronen-, Granaten- und Myrtenbäumen, auf Ionischen Säulen von Jaspis ruhte — daß er, weil er ihn erleuchtet gefunden, hineingegangen, und, nachdem er einen Saal und zwei oder drei kleinere Zimmer durchgeeilet, in einem Cabinette, welches für die Ruhe der Liebesgöttin bestimmt schien, die schöne Danae auf einem Ruhebette schlafend angetroffen —daß er, nachdem er sie eine lange Zeit in unbeweglicher Entzückung und mit einer Zärtlichkeit, deren innerliches Gefühl alle körperliche Lust an Süßigkeit übertrifft, betrachtet hatte, endlich, von der Gewalt der Empfindung hingerissen, sich nicht länger zu enthalten vermocht, zu ihren Füßen kniend, eine von ihren nachlässig ausgestreckten schönen Händen mit einer Jnbrunst, wovon wenige Liebhaber sich eine Vorstellung zu machen fähig sind, zu küssen, ohne daß sie davon erwacht wäre — daß er hierauf noch weniger als zuvor sich entschließen können, so unbemerkt als er gekommen sich wieder hinweg zu schleichen, und — kurz — daß die kleine Psyche (die Tänzerin, welche seit der Pantomime, man weiß nicht warum, gar nicht seine Freundin war) mit ihren Augen gesehen haben wollte, daß er, eine ziemliche Weile nach Anbruch des Tages, allein und mit einer Miene, aus welcher sich sehr vieles habe schließen lassen, aus dem Pavillon hinter die Myrtenhecken sich weggestohlen habe.
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Siebentes Capitel.

Nachrichten zu Verhütung eines besorglichen Mißverstandes. Beschluß des sechsten Capitels, nebst einer Herzenserleichterung des Autors.

Die Tugend (pflegt man dem Aristoteles oder Horaz nachzusagen) ist die Mittelstraße zwischen zwei Abwegen, welche beide gleich sorgfältig zu vermeiden sind.Es ist ohne Zweifel wohl gethan, wenn ein Schriftsteller, der sich einen wichtigern Zweck als die bloße Ergötzung seiner Leser vorgesetzt hat, bei gewissen Anlässen, anstatt des zaumlosen Muthwillens vieler von den neuern Franzosen, lieber die bescheidne Zurückhaltung des jungfräulichen Virgils nachahmet, welcher — bei einer Gelegenheit, wo die Angolas und Versorands alle ihre Malerkunst verschwendet und nichts besorget hätten, als daß sie nicht lebhaft und deutlich genug seyn möchten — sich begnügt uns zu sagen: "daß Dido und sein Held in Einer Höhle sich zusammen fanden."Allein wenn diese Zurückhaltung so weit ginge, daß die Dunkelheit, welche man über einen schlüpfrigen Gegenstand ausbreitete, zu Mißverstand und Irrthum Anlaß geben könnte: so würde sie, däucht uns, in eine falsche Scham ausarten; und in solchen Fällen scheint uns rathsamer zu seyn, den Vorhang ein wenig wegzuziehen, als aus übertriebener Bedenklichkeit Gefahr zu laufen, vielleicht die Unschuld selbst ungegründeten Vermuthungen auszusetzen.Wie mißfällig also auch unsern Leserinnen der Anblick eines schönen Jünglings zu den Füßen einer selbst im Schlummer lauter Liebe und Wollust athmenden Danae billig seyn mag: so können wir doch nicht vermeiden, uns noch etliche Augenblicke bei diesem anstößigen Gegenstande aufzuhalten. Man ist so geneigt, in dergleichen Fällen der Einbildungskraft den Zügel schießen zu lassen, daß wir uns lächerlich machen würden, wenn wir behaupten wollten, unser Held habe sich, während der ganzen Zeit, die er (nach dem Vorgeben der kleinen Tänzerin) in dem Pavillon zugebracht haben soll, immer in der ehrfurchtsvollen Stellung erhalten, worin man ihn zu Ende des vorigen Capitels gesehen hat. Ja, wir müssen besorgen, daß Leute, welche —freilich keine Agathonen sind, vielleicht so weit gehen möchten, zu argwöhnen, daß er sich den tiefen Schlaf, worin Danae zu liegen schien, auf eine Art zu Nutze gemacht haben könnte, die sich ordentlicher Weise nur für einen Faun schickt, und welche unser Freund Johann Jakob Rousseau selbst nicht schlechterdings gebilliget hätte, so scharfsinnig er auch in einer Note seines Schreibens an D'Alembert dasjenige zu rechtfertigen weiß, was er eine stillschweigende Einwilligung abnöthigen nennet.Um nun unsern Agathon gegen alle solche unverschuldete Muthmaßungen sicher zu stellen, müssen wir zur Steuer der Wahrheit melden, daß selbst die reizende Lage der schönen Schläferin, und die günstige Leichtigkeit ihres Anzugs, welche ihn einzuladen schien seinen Augen alles zu erlauben, seine Bescheidenheit schwerlich überrascht haben würden, wenn es ihm möglich gewesen wäre, der Gewalt der Empfindung, welche sich aller Kräfte seines Wesens bemächtiget hatte, Widerstand zu thun. Er überließ also endlich seine Seele der vollkommensten Wonne ihres edelsten Sinnes, dem Anschauen einer Schönheit, welche selbst seine idealische Einbildungskraft weit hinter sich zurückließ; und (was nur diejenigen begreifen werden, welche die wahre Liebe kennen) dieses Anschauen erfüllte sein Herz mit einer so reinen, vollkommenen, unbeschreiblichen Befriedigung, daß er alle Wünsche, alle Ahnungen einer noch größern Glückseligkeit darüber vergessen zu haben schien. Vermuthlich (denn gewiß können wir hierüber nichts entscheiden) würde die Schönheit des Gegenstandes allein, so vollkommen sie war, diese sonderbare Wirkung nicht gethan haben. Allein dieser Gegenstand war seine Geliebte! Dieser Umstand verstärkte die Bewunderung, womit auch die Kaltsinnigsten die Schönheit ansehen müssen, mit einer Empfindung, welche noch kein Dichter zu beschreiben fähig gewesen ist, so sehr sich auch vermuthen läßt, daß sie den mehresten aus Erfahrung bekannt gewesen seyn könne. Diese namenlose Empfindung ist es allein, was den wahren Liebhaber von dem Satyr unterscheidet, und was eine Art von sittlicher Grazie sogar über dasjenige ausbreitet, was bei diesem nur das Werk des Instincts oder eines animalischen Hungers ist. Welcher Satyr würde in solchen Augenblicken fähig gewesen seyn, wie Agathon zu handeln? — Behutsam und mit der leichten Hand eines Sylphen zog er das seidene Gewand, welches Amor verrätherisch aufgedeckt hatte, wieder über die schöne Schlafende her, warf sich wieder zu den Füßen ihres Ruhebettes, und begnügte sich ihre nachlässig ausgestreckte Hand, aber mit einer Zärtlichkeit, mit einer Entzückung und Sehnsucht an seinen Mund zu drücken, daß eine Bildsäule davon hätte erweckt werden mögen.Sie mußte also endlich erwachen. Und wie hätte sie auch dessen sich länger erwehren können, da ihr bisheriger Schlummer wirklich nur erdichtet gewesen war? Sie hatte aus einer Neugier, die in ihrer Verfassung natürlich scheinen kann, sehen wollen, wie ein Agathon in einer so sonderbaren Gelegenheit sich betragen würde? Aber dieser letzte Beweis einer vollkommnen Liebe, welche (ungeachtet ihrer Erfahrenheit) alle Annehmlichkeiten der Neuheit für sie hatte, rührte sie so sehr, daß sie, von einer ungewohnten und unwiderstehlichen Empfindung überwunden, in einem Augenblicke, wo sie zum erstenmal zu lieben und geliebt zu werden glaubte, nicht mehr Meisterin von ihren Bewegungen war. Sie schlug ihre schönen Augen auf, Augen, die in den wollüstigen Thränen der Liebe schwammen und dem entzückten Agathon sein ganzes Glück auf eine unendlich vollkommnere Art entdeckten, als es das beredteste Geständniß hatte thun können. O Kallias! (rief sie endlich mit einem Tone der Stimme, der alle Saiten seines Herzens widerhallen machte, indem sie, ihre schönen Arme um ihn windend, den glücklichsten aller Liebhaber an ihren Busen drückte) was für ein neues Wesen gibst du mir! Genieße, o! genieße, du Liebenswürdigster unter den Sterblichen, der ganzen unbegränzten Zärtlichkeit, die du mir einflößest. — Und hier, ohne den Leser unnöthiger Weise damit aufzuhalten was sie ferner sagte und was er antwortete, überlassen wir den Pinsel einem Correggio, und entfernen uns.Doch wir fangen an (wiewohl zu spät) gewahr zu werden, daß wir unsern Freund Agathon auf Unkosten seiner schönen Freundin entschuldiget haben. Es ist leicht voraus zu sehen, wie wenig Gnade sie vor dem ehrwürdigen und glücklichen Theil unsrer Leserinnen finden werde, welche sich bewußt sind, oder wenigstens sich schmeicheln, daß sie sich in ähnlichen Umständen ganz anders als Danae betragen haben würden. Auch sind wir weit davon entfernt, diese allzu zärtliche Nymphe rechtfertigen zu wollen, so scheinbar auch die Liebe ihre Vergehungen zu bemänteln weiß. Indessen bitten wir gleichwohl die vorbelobten Lukrezien um Erlaubniß, dieses Capitel mit einer kleinen Nutzanwendung, auf die sie sich vielleicht nicht gefaßt gemacht haben, schließen zu dürfen.Diese Damen (mit aller Ehrfurcht die wir ihnen schuldig sind, sey es gesagt) würden sich sehr betrügen, wenn sie glaubten, daß wir die Schwachheiten eines so liebenswürdigen Geschöpfes als die schöne Danae ist, nur darum verrathen hätten, damit sie Gelegenheit bekämen ihre Eigenliebe daran zu kitzeln. Wir sind in der That nicht so sehr Neulinge in der Welt, uns überreden zu lassen, daß eine jede, welche sich über das Betragen unserer Danae ärgern wird, an ihrer Stelle weiser gewesen wäre. Wir wissen sehr wohl, daß nicht alles, was das Gepräge der Tugend führt, wirklich ächte und vollhaltige Tugend ist; und daß sechzig Jahre, oder eine gewisse Figur, kein oder sehr wenig Recht geben, sich viel auf eine Tugend zu gut zu thun, welche vielleicht niemand jemals versucht gewesen ist auf die Probe zu stellen. Kurz, wir zweifeln mit gutem Grunde, ob diejenigen, die von einer Danae am unbarmherzigsten urtheilen, an ihrem Platze einem viel weniger gefährlichen Versucher als Agathon die Augen auskratzen würden. Und wenn sie es auch thäten, so würden wir vielleicht anstehen ihrer Tugend beizumessen, was ebensowohl die mechanische Wirkung unreizbarer Sinnen oder eines unzärtlichen Herzens gewesen seyn könnte.Unter Augenmerk ist bloß auf euch gerichtet, ihr liebreizenden Geschöpfe, denen die Natur die schönste ihrer Gaben, die Gabe zu gefallen, geschenkt hat —ihr, welche sie bestimmt hat uns glücklich zu machen, aber, welche eine einzige kleine Unvorsichtigkeit bei Erfüllung dieser schönen Bestimmung so leicht in Gefahr setzen kann, durch die schätzbarste eurer Eigenschaften, durch das was die Anlage zu jeder Tugend ist, durch die Zärtlichkeit eures Herzens selbst, unglücklich zu werden! Euch allein wünschten wir überreden zu können, wie gefährlich jene Einbildung ist, womit euch das Bewußtseyn eurer Unschuld schmeichelt, als ob es allezeit in eurer Macht stehen werde, der Liebe und ihren Forderungen Gränzen zu setzen. Möchten die Unsterblichen (wenn anders, wie wir hoffen, die Unschuld und die Güte des Herzens himmlische Beschützer hat), möchten sie über die eurige wachen! Möchten sie euch zu rechter Zeit warnen, euch einer Zärtlichkeit nicht zu vertrauen, welche, bezaubert von dem großmüthigen Vergnügen den Gegenstand ihrer Zuneigung glücklich zu machen, so leicht sich selbst vergessen kann! Möchten sie endlich in jenen Augenblicken, wo das Anschauen der Entzückungen, in die ihr zu sehen fähig seyd, eure Klugheit überraschen könnte, euch ins Ohr flüstern: daß selbst ein Agathon weder Verdient noch Liebe genug hat, um würdig zu seyn, daß die Befriedigung seiner Wünsche euch die Ruhe eures Herzens koste!
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Achtes Capitel.

Welch ein Zustand, wenn er dauern könnte!

