C. M. Wieland's
Werke.Vierter Band.
Leipzig.G. J. Göschen'sche Verlagshandlung.1853.
Buchdruckerei der J. G. Cotta'schen Buchhandlung in Stuttgart. ,
Geschichte des Agathon.
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Quid Virtus et quid Sapientia possit
Utile proposuit nobis exemplum.
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Erster Band.Vorbericht
zur ersten Ausgabevom Jahr 1767.Der Herausgeber der gegenwärtigen Geschichte siehet
so wenig Wahrscheinlichkeit vor sich, das Publicum zu überreden,
daß sie in der That aus einer alten griechischen Handschrift
gezogen sey, daß er am besten zu thun glaubt, über
diesen Punkt gar nichts zu sagen, und dem Leser zu überlassen,
davon zu denken was er will.
Gesetzt, daß wirklich einmal ein Agathon gelebt hätte,
daß sich aber von diesem Agathon nichts Wichtigers sagen ließe,
als was gewöhnlich den Inhalt des Lebenslaufs aller alltäglichern
Menschen ausmacht; was würde uns bewegen können,
seine Geschichte zu lesen, wenn gleich gerichtlich erwiesen werden
könnte, daß sie in den Archiven des alten Athens gefunden
worden sey?Die Wahrheit, welche von einem Werke, wie dasjenige
ist, so wir den Liebhabern hiermit vorlegen, gefordert
werden kann, bestehet darin: daß alles mit dem Laufe
der Welt übereinstimme; daß die Charakter nicht bloß
willkürlich nach der Phantasie oder den Absichten des Verfassers
gebildet, sondern aus dem unerschöpflichen Vorrathe
der Natur selbst hergenommen seyen; daß in der Entwicklung
derselben sowohl die innere als die relative Möglichkeit,
die Beschaffenheit des menschlichen Herzens, die Natur einer
jeden Leidenschaft, mit allen den besondern Farben und Schattirungen,
welche sie durch den Individualcharakter und die
Umstände jeder Person bekommen, aufs genaueste beibehalten,
das Eigene des Landes, des Ortes, der Zeit, in welche die Geschichte
gesetzt wird, niemals aus den Augen gesetzt, und, kurz,
daß alles so gedichtet sey, daß sich kein hinlänglicher Grund
angeben lasse, warum es nicht gerade so, wie es erzählt
wird, hätte geschehen können. Diese Wahrheit allein kann
ein Buch, das den Menschen schildert, nützlich machen, und
diese Wahrheit getrauet sich der Herausgeber den Lesern der
Geschichte des Agathon zu versprechen.Seine Hauptabsicht war, sie mit einem Charakter, welcher
genau gekannt zu werden würdig wäre, in einem mannichfaltigen
Lichte und von allen seinen Seiten bekannt zu
machen. Ohne Zweifel gibt es wichtigere, als derjenige, auf
den seine Wahl gefallen ist. Allein, da er selbst gewiß
zu seyn wünschte, daß er der Welt keine Hirngespenster für
Wahrheit verkaufe, so wählte er denjenigen, den er am genauesten
kennen zu lernen Gelegenheit gehabt hat. Aus
diesem Grunde kann er ganz zuverlässig versichern, daß Agathon
und die meisten übrigen Personen, welche in seine
Geschichte eingeflochten sind, wirkliche Personen sind, und daß
(die Nebenumstände, die Folge und besondere Bestimmung der
zufälligen Begebenheiten, und was sonsten bloß zur willkürlichen
Auszierung gehört, ausgenommen) alles, was das Wesentliche
derselben ausmacht, eben so historisch, und vielleicht
noch um manchen Grad gewisser sey, als die neun Musen des
Vaters der Geschichte Herodot, die Römische Historie des
Livius, oder die Französische des Jesuiten Daniel.Es ist etwas Bekanntes, daß im wirklichen Leben oft
weit unwahrscheinlichere Dinge begegnen, als der ausschweifendste
Kopf zu erdichten sich getrauen würde. Es würde
also sehr übereilt seyn, die Wahrheit des Charakters unsers
Helden deßwegen in Verdacht zu ziehen, weil es zuweilen
unwahrscheinlich seyn mag, daß jemand so gedacht oder gehandelt
habe wie er. Da es aber wohl unmöglich seyn und
bleiben wird, zu beweisen, daß ein Mensch, unter den besondern
Bestimmungen, unter welchen sich Agathon von seiner
Kindheit an befunden, nicht so denken oder handeln könne
wie er, oder wenigstens es nicht ohne Wunderwerk oder Bezauberung
hätte thun können: so glaubt der Verfasser mit
Recht erwarten zu können, daß man ihm auf sein Wort
glaube, wenn er zuversichtlich versichert, daß Agathon wirklich
so gedacht oder gehandelt habe. Zu gutem Glücke finden
sich in den beglaubtesten Geschichtsschreibern, und schon allein
in den Lebensbeschreibungen des Plutarch, Beispiele genug,
daß es möglich sey, so edel, so tugendhaft, so enthaltsam,
oder (in einer Sprache des Hippias, und einer ansehnlichen
Classe von Menschen seines Schlages zu reden) so seltsam,
eigensinnig und albern zu seyn, als es unser Held in einigen
Gelegenheiten seines Lebens ist.Man hat an verschiedenen Stellen des gegenwärtigen
Werkes die Ursache angegeben, warum man aus dem Agathon
kein Modell eines vollkommen tugendhaften Mannes
gemacht hat. Es ist im Grunde die nämliche, warum
Aristoteles nicht will, daß der Held eines Trauerspiels
von allen Schwachheiten und Gebrechen der menschlichen
Natur frei seyn solle. Da die Welt mit ausführlichen
Lehrbüchern der Sittenlehre angefüllt ist, so steht einem
jeden frei (und es ist nichts leichter) sich einen Menschen
vorzubilden, der von der Wiege bis ins Grab, in allen
Umständen und Verhältnissen des Lebens, allezeit und vollkommen
so empfindet und handelt, wie eine Moral. Aber
damit Agathon das Bild eines wirklichen Menschen wäre,
in welchem viele ihr eigenes und alle die Hauptzüge der
menschlichen Natur erkennen möchten, durfte er (wir behaupten
es zuversichtlich) nicht tugendhafter vorgestellt werden,
als er ist; und wofern jemand hierin anderer Meinung
seyn sollte, so wünschten wir, daß er uns denjenigen
nenne, der unter allen nach dem natürlichen Laufe
Gebornen, in ähnlichen Umständen und alles zusammen
genommen, tugendhafter gewesen wäre als Agathon.Es ist möglich, daß irgend ein junger Taugenichts,
wenn er siehet, daß ein Agathon den reizenden Verführungen
der Liebe und einer Danae endlich unterliegt, eben
den Gebrauch davon machen könnte, den der junge Chärea
beim Terenz von einem Gemälde machte, welches eine von
den Schelmereien des Vaters der Götter vorstellte. Wir
möchten nicht dafür stehen, daß ein solcher, wenn er mit
herzlicher Freude gelesen haben wird, wie ein so vortrefflicher
Mann habe fallen können, nicht zu sich selbst sagen
könnte: Ego homuncio hoc non facerem? ego vero
illud faciam ac lubens. Eben so möglich ist es, daß
ein übel gesinnter und ruchloser Mensch den Discurs des
Sophisten Hippias lesen, und sich einbilden könnte, die
Rechtfertigung seines Unglaubens und seines lasterhaften
Lebens darin zu finden. Aber alle rechtschaffnen Leute
werden mit uns überzeugt seyn, daß dieser Ruchlose und
jener Unbesonnene beides gewesen und geblieben wären,
wenn gleich keine Geschichte des Agathon in der Welt
wäre.Dieß letztere Beispiel führt uns auf eine Erläuterung,
wodurch wir der Schwachheit gewisser gut gesinnter
Leute, deren Wille besser ist als ihre Einsichten, zu Hülfe
zu kommen, und sie vor unzeitig genommenem Aergerniß
oder ungerechten Urtheilen zu verwahren, uns verbunden
glauben.Diese Erläuterung betrifft die Einführung des Sophisten
Hippias in unsere Geschichte, und die Rede, wodurch
er den jungen Agathon von seinem liebenswürdigen Enthusiasmus
zu heilen sucht, um ihn zu einer Denkungsart
zu bringen, welche er (nicht ohne Grund) für geschickter
hält, sein Glück in der Welt zu machen. Leute, welche
aus gesunden Augen gerade vor sich hinsehen, würden
ohne unser Erinnern aus dem ganzen Zusammenhange
dieses Werkes, und aus der Art, wie darin bei aller
Gelegenheit von diesem Sophisten und seinen Grundsätzen
gesprochen wird, ganz deutlich eingesehen haben, wie
wenig der Verfasser dem Manne und dem System günstig
sey: und wiewohl es sich für den Ton und die Absicht
dieses Buches keinesweges geschickt hätte, mit dem
heftigen Eifer gegen ihn auszubrechen, welcher einen jungen
Candidaten treibt, wenn er, um sich seinem Consistorio zu
einer guten Pfründe zu empfehlen, gegen die Tindal und
Bolingbroke zu Felde zieht; so hofft der Verfasser doch
bei vernünftigen und ehrlichen Lesern keinen Zweifel übrig
gelassen zu haben, daß er den Hippias für einen schlimmen
und gefährlichen Mann, und sein System (insofern
als es den ächten Grundsätzen der Religion und der Rechtschaffenheit
widerspricht) für ein Gewebe von Trugschlüssen
ansehe, welches die menschliche Gesellschaft zu Grunde
richten würde, wenn es moralisch möglich wäre, daß der
größere Theil der Menschen darin verwickelt werden könnte.
Er glaubt also, vor allem Verdacht über diesen Punkt sicher
zu seyn. Indessen, da doch unter den Lesern dieses Buchs
einige seyn können, welche ihm wenigstens Unvorsichtigkeit
zur Last legen, und dafür halten möchten, daß er diesen
Hippias entweder gar nicht einführen, oder, wenn der Plan
seines Werkes es ja erfordert hätte, wenigstens seine Lehrsätze
ausführlich hätte widerlegen sollen: so sieht man für
billig an, ihnen die Ursachen zu sagen, warum das erste
geschehen, und das andre unterlassen worden sey.Weil, vermöge des Plans, der Charakter Agathons
auf verschiedene Proben gestellt werden sollte, durch welche
seine Denkart und seine Tugend geläutert, und dasjenige,
was darin unächt war, nach und nach von dem reinen Golde
abgesondert würde: so war es um so viel nöthiger, ihn
auch dieser Probe zu unterwerfen; da Hippias eine historische
Person ist, und mit den übrigen Sophisten derselben
Zeit sehr viel zur Verderbniß der Sitten unter den Griechen
beigetragen hat. Ueberdem diente er, den Charakter und
die Grundsätze unsers Helden durch den Contrast, den er
mit ihm macht, in ein helleres Licht zu setzen. Und da es
nur gar zu gewiß scheint, daß der größte Theil derjenigen,
welche die sogenannte große Welt ausmachen, wie Hippias
denkt, oder doch nach seinen Grundsätzen handelt; so war
es auch den moralischen Absichten dieses Werkes gemäß, zu
zeigen, was für eine Wirkung diese Grundsätze thun, wenn
sie in den gehörigen Zusammenhang gebracht werden.Eine ausführliche Widerlegung dessen, was in seinen
Grundsätzen irrig und gefährlich ist (denn in der That hat
er nicht immer Unrecht), wäre im Plan dieses Werks ein
wahres Hors d'oeuvre gewesen, und schien auch selbst in
Rücksicht auf die Leser überflüssig, indem nicht nur die Antwort,
welche ihm Agathon gibt, in der That das beste enthält,
was man dagegen sagen kann, sondern auch das ganze
Werk als eine Widerlegung desselben anzusehen ist. Agathon
widerlegt den Hippias beinahe auf die nämliche Art, wie
Diogenes den Metaphysiker, welcher läugnete, daß eine Bewegung
sey. Der Metaphysiker führte seinen Beweis durch
Distinctionen und Schlußreden; und Diogenes widerlegte
ihn, indem er, ohne ein Wort zu sagen, davon ging. Dieß
war unstreitig die einzige Antwort, die der Sonderling verdiente.—————
Vorberichtzu der Ausgabe der sämmtlichen Werke
vom Jahre 1794.Die Geschichte des Agathon, welche der Verfasser
schon lange zuvor, ehe er sich der Ausarbeitung unterzog, in
seinem Kopf entworfen hatte, wurde in den Jahren 1764,
65, 66 und 67 nach und nach, unter sehr ungleichen Einflüssen
von außen und in sehr verschiedenen Gemüthsverfassungen,
zu Papier gebracht; während der Verfasser in der
Reichsstadt Biberach, seiner Vaterstadt, ein öffentliches
Amt verwaltete, dessen mannichfaltige, mit seinen Lieblingsstudien
kaum verträgliche Beschäftigungen einer solchen Unternehmung
wenig günstig waren, und die Ausführung hätten
unmöglich machen müssen, wenn seine ganze Seele nicht
so voll von ihr gewesen wäre, und wenn er nicht alle seine
Nebenstunden und einen Theil der Nächte auf sie verwendet
hätte.
Dem ungeachtet konnte er damals nicht dazu gelangen, weder
seinen ganzen Plan, noch die zweite Hälfte des Werkes (die
den zweiten Theil, oder das 8te, 9te, 10te und 11te Buch
der Zürcher Ausgabe von 1767 ausmacht) so gut auszuführen,
daß die Wenigen, welche damals in Deutschland Geisterwerke
dieser Art scharf zu beurtheilen fähig waren, nicht
Ungleichheit des Tons, ästhetische Lücken und eine ziemlich
auffallende Bestrebung, die Lücken im psychologischen Gange
der Geschichte mit Räsonnements auszustopfen oder zu überkleistern,
in dem zweiten Theile hätten wahrnehmen müssen,
welches alles sie gewissermaßen zu der Frage berechtigte:
— | — Amphora coepit
Institui, currente rota cur urcaus exit? | Iene fatalen Umstände enthalten den Grund der Nothwendigkeit
der beträchtlichen Veränderungen, die im letzten
Theile des Werkes vorgenommen werden mußten, wiewohl
es in der ersten Ausgabe mit allen seinen Mängeln und Gebrechen
eine sehr günstige Aufnahme fand; wie es denn auch
in der That zur damaligen Zeit für eine ungewöhnliche Erscheinung
in unsrer literarischen Welt gelten konnte, so wußte
doch der Verf. selbst am besten, was ihm fehlte und warum
es fehlte: und da die Ursache mehr in zufälligen Umständen und
dem physischen Einflusse derselben auf seine Phantasie und innere
Stimmung lag, als in einer wesentlichen Veränderung der
Denkart, worin die Idee des Werkes in seiner Seele empfangen
wurde, so blieb es immer sein Vorsatz, sobald er
die dazu nöthige Muße und innere Ruhe finden würde, jenen
Mängeln abzuhelfen, und den Agathon demjenigen, was er
nach dem ursprünglichen Plane hätte werden sollen, so nahe
zu bringen als ihm möglich wäre. Dieß würde denn auch
bei der zweiten Ausgabe von 1773 schon geschehen seyn, wenn
nicht eine abermalige große Veränderung der Lage und Umstände
des Verf. ihn daran verhindert hätte. Die geheime
Geschichte der Danae, welche bei dieser Ausgabe hinzu kam,
war also (außer einer Menge kleiner Veränderungen, die
sich hauptsächlich auf Sprache, Ton und Styl bezogen, einer
andern Eintheilung der Bücher und Kapitel, und einem ganz
neuen Schluß) alles was der Verf. damals für seinen Liebling
thun konnte, und Agathon blieb wider seinen Willen,
über 20 Jahre lang noch immer unvollendet.Diesem Gebrechen hofft der Verfasser nunmehr in der
Ausgabe von der letzten Hand abgeholfen zu haben. Er
hat weder Zeit noch Fleiß gespart, alle Flecken, die er, in
Rücksicht auf die Reinigkeit der Sprache, die Harmonie des
Styls, die Richtigkeit der Gedanken, die Schicklichkeit des
Ausdrucks, und alle andern Erfordernisse dieser Art, noch
entdecken konnte, sorgfältig abzuwischen. Aber seine hauptsächlichste
Bemühung war darauf gerichtet, die Lücken, die
den reinen Zusammenhang der Seelengeschichte Agathons
bisher noch unterbrochen hatten, zu ergänzen, einige fremdartige
Auswüchse dafür wegzuschneiden, dem moralischen
Plane des Werkes durch den neu hinzu gekommenen Dialog
zwischen Agathon und Archytas (der den größten Theil des
XVIten Buchs ausmacht) die Krone aufzusetzen, und vermittelst
alles dieses das Ganze in die möglichste Uebereinstimmung
mit der ersten Idee desselben zu bringen, um es
der Welt mit dem innigsten Bewußtseyn hinterlassen zu
können, daß er wenigstens sein Möglichstes gethan habe,
es der Aufschrift | quid Virtus et quid Sapientia possit
würdig zu machen. | —————
Inhaltdes ersten Theils.
SeiteUeber das Historische im Agathon. 3Erstes Buch. Agathon wird durch Cilicische Seeräuber aus
einem gefährlichen Abenteuer gerettet, und in Smyrna zum
Sklaven verkauft.Erstes Capitel. Erster Auftritt unsers Helden . . . . . . . 17Zweites Capitel. Etwas ganz Unerwartetes . . . . . . . 19Drittes Capitel. Unterbrechung des Bacchusfestes . . . . . 23Viertes Capitel. Unverhoffte Zusammenkunft zweier Liebenden.
Erzählung der Psyche . . . . . . . . . . . . . 26Fünftes Capitel. Wie Psyche und Agathon wieder getrennt
werden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35Sechstes Capitel. Ein Selbstgespräch . . . . . . . . . . 37Siebentes Capitel. Agathon wird zu Smyrna verkauft . . . 43
SeiteZweites Buch. Agathon im Hause des Sophisten
Hippias.Erstes Capitel. Wer der Käufer des Agathon war . . . . . 47Zweites Capitel. Verwunderung, in welche Agathon über die
Weisheit seines neuen Herrn gesetzt wird . . . . . . . 53Drittes Capitel. Welches bei einigen den Verdacht erregen wird,
daß diese Geschichte erdichtet sey . . . . . . . . . . 56Viertes Capitel. Schwärmerei unsers Helden . . . . . . . 60Fünftes Capitel. Ein Gespräch zwischen Hippias und seinem
Sklaven . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63Sechstes Capitel. Worin Agathon für einen Schwärmer ziemlich
gute Schlüsse macht . . . . . . . . . . . . . 73Siebentes Capitel. Vorbereitung zum Folgenden . . . . . . 77Drittes Buch. Darstellung der Philosophie des Hippias.Erstes Capital. Prolog eines interessanten Discurses . . . . 81Zweites Capitel. Fortsetzung der Rede des Hippias. Seine
Theorie der angenehmen Empfindungen . . . . . . . 85Drittes Capitel. Geisterlehre eines ächten Materialisten . . . 95Viertes Capitel. Worin Hippias eine feine Kenntniß der Welt
zu zeigen scheint . . . . . . . . . . . . . . . . 102Fünftes Capitel. Der Anti-Platonismus in nuce . . . . . . 111Viertes Buch. Agathon wird durch Hippias mit der schönen
Danae bekannt.Erstes Capitel. Unerwartete Ungelehrigkeit Agathons . . . . 124
SeiteZweites Capitel. Ein geheimer Anschlag gegen die Tugend unsers
Helden . . . . . . . . . . . . . . . . 132Drittes Capitel. Hippias stattet einen Besuch bei einer Dame ab,
die eine große Rolle in dieser Geschichte spielen wird . . 135Viertes Capitel. Einige Nachrichten von der schönen Danae . 145Fünftes Capitel. Wie gefährlich eine verschönernde Einbildungskraft
ist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150Sechstes Capitel. Pantomimen . . . . . . . . . . . 154Siebentes Capitel. Geheime Nachrichten . . . . . . . . . 159Achtes Capitel. Was die Nacht durch im Gemüthe der Hauptpersonen
vorgegangen . . . . . . . . . . . . . 165Neuntes Capitel. Eine kleine metaphysische Abschweifung . . 167Fünftes Buch. Agathon im Hause der Danae.Erstes Capitel. Worin die Absichten des Hippias einen merklichen
Schritt machen . . . . . . . . . . . . . . . . 170Zweites Capitel. Veränderung der Scene . . . . . . . . . 173Drittes Capitel. Natürliche Geschichte der Platonischen Liebe . 178Viertes Capitel. Neue Talente der schönen Danae . . . . . 184Fünftes Capitel. Magische Kraft der Musik . . . . . . . . 186Sechstes Capitel. Eine Abschweifung, welche zum Folgenden vorbereitet
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191Siebentes Capitel. Nachrichten zu Verhütung eines besorglichen
Mißverstandes. Beschluß des vierten Kapitels, nebst einer
Herzenserleichterung des Autors . . . . . . . . . . 196Achtes Capitel. Welch ein Zustand, wenn er dauern könnte! . 202
SeiteNeuntes Capitel. Eine bemerkenswürdige Bemerkung der Liebe,
oder von der Seelenvermischung . . . . . . . . . . 205Sechstes Buch. Fortsetzung der Liebesgeschichte Agathons
und der schönen Danae.Erstes Capitel. Danae erhält einen Besuch von Hippias . . . 210Zweites Capitel. Eine Probe von den Talenten eines Liebenden 217Drittes Capitel. Zuckende Bewegungen der wieder auflebenden
Tugend . . . . , . . . . . . . . . . . . . 223Viertes Capitel. Ein Traum . . . . . . . . . . . . . 228Fünftes Capitel. Ein starker Schritt zu einer Katastrophe . . . 236Geschichte des Agathon.Erster Theil.Ueber
das Historische im Agathon.Wiewohl beim ersten Anblick Agathon weniger in die Classe
des berühmten Fieldingischen Findlings (wie Einige gemeint
haben) als in die Classe der Cyropädie des Xenophon zu
gehören scheint, — mit dem Unterschiede jedoch, daß in dieser
das Erdichtete in die historische Wahrheit, in jenem
hingegen das Historisch-wahre in die Erdichtung eingewebt
ist: so ist doch, von einer andern Seite, nicht zu läugnen,
daß unser Held sich in einem sehr wesentlichen Stücke von dem
Xenophontischen eben so weit entfernt, als er dem Fieldingischen
näher kommt. Xenophon hatte (wenn wir einem Kenner
von großem Ansehen glauben dürfen) die Absicht, in seinem
Cyrus das Ideal eines vollkommnen Regenten aufzustellen,
in welchem die Tugenden des besten Fürsten mit den angenehmen
Eigenschaften des liebenswürdigsten Mannes vereinigt
seyn sollten; oder, wie ein späterer Schriftsteller sagt, es war
ihm weniger darum zu thun, den Cyrus zu schildern wie
er gewesen war, als wie er hätte seyn sollen, um als
König ein Sokratischer Καλος χαι αγαδος zu seyn. Hingegen
war die Absicht des Verfassers der Geschichte des Agathon
nicht sowohl in seinem Helden ein Bild sittlicher Vollkommenheit
zu entwerfen, als ihn so zu schildern, wie, vermöge
der Gesetze der menschlichen Natur, ein Mann von seiner
Sinnesart gewesen wäre, wenn er unter den vorausgesetzten
Umständen wirklich gelebt hätte. In dieser Rücksicht hat
er den Horazischen Vers: Quid Virtus et quid Sapientia possit,
zum Motto seines Buches gewählt: nicht als ob er an Agathon
hätte zeigen wollen, was Weisheit und Tugend an sich
selbst sind, sondern, "wie weit es ein Sterblicher durch die
Kräfte der Natur in beiden bringen könne; wie viel die äußerlichen
Umstände an unsrer Art zu denken, an unsern guten
Handlungen oder Vergehungen, an unsrer Weisheit oder Thorheit
Antheil haben, und wie es, natürlicher Weise, nicht wohl
möglich sey, anders als durch Erfahrung, Fehltritte, unermüdete
Bearbeitung unsrer selbst, öftere Veränderungen in
unsrer Art zu denken, hauptsächlich aber durch gute Beispiele
und Verbindung mit weisen und guten Menschen, selbst ein
weiser und guter Mensch zu werden." Und aus diesem Gesichtspunkte
hoffet der Verfasser von den Kennern der menschlichen
Natur das Zeugniß zu erhalten, daß sein Buch (ob es
gleich in einem andern Sinn unter die Werke der Einbildungskraft
gehört) des Namens einer Geschichte nicht unwürdig
sey.
Da aber gleichwohl der Ort und die Zeit der Begebenheiten
sowohl als verschiedene in dieselbe verflochtene Personen
wirklich historisch sind: so hat man dem größern Theil der
Leser, die vielleicht in dem alten Gräcien niemals sehr bewandert
gewesen, oder manches was sie davon wußten wieder
vergessen haben, einen kleinen Dienst zu erweisen geglaubt,
wenn man einige aus alten Schriftstellern gezogene Nachrichten
voraus schickte, vermittelst welcher besagte Leser sich desto
leichter in diese Geschichte hinein denken, und von der Uebereinstimmung
des erdichteten Theils mit dem historischen richtiger
urtheilen könnten.Um also zuvörderst die Zeit, in welcher diese Geschichte
sich zugetragen haben soll, festzusetzen, so kann man ungefähr
die fünf und neunzigste und hundert und zehnte Olympiade
oder das dreihundert acht und neunzigste und dreihundert
acht und dreißigste Jahr vor unsrer gemeinen Zeitrechnung
als die beiden äußersten Punkte annehmen, in welche die Begebenheiten
Agathons eingeschlossen sind. Erweislicher Maßen
haben alle in dieselben eingeflochtene Personen innerhalb dieses
Zeitraumes gelebt. Und dennoch wollen wir lieber offenherzig
gestehen, als erwarten, bis es einem Gelehrten einfallen
möchte uns dessen zu überweisen, daß es eine beinahe unmögliche
Sache wäre, die Zeitrechnung im Agathon von einigen
merklichen Abweichungen von der historischen frei zu sprechen.
Die größte Schwierigkeit (wenn die Sache etwas zu
bedeuten haben könnte) würde von dem Sophisten Hippias
und der schönen Danae entstehen. Der erste war unstreitig
ein Zeitgenosse des Sokrates; und da dieser in einem Alter
von siebenzig im ersten Jahre der fünf und neunzigsten Olympiade
getödtet wurde, Agathon aber, nach den Umständen,
welche in seiner Geschichte angegeben werden, nicht wohl vor
der fünf und neunzigsten Olympiade hätte geboren werden
können: so ließe sich ziemlich genau berechnen, daß in der
hundert und zweiten (welches ungefähr die Zeit ist, worin
Agathon und Hippias zusammen gekommen) dieser Sophist,
wenn wir auch annehmen, daß er zwanzig Jahre jünger als
Sokrates gewesen sey, entweder gar nicht mehr gelebt haben,
oder wenigstens viel zu betagt gewesen seyn müßte, um die
Schönen zu Smyrna im Bade zu besuchen. Bei Danae wird
die nämliche Schwierigkeit noch beträchtlicher. Denn gesetzt
auch, daß sie nicht über dreizehn Jahre gehabt habe, da sie
mit dem Alcibiades bekannt wurde, der, wie man glaubt, im
ersten Jahre der vier und neunzigsten Olympiade umkam: so
müßte sie doch, als sie dem Agathon eine so außerordentliche
Liebe einflößte, bereits eine Frau von fünfzig gewesen seyn.
Es ist wahr, das Beispiel der schönen Lais, welche wenigstens
eben so alt war, als sie die Unhöflichkeit hatte, dem
großen Demosthenes zweitausend Thaler für einen Kuß
abzufordern; das weit ältere Beispiel der schönen Helena,
welche damals, da die alten Räthe des Königs Priamus durch
die Magie ihrer Schönheit einen Augenblick lang in Jünglinge
verwandelt wurden, sechzig volle Jahre zählte; das Beispiel
der Flötenspielerin Lamia, welche den König Demetrius fesselte,
wiewohl sie alt genug war seine Mutter zu seyn;
und die neueren der Ninon Lenclos und der Marquise von
Maintenon könnten mit gutem Fug zur Verminderung der
Unwahrscheinlichkeit einer solchen Dichtung angeführt werden.