Die schöne Danae war nicht von denen, welche das, was sie thun, nur zur Hälfte thun. Nachdem sie einmal beschlossen hatte, ihren Freund glücklich zu machen, so vollführte sie es auf eine Art, die alles, was er bisher Vergnügen und Wonne genannt hatte, in Schatten und Träume verwandelte.Man erinnert sich vermuthlich noch, daß eine Art von Vorwitz, oder vielmehr ein launischer Einfall die Macht ihrer Reizungen an unserm Helden zu probiren, anfangs die einzige Triebfeder der Anschläge war, welche sie auf sein Herz gemacht hatte. Die persönliche Bekanntschaft belebre dieses Vorhaben durch den Geschmack, den sie an ihm fand; und der tägliche Umgang, die Vorzüge Agathons, und (was in den meisten Fällen die Niederlage der weiblichen Tugend wo nicht allein verursacht, doch sehr befördert) die anstehende Kraft der verliebten Begeisterung, welcher der göttliche Plato mit Recht die wunderthätigsten Kräfte zuschreibt; alles dieses zusammen genommen, verwandelte zuletzt diesen Geschmack in Liebe, aber in die wahreste, zärtlichste und heftigste, welche jemals gewesen ist. Unserm Helden allein war die Ehre aufbehalten (wenn es eine war) ihr eine Leidenschaft einzuflößen, worin sie, ungeachtet alles dessen was uns von ihrer Geschichte schon entdeckt worden ist, noch so sehr ein Neuling war als eine Vestalin. Kurz, er, und er allein, war dazu gemacht, den Widerwillen zu überwinden, den ihr die gemeinen Liebhaber, die schönen Hyacinthe, diese tändelnden Gecken, an denen (nach ihrem eigenen Ausdrucke) die Hälfte ihrer Reizungen verloren ging, gegen alles was die Miene der Liebe trug, einzuflößen angefangen hatten.Die meisten von denjenigen Naturkündigern, welche mit dem Herrn von Büffon dafür halten, daß das Physikalische der Liebe das Beste davon sey, werden ohne Bedenken eingestehen, daß der Besitz, oder (um unsern Ausdruck genauer nach ihren Ideen zu bestimmen) der Genuß einer Danae, an sich selbst betrachtet, die vollkommenste Art von Vergnügungen in sich schließe, deren unsre Sinnen fähig sind. Eine Wahrheit, welche, ungeachtet einer Art von stillschweigender Uebereinkunft, "daß man sie nicht laut gestehen wolle," von allen Völkern und zu allen Zeiten so allgemein anerkannt worden ist, daß Karneades, Sextus, Cornelius Agrippa und Bayle selbst, sich nicht getrauet haben sie in Zweifel zu ziehen.Ob wir nun gleich nicht Muth genug besitzen, gegen einen so ehrwürdigen Beweis, als das einhellige Gefühl des ganzen menschlichen Geschlechts abgibt, denjenigen Vergnügungen der Liebe, welche der Seele eigen sind, den Vorzug vor jenen öffentlich zuzusprechen: so werden doch nicht wenige mit uns einstimmig seyn, daß ein Liebhaber, der selbst eine Seele hat, im Besitz der schönsten Statue von Fleisch und Blut, die man nur immer finden kann, sogar jene von den neuern Epicuräern so hoch gepriesene Lust nur in einem sehr unvollkommnen Grad erfahren würde; und daß sie allein von der Empfindung des Herzens jenen wunderbaren Reiz empfange, welcher immer für unaussprechlich gehalten worden ist —bis Rousseau, der Stoiker, sich herab gelassen hat, sie in dem fünfundvierzigsten der Briefe der neuen Heloise zu schildern. Ohne Zweifel sind es Liebhaber wie Saint Preux und Agathon, welchen es zukommt über die berührte Streitfrage einen entscheidenden Ausspruch zu thun; sie, welche durch die Feinheit und Lebhaftigkeit ihres Gefühls eben so geschickt gemacht werden, von den körperlichen, als durch die Zärtlichkeit ihres Herzens und durch ihren innern Sinn für das sittliche Schöne, von den moralischen Vergnügungen der Liebe zu urtheilen. Und wie wahr, wie natürlich werden nicht diese, wofern es anders noch ihresgleichen in diesem verderbten Zeitalter gibt, jene Ausrufung finden, die den Verehrern der animalischen Liebe unverständlicher war, als eine Hetruscische Aufschrift den Gelehrten: — "O, entziehe mie immer diese berauschenden Entzückungen, für die ich tausend Leben gäbe! — Gib mir nur das alles wieder, was nicht sie, aber tausendmal süßer ist als sie!"Die schöne Danae war so sinnreich, so unerschöpflich in der Kunst ihre Gunstbezeugungen zu vervielfältigen, den innerlichen Werth derselben durch die Annehmlichkeiten der Verzierung zu erhöhen, ihnen immer die frische Blüthe der Neuheit zu erhalten, und alles Eintönige, alles was die Bezauberung hätte auflösen und dem Ueberdruß den Zugang öffnen können, klüglich zu entfernen: daß sie, oder eine andre ihresgleichen, den Herrn von Büffon selbst dahin gebracht haben könnte, seine Gedanken von der Liebe zu ändern. Diese glückseligen Liebenden brauchten, um, ihrer Empfindung nach, den Göttern an Wonne gleich zu seyn, nichts als ihre Liebe. Sie verschmähten itzt alle jene Lustbarkeiten, an denen sie vorher so viel Geschmack gefunden hatten. Ihre Liebe machte alle ihre Beschäftigungen und alle ihre Ergötzungen aus: sie empfanden nichts anders, sie dachten an nichts anders, sie unterhielten sich mit nichts anderm. Und doch schienen sie sich immer zum ersten Mal zu sehen, zum ersten Mal zu umarmen, zum ersten Mal einander zu sagen, daß sie sich liebten; und wenn sie von einer Morgenröthe zur andern nichts anders gethan hatten, so beklagten sie sich noch über die Kargheit der Zeit, welche zu einem Leben, das sie zum Besten ihrer Liebe unsterblich gewünscht hätten, ihnen Augenblicke für Tage anrechne. Welch ein Zustand, wenn er dauern könnte! — ruft hier der griechische Autor aus.
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Neuntes Capitel.

Eine bemerkenswürdige Wirkung der Liebe, oder, von der Seelenvermischung.

Ein alter Schriftsteller, den gewiß niemand beschuldigen wird, daß er die Liebe zu metaphysisch behandelt habe, und den wir nur zu nennen brauchen, um allen Verdacht dessen, was materielle Seelen für Platonische Grillen erklären, von ihm zu entfernen, mit Einem Worte, Petronius, bedient sich irgendwo eines Ausdrucks, welcher ganz deutlich zu erkennen gibt, daß er eine verliebte Vermischung der Seelen nicht nur für möglich, sondern für einen solchen Umstand gehalten habe, der die Geheimnisse der Liebesgöttin natürlicher Weise zu begleiten pflege. Ob er selbst die ganze Stärke dieses Ausdrucks eingesehen, oder ihm so viel Bedeutung beigelegt habe als wir, läßt sich aus guten Gründen sehr bezweifeln. Genug, daß wir diese Stelle einer Hypothese günstig finden, ohne welche sich, unsrer Meinung nach, verschiedene Phänomene der Liebe nicht wohl erklären lassen, und vermöge welcher wir annehmen: "daß bei wahren Liebenden, in gewissen Umständen, nicht (wie einer unsrer tugendhaftesten Dichter meint) ein Tausch, sondern eine wirkliche Vermischung der Seelen vorgehe."Wie dieses möglich sey zu untersuchen, überlassen wir den weisen und tiefsinnigen Leuten, die, in stolzer Muße und seliger Abgeschiedenheit von dem Getümmel dieser sublunarischen Welt, mit der nützlichen Speculation sich beschäftigen, uns zu belehren, wie alles was wirklich ist, ohne Nachtheil ihrer Meinungen und Lehrgebäude, möglich seyn könne. Für uns ist genug, daß eine durch unzählige Beispiele bestätigte Erfahrung außer allen Zweifel setzt: daß diejenige Gattung von Liebe, welche Shaftesbury mit bestem Rechte zu einer Art des Enthusiasmus macht, und gegen welche Lukrez aus eben diesem Grunde sich mit so vielem Eifer erklärt, solche Wirkungen hervorbringe, welche nicht besser als durch jenen Petronischen Ausdruck abgemalt werden können.Agathon und Danae, die uns zu dieser Anmerkung Anlaß gegeben haben, hatten kaum vierzehn Tage (welche freilich nach dem Kalender der Liebe nur vierzehn Augenblicke waren) in jenem glückseligen Wahnsinne, worin wir sie im vorigen Kapitel verlassen haben, zugebracht: als die besagte Seelenmischung sich in einem solchen Grade bei ihnen äußerte, daß sie nur von einer einzigen gemeinschaftlichen Seele belebt und begeistert zu werden schienen. Wirklich war die Veränderung und der Absatz ihrer gegenwärtigen Art zu seyn mit ihrer vorigen so groß daß weder Alcibiades seine Danae, noch die Priesterin zu Delphi ihren unkörperlichen Agathon wieder erkannt haben würden. Daß dieser aus einem speculativen Platoniker ein praktischer Aristipp geworden; daß er eine Philosophie, welche die reinste Glückseligkeit in Beschauung unsichtbarer Schönheiten setzt, gegen eine andre, welche sie in angenehmen Empfindungen, und die angenehmen Empfindungen in ihren nächsten Quellen, in der Natur, in unsern Sinnen und in unserm Herzen sucht, vertauschte; daß er von den Göttern und Halbgöttern, mit denen er vorher umgegangen war, nur die Grazien und Liebesgötter beibehielt; daß dieser Agathon, der ehemals von seinen Minuten, von seinen Augenblicken der Weisheit Rechenschaft geben konnte, jetzt fähig war (wir schämen uns es zu sagen), ganze Stunden, ganze Tage in zärtlicher Trunkenheit wegzutändeln — alles dieses, so stark der Abfall auch ist, wird dennoch den meisten begreiflich scheinen. Aber daß Danae, welche die Schönsten und Edelsten von Asien, welche Fürsten und Satrapen zu ihren Füßen gesehen hatte, welche gewohnt war, in den schimmerndsten Versammlungen am meisten zu glänzen, einen Hof von allem, was durch Vorzüge der Geburt, des Geistes, des Reichthums und der Talente nach ihrem Beifall zu streben würdig war, um sich her zu sehen; daß diese Danae jetzt verächtliche Blicke in die große Welt zurück warf, und nichts Angenehmeres fand als die ländliche Einfalt, nichts Schöneres als in Hainen herum zu irren, Blumenkränze für ihren Schäfer zu winden, an einer murmelnden Quelle in seinem Arm einzuschlummern, von der Welt vergessen zu seyn und die Welt zu vergessen —daß sie, für welche die empfindsame Liebe sonst ein unerschöpflicher Gegenstand von witzigen Spöttereien gewesen war, itzt von den zärtlichen Klagen der Nachtigall in still-heitern Nächten bis zu Thränen gerührt werden. — oder, wenn sie ihren Geliebten unter einer schattigen Laube schlafend fand, ganze Stunden, unbeweglich, in zärtliches Staunen und in den Genuß ihrer Empfindungen versenkt, neben ihm sitzen konnte, ohne daran zu denken ihn durch einen eigennützigen Kuß aufzuwecken — daß diese Schülerin eines Hippias, welche gewohnt gewesen war nichts lächerlicher zu finden, als die Hoffnung der Unsterblichkeit und diese süßen Träume von bessern Welten, in welche sich empfindsame Seelen so gerne zu wiegen pflegen, —daß sie jetzt, beim dämmernden Schein des Monds, an Agathons Seite lustwandelnd, schon entkörpert zu seyn, schon in den seligen Thälern Elysiums zu schweben glaubte, — mitten aus den berauschenden Freuden der Liebe sich zu Gedanken von Gräbern und Urnen verlieren, dann, ihren Geliebten zärtlicher an ihre Brust drückend, den gestirnten Himmel anschauen, und ganze Stunden von der Wonne der Unsterblichen, von unvergänglichen Schönheiten und himmlischen Welten phantasiren konnte: —Dieß waren in der That Wunderwerke der Liebe, und Wunderwerke, welche nur die Liebe eines Agathons, nur jene Vermischung der Seelen, durch welche ihrer beider Denkungsart, Ideen, Geschmack und Neigungen in einander zerflossen, zuwege bringen konnte.Welches von beiden bei dieser Vermischung gewonnen oder verloren habe, wollen wir den Lesern zu entscheiden überlassen, von denen der zärtlichere Theil ohne Zweifel der schönen Danae den Vortheil zuerkennen wird. Auch dieses däucht uns, wird niemand so roh oder so stoisch seyn zu leugnen, daß sie glücklich waren —felices errore suo! —glücklich in dieser süßen Bethörung, welcher, um dasjenige zu seyn, was die Weisen schon so lange gesucht und nie gefunden haben, nichts abgeht, als daß sie (wie der Griechische Autor hier abermal mit Bedauern ausruft) nicht immer währen kann.
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Sechstes Buch.

Fortsetzung der Liebesgeschichte Agathons und der schönen Danae.

Erstes Capitel.

Danae erhält einen Besuch von Hippias.