Aber alle möglichen Beispiele dieser Art würden doch das Unschickliche
derselben nicht vermindern; und das beste ist also,
den Leser zu ersuchen: daß er sich die schöne Danae, der Chronologie
zu Trotz, nicht älter vorstelle, als man seyn muß,
um ohne Wunder oder Zauberer noch einen Liebhaber zu haben
wie Agathon war. Wenn wir bei der Dido des Virgil
oder Metastasio ohne Mühe vergessen können, daß sie dreihundert
Jahre nach dem frommen Aeneas, ihrem Verführer,
erst geboren wurde: warum sollten wir uns nicht eben
so leicht vorstellen können, daß Alcibiades einige Jahre später
das Opfer seiner Feinde und seines unruhigen Geistes geworden
sey, als uns die griechischen Geschichtschreiber, deren
Zeitrechnung ohnehin äußerst verworren ist, berichtet haben?Von den verschiedenen Orten, wohin die Scene im Agathon
verlegt wird, wird in diesem Werke immer nach den
Begriffen gesprochen, welche die Alten davon haben. Die
Gelehrten werden beim ersten Anblick in dem Tempel von
Delphi, wo Agathon erzogen wurde, eben denselben Delphischen
Tempel erkennen, den uns Euripides in seinem Ion, und
Pausanias in seiner Beschreibung von Gracien schildert;
in dem Syrakus, wo die Tugend des armen Agathon eine
eben so starke Verdunkelung erlitt, als seine Weisheit zu
Smyrna erlitten hatte, dasselbe Syrakus, welches uns Plutarch
im Leben Dions und Timoleons, und Plato in einem
seiner Briefe charakterisirt; und in dem Smyrna, welches
Hippias und Danae aus allen andern griechischen Städten
zum Aufenthalt erkoren, dieses Smyrna, von welchem auf
den Oxfordischen Marmorn gesagt wird, daß es die schönste
und glänzendste aller asiatischen Städte sey, und welches uns
der Redner Aristides und der Sophist Philostratus als den
Sitz der Musen und der Grazien und aller Annehmlichkeiten
des Lebens anpreisen. Eben dieß gilt auch von den Sitten,
von dem Costume, und von allem, was Zeit, Völker und Personen
unterscheidend bezeichnet. Die Athener, welche Agathon
beschreibt, sind das nämliche Volk, welches wir aus dem
Aristophanes, Xenophon, Demosthenes u. s. w. kennen; die Sophisten
nicht viel besser als sie Plato (wiewohl selbst in seiner
Art kaum weniger Sophist als jene in der ihrigen) in seinen
Dialogen schildert. Lebensart, Ergötzungen, Beschäftigungen
und Spiele, alles ist Griechisch, und das Unterscheidende der
Griechen in Ionien von den Griechen in Achaja, und dieser
von denen in Sicilien und Italien, ist überall mit
kennbaren Zügen ausgedrückt, und dem Begriffe gemäß, den
das Lesen der Alten in unserm Gemüthe davon zurück läßt
— wiewohl zu der Zeit, da Agathon geschrieben wurde, der
gelehrte und im alten Gräcien so ganz einheimische Abbé
Barthelemy seinen jungen Anacharsis noch nicht hatte reisen
lassen.Was die in dieser Geschichte vorkommenden Personen,
und zwar fürs erste den Agathon selbst betrifft, so müssen
wir unverhohlen gestehen, daß man ihn vergebens in irgend
einem Geschichtschreiber suchen würde. Gleichwohl finden wir
unter den Freunden des Sokrates einen Agathon, der einige
Grundzüge zu dem Bilde unsers Helden hergegeben haben
könnte.Dieser Agathon war, wie es scheint, aus einem guten
Hause in Athen und einer der liebenswürdigsten Leute seiner
Zeit. Plato, der von ihm als einem noch sehr jungen Manne
redet, schreibt ihm die schönste Gestalt und eine natürliche
Anlage zu einem edeln und tugendhaften Charakter zu. Er
that sich unter den dramatischen Dichtern der besten Zeit hervor,
und es gereicht ihm zur Ehre, daß ein Kunstrichter, wie
Aristoteles, ihn seines Lobes sowohl als seines Tadels gewürdiget
hat. Der Vorwurf selbst, der ihm wegen seiner zu großen
Neigung zu Gegensätzen gemacht wurde, beweiset seinen
Ueberfluß an Witz; einen schönen Fehler, der ihn bei der guten
Sinnesart, die man ihm beilegt, nur zu einem desto liebenswürdigern
Gesellschafter machen mußte. Dieß ist es auch
was Aristophanes, welcher selten rühmt und auch dieses
Agathons nicht geschont hat, gleichwohl an ihm lobet; wobei
einer seiner Scholiasten (vermuthlich um dieses Lob desto
begreiflicher zu machen) anmerkt, daß der Dichter Agathon
einen guten Tisch geführt habe. Als ein Beispiel davon pflegt
man das berühmte Gastmahl anzuführen, welches er bei Gelegenheit
eines Sieges gab, den er in einem öffentlichen
Wettstreite der tragischen Dichter davon getragen, und von
welchem Plato Gelegenheit zu einem seiner schönsten Dialogen
genommen hat. Der Umstand, daß er einen Theil seines
Lebens an dem Hofe des Königs Archelaus von Macedonien
zugebracht, dem seine Liebe zu den schönen Künsten und die
Achtung die er einem Euripides zu beweisen fähig war, einen
Platz in dem Andenken der Nachwelt erworben hat, scheint
den Beweis, daß dieser Agathon unter die schönen Geister
des Sokratischen Jahrhunderts zu zählen sey, vollkommen
zu machen; und alles dieß erhöht das Bedauern über
den Verlust seiner Tragödien und Lustspiele, aus denen
nur wenige unbedeutende Fragmente bis zu uns gekommen
sind.Wiewohl nun dieser historische Agathon einige Züge zu dem
Charakter des erdichteten geliehen haben mag, so ist doch gewiß,
daß der Verfasser das eigentliche Modell zu dem letztern in
dem Ion des Euripides gefunden hat. Beide wachsen
unter den Lorbern des Delphischen Gottes in gänzlicher
Unwissenheit ihrer Abkunft auf; beide gleichen sich an körperlicher
und geistiger Schönheit; die nämliche Empfindsamkeit,
dasselbe Feuer der Einbildung, dieselbe schöne Schwärmerei,
bezeichnet den einen und den andern. Es würde zu weitläuftig
seyn, die Aehnlichkeit umständlich zu beweisen;
genug daß wir den jungen Freunden der Litteratur einen
Fingerzeig gegeben haben, wofern sie die nähere Vergleichung
selbst vornehmen wollen. Der Verfasser des Agathon hatte in
seinen jüngern Jahren den Euripides vorzüglich aus dem
Gesichtspunkt und in der Absicht studirt, woraus und womit
junge Künstler den Laokoon, die Gruppe der Niobe, den
Vaticanischen Apollo, die Mediceische Venus und andere Werke
der höchsten Kunst studiren sollten. — und er hat sich, ob er
gleich kein Euripides geworden ist, nicht übel dabei befunden.Auch von der schönen Danae finden wir nicht bloß in der
poetischen Welt, sondern unter den griechischen Schönen von
derjenigen Classe, die unter dem unmittelbaren Schutze der
Liebesgöttin standen, eine Art von Gegenbild gleiches Namens,
Leontium, berühmt durch ihre Freundschaft für den
Philosophen Epikur, und durch die Aehnlichkeit, welche St. Evremond
zwischen ihr und seiner Freundin Ninon Lenclos
fand, war die Mutter dieser historischen Danae, welche
(nach dem Berichte des Athenäus) die Profession ihrer
Mutter mit so gutem Erfolge trieb, daß sie zuletzt die Beischläferin
eines gewissen Sophron, Statthalters von Ephesus,
und die Vertraute der berüchtigten Königin Laodice von Syrien
wurde. Doch weder dieser Umstand, noch dasjenige, was
der angezogene Autor von ihrem tragischen Tod erzählt, scheint
hinlänglich, ihr die Ehre (wofern es eine ist) zuzuwenden,
das Modell der liebenswürdigen Verführerin unsers Helden
gewesen zu seyn. Wichtiger werden wir es in der schönen
Glycera, welche Alciphron so reizende Briefe an ihren geliebten
Menander schreiben läßt, und in einigen, mit der
wollüstigsten Schwärmerei der Liebe ausgemalten Schilderungen
finden, welche den ersten, zweiten, zwölften und
sechs und zwanzigsten der Briefe, oder vielmehr Erzählungen,
die dem Aristänet zugeschrieben werden, auszeichnen.Bei dem Sophisten Hippias sind die Nachrichten zum
Grunde gelegt worden, welche man im Plato, Cicero, Philostratus
und andern alten Schriftstellern von ihm antrifft; aber
sein Aufenthalt in Smyrna, und was dahin gehört, ist vermuthlich
eine bloße Erdichtung; wenigstens finden sich dazu
keine historischen Zeugen. Dieser Hippias war von Elis, einer
Stadt in einer im Peloponnesus gelesenen Provinz gleiches
Namens, gebürtig. Er war ein Zeitgenosse des Protagoras,
Prodikus, Gorgias, Theodorus von Byzanz, und anderer
berühmter Sophisten des Sokratischen Jahrhunderts, und that
sich durch seine Beredsamkeit und Geschicklichkeit in Geschäften so
sehr hervor, daß er, häufiger als irgend ein anderer seinesgleichen,
in Gesandtschaften und Unterhandlungen gebraucht wurde. Da
er überdieß, nach dem Beispiele des Gorgias, seine Kunst um
Geld lehrte: so brachte er ein Vermögen zusammen, welches
ihn in den Stand setzte, die prächtige und wollüstige Lebensart
auszuhalten, die man ihn im Agathon führen läßt. In der
That, wenn man sagen kann, daß es jemals Leute gegeben
habe, welche das Geheimniß besaßen, Materien von wenigem
Werth in Gold zu verwandeln, so läßt es sich von den Sophisten
sagen; und Hippias wußte sich desselben so gut zu bedienen,
daß er, seiner eigenen Versicherung nach, mehr damit
gewann, als zwei andere von seiner Profession zusammen
genommen.Ueberhaupt wurden die Sophisten in der Zeit, wovon hier
die Rede ist, für Leute gehalten, die alles wußten. Der vorerwähnte
Gorgias soll der erste gewesen seyn, der so viel
Zuversicht zu sich selbst oder vielmehr eine so geringe Meinung
von seinen Zuhörern hegte, daß er einst bei den olympischen
Spielen die ganze griechische Nation herausgefordert haben
soll, ihm welche Materie sie wollten zu einer Rede aus dem
Stegreif aufzugeben. Eine Prahlerei, die damals für einen
vollständigen Beweis einer ganz außerordentlichen Geschicklichkeit
galt, und dem Redekünstler Gorgias nichts Geringer's als
eine Bildsäule von gediegenem Golde im Delphischen Tempel
erwarb; in der Folge aber etwas so Gemeines wurde, daß
schon zu Cicero's Zeiten kein auf der Profession des Bei-esprit
herum irrender Graeculus war, der nicht alle Augenblicke bereit
gewesen wäre, einer geneigten Zuhörerschaft über alles
Wirkliche und Mögliche, Große und Kleine, Alte und Neue,
stehendes Fußes alles was sich davon sagen lasse, vorzuschwatzen.
Auch in diesem Stücke ließ Hippias seine übrigen
Professonsverwandten hinter sich. Er ging so weit, daß er
(wie ihm der Platonische Sokrates ins Angesicht sagt) die
Dreistigkeit hatte, zu Olympia, vor allen Griechen aufzutreten
und zu prahlen: es gebe keinen Zweig der menschlichen Erkenntniß,
den er nicht verstehe, und keine Kunst, deren
Theorie sowohl als Ausübung er nicht in seiner Gewalt habe.
"Meine Herren, habe er gesagt, ich verstehe mich nicht nur
vollkommen auf Gymnastik, Musik, Sprachkunst und Poetik,
Geometrie, Astronomie, Physik, Ethik und Politik, ich verfertige
nicht nur Heldengedichte, Tragödien, Komödien,
Dithyramben und alle Arten von Werken in Prosa und
in Versen; sogar, wie ihr mich hier seht (und er war sehr
prächtig gekleidet), hab' ich mich mit eigener Hand ausstaffirt:
Unterkleid, Kaftan, Gürtel, Mantel, alles hab' ich selbst
gemacht; den Siegelring an meinem Finger hab' ich selbst
gestochen; sogar diese Halbstiefeln sind von meiner eigenen
Arbeit." Ich weiß nicht, ob alle Achtung, die wir dem Plato und
seinem Sokrates (der dem Sohne des Sophroniskus nicht immer
ähnlich sieht) schuldig sind, hinlänglich seyn kann, uns von
einem Manne, wie Hippias (einem Weltmanne, welcher
Geschicklichkeit und Klugheit genug besaß, sich bei seinen Zeitgenossen
in das größte Ansehn zu setzen) einen Zug, der den
Aufschneidereien eines Marktschreiers in einem Cirkel von
Austerweibern und Sackträgern so ähnlich sieht, glauben zu
machen. Platons Zuverlässigkeit in demjenigen, was er zum
Nachtheil des Hippias sagt, scheint ohnehin um so verdächtiger,
da er in den beiden Dialogen, welche dessen Namen führen,
den armseligen Kunstgriff gebraucht, diesen Sophisten, um ihn
desto lächerlicher zu machen, so unausstehlich dumm und unwissend
vorzustellen, ihn so erbärmliche Antworten geben, und
am Ende, nachdem er ihn ohne Mühe zu Boden geworfen
hat, gleichwohl so abgeschmackt prahlen zu lassen: daß entweder
die Griechen zu Platons Zeiten wenig besser als Topinambus
gewesen seyn müßten, oder Hippias unmöglich der elende Tropf
seyn konnte, wozu ihn Plato erniedrigt. Indessen läßt sich
doch aus jener Stelle, und überhaupt aus allem, was der
Philosoph und seine Abschreiber von unserm Hippias sagen, so
viel ableiten: daß der Verfasser des Agathon hinlänglichen
Grund vor sich gehabt habe, diesen Sophisten als einen Prätendenten
an allgemeine Gelehrsamkeit, Geschmack, Weltkenntnisse
und keine Lebensart abzuschildern.Alles, was von Perikles, Aspasia und Alcibiades im
Agathon gesagt wird, ist den Nachrichten gemäß, die uns
Plutarch, ein Schriftsteller, der in jedermanns Händen ist
oder seyn soll, in den Lebensbeschreibungen des ersten und des
letzten hinterlassen hat. Eben dieß gilt auch von dem jüngern
Dionysius zu Syrakus, von Philippus, seinem Minister
und Vertrauten, und von Dion, seinem Verwandten und Antagonisten.
Denn wiewohl die Rolle, die man den Agathon an
dem Hofe dieses Fürsten spielen läßt, und verschiedene Begebenheiten,
in welche er zu diesem Ende eingeflochten werden
mußte, ohne historischen Grund sind: so hat man sich gleichwohl
zum Gesetz gemacht, die an diesen philosophischen Roman
Antheil habenden historischen Personen weder besser noch
schlimmer, als wir sie aus der Geschichte kennen, vorzustellen;
und man hat der Erdichtung nicht mehr verstattet, als die
historischen Begebenheiten näher zu bestimmen und völliger
auszumalen, indem man diejenigen Umstände und Ereignisse
hinzu dichtete, welche am geschicktesten schienen, sowohl die
Hauptperson der Geschichte, als den bekannten Charakter der
vorbenannten historischen Personen in das beste Licht zu
stellen, und dadurch den Endzweck des moralischen Nutzens,
um dessentwillen das ganze Werk da ist, desto vollkommener
zu erreichen.Diejenigen, welchen es vielleicht scheinen möchte, daß der
Verfasser den Philosophen Aristipp zu sehr verschönert, dem
Plato hingegen nicht hinlängliche Gerechtigkeit erwiesen habe,
werden die Gründe, warum jener nicht häßlicher und dieser
nicht vollkommner geschildert worden, dereinst in einer ausführlichen
Geschichte der Sokratischen Schule (wenn wir anders
Muße gewinnen werden, ein Werk von diesem Umfang
auszuführen) entwickelt finden. Hier mag es genug
seyn, wenn wir versichern, daß beides nicht ohne sattsame
Ursachen geschehen ist. Aristipp, bei aller seiner Aehnlichkeit
mit dem Sophisten Hippias, unterschied sich unstreitig durch
eine bessere Sinnesart und einen ziemlichen Theil von
Sokratischem Geiste. Ein Mann wie Aristipp wird der
Welt immer mehr Gutes als Böses thun; und wiewohl seine
Grundsätze, ohne das Laster eigentlich zu begünstigen, von
einer Seite der Tugend nicht sehr beförderlich sind: so erfordert
doch die Billigkeit zu gestehen, daß sie auf der
andern, als ein sehr wirksames Gegengift gegen die Ausschweifungen
der Einbildungskraft und des Herzens, gute
Dienste thun, und dadurch jenen Nachtheil reichlich wieder
vergüten können. Aber wir besorgen sehr, daß Plato, anstatt
einige Genugthuung an den Verfasser des Agathons fordern
zu können, bei genauester Untersuchung ungleich mehr zu verlieren,
als zu gewinnen haben dürfte.Der edelste, ehrwürdigste und lehrreichste Charakter in dem
ganzen Werke ist unstreitig der alte Archytas; und um
so viel angenehmer ist uns, zur Ehre der Menschheit versichern
zu können, daß dieser Charakter ganz historisch ist.
Archytas, der beste Mann, den die Pythagorische Schule hervorgebracht,
vereinigte wirklich in seiner Person die Verdienste
des Philosophen, des Staatsmannes und des Feldherrn;
was Plato scheinen wollte, das war Archytas; und wenn
jemals ein Mann verdient hat als ein Muster von Weisheit und
Tugend aufgestellt zu werden, so war es dieser Vorsteher der
Tarentinischen Republik. Da er ein Zeitgenosse der hauptsächlichsten
Personen in unserer Geschichte war, so schien er sich
dem Verfasser gleichsam selbst zu dem Gebrauch anzubieten,
den er von ihm macht. Wen hätte er mit besserm Grund und
Erfolg einem Hippias entgegen stellen können, als diesen
wahren Weisen, dessen Grundsätze das gewisseste Gegengift
gegen die verführerischen Trugschlüsse des Sophisten enthielten,
und dessen ganzes Leben die vollständigste Widerlegung
derselben gewesen war?—————
Erstes Buch.Agathon wird durch Cilicische Seeräuber aus einem
gefährlichen Abenteuer gerettet, und in Smyrna zum
Sklaven verkauft.Erstes Capitel.Erster Auftritt unsers Helden.Die Sonne neigte sich zum Untergang, als Agathon, der
sich in einem unwegsamen Walde verirrt hatte, abgemattet von
der vergeblichen Bemühung einen Ausgang zu finden, an dem
Fuß eines Berges anlangte, welchen er noch zu ersteigen
wünschte, in Hoffnung von dem Gipfel desselben irgend einen
bewohnten Ort zu entdecken, wo er die Nacht zubringen
könnte. Er schleppte sich mit Mühe durch einen Fußweg
hinauf, den er zwischen den Gesträuchen gewahr ward; allein
da er ungefähr die Mitte des Berges erreicht hatte, fühlte er
sich so entkräftet, daß er den Muth verlor den Gipfel erreichen
zu können, der sich immer weiter von ihm zu entfernen schien,
je mehr er ihm näher kam. Er warf sich also ganz athemlos
unter einen Baum hin, der eine kleine Terrasse umschattete,
und beschloß die einbrechende Nacht daselbst zuzubringen.Wenn sich jemals ein Mensch in Umständen befand, die
man unglücklich nennen kann, so war es dieser Jüngling, in
der Lage, worin unsere Bekanntschaft mit ihm sich anfängt.
Vor wenigen Tagen noch ein Günstling des Glücks und der
Gegenstand des Neides seiner Mitbürger, sah er sich, durch
einen plötzlichen Wechsel, seines Vermögens, seiner Freunde,
seines Vaterlandes beraubt, allen Zufällen des widrigen
Glücks und selbst der Ungewißheit ausgesetzt, wie er das
nackte Leben, das ihm übrig gelassen war, erhalten möchte.
Und dennoch, wiewohl so viele Widerwärtigkeiten sich vereinigten
seinen Muth niederzuschlagen, versichert uns die Geschichte,
daß derjenige, der ihn in diesem Augenblicke gesehen
hätte, weder in seiner Miene noch in seinen Gebärden einige
Spur von Verzweifelung, Ungeduld oder nur von Mißvergnügen
hätte bemerken können.Vielleicht erinnern sich einige hierbei an den Weisen
der Stoiker, von welchem man ehemals versicherte, daß
er in dem glühenden Ochsen des Phalaris zum wenigsten so
glücklich seyn würde, als ein morgenländischer Bassa in den
Armen einer schönen Tschirkassierin. Da sich aber in dem
Laufe dieser Geschichte verschiedene Proben einer nicht geringen
Ungleichheit unsers Helden mit dem Weisen des Seneca
zeigen werden: so halten wir für wahrscheinlicher, daß seine
Seele von der Art derjenigen gewesen sey, welche dem Vergnügen
immer offen stehen, und bei denen eine einzige angenehme
Empfindung hinlänglich ist, sie alles vergangenen und
künftigen Kummers vergessen zu machen. Eine Oeffnung des
Waldes zwischen zwei Bergen zeigte ihm — die untergehende
Sonne. Es brauchte nichts mehr als diesen Anblick, um das
Gefühl seiner widrigen Umstände zu unterbrechen, Er überließ
sich der Begeisterung, in welche dieses majestätische Schauspiel
empfindliche Seelen zu setzen pflegt, ohne sich eine Zeit
lang seiner dringendsten Bedürfnisse zu erinnern. Endlich weckte
ihn das Rauschen einer Quelle, die nicht weit von ihm aus
einem Felsen hervorsprudelte, aus dem angenehmen Staunen,
worin er sich selbst vergessen hatte; er stand auf, und schöpfte
mit der hohlen Hand von diesem Wasser, dessen fließenden
Kristall, seiner Einbildung nach, eine wohlthätige Nymphe
ihm aus ihrem Marmorkrug entgegen goß; und, anstatt die
von Cyprischem Weine sprudelnden Becher der gewohnten
Athenischen Gastmähler zu vermissen, däuchte ihm, daß er
niemals angenehmer getrunken habe. Er legte sich wieder
nieder, entschlief unter dem sanft betäubenden Gemurmel der
Quelle, und träumte, daß er seine geliebte Psyche wieder
gefunden habe, deren Verlust das Einzige war, was ihm von
Zeit zu Zeit einige Seufzer auspreßte.—————
Zweites Capitel.Etwas ganz Unerwartetes.Wenn es seine Richtigkeit hat, daß alle Dinge in der
Welt in der genauesten Beziehung auf einander stehen, so ist
nicht minder gewiß, daß diese Verbindung unter einzelnen
Dingen oft ganz unmerklich ist; und daher scheint es zu kommen,
daß die Geschichte zuweilen viel seltsamere Begebenheiten
erzählt, als ein Romanschreiber zu dichten wagen dürfte.
Dasjenige, was unserm Helden in dieser Nacht begegnete,
gibt eine neue Bekräftigung dieser Bemerkung ab. Er genoß
noch die Süßigkeit des Schlafs, welchen Homer für ein so
großes Gut hält, daß er ihn auch den Unsterblichen zueignet,
als er durch ein lärmendes Getöse plötzlich aufgeschreckt wurde.
Er horchte gegen die Seite, woher es zu kommen schien, und
glaubte in dem vermischten Getümmel ein seltsames Heulen
und Jauchzen zu unterscheiden, welches von den entgegenstehenden
Felsen fürchterlich widerhallte. Agathon, der nur
im Schlaf erschreckt werden konnte, beschloß diesem Getöse
muthig entgegen zu gehen. Er bestieg den obern Theil des
Berges mit so vieler Eilfertigkeit als er konnte, und der
Mond, dessen voller Glanz die ganze Gegend weit umher aus
den dämmernden Schatten hob, begünstigte sein Unternehmen.
Das Getümmel nahm immer zu, je näher er dem Rücken
des Berges kam. Er unterschied itzt den Schall von Trommeln
und ein schmetterndes Getön von Schalmeien und Pfeifen,
mit einem wilden Geschrei weiblicher Stimmen vermischt,
die ihn nicht länger ungewiß ließen, was dieser Lärm bedeuten
möchte; als sich ihm plötzlich ein Schauspiel darstellte, worüber
der obenerwähnte Weise selbst seiner Göttlichkeit auf
einen Augenblick hätte vergessen können. Ein schwärmender
Haufe von jungen Thracischen Frauen war es, welche sich in
dieser Nacht versammelt hatten, die unsinnigen Gebräuche zu
begehen, die das heidnische Alterthum zum Andenken des berühmten
Zuges des Bacchus aus Indien eingesetzt hatte. Ohne
Zweifel könnte eine ausschweifende Einbildungskraft, oder der
Griffel eines la Fage von einer solchen Scene eine ziemlich
verführerische Abbildung machen; allein die Eindrücke, die
der wirkliche Anblick auf unsern Helden machte, waren nichts
weniger als von der reizenden Art. Das stürmisch fliegende
Haar, die rollenden Augen, die beschäumten Lippen, die aufgeschwollenen
Muskeln, die wilden Gebärden und die rasende
Fröhlichkeit, womit diese Unsinnigen, in tausend frechen Stellungen,
ihre mit Epheu und zahmen Schlangen umwundnen
Spieße schüttelten, ihre Klapperbleche zusammenschlugen, oder
abgebrochene Dithyramben mit lallender Zunge stammelten:
alle diese Ausbrüche einer fanatischen Wuth, die ihm nur desto
schändlicher vorkam, weil sie den Aberglauben zur Quelle hatte,
machten seine Augen unempfindlich, und erweckten in ihm einen
Ekel vor Reizungen, welche mit der Schamhaftigkeit alle
Macht über seine Sinnen verloren hatten. Er wollte zurück
fliehen, aber es war unmöglich, weil er in dem nämlichen
Augenblicke von ihnen bemerkt wurde. Der Anblick eines
Jünglings, an einem Ort und an einem Feste, welche von
keinem männlichen Aug' entweihet werden durften. hemmte
plötzlich den Lauf ihrer lärmenden Fröhlichkeit, um alle ihre
Aufmerksamkeit auf diese Erscheinung zu wenden.Hier können wir unsern Lesern einen Umstand nicht länger
verhehlen, der in diese ganze Geschichte keinen geringen Einfluß
hat. Agathon war von einer so wunderbaren Schönheit, daß
die Zeuxis und Alkamenes seiner Zeit, weil sie die Hoffnung
aufgaben, eine vollkommnere Gestalt zu erfinden oder aus den
erfreuten Schönheiten der Natur zusammen zu setzen, die
seinige zum Muster zu nehmen pflegten, wenn sie den schönen
Apollo oder den jungen Bacchus darstellen wollten. Niemals
hatte ihn ein weibliches Aug' erblickt, ohne die Schuld ihres
Geschlechtes zu bezahlen, welches für die Schönheit so empfindlich
gemacht zu seyn scheint, daß diese einzige Eigenschaft den
meisten unter ihnen die Abwesenheit aller übrigen verbirgt.
Agathon hatte der seinigen in diesem Augenblicke noch mehr zu
danken: sie rettete ihn von dem Schicksal des Pentheus und
Orpheus. Seine Schönheit setzte diese Mänaden in Erstaunen.
Ein Jüngling von einer solchen Gestalt, an einem
solchen Orte, zu einer solchen Zeit! Konnten sie ihn für etwas
Geringeres halten, als für den Bacchus selbst? In dem
Taumel, worin sich ihre Sinnen befanden, war nichts natürlicher
als dieser Gedanke; auch gab er ihrer Phantasie plötzlich
einen so feurigen Schwung, daß sie zur Gestalt dieses Gottes,
welche sie vor sich sahen, alles Uebrige hinzu dichtete, was
ihm zu einem vollständigen Bacchus mangelte. Ihre bezauberten
Augen stellten ihnen die Silenen vor, und die ziegenfüßigen
Saturn, die um ihn her schwärmten, und Tiger und
Leoparden, die mit liebkosender Zunge seine Füße leckten;
Blumen, so däucht' es sie, entsprangen unter seinen Fußsohlen,
und Quellen von Wein und Honig sprudelten von jedem seiner
Tritte auf, und rannen in schäumenden Bächen die Felsen
hinab. Auf einmal erschallte der ganze Berg, der Wald und
die benachbarten Felsen von ihrem lauten Evan, Evoe! mit
einem so entsetzlichen Getöse der Trommeln und Klapperbleche,
daß Agathon, von Entsetzen und Erstaunen gefesselt, und wie
eine Bildsäule stehen blieb, indeß die entzückten Bacchantinnen
gaukelnde Tänze um ihn her wanden, und durch tausend
unsinnige Gebärden ihre Freude über die vermeinte Gegenwart
ihres Gottes ausdrückten.Allein auch die unmäßigste Schwärmerei hat ihre Gränzen,
und muß endlich der Obermacht der Sinnen weichen. Zum
Unglück für den Helden unserer Geschichte kamen diese Unsinnigen
allmählich aus einer Entzückung zurück, worüber sich
vermuthlich ihre Einbildungskraft gänzlich abgemattet hatte,
und bemerkten immer mehr Menschliches an demjenigen, den
seine ungewöhnliche Schönheit in ihren trunkenen Augen vergöttert
hatte. Etliche, die das Bewußtseyn ihrer eignen stolz
genug machte, die Ariadnen dieses neuen Bacchus zu seyn,
näherten sich ihm, und setzten ihn durch die Lebhaftigkeit, womit
sie ihre Empfindungen ausdrückten, in eine desto größere
Verlegenheit, je weniger er geneigt war, ihre ungestümen
Liebkosungen zu erwiedern. Vermuthlich würde unter ihnen
selbst ein grimmiger Streit entstanden seyn, und Agathon zuletzt
das tragische Schicksal des Orpheus erfahren haben, wenn
nicht die Unsterblichen, die das Gewebe der menschlichen Zufälle
leiten, ein unverhofftes Mittel seiner Errettung in dem
nämlichen Augenblicke herbei gebracht hätten, da weder seine
Stärke, noch seine Tugend ihn zu retten hinlänglich war.—————
Drittes Capitel.Unterbrechung des Bacchusfestes.Eine Schaar Cilicischer Seeräuber, welche, um frisches
Wasser einzunehmen, bei nächtlicher Weile an dieser Küste
gelandet, hatten von fern das Getümmel der Bacchantinnen gehört,
und es für einen Aufruf zu einer ansehnlichen Beute
angenommen. Sie erinnerten sich, daß die vornehmsten Frauen
dieser Gegend die geheimnißvollen Orgien um diese Zeit zu
begehen, und dabei in ihrem schönsten Putz aufzuziehen pflegten;
wiewohl sie vor Besteigung des Berges sich dessen gänzlich
entledigten, und alles bis zu ihrer Wiederkunft von einer
Anzahl Sklavinnen bewachen ließen. Die Hoffnung, außer
diesen Frauen, von denen sie die schönsten für die Gynäceen
asiatischer Fürsten und Satrapen bestimmten, eine Menge von
kostbaren Kleidern und Juwelen zu erbeuten, schien ihnen wohl
werth, sich etwas länger aufzuhalten. Sie theilten sich also in
zwei Haufen, wovon der eine sich der Sklavinnen bemächtigte,
welche die Kleider hüteten, indessen die übrigen den Berg bestiegen,
und, mit großem Geschrei unter die Thracierinnen einstürmend,
sich von ihnen Meister machten, ehe sie Zeit oder
Muth hatten sich zur Wehre zu setzen. Die Umstände waren
allerdings so beschaffen, daß sie sich allein mit den gewöhnlichen
und anständigen Waffen ihres Geschlechts vertheidigen konnten.
Allein diese Cilicier waren allzu sehr Seeräuber, um auf die
Thränen und Bitten, ja selbst auf die Reizungen dieser Schönen
einige Achtung zu geben, wiewohl sie in diesem Augenblicke,
da Schrecken und Zagheit ihnen den sanften Zauber der
Weiblichkeit wieder gegeben hatte, selbst dem sittsamen Agathon
so verführerisch vorkamen, daß er für gut befand, seine
nicht gerne gehorchenden Augen an den Boden zu heften. Die
Räuber hatten jetzt andre Sorgen, und waren nur darauf bedacht,
wie sie ihre Beute aufs schleunigste in Sicherheit bringen
möchten. Und so entging Agathon —für etliche nicht allzu
feine Scherze über die Gesellschaft worin man ihn gefunden
hatte, und für seine Freiheit — einer Gefahr, aus welcher er,
seinen Gedanken nach, sich nicht zu theuer loskaufen konnte.
Der Verlust der Freiheit schien ihn in den Umständen, worin
er war, wenig zu bekümmern. In der That, da er alles verloren,
was die Freiheit schätzbar macht, so hatte er wenig Ursache
sich wegen eines Verlustes zu kränken, der ihm wenigstens
eine Veränderung im Unglück versprach.Nachdem die Cilicier mit ihrer gesammten Beute wieder
zu Schiffe gegangen, und die Theilung derselben mit größerer
Eintracht, als womit die Vorsteher mancher kleinen Republik
sich in die öffentlichen Einkünfte zu theilen pflegen, geendigt
hatten, brachten sie den Rest der Nacht mit einem Schmause
zu, bei welchem sie nicht vergaßen, sich für die Unempfindlichkeit
zu entschädigen, die sie bei Eroberung der Thracischen
Schönen bewiesen hatten. Unterdessen aber, daß das ganze
Schiff beschäftigt war, das angefangene Bacchusfest zu vollenden,
hatte sich Agathon unbemerkt in einen Winkel zurückgezogen,
wo er vor Müdigkeit abermals einschlummerte, und
gerne den Traum fortgesetzt hätte, aus welchem ihn das Evan
Evoe der berauschten Mänaden geweckt hatte.—————
Viertes Capitel.Unverhoffte Zusammenkunft zweier Liebenden. Erzählung der Psyche.Als die aufgehende Sonne das Ionische Meer mit ihren
ersten Strahlen vergoldete, fand sie alle diejenigen (mit Virgil
zu reden) von Wein und Schlaf begraben, welche die Nacht
durch dem Bacchus und seiner Göttin Schwester geopfert hatten.
Nur Agathon, gewohnt mit der Morgenröthe zu erwachen,
wurde von den ersten Strahlen geweckt, die in horizontalen
Linien an seiner Stirne hinschlüpften. Indem er die Augen
aufschlug, sah er einen jungen Menschen in Sklavenkleidung
vor sich stehen, welcher ihn mit großer Aufmerksamkeit betrachtete.
Wie schön Agathon war, so schien er doch von diesem
liebenswürdigen Jüngling an Feinheit der Gestalt und Farbe
übertroffen zu werden. In der That hatte dieser in seiner
Gesichtsbildung und in seiner ganzen Figur etwas so Jungfräuliches,
daß er, gleich dem Horazischen Gyges in weiblicher
Kleidung unter eine Schaar von Mädchen gemischt, gar leicht
das Auge des schärfsten Kenners betrogen haben würde.Agathon erwiederte den Anblick des jungen Sklaven mit
einer Aufmerksamkeit, in welcher ein angenehmes Erstaunen
nach und nach sich bis zur Entzückung erhob. Eben diese Bewegungen
enthüllten sich auch in dem anmuthigen Gesichte des
jungen Sklaven: ihre Seelen erkannten einander zugleich, und
schienen durch ihre Blicke schon in einander zu fließen, eh'
ihre Arme sich umfangen, ehe die von Entzückung bebenden
Lippen — Psyche — Agathon — ausrufen konnten.Sie schwiegen eine lange Zeit. Dasjenige was sie empfanden,
war über allen Ausdruck. Und wozu hätten sie auch der
Worte bedurft? Der Gebrauch der Sprache hört auf, wenn
sich die Seelen einander unmittelbar mittheilen, sich unmittelbar
anschauen und berühren, und in Einem Augenblick mehr
empfinden, als die Zunge der Musen selbst in ganzen Jahren
auszusprechen vermöchte. Die Sonne würde vielleicht unbemerkt
über ihrem Haupte weg und wieder in den Ocean hinab
gestiegen seyn, ohne daß sie in dem fortdauernden Momente
der Entzückung den Wechsel der Stunden bemerkt hätten:
wenn nicht Agathon (dem es allerdings zukam hierin der
erste zu seyn) sich mit sanfter Gewalt aus den Armen seiner
Psyche losgewunden hätte, um von ihr zu erfahren, durch
was für einen Zufall sie in die Gewalt der Seeräuber gekommen
sey. Die Zeit ist kostbar, liebe Psyche, sagte er, wir
müssen uns der Augenblicke bemächtigen, da diese Barbaren,
von der Gewalt ihres Gottes bezwungen, zu Boden liegen.
Erzähle mir, durch was für einen Zufall du von meiner Seite
gerissen wurdest, ohne daß es mir möglich war zu erfahren,
wie, oder wohin? Und wie finde ich dich jetzt in diesem Sklavenkleide
und in der Gewalt dieser Seeräuber?"Du erinnerst dich, antwortete ihm Psyche, jener unglücklichen
Stunde, da die eifersüchtige Pythia unsre Liebe,
so geheim wir sie zu halten vermeinten, entdeckte. Nichts war
ihrer Wuth zu vergleichen, und es fehlte nur, daß ihre Rache
mein Leben selbst zum Opfer verlangte; denn sie ließ mich
einige Tage alles erfahren, was verschmähte Liebe erfinden
kann, um eine glückliche Nebenbuhlerin zu quälen. Wiewohl
sie es nun in ihrer Gewalt hatte, mich deinen Augen gänzlich
zu entziehen, so hielt sie sich doch niemals sicher, so lang' ich
zu Delphi seyn würde. Sie machte bald ein Mittel ausfindig,
sich meiner zu entledigen, ohne Argwohn zu erwecken; sie
schenkte mich einer Verwandten, die sie zu Syrakus hatte,
und weil sie mich an diesem Orte weit genug von dir entfernt
hielt, säumte sie nicht, mich in der größten Stille nach Sicilien
bringen zu lassen. Die Thörin! die nicht wußte, daß
keine Scheidung der Leiber deine Psyche verhindern könne,
über Länder und Meere wegzufliegen, und gleich einem liebenden
Schatten über dir zu schweben! Oder hoffte sie etwa reizender
in deinen Augen zu werden, wenn du mich nicht mehr
neben ihr sehen würdest? Wie wenig kannte sie dich und
mich! —"Ich verließ Delphi mit zerrissenem Herzen. Als ich den
letzten Blick auf die bezauberten Haine heftete, wo deine Liebe
mir ein neues Wesen, ein neues Daseyn gab, wogegen mein
voriges Leben eine ekelhafte Abwechslung von einförmigen
Tagen und Nächten, ein ungefühltes Pflanzenleben war, —
als ich diese geliebte Gegend endlich ganz aus den Augen verlor
— nein, Agathon, ich kann es nicht beschreiben! ich hörte auf,
mich selbst zu fühlen. Man brachte mich ins Leben zurück.