Zufällige Ursachen hatten es so gefügt, daß Hippias sich auf einige Wochen von Smyrna hatte entfernen müssen, und daß die Zeit seiner Abwesenheit gerade in diejenige fiel, worin die Liebe unsers Helden und der schönen Danae den äußersten Punkt ihrer Höhe erreichte.Dieser Umstand hatte sie gänzlich Meister von einer Zeit gelassen, welche sie zum Vortheil der Liebe und des Vergnügens so wohl anzuwenden wußten. Keinem von Danae's ehemaligen Verehrern wurde gestattet ihre Einsamkeit zu stören; und die Freundinnen, mit denen sie in Gesellschaft gestanden, hatten so viel mit ihren eignen Angelegenheiten zu thun, daß sie sich wenig um die übrigen bekümmerten. Zudem war ihr Aufenthalt auf dem Lande nichts Ungewöhnliches, und der allgemeine Genius der Stadt Smyrna war der Freiheit in der Wahl der Vergnügungen allzu günstig, als daß eine Danae (von der man ohnehin nicht die strengste Tugend forderte) über die ihrigen, wenn sie auch bekannt gewesen wären, sehr harte Urtheile zu besorgen gehabt hätte.Allein Hippias war kaum von seiner Reise zurück gekommen, so ließ er eine seiner ersten Sorgen seyn, sich in eigner Person nach dem Fortgange des Entwurfs zu erkundigen, den er mit ihr zu Bekehrung des allzu Platonischen Kallias gemeinschaftlich angelegt hatte. Die besondere Vertraulichkeit, worin er seit mehr als zehn Jahren mit ihr stand, gab ihm das vorzügliche Recht, sie auch dann zu überraschen, wenn sie sonst für niemand sichtbar war. Er eilte also sobald er nur konnte nach ihrem Landgute; und hier brauchte er nur einen Blick auf unsre Liebenden zu werfen, um zu sehen, wie weit der besagte Plan in seiner Abwesenheit vorgerückt war. Ein gewisser Zwang, eine gewisse Zurückhaltung, eine Art von schamhafter Schüchternheit, welche ihm, besonders an der Pflegetochter Aspasiens, beinahe lächerlich vorkam, war das erste was ihm an beiden in die Augen fiel. Wahre Liebe (wie man längst beobachtet hat) ist eben so sorgfältig ihre Glückseligkeit zu verbergen, als jene frostige, welche Koketterie oder lange Weile zur Mutter hat, begierig ist ihre Siege auszurufen. Allein dieß war weder die einzige noch die vornehmste Ursache einer Zurückhaltung, welche unsre Liebenden, aller angewandten Mühe ungeachtet, einem so scharfsichtigen Beobachter nicht entziehen konnten. Das Bewußtseyn der Verwandlung, welche sie erlitten hatten; die Furcht vor dem komischen Ansehen, so ihnen diese in den Augen des Sophisten geben möchte; die Furcht vor einem Spotte, dessen muthwillige Ergießungen sie bei jedem Blicke, bei jedem Lächeln erwarteten: dieß war es was sie in Verlegenheit setzte, und was den artigsten Gesichtern in ganz Ionien etwas Verdrießliches gab, welches von einem jeden andern als ihm für ein Zeichen, daß seine Gegenwart unangenehm sey, hätte aufgenommen werden müssen.Hippias nahm es für das auf, was es in der That war; und da niemand besser zu leben wußte, so schien er so wenig zu bemerken was in ihnen vorging, machte den Unachtsamen und Sorglosen so natürlich, hatte so viel von seiner Reise und tausend gleichgültigen Dingen zu schwatzen, wußte dem Gespräch unvermerkt einen so freien Schwung von Munterkeit zu geben, daß sie alle erforderliche Zeit gewannen, sich wieder zu erholen und in eine ungezwungene Verfassung zu setzen.Wenn Agathon hierdurch so sehr beruhiget wurde, daß er wirklich hoffte, sich in seinen ersten Besorgnissen geirret zu haben: so war hingegen die schlauere Danae weit davon entfernt, sich durch die Kunstgriffe des Sophisten verblenden zu lassen. Sie kannte ihn zu gut, um nicht in seiner Seele zu lesen. Sie sahe wohl, daß es zu einer Erörterung mit ihm kommen müsse; und war nur darüber unruhig, wie sie sich entschuldigen wollte, über der Bemühung den Charakter Agathons umzubilden, ihren eignen, oder doch einen guten Theil davon, verloren zu haben.Mit diesen Gedanken hatte sie sich in den Stunden der gewöhnlichen Mittagsruhe beschäftiget, und war noch nicht recht mit sich selbst einig, wie weit sie sich dem Sophisten vertrauen wolle: als er in ihr Zimmer trat, und ihr mit der vertraulichen Freimüthigkeit eines alten Freundes entdeckte, daß es bloß die Neugier über den Fortgang ihres geheimen Anschlags sey, was ihn so bald nach seiner Wiederkunft zu ihr gezogen habe. Die Glückseligkeit des Kallias (setzte er hinzu) schimmert zu lebhaft aus seinen Augen und aus seinem ganzen Betragen hervor, schöne Danae, als daß ich durch überflüssige Fragstücke die reizende Farbe dieser liebenswürdigen Wangen zu erhöhen suchen sollte. Und findest du ihn also der Mühe würdig, die du auf seine Bekehrung ohne Zweifel verwenden mußtest?Der Mühe? sagte Danae lächelnd: ich schwöre dir, daß mir in meinem Leben keine Mühe so leicht geworden ist, als mich von dem liebenswürdigsten Sterblichen, den ich jemals gekannt habe, lieben zu lassen. Denn dieß war doch alle Mühe.Nicht ganz und gar (unterbrach sie Hippias), wenn du so aufrichtig seyn willst als es unsrer Freundschaft gemäß ist. Ich bin gewiß, daß er an keine Verstellung dachte, da er noch in meinem Hause war; und die Veränderung, die ich an ihm wahrnehme, ist so groß, verbreitet sich so sehr über seine ganze Person, hat ihn so unkenntlich gemacht, daß Danae selbst, auf deren Lippen die Ueberredung wohnt, mich nicht überreden soll, daß eine solche Seelenverwandlung im Schlafe vorgehen könne. Keine Zurückhaltungen, schöne Danae! Die Wirkungen zeugen von ihren Ursachen, und ein großes Werk setzt große Anstalten voraus. Wenn ein Kallias dahin gebracht wird, daß er wie ein Liebling der Venus heraus geputzt ist; daß er mit einer Sybaritischen Zunge von der Niedlichkeit der Speisen und dem Geschmacke der Weine urtheilt; daß er die wollüstigsten Modulationen eines in Liebe schmelzenden Liedes mit entzücktem Händeklatschen wiederholen heißt, und sich die Trinkschale von einer Nymphe mit unverhülltem Busen eben so gleichgültig reichen läßt, als er sich in die weichen Polster eines Persischen Ruhebettes hinein senkt: —wahrhaftig, schöne Danae, dieß nenn' ich eine Verwandlung, deren Bewerkstelligung, zumal in so kurzer Zeit, ich keiner von allen unsterblichen Göttinnen zugetraut hätte.Ich weiß nicht was du damit sagen willst, erwiederte Danae mit einer angenommenen Zerstreuung: mich däucht nichts natürlicher als das alles worüber du dich so verwundert stellst. Und gesetzt du hattest dich in deinem Urtheil von Kallias betrogen, ist es seine Schuld? Die Wahrheit zu sagen, nichts kann unähnlicher seyn als der Kallias, den du mir abschildertest, und der, den ich gefunden habe. Du machtest mich einen pedantischen Thoren, den Gegenstand einer Komödie, erwarten; und ich — du magst über mich lachen so lange du willst, aber ich wiederhol' es, Alcibiades im Frühling seiner Jahre und Reizungen war nicht liebenswürdiger als der Mann, den du mir für ein lächerliches Mittelding von einem Phantasten und von einer Bildsäule gabst. Wenn eine Verschiedenheit zwischen Agathon und — denen ist, für welche ich ehmals, aus Dankbarkeit, Geschmack oder Laune, Gefälligkeiten gehabt habe, so ist sie gänzlich zu seinem Vortheile; so ist es, daß er edler, aufrichtiger, zärtlicher ist; daß er mich liebt, da jene nur sich selbst in mir liebten; daß ihn mein Vergnügen glücklicher macht als sein eignes; daß er das großmüthigste und erkenntlichste Herz mit den glänzendsten Vorzügen des Geistes und mit allem, was den Umgang reizend macht, vereinigt besitzt.Welch ein Strom von Beredsamkeit! rief Hippias mit dem Lächeln eines Fauns: du sprichst nicht anders, als ob du seine Apologie gegen mich machen müßtest! Und wann hab' ich denn was andres gesagt? Beschrieb ich ihn nicht als liebenswürdig? Sagt' ich dir nicht, daß er dir alle deine gaukelnden Sommervögel unerträglich machen würde? — Aber wir wollen uns nicht zanken, schöne Danae. Ich sehe, daß Amor hier mehr Arbeit gemacht hat als ihm aufgetragen war. Er sollte dir nur helfen, den Agathon zu unterwerfen; aber der übermüthige kleine Bube hat es für eine größere Ehre gehalten, dich selbst zu besiegen; diese Danae, welche bisher mit seinen Pfeilen nur gescherzt hatte. Bekenne, Danae —Ja (fiel sie ihm lebhaft ein), ich bekenne, daß ich liebe wie ich nie geliebt habe; daß alles was ich sonst Glückseligkeit nannte, kaum den Namen des Daseyns verdient hat. Ich bekenne es, Hippias, und bin stolz darauf, daß ich mich fähig fühle, alles was ich besitze, alle Ergötzlichkeiten von Smyrna, alle Ansprüche an Beifall, alle Befriedigungen der Eitelkeit, und eine ganze Welt voll Liebhaber, wie eine Nußschale hinzuwerfen, um mit Kallias in einer Strohhütte zu leben, und mit diesen Händen, welche nicht zu weiß und zärtlich dazu seyn sollten, die Milch zuzubereiten, die ihm, vom Felde wieder kommend weil ich sie ihm reichte, lieblicher schmecken würde, als Nektar aus den Händen der Liebesgöttin.O, das ist was andres, rief Hippias, der sich nun nicht länger halten konnte in ein lautes Gelächter auszubrechen: wenn Danae aus diesem Tone spricht, so hat Hippias nichts mehr zu sagen! Aber (fuhr er fort, nachdem er sich die Augen gewischt und den Mund in Falten gelegt hatte) in der That, schöne Freundin, ich lache zur Unzeit. Die Sache ist ernsthafter als ich beim ersten Anblick dachte, und ich besorge nun in ganzem Ernste, daß Kallias, so sehr er dich anzubeten scheint, nicht Liebe genug haben möchte, die deinige zu erwiedern.Ich erlasse dem Hippias diese Sorge, sagte Danae mit einem spöttischen Lächeln, welches ihr ungemein reizend ließ; dieß soll meine Sorge seyn. Mich däucht, Hippias, der ein so großer Meister ist von den Wirkungen auf die Ursachen zu schließen, sollte ganz ruhig darüber seyn können, daß Danae sich nicht wie ein vierzehnjähriges Mädchen fangen läßt.Die Götter der Liebe und Freude verhüten, daß meine Worte einen übel weissagenden Sinn in sich fassen! erwiederte Hippias. Du liebest, schöne Danae; du wirst geliebt; kein würdigeres Paar glücklich zu seyn, kein geschickteres sich glücklich zu machen, hat Amor je vereiniget. Erschöpfet alles was die Liebe Reizendes hat! Trinket immer neue Entzückungen aus ihrem nektarischen Becher; und möge die neidenswerthe Bezauberung so lang als euer Leben dauern!
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Zweites Capitel.

Eine Probe von den Talenten eines Liebenden.

In einem so freundschaftlichen und schwärmerischen Ton stimmte der gefällige Sophist seine Sprache um, als Agathon herein trat, um ihnen einen Spaziergang in die Gärten vorzuschlagen, worin er sich das Vergnügen machen wollte, sie mit einer in geheim veranstalteten Ergötzung zu überraschen. Man ließ sich den Vorschlag gefallen, und nachdem Hippias eine Reihe von neuen Gemälden, womit die Galerie vermehrt worden war, besehen hatte, stieg man in den Garten hinab, wo, in Persischem Geschmack, große Blumenstücke, Spaziergänge von hohen Bäumen, kleine Teiche, künstliche Wildnisse, Lauben und Grotten, in anmuthiger Unordnung unter einander geworfen schienen. Das Gespräch ward itzt wieder gleichgültig, und Hippias wußte es so zu lenken, daß Agathon unvermerkt veranlaßt wurde, die neue Richtung, welche seine Einbildungskraft bekommen hatte, auf hundertfältige Art zu verrathen.Inzwischen neigte sich die Sonne, als sie beim Eintritt in einen kleinen Wald von Myrten- und Citronenbäumen, von einem versteckten Concert, welches alle Arten der Singvögel nachahmte, empfangen wurden. Aus jedem Zweig, aus jedem Blatte schien eine besondere Stimme hervor zu dringen, so volltönig war diese Musik, die, durch Nachahmung der kunstlosen Natur, in der scheinbaren Unregelmäßigkeit phantasirender Töne, die lieblichste Harmonie hervorbrachte, die man jemals gehört hatte. Die Dämmerung des heitersten Abends, und die eigne Anmuth des Orts vereinigten sich damit, diesem Lusthaine die Gestalt der Bezauberung zu geben. Danae, welche seit wenigen Wochen eine ganz neue Empfindlichkeit für das Schöne der Natur und die Vergnügungen der Einbildungskraft bekommen hatte, sah ihren sich ganz unwissend stellenden Liebling mit Augen an, welche ihm sagten, daß nur die Gegenwart des Hippias sie verhindere, ihre schönen Arme um seinen Hals zu werfen.Indem hüpfte unversehens eine Anzahl von kleinen Liebesgöttern und Faunen aus dem Hain hervor; jene von flatterndem, mit nachgeahmten Rosen durchwebtem Silberflor leicht bedeckt; diese nackend, außer daß ein Epheukranz, mit gelben Rosen durchflochten, ihre milchweißen Hüften schützte, und um die kleinen vergoldeten Hörner sich wand, die aus ihren schwarzen kurzlockichten Haaren hervorstachen. Alle diese kleinen Geniusse streuten aus zierlichen Körbchen von Silberdrath die schönsten Blumen vor Danae her, und führten sie tanzend in die Mitte des Wäldchens, wo Gebüsche von Schasminen, Rosen und Akazien eine Art von halbcirkelndem Amphitheater bildeten, unter welchem ein zierlicher Thron von Laubwerk und Blumenkränzen für die schöne Danae bereitet stand. Nachdem sie sich hier gesetzt hatte, breiteten die Liebesgötter einen Persischen Teppich vor ihr aus, indem von den kleinen Faunen einige beschäftigt waren, den Boden mit goldenen und krystallenen Trinkschalen von den schönsten Formen zu besetzen, andere unter der Last voller Schläuche mit possierlichen Gebärden herbei gekrochen kamen, und im Vorbeigehen den weisen Hippias durch hundert muthwillige Spiele neckten.Auf einmal schlüpften die Grazien hinter einer Myrtenhecke hervor, drei jugendliche Schwestern, deren halb aufgeblühte Schönheit ein leichtes Gewölke von seidnem Flor mehr zu entwickeln als zu verhüllen eifersüchtig schien. Sie umgaben ihre Gebieterin, und, indem die erste einen frischen Blumenkranz um ihre schöne Stirn wand, reichten ihr die beiden andern kniend in goldnen Schalen die auserlesensten Früchte und Erfrischungen dar; während daß die Faunen den Hippias mit Epheu kränzten, und wohlriechende Salben über seine Glatze und halbgrauen Bart herunter gossen.Beide bezeigten ihr Vergnügen über dieses kleine Schauspiel, welches das lachendste Gemälde von der Welt machte; als eine zärtliche Symphonie von Flöten, aus der Luft, wie es schien, herabtönend, die Augen zu einer neuen Erscheinung aufmerksam machte. Die Liebesgötter, die Faunen und die Grazien waren verschwunden, und es öffnete sich, der Danae gegenüber, die waldichte Scene, um auf einem goldnen Gewölke, welches über den Rosenbüschen von Zephyren empor gehalten wurde, den Liebesgott darzustellen. Ein schalkhaftes Lächeln, das sein liebliches Gesicht umscherzte, schien die Herzen zu warnen, sich von der tändelnden Unschuld dieses schönen Götterknaben nicht berücken zu lassen. Er sang mit der lieblichsten Stimme, und der Inhalt seines Gesangs drückte seine Freude aus, daß er endlich Gelegenheit gefunden habe, sich an der schönen Danae zu rächen. "Gleich der Liebesgöttin, meiner Mutter (so sang er), herrscht sie unumschränkt über die Herzen, und athmet allgemeine Liebe umher: von ihren Blicken beseelt, wendet sich ihr die Natur als ihrer Göttin zu; verschönert, wenn sie lächelt, traurig und welkend, wenn sie sich von ihr kehrt. Verlassen stehen die Altäre zu Paphos; die Seufzer der Liebenden wallen nur ihr entgegen; und indem ihre siegreichen Augen rings um sie her jedes Herz verwunden und entzücken, lacht sie, die Stolze, meiner Pfeile, und trotzt mit unbezwungener Brust der Macht, vor welcher Götter zittern. Aber nicht länger soll sie trotzen! Hier ist der schärfste Pfeil, scharf genug einen Busen von Marmor zu spalten, und die kälteste Seele in Liebesflammen hinzuschmelzen. Zittre, ungewahrsame Schöne! Dieser Augenblick soll Amorn und seine Mutter rächen! Tief seufzend sollst du auffahren, wie ein junges Reh auffährt, wenn es, unter Rosen schlummernd, den geflügelten Pfeil des Jägers fühlt; schmerzenvoll und trostlos sollst du in einsamen Hainen irren, und, auf öden Felsen sitzend, den schleichenden Bach mit deinen Thränen mehren."So sang er und spannte boshaft-lächelnd den Bogen; schon war der Pfeil angelegt, schon zielte er nach ihrem Busen; aber plötzlich fuhr er mit einem lauten Schrei zurück, zerbrach seinen Pfeil, warf den Bogen von sich, und flatterte mit zärtlich schüchterner Gebärde auf die schöne Danae zu. "O Göttin, vergib! (sang er, indem er bittend ihre Knie umfaßte) vergib, vergib, schöne Mutter, dem Irrthum meiner Augen! Wie leicht war es zu irren! Ich sahe dich für Danae an."In dem nämlichen Augenblicke, da er dieß gesungen hatte, erschienen die Grazien, die Liebesgötter und die kleinen Faunen wieder, um die Scene mit Tänzen und Gesängen zum Preis der Schönen zu endigen, welche auf eine so schmeichelhafte Art zur Göttin der Liebe erklärt worden war. Dieses überraschende Compliment (welches damals noch den Reiz der Neuheit hatte) schien ihr Vergnügen zu machen; und der doppelt belustigte Hippias gestand, daß sein junger Freund einen sehr guten Gebrauch von seiner Einbildungskraft zu machen gelernt habe. "Dachte ich nicht, Kallias" (sagte er leise zu ihm, indem er ihn auf die Schultern klopfte), "daß ein Monat unter den Augen der schönen Danae dich von den Vorurtheilen heilen würde, womit du gegen meine Grundsätze eingenommen warest? Ich sehe, du hast sie bereits meisterhaft ausüben gelernt!"Der übrige Theil des Abends wurde auf eine eben so angenehme Weise zugebracht, bis endlich Hippias (welcher den folgenden Morgen wieder in Smyrna seyn mußte) in einem Zustande, worin er mehr dem Vater Silen als einem Weisen glich, von den kleinen Faunen zu Bette gebracht wurde.Agathon hat nun nichts Dringenderes als von Danae zu erfahren, was der Gegenstand ihrer einzelnen Unterredung mit dem Hippias gewesen sey. Man wird es dieser Schönen zu gut halten können, daß sie die Aufrichtigkeit ihres Berichts nicht so weit trieb, ihm das Verständniß zu entdecken, worein sie sich von dem Sophisten anfangs hatte ziehen lassen, und dessen Ausgang sich so weit von der Anlage des ersten Plans entfernt hatte. Die zärtlichste und vertrauteste Liebe verhindert nicht, daß man sich nicht kleine Geheimnisse vorbehalten sollte, bei deren Entdeckung die Eigenliebe zu viel verlieren würde. Sie begnügte sich also, ihm zu sagen: daß Hippias viel Gutes von ihm gesprochen und versichert habe, daß er ihn weit aufgeweckter und artiger finde als er vorher gewesen. Es hätte sie bedünkt, daß er mehr damit habe sagen wollen, als seine Worte an sich selbst gesagt hätten; sie hätte aber eben so wenig daran gedacht ihn zum Vertrauten ihrer Liebe zu machen, als sie Ursache fände, eine Achtung zu verbergen, welche man den persönlichen Verdiensten des Kallias nicht versagen könne. Uebrigens hätte sie die Munterkeit unsers Helden der Zeit, welche das Andenken seiner Unglücksfälle schwäche, und der vollkommnern Freiheit die er in ihrem Hause genösse, beigemessen.Agathon ließ sich durch diese Erzählung nicht nur beruhigen; sondern, wie seine Einbildungskraft gewohnt war, ihn immer weiter zu führen als er im Sinne hatte zu gehen, so fühlte er sich, nachdem sie eine Zeit lang von dieser Sache gesprochen hatte, so muthig, daß er sich vornahm, den Scherzen des Hippias, wofern es demselben jemals einfallen sollte über seine Freundschaft mit Danaen zu scherzen, in gleichem Tone zu antworten. Eine Entschließung, welche (ob er es gleich nicht gewahr wurde) in der That mehr Unverschämtheit voraussetzte, als ein viel längerer Fortgang auf den Abwegen auf die er verirrt war, einem Agathon hätte geben sollen.
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Drittes Capitel.

Zückende Bewegungen der wieder auflebenden Tugend.

Wenige Tage waren seit dem Besuch des Hippias verstossen, als ein Fest, welches dieser Sophist alle Jahre anzustellen pflegte, ihm Gelegenheit gab, der schönen Danae und ihrem Freunde eine Einladung zuzusenden. Weil sie keinen guten Vorwand hatten sich zu entschuldigen, so erschienen sie auf den bestimmten Tag, und Agathon brachte eine Lebhaftigkeit mit, welche ihm selbst Hoffnung machte, daß er sich so gut halten würde, als es die Anfälle, die er von der Schalkhaftigkeit des Sophisten erwartete, nur immer erfordern könnten. Hippias hatte nichts vergessen, was die Pracht seines Festes vermehren konnte; und nach demjenigen, was wir im zweiten Buche von den Grundsätzen, der Lebensart und den Reichthümern dieses Mannes gemeldet haben, können unsre Leser sich so viel davon einbilden als sie wollen, ohne zu besorgen, daß wir sie durch überflüssige Beschreibung von den wichtigern Gegenständen, die unsre Aufmerksamkeit fordern, zurückhalten werden.Agathon hatte über der Tafel die Rolle eines witzigen Kopfes sehr gut gespielt. Er hatte so fein und so lebhaft gescherzt, und bei vielen Gelegenheiten die Vorstellungen, wovon seine Seele damals beherrscht wurde, so deutlich verrathen, daß Hippias sich nicht enthalten konnte, ihm in einem Augenblicke, wo sie allein waren, seine ganze Freude darüber auszudrücken. "Ich bin erfreut, Kallias (sagte er zu ihm), daß du, wie ich sehe, einer der Unsrigen geworden bist. Du rechtfertigest die gute Meinung vollkommen, die ich beim ersten Anblick von dir faßte: ich sagte immer, daß einer so feurigen Seele wie die deinige nur wirkliche Gegenstände mangelten, um ohne Mühe von den Chimären zurück zu kommen, woran du vor einigen Wochen noch so stark zu hängen schienest."Zum Glück für den guten Agathon rettete ihn die Dazwischenkunft einiger Personen von der Gesellschaft, mitten in der Antwort, die er zu stottern angefangen hatte: aber aus der Unruhe, welche diese wenigen Worte des Sophisten in sein Gemüth geworfen hatten, konnte ihn nichts retten. Alle Mühe die er anwandte, alle Zeitkürzungen wovon er sich umgeben sah, waren zu schwach, ihn aus einer Verwirrung heraus zu ziehen, welche sogar durch den Anblick der schönen Danae vermehrt wurde. Er mußte sich unter dem Vorwand einer kleinen Uebelkeit aus der Gesellschaft wegbegeben, um in einem entlegnen Cabinette den Gedanken nachzuhängen, deren auf einmal daher staunende Menge ihm eine Zeit lang alles Vermögen benahm, einen von dem andern zu unterscheiden. Endlich faßte er sich doch so weit, daß er seinem beklemmten Herzen durch folgendes, oft abgebrochenes Selbstgespräch Luft machen konnte."Ich bin erfreut, daß du einer von den Unsrigen geworden? sagte er. — Ist's möglich? Einer von den Seinigen? — Dem Hippias ähnlich? — Ihm, dessen Grundsätze, dessen Leben, dessen vermeinte Weisheit mir vor kurzen noch so viel Abscheu einflößten! — Und die Verwandlung ist so groß, daß sie ihm keinen Zweifel übrig läßt? —Gütige Götter! Was ist aus eurem Agathon geworden? — Ach! es ist mehr als zu gewiß, daß ich nicht mehr ich selbst bin! — Wie? sind mir nicht alle Gegenstände dieses Hanses, von denen meine Seele sich ehemals mit Ekel und Grauen wegwandte, gleichgültig oder gar angenehm geworden? Diese üppigen Gemälde — diese schlüpfrigen Nymphen — diese Gespräche, worin alles, was dem Menschen groß und ehrwürdig seyn soll, in ein komisches Licht gestellt wird —diese Verschwendung der Zeit — diese mühsam ausgesonnenen und über die Forderung der Natur getriebenen Ergötzungen — Himmel! wo bin ich? An was für einem jähen Abhang finde ich mich selbst — Welch ein Abgrund unter mir! — O Danae, Danae!"Hier hielt er ein, um den trostvollen Einflüssen Raum zu lassen, welche dieser Name und die zauberischen Bilder, die damit verbunden waren, über seine sich selbst quälende Seele ausbreiteten. Mit einem schleunigen Uebergang von Schwermuth zu Entzückung durchflog sie jetzt alle diese Scenen von Liebe und Glückseligkeit, welche ihr die letztverflossenen Tage zu Augenblicken gemacht hatten; und von diesen Erinnerungen mit einer innigen Wollust durchströmt, konnte sie oder wollte sie vielmehr den Gedanken nicht ertragen, daß sie in einem so beneidenswürdigen Zustand unter sich selbst herunter gesunken seyn könne. "Göttliche Danae" (rief der arme Kranke in einem verdoppelten Anstoß des wiederkehrenden Taumels aus), ".könnt' es ein Verbrechen seyn, das vollkommenste unter allen Geschöpfen zu lieben? Ein Verbrechen, glücklich zu seyn?" In diesem Tone fuhr Amor (welchen Plato sehr richtig den größten unter allen Sophisten nennt) desto ungehinderter fort ihm zuzureden, da ihm die Eigenliebe zu Hülfe kam und seine Sache zu der ihrigen machte. Denn was ist unangenehmer, als sich selbst zugleich anklagen und verurtheilen müssen? Und wie gern hören wir die Stimme der sich selbst vertheidigenden Leidenschaft? Wie gründlich finden wir jedes Blendwerk, womit sie die richterliche Vernunft zu einem falschen Ausspruch zu verleiten sucht?Agathon hörte diese betrügliche Schutzrednerin so gern, daß es ihr gelang, sein Gemüth wieder zu besänftigen. Er schmeichelte sich, ungeachtet einer Veränderung seiner Denkungsart, die er sich selbst für eine Verbesserung zu geben suchte, den Unterschied zwischen ihm und Hippias noch so groß, so wesentlich zu finden als jemals. Er verbarg seine schwache Seite hinter die Tugenden, deren er sich bewußt zu seyn glaubte, und beruhigte sich endlich völlig mit einem idealischen Entwurf eines seinen eignen Grundsätzen gemäßen Lebens, zu welchem er seine geliebte Danae schon genug vorbereitet glaubte, um ihr selbigen ohne längern Aufschub vorzulegen. Er kehrte nun mit einem so aufgeheiterten Gesichte zur Gesellschaft zurück, daß Danae und Hippias selbst sich leicht bereden ließen, seinen vorigen Anstoß einer vorübergehenden Uebelkeit zuzuschreiben.Ergötzlichkeiten folgten jetzt auf Ergötzlichkeiten so dicht an einander, und so mannichfaltig, daß die überladne Seele keine Zeit behielt, sich Rechenschaft von ihren Empfindungen zu geben; und in diesen brausenden Vergnügungen wurde die ganze Nacht bis zum Anbruch der Morgenröthe hingebracht. Die Gegenwart der liebenswürdigen Danae wirkte mit ihrer ganzen Zauberkraft auf unsern Helden, ohne verhindern zu können, daß er von Zeit zu Zeit in eine Zerstreuung fiel, aus welcher sie ihn, sobald sie es gewahr wurde, zu ziehen bemüht war. Die Gegenstände, welche seinen sittlichen Geschmack ehemals beleidiget hatten, waren hier zu häufig, als daß nicht, mitten unter den flüchtigen Vergnügungen, womit sie gleichsam über die Oberfläche seiner Seele hinglitscheten, ein geheimes Gefühl seiner Erniedrigung seine Wangen mit Schamröthe vor sich selbst, dem Vorläufer der wiederkehrenden Tugend, hätte überziehen sollen.Dieses begegnete insonderheit bei einem pantomimischen Tanze, womit Hippias seine größtentheils von Wein glühenden Gäste noch eine geraume Zeit nach Mitternacht vom Einschlummern abzuhalten suchte. Die Tänzerin, ein reizendes Mädchen, welches ungeachtet seiner Jugend schon lange in den Geheimnissen von Cythere eingeweiht war, tanzte die Fabel der Leda; dieses berüchtigte Meisterstück der eben so vollkommnen als üppigen Tanzkunst der Alten, dessen Wirkungen Juvenal in einer von seinen Satyren mit Zügen schildert, welche mehr der Stärke als der Sittsamkeit wegen merkwürdig sind. Hippias und die meisten seiner Gäste bezeigten ein unmäßiges Vergnügen über die Art, wie seine Tänzerin diese schlüpfrige Geschichte, nach der wollüstigen Modulation zweier Flöten, durch die stumme Sprache der Bewegung von Scene zu Scene bis zur Entwicklung fortzuwinden wußte. Zeuxis und Homer selbst, riefen sie, könnte nicht besser, nicht deutlicher mit Farben oder Worten, als die Tänzerin durch ihre Bewegungen, malen. Die Frauenzimmer glaubten genug gethan zu haben, da sie auf dieses Schauspiel nicht Acht zu geben schienen; aber Agathon konnte den widrigen Eindruck, den es auf ihn machte, nur mit Mühe in sich selbst verschließen. Er wollte eben etwas sagen, welches in einer solchen Gesellschaft keinen großen Effect hätte thun können: als ein beschämter Blick auf sich selbst, und vielleicht die Furcht den ausgelassenen Hippias zu einer allzu scharfen Rache zu reizen, seine Rede auf seinen Lippen erstickte, und (weil doch die ersten Worte einmal gesprochen waren) den vorgehabten Tadel in einen gezwungenen Beifall verwandelte. Er hatte nun keine Ruhe, bis er die schöne Danae bewog, sich mit ihm und einer von ihren Freundinnen aus einer Gesellschaft davon zu schleichen, aus welcher die Grazien schamroth weggeflohen waren; und sein Unwille ergoß sich, während daß sie nach Hause zurückkehrten, in eine scharfe Beurtheilung des verdorbenen Geschmacks der Sophisten, die so lange dauerte, bis sie bei Anbruch des Tages wieder auf dem Landhause der Danae anlangten, um die von Ergötzungen abgemattete Natur durch Ruhe und Schlummer wieder herzustellen.
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Viertes Capitel.