Ein Strom von Thränen erleichterte mein gepreßtes Herz. Es
war eine Art von Wollust in diesen Thränen, ich ließ ihnen
freien Lauf, ohne mich zu bekümmern, daß sie gesehen wurden.
Die Welt schien mir ein leerer Raum, alle Gegenstände um
mich her Träume und Schatten; du und ich waren allein;
ich sah nur dich, hörte nur dich, ich lag an deiner Brust,
legte meinen Arm um deinen Hals, zeigte dir meine Seele in
meinen Augen. Ich führte dich in die heiligen Schatten, wo
du mich einst die Gegenwart der Unsterblichen fühlen ehrtest;
ich saß zu deinen Füßen, und meine an deinen Lippen bangende
Seele glaubte den Gesang der Musen zu hören, wenn du
sprachst. Wir wandelten Hand in Hand beim sanften Mondscheine
durch elysische Gegenden, oder setzten uns unter die
Blumen, stillschweigend, indem unsre Seelen in ihrer eignen
geistigen Sprache sich einander enthüllten, lauter Licht und
Wonne um sich her sahen, und nur unsterblich zu seyn wünschten,
um sich ewig lieben zu können. Unter diesen Erinnerungen,
deren Lebhaftigkeit alle äußre Empfindungen verdunkelte,
beruhigte sich mein Herz allgemach. Ich, die sich selbst nur
für einen Theil deines Wesens hielt, konnte nicht glauben,
daß wir immer getrennt bleiben würden. Diese Hoffnung
machte nun mein Leben aus. und bemächtigte sich meiner so
sehr, daß ich wieder heiter wurde. Denn ich zweifelte nicht,
ich wußte es, daß du nicht aufhören könntest mich zu lieben.
Ich überließ dich der glühenden Leidenschaft einer mächtigen
und reizenden Nebenbuhlerin, ohne sie einen Augenblick zu
fürchten. Ich wußte, daß, wenn sie es auch so weit bringen
könnte, deine Sinnen zu verführen, sie doch unfähig sey, dir
eine Liebe einzuflößen wie die unsrige, und daß du dich bald
wieder nach derjenigen sehnen würdest, die dich allein glücklich
machen kann, weil sie allein dich lieben kann, wie du geliebt
zu seyn wünschest. —"Unter tausend solchen Gedanken kam ich endlich zu Syrakus
an. Die vorsichtige Priesterin hatte Anstalten gemacht,
daß ich nirgend Mittel finden konnte, dir von meinem Aufenthalte
Nachricht zu geben. Meine neue Gebieterin war von
der guten Art von Geschöpfen, welche gemacht sind sich selbst
zu gefallen und sich alles gefallen zu lassen. Ich wurde zu
der Ehre bestimmt, den Aufputz ihres schönen Kopfes zu besorgen;
und die Art, wie ich dieses Amt verwaltete, erwarb
mir ihre Gunst so sehr, daß sie mich beinahe so zärtlich liebte
wie — ihren Schooßhund. In diesem Zustande hielt ich mich
für so glücklich, als ich es, ohne deine Gegenwart, in einem
jeden andern hätte seyn können. Aber die Ankunft des Sohnes
meiner Gebieterin veränderte die Scene."Narcissus (so hieß der junge Herr) war von seiner
Mutter nach Athen geschickt worden, die Weisen daselbst zu
hören, und die keinen Sitten der Athener an sich zu nehmen.
Allein er hatte keine Zeit gefunden, weder das eine noch das
andre zu thun. Einige junge Leute, welche sich seine Freunde
nannten, machten jeden Tag eine neue Lustbarkeit ausfindig,
die ihn verhinderte, die schwermüthigen Spaziergänge der Philosophen
zu besuchen. Ueberdieß hatten ihm die artigsten Blumenhändlerinnen
von Athen gesagt, daß er ein sehr liebenswürdiger
junger Herr wäre, er hatte es ihnen geglaubt, und sich
also keine Mühe gegeben erst zu werden, was er, nach einem
so vollgültigen Zeugnisse, schon war. Er hatte sich mit nichts
beschäftiget, als seine Person in das gehörige Licht zu setzen;
niemand in Athen konnte sich rühmen, lächerlicher geputzt zu
seyn, weißere Zähne und sanftere Hände zu haben als Narcissus.
Er war der erste in der Kunst, sich in einem Augenblick
zweimal auf einem Fuße herum zu drehen, oder ein
Blumensträußchen an die Stirne einer Schönen zu stecken. Mit
solchen Vorzügen glaubte er einen natürlichen Beruf zu haben,
sich dem weiblichen Geschlecht anzubieten. Die Leichtigkeit,
womit seine Verdienste über die zärtlichen Herzen der Blumenmädchen
gesiegt hatten, machte ihm Muth, sich an die Kammermädchen
zu wagen, und von den Nymphen erhob er sich
endlich zu den Göttinnen selbst. Ohne sich zu bekümmern, wie
sein Herz aufgenommen wurde, hatte er sich angewöhnt zu
glauben, daß er unwiderstehlich sey; und wenn er nicht allemal
Proben davon erhielt, so machte er sich dafür schadlos,
indem er sich der Gunstbezeugungen am meisten rühmte, die
er nicht genossen hatte. —Wunderst du dich, Agathon, woher
ich so wohl von ihm unterrichtet bin? Von ihm selbst, Was
meine Augen nicht an ihm entdeckten, sagte mir sein Mund.
Denn er selbst war der unerschöpfliche Inhalt seiner Gespräche,
so wie der einzige Gegenstand seiner Bewunderung. Ein Liebhaber
von dieser Art sollte, dem Ansehn nach, wenig zu bedeuten
haben. Eine Zeit lang belustigte mich seine Thorheit; aber
endlich fand er es unanständig, daß eine Aufwärterin seiner
Mutter unempfindlich gegen ein Herz bleiben sollte, um welches
die Blumenhändlerinnen und Flötenspielerinnen zu Athen
einander beneidet hatten, und ich sah mich genöthigt, meine
Zuflucht zu seiner Mutter zu nehmen. Allein eben diese leutselige
Sinnesart, welche sie gütig gegen sich selbst, gegen ihr
Schooßhündchen, und gegen alle Welt machte, machte sie auch
gütig gegen die Thorheiten ihres Sohnes. Sie schien es sogar
übel zu nehmen, daß ich von den Vorzügen eines so liebreizenden
Jünglings nicht stärker gerührt würde, Die Ungeduld
über die Anfälle, denen ich beständig ausgesetzt war, gab mir
tausendmal den Gedanken ein, mich heimlich wegzustehlen.
Allein da ich keine Nachricht von dir hatte, wohin hätte ich
fliehen sollen? Ein Reisender von Delphi hatte uns zwar gesagt,
daß du daselbst unsichtbar geworden, aber niemand konnte
sagen, wo du seyst. Diese Ungewißheit stürzte mich in eine
Unruhe, die meiner Gesundheit nachtheilig zu werden anfing,
als eben dieser Narcissus, dessen lächerliche Liebe — zu sich
selbst mich so lange gequält hatte, mir ohne seine Absicht
das Leben wieder gab, indem er erzählte: daß ein gewisser
Agathon von Athen, nach einem Sieg über die aufrührischen
Einwohner von Euböa, diese Insel seiner Republik wieder
unterworfen habe. Die Umstände, die er von diesem Agathon
hinzu fügte, ließen mich nicht zweifeln, daß du es seyst. Eine
gutherzige Sklavin beförderte meine Flucht. Sie hatte einen
Liebhaber, der sie beredet hatte, sich von ihm entführen zu
lassen. Ich half ihr dieses Vorhaben ausführen, und begleitete
sie; der junge Sicilianer verschaffte mir zur Dankbarkeit dieses
Sklavenkleid, und brachte mich auf ein Schiff, welches nach
Athen bestimmt war. Ich wurde für einen Sklaven ausgegeben,
der seinen Herrn zu Athen suchte, und überließ mich
zum zweiten Mal den Wellen, aber mit ganz andern Empfindungen
als das erste Mal, da sie nun, anstatt mich von
dir zu entfernen, uns wieder zusammen bringen sollten."Unsere Fahrt war einige Tage glücklich, außer daß ein
widriger Wind unsre Reise ungewöhnlich verlängerte. Allein
am Abend des sechsten Tages erhob sich ein heftiger Sturm,
der uns in wenigen Stunden wieder einen großen Weg zurück
machen ließ; unsre Schiffer waren endlich so glücklich, eine
von den unbewohnten Cykladen zu erreichen, wo wir uns vor
dem Sturm in Sicherheit setzten. Wir fanden in der Bucht,
wohin wir uns geflüchtet hatten, ein Schiff liegen, worin sich
eben diese Cilicier befanden, denen wir jetzt zugehören. Sie
hatten eine griechische Flagge aufgesteckt, sie grüßten uns, sie
kamen zu uns herüber, und weil sie unsre Sprache redeten,
so hatten sie keine Mühe uns so viele Mährchen vorzuschwatzen,
als sie nöthig fanden uns sicher zu machen. Nach und
nach wurde unser Volk vertraulich mit ihnen; sie brachten
etliche große Krüge mit cyprischem Weine, wodurch sie in
wenig Stunden alle unsre Leute wehrlos machten. Sie bemächtigten
sich hierauf unsers ganzen Schiffes, und begaben
sich, sobald sich der Sturm in etwas gelegt hatte, wieder in
die See. Bei der Theilung wurd' ich einmüthig dem Hauptmanne
der Räuber zuerkannt. Man bewunderte meine Gestalt,
ohne mein Geschlecht zu muthmaßen. Allein diese Verborgenheit
half mir nicht so viel, als ich gehofft hatte. Der
Cilicier, den ich für meinen Herrn erkennen mußte, verzog
nicht lange, mich mit einer ekelhaften Leidenschaft zu quälen.
Er nannte mich seinen kleinen Ganymed, und schwor bei allen
Tritonen und Nereiden, daß ich ihm seyn müßte, was dieser
Trojanische Prinz dem Jupiter gewesen sey. Wie er sah, daß
seine Schmeicheleien ohne Wirkung waren, nöthigte er mich
zuletzt, ihm zu zeigen, daß ich mein Leben gegen meine Ehre
für nichts halte. Dieß verschaffte mir einige Ruhe, und ich
fing an, auf ein Mittel meiner Befreiung zu denken. Ich
gab dem Räuber zu verstehen. daß ich von einem ganz andern
Stande sey, als mein sklavenmäßiger Anzug zu erkennen
gäbe, und bat ihn aufs inständigste mich nach Athen zu
führen, wo er für meine Erledigung erhalten würde, was er
nur fordern wollte. Allein über diesen Punkt war er unerbittlich,
und jeder Tag entfernte uns weiter von diesem geliebten
Athen, welches, wie ich glaubte, meinen Agathon in sich hielt.
Wie wenig dachte ich, daß eben diese Entfernung, über die
ich untröstbar war, uns wieder zusammen bringen würde!
Aber ach! in was für Umständen finden wir uns beide wieder!
Beide der Freiheit beraubt, ohne Freunde, ohne Hülfe, ohne
Hoffnung befreit zu werden; verurtheilt, ungesitteten Barbaren
dienstbar zu seyn. Die unsinnige Leidenschaft meines Herrn
wird uns sogar des einzigen Vergnügens berauben, welches
unsern Zustand erleichtern könnte. Seitdem ihm meine Entschlossenheit
die Hoffnung benommen hat, seinen Endzweck zu
erreichen, scheint sich seine Liebe in eine wüthende Eifersucht
verwandelt zu haben, welche sich bemüht, dasjenige, was man
selbst nicht genießen kann, wenigstens keinem andern zu Theil
werden zu lassen. Der Barbar wird dir keinen Umgang mit
mir verstatten, da er mir kaum sichtbar zu seyn erlaubt. Doch,
die ungewisse Zukunft soll mir nicht einen Augenblick von der
gegenwärtigen Wonne rauben. Ich sehe dich, Agathon, und
bin glücklich. Wie begierig hätte ich vor wenigen Stunden einen
Augenblick wie diesen mit meinem Leben erkauft!"Indem sie dieses sagte, umarmte sie den glücklichen Agathon
mit einer so rührenden Zärtlichkeit, daß die Entzückung,
die ihre Herzen einander mittheilten, eine zweite sprachlose
Stille hervorbrachte. Und wie sollten wir beschreiben können,
was sie empfanden, da der Mund der Liebe selbst nicht beredt
genug war, es auszudrücken?—————
Fünftes Capitel.Wie Psyche und Agathon wieder getrennt werden.Nachdem unsre Liebhaber aus ihrer Entzückung zurück gekommen
waren, verlangte Psyche von Agathon eben dieselbe
Gefälligkeit, die sie durch Erzählung ihrer Begebenheiten für
seine Neugierde gehabt hatte. Er meldete ihr also: auf was
Weise er von Delphi entflohen; wie er mit einem angesehenen
Athener bekannt geworden, und wie sich entdeckt habe, daß
dieser Athener sein Vater sey; wie er durch einen Zufall in
die öffentlichen Angelegenheiten verwickelt, und durch seine
Beredsamkeit dem Volke angenehm geworden; die Dienste, die
er der Republik geleistet; durch was für Mittel seine Neider
das Volk wider ihn aufgebracht, und wie er vor wenigen Tagen,
mit Verlust aller seiner väterlichen Güter und Ansprüche,
lebenslänglich aus Athen verbannt worden; wie er den Entschluß
gefaßt, eine Reise in die Morgenländer vorzunehmen,
und durch was für einen Zufall er in die Hände der Cilicier
gerathen.Sie fingen nun auch an, sich über die Mittel ihrer Befreiung
zu berathschlagen; allein die Bewegungen, welche die
allmählich erwachenden Räuber machten, nöthigten Psychen sich
aufs eilfertigste zu verbergen, um einem Verdacht zuvorzukommen,
wovon der Schatten genug war, ihrem Geliebten
das Leben zu kosten. Jetzt beklagten sie bei sich selbst, daß sie,
nach dem Beispiel der Liebhaber in Romanen, eine so günstige
Zeit mit unnöthigen Erzählungen verloren hatten, da sie doch
voraussehen konnten, daß ihnen künftig wenig Gelegenheit
würde gegeben werden, sich zu sprechen. Allein, was sie
hierüber hätte trösten können, war, daß alle ihre Berathschlagungen
und Erfindungen vergeblich gewesen wären. Denn
an eben diesem Morgen erhielt der Hauptmann Nachricht von
einem reich beladenen Schiffe, welches im Begriff sey, von
Lesbos nach Korinth abzugehen, und, nach den Umständen
die der Bericht angab, unterwegs aufgefangen werden könnte.
Diese Zeitung veranlaßte eine geheime Berathschlagung unter
den Häuptern der Räuber, wovon der Ausschlag war, daß
Agathon mit den gefangnen Thracierinnen und einigen andern
jungen Sklaven unter einer Bedekung in eine Barke gesetzt
wurde, um ungesäumt nach Smyrna geführt und verkauft
zu werden; indessen die Galeere mit dem größten Theil der
Seeräuber sich fertig machte, der reichen Beute, die sie schon in
Gedanken verschlangen, entgegen zu sehen. In diesem Augenblicke
verlor Agathon die Gelassenheit, womit er bisher alle
Stürme des widrigen Glücks ausgehalten hatte. Der Gedanke,
von seiner Psyche wieder getrennt zu werden, setzte
ihn außer sich selbst. Er warf sich zu den Füßen des Ciliciers,
er schwor ihm, daß der verkleidete Ganymed sein Bruder
sey; er bot sich selbst zu seinem Sklaven an, er flehte, er
weinte — aber umsonst. Der Seeräuber hatte die Natur
des Elements, welches er bewohnte; die Sirenen selbst hätten
ihn nicht bereden können, seinen Entschluß zu ändern. Agathon
erhielt nicht einmal die Erlaubniß, von seinem geliebten
Bruder Abschied zu nehmen; die Lebhaftigkeit, die er bei
diesem Anlaß gezeigt, hatte ihn dem Hauptmann verdächtig
gemacht. Er wurde also, von Schmerz und Verzweiflung betäubt,
in die Barke getragen, und befand sich schon eine geraume
Zeit außer dem Gesichtskreise seiner Psyche, eh' er
wieder erwachte, um den ganzen Umfang seines Elends zu
fühlen.—————
Sechstes Capitel.Ein Selbstgespräch.Da wir uns zum unverbrüchlichen Gesetze gemacht haben,
in dieser Geschichte alles sorgfältig zu vermeiden, was gegen
die historische Wahrheit derselben einigen gerechten Verdacht
erwecken könnte; so würden wir uns ein Bedenken gemacht
haben, das Selbstgespräch, welches wir hier in unsrer Handschrift
vor uns finden, mitzutheilen, wenn der Verfasser nicht
die Vorsicht gebraucht hätte uns zu melden: daß seine Erzählung
sich in den meisten Umständen auf eine Art von Tagebuch
gründe, welches (sichern Anzeichen nach) von der eignen
Hand des Agathon sey, und wovon er durch einen Freund zu
Krotona eine Abschrift erhalten habe. Dieser Umstand macht
begreiflich, wie der Geschichtschreiber wissen konnte, was Agathon
bei dieser und andern Gelegenheiten mit sich selbst gesprochen;
und schützet uns vor den Einwürfen, die man gegen
die Selbstgespräche machen kann, worin die Geschichtschreiber
den Poeten so gerne nachzuahmen pflegen, ohne sich, wie sie,
auf die Eingebung der Musen berufen zu können.Unsre Urkunde meldet also, nachdem die erste Wuth des
Schmerzens (welche allezeit stumm und gedankenlos zu seyn
pflegt) sich gelegt, habe Agathon sich umgesehen; und da er
von allen Seiten nichts als Luft und Wasser um sich her erblickt,
habe er, seiner Gewohnheit nach, also mit sich selbst
zu philosophiren angefangen:"War es Täuschung, was mir begegnet ist, oder sah ich
sie wirklich? Hört' ich wirklich den rührenden Klang ihrer
süßen Stimme, und umfingen meine Arme keinen Schatten?
Wenn es mehr als ein Traumgesicht war, warum ist mir von
einem Gegenstande, der alle andern aus meiner Seele auslöschte,
nichts als die Erinnerung übrig? — Wenn Ordnung
und Zusammenhang die Kennzeichen der Wahrheit sind; o wie
ähnlich dem ungefähren Spiele der träumenden Phantasie sind
die Zufälle meines ganzen Lebens! —Von Kindheit an unter den
heiligen Lorbern des Delphischen Gottes erzogen, schmeichle
ich mir unter seinem Schutz, in Beschauung der Wahrheit und
im geheimen Umgange mit den Unsterblichen, ein stilles und
sorgenfreies Leben zuzubringen. Tage voll Unschuld, einer
dem andern gleich, fließen in ruhiger Stille, wie Augenblicke,
vorbei, und ich werde unvermerkt ein Jüngling. Eine
Priesterin, deren Seele eine Wohnung der Götter seyn soll,
wie ihre Zunge das Werkzeug ihrer Aussprüche, vergißt ihre
Gelübde, und bemüht sich meiner unerfahrnen Jugend Netze
zu stellen. Ihre Leidenschaft beraubt mich derjenigen, die ich
liebe; ihre Nachstellungen treiben mich endlich aus dem
geheiligten Schutzorte, wo ich, seitdem ich mich selbst empfand,
von Bildern der Götter und Helden umgeben, mich
einzig beschäftigt hatte ihnen ähnlich zu werden. In eine unbekannte
Welt ausgestoßen, finde ich unvermuthet einen Vater
und ein Vaterland, die ich nicht kannte. Ein schneller Wechsel
von Umständen setzt mich eben so unvermuthet in den Besitz
des größten Ansehens in Athen. Das blinde Zutrauen eines
Volkes, das in seiner Gunst so wenig Maß hält als in seinem
Unwillen, nöthigt mir die Anführung seines Kriegsheeres
auf; ein wunderbares Glück kommt allen meinen Unternehmungen
entgegen, und führt meine Anschläge aus; ich kehre
siegreich zurück. Welch ein Triumph! Welch ein Zujauchzen!
Welche Vergötterung! Und wofür? Für Thaten, an denen
ich den wenigsten Antheil hatte. Aber kaum schimmert meine
Bildsäule zwischen den Bildern des Kekrops und Theseus,
so reißt mich eben dieser Pöbel, der vor wenig Tagen bereit
war mir Altäre aufzurichten, mit ungestümer Wuth vor Gerichte
hin. Die Mißgunst derer, die das Uebermaß meines
Glücks beleidigte, hat schon alle Gemüther wider mich eingenommen,
alle Ohren gegen meine Vertheidigung verstopft;
Handlungen, worüber mein Herz mir Beifall gibt, werden
auf den Lippen meiner Ankläger zu Verbrechen; mein Verdammungsurtheil
wird ausgesprochen. Von allen verlassen,
welche sich meine Freunde genannt hatten, kurz zuvor die
eifrigsten gewesen waren, neue Ehrenbezeugungen für mich
zu erfinden, fliehe ich aus Athen, fliehe mit leichterem Herzen,
als womit ich vor wenigen Wochen, unter dem Zujauchzen einer
unzählbaren Menge, durch ihre Thore eingeführt wurde, und
entschließe mich den Erdboden zu durchwandern, ob ich einen
Ort finden möchte, wo die Tugend, vor auswärtigen Beleidigungen
sicher, ihrer eigenthümlichen Glückseligkeit genießen
könnte, ohne sich aus der Gesellschaft der Menschen zu verbannen.
Ich nehme den Weg nach Asien, um an den Ufern
des Oxus die Quellen zu besuchen, aus denen die Geheimnisse
des Orphischen Gottesdienstes zu uns geflossen sind. Ein
Zufall führt mich unter einen Schwarm rasender Bacchantinnen,
und ich entrinne ihrer verliebten Wuth bloß dadurch,
daß ich in die Hände seeräuberischer Barbaren falle. In diesem
Augenblicke, da mir von allem was man verlieren kann nur
noch das Leben übrig ist, finde ich meine Psyche wieder; aber
kaum fange ich an meinen Sinnen zu glauben, daß sie es sey,
die ich in meinen Armen umschlossen halte, so verschwindet
sie wieder, und hier bin ich auf diesem Schiffe, um zu
Smyrna als Sklave verkauft zu werden. — Wie ähnlich ist
alles dieß einem Fiebertraume, wo die schwärmende Phantasie,
ohne Ordnung, ohne Wahrscheinlichkeit, ohne Zeit oder Ort
in Betrachtung zu ziehen, die betäubte Seele von einem
Abenteuer zu dem andern, von der Krone zum Bettlersmantel,
von der Wonne zur Verzweiflung, vom Tartarus ins
Elysium fortreißt! —Und ist denn das Leben ein Traum, ein
bloßer Traum, so eitel, so unwesentlich, so unbedeutend als
ein Traum? Ein unbeständiges Spiel des blinden Zufalls,
oder unsichtbarer Geister, die eine grausame Belustigung darin
finden, uns zum Scherze bald glücklich bald unglücklich zu
machen? Oder ist es diese allgemeine Seele der Welt, deren
Daseyn die geheimnißvolle Majestät der Natur ankündiget, ist
es dieser alles belebende Geist, der die menschlichen Sachen
anordnet: warum herrschet in der moralischen Welt nicht eben
diese unveränderliche Ordnung und Zusammenstimmung, wodurch
die Elemente, die Jahres- und Tageszeiten, die Gestirne
und die Kreise des Himmels in ihrem gleichförmigen
Lauf erhalten werden? Warum leidet der Unschuldige? Warum
sieget der Betrüger? Warum verfolgt ein unerbittliches Schicksal
den Tugendhaften? Sind unsre Seelen den Unsterblichen
verwandt, sind sie Kinder des Himmels: warum verkennt der
Himmel sein Geschlecht, und tritt auf die Seite seiner Feinde?
Oder, hat er uns die Sorge für uns selbst gänzlich überlassen:
warum sind wir keinen Augenblick unsers Zustandes Meister?
Warum vernichtet bald Nothwendigkeit, bald Zufall, die weisesten
Entwürfe?"Hier hielt Agathon eine Zeit lang ein. Sein in Zweifeln
verwickelter Geist arbeitete sich los zu winden, bis ein neuer
Blick auf die majestätische Natur, die ihn umgab, eine andre
Reihe von Vorstellungen in ihm entwickelte. — "Was sind,
fuhr er mit sich selbst fort, meine Zweifel anders, als Eingebungen
der eigennützigen Leidenschaft? Wer war diesen Morgen
glücklicher als ich ? Alles war Wollust und Wonne um
mich her. Hat sich die Natur binnen dieser Zeit verändert,
oder ist sie minder der Schauplatz einer gränzenlosen Vollkommenheit,
weil Agathon ein Sklave, und von Psyche getrennt
ist? Schäme dich, Kleinmüthiger, deiner trübsinnigen
Zweifel und deiner unmännlichen Klagen! Wie kannst du
Verlust nennen, dessen Besitz kein Gut war? Ist es ein Uebel,
deines Ansehens, deines Vermögens, deines Vaterlandes
beraubt zu seyn? Alles dessen beraubt, warst du in Delphi glücklich,
und vermißtest es nicht. Und warum nennest du Dinge
dein, die nicht zu dir selbst gehören, die der Zufall gibt und
nimmt, ohne daß es in deiner Willkür steht sie zu erlangen
oder zu erhalten? — Wie ruhig, wie heiter und glücklich floß
mein Leben in Delphi hin, eh' ich die Welt, ihre Geschäfte,
ihre Sorgen, ihre Freuden und ihre Abwechslungen kannte;
eh' ich genöthigt war, mit den Leidenschaften anderer Menschen,
oder mit meinen eigenen zu kämpfen, mich selbst und
den Genuß meines Daseyns einem undankbaren Volk aufzuopfern,
und unter der vergeblichen Bemühung, Thoren oder
Lasterhafte glücklich zu machen, selbst unglücklich zu seyn!
Meine eigene Erfahrung widerlegt die ungerechten Zweifel des
Mißvergnügens am besten. Es gab Augenblicke, Tage, lange
Reihen von Tagen, da ich glücklich war; glücklich in den frohen
Stunden, wenn meine Seele, vom Anblick der Natur begeistert
in tiefsinnigen Betrachtungen und süßen Ahnungen, wie
in den bezauberten Gärten der Hesperiden, irrte; glücklich,
wenn mein befriedigtes Herz in den Armen der Liebe aller
Bedürfnisse, aller Wünsche vergaß, und nun zu verstehen
glaubte, was die Wonne der Götter sey; glücklicher, wenn
in Augenblicken, deren Erinnerung den bittersten Schmerz zu
versüßen genug ist, mein Geist in der großen Betrachtung
des Ewigen und Unbegränzten sich verlor. —Ja du bist's, alles
beseelende, alles regierende Güte —ich sah, ich fühlte dich!
Ich empfand die Schönheit der Tugend, die dir ähnlich macht;
ich genoß die Glückseligkeit, welche Tagen die Schnelligkeit der
Augenblicke, und Augenblicken den Werth von Jahrhunderten
gibt. Die Macht der Empfindung zerstreut meine Zweifel; die
Erinnerung der genossenen Glückseligkeit heilet den gegenwärtigen
Schmerz und verspricht eine bessere Zukunft. Diese
allgemeinen Quellen der Freude, woraus alle Wesen schöpfen,
fließen, wie ehmals, um mich her; meine Seele ist noch eben
dieselbe, wie die Natur, die mich umgibt. —O Ruhe meines
Delphischen Lebens, und du, meine Psyche! euch allein, von
allem was außer mir ist, nenne ich mein! mein! Wenn ihr auf ewig
verloren wäret, dann würde meine untröstbare Seele nichts
auf Erden finden, das ihr die Liebe zum Leben wieder geben
könnte. Aber ich besaß beide, ohne sie mir selbst gegeben zu
haben, und die wohlthätige Macht, welche sie gab, kann sie
wieder geben. Theure Hoffnung, du bist schon ein Anfang der
Glückseligkeit, die du versprichst! Es wäre zugleich gottlos
und thöricht, sich einem Kummer zu überlassen, der den
Himmel beleidigt, und uns selbst der Kräfte beraubt, dem
Unglück zu widerstehen, und der Mittel, wieder glücklich zu
werden. Komm denn, du süße Hoffnung einer bessern Zukunft,
und feßle meine Seele mit deinen schmeichelnden Bezauberungen!
Ruhe und Psyche — dieß allein, ihr Götter!
Lorberkränze und Schätze gebet, wem ihr wollt!"—————
Siebentes Capitel.Agathon wird zu Smyrna verkauft.Das Wetter war unsern Seefahrern so günstig, daß Agathon
gute Muße hatte, seinen Betrachtungen so lange nachzuhängen
als er wollte; zumal da seine Reise von keinem der
Umstände begleitet war, womit eine poetische Seefahrt ausgeschmückt
zu seyn pflegt. Denn man sahe da weder Tritonen,
die aus krummen Ammonshörnern bliesen; noch Nereiden, die
auf Delphinen, mit Blumenkränzen gezäumt, über den Wellen
daher ritten; noch Sirenen, die, mit halbem Leib aus dem
Wasser hervorragend, die Augen durch ihre Schönheit, und
das Ohr durch die Süßigkeit ihrer Stimme bezauberten. Die
Winde selbst waren etliche Tage lang so zahm, als ob sie es
mit einander abgeredet hätten, uns keine Gelegenheit zur Beschreibung
eines Sturms oder eines Schiffbruchs zu geben;
kurz, die Reise ging so glücklich von Statten, daß die Barke
am Abend des dritten Tages in den Hafen von Smyrna einlief;
wo die Räuber, nunmehr unter dem Schutze des großen
Königs gesichert, sich nicht säumten, ihre Gefangenen ans
Land zu setzen, in der Hoffnung, auf dem Sklavenmarkte
keinen geringen Vortheil aus ihnen zu ziehen. Ihre erste
Sorge war, sie in eines der öffentlichen Bäder zu führen, wo
man nichts vergaß, was sie des folgenden Tages verkäuflicher
machen konnte. Agathon war noch zu sehr mit allem, was
mit ihm vorgegangen war, angefüllt, als daß er auf das
Gegenwärtige aufmerksam hätte seyn können. Er wurde gebadet,
abgerieben, mit Salben und wohlriechenden Wassern
begossen, mit einem Sklavenkleide von vielfarbiger Seide
angethan, mit allem was seine Gestalt erheben konnte ausgeschmückt,
und von allen die ihn sahen bewundert; ohne
daß ihn etwas aus der tiefen Unempfindlichkeit erwecken konnte,
welche in gewissen Umständen eine Folge der übermäßigen
Empfindlichkeit ist. Auf das, was in seiner Seele vorging, geheftet,
schien er weder zu sehen noch zu hören, weil er nichts
sah noch hörte was er wünschte; und nur der Anblick, der
sich ihm auf dem Sklavenmarkte darstellte, war vermögend, ihn
aus dieser wachenden Träumerei aufzurütteln. Diese Scene
hatte zwar das Abscheuliche nicht, das ein Sklavenmarkt zu
Barbados sogar für einen Europäer haben könnte, dem die
Vorurtheile der gesitteten Völker noch einige Ueberbleibsel des
angebornen menschlichen Gefühls gelassen hätten; allein sie
hatte doch genug, um eine Seele zu empören, welche sich gewöhnt
hatte, in den Menschen mehr die Schönheit ihrer Natur,
als die Erniedrigung ihres Zustandes, mehr das, was sie nach
gewissen Voraussetzungen seyn könnten, als was sie wirklich
waren, zu sehen. Eine Menge von traurigen Vorstellungen
stieg in gedrängter Verwirrung bei diesem Anblick in ihm auf;
und indem sein Herz von Mitleiden und Wehmuth zerfloß,
brannte es zugleich von einem zürnenden Abscheu vor den
Menschen, dessen nur diejenigen fähig sind, welche die
Menschheit lieben. Er vergaß über diesen Empfindungen
seines eignen Unglücks: als ein Mann von edlem Ansehen,
welcher schon bei Jahren zu seyn schien, im Vorübergehen
seiner gewahr ward, stehen blieb, und ihn mit besondrer Aufmerksamkeit
betrachtete. Wem gehört dieser junge Leibeigene?
fragte der Mann einen von den Ciliciern, der neben ihm stand.
Dem, der ihn von mir kaufen wird, versetzte dieser. Was
versteht er für eine Kunst? fuhr jener fort. Das wird er dir
selbst am besten sagen können, erwiederte der Cilicier. — Der
Mann wandte sich also an Agathon selbst, und fragte ihn, ob
er nicht ein Grieche sey? ob er sich in Athen aufgehalten, und
ob er in den Künsten der Musen unterrichtet worden? Agathon
bejahete diese Fragen. —"Kannst du den Homer lesen?"
— Ich kann lesen; und ich meine, daß ich den Homer empfinden
könne. — "Kennst du die Schriften der Philosophen?"
— Gut genug, um nichts darin zu verstehen. — "Du gefällst
mir, junger Mensch! Wie hoch haltet ihr ihn, mein Freund?"
— Er sollte, wie die andern, durch den Herold ausgerufen
werden, antwortete der Cilicier; aber für zwei Talente ist er
euer. —"Begleite mich mit ihm in mein Haus, erwiederte der
Alte; du sollst zwei Talente haben, und der Sklave ist mein."
— Dein Geld muß dir sehr beschwerlich seyn, sagte Agathon;
woher weißt du, daß ich dir für zwei Talente nützlich seyn
werde? — "Wenn du es auch nicht wärest, versetzte der Käufer,
so bin ich unbesorgt, unter den Damen von Smyrna zwanzig
für eine zu finden, die mir auf deine bloße Miene wieder zwei
Talente für dich geben." — Mit diesen Worten befahl er dem
Agathon, ihm in sein Hans zu folgen.—————
Zweites Buch.Agathon im Hause des Sophisten Hippias.Erstes Capitel.Wer der Käufer des Agathon war.Der Mann, der sich für zwei Talente das Recht erworben
hatte, den Agathon als seinen Leibeigenen zu behandeln,
war einer von den merkwürdigen Leuten, welche unter dem
Namen der Sophisten in den Griechischen Städten umher
zogen, sich der edelsten und reichsten Jünglinge zu bemächtigen,
und durch die Annehmlichkeiten ihres Umgangs und das prächtige
Versprechen, ihre Schüler zu vollkommnen Rednern,
Staatsmännern und Feldherren zu machen, das Geheimniß
gefunden hatten, welches die Alchymisten bis auf den heutigen
Tag vergeblich gesucht haben. Der Name, den sie sich selbst
beilegten, bezeichnet in der Sprache der Griechen eine Person,
welche von der Weisheit Profession macht, oder, wenn
man so sagen kann, einen Virtuoso in der Weisheit; und
dieß war es auch, wofür sie von dem größten Theil ihrer Zeitgenossen
gehalten wurden. Indessen muß man gestehen, daß
diese Weisheit, von der sie Profession machten, von der Sokratischen
(die durch einige ihrer Verehrer so berühmt geworden
ist) sowohl in ihrer Beschaffenheit, als in ihren Wirkungen
unendlich unterschieden, oder, besser zu sagen, die völlige
Antipode derselben war. Die Sophisten lehrten die Kunst,
die Leidenschaften andrer Menschen zu erregen; Sokrates
die Kunst, seine eigenen zu dämpfen. Jene lehrten,
wie man es machen müsse, um weise und tugendhaft zu
scheinen; dieser lehrte, wie man es sey. Jene munterten
die Jünglinge von Athen auf, sich der Regierung des Staats
anzumaßen; Sokrates bewies ihnen, daß sie vorher die Hälfte
ihres Lebens anwenden müßten, sich selbst regieren zu
lernen. Jene spotteten der Sokratischen Weisheit, die nur in
einem schlechten Mantel aufzog, und sich mit einer Mahlzeit
für sechs Obolen begnügte, da die ihrige in Purpur schimmerte
und offne Tafel hielt. Die Sokratische Weisheit war
stolz darauf, den Reichthum entbehren zu können, die ihrige
wußte ihn zu erwerben. Sie war gefällig, einschmeichelnd,
und nahm alle Gestalten an; sie vergötterte die Großen, kroch
vor ihren Dienern, tändelte mit den Schönen, und schmeichelte
allen, welche dafür bezahlten. Sie war allenthalben an
ihrem rechten Platze; beliebt bei Hofe, beliebt am Putztische,
beliebt bei den Großen, beliebt sogar bei der Priesterschaft.
Die Sokratische war weit entfernt so liebenswürdig zu seyn.
Sie war trocken und langweilig; sie wußte nicht zu leben; sie
war unerträglich, weil sie alles tadelte und immer Recht
hatte; sie wurde von dem geschäftigen Theile der Welt für
unnützlich, von dem müßigen für abgeschmackt, und von dem
andächtigen gar für gefährlich erklärt. Wir würden nicht fertig
werden, wenn wir diese Gegensätze so weit treiben wollten, als
sie gingen. Dieß ist gewiß, die Weisheit der Sophisten hatte
einen Vorzug, den ihr die Sokratische nicht streitig machen
konnte. Sie verschaffte ihren Besitzern Reichthum, Ansehen,
Ruhm und ein Leben, das von allem was die Welt glücklich
nennet überfloß; und man muß gestehen, daß dieß ein verführerischer
Vorzug war.Hippias, der neue Herr unsers Agathon, war einer
von diesen Glücklichen dem die Kunst sich die Thorheiten
andrer Leute zinsbar zu machen ein Vermögen erworben
hatte, wodurch er sich im Stande sah, die Ausübung derselben
aufzugeben, und die andere Hälfte seines Lebens
in den Ergötzungen eines begüterten Müßiggangs zuzubringen,
zu deren angenehmstem Genuß das zunehmende
Alter geschickter scheint, als die ungestüme Jugend. In
dieser Absicht hatte er Smyrna zu seinem Wohnort ausersehen,
weil die Schönheit des jonischen Himmels, die glückliche
Lage dieser Stadt, der Ueberfluß, der ihr durch die
Handlung aus allen Theilen des Erdbodens zuströmte, und die
Verbindung des Griechischen Geschmackes mit der wollüstigen
Ueppigkeit der Morgenländer, welche in ihren Sitten herrschte,
ihm diesen Aufenthalt vor allen andern vorzüglich machte.
Hippias stand in dem Rufe, daß ihm in den Vollkommenheiten
seiner Profession wenige den Vorzug streitig machen könnten.
Ob er gleich über fünfzig Jahre zählte, so hatte er doch von
der Gabe zu gefallen, die ihm in seiner Jugend so nützlich
gewesen war, noch so viel übrig, daß sein Umgang von den
artigsten Personen des einen und andern Geschlechts gesucht
wurde. Er besaß Alles, was die Art von Weisheit, die er
ausübte, verführerisch machen konnte: eine edle Gestalt, eine
einnehmende Gesichtsbildung, einen angenehmen Ton der
Stimme, einen behenden und geschmeidigen Witz, eine Beredsamkeit,
die desto mehr gefiel, weil sie mehr ein Geschenk der
Natur, als eine durch Fleiß erworbene Kunst zu seyn schien.
Diese Beredsamkeit, oder vielmehr diese Gabe angenehm zu
schwatzen, mit einer Tinctur von allen Wissenschaften, einem
feinen Geschmack für das Schöne und Angenehme, und eine
vollständige Kenntniß der Welt, war mehr als er nöthig hatte,
um in den Augen aller, mit denen er umging (denn er ging
mit keinen Sokraten um), für ein Genie vom ersten Range
zu gelten, der Mann zu seyn, der sich auf alles verstand,
welchem schon zugelächelt wurde, ehe man wußte was er
sagen wollte, und wider dessen Aussprüche nicht erlaubt war
etwas einzuwenden.Indessen war doch das, wodurch er sein Glück hauptsächlich
gemacht hatte, die besondere Gabe, die er besaß, sich
der schönen Hälfte der Gesellschaft gefällig zu machen. Er war
so klug, frühzeitig zu entdecken, wie viel an der Gunst dieser
reizenden Geschöpfe gelegen ist, welche in den polizirten
Theilen des Erdbodens die Macht wirklich ausüben, die in den
Mährchen den Feen beigelegt wird; welche mit einem einzigen
Blick, oder durch eine kleine Verschiebung des Halstuches,
stärker überzeugen als Demosthenes und Lysias durch lange
Reden, mit einer einzigen Thräne den Gebieter über Legionen
entwaffnen, und durch den bloßen Vortheil, den sie von ihrer
Gestalt und dem Bedürfniß des stärkern Geschlechts zu ziehen
wissen, sich oft zu unumschränkten Beherrscherinnen derjenigen
machen, in deren Händen das Schicksal ganzer Völker liegt.
Hippias hatte diese Entdeckung von so großem Nutzen gefunden,
daß er keine Mühe gespart hatte, es in der Anwendung
derselben zum höchsten Grade der Vollkommenheit zu bringen;
und dasjenige, was ihm in seinem Alter noch davon übrig
war, bewies, was er in seinen schönen Jahren gewesen seyn
müsse. Seine Eitelkeit ging so weit, daß er sich nicht enthalten
konnte, die Kunst die Zauberinnen zu bezaubern in die
Form eines Lehrbegriffs zu bringen, und seine Erfahrungen
und Beobachtungen hierüber der Welt in einer sehr gelehrten
Abhandlung mitzutheilen, deren Verlust nicht wenig zu bedauern
ist, und schwerlich von einem heutigen Schriftsteller
unsrer Nation zu ersetzen seyn dürfte.Nach allem, was wir bereits von diesem weisen Manne
gesagt haben, wär' es überflüssig, eine Abschilderung von seinen
Sitten zu machen. Sein Lehrbegriff von der Kunst zu leben
wird uns in kurzem umständlich vorgelegt werden; und er
besaß eine Tugend, welche nicht die Tugend der Moralisten
zu seyn pflegt: er lebte nach seinen Grundsätzen.Unter andern schönen Neigungen hatte er auch einen besondern
Geschmack an allem, was gut in die Augen fiel. Er
wollte daß die seinigen, in seinem Hause wenigstens, sich nirgend
hinwenden sollten, ohne einem gefallenden Gegenstande zu
begegnen. Die schönsten Gemälde, Bildsäulen und Büsten,
die reichsten Tapeten, die zierlichsten Gefäße, der prächtigste
Hausrath, befriedigten seinen Geschmack noch nicht; er wollte
auch, daß der belebte Theil seines Hauses mit dieser allgemeinen
Schönheit übereinstimmen sollte: seine Bedienten und
Sklavinnen waren die ausgesuchtesten Gestalten, die er in
einem Lande, wo die Schönheit nicht ungewöhnlich ist, hatte
finden können. Die Gestalt Agathons möchte also allein hinreichend
gewesen seyn, seine Gunst zu erwerben; zumal da er
eben einen Leser nöthig hatte, und aus dem Anblick und
den ersten Worten des schönen Jünglings urtheilte, daß er
sich zu einem Dienste vollkommen schicken würde, wozu eine
gefallende Gesichtsbildung und eine musikalische Stimme die
nöthigsten Gaben sind. Allein Hippias hatte noch eine geheime
Absicht. Wiewohl die Liebe zu den Wollüsten der Sinne
seine herrschende Neigung zu seyn schien, so hatte doch die
Eitelkeit nicht wenig Antheil an den meisten Handlungen seines
Lebens. Er hatte, bevor er sich nach Smyrna begab, den
schönsten Theil seines Lebens zugebracht, die edelste Jugend
der griechischen Städte zu bilden. Er hatte Redner gebildet,
die durch eine künstliche Vermischung des Wahren und Falschen,
und den klugen Gebrauch gewisser Figuren, einer
schlimmen Sache den Schein und die Wirkung einer guten
zu geben wußten; Staatsmänner, welche die Kunst besaßen,
mitten unter den Zujauchzungen eines bethörten
Volkes, die Gesetze durch die Freiheit und die Freiheit
durch schlimme Sitten zu vernichten, um ein Volk, welches
sich der heilsamen Zucht des Gesetzes nicht unterwerfen
wollte, der willkürlichen Gewalt ihrer Leidenschaften zu
unterwerfen; kurz, er hatte Leute gebildet, die sich Ehrensäulen
dafür aufrichten ließen, daß sie ihr Vaterland zu
Grunde richteten. Allein dieses befriedigte seine Eitelkeit noch
nicht. Er wollte auch jemand hinterlassen, der seine Kunst
fortzusetzen geschickt wäre; eine Kunst, die in seinen Augen
allzu schön war, als daß sie mit ihm sterben sollte. Schon
lange hatte er einen jungen Menschen gesucht, bei dem er das
natürliche Geschick, der Nachfolger eines Hippias zu seyn,
in derjenigen Vollkommenheit finden möchte, die dazu erfordert
wurde. Seine wirkliche oder eingebildete Gabe, aus
der Gestalt und Miene das Inwendige eines Menschen zu errathen,
beredete ihn, bei Agathon zu finden was er suchte;
wenigstens hielt er es der Mühe werth, eine Probe mit ihm
zu machen; und da er ein so gutes Vorurtheil von seiner
Tüchtigkeit hegte, so fiel ihm nur nicht ein, in seine Willigkeit
zu den großen Absichten, die er mit ihm vorhatte, einigen
Zweifel zu setzen.—————
Zweites Capitel.Verwunderung, in welche Agathon über die Weisheit seines neuen Herrn
gesetzt wird.Agathon wußte noch nichts, als daß er einem Manne zugehöre,
dessen äußerliches Ansehen sehr zu seinem Vortheil
sprach, als er beim Eintritt in sein Haus durch die Schönheit
des Gebäudes, die Bequemlichkeiten der Einrichtung, die
Menge und die gute Miene der Bedienten, und durch einen
Schimmer von Pracht und Ueppigkeit, der ihm allenthalben
entgegen glänzte, in eine Art von Verwunderung gesetzt wurde,
welche ihm sonst nicht gewöhnlich war, und desto mehr zunahm,
als man ihm sagte, daß er die Ehre haben sollte, ein Hausgenosse
von Hippias, dem Weisen, zu werden.Er war noch im Nachdenken begriffen, was für eine Art
von Weisheit dieß seyn möchte, als ihn Hippias zu sich rufen
ließ, um ihm seine künftige Bestimmung bekannt zu machen.
Die Gesetze, Kallias (denn dieß soll künftig dein Name seyn),
geben mir zwar das Recht, sagte der Sophist, dich als meinen
Leibeigenen anzusehen; aber es wird nur von dir abhängen, so
glücklich in meinem Hause zu seyn, als ich es selbst bin. Alle
deine Verrichtungen werden darin bestehen, den Homer bei
meinem Tische, und die Aufsätze, mit deren Ausarbeitung
ich mir die Zeit vertreibe, in meinem Hörsaale vorzulesen.
Wenn dieses Amt leicht zu seyn scheint, so versichere ich dich,
daß ich nicht leicht zu befriedigen bin, und daß du Kenner
zu Hörern haben wirst. Ein jonisches Ohr will nicht nur
ergötzt, es will bezaubert seyn. Die Annehmlichkeit der
Stimme. die Reinigkeit und das Weiche der Aussprache, die
Wichtigkeit des Accents, das Muntere, das Ungezwungene,
das Musikalische ist nicht hinlänglich; wir fordern eine vollkommene
Nachahmung, einen Ausdruck, der jedem Theile
des Stückes, jeder Periode, jedem Verse, das Leben, den
Affect, die Seele gibt, die sie haben sollen; kurz, die Art
wie gelesen wird, soll das Ohr an die Stelle aller übrigen
Sinne setzen. Das Gastmahl des Alcinous wird diesen Abend
dein Probestück seyn. Die Fähigkeiten, welche ich an dir
zu entdecken hoffe, werden meine Absichten mit dir bestimmen;
und vielleicht wirst du in der Zukunft Ursache finden, den
Tag, an dem du dem Hippias gefallen hast, unter deine
glücklichen zu zählen.Mit diesen Worten verließ er unsern Jüngling, und ersparte
sich dadurch die Demüthigung, zu sehen, wie wenig
der neue Kallias durch die Hoffnungen gerührt schien, wozu
ihn diese Erklärung berechtigte. In der That hatte die Bestimmung,
die jonischen Ohren zu bezaubern, in Agathons
Augen nicht Edles genug, daß er sich deßwegen hätte glücklich
schätzen sollen; und überdem war etwas in dem Ton dieser
Anrede, welches ihm mißfiel, ohne daß er eigentlich wußte
warum?Inzwischen vermehrte sich seine Verwunderung, je mehr
er sich in dem Hause des weisen Hippias umsah; und er begriff
nun ganz deutlich, daß sein Herr, was auch sonst seine
Grundsätze seyn möchten, wenigstens von der Ertödtung
der Sinnlichkeit, wovon er ehemals den Plato zu Athen
sehr schöne Dinge sagen gehört hatte, keine Profession mache.
Allein wie er sah, was die Weisheit in diesem Hause
für eine Tafel hielt, wie prächtig sie sich bedienen ließ, was
für reizende Gegenstände ihre Augen, und welche wollüstige
Harmonien ihre Ohren ergötzten, indessen der Schenktisch,
mit griechischen Weinen und den angenehm betäubenden Getränken
der Asiaten beladen, den Sinnen zu so mannichfaltigem
Genuß neue Kräfte zu geben schien; wie er die Menge
von jungen Sklaven sah, die den Liebesgöttern glichen, die
Chöre von Tänzerinnen und Lautenspielerinnen, die durch die
Reizungen ihrer Gestalt so sehr als durch ihre Geschicklichkeit
bezauberten, und die nachahmenden Tänze, in denen sie die
Geschichte einer Leda oder Danae durch bloße Bewegungen
mit einer Lebhaftigkeit vorstellten, die einen Nestor hätte verjüngern
können; wie er die üppigen Bäder, die bezauberten
Gärten, kurz, wie er alles sah, was das Haus des weisen
Hippias zu einem Tempel der ausgekünsteltsten Sinnlichkeit
machte: so stieg seine Verwunderung bis zum Erstaunen, und
er konnte nicht begreifen, was dieser Sybarit gethan haben
müsse, um den Namen eines Weisen zu verdienen; oder wie
er sich einer Benennung nicht schäme, die ihm (seinen Begriffen
nach) nicht besser anstand, als dem Alexander von
Fera, wenn man ihn den Leutseligen, oder der Phryne,
wenn man sie die Keusche hätte nennen wollen. Alle Auflösungen,
die er sich selbst hierüber machen konnte, befriedigten
ihn so wenig, daß er sich vornahm, bei der ersten Gelegenheit
diese Aufgabe — dem Hippias selbst vorzulegen.—————
Drittes Capitel.Welches bei Einigen den Verdacht erwecken wird, daß diese Geschichte
erdichtet sey.Die Verrichtungen des Agathon ließen ihm so viele
Zeit übrig, daß er in wenig Tagen in einem Hause, wo
alles Freude athmete, sehr lange Weile hatte. Freilich
lag die Schuld nur an ihm selbst, wenn es ihm an einem
Zeitvertreibe mangelte, der die hauptsächlichste Beschäftigung
der Leute von seinem Alter auszumachen pflegt. Die Nymphen
dieses Hauses waren von einer so gefälligen Gemüthsart, von
einer so anziehenden Figur, und von einem so günstigen Vorurtheil
für den neuen Hausgenossen eingenommen, daß es
weder die Furcht abgewiesen zu werden, noch der Fehler ihrer
Reizungen war, was den schönen Kallias so zurückhaltend
oder unempfindlich machte, als er sich, zu ihrer nicht geringen
Befremdung, finden ließ.Einige, die aus seinem Betragen schlossen, daß er noch
ein Neuling seyn müsse, waren so gefällig, daß sie ihm die
Schwierigkeiten zu erleichtern suchten, die ihm seine Schüchternheit
(ihren Gedanken nach) in den Weg legte, und ihm
Gelegenheiten gaben, die den Zaghaftesten hätten unternehmend
machen sollen. Allein — wir müssen es nur gestehen, was
man auch von unserm Helden deßwegen denken mag — er gab
sich eben so viel Mühe, diesen Gelegenheiten auszuweichen,
als man sich geben konnte, sie ihm zu machen. Wenn dieß
anzuzeigen scheint, daß er entweder einiges Mißtrauen in sich
selbst, oder ein allzu großes Vertrauen in die Reizungen dieser
schönen Verführerinnen gesetzt habe: so dienet vielleicht zu
seiner Entschuldigung, daß er noch nicht alt genug war, ein
Xenokrates zu seyn; und daß er, vermuthlich nicht ohne
Ursache, ein Vorurtheil wider dasjenige gefaßt hatte, was
man im Umgange von jungen Personen beiderlei Geschlechts
unschuldige Freiheiten zu nennen pflegt. Dem sey indessen
wie ihm wolle, dieß ist gewiß, daß Agathon durch dieses
seltsame Betragen einen Argwohn erweckte, der ihm bei allen
Gelegenheiten beißende Spöttereien von den übrigen Hausgenossen,
und selbst von den Schönen zuzog, welche sich durch
seine Sprödigkeit nicht wenig beleidigt fanden, und ihm auf
eine feine Art zu verstehen gaben, daß sie ihn für geschickter
hielten, die Tugend der Damen zu bewachen, als auf die
Probe zu stellen.Agathon fand nicht rathsam, sich in einen Wettstreit einzulassen,
wo er besorgen mußte, daß die Begierde Recht zu
haben, die sich in der Hitze des Streites auch der Klügsten zu
bemeistern pflegt, ihn zu gefährlichen Erörterungen führen
könnte. Er machte daher bei solchen Anlässen eine so alberne
Figur, daß man von seinem Witz eine eben so verdächtige
Meinung bekommen mußte, als man schon von seiner Person
gefaßt hatte; und die allgemeine Verachtung, in die er deßwegen
fiel, trug vielleicht nicht wenig dazu bei, ihm den
Aufenthalt in einem Hause beschwerlich zu machen, wo ihm
ohnehin alles, was er sah und hörte, ärgerlich war. Er liebte
zwar die Künste, über welche, nach dem Glauben der Griechen,
die Musen die Aufsicht hatten: aber er war zu sehr
gewöhnt, sich die Musen und die Grazien, ihre Gespielen,
nie anders als im Gefolge der Weisheit zu denken, um von
dem Mißbrauche, welchen Hippias von ihren Gaben machte,
nicht beleidiget zu werden. Die Gemälde, womit alle Säle
und Gänge des Hauses ausgeziert waren, stellten so schlüpfrige
und unsittliche Gegenstände vor, daß er seinen Augen um
so weniger erlauben konnte, sich darauf zu verweilen, je vollkommener
die Natur darin nachgeahmt war, und je mehr sich
das Genie bemüht hatte, der Natur selbst neue Reizungen zu
leihen. Eben so weit war die Musik, die er alle Abende nach
der Tafel hören konnte, von derjenigen unterschieden, welche,
seiner Einbildung nach, allein der Musen würdig war. Er
liebte eine Musik, welche die Leidenschaften besänftigte, und
die Seele in ein angenehmes Staunen wiegte, oder mit einem
feurigen Schwung von Begeisterung das Lob der Unsterblichen
sang, und das Herz in heiliges Entzücken und in ein schauervolles
Gefühl der gegenwärtigen Gottheit setzte; oder drückte
sie Zärtlichkeit und Freude aus, so sollte es die Zärtlichkeit
der Unschuld und die rührende Freude der einfältigen Natur
seyn.Allein in diesem Hause hatte man einen ganz andern
Geschmack. Was Agathon hörte, waren Sirenengesänge,
die den üppigsten Liedern Anakreons, Sappho's und Korinnens
einen Reiz gaben, welcher selbst aus unangenehmen
Lippen verführerisch gewesen wäre; Gesänge, die durch
den nachahmenden Ausdruck der schmeichelnden, seufzenden
und schmachtenden, oder der triumphirenden und in Entzücken
aufgelösten Leidenschaft die Begierde erregten, dasjenige zu
erfahren, was in der Nachahmung schon so reizend war; Lybischen
Flöten, deren girrendes, verliebtes Flüstern die redenden
Bewegungen der Tänzerinnen ergänzte, und ihrem Spiel
eine Deutlichkeit gab, welche der Einbildungskraft nichts zu errathen
übrig ließ; Symphonien, welche die Seele in ein
bezaubertes Vergessen ihrer selbst versenkten, und, nachdem
sie alle ihre edlern Kräfte entwaffnet hatten, die erregte und
willige Sinnlichkeit der ganzen Gewalt der von allen Seiten
eindringenden Wollust auslieferten.Agathon konnte bei diesen Scenen, wo so viele Künste,
so viele Zaubermittel sich vereinigten, den Widerstand der Tugend
zu ermüden, nicht so gleichgültig bleiben, als diejenigen
zu seyn schienen, die derselben gewohnt waren; und die Unruhe,
in die er dadurch gesetzt wurde, machte ihm (was auch
die Stoiker sagen mögen) mehr Ehre, als dem Hippias und
seinen Freunden ihre Gelassenheit. Er befand also für gut,
allemal, wenn er seine Rolle als Homerist geendigt hatte,
sich hinweg zu begeben, und irgend einen Winkel zu suchen,
wo er in ungestörter Einsamkeit von den widrigen Eindrücken
sich befreien konnte, die das geschäftige und fröhliche Getümmel
des Hauses, und der Anblick so vieler Gegenstände, die
seinen moralischen Sinn beleidigten, den Tag über auf sein
Gemüthe gemacht hatten.—————
Viertes Capitel.Schwärmerei unsers Helden.Die Wohnung des Hippias war auf der mittäglichen Seite
von Gärten umgeben, in deren weitläuftigem Bezirke die Kunst
und der Reichthum alle ihre Kräfte aufgewandt hatten, die
einfältige Natur mit ihren eignen und mit fremden Schönheiten
zu überladen. Gefilde voll Blumen, die, aus allen
Welttheilen gesammelt, jeden Monat zum Frühling eines andern
Klima machten; Lauben von allen Arten wohlriechender
Stauden; Lustgänge von Citronenbäumen, Oelbäumen und
Cedern, in deren Länge der schärfste Blick sich verlor; Haine
von allen Arten fruchtbarer Bäume, und Irrgänge von Myrten
und Lorberhecken, mit Rosen von allen Farben durchwunden,
wo tausend marmorne Najaden, die sich zu regen und
zu athmen schienen, kleine murmelnde Bäche zwischen die Blumen
hingossen, oder mit muthwilligem Plätschern in spiegelhellen
Brunnen spielten, oder unter überhangenden Schatten
von ihren Spielen auszuruhen schienen: alles dieß machte die
Gärten des Hippias den bezauberten Gegenden ähnlich, diesen
Spielen einer dichterischen und malerischen Phantasie, welche
man erstaunt ist außerhalb seiner Einbildung zu sehen.Hier war es, wo Agathon seine angenehmsten Stunden
zubrachte; hier fand er die Heiterkeit der Seele wieder, die
er dem angenehmsten Taumel der Sinne unendlich weit vorzog;
hier konnt' er sich mit sich selbst besprechen; hier sah er
sich von Gegenständen umgeben, die zu seiner Gemüthsbeschaffenheit
stimmten: wiewohl die seltsame Denkart, wodurch er
die Erwartung des Hippias so sehr betrog, auch hier nicht
ermangelte, sein Vergnügen durch den Gedanken zu vermindern,
daß alle diese Gegenstände weit schöner wären, wenn
sich die Kunst nicht angemaßt hätte, die Natur ihrer Freiheit
und rührenden Einfältigkeit zu berauben.Oft wenn er beim Mondschein, den er mehr als den Tag
liebte, einsam im Schatten lag, erinnert' er sich der frohen
Scenen seiner ersten Jugend; der unbeschreiblichen Eindrücke,
die jeder schöne Gegenstand, jeder ihm neue Auftritt der Natur
auf seine noch unverwöhnten Sinnen gemacht hatte, der
süßen Stunden, die ihm in den Entzückungen einer ersten
schuldlosen Liebe zu Augenblicken geworden waren. Diese Erinnerungen,
mit der Stille der Nacht und dem Gemurmel sanfter
Bäche und sanft wehender Sommerlüfte, wiegten seine
Sinnen in eine Art von leichtem Schlummer ein worin
die innerlichen Kräfte der Seele mit verdoppelter Stärke wirken.
Dann bildeten sich ihm die reizenden Aussichten einer
bessern Zukunft vor; er sah alle seine Wünsche erfüllt, er
fühlte sich etliche Augenblicke glücklich: und erwachte er wieder,
so beredete er sich, daß diese Hoffnungen ihn nicht so lebhaft
rühren, nicht in eine so gelassene Zufriedenheit senken würden,
wenn es nur nächtliche Spiele der Einbildung, und nicht vielmehr
innerliche Ahnungen wären, Blicke, welche der Geist,
in der Stille und Freiheit, die ihm die schlummernden Sinne
lassen, in die Zukunft, und in eine weitere Sphäre thut,
als diejenige ist, die von der Schwäche seiner körperlichen Sinne
umschrieben wird.In einer solchen Stunde war es, als Hippias, den die
Anmuth einer schönen Sommernacht zum Spaziergang einlud,
ihn unter diesen Beschauungen überraschte, denen er, in
der Meinung allein zu seyn, sich zu überlassen pflegte. Hippias
blieb eine Weile vor ihm stehen, ohne daß Agathon seiner
gewahr ward; endlich aber redete er ihn an, und ließ sich
in ein Gespräch mit ihm ein welches ihn nur allzu sehr in
dem Argwohne bestärkte, den er von dem Hang unsers Helden
zu demjenigen, was die Welt Schwärmerei nennt, bereits
gefaßt hatte.—————
Fünftes Capitel.Ein Gespräch zwischen Hippias und seinem Sklaven.Du scheinst in Gedanken vertieft, Kallias?"Ich glaubte allein zu seyn."Ein andrer an deiner Stelle würde die Freiheit meines
Hauses anders zu benutzen wissen. Doch vielleicht gefällst du
mir um dieser Zurückhaltung willen nur desto besser. Aber
mit was für Gedanken vertreibst du dir die Zeit, wenn man
fragen darf?"Die allgemeine Stille, der Mondschein, die rührende
Schönheit der schlummernden Natur, die mit den Ausdünstungen
der Blumen durchwürzte Nachtluft, tausend angenehme
Empfindungen, deren liebliche Verwirrung meine Seele trunken
machte, setzten mich in eine Art von Entzückung, worin
ein andrer Schauplatz von unbekannten Schönheiten sich vor
mir aufthat. Es war nur ein Augenblick, aber ein Augenblick,
den ich um eines von den Jahren des Königs von Persien
nicht vertauschen wollte."Hippias lächelte."Dieses brachte mich auf die Gedanken, wie glücklich
der Zustand der Geister sey, die den groben thierischen Leib
abgelegt haben, und im Anschauen des wesentlichen Schönen,
des Unvergänglichen, Ewigen und Göttlichen, Jahrtausende
durchleben, die ihnen nicht länger scheinen als mir dieser
Augenblick; und in den Betrachtungen, denen ich hierüber
nachhing, bin ich von dir überrascht worden."Du schliefst doch nicht, Kallias? Du hast, wie ich sehe,
mehr Talente als ich dir zutraute; du kannst auch wachend
träumen?"Es gibt vielerlei Arten von Träumen, und bei einigen
Menschen scheint ihr ganzes Leben Traum zu seyn. Wenn
meine Vorstellungen Träume sind, so sind sie wenigstens angenehmer
als alles, was ich in dieser Zeit wachend hätte erfahren
können."Du gedenkst also vielleicht selbst einer von diesen Geistern
zu werden, die du so glücklich preisest?"Ich hoff' es zu werden, und würde ohne diese Hoffnung
mein Daseyn für kein Gut achten."Besitzest du etwan ein Geheimniß, körperliche Wesen in
geistige zu erhöhen? einen Zaubertrank von der Art derjenigen,
womit die Medeen und Circen der Dichter so wunderbare
Verwandlungen zuwege bringen?"Ich verstehe dich nicht, Hippias."So will ich deutlicher seyn. Wenn ich anders dich verstanden
habe, so hältst du dich für einen Geist, der in einen
thierischen Leib eingekerkert ist ?"Wofür sollt' ich mich sonst halten?"Sind die vierfüßigen Thiere, die Vögel, die Fische, die
Gewürme, auch Geister die in einen thierischen Leib eingeschlossen
sind?"Vielleicht."Und die Pflanzen?"Vielleicht auch diese."Du bauest also deine Hoffnung auf ein Vielleicht? Wenn
die Thiere vielleicht auch nicht Geister sind, so bist du vielleicht
eben so wenig einer; denn dieß ist einmal gewiß, daß
du ein Thier bist. Du entstehest wie die Thiere, wächsest wie
sie, hast ihre Bedürfnisse, ihre Sinnen, ihre Leidenschaften,
wirst erhalten wie sie, vermehrst dich wie sie, stirbst wie sie,
und wirst, wie sie, wieder zu einem bißchen Wasser und
Erde, wie du vorher gewesen warst. Wenn du einen Vorzug
vor ihnen hast, so ist es eine schönere Gestalt, ein Paar Hände,
mit denen du mehr ausrichten kannst als ein Thier mit seinen
Pfoten, eine Bildung gewisser Gliedmaßen, die dich der Rede
fähig macht, und ein lebhafterer Witz, der von einer schwächern
und reizbarern Beschaffenheit deiner Fibern herkommt,
und dennoch alle Künste, womit wir uns so groß zu machen
pflegen, den Thieren abgelernt hat."Wir haben also sehr verschiedene Begriffe von der menschlichen
Natur, du und ich."Vermuthlich, weil ich sie für nichts anders halte, als
wofür meine Sinnen und eine Beobachtung ohne Vorurtheile
sie mir geben. Doch ich will freigebig seyn; ich will dir zugeben,
dasjenige, was in dir denke sey ein Geist, und wesentlich
von deinem Körper unterschieden. Worauf gründest du
aber die Hoffnung, daß dieser Geist noch denken werde. wenn
dein Leib zerstört seyn wird? Ich will nicht sagen, daß er zu
nichts werde. Aben wenn dein Leib durch den Tod die Form
verliert, die ihn zu deinem Leibe machte, woher hoffest du,
daß dein Geist die Form nicht verlieren werde, die ihn zu
deinem Geiste macht?"Weil ich mir unmöglich vorstellen kann, daß der oberste
Geist, dessen Geschöpfe oder Ausflüsse die übrigen Geister sind,
ein Wesen zerstören werde, das er fähig gemacht hat, so glücklich
zu seyn, als ich es schon gewesen bin."Ein neues Vielleicht? Woher kennst du diesen obersten
Geist?"Woher kennst du den Meister, der diesen Amor gemacht
hat?"Weil ich ihm zusah als er ihn machte; denn vielleicht
könnte eine Bildsäule auch entstehen, ohne daß sie von einem
Künstler gemacht würde."Wie so?"Eine ungefähre Bewegung ihrer kleinsten Elemente könnte
diese Form endlich hervorbringen."Eine regellose Bewegung ein regelmäßiges Werk?"Warum das nicht? Du kannst im Würfelspiel von ungefähr
alle drei werfen. So gut als dieses möglich ist, könntest
du auch unter etlichen Billionen von Würfen einen werfen,
wodurch eine gewisse Anzahl Sandkörner in eine cirkelrunde
Figur fallen würden. Die Anwendung ist leicht zu machen."Ich verstehe dich. Aber es bleibt allemal unendlich unwahrscheinlich,
daß die ungefähre Bewegung der Elemente nur
eine Muschel, deren so unzählig viele an jenem Ufer liegen,
hervorbringen könne; und die Ewigkeit selbst scheint nicht lang
genug zu seyn, nur diese Erdkugel, diesen kleinen Atomen des
ganzen Weltgebäudes, auf solche Weise entstehen zu machen."Es ist genug, daß unter unendlich vielen ungefähren Bewegungen,
die nichts Regelmäßiges und Dauerhaftes hervorbringen,
Eine möglich ist, die eine Welt hervorbringen
kann. Dieß setzt der Wahrscheinlichkeit deiner Meinung
ein Vielleicht entgegen, wodurch sie auf einmal entkräftet
wird."So viel als das Gewicht einer unendlichen Last, durch
die Hinwegnahme eines einzigen Sandkorns."Du hast vergessen, daß eine unendliche Zeit in die andere
Wagschale gelegt werden muß. Doch ich will diesen Einwurf
fahren lassen, ob er gleich weiter getrieben werden kann; was
gewinnt deine Meinung dadurch? Vielleicht ist die Welt
immer in der allgemeinen Verfassung gewesen, worin sie ist? —
Vielleicht ist sie selbst das einzige Wesen, das durch sich
selbst bestehet? — Vielleicht ist der Geist, von dem du
sagtest, durch die wesentliche Beschaffenheit seiner Natur gezwungen,
diesen allgemeinen Weltkörper nach den Gesetzen
einer unveränderlichen Nothwendigkeit zu beleben? Und gesetzt,
die Welt sey, wie du meinest, das Werk eines verständigen
und freien Entschlusses: vielleicht hat sie viele Urheber?