Ein Traum.

Die Stoiker (dieser strenge moralische Orden, dessen Abgang wir mit dem vortrefflichen Montesquieu einen Verlust für das menschliche Geschlecht zu nennen versucht sind) hatten, unter andern Sonderlichkeiten, eine große Meinung von der Natur und Bestimmung der Träume. Sie trieben es so weit, daß sie sich die Mühe gaben, eben so große Bücher über diese Materie zu schreiben, als diejenigen, womit die gelehrte Welt noch in unsern Tagen von einigen weisen Mönchen über die erhabne Kunst, die Gespenster zu prüfen und zu bannen, beschenkt worden ist. Sie theilten die Träume in mancherlei Gattungen und Arten ein, wiesen ihnen ihre geheimen Bedeutungen an, gaben den Schlüssel dazu, und trugen kein Bedenken, einige Arten derselben ganz zuversichtlich dem Einfluß derjenigen Geister zuzuschreiben, womit sie alle Theile der Natur bevölkert hatten. In der That scheinen sie sich in diesem Stücke lediglich nach einem allgemeinen Glauben, der sich von jeher unter allen Völkern und Zeiten erhalten hat, gerichtet, und dasjenige in die Form einer gelehrten Theorie gebracht zu haben, was bei ihren Großmüttern ein sehr unsicheres Gemische von Tradition, Einbildung und Blödigkeit des Geistes gewesen seyn mochte. Dem sey nun wie ihm wolle, so ist doch schwerlich zu läugnen: daß wir zuweilen Träume haben, in welchen so viel Zusammenhang, so viel Beziehung auf unsere vergangnen und gegenwärtigen Umstände, wiewohl allezeit mit einem kleinen Zusatze von Wunderbarem und Unbegreiflichem, anzutreffen ist, daß wir uns, um jener Merkmale der Wahrheit willen, geneigt finden, in diesen letztern etwas Geheimnisvolles und Vorbedeutendes zu suchen. Träume von dieser Art den Geistern außer uns, oder (wie die Pythagoräer thaten) einer gewissen prophetischen Kraft oder Divination unsrer Seele, welche unter dem tiefen Schlummer der Sinne bessere Freiheit haben sich zu entwickeln, mit entscheidender Gewißheit beizumessen, überlassen wir denjenigen, welche zum Besitz jener von Lukrez so enthusiastisch gepriesenen Glückseligkeit, die Ursachen der Dinge einzusehen, in einem vollern Maße gelangt sind als wir. Indessen haben wir uns doch zum Gesetze gemacht, den guten Rath unsrer Großmütter und Tanten nicht zu verachten, welche uns, da wir noch das Glück ihrer einsichtsvollen Erziehung genossen, unter Anführung einer langen Reihe von Familien-Beispielen, ernstlich zu vermahnen pflegten, die Warnungen und Fingerzeige der Träume ja nicht für gleichgültig anzusehen.Agathon hatte diesen Morgen, nachdem er in einer Verwirrung von uneinigen Gedanken und Gemüthsbewegungen endlich eingeschlummert war, einen Traum, den man mit einigem Rechte zu den kleinen Ursachen zählen kann, durch welche große Begebenheiten hervorgebracht worden sind. Wir wollen ihn erzählen, wie wir ihn in unsrer Urkunde finden, und dem Leser überlassen, was er davon urtheilen will.Ihn däuchte, daß er in einer Gesellschaft von Nymphen und Liebesgöttern auf einer anmuthigen Ebne sich erlustige. Danae war unter ihnen. Mit zauberischem Lächeln reichte sie ihm, wie Ariadne ihrem Bacchus, eine Schale voll Nektars, welchen er, an ihren Blicken hangend, mit wollüstigen Zügen hinunter schlürfte. Auf einmal fing alles um ihn her zu tanzen an. Er tanzte mit. Ein Nebel von süßen Düften schien ringsum die wahre Gestalt der Dinge zu verhüllen; tausend liebliche Gestalten, wie Seifenblasen, eben so schnell zerflossen als entstanden, gaukelten vor seiner Stirne. In diesem Taumel hüpfte er eine Zeit lang fort, bis auf einmal der Nebel und seine ganze fröhliche Gesellschaft verschwand. Ihm war, als ob er aus einem tiefen Schlaf erwachte; und da er die Augen aufschlug, sah er sich an der Spitze eines jähen Felsen, unter welchem ein reißender Strom seine beschäumten Wellen fortwälzte. Gegen ihm über, auf dem andern Ufer des Flusses, stand Psyche. Ein schneeweißes Gewand floß zu ihren Füßen herab; ganz einsam und traurig stand sie, und heftete Blicke auf ihn, die ihm das Herz durchbohrten. Ohne sich einen Augenblick zu besinnen, stürzte er sich in den Fluß hinab, arbeitete sich ans andre Ufer hinüber, und eilte seiner Psyche zu Füßen sich zu werfen. Aber sie entschlüpfte ihm wie ein Schatten; er strebte ihr mit ausgebreiteten Armen nach; vergebens! es war ihm unmöglich den kleinen Zwischenraum zurückzulegen, der ihn von ihr trennte. Noch immer heftete sie ihre Blicke auf ihn; ernste Traurigkeit sprach aus ihrem Gesicht, und ihre rechte Hand wies in die Ferne, wo er die goldnen Thürme und die heiligen Haine des Delphischen Tempels ganz deutlich zu unterscheiden glaubte. Thränen stürzten bei diesem Anblick über seine Wangen herab. Er streckte seine Arme, flehend und von unaussprechlichen Empfindungen beklemmt, nach der geliebten Psyche aus. Aber sie floh eilends von ihm weg, einer Bildsäule der Tugend zu, die unter den Trümmern eines verfallnen Tempels, einsam und unversehrt, in majestätischer Ruhe auf einem unbeweglichen Kubus stand. Sie umarmte diese Bildsäule, warf noch einen tiefsinnigen Blick auf ihn, und verschwand. In unbeschreiblicher Angst wollt' er ihr nacheilen, als er sich plötzlich in einem tiefen Schlamme versenket sah; und die Bestrebung, die er anwendete, sich heraus zu arbeiten, war so heftig, daß er davon erwachte.Ein Strom von Thränen, in welchen sein berstendes Herz ausbrach, war die erste Wirkung des tiefen Eindrucks, den dieser sonderbare Traum in seiner erwachten, aber noch ganz von ihren Gesichten umgebenen Seele zurück ließ. Er weinte so lange und so heftig, daß sein Hauptkissen ganz davon durchnetzt wurde. Ach Psyche! Psyche! rief er von Zeit zu Zeit aus, indem er seine gerungenen Arme wie nach ihrem Bilde ausstreckte; und dann brach eine neue Flut aus seinen schwellenden Augen. Wo bin ich? rief er wieder aus, und sah sich um, als ob er bestürzt wäre, sich in einem von Persischen Tapeten schimmernden Gemach auf dem weichsten Ruhebette liegend zu finden — O Psyche! — was ist aus deinem Agathon geworden? — O unglücklicher Tag, an welchem mich die verhaßten Räuber deinem Arm entrissen! — Unter solchen Vorstellungen und Ausrufungen stand er auf, ging in heftiger Bewegung auf und nieder, warf sich abermal auf das Ruhebette, und blieb eine lange Zeit stumm und mit zu Boden starrenden Blicken, unbeweglich, in Gedanken verloren sitzen. Endlich raffte er sich wieder auf, kleidete sich an, und stieg in die Gärten hinab, um in dem einsamsten Theile des Hains die Ruhe zu suchen, die er nöthig hatte, um über seinen Traum, seinen gegenwärtigen Zustand, und die Entschließungen die er zu fassen habe, nachdenken zu können. Unter allen Bildern, welche der Traum in seinem Gemüthe zurück gelassen hatte, rührte ihn keines lebhafter, als die Vorstellung der Psyche, wie sie mit ernstem Gesicht auf den Tempel und die Haine von Delphi wies; diese geheiligten Oerter, wo sie einander zuerst gesehen, wo sie so oft sich eine ewige Liebe geschworen, wo sie so rein, so tugendhaft sich geliebt hatten,"Wie sich im hohen Olymp die Unverkörperten lieben."Diese Bilder hatten etwas so Rührendes, der Schmerz, womit sie ihn durchdrangen, wurde durch die lebhaftesten Erinnerungen seiner ehemaligen Glückseligkeit so sanft gemildert, daß er eine Art von Wollust darin empfand, sich der trauernden Wehmuth zu überlassen, die sie über sein Gemüth verbreiteten. Er verglich seinen jetzigen Zustand mit jener seligen Stille des Herzens, jener immer lächelnden Heiterkeit, jenen sanften unschuldvollen Freuden, zu welchen unsterbliche Zuschauer ihren Beifall gegeben hatten; und indem er unvermerkt, anstatt die Vergleichung unparteiisch fortzusetzen, sich dem Laufe seiner Einbildungskraft überließ, däuchte ihn nicht anders, als ob seine Seele nach jener Elysischen Ruhe, wie nach ihrem angebornen Elemente, sich zurücksehne. Wenn es auch Schwärmereien waren, rief er seufzend aus, wenn es auch bloße Träume waren, in die mein halb abgeschiedner, bald vergötterter Geist sich wiegte —welch eine selige Schwärmerei! Und wie viel glücklicher machten mich diese Traume, als alle die rauschenden Freuden, welche die Sinnen in einem Wirbel von Wollust dahin reißen, und, wenn sie vorüber sind, nichts als Beschämung und Reue, und ein schwermüthiges Leeres in der unbefriedigten Seele zurücklassen!Vielleicht werden unsre Leser aus demjenigen, was damals in dem Gemüthe unsers Helden vorging, sich viel Gutes für seine Wiederkehr zur Tugend weissagen. Aber mit Bedauern müssen wir gestehen, daß sich eine andre Seele in seinem Inwendigen erhob, welche diese guten Regungen in kurzem wieder unkräftig machte; es sey nun, daß es die Stimme der Natur oder der Leidenschaft war, oder daß beide sich vereinigten, ihn, ohne Abbruch seiner Eigenliebe, wieder mit sich selbst und dem Gegenwärtigen auszusöhnen.In der That war es bei der Lebhaftigkeit, welche alle Ideen und Gemüthsbewegungen dieses sonderbaren Menschen bezeichnete, kaum möglich, daß der überspannte Affect, worin wir ihn gesehen haben, von langer Dauer hätte seyn können. Die Stärke seiner Empfindungen rieb sich an sich selbst ab. Seine Einbildungskraft pflegte in solchen Fällen so lange in geradem Laufe fortzuschießen, bis sie sich genöthiget fand wieder umzukehren. Er fing nun an sich zu überreden, daß mehr Schwärmerei als Wahrheit und Vernunft in seiner Betrübniß sey. Er glaubte bei näherer Vergleichung zu finden, daß seine Leidenschaft für Danae durch die Vollkommenheit des Gegenstandes gänzlich gerechtfertiget werde. So vorzüglich ihm kurz zuvor die Glückseligkeit seines Delphischen Lebens, und die unschuldigen Freuden der ersten noch unerfahrnen Liebe, geschienen hatten: so unwesentlich fand er sie jetzt in Vergleichung mit demjenigen, was ihn die schöne Danae in ihren Armen hatte erfahren lassen. Das bloße Andenken daran setzte sein Blut in Feuer und seine Seele in Entzücken; seine angestrengteste Einbildung erlag unter dem Bestreben, eine vollkommnere Wonne zu empfinden. Psyche schien ihm jetzt, so liebenswürdig sie immer seyn mochte, zu nichts anderm bestimmt gewesen zu seyn, als die Empfindlichkeit seines Herzens zu entwickeln, um ihn fähig zu machen, die Vorzüge der unvergleichlichen Danae zu empfinden. Er schrieb es einem Rückfall in seine ehemalige Schwärmerei zu, daß er durch einen Traum, welchen er, bei aller seiner wunderbaren Beschaffenheit, doch für nichts mehr als ein Spiel der Phantasie halten konnte, sich in so heftige Bewegungen hatte setzen lassen. Das einzige was ihn noch beunruhigte, war der Vorwurf der Untreue gegen seine einst so zärtlich geliebte und so zärtlich wieder liebende Psyche. Allein die Unmöglichkeit von der unwiderstehlichen Danae nicht überwunden zu werden (ein Punkt, wovon er so vollkommen als von seinem eignen Daseyn überzeugt zu seyn glaubte) und der Verlust aller Hoffnung, Psychen jemals wieder zu finden (welchen er ohne genauere Untersuchung für ausgemacht annahm), schien ihm gegen diesen Vorwurf von großem Gewicht zu seyn. Um sich desselben gänzlich zu entledigen, gerieth er endlich gar auf den Gedanken, daß seine Verbindung mit Psychen mehr die Liebe eines Bruders zu einer Schwester, eine bloße Liebe der Seelen, als dasjenige gewesen sey, was im eigentlichen Sinn Liebe genannt werden sollte; eine Entdeckung, die ihm bei Vergleichung der Symptomen beider Arten von Liebe unwidersprechlich zu seyn däuchte. Diese Vorstellungen stiegen nach und nach (zumal an einem Orte, wo jede schattichte Laube, jede Blumenbank, jede Grotte ein Zeuge genossener Glückseligkeiten war) zu einer solchen Lebhaftigkeit, daß sie eine Art von Ruhe in seinem Gemüthe wieder herstellten; wenn anders die Verblendung eines Kranken, der in der Hitze seines Fiebers gesund zn seyn wähnt, diesen Namen verdienen kann. Doch verhinderten sie nicht, daß, diesen ganzen Tag über, ein Eindruck von Schwermuth in seiner Seele zurückblieb. Die Bilder der Psyche und der Tugend, welche er so lange gewohnt gewesen war zu vermengen, stellten sich immer wieder vor seine Augen. Umsonst suchte er sie durch Zerstreuungen zu entfernen; sie überraschten ihn in seinen Arbeiten, und beunruhigten ihn in seinen Ergötzungen. Er suchte ihnen auszuweichen, der Unglückliche! und wurde nicht gewahr, daß eben dieß ein vollständiger Beweis war, daß es nicht so richtig mit ihm stand, als er sich selbst zu überreden suchte.
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Fünftes Capitel.