Mit Einem Worte, Kallias, du hast viele mögliche Fälle zu
vernichten, eh' du nur das Daseyn deines obersten Geistes
außer Zweifel gesetzt hast."Ein mäßiger Gebrauch des allgemeinen Menschenverstandes
könnte dich überführen, Hippias, daß alle die Fälle,
von denen du sprichst, keine möglichen Fälle sind. Kein
Mensch in der Welt ist jemals albern genug gewesen zu glauben,
daß eine ungefähre Bewegung der Buchstaben des Alphabets
nur eine Iliade hervorbringen könnte. Und was ist
eine ungefähre Bewegung? Was ist ein untheilbares, ewiges,
nothwendiges, durch sich selbst bestehendes Stäubchen? Oder
eine durch sich selbst bestehende Welt? Oder eine Welt, welche
viele Urheber hat? Entwickle die Begriffe, die du mit diesen
Wörtern zu verbinden glaubst, und du wirst finden, daß sie
einander vernichten, daß du wirklich nichts dabei denkst, noch
denken kannst. Die Rede ist hier nicht davon, sich selbst muthwillig,
durch willkürliche Abstractionen zu betrügen, sondern die
Wahrheit zu suchen; und wenn es dein Ernst wäre, die Wahrheit
zu suchen, wie wär' es möglich, sie zu verfehlen? sie, die
sich dem allgemeinen Gefühl der Menschheit aufdringt? Was
ist dieses große Ganze, welches wir die Welt nennen, anders
als ein Inbegriff von Wirkungen? Wo ist die Ursache
davon? Oder kannst du Wirkungen ohne Ursache, oder zusammenhängende,
regelmäßige, sich aus einander entwickelnde,
und in Einen Zweck zusammenstimmende Wirkungen ohne
eine verständige Ursache denken? O Hippias, glaube mir,
nicht dein Kopf (es müßte nur ein sehr zerrütteter Kopf
seyn), dein Herz ist ein Gottesläugner. Deine Zweifel sind
die unredlichen Ausflüchte eines Menschen, der nur darum der
Wahrheit zu entwischen sucht, weil er sich fürchtet von ihr beleuchtet
zu werden. Ein gerades Herz, eine unverfälschte
Seele hat nicht vonnöthen, die erste, die augenscheinlichste
und liebenswürdigste aller Wahrheiten durch alle diese Irrgänge
metaphysischer Begriffe zu verfolgen. Ich brauche nur die
Augen zu öffnen, nur mich selbst zu empfinden, um in der
ganzen Natur, um in dem Innersten meines eigenen Wesens
den Urheber derselben, diesen höchsten wohlthätigen Geist, zu
erblicken. Ich erkenne sein Daseyn nicht bloß durch Vernunftschlüsse;
ich fühle es, wie ich fühle daß eine Sonne ist, wie
ich fühle daß ich selbst bin."Ein Träumender, ein Kranker, ein Wahnwitziger sieht;
und doch ist das nicht, was er sieht."Weil er in diesem Zustande nicht recht sehen kann."Wie kannst du beweisen, daß du nicht gerad' in diesem
Punkte krank bist? Frage die Aerzte: man kann in einem
einzigen Stücke wahnwitzig, und in allen übrigen klug seyn;
so wie eine Laute bis auf eine einzige falsche Saite rein gestimmt
seyn kann. Der rasende Ajax sieht zwei Sonnen, ein
doppeltes Thebe. Was für ein untrügliches Kennzeichen hast
du, das Wahre von dem was nur scheint, das was du wirklich
empfindest von dem was du dir nur einbildest, das was du
richtig empfindest von dem was eine verstimmte Nerve dich
empfinden macht, zu unterscheiden? Und wie, wenn alle Empfindung
betröge, und nichts von allem was ist so wäre, wie
du es empfindest?"Darum bekümmere ich mich wenig. Gesetzt, was ich
ohnehin sehr wahrscheinlich finde, die Sonne sey nicht so, wie
ich sie sehe und fühle; für mich ist sie darum nicht minder
so, wie ich sie sehe und fühle, und das ist für mich genug.
Ihr Einfluß in das System aller meiner übrigen Empfindungen
ist darum nicht weniger wirklich, wenn sie gleich nicht so
ist, wie sie sich meinen Sinnen darstellt, ja wenn sie gar
nicht ist."Die Anwendung hiervon, wenn dir's beliebt?"Die Empfindung, die ich von dem höchsten Geist habe,
hat in das innerliche System des meinigen den nämlichen
Einfluß, den die Empfindung, die ich von der Sonne habe,
auf mein körperliches System hat."Wie so?"Wenn sich mein Leib übel befindet, so vermehrt die Abwesenheit
der Sonne das Unbehagliche dieses Zustandes. Der
wiederkehrende Sonnenschein belebt, ermuntert, erquickt meinen
Körper wieder, und ich befinde mich wohl oder doch erleichtert.
Eben diese Wirkung thut die Empfindung des allbeseelenden
Geistes auf meine Seele. Sie erheitert, sie beruhiget,
sie ermuntert mich; sie zerstreut meinen Unmuth, sie
belebt meine Hoffnung; sie macht, daß ich in einem Zustande
nicht unglücklich bin, der mir ohne sie unerträglich wäre."Ich bin also glücklicher als du, weil ich alles dieses nicht
vonnöthen habe. Erfahrung und Nachdenken haben mich von
Vorurtheilen frei gemacht; ich genieße alles was ich wünsche,
und wünsche nichts, dessen Genuß nicht in meiner Gewalt ist.
Ich weiß also wenig von Unmuth und Sorgen. Ich hoffe
wenig, weil ich mit dem Genusse des Gegenwärtigen zufrieden
bin. Ich genieße mit Mäßigung, damit ich desto länger genießen
könne; und wenn ich einen Schmerz fühle, so leide
ich mit Geduld, weil dieß das beste Mittel ist, seine Dauer
abzukürzen."Und worauf gründest du deine Tugend? Womit nährest
und belebest du sie? Womit überwindest du die Hindernisse,
die sie aufhalten; die Versuchungen, die von ihr ablocken; das
Ansteckende der Beispiele, die Unordnung der Begierden, und
die Trägheit, welche die Seele so oft erfährt, wenn sie sich
erheben will?"O Jüngling, lange genug hab' ich deinen Ausschweifungen
zugehört. In was für ein Gewebe von Hirngespinnsten hat
dich die Lebhaftigkeit deiner Einbildungskraft verwickelt! Deine
Seele schwebt in einer immerwährenden Bezauberung, in
einer steten Abwechselung von quälenden und entzückenden
Träumen; und die wahre Beschaffenheit der Dinge bleibt dir
so verborgen, als die sichtbare Gestalt der Welt einem Blindgebornen.
Ich bedaure dich, Kallias. Deine Gestalt, deine
Gaben berechtigen dich, nach allem zu trachten, was das
menschliche Leben Glückliches hat; deine Denkungsart allein
wird dich unglücklich machen. Angewöhnt lauter idealische
Wesen um dich her zu sehen, wirst du niemals die Kunst,
von den Menschen Vortheil zu ziehen, lernen. Du wirst in
einer Welt, die dich so wenig kennen wird als du sie, wie
ein Einwohner des Mondes herum irren, und nirgends am
rechten Platze seyn, als in einer Einöde oder im Fasse des
Diogenes. Was soll man mit einem Menschen anfangen, der
Geister sieht? der von der Tugend fordert, daß sie mit aller
Welt und mit sich selbst in beständigem Kriege leben soll? Mit
einem Menschen, der sich in den Mondschein setzt und Betrachtungen
über das Glück der entkörperten Geister anstellt?
Glaube mir, Kallias (ich kenne die Welt und sehe keine Geister),
deine Philosophie mag vielleicht gut genug seyn, eine Gesellschaft
müßiger Köpfe statt eines andern Spieles zu belustigen;
aber es ist Thorheit sie ausüben zu wollen. — Doch,
du bist jung; die Einsamkeit deiner ersten Jugend, und die
morgenländischen Schwärmereien, die uns von etlichen Griechischen
Müßiggängern aus Aegypten und Chaldäa mitgebracht
worden sind, haben deiner Phantasie einen romanhaften
Schwung gegeben; die übermäßige Empfindlichkeit deiner Organisation
hat den angenehmen Betrug befördert. Leuten von
dieser Art ist nichts schön genug was sie fühlen; die Phantasie
muß ihnen andre Welten schaffen, die Unersättlichkeit ihres Herzens
zu befriedigen. Allein diesem Uebel kann noch abgeholfen
werden. Selbst in den Ausschweifungen deiner Einbildungskraft
entdeckt sich eine natürliche Richtigkeit des Verstandes, der nichts
fehlt als — auf andre Gegenstände angewandt zu werden.
Ein wenig Gelehrigkeit ist alles was du nöthig hast, um von
dieser seltsamen Art von Wahnwitz geheilt zu werden, die du
für Weisheit hältst. Ueberlaß es mir, dich aus den unsichtbaren
Welten in die wirkliche herab zu führen. Sie wird dich
anfangs befremden, aber nur weil sie dir neu ist; und wenn
du ihrer einmal gewohnt bist, wirst du die ätherischen so wenig
vermissen, als ein erwachsener Mensch die Spiele seiner Kindheit.
Diese Schwärmereien sind Kinder der Einsamkeit und
der Muße. Wer nach angenehmen Empfindungen dürstet,
und der Mittel beraubt ist, sich wirkliche zu verschaffen, ist
genöthiget sich mit Einbildungen zu speisen, und aus Mangel
einer bessern Gesellschaft mit den Sylphen umzugehen. Die Erfahrung
wird dich hiervon am besten überzeugen können. Ich
will dir die Geheimnisse einer Weisheit entdecken, die zum Genuß
alles dessen führt, was die Natur, die Kunst, die Gesellschaft,
und selbst die Einbildung (denn der Mensch ist doch
nicht gemacht immer weise zu seyn) Gutes und Angenehmes
zu geben haben; und ich müßte mich ganz an dir betrügen,
wenn die Stimme der Vernunft, die du noch niemals gehört
zu haben scheinst, dich nicht von einem Jrrwege zurückrufen
könnte, wo du am Ende deiner Reise in das Land der
Hoffnungen dich um nichts reicher befinden würdest, als
um die Erfahrung dich betrogen zu haben. Jetzt ist es Zeit
schlafen zu gehen; aber der nächste ruhige Morgen, den ich
habe, soll dein seyn. Ich brauche dir nicht zu sagen, wie
zufrieden ich mit der Art bin, wie du bisher dein Amt versehen
hast; und ich wünsche nichts, als daß eine bessere Uebereinstimmung
unserer Denkungsart mich in den Stand setze, dir
Beweise von meiner Freundschaft zu geben.Mit diesen Worten begab sich Hippias hinweg, und ließ
unsern Agathon in einer Verfassung, die der Leser aus dem
folgenden Kapitel ersehen wird.—————
Sechstes Capitel.Worin Agathon für einen Schwärmer ziemlich gute Schlüsse macht.Wir zweifeln nicht, verschiedene Leser dieser Geschichte
werden vermuthen, Agathon müsse über diese nachdrucksvolle
Apostrophe des weisen Hippias nicht wenig betroffen, oder
doch in einige Unruhe gesetzt worden seyn. Das Alter des
Sophisten, der Ruf der Weisheit worin er stand, der zuversichtliche
Ton womit er sprach, der Schein von Wahrheit
der über seine Rede ausgebreitet war, und, was nicht
das wenigste scheint, das Ansehen welches ihm seine Reichthümer
gaben; alle diese Umstände hätten nicht fehlen sollen,
einen Menschen aus der Fassung zu setzen, der ihm so
viele Vorzüge eingestehen mußte, und überdieß noch sein
Sklave war. Gleichwohl hatte Agathon diese ganze nachdrucksvolle
Rede mit einem Lächeln angehört, welches fähig gewesen
wäre, alle Sophisten der Welt irre zu machen, wenn die
Dunkelheit und das Vorurtheil des Redners für sich selbst es
hätten bemerken lassen; und kaum befand er sich allein, so
war die erste Wirkung derselben, daß dieses Lächeln sich in
ein Lachen verwandelte, welches er zum Nachtheil seines
Zwerchfells länger zurück zu halten unnöthig hielt, und welches
immer wieder anfing, so oft er sich die Miene, den Ton
und die Gebärden vorstellte, womit der weise Hippias die
kräftigsten Stellen seiner Rede von sich gegeben hatte. Es
ist wahr, sagte er zu sich selbst, ein Mensch, der so lebt wie
Hippias, muß so denken; und wer so denkt wie Hippias,
würde unglücklich seyn, wenn er nicht so leben könnte. Aber
gleichwohl muß ich lachen, wenn ich an den Ton der Unfehlbarkeit
denke womit er sprach. Dieser Ton ist mir nicht so
neu, als der weise Hippias glauben mag. Ich habe Gerber
und Grobschmiede zu Athen gekannt, die sich nicht zu wenig
däuchten, mit dem ganzen Volke in diesem Tone zu sprechen.
Er glaubt mir etwas Neues gesagt zu haben, wenn er meine
Denkungsart Schwärmerei nennt, und mir mit der Gewißheit
eines Propheten die Schicksale ankündiget, die sie mir zuziehen
wird. Wie sehr betrügt er sich, wenn er mich dadurch erschreckt
zu haben glaubt! O Hippias, was ist das was du
Glückseligkeit nennest? Niemals wirst du fähig seyn zu wissen
was Glückseligkeit ist. Was du so nennst, ist Glückseligkeit,
wie das Liebe ist, was dir deine Tänzerinnen einflößen. Du
nennst die meinige Schwärmerei? Laß mich immer ein
Schwärmer seyn, und sey du ein Weiser! Die Natur hat
dir biese Empfindlichkeit, diese innerlichen Sinnen versagt,
die den Unterschied zwischen uns beiden machen; du bist einem
Tauben ähnlich, der die fröhlichen Bewegungen, welche die begeisternde
Flöte eines Damon in alle Glieder seiner Hörer
bringt, dem Wein oder der Unsinnigkeit zuschreibt; er würde
tanzen wie sie, wenn er hören könnte. Die Weltleute sind
in der That nicht zu verdenken, wenn sie uns andre für ein
wenig mondsüchtig halten. Wer will ihnen zumuthen zu glauben,
es mangle ihnen etwas, das zu einem vollständigen Menschen
gehört? Ich kannte zu Athen ein junges Frauenzimmer,
welches die Natur wegen der Häßlichkeit ihrer übrigen Figur
durch den feinsten Fuß getröstet hatte. Ich möchte doch wissen,
sagte sie zu einer Freundin, was diese jungen Gecken an der
einbildischen Timandra sehen, da sie sonst für niemand Augen
haben als für sie? Es ist wahr, ihre Gesichtsfarbe geht noch
mit, ihre Züge sind so so, ihre Augen wenigstens aufmunternd
genug; aber was sie für Füße hat! Wie kann man einen
Anspruch an Schönheit machen, ohne einen feinen Fuß zu
haben? Du hast Recht, versetzte die Freundin, die der Natur
nichts Schöneres zu danken hatte, als ein Paar ungemein kleine
Ohren: um schön zu seyn, muß man einen Fuß haben wie du;
aber was sagst du zu ihren Ohren, Hermia? So wahr mir
Diana gnädig sey, sie würden einem Faun Ehre machen. —
So sind die Menschen, und es wäre unbillig ihnen übel zu
nehmen, daß sie so sind. Die Nachtigall singt, der Rabe krächzt,
und er müßte kein Rabe seyn, wenn er nicht dächte, daß er
gut krächze; ja, er hat noch Recht, wenn er denkt, die Nachtigall
krächze nicht gut. Es ist wahr, dann geht er zu weit,
wenn er über die Nachtigall spottet, daß sie nicht so gut krächze
wie er: aber sie würde eben so Unrecht haben, wenn sie über
ihn lachte, daß er nicht singe wie sie; singt er nicht, so krächzt
er doch gut, und das ist für ihn genug. — Aber Hippias ist
besorgt für mich, er bedauert mich, er will mich so glücklich
haben, wie er ist. Dieß ist großmüthig! — Er hat ausfindig
gemacht, daß ich das Schöne liebe, daß ich gegen den Reiz des
Vergnügens nicht unempfindlich bin. Die Entdeckung war
leicht zu machen; aber in den Schlüssen, die er daraus zieht,
könnt' er sich betrogen haben. Der kluge Ulysses zog sein steiniges
kleines Ithaka, wo er frei war, und seine alte Frau,
mit welcher er vor zwanzig Jahren jung gewesen war, der bezauberten
Insel der schönen Kalypso vor, wo er unsterblich und
ein Sklave gewesen wäre; und der Schwärmer Agathon würde,
mit allem seinem Geschmack für das Schöne und mit aller seiner
Empfindlichkeit für die Ergötzungen, ohne sich einen Augenblick zu
bedenken, lieber in das Faß des Diogenes kriechen, als den
Palast, die Gärten, das Gynäceon und die Reichthümer des
weisen Hippias besitzen, und Hippias seyn.Immer Selbstgespräche! hören wir den Leser sagen.
Wenigstens ist dieß eines, und wer kann dafür? Agathon hatte
sonst niemand mit dem er hätte reden können als sich selbst;
denn mit den Bäumen und Nymphen reden nur die Verliebten.
Wir müssen uns schon entschließen, ihm diese Unart zu gut zu
halten; und wir sollten es desto eher thun können, da ein so
feiner Weltmann, als Horaz unstreitig war, sich nicht geschämt
hat zu gestehen, daß er öfters mit sich selbst zu reden pflege.Siebentes Capitel.Vorbereitungen zum Folgenden.Agathon hatte noch nicht lange genug unter den Menschen
gelebt, um die Welt so gut zu kennen, wie ein Theophrast sie
kannte da er sie verlassen mußte. Allein was ihm an Erfahrung
abging, ersetzte seine natürliche Gabe in den Seelen
zu lesen, die durch die Aufmerksamkeit geschärft worden war,
womit er die Menschen und die Auftritte des Lebens, welche
er zu sehen Gelegenheit gehabt, beobachtet hatte. Daher kam
es, daß seine letzte Unterredung mit dem Hippias, anstatt ihn
etwas Neues zu lehren, nur den Verdacht rechtfertigte, den
er schon einige Zeit gegen den Charakter und die Denkungsart
dieses Sophisten gefaßt hatte. Er konnte also leicht errathen,
von was für einer Art die geheime Philosophie seyn würde, von
welcher man ihm so große Vortheile versprochen hatte. Demungeachtet
verlangte ihn nach dieser Zusammenkunft: theils
weil er neugierig war, die Denkungsart eines Hippias in ein
System gebracht zu sehen; theils weil er sich von der Beredsamkeit
desselben diejenige Art von Ergötzung versprach, die
uns ein geschickter Gaukler macht, der uns sehen läßt, was
wir nicht sehen, ohne es darum bei einem klugen Menschen
so weit zu bringen, daß er nur einen Augenblick zweifeln sollte,
ob er betrogen werde oder nicht.Mit einer Gemüthsverfassung, die so wenig von der Gelehrigkeit
hatte, welche Hippias forderte, fand sich Agathon
ein, als er nach Verfluß einiger Tage an einem Morgen in
das Zimmer des Sophisten gerufen wurde; welcher, auf einem
Ruhebette liegend, seiner wartete, und ihm befahl, sich neben
ihm niederzusetzen und das Frühstück mit ihm zu nehmen.Diese Höflichkeit war nach der Absicht des weisen Hippias
eine Vorbereitung, und er hatte, um die Wirkung derselben
zu befördern, das schönste Mädchen in seinem Hause ausersehen,
sie dabei zu bedienen. In der That die Gestalt dieser
Nymphe, und die gute Art womit sie ihr Amt versah, machten
ihre Aufwartung für einen Weisen von Agathons Alter ein
wenig beunruhigend. Das Schlimmste war, daß die kleine Zaubrerin,
um sich wegen der Gleichgültigkeit, womit er ihre zuvorkommende
Güte bisher vernachlässiget hatte, zu rächen, keinen
von den Kunstgriffen verabsäumte, wodurch sie ihm den
Werth des verscherzten Glückes empfindlicher zu machen glaubte.
Sie hatte die Bosheit gehabt, sich in einem so niedlichen, so
sittsamen, und doch so verführerischen Morgenanzug darzustellen,
daß Agathon sich nicht verhindern konnte zu denken,
die Grazien selbst könnten, wenn sie gekleidet erscheinen wollten,
keinen Anzug erfinden, der auf eine wohlanständigere Art
das Mittel zwischen Kleidung und Nacktheit hielte. Die Wahrheit
zu sagen, das rosenfarbene Gewand, welches sie umfloß,
war eher demjenigen ähnlich, was Petron einen gewebten
Wind oder einen leinenen Nebel nennt, als einem Zeuge
der den Augen viel entziehen soll. Die kleinste Bewegung entdeckte
Reizungen, welche desto gefährlicher waren, da sie sich
sogleich wieder in verrätherische Schatten verbargen, und
mehr der Einbildungskraft als den Augen nachzustellen schienen.Demungeachtet würde unser Held sich vielleicht ganz wohl
aus der Sache gezogen haben, wenn er nicht beim ersten
Anblicke die Absichten des Hippias und der schönen Cyane (so
hieß die junge Schöne) errathen hätte. Diese Entdeckung setzte
ihn in eine Art von Verlegenheit, die desto merklicher ward,
je größere Gewalt er sich anthat sie zu verbergen. Er erröthete
zu seinem größten Verdrusse bis an die Ohren, machte
allerlei gezwungene Gebärden, und sah alle Gemälde im Zimmer
nach einander an, um seine Verwirrung unmerklich zu
machen. Aber alle seine Mühe war umsonst; die Geschäftigkeit
der schalkhaften Cyane fand immer neuen Vorwand seinen
zerstreuten Blick auf sich zu ziehen.Doch der Triumph, dessen sie in diesen Augenblicken genoß,
wahrte nicht lange. So empfindlich Agathons Augen
waren, so waren sie es doch nicht mehr als sein moralischer
Sinn; und ein Gegenstand, der diesen beleidigte, konnte
keinen so angenehmen Eindruck auf jene machen, daß er nicht
von der unangenehmen Empfindung des andern wäre überwogen
worden. Die Ansprüche der schönen Cyane, das Gekünstelte,
das Schlaue, das Schlüpfrige, das ihm an ihrer ganzen
Person anstößig war, löschte das Reizende so sehr aus,
und erkälteten seine Sinnen so sehr, daß ein einziger Grad mehr,
gleich dem Anblick der Medusa, fähig gewesen wäre ihn in
einen Stein zu verwandeln. Die Freiheit und Gleichgültigkeit,
die ihm dieses gab, blieb Cyanen nicht verborgen. Er sorgte
dafür sie durch gewisse Blicke, und ein gewisses Lächeln, dessen
Bedeutung ihr ganz deutlich war, zu überzeugen, daß sie zu
früh triumphirt habe. Dieses Betragen war für ihre Reizungen
allzu beleidigend, als daß sie es für ungezwungen hätte
halten sollen. Der Widerstand, den sie fand, forderte sie zu
einem Wettstreit heraus, worin sie alle ihre Künste anwandte,
den Sieg zu erhalten. Allein die Stärke ihres Gegners ermüdete
endlich ihre Hoffnung, und sie behielt kaum noch so
viel Gewalt über sich selbst, den Verdruß zu verbergen, den
sie über diese Demüthigung ihrer Eitelkeit empfand.Hippias, der sich eine Zeit lang stillschweigend an diesem
Spiele belustigte, urtheilte bei sich selbst, daß es nicht
leicht seyn werde, "den Verstand eines Menschen zu fangen,
dessen Herz, selbst auf der schwächsten Seite, so wohl befestiget
schien." Allein diese Anmerkung bekräftigte ihn nur in
seinen Gedanken von der Methode, die er bei seinem neuen
Schüler gebrauchen müsse; und da er selbst von seinem System
besser überzeugt war, als irgend ein Bonze von der Kraft
der Amulete, die er seinen dankbaren Gläubigen austheilt,
so zweifelte er nicht, Agathon würde durch einen freimüthigen
Vortrag besser zu gewinnen seyn, als durch die rednerischen
Kunstgriffe, deren er sich bei schwächern Seelen mit gutem
Erfolge zu bedienen pflegte. Sobald also das Frühstück genommen,
und die beschämte Cyane abgetreten war, fing er,
nach einem kleinen Vorbereitungsgespräche, den merkwürdigen
Discurs an, durch dessen vollständige Mittheilung wir desto
mehr Dank zu verdienen hoffen, da wir von Kennern versichert
worden sind, daß der geheime Verstand desselben den buchstäblichen
an Wichtigkeit noch weit übertreffe, und der
wahre und unfehlbare Proceß, den Stein der Weisen zu finden,
darin verborgen liege.—————
Drittes Buch.Darstellung der Philosophie des Hippias.Erstes Capitel.Prolog eines interessanten Discurses.Wenn wir auf das Thun und Lassen der Menschen Acht
geben, mein lieber Kallias, so scheint zwar, daß alle ihre
Sorgen und Bemühungen kein andres Ziel haben als sich
glücklich zu machen: allein die Seltenheit derjenigen die
es wirklich sind, oder es doch zu seyn glauben, beweiset
zugleich, daß die meisten nicht wissen, durch was für Mittel
sie sich glücklich machen sollen, wenn sie es nicht sind, das ist,
wie sie sich ihres gutes Glückes bedienen sollen, um in denjenigen
Zustand zu kommen den man Glückseligkeit nennt.
Es gibt eben so viele, die im Schooße des Ansehens, des
Glücks und der Wollust, als solche, die in einem Zustande
von Mangel, Dienstbarkeit und Unterdrückung elend sind.
Einige haben sich aus diesem letztern Zustand empor gearbeitet,
in der Meinung, daß sie nur darum unglückselig wären, weil
es ihnen am Besitze der Güter des Glücks fehle. Allein die
Erfahrung hat sie gelehrt, daß, wenn es eine Kunst gibt, die
Mittel zur Glückseligkeit zu erwerben, es vielleicht eine noch
schwerere, zum wenigsten eine seltnere Kunst sey, diese Mittel
recht zu gebrauchen. Es ist daher allezeit die Beschäftigung
der Verständigsten unter den Menschen gewesen, durch
Verbindung dieser beiden Künste diejenige heraus zu bringen,
die man die Kunst glücklich zu leben nennen kann, und in
deren Ausübung, nach meinem Begriffe, die Weisheit besteht,
die so selten ein Antheil der Sterblichen ist. Ich nenne
sie eine Kunst, weil sie von der fertigen Anwendung gewisser
Regeln abhängt, die nur durch die Uebung erlangt werden
kann: allein sie setzt, wie alle Künste, einen gewissen Grad
von Fähigkeit voraus, den nur die Natur gibt, und den sie
nicht allen zu geben pflegt.Einige Menschen scheinen kaum einer größern Glückseligkeit
fähig zu seyn als die Austern; und wenn sie ja eine
Seele haben, so ist es nur so viel als vonnöthen ist, um ihren
Leib eine Zeit lang vor der Fäulniß zu bewahren. Ein größerer,
und vielleicht der größte Theil der Menschen befindet
sich nicht in diesem Falle; aber, weil es ihnen an genugsamer
Stärke des Gemüths, und an einer gewissen Feinheit
der Empfindung mangelt, so ist ihr Leben, gleich dem
Leben der übrigen Thiere des Erdbodens, zwischen Vergnügen,
die sie weder zu wählen noch zu genießen, und Schmerzen,
denen sie weder zu widerstehen noch zu entfliehen wissen,
getheilt. Wahn und Leidenschaften sind die Triebfedern
dieser menschlichen Maschinen: beide setzen sie einer unendlichen
Menge von Uebeln aus, die es nur in einer
betrogenen Einbildung, aber eben darum, wo nicht schmerzlicher,
doch anhaltender und unheilbarer sind, als diejenigen
die uns die Natur auferlegt. Diese Art von Menschen ist
keines gesetzten und anhaltenden Vergnügens, keines Zustandes
von Glückseligkeit fähig; ihre Freuden sind Augenblicke,
und ihr übriges Leben ist entweder wirkliches Leiden, oder
ein unaufhörliches Gefühl verworrener Wünsche, eine immerwährende
Ebbe und Flut von Furcht und Hoffnung, von
Phantasien und Gelüsten; kurz, eine unruhige Bewegung, die
weder ein gewisses Maß noch ein festes Ziel hat, und also
weder ein Mittel zur Erwerbung dessen was gut ist seyn kann,
noch dasjenige genießen läßt, was man wirklich besitzt. Es
scheint also unmöglich zu seyn, ohne eine gewisse Feinheit und
Zartheit des Gefühls, die uns in einem weiten Umkreise,
mit schärfern Sinnen, und auf eine angenehmere Art genießen
läßt, und ohne die Stärke der Seele, die uns fähig
macht das Joch der Einbildung und des Wahns abzuschütteln
und die Leidenschaften in unsrer Gewalt zu haben, zu demjenigen
ruhigen Zustande von Genuß und Zufriedenheit zu
kommen, der die Glückseligkeit ausmacht. Nur derjenige ist
in der That glücklich, der sich von den Uebeln, die nur in der
Einbildung bestehen, gänzlich frei zu machen, diejenigen aber,
denen die Natur den Menschen unterworfen hat, entweder zu
vermeiden oder doch zu vermindern gelernt hat, und das
Gefühl derselben einzuschläfern; hingegen sich in den Besitz
alles des Guten, dessen uns die Natur fähig gemacht, zu
setzen, und was er besitzt, auf die angenehmste Weise zu genießen
weiß; und dieser Glückselige allein ist der Weise.Wenn ich dich anders recht kenne, Kallias, so hat dich die
Natur mit den Fähigkeiten es zu seyn so reichlich begabt, als
mit den Vorzügen, deren kluger Gebrauch uns die Gunstbezeugungen
des Glückes zu verschaffen pflegt. Demungeachtet bist
du weder glücklich, noch wirst du es jemals werden, so lange
du nicht von beiden einen andern Gebrauch zu machen lernest,
als du bisher gethan hast. Du wendest die Stärke deiner
Seele an, dein Herz gegen das wahre Vergnügen unempfindlich
zu machen, und beschäftigest deine Empfindlichkeit mit
unwesentlichen Gegenständen, die du nur in der Einbildung
siehest, und nur im Traume genießest. Die Vergnügungen,
welche die Natur dem Menschen zugetheilt hat, sind für dich
Schmerzen, weil du dir Gewalt anthun mußt sie zu entbehren;
und du setzest dich allen Uebeln aus, die sie uns vermeiden
lehrt, indem du, statt einer nützlichen Geschäftigkeit,
dein Leben in den süßen Einbildungen wegträumest, womit
du dir die Beraubung des wirklichen Vergnügens zu ersetzen
suchest. Dein Uebel, lieber Kallias, entspringt von einer Einbildungskraft,
welche dir ihre Geschöpfe in einem überirdischen
Glanze zeigt, der dein Herz verblendet, und ein falsches
Licht über das was wirklich ist ausbreitet; von einer
dichterischen Einbildungskraft, die sich beschäftiget schönere
Schönheiten und angenehmere Vergnügungen zu erfinden als
die Natur hat; einer Einbildungskraft, ohne welche weder
Homere, noch Alkamene, noch Polygnote wären; welche gemacht
ist unsre Ergötzungen zu verschönern, aber nicht die
Führerin unsers Lebens zu seyn. Um weise zu seyn, hast
du nichts nöthig, als die gesunde Vernunft an die Stelle
dieser begeisterten Zaubrerin, und die kalte Ueberlegung an
den Platz eines sehr oft betrüglichen Gefühls zu setzen. Bilde
dir auf etliche Augenblike ein, daß du den Weg zur Glückseligkeit
erst suchen müssest; frage die Natur, höre ihre
Antwort, und folge dem Pfade, den sie dir vorzeichnen
wird.—————
Zweites Capitel.Fortsetzung der Rede des Hippias. Seine Theorie der angenehmen
Empfindungen.Und wen anders als die Natur können wir fragen,
um zu wissen, wie wir leben sollen, um wohl zu leben?
"Die Götter?" Sie sind entweder die Natur selbst, oder
die Urheber der Natur: in beiden Fällen ist die Stimme der
Natur die Stimme der Gottheit. Sie ist die allgemeine Lehrerin
aller Wesen; sie lehrt jedes Thier vom Elephanten bis
zum Insect, was seiner besondern Verfassung gut oder schädlich
ist. Um so glücklich zu seyn als es diese innerliche Einrichtung
erlaubt, braucht das Thier nichts weiter, als dieser
Stimme der Natur zu folgen, welche bald durch den
süßen Zug des Vergnügens, bald durch das ungeduldige Fordern
des Bedürfnisses, bald durch das ängstliche Pochen des
Schmerzens, es entweder zu demjenigen locket, was ihm zuträglich
ist, oder es zur Erhaltung seines Lebens und seiner
Gattung auffordert, oder es vor demjenigen warnet, was
seinem Wesen die Zerstörung dräuet. Sollte der Mensch
allein von dieser mütterlichen Vorsorge ausgenommen seyn,
oder er allein irren können, wenn er der Stimme folget,
die zu allen Wesen spricht? Oder ist nicht vielmehr die Unachtsamkeit
und der Ungehorsam gegen ihre Erinnerungen
die einzige wahre Ursache, warum unter einer unendlichen
Menge von lebenden Wesen der Mensch das einzige unglückselige
ist?Die Natur hat allen ihren Werken eine gewisse Einfalt
eingedrückt, die ihre mühsamen Anstalten und die genaueste
Regelmäßigkeit unter einem Scheine von Leichtigkeit und Anmuth
verbirgt. Mit diesem Stempel sind auch die Gesetze
der Glückseligkeit bezeichnet, welche sie dem Menschen vorgeschrieben
hat. Sie sind einfältig, leicht auszuüben, führen
gerade und sicher zum Zweck. Die Kunst glücklich zu leben
würde die gemeinste unter allen Künsten seyn, wie sie
die leichteste ist, wenn die Menschen nicht gewohnt wären
sich einzubilden, "daß man große Zwecke nicht anders als
durch große Anstalten erreichen könne." Es scheint ihnen zu
einfältig, daß alles, was uns die Natur durch den Mund
der Wahrheit zu sagen hat, in diese drei Erinnerungen zusammen
fließen soll: befriedige deine Bedürfnisse; vergnüge
alle deine Sinnen; erspare dir so viel du kannst alle schmerzhaften
Empfindungen. Und doch wird dich eine kleine Aufmerksamkeit
überführen, daß die vollständigste Glückseligkeit,
deren die Sterblichen fähig sind, in die Linie, die von diesen
dreien Formeln bezeichnet wird, eingeschlossen ist.Es hat Narren gegeben, welche die Frage mühsam untersucht
haben, ob das Vergnügen ein Gut, und der Schmerz
ein Uebel sey? Es hat noch größere Narren gegeben, welche
wirklich behaupteten, der Schmerz sey kein Uebel und das Vergnügen
kein Gut; und, was das lustigste dabei ist, beide
haben Thoren gefunden, die albern genug waren, diese Narren
für klug zu halten. Das Vergnügen ist kein Gut, sagen
sie, weil es Fälle gibt wo der Schmerz ein größeres Gut ist;
und der Schmerz ist kein Uebel, weil er zuweilen besser ist
als das Vergnügen. Sind diese Wortspiele einer Antwort
werth? Was würde ein Zustand seyn, der in einem vollständigen
unaufhörlichen Gefühl des höchsten Grades aller
möglichen Schmerzen bestände? Wenn dieser Zustand das
höchste Uebel ist, so ist der Schmerz ein Uebel.Doch wir wollen die Schwätzer mit Worten spielen lassen,
die ihnen bedeuten müssen was sie wollen. Die Natur entscheidet
diese Frage, wenn es eine seyn kann, auf eine Art,
die keinen Zweifel übrig läßt. Wer ist, der nicht lieber vernichtet
als unaufhörlich gepeiniget werden wollte? Wer sieht
nicht einen schönen Gegenstand lieber als einen ekelhaften?
Wer hört nicht lieber den Gesang der Nachtigall, als das
Geheul der Nachteule? Wer zieht nicht einen angenehmen
Geruch oder Geschmack einem widrigen vor? Und würde nicht
der enthaltsame Kallias selbst lieber auf einem Lager von
Blumen in den Rosenarmen irgend einer schönen Nymphe
ruhen, als in den glühenden Armen des ehernen Götzenbildes,
welchem die unmenschliche Andacht gewisser syrischer
Völker ihre Kinder opfert? Eben so wenig scheint einem Zweifel
unterworfen zu seyn, daß der Schmerz und das Vergnügen
so unverträglich sind, daß eine einzige gepeinigte Nerve genug
ist, uns gegen die vereinigten Reizungen aller Wollüste unempfindlich
zu machen. Die Freiheit von allen Arten der
Schmerzen ist also unstreitig eine unumgängliche Bedingung
der Glückseligkeit, allein da sie nichts Positives ist, so ist
sie nicht sowohl ein Gut, als der Zustand, worin man des
Genusses des Guten fähig ist. Dieser Genuß allein ist es,
dessen Dauer den Stand hervorbringt, den man Glückseligkeit
nennt.Es ist unläugbar, daß nicht alle Arten und Grade des
Vergnügens gut sind. Die Natur allein hat das Recht uns
die Vergnügen anzuzeigen, die sie uns bestimmt hat. So
unendlich die Menge dieser angenehmen Empfindungen zu
seyn scheint, so ist doch leicht zu sehen, daß sie alle entweder
zu den Vergnügungen der Sinne, oder der Einbildungskraft,
oder zu einer dritten Classe, die aus beiden zusammen
gesetzt ist, gehören. Die Vergnügen der Einbildungskraft
sind entweder Erinnerungen an ehemals genossene
sinnliche Vergnügen; oder Mittel, uns den Genuß derselben
reizender zu machen; oder angenehme Dichtungen
und Träume, die entweder in einer neuen willkürlichen
Zusammensetzung angenehmer sinnlicher Vorstellungen, oder
in einer eingebildeten Erhöhung der Grade jener Vergnügen,
die wir erfahren haben, bestehen. Es sind also, wenn man
genau reden will, alle Vergnügungen im Grunde sinnlich,
indem sie, es sey nun unmittelbar oder vermittelst der Einbildungskraft,
von keinen andern als sinnlichen Vorstellungen
entstehen können.Die Philosophen reden von Vergnügen des Geistes,
von Vergnügen des Herzens, von Vergnügen der Tugend.
Alle diese Vergnügen sind es für die Sinnen, oder für die Einbildungskraft,
oder sie sind — nichts.Warum ist Homer unendliche Mal angenehmer zu lesen
als Heraklitus? Weil die Gedichte des ersten eine Reihe
von Gemälden darstellen, die — entweder durch die eigenthümlichen
Reizungen des Gegenstandes, oder die Lebhaftigkeit
der Farben, oder einen Contrast, der das Vergnügen
durch eine kleine Mischung mit widrigen Empfindungen erhöhet,
oder die Erregung angenehmer Gemüthsbewegungen —
unsere Phantasie bezaubern: da hingegen die trocknen Schriften
des Philosophen nichts darstellen, als eine Reihe von Wörtern,
welche nicht Bilder, sondern bloße Zeichen abgezogener
Begriffe sind, von welchen sich die Einbildungskraft nicht
anders als mit vieler Anstrengung, und mit einer beständigen
Bemühung, die Verwirrung so vieler gestalt- und farbenloser
Schatten zu verhüten, einige Vorstellungen machen kann. Es
ist wahr, es gibt abgezogene Begriffe, die für gewisse enthusiastische
Seelen entzückend sind; aber warum sind sie es?
In der That bloß darum, weil die Einbildungskraft sie auf
eine schlaue Art zu verkörpern weiß. Untersuche alle angenehmen
Ideen von dieser Art, so unkörperlich und geistig sie
scheinen mögen und du wirst finden, daß das Vergnügen,
das sie deiner Seele machen, von den sinnlichen Vorstellungen
entsteht, womit sie begleitet sind. Bemühe dich so sehr als du
willst, dir Götter ohne Gestalt, ohne Glanz, ohne etwas
das die Sinnen rührt, vorzustellen; es wird dir unmöglich
seyn. Der Jupiter des Homer und Phidias, die Idee eines
Hercules oder Theseus, wie unsere Einbildungskraft sich
diese Helden vorzustellen pflegt, die Ideen eines überirdischen
Glanzes, einer mehr als menschlichen Schönheit,
eines ambrosischen Geruchs, werden sich unvermerkt
an die Stelle derjenigen setzen, die du dich vergeblich
zu machen bestrebest, und du wirst noch immer an dem
irdischen Boden kleben, wenn du schon in den empyräischen
Gegenden zu schweben glaubst.Sind die Vergnügen des Herzens weniger sinnlich?
Sie sind die allersinnlichsten. Ein gewisser Grad derselben
verbreitet eine wollüstige Wärme durch unser ganzes
Wesen, belebt den Umlauf des Blutes, ermuntert das Spiel
der Fibern, und setzt unsre ganze Maschine in einen Zustand
von Behaglichkeit, der sich der Seele um so mehr mittheilet,
als ihre eignen natürlichen Verrichtungen auf die angenehmste
Art dadurch erleichtert werden. Die Bewunderung,
die Liebe, das Verlangen, die Hoffnung, das Mitleiden,
jeder zärtliche Affect bringt diese Wirkung in einigem
Grade hervor, und ist desto angenehmer, je mehr er sich derjenigen
Wollust nähert, die unsere Alten würdig gefunden
haben, in der Gestalt der personificirten Schönheit, aus
deren Genusse sie entspringt, unter die Götter gesetzt zu
werden. Derjenige, den sein Freund niemals in Entzückungen
gesetzt hat, die den Entzückungen der Liebe ähnlich sind, ist
nicht berechtigt von den Vergnügen der Freundschaft zu reden.
Was ist das Mitleiden, welches uns zur Gutthätigkeit treibt?
Wer anders ist desselben fähig, als diese empfindlichen Seelen,
deren Auge durch den Anblick, deren Ohr durch den ächzenden
Ton des Schmerzens und Elends gequälet wird, und die in
dem Augenblicke, da sie die Noth eines Unglücklichen erleichtern,
beinahe dasselbe Vergnügen fühlen, welches sie in eben
diesem Augenblick an seiner Stelle gefühlt hätten? Wenn das
Mitleiden nicht ein wollüstiges Gefühl ist, warum rührt uns
nichts so sehr als die leidende Schönheit? Warum lockt
die klagende Phädra in der Nachahmung zärtliche Thränen
aus unsern Augen, da die winselnde Häßlichkeit in der Natur
nichts als Ekel erweckt? Und sind etwan die Vergnügen der
Wohlthätigkeit und Menschenliebe weniger sinnlich? Dasjenige
was in dir vorgehen wird, wenn du dir die contrastirenden
Gemälde einer geängstigten und einer fröhlichen
Stadt vorstellest, die Homer aus den Schild des
Achilles setzt, wird dir diese Frage auflösen. Nur diejenigen,
die der Genuß des Vergnügens in die lebhaftere Entzückung
setzt, sind fähig, von den lachenden Bildern einer allgemeinen
Freude und Wonne so sehr gerührt zu werden, daß
sie dieselbe außer sich zu sehen wünschen; das Vergnügen der
Gutthätigkeit wird allemal mit demjenigen in Verhältniß stehen,
welches ihnen der Anblick eines vergnügten Gesichts, eines
fröhlichen Tanzes, einer öffentlichen Lustbarkeit macht: und
es ist nur der Vortheil ihres Vergnügens, je allgemeiner
diese Scene ist. Ie größer die Anzahl der Fröhlichen und die
Mannichfaltigkeit der Freuden, desto größer die Wollust, wovon
diese Art von Menschen, an denen alles Sinn, alles Herz
und Seele ist, beim Anblick derselben überströmet werden.
Laß uns also gestehen, Kallias, daß alle Vergnügen, die uns
die Natur anbeut, sinnlich sind; und daß die hochfliegendste,
abgezogenste und geistigste Einbildungskraft uns keine andern
verschaffen kann, als solche, die wir auf eine weit vollkommnere
Art aus dem rosenbekränzten Becher und von den Lippen
der schönen Cyane saugen könnten.Es ist wahr, es gibt noch eine Art von Vergnügen, die
beim ersten Anblick eine Ausnahme von meinem Satze zu
machen scheint. Man könnte sie künstliche nennen, weil
wir sie nicht aus den Handen der Natur empfangen, sondern
nur gewissen Einverständnissen der menschlichen Gesellschaft zu
danken haben, durch welche dasjenige, was uns dieses Vergnügen
macht, die Bedeutung eines Gutes erhalten hat.
Allein die kleinste Ueberlegung wird uns überzeugen, daß diese
Dinge keine andere Art von Vergnügen gewähren, als die uns
der Besitz des Geldes gibt; welches wir mit Gleichgültigkeit
ansehen würden, wenn es uns nicht für alle die wirklichen
Vergnügen Gewähr leistete, die wir uns dadurch verschaffen
können. Von der nämlichen Art ist dasjenige, welches der
Ehrgeizige empfindet, wenn ihm Bezeigungen einer scheinbaren
Hochachtung gemacht werden, die ihm als Zeichen seines
Ansehens, und der Macht, die ihm dasselbe über andere gibt,
angenehm sind. Ein morgenländischer Despot bekümmert
sich wenig um die Hochachtung seiner Völker; sklavische
Unterwürfigkeit ist für ihn genug. Ein Mensch hingegen,
dessen Glück in den Händen solcher Leute liegt, die
seinesgleichen sind, ist genöthigt, sich ihre Hochachtung
zu erwerben. Allein diese Unterwürfigkeit ist dem Despoten,
diese Hochachtung ist dem Republicaner nur darum angenehm,
weil sie ihm das Vermögen oder die Gelegenheit gibt, die
Leidenschaften und Begierden desto besser zu befriedigen, welche
die unmittelbaren Quellen des Vergnügens sind. Warum ist
Alcibiades ehrgeizig? Alcibiades bewirbt sich um einen
Ruhm, der seine Ausschweifungen, seinen Uebermuth, seinen
schleppenden Purpur, seine Schmäuse und Liebeshändel bedeckt;
der es den Athenern erträglich macht, den Liebesgott mit dem
Blitze Jupiters bewaffnet auf dem Schilde ihres Feldherrn zu
sehen; der die Gemahlin eines spartanischen Königs so sehr
verblendet, daß sie stolz darauf ist, für seine Buhlerin gehalten
zu werden. Ohne diese Vortheile würde ihm Ansehen
und Ruhm so gleichgültig seyn, als ein Haufen Rechenpfennige
einem Korinthischen Wechsler."Allein," spricht man, "wenn es seine Richtigkeit hat,
daß die Vergnügen der Sinne alles sind, was uns die Natur
zuerkannt hat: was ist leichter und was braucht weniger Kunst
und Anstalten, als glücklich zu seyn? Wie wenig bedarf die
Natur um genug zu haben?"Es ist wahr, die rohe Natur bedarf wenig. Unwissenheit
ist der Reichthum des Wilden. Eine Bewegung, die
seinen Körper munter erhält, eine Nahrung, die seinen
Hunger stillt, ein Weib, schön oder häßlich, wenn ihn die
Ungeduld des Bedürfnisses spornt, ein schattiger Rasen, wenn
er des Schlafs bedarf, und eine Höhle, sich vor dem
Ungewitter zu sichern, ist alles was der wilde Mensch
nöthig hat, um in einem Leben von achtzig Jahren sich nur
nicht träumen zu lassen, daß man mehr vonnöthen haben
könne. Die Vergnügungen der Einbildungskraft und des Geschmackes
sind nicht für ihn; er genießt nicht mehr als die
übrigen Thiere, und genießt wie sie. Wenn er glücklich ist,
weil er sich nicht für unglücklich hält, so ist er es doch nicht
in Vergleichung mit demjenigen, für den die Künste des
Witzes und des Geschmackes die angenehmste Art zu genießen,
und eine unendliche Menge von Ergötzungen der
Sinne und der Einbildung erfunden haben, wovon die Natur
in ihrem rohen Zustande keinen Begriff hat. Wahr ist's, diese
Vergleichung findet nur in dem Stand einer Gesellschaft statt,
die in einer langen Reihe von Jahrhunderten sich endlich zu
einem gewissen Grade der Vollkommenheit erhoben hat. In
diesem Stande aber wird alles das zum Bedürfniß, was
der Wilde nur darum nicht vermisset, weil es ihm unbekannt
ist; und Diogenes könnte zu Korinth nicht glücklich seyn, wenn
er nicht — ein Narr wäre.Gewisse poetische Köpfe haben sich ein goldnes Alter,
ein idealisches Arkadien, ein reizendes Hirtenleben geträumt,
welches zwischen der rohen Natur und der Lebensart
des begüterten Theils eines gesitteten und sinnreichen
Volkes das Mittel halten soll. Sie haben die verschönerte
Natur von allem demjenigen entkleidet, wodurch
sie verschönert worden ist, und diesen abgezogenen Begriff
die schöne Natur genannt. Allein (außerdem, daß diese
schöne Natur in der nackten Einfalt, welche man ihr gibt,
niemals irgendwo vorhanden war) wer siehet nicht, daß die
Lebensart des goldnen Alters der Dichter zu derjenigen, welche
durch die Künste mit allem bereichert und ausgeziert wird,
was uns im Genuß einer ununterbrochenen Wollust vor dem
Ueberdruß der Sättigung bewahren kann, daß, sage ich, jene
dichterische Lebensart zu dieser sich eben so verhält, wie die
Lebensart des wildesten Sogdianers zu jener? Wenn es angenehmer
ist, in einer bequemen Hütte zu wohnen, als in
einem hohlen Baum: so ist es noch angenehmer, in einem
geräumigen Hause zu wohnen, das mit den ausgesuchtesten
und wollüstigsten Bequemlichkeiten versehen, und allenthalben
mit Bildern des Vergnügens ausgeziert ist. Und wenn eine
mit Bändern und Blumen geschmückte Phyllis reizender ist, als
eine schmutzige Wilde: muß nicht eine von unsern Schönen,
deren natürliche Reizungen durch einen wohl ausgesonnenen
und schimmernden Putz erhoben werden, um eben so viel besser
gefallen als jene Schäferin?—————
Drittes Capitel.Geisterlehre eines ächten Materialisten.Wir haben die Natur gefragt, Kallias, worin die Glückseligkeit
bestehe, und wir hörten ihre Antwort: "Ein schmerzenfreies
Leben, die angenehmste Befriedigung unserer natürlichen
Bedürfnisse, und der abwechselnde Genuß aller Arten von
Vergnügen, womit die Einbildungskraft, der Witz und die
Künste unsern Sinnen zu schmeicheln fähig sind." Dieß ist
alles, was der Mensch fordern kann. Wenn es eine erhabnere
Art von Glückseligkeit gibt, so können wir wenigstens
gewiß seyn, daß sie nicht für uns gehört, da wir nicht
einmal fähig sind, uns eine Vorstellung von ihr zu machen.
Es ist wahr, der enthusiastische Theil unter den Verehrern
der Götter schmeichelt sich mit einer zukünftigen Glückseligkeit,
zu welcher die Seele nach der Zerstörung des Körpers erst
gelangen soll. Die Seele, sagen sie, war ehemals eine
Freundin und Gespielin der Götter, sie war unsterblich wie sie,
und begleitete (wie Plato homerisirt) den geflügelten Wagen
Jupiters, um mit den übrigen Unsterblichen die unvergänglichen
Schönheiten zu beschauen, womit die unermeßlichen
Räume über den Sphären erfüllt sind. Ein Krieg, der unter
den Bewohnern der unsichtbaren Welt entstand, verwickelte sie
in den Fall der Besiegten; sie wurde vom Himmel gestürzt
und in den Kerker eines thierischen Leibes eingeschlossen, um
durch den Verlust ihrer ehemaligen Wonne, in einem Zustande,
der eine Kette von Plagen und Schmerzen ist, ihre
Schuld auszutilgen. Das unendliche Verlangen, der nie gestillte
Durst nach einer Glückseligkeit, die sie in keinem irdischen
Gute findet, ist das Einzige, das ihr zu ihrer Qual von
ihrem vormaligen Zustand übrig geblieben ist; und es ist unmöglich,
daß sie diese vollkommne Seligkeit, wodurch sie
allein befriedigt werden kann, wieder erlange, ehe sie sich
wieder in ihren ursprünglichen Stand, in das reine Element
der Geister, empor geschwungen hat. Sie ist also vor dem
Tode keiner andern Glückseligkeit fähig, als derjenigen, deren
sie durch eine freiwillige Absonderung von allen irdischen Dingen,
durch Ertödtung aller irdischen Leidenschaften und Entbehrung
aller sinnlichen Vergnügen fähig gemacht wird. Nur
durch diese Entkörperung wird sie der Beschauung der wesentlichen
und göttlichen Dinge fähig, worin die Geister
ihre einzige Nahrung und diese vollkommne Wonne finden, von
welcher die sinnlichen Menschen sich keinen Begriff machen
können. Solchergestalt kann sie nur, nachdem sie, durch verschiedene
Grade der Reinigung, von allem, was thierisch und
körperlich ist, gesäubert worden, sich wieder zu der überirdischen
Sphäre erheben, mit den Göttern leben, und im
unverwandten Anschauen des wesentlichen und ewigen Schönen,
wovon alles Sichtbare bloß der Schatten ist, Ewigkeiten
durchleben, die eben so gränzenlos sind, als die Wonne, von
der sie überströmet werden.Vielleicht gibt es Leute, Kallias, bei denen die Milzsucht
hoch genug gepriesen ist, daß diese Begriffe eine Art
von Wahrheit für sie haben. Es ist auch nichts Leichteres, als
daß junge Personen von lebhafter Empfindung und feuriger
Einbildungskraft durch eine einsame Lebensart und den
Mangel solcher Gegenstände und Freuden, worin sich dieses
übermäßige Feuer verzehren könnte, von solchen hochfliegenden
Chimären eingenommen werden, welche so geschickt
sind, ihre nach Vergnügen lechzende Seele durch
eine Art von Wollust zu täuschen, die nur desto lebhafter
ist, je verworrener und dunkler die bezaubernden
Phantomen sind, die sie hervorbringen. Allein ob diese
Träume, außer dem Gehirn ihrer Erfinder, und derjenigen,
deren Einbildungskraft so glücklich ist ihnen nachfliegen zu
können, einige Wahrheit oder Wirklichkeit haben, ist eine
Frage, deren Erörterung, wenn sie der gesunden Vernunft
aufgetragen wird, nicht zum Vortheil derselben ausfällt. Wem
anders als der Unwissenheit und dem Aberglauben der ältesten
Welt haben die Nymphen und Faunen, die Najaden und
Tritonen, die Furien und die erscheinenden Schatten der
Verstorbenen ihre vermeinte Wirklichkeit zu danken? Ie besser
wir die Körperwelt kennen lernen, desto enger werden die
Gränzen des Geisterreichs. Ich will jetzt nichts davon sagen,
ob es nicht wahrscheinlich sey, daß die Priesterschaft, die von
jeher einen so zahlreichen Orden unter den Menschen ausgemacht,
bald genug die Entdeckung machen mußte, was für
große Vortheile man durch diesen Hang der Menschen zum
Wunderbaren, von ihren beiden heftigsten Leidenschaften,
der Furcht und der Hoffnung, ziehen könne. Wir wollen
bei der Sache selbst bleiben. Worauf gründet sich die erhabene
Theorie, von der wir reden? Wer hat jemals diese Götter,
diese Geister gesehen, deren Daseyn sie voraussetzt? Welcher
Mensch erinnert sich dessen, daß er ehemals ohne Körper in
den ätherischen Gegenden geschwebt, den geflügelten Wagen
Jupiters begleitet, und mit den Göttern Nektar getrunken
habe? Was für einen sechsten oder siebenten Sinn haben wir,
um das wirkliche Daseyn der Gegenstände damit zu erkennen,
womit man die Geisterwelt bevölkert? Sind es unsre innerlichen
Sinnen? Was sind diese anders als das Vermögen
der Einbildungskraft, die Erscheinungen der äußern Sinne
nachzuäffen? Was sieht das inwendige Auge eines Blindgebornen?
Was hört das innere Ohr eines gebornen Tauben?
Oder was sind die erhabensten Scenen, in welche die Einbildungskraft
auszuschweifen fähig ist, anders als neue Zusammensetzungen,
die sie gerade so macht, wie ein Madchen
aus den zerstreuten Blumen in einem Parterre einen
Kranz flicht; oder höhere Grade dessen was die Sinnen
einst empfunden haben, von welchen man jedoch immer unfähig
bleibt, sich einige klare Vorstellung zu machen? Denn
was empfinden wir bei dem ätherischen Schimmer, oder
den ambrosischen Gerüchen der Homerischen Götter? Wir
sehen, wenn ich so sagen kann, den Schatten eines Glanzes
in unsrer Einbildung; wir riechen, so zu sagen, den Schatten
eines lieblichen Duftes; aber wir sehen keinen ätherischen
Glanz und empfinden keinen ambrosischen Geruch. Kurz,
man verbiete den Schöpfern der überirdischen Welten sich
keiner irdischen und sinnlichen Materialien zu bedienen: so
werden ihre Welten (um mich eines ihrer Ausdrücke zu bedienen)
plötzlich wieder in den Schooß des Nichts zurückfallen,
woraus sie gezogen worden.Und brauchen wir wohl noch einen andern Beweis, um
uns diese ganze Theorie verdächtig zu machen, als die Methode,
die man uns vorschreibt, um zu der geheimnißvollen
Glückseligkeit zu gelangen, welcher wir diejenige aufopfern
sollen, die uns die Natur und unsre Sinnen anbieten? Wir
sollen uns den sichtbaren Dingen entziehen, um die unsichtbaren
zu sehen; wir sollen aufhören zu empfinden, damit wir
desto lebhafter phantasiren können. Verstopfet eure Sinnen,
sagen sie, so werdet ihr Dinge sehen und hören, wovon diese
thierischen Menschen, die gleich dem Vieh mit den Augen
sehen und mit den Ohren hören, sich keinen Begriff machen
können. Eine vortreffliche Diät, in Wahrheit! Die Schüler
des Hippokrates werden dir beweisen, daß man keine bessere
erfinden kann, um — wahnsinnig zu werden.Es ist also sehr wahrscheinlich, daß alle diese Geister, diese
Welten, welche sie bewohnen, und diese Glückseligkeiten, welche
man nach dem Tode mit ihnen zu theilen hofft, nicht mehr
Wahrheit haben, als die Nymphen, Liebesgötter und Grazien
der Dichter, als die Gärten der Hesperiden und die Inseln
der Circe und Kalypso, kurz, als alle diese Spiele der Einbildungskraft,
welche uns belustigen, ohne daß wir sie für wirklich
halten. Die Religion unsrer Vater befiehlt uns, einen
Jupiter, einen Apollo, eine Pallas, eine Aphrodite zu glauben:
ganz gut! aber was für eine Vorstellung macht man uns von
ihnen? Jedermann gesteht, daß es unmöglich sey, diese
Götter, diese Göttinnen auf eine vollkommnere Weise abzubilden,
als es von Phidias und Praxiteles geschehen ist.
Gleichwohl ist der Jupiter des Phidias nichts anders als ein
heroischer Mann, die Cythere des Praxiteles nichts mehr als
ein schönes Weib; von dem Gott und der Göttin hat kein
Mensch in Griechenland den mindesten Begriff. Man verspricht
uns nach dem Tod ein unsterbliches Leben bei den
Göttern; aber die Begriffe, die wir uns davon machen, sind
entweder aus den sinnlichen Wollüsten, oder den feinern und
geistigern Freuden, die wir in diesem Leben erfahren haben,
zusammen gesetzt; es ist also klar, daß wir gar keine ächte
Vorstellung von dem Leben der Geister und von ihren Freuden
haben.Ich will hiermit nicht läugnen, daß es Götter, Geister,
oder vollkommnere Wesen als wir sind, geben könne, oder
vielleicht wirklich gebe. Alles was meine Schlüsse beweisen, ist
dieß: "daß wir unfähig sind, uns eine richtige Vorstellung von
ihnen zu machen, oder kurz, daß wir nichts von ihnen wissen."
Wissen wir aber nichts, weder von ihrem Zustande
noch von ihrer Natur, so ist es für uns eben so viel als ob
sie gar nicht wären. Anaragoras bewies mir einst mit dem
ganzen Enthusiasmus eines Sternsehers, daß der Mond Einwohner
habe. Vielleicht sagte er die Wahrheit. Allein was
sind diese Mondbewohner für dich oder mich? Meinest du, der
König Philippus werde sich die mindeste Sorge machen, die
Griechen möchten sie gegen ihn zu Hülfe rufen? Es mögen
Einwohner im Monde seyn: aber für uns ist der Mond weder
mehr noch weniger als eine leere glänzende Scheide, die unsre
Nächte erheitert, und unsre Zeit abmißt.Wenn es denn also, mein lieber Kallias, mit allen jenen
übersinnlichen Dingen diese Bewandtniß hat und nothwendig
haben muß: wie thöricht wär' es, den Plan unsers Lebens
auf Chimären zu gründen, und uns der Glückseligkeit, deren
wir wirklich genießen könnten, zu begeben, um uns, wie der
Hund im Nil, mit ungewissen Hoffnungen, den Schatten
unsrer Wünsche, zu speisen! Was könnte widersinniger seyn,
als die Frucht seines Daseyns zu verlieren, in Hoffnung sich
dafür schadlos zu halten, wenn man nicht mehr seyn wird!
Denn daß wir itzt leben, und daß dieses Leben aufhören wird,
das wissen wir gewiß; ob ein anderes alsdann anfange, ist wenigstens
ungewiß; und wenn es auch gewiß wäre, so ist doch
unmöglich das Verhältniß desselben gegen das itzige zu bestimmen,
da wir kein Mittel haben, uns einen achten Begriff
davon zu machen. Laß uns also den Plan unsers Lebens auf
das gründen, was wir kennen und wissen; und nachdem
wir gefunden haben, was das glückliche Leben ist, den geradesten
und sichersten Weg suchen, auf dem wir dazu gelangen
können.—————
Viertes Capitel.Worin Hippias eine seine Kenntniß der Welt zu zeigen scheint.Ich habe schon bemerkt, daß die Glückseligkeit, welche wir
suchen, nur in dem Stand einer Gesellschaft, die sich schon zu
einem gewissen Grade der Vollkommenheit erhoben hat, statt
finde. In einer solchen Gesellschaft entwickeln sich alle diese
mannichfaltigen Geschicklichkeiten, die bei dem rohen Menschen,
der wenig bedarf, einsam lebt, und wenig Leidenschaften hat,
immer müßige Fähigkeiten bleiben. Die Einführung des Eigenthums,
die Ungleichheit der Güter und Stände, die Armuth
der einen, der Ueberfluß, die Ueppigkeit und Trägheit der andern,
dieses sind die wahren Götter der Künste, die Merkure
und die Musen, denen wir ihre Erfindung oder doch ihre Vollkommenheit
zu danken haben. Wie viele Menschen müssen ihre
Bemühungen vereinigen, um einen einzigen Reichen zu befriedigen!