Ein starker Schritt zu einer Katastrophe.

Danae liebte zu zärtlich, als daß ihr der stille Kummer, der eine (wiewohl anmuthige) Düsternheit über das schöne Gesicht unsers Helden ausbreitete, hätte unbemerkt bleiben können. Aber aus eben diesem Grunde war sie zu schüchtern, ihn voreilig um die Ursache einer so unerwarteten Veränderung zu befragen. Es war leicht zu sehen, daß sein Herz leiden müsse; aber mit aller Scharfsichtigkeit, welche den Augen der Liebe eigen ist, konnte sie doch nicht mit sich selbst einig werden, was die Ursache davon seyn könne. Ihr erster Gedanke war: vielleicht könnte ihm ein zu weit getriebener Scherz des boshaften Hippias anstößig gewesen seyn. Allein auch das Aergste, was Hippias gesagt haben konnte, schien ihr nicht genugsam, eine so tiefe Wunde zu machen, als sie in seinem Herzen zu sehen glaubte. Der Vortheil ihres eignen brachte sie bald auf einen andern Gedanken, dessen sie vermuthlich nicht fähig gewesen wäre, wofern ihre Liebe nicht die Eitelkeit überwogen hätte, welche (sagt man) bei den meisten Schönen die wahre Quelle dessen ist, was sie uns für Liebe geben. "Wie, wenn seine Liebe zu erkalten anfinge? sagte sie zu sich selbst. — Erkalten? Himmel! wenn dieß möglich ist, so werde ich bald gar nicht mehr geliebt seyn!" —Dieser Gedanke war für ein völlig eingenommenes Herz zu schrecklich, als daß sie ihn sogleich hätte verbannen können. Wie bescheiden macht die wahre Liebe! Sie, welche gewohnt gewesen war, in allen Augen die Siege ihrer Reizungen zu sehen; sie, die unter den Vollkommensten ihres Geschlechts nicht eine kannte, von der sie jemals in dem süßen Bewußtseyn ihrer Vorzüglichkeit nur einen Augenblick gestört worden wäre; mit einem Worte, Danae fing an mit Zittern sich selbst zu fragen: "ob sie auch liebenswürdig genug sey, das Herz eines so außerordentlichen Mannes in ihren Fesseln zu behalten?" — Und wenn gleich die Eigenliebe sie von Seiten ihres persönlichen Werthes beruhigte, so war sie doch nicht ohne Sorgen, daß in ihrem Betragen etwas gewesen seyn möchte, wodurch das Sonderbare in seiner Denkungsart, oder die Zartheit seines Gefühls hätte beleidiget werden können. "Hatte sie ihm nicht zu viel Beweise von ihrer Liebe gegeben? Hätte sie ihm seinen Sieg nicht schwerer machen sollen? War es sicher, ihn die ganze Stärke ihrer Leidenschaft sehen zu lassen, und sich wegen der Erhaltung seines Herzens allein auf die gänzliche Dahingebung des ihrigen zu verlassen?" — Diese Fragen waren weder spitzfindig, noch so leicht zu beantworten, als manches gute Ding sich einbildet, dem man eine ewige Liebe geschworen hat, und dessen geringster Kummer nun ist, ob man ihr werde Wort halten können oder nicht. Die schöne Danae kannte die Wichtigkeit dieser Frage in ihrem ganzen Umfange; und alles was sie sich selbst darüber sagen konnte, stellte sie doch nicht so zufrieden, daß sie nicht für nöthig befunden hätte, einen gelegenen Augenblick zu belauschen, um sich über alle ihre Zweifel ins Klare zu sehen; im übrigen sehr überzeugt, daß es ihr nicht an Mitteln fehlen werde, dem entdeckten Uebel zu helfen, es möchte nun auch bestehen worin es immer wolle. Agathon ermangelte nicht, ihr noch an dem nämlichen Tage Gelegenheit dazu zu geben.Schwermuth und Traurigkeit machen die Seele nach und nach schlaff, weichmüthig, und mehr als gewöhnlich zu zärtlichen Eindrücken und Regungen aufgelegt. Dieser Satz ist so wahr, daß tausend Liebesverbindungen in der Welt keinen andern Ursprung haben. Ein Liebhaber verliert einen Gegenstand den er anbetet. Er ergießt seine Klagen in den Busen einer Freundin, für deren Reizungen er bisher vollkommen gleichgültig gewesen war. Sie bedauert ihn. Er findet sich dadurch erleichtert, daß er frei und ungehindert klagen kann. Die Schöne ist erfreut, daß sie Gelegenheit hat ihr gutes Herz zu zeigen. Ihr Mitleiden rührt ihn, erregt seine Aufmerksamkeit. Sobald eine Frauensperson zu interessiren anfängt, sobald entdeckt man Reizungen an ihr. Die Reizungen, worin itzt beide sich befinden, sind der Liebe günstig; sie verschönern die Freundin, und blenden die Augen des Freundes. Ueberdieß sucht der Schmerz natürlicher Weise Zerstreuung, und ist geneigt sich an alles zu hängen, was ihm Trost und Linderung verspricht. Eine dunkle Ahnung neuer Vergnügungen, der Anblick eines Gegenstandes der solche geben kann, die günstige Gemüthsstellung worin man denselben sieht, auf der einen, — die Eitelkeit, diese große Triebfeder des weiblichen Herzens, das Vergnügen, so zu sagen über eine Nebenbuhlerin zu siegen, indem man liebenswürdig genug ist, den Verlust des Gegenstandes einer großen Leidenschaft zu ersetzen, die Begierde das Andenken desselben auszulöschen, vielleicht auch die Gutartigkeit der menschlichen Natur und das Vergnügen glücklich zu machen, auf der andern Seite: wie viel Umstände, welche sich vereinigen, unvermerkt den Freund in einen Liebhaber, und die Vertraute in die Hauptperson eines neuen Romans zu verwandeln!In einer Gemüthsverfassung von dieser Art befand sich Agathon, als Danae (welche vernommen hatte, daß er den ganzen Abend in der einsamsten Gegend des Gartens zugebracht) sich nicht mehr zurückhalten konnte ihn aufzusuchen. Sie fand ihn mit halbem Leib auf einer grünen Bank liegen, das Haupt unterstützt, und so zerstreut, daß sie eine Weile vor ihm stand eh' er sie gewahr wurde. Du bist traurig, Kallias, sagte sie endlich mit einer gerührten Stimme, indem sie Augen voll mitleidender Liebe auf ihn heftete. — Kann ich traurig seyn, wenn ich dich sehe? erwiederte Agathon, mit einem Seufzer, welcher seine Frage zu beantworten schien. Auch gab ihm Danae keine Antwort auf ein so verbindliches Compliment, sondern fuhr fort, ihn stillschweigend, aber mit einem Gesicht voll Seele und mit Augen die voll Wasser standen, anzusehen. Er richtete sich auf, und blickte sie eine Weile an, als ob er bis in den Grund ihrer Seele schauen wollte. Ihre Herzen schienen durch ihre Blicke in einander zu zerfließen. Liebst du mich, Danae? fragte endlich Agathon mit einer von Zärtlichkeit und Wehmuth halb erstickten Stimme, indem er einen Arm um sie schlang, und fortfuhr sie mit bethränten Augen anzuschauen. Sie schwieg eine Zeit lang. Ob ich dich liebe? — war alles was sie sagen konnte. Aber der Ausdruck, der Ton, womit sie es sagte, hätte durch alle Beredsamkeit des Demosthenes nicht ersetzt werden können. Ach Danae! (erwiederte Agathon) ich frage nicht, weil ich zweifle. Kann ich eine Versicherung, von welcher das ganze Glück meines Lebens abhängt, zu oft von diesen geliebten Lippen empfangen? Wenn du mich nicht liebtest, wenn du aufhören könntest mich zu lieben — Was für Gedanken, mein liebster Kallias! (unterbrach sie ihn). Wie elend wär' ich, wenn du sie in deinem Herzen fändest! wenn dieses dir sagte, daß eine Liebe wie die unsrige aufhören könne!Ein übel verhehlter Seufzer war alles was er antworten konnte. Du bist traurig, Kallias, fuhr sie fort; ein geheimer Kummer bricht aus allen deinen Zügen hervor? Du begreifst nicht, nein, du begreifst nicht was ich leide, dich traurig zu sehen ohne die Ursache davon zu wissen. Wenn mein Vermögen, wenn meine Liebe, wenn mein Leben selbst hinlänglich ist sie von dir zu entfernen, o so verzögre keinen Augenblick dein Innerstes wir aufzuschließen! —Der gefühlvolle Agathon war bis zu sprachloser Entzückung gerührt. Er wand seine Arme um sie, drückte sein Gesicht auf ihre klopfende Brust und konnte lange nur durch die Thränen reden womit er sie benetzte.Nichts ist ansteckender als der Affect einer in Empfindung zerfließenden Seele. Danae. ohne die Ursache aller dieser Bewegungen zu wissen, wurde so sehr von dem Zustande gerührt, worin sie ihren Liebhaber sah, daß sie, eben so sprachlos als er selbst, sympathetische Thränen mit den seinigen vermischte. Diese Scene, welche für den gleichgültigen Leser nicht so interessant seyn kann als sie es für unsre Verliebten war, dauerte eine ziemliche Weile. Endlich faßte sich Agathon, und sagte in einer von diesen zärtlichen Ergießungen der Seele, an welchen die Ueberlegung keinen Antheil hat, und worin man keine andere Absicht hat als ein volles Herz zu erleichtern: ich liebe dich zu sehr, unvergleichliche Danae, und fühle zu sehr, daß ich dich nicht genug lieben kann, um dir länger zu verhehlen, wer dieser Kallias ist, den du, ohne ihn zu kennen, deines Herzens würdig geachtet hast. Ich will dir das Geheimniß meines Namens und die ganze Geschichte meines Lebens, so weit ich in selbiges zurück zu sehen vermag, entdecken; und, wenn du alles wissen wirst, — denn warum soll' ich einer Seele, wie die deinige, nicht alles entdecken dürfen? — dann wirst du vielleicht natürlich finden, daß der flüchtigste Zweifel, ob es möglich seyn könne deine Liebe zu verlieren, hinlänglich ist mich elend zu machen.Danae stutzte, wie man sich vorstellen kann, bei einer so unerwarteten Vorrede. Sie sah unsern Helden so aufmerksam an als ob sie ihn noch nie gesehen hätte, und verwunderte sich jetzt über sich selbst, daß ihr nicht längst in die Augen gefallen war, daß weit mehr unter ihrem Liebhaber verborgen seyn müsse, als die Nachrichten des Hippias, und die Umstände, worin sich ihre Bekanntschaft angefangen, vermuthen ließen. Sie dankte ihm auf die zärtlichste Art für die Probe eines vollkommenen Zutrauens, die er ihr geben wolle, und, nach einigen vorbereitenden Liebkosungen, womit sie ihre Dankbarkeit bestätigte, fing Agathon die folgende Erzählung an.
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Anmerkungen.