Diese bauen seine Felder und Weinberge, jene pflanzen
seine Lustgärten; andere bearbeiten den Marmor, woraus
seine Wohnung aufgeführt wird; Tausende durchschiffen den
Ocean, um ihm die Reichthümer fremder Länder zuzuführen;
Tausende beschäftigen sich die Seide und den Purpur zu bereiten,
die ihn kleiden, die Tapeten, die seine Zimmer schmücken,
die kostbaren Gefäße, woraus er ist und trinkt, und das
weiche Lager, worauf er der wollüstigen Ruhe genießt; Tausende
strengen in schlaflosen Nächten ihren Witz an, um neue
Bequemlichkeiten, neue Wollüste, eine leichtere und angenehmere
Art die leichtesten und angenehmsten Verrichtungen, die
uns die Natur auferlegt, zu thun, für ihn zu erfinden, und
durch die Zaubereien der Kunst, die den gemeinsten Dingen
einen Schein der Neuheit zu geben weiß, seinen Ekel zu täuschen,
und seine vom Genuß ermüdeten Sinnen aufzuwecken.
Für ihn arbeitet der Maler, der Tonkünstler, der Dichter,
der Schauspieler, und überwindet unendliche Schwierigkeiten,
um Künste zur Vollkommenheit zu treiben, welche die Anzahl
seiner Ergötzungen vermehren sollen. Allein alle diese Leute,
welche für den glücklichen Menschen arbeiten, würden sie
es thun, wenn sie nicht selbst glücklich zu seyn wünschten?
Für wen arbeiten sie als für denjenigen, der ihre Bemühung
ihn zu vergnügen belohnen kann? Der König von Persien
selbst ist nicht mächtig genug, einen Zeuxis zu zwingen, daß
er ihm eine Leda male. Nur die Zauberkraft des Goldes,
welchem eine allgemeine Uebereinkunft der gesitteten Völker
den Werth aller nützlichen und angenehmen Dinge beigelegt
hat, kann das Genie und den Fleiß einem Midas dienstbar
machen, der ohne seine Schätze vielleicht kaum würdig wäre,
dem für ihn arbeitenden Maler die Farben zu reiben.Die Kunst, sich die Mittel zur Glückseligkeit zu verschaffen,
ist also schon gefunden, mein lieber Kallias, sobald wir
die Kunst gefunden haben, einen genugsamen Vorrath von
diesem wahren Steine der Weisen zu bekommen, der uns
die ganze Natur unterwirft, Millionen unsersgleichen zu
freiwilligen Sklaven unserer Ueppigkeit macht, uns in jedem
schlauen Kopf einen dienstwilligen Merkur, und, durch den
unwiderstehlichen Glanz eines goldnen Regens, in jeder Schönen
eine Danae finden läßt.Die Kunst reich zu werden, Kallias, ist im Grunde nichts
anders, als die Kunst, sich des Eigenthums andrer Leute mit
ihrem guten Willen zu bemächtigen. Ein Despot hat unter dem
Schutz eines Vorurtheils, welches demjenigen sehr ähnlich ist,
womit die Aegypter den Krokodil vergöttern, in diesem Stück
ungemeine Vortheile. Da sich seine Rechte so weit erstrecken
als seine Macht, und diese Macht durch keine Pflichten eingeschränkt
ist, weil ihn niemand zwingen kann sie zu erfüllen:
so kann er sich das Vermögen seiner Unterthanen zueignen,
ohne sich darum zu bekümmern, ob es mit ihrem guten Willen
geschieht. Es kostet ihm keine Mühe, unermeßliche Reichthümer
zu erwerben; und um mit der unmäßigsten Schwelgerei
in Einem Tage Millionen zu verschwenden, braucht er
nur den Theil des Volkes, den seine Dürftigkeit zu einer
immerwährenden Arbeit verdammt, an diesem Tage —
fasten zu lassen. Allein, außerdem daß dieser Vortheil nur
sehr wenigen Sterblichen zu Theil werden kann, ist er
auch nicht so beschaffen, daß ein weiser Mann ihn beneiden
könnte. Das Vergnügen hört auf Vergnügen zu seyn, sobald
es über einen gewissen Grad getrieben wird. Das Uebermaß
der sinnlichen Wollüste zerstöret die Werkzeuge der Empfindung;
das Uebermaß der Vergnügen der Einbildungskraft
verderbt den Geschmack des Schönen, indem für unmäßige
Begierden nichts reizend seyn kann, was in die Verhältnisse
und das Ebenmaß der Natur eingeschlossen ist. Daher ist
das gewöhnliche Schicksal eines morgenländischen Fürsten, der
in die Mauern seines Serails eingekerkert ist, in den Armen
der Wollust vor Ersättigung und Ueberdruß umzukommen.
Er vergeht vor langer Weile, indeß die süßesten Gerüche
von Arabien vergeblich für ihn duften, die geistigsten Weine
ihm ungekostet aus Krystallen entgegen blinken, tausend Schönheiten,
deren jede zu Paphos einen Altar erhielte, alle ihre
Reizungen, alle ihre buhlerischen Künste umsonst verschwenden,
seine schlaffen Sinnen zu erwecken, und zehntausend
Sklaven seiner Ueppigkeit in die Wette eifern, um unerhörte
und ungeheure Wollüste zu erdenken, welche vielleicht fähig
seyn möchten, das abgestumpfte Gefühl dieses unglückseligen
Glücklichen auf etliche Augenblicke zu täuschen. Wir haben
also mehr Ursache als man insgemein glaubt, der Natur zu
danken, wenn sie uns in einen Stand setzt, wo wir das
Vergnügen durch Arbeit erkaufen müssen, und unsre Leidenschaften
erst mäßigen lernen, eh' wir zu einer Glückseligkeit
gelangen, die wir ohne diese Mäßigung nicht genießen
könnten.Da nun die Despoten — und die Straßenräuber die
Einzigen sind, denen es (auf ihre Gefahr) zusteht, sich
des Vermögens andrer Leute mit Gewalt zu bemächtigen:
so bleibt demjenigen, der sich aus einem Zustande von Mangel
und Abhängigkeit emporschwingen will, nichts anders
übrig, als "daß er sich die Geschicklichkeit erwerbe, den Vortheil
und das Vergnügen der Lieblinge des Glückes zu befördern."Unter den vielerlei Arten, wie dieses geschehen kann,
sind einige dem Menschen von Genie, mit Ausschluß aller
übrigen, vorbehalten; und diese theilen sich, nach ihrem verschiedenen
Endzweck, in zwei Classen ein, wovon die erste
die Vortheile, und die andre das Vergnügen des beträchtlichsten
Theils einer Nation zum Gegenstande hat. Die
erste, unter welcher die Regierungs- und Kriegskünste begriffen
sind, scheint ordentlicher Weise nur in freien Staaten
Platz zu finden; die andre hat keine Gränzen als den Grad
des Reichthums und der Ueppigkeit eines jeden Volks, von
welcher Art seine Staatsverfassung seyn mag. In dem armen
Athen wurde ein guter Feldherr unendliche Mal höher geschätzt
als ein guter Maler. In dem reichen, wollüstigen
Athen hingegen gibt man sich keine Mühe zu untersuchen,
wer der tüchtigste sey ein Kriegsheer anzuführen. Man hat
wichtigere Dinge zu entscheiden. Die Frage ist, welche unter
etlichen Tänzerinnen die artigsten Füße hat und die leichtesten
Sprünge macht? Ob die Venus des Praxiteles, oder des
Alkamenes die schönere ist? —Daher kommt es auch, daß die
Künste des Genie's von der ersten Classe, für sich allein, selten
zum Reichthum führen. Die großen Talente, die großen Verdienste
und Tugenden, die dazu erfordert werden, finden sich
gemeiniglich nur in armen und emporstrebenden Republiken,
die alles, was man für sie thut, nur mit Lorberkränzen
bezahlen. In Staaten aber, wo Reichthum und Ueppigkeit
schon die Oberhand gewonnen haben, kann man aller dieser
Talente und Tugenden, welche die Regierungskunst zu erfordern
scheint, entbehren. Man kann in solchen Staaten Gesetze
geben, ohne ein Solon, .Kriegsheere anführen, ohne ein Leonidas
oder Themistokles zu seyn. Perikles, Alcibiades, regierten
zu Athen den Staat und führten die Völker an; obgleich jener
nur ein Redner war, und dieser keine andre Kunst kannte,
als die Kunst, Herzen zu fangen. "In solchen Freistaaten
hat das Volk die Eigenschaften, die in einem despotischen
der Einzige hat, der kein Sklave ist; man braucht ihm nur zu
gefallen, um zu allem tüchtig befunden zu werden." Perikles
herrschte, ohne die äußerlichen Zeichen der königlichen Würde,
so unumschränkt in dem freien Athen, als Artaxerxes in dem
unterthänigen Asien. Seine Talente, und die Künste, die er
von der schönen Aspasia gelernt hatte, erwarben ihm eine Art
von Oberherrschaft, die nur desto unumschränkter war, da sie
ihm freiwillig zugestanden wurde. Die Kunst eine große Meinung
von sich zu erwecken, die Kunst zu überreden, die Kunst
von der Eitelkeit der Athener Vortheil zu ziehen und ihre Leidenschaften
zu lenken, machten seine ganze Regierungskunst
aus. Er verwickelte die Republik in ungerechte und unglückliche
Kriege, erschöpfte die öffentliche Schatzkammer, erbitterte
die Bundsgenossen durch gewaltsame Erpressungen; und damit
das Volk keine Zeit hätte, eine so schnöde Staatsverwaltung
genauer zu beobachten, so bauete er Schauspielhäuser, gab
ihnen schöne Bildsäulen und Gemälde zu sehen, unterhielt sie
mit Tänzerinnen und Virtuosen, und gewöhnte sie so sehr an
diese abwechselnden Ergötzungen, daß die Vorstellung eines
neuen Stücks, oder der Wettstreit unter etlichen Flötenspielern
zuletzt Staatsangelegenheiten wurden, über welchen man
diejenigen vergaß, die es in der That waren. Nur fünfzig
Jahre früher würde man einen Perikles für eine Pest der
Republik angesehen haben; allein damals würde Perikles ein
Aristides gewesen seyn. In seinem Zeitraume war er, gerade
so wie er war und weil er so war, der größte Mann des
Staats: der Mann, der Athen zu dem höchsten Grade der
Macht und des Glanzes erhob, den es erreichen konnte; der
Mann, dessen Zeit als das goldne Alter der Musen in allen
künftigen Jahrhunderten angezogen werden wird; und, was
für ihn selbst das wichtigste war, der Mann, für welchen die
Natur die Euripiden und Aristophane, die Phidias, die Zeuxis,
die Dämonen und die Aspasien zusammen brachte, um sein
Privatleben so angenehm zu machen, als sein öffentliches Leben
glänzend war. "Die Kunst über die Einbildungskraft der
Menschen zu herrschen, die geheimen, ihnen selbst verborgnen
Triebfedern ihrer Bewegungen nach unserm Gefallen zu
lenken, und sie zu Werkzeugen unsrer Absichten zu machen,
indem wir sie in der Meinung erhalten, daß wir es von
den ihrigen sind," ist also, ohne Zweifel, diejenige, die
ihrem Besitzer am nützlichsten ist, und dieß ist die Kunst,
welche die Sophisten lehren und ausüben; die Kunst,
welcher sie das Ansehen, die Unabhängigkeit und die
glücklichen Tage, deren sie genießen, zu danken haben. Du
kannst dir leicht vorstellen, Kallias, daß sie sich in etlichen
Stunden weder lehren noch lernen läßt: allein meine Absicht
ist auch für itzt nur, dir überhaupt einen Begriff davon zu
geben.Dasjenige, was man die Weisheit der Sophisten nennt,
ist die Geschicklichkeit, sich der Menschen so zu bedienen, daß
sie geneigt sind, unser Vergnügen zu befördern, oder überhaupt
die Werkzeuge unsrer Absichten zu seyn. Die Beredsamkeit,
welche diesen Namen erst alsdann verdient, wenn
sie im Stand ist, die Zuhörer, wer sie auch seyn mögen, von
allem zu überreden was wir wollen und in jeden Grad einer
jeden Leidenschaft zu setzen, die zu unsrer Absicht nöthig ist; eine
solche Beredsamkeit ist unstreitig ein unentbehrliches Werkzeug,
und das vornehmste, wodurch die Sophisten diesen Zweck erreichen.
Die Sprachlehrer bemühen sich, junge Leute zu Rednern
zu bilden: die Sophisten thun mehr; sie lehren sie Ueberreder
zu werden, wenn mir dieses Wort erlaubt ist. Hierin
allein besteht das Erhabne einer Kunst, die vielleicht noch
niemand in dem Grade besessen hat, wie Alcibiades, der in
unsern Zeiten so viel Aufsehens gemacht hat. Der Weise bedient
sich dieser Ueberredungsgabe nur als eines Werkzeugs zu
höhern Absichten. Alcibiades überlaßt es einem Antiphon, sich
mit Ausfeilung einer künstlich gesetzten Rede zu bemühen; er
überredet indessen seine Landsleute, daß ein so liebenswürdiger
Mann wie Alcibiades das Recht habe zu thun was ihm einfalle;
er überredet die Spartaner zu vergessen, daß er ihr Feind
gewesen, und daß er es bei der ersten Gelegenheit wieder seyn
werde; er überredet die Königin Timea, die Mutter eines
jungen Alcibiades durch ihn zu werden, und die Satrapen des
großen Königs, daß er ihnen die Athener zu eben der Zeit verrathen
wolle, da er diese überredet, daß sie ihn mit Unrecht
für einen Verräther hielten. Eine solche Ueberredungskraft
setzt die Geschicklichkeit voraus, jede Gestalt anzunehmen, wodurch
wir demjenigen gefällig werden können, auf den wir
Absichten haben; die Geschicklichkeit, sich der verborgensten Zugänge
seines Herzens zu versichern, seine Leidenschaften, je
nachdem wir es nöthig finden, zu erregen, zu liebkosen, eine
durch die andre zu verstärken, oder zu schwächen, oder gar zu
unterdrücken: sie erfordert eine Gefälligkeit, die von den Sittenlehrern
Schmeichelei genannt wird, aber diesen Namen nur
alsdann verdient, wenn sie von den Gnathonen, die um die
Tafeln der Reichen sumsen, nachgeäffet wird, —— eine Gefälligkeit,
die aus einer tiefen Kenntniß der Menschen entspringt,
und das Gegentheil von der lächerlichen Sprödigkeit
gewisser Phantasten ist, die den Menschen übel nehmen, daß
sie anders sind als wie diese ungebetenen Gesetzgeber es haben
wollen; kurz, diejenige Gefälligkeit, ohne welche es vielleicht
möglich ist, die Hochachtung, aber niemals die Liebe der Menschen
zu erlangen; weil wir nur diejenigen lieben können die
uns ähnlich sind, die unsern Geschmack haben oder zu haben
scheinen, und so eifrig sind, unser Vergnügen zu befördern,
daß sie hierin die Aspasia von Milet zum Muster nehmen,
welche sich bis ans Ende in der Gunst des Perikles erhielt, indem
sie in demjenigen Alter, worin man die Seele der Damen
zu lieben pflegt, sich in die Gränzen der Platonischen Liebe
zurückzog, und die Rolle des Körpers durch andre spielen ließ.Ich lese in deinen Augen, Kallias, was du gegen diese
Künste einzuwenden hast, die sich so übel mit den Vorurtheilen
vertragen, die du gewohnt bist für Grundsätze zu halten.
Es ist wahr, die Kunst zu leben, welche die Sophisten
lehren, ist auf ganz andre Begriffe von dem, was in sittlichem
Verstande schön und gut ist, gebaut, als diejenigen hegen, die
von dem idealischen Schönen und von einer gewissen Tugend,
die ihr eigner Lohn seyn soll, so viel schöne Dinge zu sagen
wissen. Allein, wenn du noch nicht müder bist mir zuzuhören,
als ich es bin zu schwatzen: so denke ich, es soll mir nicht schwer
werden dich zu überzeugen, daß das idealische Schöne und die
idealische Tugend mit jenen Geistermährchen, deren ich vorhin
erwähnte, in die nämliche Classe gehören.—————
Fünftes Capitel.Der Anti-Platonismus in nuce.Was ist das Schöne? Was ist das Gute? — Ehe wir
diese Frage beantworten können, müssen wir, däucht mich,
vorher fragen: was ist das, was die Menschen schön und gut
nennen? Wir wollen vom Schönen anfangen. Was für eine
unendliche Verschiedenheit in den Begriffen, die man sich bei
den verschiedenen Völkern des Erdbodens von der Schönheit
macht! Alle Welt kommt darin überein, daß ein schönes Weib
das schönste unter allen Werken der Natur sey. Allein wie
muß sie seyn, um für eine vollkommne Schönheit in ihrer Art
gehalten zu werden? Hier fängt der Widerspruch an. Stelle
dir eine Versammlung von so vielen Liebhabern vor, als es
verschiedene Nationen unter verschiedenen Himmelsstrichen
gibt; was ist gewisser als daß ein jeder den Vorzug seiner
Geliebten vor den übrigen behaupten wird? Der Europäer
wird die blendende Weiße, der Mohr die rabengleiche Schwärze
der seinigen vorziehen; der Grieche wird einen kleinen Mund,
eine Brust, die mit der hohlen Hand bedeckt werden kann,
und das angenehme Ebenmaß einer feinen Gestalt; der
Afrikaner die eingedrückte Nase, die ölichte Haut und die
aufgeschwollenen Lippen; der Perser die großen Augen und den
schlanken Wuchs; der Seerer die kleinen Augen, den runden
Wanst und die winzigen Füße, an der seinigen bezaubernd
finden. Hat es vielleicht mit dem Schönen im sittlichen Verstande,
mit dem was sich geziemt, eine andre Bewandtniß?
Ich glaube nein. Die Spartanischen Jungfrauen scheuen sich
nicht in einem Aufzuge gesehen zu werden, wodurch in Athen
die geringste öffentliche Metze sich entehrt hielte. In Persien
würde ein Frauenzimmer, das an einem öffentlichen Orte sein
Gesicht entblößte, eben so angesehen werden, als in Smyrna
eine die sich ohne alle Kleidung sehen ließe. Bei den morgenländischen
Völkern erfordert der Wohlstand eine Menge von
Beugungen und unterthänigen Gebärden, die man gegen diejenigen
macht die man ehren will; wir Griechen finden diese
Höflichkeit eben so schändlich und sklavenmäßig, als die Attische
Urbanität zu Persepolis grob und bäurisch scheinen würde. Bei
den Griechen hat eine Freigeborne ihre Ehre verloren, die sich
den jungfräulichen Gürtel von einem andern als ihrem Manne
auflösen läßt; bei gewissen Völkern jenseits des Ganges ist ein
Mädchen desto vorzüglicher, je mehr es Liebhaber gehabt hat,
die seine Reizungen aus Erfahrung anzurühmen wissen. Diese
Verschiedenheit der Begriffe vom sittlichen Schönen zeigt sich
nicht nur in besondern Gebräuchen und Gewohnheiten verschiedener
Völker, wovon sich die Beispiele ins Unendliche häufen
ließen; sondern selbst in dem Begriffe, den sie sich überhaupt
von der Tugend machen. Bei den Römern ist Tugend und
Tapferkeit einerlei; bei den Athenern schließt dieses Wort alle
Arten von nützlichen und angenehmen Eigenschaften in sich.
Zu Sparta kennt man keine andre Tugend als den Gehorsam
gegen die Gesetze; in despotischen Reichen keine andre, als die
sklavische Unterthänigkeit gegen den Monarchen und seine Satrapen;
am Kaspischen Meere ist der tugendhafteste, der am
besten rauben kann und die meisten Feinde erschlagen hat; in
dem wärmsten Striche von Indien hat nur der die höchste
Tugend erreicht, der sich durch eine völlige Unthätigkeit, ihrer
Meinung nach, den Göttern ähnlich macht.Was folget nun aus allen diesen Beispielen? Ist nichts
an sich selbst schön oder recht? Gibt es kein gewisses Modell,
wonach dasjenige, was schön oder sittlich ist, beurtheilt werden
muß? Wir wollen sehen. Wenn ein solches Modell ist, so
muß es in der Natur seyn. Denn es wäre Thorheit, sich einzubilden,
daß irgend ein Pygmalion eine Bildsäule schnitzen
könne, welche schöner wäre, als die berühmte Phryne, die sich
der Vollkommenheit aller Formen ihrer Gestalt dermaßen bewußt
war, daß sie kein Bedenken trug eine unendliche Menge
von Augen zu Richtern darüber zu machen, als sie an einem
Feste der Eleusinischen Göttinnen sich, bloß in ihre langen fliegenden
Haare eingehüllt, öffentlich im Meere badete. Gewiß
ist die Venus eines jeden Volks nichts anders als die Abbildung
derjenigen Frau, bei welcher sich, nach dem allgemeinen
Urtheile dieses Volks, die Nationalschönheit im höchsten Grade
befinden würde. Aber welches unter so vieler !erler Modellen ist
denn an sich selbst das schönste? Wer soll unter so vielen, die
an den goldnen Apfel mit anscheinend gleichem Recht Anspruch
machen, den Ausschlag geben? Wir wollen es versuchen.
Gesetzt, es würde eine allgemeine Versammlung angestellt,
wozu eine jede Nation den schönsten Mann und das schönste
Weib, nach ihrem Nationalmodell zu urtheilen, geschickt hätte,
und wo die Weiber zu entscheiden hätten, welcher unter allen
diesen Mitwerbern um den Preis der Schönheit der schönste
Mann, und die Männer, welche unter allen das schönste Weib
wäre. Dieß vorausgesetzt, sage ich, man würde gar bald diejenigen
aus allen übrigen aussondern, die unter diesen wilden
und gemäßigten Himmelsstrichen geboren worden wären, wo
die Natur allen ihren Werken ein feineres Ebenmaß der Gestalt
und eine angenehmere Mischung der Farben zu geben
pflegt. Denn die vorzügliche Schönheit der Natur in den gemäßigten
Zonen erstreckt sich vom Menschen bis auf die Pflanzen.
Unter diesen Auserlesenen von beiden Geschlechtern würde
vielleicht der Vorzug lange zweifelhaft seyn; allein endlich
würde doch unter den Männern derjenige den Preis erhalten,
bei dessen Landsleuten die verschiednen gymnastischen Uebungen
ohne Uebermaß und in dem höchsten Grade der Vollkommenheit
getrieben würden; und alle Männer würden mit Einer
Stimme diejenige für die Schönste unter den Schönen erklären,
die von einem Volke abgeschickt worden wäre, welches bei der
Erziehung der Töchter die möglichste Entwicklung und Pflege
der natürlichen Schönheit zur Hauptsache machte. Der Spartaner
würde also vermuthlich für den schönsten Mann, und
die Perserin für das schönste Weib erklärt werden. Der
Grieche, welcher der Anmuth den Vorzug vor der Schönheit
gibt, weil die Griechischen Weiber mehr reizend als schön sind,
würde nichtsdestoweniger zu eben der Zeit, da sein Herz
einem Mädchen von Paphos oder Milet den Vorzug gäbe, bekennen
müssen, daß die Perserin schöner sey; und eben dieses
würde der Serer thun, ob er gleich das dreifache Kinn und
den Wanst seiner Landsmännin reizender finden würde.Vermuthlich hat es die nämliche Bewandtniß mit dem
sittlichen Schönen. So groß auch hierin die Verschiedenheit
der Begriffe unter verschiednen Zonen ist, so wird
doch schwerlich geleugnet werden können, daß der Preis der
Sitten derjenigen Nation gebühre, welche die geistreichste,
die ausgebildetste, die belebteste, geselligste und angenehmste
ist. Die ungezwungene und einnehmende Urbanität des Atheners
muß einem jeden Fremden angenehmer seyn, als die
abgemessene, ernsthafte und ceremonielle Höflichkeit des
Morgenländers. Das verbindliche Wesen, der Schein von
Leutseligkeit, den jener seinen kleinsten Handlungen zu geben
weiß, muß vor dem steifen Ernst des Persers, oder der rauhen
Gutherzigkeit des Skythen eben so sehr den Vorzug erhalten,
als der Putz einer Dame von Smyrna, der die
Schönheit weder ganz verhüllt, noch ganz den Augen Preis
gibt, vor der Vermummung der Morgenländerin, oder der
thierischen Blöße einer Wilden. Das Muster der aufgeklärtesten
und geselligsten Nation scheint also die wahre Regel
des sittlichen Schönen, oder des Anständigen zu seyn, und
Athen und Smyrna sind die Schulen, worin man seinen
Geschmack und seine Sitten bilden muß.Allein nachdem wir eine Regel für das Schöne gefunden
haben, was für eine werden wir für das, was Recht ist,
finden? wovon so verschiedene und widersprechende Begriffe
unter den Menschen herrschen, daß eben dieselbe Handlung,
die bei dem einen Volke mit Lorberkränzen und Statuen
belohnt wird, bei dem andern eine schmähliche Todesstrafe
verdient, und daß kaum ein Laster ist, welches nicht irgendwo
seinen Altar und seinen Priester habe. Es ist wahr, die
Gesetze sind bei dem Volke, welchem sie gegeben sind, die
Richtschnur des Rechts und Unrechts; allein, was bei diesem
Volke durch das Gesetz befohlen wird, wird bei einem andern
durch das Gesetz verboten.Die Frage ist also: gibt es nicht ein allgemeines Gesetz,
welches bestimmt, was an sich selbst Recht ist? Ich
antworte Ja; und dieses allgemeine Gesetz, was könnt' es
anders seyn als die Stimme der Natur, die zu einem
jeden spricht: suche dein eigenes Bestes; oder mit andern
Worten: befriedige deine natürlichen Begierden, und genieße
so viel Vergnügen als du kannst. Dieß ist das einzige
Gesetz, das die Natur dem Menschen gegeben hat;
und so lang er sich im Stande der Natur befindet, ist
das Recht, das er an alles hat, was seine Begierden
verlangen, oder was ihm gut ist, durch nichts anders als
das Maß seiner Stärke eingeschränkt; er darf alles, was
er kann, und ist keinem andern etwas schuldig. Allein
der Stand der Gesellschaft, welcher eine Anzahl von Menschen
zu ihrem gemeinschaftlichen Besten vereiniget, setzt
zu jenem einzigen Gesetze der Natur: suche dein eigenes
Bestes, die Einschränkung: ohne einem andern zu schaden.
Wie also im Stande der Natur einem jeden Menschen alles
recht ist, was ihm nützlich ist: so erklärt im Stande der Gesellschaft
das Gesetz alles für unrecht und strafwürdig, was
der Gesellschaft schädlich ist; und verbindet hingegen die
Vorstellung eines Vorzugs und belohnungswürdigen Verdienstes
mit allen Handlungen, wodurch der Nutzen oder
das Vergnügen der Gesellschaft befördert wird.Die Begriffe von Tugend und Laster gründen sich also
einestheils auf den Vertrag, den eine gewisse Gesellschaft
unter sich gemacht hat, und insoferne sind sie willkürlich;
anderntheils auf dasjenige, was einem jeden Volke
nützlich oder schädlich ist; und daher kommt es, daß ein so
großer Widerspruch unter den Gesetzen verschiedener Nationen
herrschet. Das Klima, die Lage, die Regierungsform,
die Religion, das eigne Temperament und der Nationalcharakter
eines jeden Volks, seine Lebensart, seine Stärke
oder Schwäche, seine Armuth oder sein Reichthum, bestimmen
seine Begriffe von dem, was ihm gut oder schädlich ist.
Daher diese unendliche Verschiedenheit des Rechts oder Unrechts
unter den polizirten Nationen; daher der Contrast der
Moral der glühenden Zonen mit der Moral der kalten Länder,
der Moral der freien Staaten mit der Moral der despotischen
Reiche, der Moral einer armen Republik, welche
nur durch den kriegerischen Geist gewinnen kann, mit der
Moral einer reichen, die ihren Wohlstand dem Geiste der
Handelschaft und dem Frieden zu danken hat; daher endlich
die Albernheit der Moralisten, welche sich den Kopf
zerbrechen, um zu bestimmen, was für alle Nationen recht
sey, ehe sie die Auflösung der Aufgabe gefunden haben, wie
man machen könne, daß ebendasselbe für alle Nationen
gleich nützlich sey.Die Sophisten, deren Sittenlehre sich nicht auf abgezogene
Ideen, sondern auf die Natur und wirkliche Beschaffenheit
der Dinge gründet, finden die Menschen an einem jeden
Orte so, wie sie seyn können. Sie schätzen einen Staatsmann
zu Athen, an sich selbst, nicht höher als einen Gaukler
zu Persepolis, und eine Matrone von Sparta ist in ihren
Augen kein vortrefflicheres Wesen als eine Lais zu Korinth.
Es ist wahr, der Gaukler würde zu Athen, und die Lais zu
Sparta schädlich seyn; allein ein Aristides würde zu Persepolis,
und eine Spartanerin zu Korinth, wo nicht eben so
schädlich, doch wenigstens ganz unnützlich seyn. Die Idealisten,
wie ich diese Philosophen zu nennen pflege, welche die
Welt nach ihren Ideen umschmeissen wollen, bilden ihre Lehrjünger
zu Menschen, die man nirgends für einheimisch erkennen
kann, weil ihre Moral eine Gesetzgebung voraussetzt,
welche nirgends vorhanden ist. Sie bleiben arm und
ungeachtet, weil ein Volk nur demjenigen Hochachtung und
Belohnung zuerkennt, der seinen Nutzen befördert, oder doch
zu befördern scheint; ja, sie werden als Verderber der Jugend
und als heimliche Feinde der Gesellschaft angesehen,
und die Landesverweisung oder der Giftbecher ist zuletzt alles,
was sie für die undankbare Bemühung davon tragen, die
Menschen zu entkörpern, um sie in die Classe der mathematischen
Punkte, Linien und Dreiecke zu erheben. Klüger als
diese eingebildeten Weisen, die, wie jener Citherschläger von
Aspendus, nur in und für sich selbst musiciren, überlassen
die Sophisten den Gesetzen eines jeden Volks, ihre
Bürger zu lehren was Recht oder Unrecht sey. Da sie selbst
zu keinem besondern Staatskörper gehören, so genießen sie
die Vorrechte eines Weltbürgers; und indem sie den Gesetzen
und der Religion eines jeden Volks, bei dem sie sich
befinden, diejenige Achtung bezeigen, welche sie vor allen
Ungelegenheiten mit den Handhabern derselben sichert, so erkennen
und befolgen sie doch in der That kein andres als
jenes allgemeine Gesetz der Natur, welches dem Menschen
sein eignes Bestes zur einzigen Richtschnur gibt. Alles, wodurch
ihre natürliche Freiheit eingeschränkt wird, ist die Beobachtung
einer nützlichen Klugheit, die ihnen vorschreibt, ihren
Handlungen die Farbe, den Schnitt und die Auszierung
zu geben, wodurch sie denjenigen, mit welchen sie zu thun
haben, am gefälligsten werden. Das moralische Schöne ist
für unsre Handlungen eben das, was der Putz für unsern
Leib; und es ist eben so nöthig, seine Aufführung nach den
Vorurtheilen und dem Geschmack derjenigen zu modeln, mit
denen man lebt, als es nöthig ist sich so zu kleiden wie sie.
Ein Mensch, der nach einem gewissen besondern Modell gebildet
worden ist, sollte, wie die wandelnden Bildsäulen des
Dädalus, an seinen väterlichen Boden angefesselt werden;
denn er ist nirgends an seinem Platz als unter seinesgleichen.
Ein Spartaner würde sich nicht besser schicken die Rolle
eines obersten Sklaven des Artaxerxes zu spielen, als ein
Sarmata sich schickte Polemarchos (Kriegsminister) zu Athen
zu seyn. Der Weise hingegen ist der allgemeine Mensch,
der Mensch, dem alle Farben, alle Umstände, alle Verfassungen
und Stellungen anstehen; und er ist es eben darum,
weil er keine besondern Vorurtheile und Leidenschaften hat,
weil er nichts als ein Mensch ist. Er gefällt allenthalben,
weil er, wohin er kommt, sich die Vorurtheile und
Thorheiten gefallen läßt, die er antrifft. Wie sollte er nicht
geliebt werden, er, der immer bereit ist sich für die Vortheile
andrer zu beeifern, ihre Begriffe zu billigen, ihren Leidenschaften
zu schmeicheln? Er weiß daß die Menschen von nichts
überzeugter sind als von ihren Irrthümern, nichts zärtlicher
lieben als ihre Fehler, und daß es kein gewisseres Mittel gibt
sich ihr Mißfallen zuzuziehen, als wenn man ihnen eine Wahrheit
entdeckt, die sie nicht wissen wollen. Weit entfernt also,
ihnen die Augen wider ihren Willen zu eröffnen, oder einen
Spiegel vorzuhalten, der ihnen ihre Häßlichkeit vorrückte, bestärkt
er den Thoren in dem Gedanken, daß nichts abgeschmackter
sey als Verstand zu haben; den Verschwender in dem
Wahne, daß er großmüthig, den Knicker in dem Gedanken,
daß er ein guter Haushalter, die Häßliche in der süßen Einbildung,
daß sie desto geistreicher, und den Großen und Reichen
in der Ueberredung, daß er ein Staatsmann, ein Gelehrter,
ein Held, ein Gönner der Musen, ein Liebling der
Schönen, kurz alles was er wolle, sey. Er bewundert das
System des Philosophen, die einbildische Unwissenheit des
Hofmanns und die großen Thaten des Generals. Er gestehet
dem Tanzmeister ohne Widerrede zu, daß Cimon der
größte Mann in Griechenland gewesen wäre, wenn er — die
Füße besser zu setzen gewußt hätte; und dem Maler, daß
man mehr Genie braucht, ein Zeuxis, als ein Homer zu seyn.