Ueber das Historische im Agathon.

S. 3. Z. 10. Kenner von großem Ansehn — Cicero, ep, ad. A. Fratrem, I. 1, 8. Cyrus ille a Xenophonte non ad historiae scriptus, sed ad effigiem justi imperii: cujus summa gravitas ab illo philosopho cum singulari comitate conjungitur. W.S. 3. Z. 14. Ein späterer Schriftsteller — Auson. in Panegyrico ad Gratian. Noni qualis esset, sed qualis esse deberet. W.S. 6. Z. 17. Demosthenes — Kuß —S. Bayle Dict. Article Lais. Rem. N. W.S. 6. Z. 21. Helena — zählte — Bayle Diet. Art. Helene, Rem. Q, W.S. 6. Z. 22. Lamia — Plutarch im Demetrius.S. 7. Z. 22. Plato in einem seiner Briefe — Epist. 7. Tom. III. opp. p. 313. ed. Steph. W.S. 8 Z. 2. Aristides — anpreisen — Marmor. Oxon. 2. 78. 143. Aristid., Tom. opp. II. P. 307. ed. Cant. Philostr. in vita Apollon, L. IV. c. 7. W.S. 8. Z. 9. Plato in seinen Dialogen — Besonders, im größern und kleinern Hippias, im Protagoras, Gorgias und Sophistes. Wir sagen mit Bedacht, nicht viel besser. Denn, wiewohl sie unläugbar so schädliche Leute waren, als Plato sagt, so waren sie doch gewiß nicht halb so dumm, als er sie macht; und wie hätten sie auch so schädlich seyn können, wenn sie so dumm gewesen wären? In der That ist dieser sophistisirende Sokrates Ursache, daß man gewöhnlicher Weise den Sophisten, seinen Nebenbuhlern, nicht alle Gerechtigkeit, Berachtung finten. — Posten vero vulgo hoc facere coeperunt hodieque faciunt, ut nulla sit res neque tanta neque tam improvisa neque Um nova, de qua se non omnia quae dici possint, profiteantur esse dic- die ihnen gebührt widerfahren läßt wie von gelehrten Männern z B Hardion in seinen Abhandlungen sur I'origine er les progres Rhetorique parmi les Drecs ausführlicher gezeigt worden ist WS o Z 2 Plato schreibt dem Agathon — Charakter zu Plato in Protagota. Greek Greek Greek Greek Greek Greek Greek Greek Greek WS s s 1i Aristophanes Scholiast Scholiast. ad Aristoph. mms Act. i 8ceu ii 84 Greek Greek Greek WS 9 s Archelaus von Macedonien — S Suas Diction Art. Archelaus und Euripides WS s 7 Leontiums tragischer Tod — S Bayle vue Art Leontium nein v WS Z 11. 12 Glycera an Menander — S den 29 Brief des l und den 4 des ii Buches W.S Z 4 Hippias brachte ein Vermögen zusammen Philostratus de vitis Sophist L I 495 US Z ,12 Mehr damit gewann als zwei andre — p. 282. r iii opp Eni W.S 12 Z 28 24 Gorgias Bildsäule von gediegenem Golde — Cicero Oratora L u 32 WS ie Z i7 Graeculus — Ein kleiner Grieche Die römische Republik war an literarischer Cultur zu der Zeit als sie Griechenland unterjochte noch sehr zurück und von da an reiseten entweder die 3Somer nach Griechenland um zu lernen oder Griechen nach Roni um zu lehren Da sich zu dem letzten viele gut genug dünkten die in Griechenland nichts anzufangen wußten und in Rom nur Keckheit nöthig zu haben glaubten so mußten sie bet den Gebildeten in 0eas L c 22 Die Unverschämtheit dieser kleinen Griechen welche Cicero hier verspottet stieg in der Folge tn eben dein Maße wie unter den Cäsarn mit dem Geiste der ueppigkeit alle Arten von Ausschweifungen und Thorheiten Rom aufs äußerste stiegen Man kann nichts Lächerlicheres lesen als Abschilderung welche Juvenal in seiner dritten Satyre von einem solchen Graeculus macht: Dieser Schlaukopf hier der sich mit einer so unver Dreistigkeit darstellt, so geschwind spricht, und uns mit einem so reißenden Strome von Worten ohne Bedeutung überschwemmt, was meint ihr, wer er sey? Er ist Jedermann: in seiner einzigen Person bringt er uns alle Stände und Professionen mit; er ist Philolog, Rhetor, Geometer, Maler, Bader, Zeichendeuter, Seiltänzer, Arzt, Goldmacher; was sollt' ein kleiner Griechischer Bel-esprit nicht wissen, oder nicht seyn, wenn ihn hungert? Er steigt euch in den Himmel, wenn ihr's haben wollt." Kennen wir nicht in Deutschland Originale zu diesem Gemälde, aus einer Nation, welche uns in vielen Stücken das ist, was die Griechen ehemals den Römern waren? W.S. 13. Z. 19. Sogar diese Halbstiefeln — eigenen Arbeit — Plato in Hipp. minor. T. opp. I. p. 368. und Cicero, der hierin dem Plato nachspricht, de Orat. L. III. c. 32. W.S. 14. Z. 8. Topinambus — Wilde amerikanische Völkerschaft am Amazonenflusse.S. 15. Z. 17. Geschichte der Sokratischen Schule — Vielerlei meistens bloß zufällige, aber darum nicht weniger unüberwindliche Hindernisse haben diese Idee, die der Verfasser lange mit sich herumtrug, nicht zur Ausführung kommen lassen. Doch hat Wieland einen großen Theil seiner Ansichten und Untersuchungen nachher niedergelegt in den Briefen Aristipps und der Lais.S. 16. Z. 4. Aristipp — vergüten können — Dieses Urtheil von der Philosophie Aristipps, und dem Charakter, mit welchem er im Agathon aufgeführt ist, hat unser Autor (wenn wir nicht irren) durch die ausführliche Darstellung, die er von beiden in seinem Commentar über die Horazischen Episteln und in den Briefen Aristipps gemacht hat, hinlänglich gerechtfertigt.S. 16. Z. 15. Archytas — Alles was man von dem Leben und Charakter desselben in einer Menge von alten Schriftstellern zerstreut antrifft, hat Andreas Schmid, ein ehemaliger Lehrer der hohen Schule zu Jena, in einer gelehrten Abhandlung de Archyta Tarentino zusammengetragen, welche im Jahre 1683 daselbst ans Licht getreten ist. W.
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Buch 1.

S. 18. Z. 16. Ochsen des Phalaris — Seneca im 66. seiner Briefe belehrt uns, daß diese Rodomontade einem Philosophen zugehört, zu welchem man sich so etwas wohl nicht versehen hätte. Epikur war es, welcher sagte: "Der Weise, wenn er in dem Ochsen des Phalaris gebraten würde, würde ausrufen: wie wohl ist mir!" Da ein Epikur so was Schönes gesagt hatte, so könnten, wie Seneca meint, die Stoiker nun wohl mit Ehren nicht weniger sagen. Indessen gesteht er doch, daß ein weiser Mann, wenn es bei ihm stände, lieber nicht gebraten werden wollte; aber nicht etwan um der Unbehaglichkeit der Sache willen, sondern weil es der Natur nicht gemäß ist, daß ein weiser Mann sich ohne Noth braten lasse. W.S. 20. Z. 27. Zug des Bacchus aus Indien — Die Mysterien oder der geheime Gottesdienst des Bacchus durften ordentlicher Weise nur von Frauenspersonen begangen werden, und wurden von der fanatischen Wuth, in welche man sich, um die mächtigen Wirkungen des Weingottes auszudrücken, dabei setzte, vorzugsweise Orgia genannt. Zu dem Gemälde, welches hier davon gemacht wird, haben Euripides, Virgil und Ovid die Farben hergegeben. W.S. 21. Z. 1. La Fage (Remond)— Einer der genievollsten Zeichner (geb. zu Toulouse 1648), dessen von Weise nachgestochene Blätter viel bekannter zu seyn verdienten, war, wo er Nymphen und Saturn darstellte, nicht sonderlich züchtig.S. 22. Z. 7. Pentheus und Orpheus — Beide hatten das Unglück, von Bacchantinnen in einem Anstoß fanatischer Raserei zerrissen zu werden. W.S. 24. Z. 9. Gynäceen — Gynäkeion hieß der innere Theil des Hauses bei den Griechen, worin die Frauen, nach orientalischer Sitte, abgesondert von dem männlichen Geschlechte lebten.S. 26. Z. 16. Gleich dem Horazischen Gyges — Horat. Od, II. 5.Der, eingeschaltet fröhlichen Mädchenreihen,Gar sehr den Scharfsinn täuschte der Fremdlinge, Kaum unterscheidbar durch des Haares Flatternden Wuchs und das Heuchel-Antlitz.S. 40. Z. 5. An den Ufern des Oxus — Dieß zielt vermuthlich auf die am Oxus, oder Amu (wie er nun heißt) gelegene und von Gengiskhan zerstörte Stadt Balch oder Balk, wo das berühmteste Collegium der Persischen Magier aus Zoroasters Schule war. W.S. 44. Z. 14. Großen Königs — So nannten die Griechen gewöhnlich den König von Persien. W.S. 45. Z. 7. Barbados — Die am östlichsten gelegene Karaibische Insel, auf welcher ein sehr beträchtlicher Sklavenhandel getrieben wird. Alle dreißig Jahre werden 100,000 Negersklaven hieher geschafft.
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Buch 2.

S. 48. Z. 11. Sechs Obolen — Der Obolus war eine kleine Griechische Münze, ungefähr s Pfennige unsers Geldes.S. 54. Z. 25. Das Gastmahl des Alcinous — S. Homers Odyssee, Ges. 8.S. 56. Z. 10. Alexander von Pherä — Ein seiner brutalen Gemüthsart wegen ubel berüchtigter kleiner Fürst in Thessalien, der um die Zeit dieser Geschichte lebte. S. Plutarch im Pelopidas.S. 57. Z. 20. Xenokrates — Berühmt durch seine Enthaltsamkeit, bestand eine für die Meisten vielleicht allzugefährliche Probe bei der schönen Phryne, die von ihm das Zeugniß ablegte, daß er eine Bildsäule sey. Diog. Laërt. 4, 2.S. 66. Z. 4. Woher kennst du diesen obersten Geist? — Der Verfasser wollte, zur Warnung derjenigen, welche über viele Gegenstände wie Hippias denken, ohne die Folgen seiner Grundsätze zu übersehen, zeigen, daß sie gerades Weges zum Atheismus führen. Hippias läugnet zwar das Daseyn eines höchsten Wesens nicht; aber er behauptet, daß man es nicht beweisen könne, und daß der Begriff desselben kein Verhältniß gegen unsre übrigen Begriffe habe, folglich gar nicht in die Reihe unsrer Begriffe gehöre. Diese Art von Skepticismus ist wahre Atheisterei, und raubt dem Menschen, wie Agathon ganz richtig bemerkt, das kräftigste Mittel, alle die Hindernisse, welche sich der Tugend entgegensetzen, zu überwinden. Agathon hält sich bei diesem Beweise gegen die Grundsätze des Hippias am meisten auf, weil er der einleuchtendste ist. Wir wollen damit den sogenannten metaphysischen Beweisen nicht allen Werth abgesprochen haben: aber selbst diejenigen, die ihnen eine Evidenz, wobei die Vernunft sich beruhigen könne, zuschreiben, können nicht in Abrede seyn, daß der moralische Beweis, welchen Agathon gegen den Sophisten geltend macht, das Herz überzeugt; und dieß war, nach Agathons damaliger Gemüthsstimmung, die vollkommenste Art von Ueberzeugung. Daß übrigens dem Hippias nicht zu viel geschehen sey, indem man ihn als einen skeptischen Atheisten vorgestellt hat, ist desto wahrscheinlicher, da wir von einem seiner Professionsverwandten, dem Protagoras, zuverlässig wissen, daß er aus Athen verbannt worden, weil er öffentlich gelehrt hatte: "Er sehe keine Gründe, das Daseyn der Götter Götter weder zu bejahen, noch zu verneinen." Cic. de Nat. Deor. I. c. 28. W.S. 72. Z. 21. Sylphen — Sind in des Hippias Mund ohne Zweifel nur aus Vergeßlichkeit des Dichters gekommen.S. 75. Z. 5. Damon — Von Athen, ein Freund des Sokrates, bildete Platon zufolge den rhythmischen Theil der Musik vorzüglich aus. Aristides Quintilianus rühmt seine Kunst, den Melodien Charakter und Bedeutung zu geben.S. 77. Z. 4. Theophrast — (Der vorzüglichste unter den Schülern des großen Aristoteles, und den Lesern des Agathon vermuthlich aus seinen Charaktern bekannt) soll, da er in einem Alter von fünsundachtzig (oder, wie der heilige Hieronymus sagt, von hundert und sieben) Jahren sein Ende herankommen sah, sich bitterlich über die Natur beklagt haben, daß sie dem Menschen nur eine so kurze Lebenszeit zugestehe. "Ich habe nun, sprach er, gerade so lange gelebt, um mich in der Welt umsehen und lernen zu können, wozu das Leben gut ist; und nun, da ich Gebrauch davon machen möchte, muß ich abtreten." Es ist der nämliche Gedanke, welchen Pope mit der ihm eigenen Kunst in die berühmte Zeile zusammen gezogen hat:
Since Life can little more supply,
Than just to look about us and to die. W.
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Buch 3.

S. 84. Z. 25. Alkamenes und Polygnotes — Griechische Maler, die in ihrer Kunst so berühmt waren als Homer in der Poesie.S. 89. Z. 5. Heraklitus — Dieser tiefforschende Ionische Naturphilosoph, Verfasser eines Werks über die Natur, wurde von den Alten der Dunkle genannt.S. 90. Z. 4. Ambrosischer Geruch — S. Anmerk. zu Bd. 26.S. 90. Z. 7. Empyräische Gegenden — S. Anmerk. zu Bd. 26.S. 95. Z. 2. Sogdianer — Am Oxus wischen Indien und Scythien der alten Geographie.S. 102. Z. 15. Merkure und Mus — Werden hier zusammengestellt wie Beredsamkeit und Poesie, denn jener stand Merkur vor wie dieser die Musen. Der Götterbote und Geschäftsträger konnte nicht ohne Beredsamkeit seyn.S. 103. Z. 27. Stein der Weisen — Mit diesem dürfte es sich hier schwerlich anders verhalten als oben mit den Sylphen.S. 106. Z. 8. Nur in freien Staaten — Hippias spricht hier als ein Mann, der von einer auf Grundsätze gebauten und mit der Freiheit des Volkes sehr wohl verträglichen monarchischen Verfassung keinen Begriff hatte. Zu seiner Zeit kannte man nichts als despotische Reiche und Freistaaten. W.S. 109. Z. 16. Antiphon — Dieser Antiphon soll der erste gewesen seyn, der die Kunst vor Gerichte zu reden zu einer gewissen Vollkommenheit gebracht. Auch von ihm rühmt man, daß er seine Zuhörer alles, was er gewollt, habe überreden können. (Philostr. vit. Sophist, I. 15.) Gleichwohl konnte er, da er wegen eines Staatsverbrechens angeklagt wurde, die Athener nicht überreden, ihn los zu sprechen, wiewohl Thucydides, der selbst dabei zugegen war, versichert, neminem unaquam melius ullam oravisse capitis causam. Cicero de Clar. Or. XlI. W.S. 110. Z. 7. Gnathonen — Gnatho ist der Name eines aus den Lustspielen des Terenz bekannten Schmarozers.S. 110. Z. 22. Aspasia —— die Rolle des Körpers durch andre spielen ließ — Wir haben keinen sittsamern Ausdruck für die Gefälligkeit finden können, deren Aspasia von einem gewißen Komödienmacher Hermippus öffentlich beschuldiget wurde. Plutarch und sein ehrlicher wälscher Uebersetzer Amyot sagen, ohne Umschweife, qu'elle servoit de maquerelle à Periclès, recevant en sa maison des bourgoises de la ville, dont Periclès jouissoit. W.S 111. Z. 10. Was ist das Schöne? das Gute? — Dieß ist dieselbe Frage, über welche der Platonische Sokrates unsern Sophisten in dem Dialog, den man den größern Hippias nennt, schikanirt. Hippias bekannte sich wirklich zu den Grundsätzen, die man ihn in diesem Kapital behaupten läßt. Sie sind vollkommen das Widerspiel derjenigen, weiche Plato in seinem Phädrus lehrt. Nur hat man freilich den Sophisten ein wenig scheinbarer und witziger reden lassen müssen, als ihn Plato reden läßt; er mußte doch wenigstens verdienen angehört zu werden. W.S. 112. Z. 6. Serer — ohne Zweifel werden die Chineser unter diesem Namen gemeint. W.S. 114. Z. 28. Die Perserin für das schönste Weib — Die heutigen Perserinnen, und diejenigen, von welchen Hippias spricht, sind nicht die nämlichen. Die heutigen sind nach dem Zeugnisse der glaubwürdigsten Augenzeugen mehr häßlich als schön. Die Schönen in den Harems der Großen, und selbst diejenigen, welche man öffentlich zu sehen bekommen kann, sand aus Tschirkassien und Georgien. W.S. 119. Z. 1. Jener Citharschläger von Aspendus — Cicero I, in Verrem, c. 20, Illum Aspendium Citharistam, de quo saepe audistis id quod est Graecis hominibus in proverbio quem omnia intus canere dicebant. W.S. 119. Z. 24. Dädalus — Dädalus war der erste Griechische Bildhauer, der seinen Bildern abgesonderte Füße, oder (mit dem König Lear beim Shakespeare zu reden) eine gabelförmige Gestalt gab. Dieß wurde für ein so großes Kunststück angesehen, daß in spätern Zeiten die Sage ging, seine Bildsäulen hätten (gleich denjenigen welche Homers Vulcan bildete) von sich selbst wandeln können wohin sie gewollt hätten, und man hätte sie fesseln müssen, damit sie ihrem Besitzer nicht davon liefen. Plato, opp. II. 97. W.

Buch 4.

S. 125. Z. 6. Tempel der Diana — Wo die Keuschheit heimisch seyn sollte, etwa wie in unsern Nonnenklöstern.S. 125. Z. 7. Gymnosophist — ein indischer Weiser, der, zur Probe seiner Weisheit, nackt sich der größten Gluth und Kälte aussetzte.S. 136. Z. 19. Standen auch in keiner geringern Achtung —Dem Sophisten Gorgias wurde eine goldene Bildsäule zu Delphi gesetzt. Die nämliche Ehre widerfuhr der berühmten Phryne. S. Plutarch in der Abhandlung von den Orakeln der Pythia, und in einer andern über die Liebe. Ihr Griechen seyd doch ewig Kinder, sagte ein Aegyptischer Priester zu Solon: und der Priester hatte Recht. W.S. 136. Z. 22. Die Thargelien, die Aspasien, die Leontion — Namen berühmter Hetären. Thargelia wurde noch mit einem Thessalischen König vermählt.S. 141. Z. 16. (Plato's) kleine Zerstreuung — Die Verehrer des Plato haben keine Ursache sich an dieser kleinen Anekdote zu ärgern. Die Schwachheit, deren ihn die schöne Danae beschuldiget, wird durch ein bekanntes Distichon, welches ihn unleugbar zum Verfasser hat, mehr als zu gut bestätiget, und es wäre zur Ehre des Philosophen zu wünschen, daß diese Verse wirklich einer Freundin der Danae gegolten hätten. W.S. 146. Z. 15. Eine Art von pantomimischen Tänzen — Man sehe davon ein Beispiel im Gastmahle des Xenophon. W.S. 147. Z. 9. (Aspasia's) Frauenzimmerschule — S. Bayle Diction. Article Perikles. Bem. O. W.S. 148. Z. 15. Jüngere Cyrus — S. Bd. 3.
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Buch 5.

S. 173. Z. 1. Diotima — Eine Dame, von welcher Sokrates in dem Gastmahle des Plato seine Theorie von der Liebe und die wahre Kunst zu lieben gelernt zu haben versichert. W.S. 181. Z. 5, Guidi — Endimione, Atto V. Sc. 2. W.S. 183. Z. 20. Molly Seagrlm — Man kennt diese erste Zuneigung des Fieldingischen Tom Jones aus dem ersten Theile seiner lehrreichen Geschichte. W.S. 188. Z. 27. Des Liebhabers der schönen Laura —Petrarka schreibt diese Gewalt nicht der Stimme, sondern den Augen seiner Laura zu:
Possenti a rischiarar abisso e notti
E torre l'alme a' corpi e darle altrui.
                       Sonnet. 178. W.
S. 194. Z. 3. Zoilus. — S. Anmerk. zu Don Sylvio von Rosalva.S. 194. Z. 12. Deus ex machina — S. Anmerk. zu Don Sylvio von Rosalva.S. 196. Z. 14. Bescheidne Zurückhaltung Virgils — Aeneis 4, 165.S. 198. Z. 4. Wenn es ihm möglich gewesen wäre — Widerstand zu thun — In den ältern Ausgaben dieses Werkes lieset man hier folgenden Beisatz: "Wagen wir zu viel, wenn wir einen solchen Widerstand in seinen Umständen für unmöglich erklären, nachdem er einem Agathon unmöglich gewesen ist?" — Die Frage scheint zwar diesen Ausspruch in ein Problem zu verwandeln; aber es fällt deutlich genug in die Augen, daß sie eine bloße Wendung ist, um das Auffallende desselben in etwas zu mildern. Der Verfasser hat sich also gedrungen gefunden, diese Stelle wegzustreichen, da sie (nach seiner dermaligen Ueberzeugung) zwei falsche Sätze in sich schließt. Denn, erstens ist Agathon, wie groß auch seine Vorzüge seyn mögen, nur ein einzelner Mensch, dessen Tugend nicht zum Maßstabe der moralischen Kräfte der menschlichen Natur gemacht werden kann; und zweitens ist es falsch, daß Agathon selbst den Widerstand, den er nicht gethan hat, nicht hätte thun können, wenn er sich aller Kräfte eines vernünftigen und freien Wesens, folglich aller moralischen Hülfsquellen der Tugend, die in seiner Gewalt waren, so wie es seine Pflicht war, bedient hätte. Der Zusatz: "in seinen Umständen," macht die Behauptung nicht richtiger; denn die Umstände könnten wohl die Schuld vermindern, aber nicht entschuldigen, geschweige denn rechtfertigen. W.S. 206. Z. 16. Tausch der Seelen — Bodmer in der Noachide, u. a. w. W.S. 206. Z. 25. 26. Shaftesbury. Lukrez. — Shaftesbury (Charakteristicks T. 3.) mußte die Liebe als Enthusiasmus betrachten, weil er die Einbildungskraft zu ihrer Quelle macht, und die menschliche Vollkommenheit in Schönheit setzt. Lukrez nach der Epikureischen Theorie der Natürlichkeit verspottet dagegen jene Art von Liebe, de rerum Natura IV. 1151 sgg.
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Buch 6.

S. 227. Z. 19. Dessen Wirkungen Juvenal —— schildert. Satira 6, 63 fgg.S. 228. Z. 24. Mit Montesquieu — Si je pouvois un moment cesser de penser que je suis chrétien, je ne pourrois m'empècher de mettre la déstruction de la secte de Zenon au nombre des malheirs du genre humain. Esprit des Lois, Livre XXIV. Ch. 10. W.