Diese Art mit dem Menschen umzugehen ist von unendlich
größerm Vortheil als man beim ersten Anblick denken sollte.
Sie erwirbt uns ihre Liebe, ihr Zutrauen, und eine desto
größere Meinung von unserm Verdienste, je größer diejenige
ist, die wir von dem ihrigen zu haben scheinen. Sie ist das
gewisseste Mittel zu den höchsten Stufen des Glücks empor
zu steigen. Meinest du, daß es die größten Talente, die
vorzüglichsten Verdienste seyen, die einen Archonten, einen
Heerführer, einen Satrapen, oder den Günstling eines Fürsten
machen? Siehe dich in den Republiken um: du wirst finden,
daß der eine sein Ansehen der lächelnden Miene zu danken
hat, womit er die Bürger grüßt; ein andrer der ansehnlichen
Peripherie seines Wanstes; ein dritter der Schönheit seiner
Gemahlin, und ein vierter seiner brüllenden Stimme. Gehe
an die Höfe: du wirst Leute finden, welche das Glück worin
sie schimmern, der Empfehlung eines Kammerdieners, der
Gunst einer Dame die sich für ihre Talente verbürgt hat,
oder der Gabe des Schlafs schuldig sind, womit sie befallen
werden, wenn der Vezier mit ihren Weibern scherzt. Nichts
ist in diesem Lande der Bezauberungen gewöhnlicher, als einen
unbärtigen Knaben in einen Feldherrn, einen Gaukler in einen
Staatsminister, einen Kuppler in einen Oberpriester verwandelt
zu sehen; ja, ein Mensch ohne alle sittlichen Verdienste kann
oft durch ein einziges Talent, welches er vielleicht nicht einmal
gestehen darf, zu einem Glücke gelangen, das ein andrer durch
die größten Verdienste vergeblich zu erhalten gesucht hat.Wer könnte demnach zweifeln, daß die Kunst der Sophisten
nicht fähig seyn sollte, ihrem Besitzer auf diese oder jene Art
die Gunst des Glücks zu verschaffen? — Vorausgesetzt, daß
er die natürlichen Gaben besitze, ohne welche der Mann von
Verstand allezeit dem Narren Platz machen muß, der damit
versehen ist. Allein selbst auf dem Wege der Verdienste ist
niemand gewisser sein Glück zu machen, als er. Wo ist das
Amt, das er nicht mit Ruhm bekleiden wird? Wer ist geschickter
die Menschen zu regieren, als derjenige, der am besten
mit ihnen umzugehen weiß? Wer schickt sich besser zu öffentlichen
Unterhandlungen? Wer ist fähiger Rathgeber eines Fürsten
oder Demagog eines unabhängigen Volks zu seyn? Ja,
wofern er nur das Glück auf seiner Seite hat, wer wird mit
größerm Ruhm ein Kriegsheer anführen? Wer die Kunst besser
verstehen, sich für die Geschicklichkeit und die Verdienste seiner
Untergebenen belohnen zu lassen? Wer die Vorsicht, die er
nicht gehabt, die klugen Anstalten, die er nicht gemacht, die
Wunden, die er nicht bekommen hat, besser gelten zu machen
wissen, als er?Doch, es ist Zeit einen Discurs zu enden, der für uns
beide ermüdend zu werden anfängt. — Ich habe dir genug
gesagt, um den Zauber zu vernichten, den die Schwärmerei
auf deine Seele geworfen hat; und wenn dieß nicht genug ist,
so würde alles überflüssig seyn, was ich hinzu thun könnte.Glaube übrigens nicht, Kallias, daß der Orden der Sophisten
einen unansehnlichen Theil der menschlichen Gesellschaft
mache. Die Anzahl derjenigen, die unsre Kunst ausüben, ist
in allen Standen sehr beträchtlich, und du wirst unter hundert,
die ein großes Glück gemacht haben, schwerlich einen einzigen
finden, der es nicht einer geschickten Anwendung unsrer Grundsätze
zu danken habe. Diese Grundsätze machen (wiewohl sie
aus Klugheit nicht laut bekannt oder eingestanden werden)
die gewöhnliche Denkungsart der Höflinge, der Leute die sich
dem Dienste der Großen gewidmet haben, und überhaupt derjenigen
Classe von Menschen aus, die an jedem Orte die Ersten
und Angesehensten sind, und (die wenigen Fälle ausgenommen,
wo das spielende Glück durch einen blinden Wurf
einen Narren an den Platz eines klugen Menschen fallen läßt)
sind die geschickten Köpfe, die von diesen Maximen den besten
Gebrauch zu machen wissen, allezeit diejenigen, die es auf
der Bahn der Ehre und des Glücks am weitesten bringen.—————
Viertes Buch.Agathon wird durch Hippias mit der schönen Danae
bekannt.Erstes Capitel.Unerwartete Ungelehrigkeit des Agathon.Hippias konnte sich wohl für berechtiget halten, einigen
Dank bei seinem Lehrjünger verdient zu haben, da er sich so
viele Mühe gegeben hatte, ihn weise zu machen. Allein,
wir müssen es nur gestehen, er hatte es mit einem Menschen
zu thun, der nicht fähig war, die Wichtigkeit dieses Dienstes
einzusehen, oder die Schönheit eines Lehrbegriffs zu empfinden,
welcher dem ganzen System seiner eigenen Begriffe und
Gefühle so sehr zuwider war. Die Erwartung des Sophisten
wurde also nicht wenig betrogen, als Agathon, wie er sah,
daß sein weiser Gebieter zu reden aufgehört hatte, ihm diese
kurze Antwort gab:"Du hast eine schöne Rede gehalten, Hippias; deine
Beobachtungen sind sehr fein, deine Schlüsse sehr bündig,
deine Maximen sehr praktisch, und ich zweifle nicht, daß der
Weg, den du mir vorgezeichnet hast, wirklich zu einer Glückseligkeit
führe, deren Vorzüge vor der meinigen du in ein so
helles Licht gesetzt hast. Demungeachtet empfinde ich nicht die
mindeste Lust so glücklich zu seyn; und wenn ich mich anders
recht kenne, so werde ich schwerlich eher ein Sophist werden,
bis du deine Tänzerinnen entlässest, dein Haus zu einem öffentlichen
Tempel der Diana widmest, und nach Indien ziehst,
ein Gymnosophist zu werden."Hippias lachte über diese Antwort, ohne daß sie ihm
desto besser gefiel. Und was hast du gegen mein System einzuwenden?
fragte er."Daß es mich nicht überzeugt," erwiederte Agathon.Und warum nicht?"Weil meine Erfahrungen und Empfindungen deinen
Schlüssen widersprechen."Ich möchte wohl wissen, was dieß für Erfahrungen und
Empfindungen sind, die demjenigen widersprechen, was alle
Welt erfährt und empfindet?"Du würdest mir beweisen, daß es Chimären sind."Und wenn ich es bewiesen hätte?"So würdest du es nur dir bewiesen haben; du würdest
nichts damit beweisen, als daß du nicht Kallias bist."Aber die Frage ist, ob Hippias oder Kallias richtig denkt?"Wer soll Richter seyn?"Das ganze menschliche Geschlecht."Was würde das wider mich beweisen?"Sehr viel. Wenn zehn Millionen Menschen urtheilen,
daß zwei oder drei aus ihrem Mittel Narren sind, so sind sie
es; dieß ist unläugbar."Aber wie, wenn die zehn Millionen, deren Ausspruch
dir so entscheidend vorkommt, Millionen Thoren wären, und
die drei wären die Klugen?"Wie müßte dieß zugehen?"Können nicht zehn Millionen die Pest haben, und Sokrates
allein gesund bleiben?"Diese Instanz beweist nichts für dich. Ein Volk hat nicht
immer die Pest; allein die zehn Millionen denken immer so wie
ich. Sie sind in ihrem natürlichen Zustande, wenn sie so denken;
und wer anders denkt, gehört also entweder zu einer
andern Gattung von Wesen, oder zu den Wesen, die man
Thoren nennt."So ergeb' ich mich in mein Schicksal."Es gibt noch eine Alternative, junger Mensch. Du schämest
dich entweder, deine Gedanken so schnell zu verändern, oder
du bist ein Heuchler."Keines von beiden, Hippias."Läugne mir, zum Exempel, wenn du kannst, daß dir die
schöne Cyane, die uns beim Frühstück bediente, Begierden
eingeflößt hat, und daß du verstohlne Blicke —"Ich läugne nichts."So gestehe, daß das Anschauen dieser runden schneeweißen
Arme, dieses aus der flatternden Seide hervor athmenden
Busens, die Begierde in dir erregte, ihrer zu genießen."Ist das Anschauen kein Genuß?"Keine Ausflüchte, junger Mensch!"Du betrügst dich, Hippias, wenn es erlaubt ist einem
Weisen das zu sagen; ich bedarf keiner Ausflüchte. Ich
mache nur einen Unterschied zwischen einem mechanischen Triebe,
der nicht gänzlich von mir abhängt, und dem Willen meiner
Seele. Ich habe den Willen nicht gehabt, dessen du mich
beschuldigest."Ich beschuldige dich nichts. als daß du meiner spottest.
Ich denke, daß ich die Natur kennen sollte. Die Schwärmerei
kann in deinen Jahren keine so unheilbare Krankheit seyn,
daß sie wider die Reizungen des Vergnügens sollte aushalten
können."Deßwegen vermeide ich die Gelegenheiten."Du gestehest also, daß Cyane reizend is?"Sehr reizend."Und daß ihr Genuß ein Vergnügen wäre?"Vermuthlich."Warum quälest du dich denn, dir ein Vergnügen zu versagen,
das in deiner Gewalt ist?"Weil ich mich dadurch vieler andrer Freuden berauben
würde, die ich höher schätze."Kann man in deinem Alter so sehr ein Neuling seyn?
Was für ein Vergnügen, das allen übrigen Menschen unbekannt
ist, hat die Natur für dich allein aufbehalten? Wenn
du noch größere kennest, als dieses — Doch, ich merke dich.
Du wirst mir wieder von der Wonne der Geister, von Nektar
und Ambrosia sprechen; aber wir spielen itzt keine Komödie,
mein Freund."Hippias, ich rede wie ich denke. Ich kenne Vergnügungen,
die ich höher schätze als diejenigen, die der Mensch
mit den Thieren gemein hat."Zum Exempel?"Das Vergnügen eine gute Handlung zu thun."Was nennest du eine gute Handlung?"Eine Handlung wodurch ich, mit einiger Anstrengung
meiner Kräfte oder Aufopferung eines Vortheils oder Vergnügens,
andrer Bestes befördere."Du bist also thöricht genug, zu glauben, daß du andern
mehr schuldig seyst als dir selbst?"Das nicht; sondern ich glaube vernünftig zu handeln,
wenn ich ein geringeres Gut dem größern aufopfere, welches
ich genieße wenn ich das Glück meiner Nebengeschöpfe befördern
kann."Du bist sehr dienstfertig. Gesetzt aber es sey so, wie
hängt dieß mit demjenigen zusammen, wovon itzt die Rede ist?"Dieß ist leicht zu sehen. Gesetzt, ich überließe mich den
Eindrücken, welche die Reizungen der schönen Cyane auf mich
machen könnten, und sie gewährte mir alles — was ein
Geschöpf wie sie gewähren kann. Eine Verbindung von dieser
Art könnte wohl von keiner langen Dauer seyn. Aber würden
die Erinnerungen der genossenen Freuden nicht die Begierden
erwecken, sie wieder zu genießen?"Eine neue Cyane —"Würde mir wieder gleichgültig werden, und eben diese
Begierden zurücklassen."Eine immerwährende Abwechslung ist also hierin, wie du
siehst, das Gesetz der Natur."Aber auf diese Art würde ich's gar bald so weit bringen,
keiner Begierde widerstehen zu können."Wozu brauchst du zu widerstehen, so lange deine Begierden
in den Schranken der Natur und der Mäßigung
bleiben?"Wie aber, wenn endlich das Weib meines Freundes,
oder welche es sonst wäre, die der ehrwürdige Name einer
Mutter gegen den bloßen Gedanken eines unkeuschen Anfalls
sicher stellen soll; oder wie, wenn die unschuldige Jugend einer
Tochter, die vielleicht keine andre Mitgift als ihre Unschuld
und Schönheit hat, der Gegenstand dieser Begierden würde,
über die ich durch so vieles Nachgeben alle Gewalt verloren
hätte?"So hättest du dich, in Griechenland wenigstens, vor den
Gesetzen vorzusehen. Allein was müßte das für ein Gehirn
seyn, das in solchen Umständen kein Mittel ausfindig machen
könnte, seine Leidenschaft zu vergnügen, ohne sich mit den
Gesetzen abzuwerfen? Ich sehe, du kennest die Schönen zu
Athen und Sparta nicht."O was dieß betrifft, ich kenne sogar die Priesterinnen zu
Delphi. Aber ist's möglich, daß du im Ernste gesprochen
hast?"Ich habe nach meinen Grundsätzen gesprochen. Die Gesetze
haben in gewissen Staaten (denn es gibt einige, wo
sie mehr Nachsicht tragen) für nöthig gefunden, unser natürliches
Recht an eine jede, die unsere Begierden erregt, einzuschränken.
Allein da dieß nur geschah, um gewisse Ungelegenheiten
zu verhindern, die aus dem ungescheuten Gebrauch jenes
Rechts in solchen Staaten zu besorgen wären: so siehst du, daß
der Geist und die Absicht des Gesetzes nicht verletzt wird, wenn
man vorsichtig genug ist, zu den Ausnahmen die man davon
macht, keine Zeugen zu nehmen."O Hippias!" rief Agathon hier aus, "ich habe dich, wohin
ich dich bringen wollte. Sieh einmal die Folgen deiner
selbstsüchtigen Grundsätze! Wenn alles an sich selbst recht ist,
was meine Begierden wollen; wenn die ausschweifenden Forderungen
der Leidenschaft, unter dem Namen des Nützlichen,
den sie nicht verdienen, die einzige Richtschnur unsrer Handlungen
sind; wenn den Gesetzen nur mit einer guten Art ausgewichen
werden muß, und im Dunkeln alles erlaubt ist;
wenn die Tugend und die Hoffnungen der Tugend nur Chimären
sind: was hindert die Kinder, sich, sobald es ihnen
nützlich ist und ungestraft geschehen kann, wider ihre Eltern
zu verschwören? Was hindert die Mutter, sich selbst und ihre
Tochter dem Meistbietenden Preis zu geben? Was hindert
mich, wenn ich dadurch gewinnen kann, den Dolch in die Brust
meines Freundes zu stoßen, die Tempel der Götter zu berauben,
mein Vaterland zu verrathen, oder mich an die
Spitze einer Räuberbande zu stellen, und (wenn ich Macht
genug dazu habe) ganze Länder zu verwüsten, ganze
Völker in ihrem Blute zu ertranken? Siehst du nicht,
daß deine Grundsätze (die du unverschämt Weisheit nennest
und durch eine künstliche Vermischung des Wahren und
Falschen scheinbar zu machen suchst), wenn sie allgemein würden,
die Menschen in weit ärgere Ungeheuer, als Hyänen,
Tiger und Krokodile, verwandeln würden? — Du spottest
der Religion und der Tugend? Wisse, nur den unauslöschlichen
Zügen, womit ihr Bild in unsre Seelen eingegraben ist,
nur dem geheimen und wunderbaren Reize, der uns zu Wahrheit,
Ordnung und Güte zieht, und den Gesetzen besser zu
statten kommt als alle Belohnungen und Strafen; nur diesem
ist es zuzuschreiben, daß es noch Menschen auf dem Erdboden
gibt, und daß unter diesen Menschen noch ein Schatten von
Sittlichkeit und Güte zu finden ist. Du erklärst die Ideen von
moralischer Vollkommenheit für Phantasien. Siehe mich hier,
Hippias, so wie ich hier bin, biete ich den Verführungen
aller deiner Cyanen, den scheinbarsten Ueberredungen deiner
egoistischen Weisheit, und allen Vortheilen die mir deine
Grundsätze und dein Beispiel versprechen, Trotz. Eine einzige
von jenen Phantasien ist hinreichend, die unwesentliche Zauberei
aller deiner Blendwerke zu zerstreuen. Nenne die Tugend
immerhin Schwärmerei; diese Schwärmerei macht mich
glücklich, und würde alle Menschen glücklich machen, würde
den ganzen Erdboden in ein Elysium verwandeln, wenn deine
Grundsätze und diejenigen welche sie ausüben, nicht, so weit
ihr ansteckendes Gift dringt, Elend und Verderbniß ausbreiteten."Agathon wurde ganz glühend, indem er dieß sagte; und
ein Maler, um den zürnenden Apollo zu malen, hätte sein
Gesicht in diesem Augenblick zum Urbild nehmen müssen. Der
weise Hippias hingegen erwiederte diesen Eifer mit einem
Lächeln, welches dem Momus selbst Ehre gemacht hätte, und
sagte, ohne seine Stimme zu verändern: Nunmehr glaube ich dich
zu kennen, Kallias, und du wirst von meinen Verführungen
weiter nichts zu besorgen haben. Die gesunde Vernunft ist
nicht für so warme Köpfe gemacht wie der deinige. Wie leicht,
wenn du mich zu verstehen fähig gewesen wärest, hättest du
dir den Einwurf selbst beantworten können, daß die Grundsätze
der Sophisten verderblich wären, wenn sie allgemein
würden! Die Natur hat schon dafür gesorgt, daß sie nicht
allgemein werden. — Doch ich würde mir selbst lächerlich
seyn, wenn ich deine begeisterte Apostrophe beantworten, oder
dir zeigen wollte, wie sehr auch der Affect der Tugend das
Gesicht verfälschen kann. Bleibe, wenn du kannst, immer
was du bist, Kallias! Fahre fort, dich um den Beifall der
Geister und die Gunst der ätherischen Schönen zu bewerben;
rüste dich, dem Ungemach, das dein Platonismus dir in dieser
Unterwelt zuziehen wird, großmüthig entgegen zu gehen, und
tröste dich, wenn du Leute siehst, die niedrig genug sind sich
an irdischen Glückseligkeiten zu weiden, mit dem frommen
Gedanken, daß sie in einem andern Leben, wo die Reihe
an dich kommt glücklich zu seyn, sich in den Flammen des
Phlegethon wälzen werden.Mit diesen Worten stand Hippias auf, warf einen verächtlich-mitleidigen
Blick auf Agathon, und wandte ihm den
Rücken zu, um ihm, mit einer unter seinesgleichen gewöhnlichen
Höflichkeit, zu verstehen zu geben, daß er sich zurück
ziehen könne.Zweites Capitel.Geheimer Anschlag gegen die Tugend unsers Helden.Vermuthlich wird es einige Leser dünken, Hippias habe in
seinem Discurs bei seinem schönen Sklaven einen größern
Mangel an Erfahrung und Kenntniß der Welt vorausgesetzt,
als er, nach allem was mit unserm Helden bereits vorgegangen
war, zu thun Ursache hatte. Wir müssen also zu
Entschuldigung dieses Weisen sagen, daß Agathon (aus Ursachen
die uns unbekannt geblieben sind) für gut befunden
hatte, aus dem glänzenden Theile seiner Begebenheiten und
sogar aus seinem Namen ein Geheimniß zu machen. Denn
dieser Name war durch die Rolle, die er zu Athen gespielt
hatte, in den Griechischen Städten allzu bekannt geworden,
als daß er es nicht auch dem Hippias hätte seyn sollen; wiewohl
dieser, seitdem er in Smyrna wohnte, sich wenig um die
Staatsangelegenheiten der Griechen bekümmerte, als welche er
in den Händen seiner Freunde und Schüler ganz wohl versorgt
glaubte. Da nun Agathon die Vorsicht gebraucht hatte, ihm
alles zu verbergen, was einigen Verdacht hätte erwecken können,
als ob er jemals etwas mehr als ein Aufwärter in dem
Tempel zu Delphi gewesen sey: so konnte ihn Hippias um so
mehr für einen gänzlichen Neuling in der Welt ansehen, als
weder die Denkungsart noch das Betragen dieses jungen
Mannes so beschaffen war, daß ein Kenner auf günstigere
Gedanken hätte gebracht werden sollen. Leute von seiner Art
können in der That zehn Jahre hinter einander in der großen
Welt gelebt haben, ohne daß sie dieses fremde und entlehnte
Ansehen verlieren, welches beim ersten Blicke verkündiget, daß
sie hier nicht einheimisch sind; geschweige, daß sie fähig wären,
sich jemals zu dieser edeln Freiheit von den Fesseln der gesunden
Vernunft, zu dieser weisen Gleichgültigkeit gegen alles was
schöne Seelen Gefühl nennen, und zu dieser verzärtelten
Feinheit des Geschmacks zu erheben, wodurch die Hippiasse sich
auf eine so vortheilhafte Art unterscheiden. Sie können freilich
auch Beobachtungen machen; allein, da ihnen natürlicher Weise
der sympathetische Instinct mangelt, mittelst dessen jene einander
so schnell und zuverlässig ausfindig machen; da sie von
allem auf eine andre Art gerührt werden, und sich mit aller
möglichen Anstrengung der Einbildungskraft doch niemals recht
an die Stelle eines Egoisten setzen können: so sind sie in einer
Welt, deren ansehnlichster Theil aus Menschen dieses Schlages
besteht, immer in einem unbekannten Lande, wo ihre Erkenntniß
bloß bei Muthmaßungen stehen bleibt, und ihre Erwartung
alle Augenblicke durch unbegreifliche Zufälle und unverhoffte
Erscheinungen betrogen wird.Mit allen seinen Vorzügen war Agathon gleichwohl ein
Mitglied dieser letztern Classe, und es ist also kein Wunder,
daß er, ungeachtet der tiefen Betrachtungen, die er über seine
Unterredung mit seinem Gebieter anstellte, sehr weit entfernt
war, die Gedanken zu errathen, womit der Sophist jetzt umging,
dessen Eitelkeit durch den schlechten Fortgang seines
Vorhabens und den Eigensinn dieses seltsamen Jünglings weit
mehr beleidiget war, als er sich hatte ansehen lassen. Agathon,
wenn er das wirklich wäre was er zu seyn schien, wäre (dachte
Hippias nicht ohne Grund) eine lebendige Widerlegung seines
Systems. "Wie?" sagte er zu sich selbst, "ich habe mehr als
vierzig Jahre in der Welt gelebt, und unter einer unendlichen
Menge von Menschen, von allen Ständen und Classen, nicht
einen einzigen angetroffen, der meine Begriffe von der menschlichen
Natur nicht bestätiget hätte, und dieser junge Mensch
sollte mich noch an die Tugend glauben lehren? Es kann
nicht seyn; er ist ein Phantast oder ein Heuchler. Was
er auch seyn mag, ich will es ausfindig machen. ——
Gut! Ein glücklicher Einfall! Ich will ihn auf eine Probe
stellen, wo er unterliegen muß, wenn er ein Schwärmer,
oder wo er die Maske ablegen wird, wenn er ein Komödiant
ist. Er hat gegen Cyanen ausgehalten; dieß hat ihn stolz und
sicher gemacht; aber es beweist noch nichts. Wir wollen ihn
auf eine stärkere Probe setzen! Wenn er auch in dieser den
Sieg erhält, so muß er — Nun ja, dann will ich, beim Hercules!
meine Nymphen entlassen, mein Haus den Priestern
der Cybele vermachen, und an den Ganges ziehen, um in der
Höhle eines alten Palmbaumes, mit geschlossenen Augen, und
den Kopf zwischen den Knieen, so lange sitzen zu bleiben, bis ich,
allen meinen Sinnen zu Trotz, mir einbilde daß ich nicht
mehr bin!"Dieß war ein hartes Gelübde! Auch hielt sich Hippias
sehr überzeugt, daß es so weit nicht kommen würde; und damit
er keine Zeit versäumen möchte, machte er noch an demselbigen
Tag Anstalt seinen Anschlag auszuführen.—————
Drittes Capitel.Hippias stattet einen Besuch bei einer Dame ab, die eine große Rolle
in dieser Geschichte spielen wird.Die Damen zu Smyrna hatten damals eine Gewohnheit,
welche ihrer Schönheit mehr Ehre machte als ihrer Sittsamkeit.
Sie pflegten sich in den warmen Monaten gemeiniglich alle
Nachmittage eines kühlenden Bades zu bedienen; und, um
keine lange Weile zu haben, nahmen sie um diese Zeit die
Besuche derjenigen Mannspersonen an, die das Recht eines
freien Zutritts in ihren Häusern hatten. Diese Gewohnheit
war in Smyrna eben so unanstößig, als es der Gebrauch bei
unsern westlichen Nachbarinnen ist, Mannspersonen bei der
Toilette um sich zu haben; auch kam diese Freiheit nur den
Freunden zu statten, und (den besondern Fall ausgenommen,
wenn die hartnäckige Blödigkeit eines noch unerfahrnen Neulings
einiger Aufmunterung nöthig hatte) waren die Liebhaber
gänzlich davon ausgeschlossen.Unter einer ziemlichen Anzahl von Schönen, bei denen der
weise Hippias dieses Vorrecht genoß, war auch eine, welche
unter dem Namen Danae den ersten Rang in derjenigen
Classe von Frauenzimmern einnahm, die man bei den Griechen
Gesellschafterinnen zu nennen pflegte. Diese waren damals
unter ihrem Geschlechte, was die Sophisten unter dem männlichen;
sie standen auch in keiner geringern Achtung, und
konnten sich rühmen, daß die vollkommensten Modelle aller
Vorzüge ihres Geschlechts, wenn man die strenge Tugend
ausnimmt, die Thargelien, die Aspasien, die Leontion, sich
kein Bedenken machten von ihrem Orden zu seyn. Was unsre
Danae betrifft, so machten die Mannspersonen zu Smyrna
kein Geheimniß daraus, daß sie an Schönheit und Artigkeit
alle andern Frauenzimmer, galante und spröde, tugendhafte
und andächtige, übertreffe. Es ist wahr, die Geschichte meldet
nicht, daß die Damen sich sehr beeifert hätten, das Urtheil der
Mannspersonen durch einen öffentlichen Beitritt zu bestätigen;
allein so viel ist gewiß, daß keine unter ihnen war, die sich
selbst nicht gestanden hätte, daß, eine einzige Person ausgenommen,
welche man niemals öffentlich nennen wollte, die
schöne Danae alle übrigen eben so weit übertreffe, als sie von
dieser einzigen Ungenannten übertroffen werde. In der That
war ihr Ruhm von dieser Seite so festgesetzt, daß man das
Gerüchte nicht unwahrscheinlich fand, welches versicherte, sie
habe in ihrer ersten Jugend den berühmtesten Malern zum
Modell gedient, und bei einer solchen Gelegenheit den Namen
erhalten, unter welchem sie in Ionien berühmt war. Jetzt
hatte sie zwar das dreißigste Jahr schon zurückgelegt, allein
ihre Schönheit schien dadurch mehr gewonnen als verloren zu
haben; denn der blendende Jugendglanz, der mit dem Mai
des Lebens zu verschwinden pflegt, wurde durch tausend andre
Reizungen ersetzt, welche ihr (nach dem Urtheile der Kenner)
eine Anziehungskraft gaben, die man, ohne sich eines schwülstigen
Ausdrucks schuldig zu machen, in gewissen Umständen
für unwiderstehlich halten konnte. Demungeachtet scheute sich,
unter der Aegide der Gleichgültigkeit, worin ihn damals
ordentlicher Weise auch die schönsten Figuren zu lassen pflegten,
der weise Hippias nicht, seine Tugend öfters dieser Gefahr
auszusetzen. Er war der schönen Danae unter dem Titel eines
Freundes vorzüglich angenehm; die geheime Geschichte sagt
sogar, daß sie ihn ehmals nicht unwürdig gefunden habe, ihm
eine noch interessantere Stelle bei ihrer Person anzuvertrauen;
eine Stelle, die nur von den Liebenswürdigsten seines Geschlechts
bekleidet zu werden pflegte. Diese Dame war es,
deren Beihülfe Hippias sich zu Ausführung seines Anschlags
wider unsern Helden bedienen wollte, dessen schwärmerische
Tugend, seinen Gedanken nach, eine Beschimpfung seiner
Grundsätze war, die er viel weniger leiden konnte, als die
allerscharfsinnigste Widerlegung in forma.Er begab sich also zu der gewöhnlichen Stunde zu ihr,
und war kaum in den Saal getreten, wo sie in den Bedürfnissen
des Bades von zwei jungen Knaben, welche ein paar
Liebesgötter zu seyn schienen, bedient wurde, als sie schon in
seinem Gesichte etwas bemerkte, das mit seiner gewöhnlichen
Heiterkeit einen Abstich machte. "Was hast du, Hippias,
sagte sie zu ihm, daß du eine so tiefsinnige Miene mitbringst?"Ich weiß nicht, antwortete er, warum ich tiefsinnig aussehen
sollte, wenn ich eine Dame im Bade besuche; aber dieß
weiß ich, daß ich dich noch nie so schön gesehen habe, als diesen
Augenblick."Gut, sagte sie, dieß bekräftiget meine Bemerkung. Ich
bin gewiß, daß ich heute nicht besser aussehe, als das letzte Mal
da du mich sahest; aber deine Phantasie ist höher gestimmt als gewöhnlich,
und du schreibst den Einfluß, den sie auf deine Augen
hat, großmüthig auf die Rechnung des Gegenstandes, den du vor
dir siehst. Ich wollte wetten, die häßlichste meiner Kammermädchen
würde dir in diesem Augenblick eine Grazie scheinen."Ich habe, versetzte Hippias, keine Ansprüche an eine lebhaftere
Einbildungskraft zu machen als Zeuxis und Polygnotus, die
sich nichts Vollkommneres zu erfinden getrauten als Danae.
Welche schöne Gelegenheit zu einer neuen Verwandlung, wenn
ich Jupiter wäre!"Und was für eine Gestalt wolltest du annehmen, um zu
gleicher Zeit meine Sprödigkeit und die Wachsamkeit deiner
Juno zu hintergehen? Denn unter allen geflügelten, vierfüßigen
und kriechenden Thieren ist wohl keines, das nicht bereits
einem Unsterblichen hätte dienen müssen, irgend ein
ehrliches Mädchen zu beschleichen."Ich würde mich nicht lange besinnen; was für eine Gestalt
könnte ich annehmen, die dir angenehmer und mir zu meiner
Absicht bequemer wäre, als dieses Sperlings, der deine Liebhaber
so oft zu gerechter Eifersucht reizt; der, durch die zärtlichsten
Namen aufgemuntert, mit solcher Freiheit um deinen
Nacken flattert, mit muthwilligem Schnabel den schönsten
Busen neckt, und die Liebkosungen allezeit doppelt wieder
empfängt, die er dir gemacht hat?"Es ist dir leichter, wie es scheint, versetzte Danae, einen
Sperling an deine Stelle, als dich an die Stelle eines Sperlings
zu setzen; bald könntest du mir die Schmeicheleien meines
kleinen Lieblings verdächtig machen. Aber genug von den
Wundern, die du meiner Schönheit zutrauest; laß uns von
was anderm reden. Weißt du, daß ich meinem Liebhaber
den Abschied gegeben habe?"
Dem schönen Hyacinthus?"Ihm selbst, und, was noch mehr ist, mit dem festen
Entschluß, seine Stelle nimmer zu ersetzen."
Eine tragische Entschließung, schöne Danae!"Nicht so sehr als du denkest. Ich versichre dich, Hippias,
meine Geduld reicht nicht mehr zu, alle Thorheiten dieser abgeschmackten
Gecken auszustehen, welche die Sprache der
Empfindung reden wollen, und nichts fühlen; deren Herz nicht
so viel, als eine Nadelritze beträgt, verwundet ist, ob sie gleich
von Martern und Flammen reden; die unfähig sind etwas
anders zu lieben als sich selbst, und meine Augen nur als
einen Spiegel gebrauchen, worin sie die Wichtigkeit ihrer
kleinen unverschämten Figur bewundern. Kaum vermeinen sie
ein Recht an unsre Gütigkeit zu haben, so glauben sie uns
noch viel Ehre zu erweisen, wenn sie unsere Liebkosungen mit
einer zerstreuten Miene dulden. Jeder Blick, den sie auf uns
werfen, sagt uns, daß wir ihnen nur zum Spielzeuge dienen,
und die Hälfte unserer Reizungen geht an ihnen verloren,
weil sie keine Seele haben, um die Schönheiten einer Seele
zu empfinden."Dein Unwille ist gerecht, versetzte der Sophist; es ist
verdrießlich, daß man diesen Mannsleuten nicht begreiflich
machen kann, daß die Seele das Liebenswürdigste an einer
Schönen ist. Aber beruhige dich! Nicht alle Männer denken
so unedel. Ich kenne einen, der dir gefallen würde, wenn du,
zur Abwechselung, einmal Lust hättest, es mit einem geistigen
Liebhaber zu versuchen."Und wer kann das seyn, wenn man fragen darf?"Es ist ein Jüngling, der dazu gemacht scheint deine Hyacinthen
zu demüthigen — schöner als Adonis."Fi, Hippias, das ist als ob du sagtest, süßer als Honigseim.
Du begreifst nicht, wie sehr mir vor diesen schönen
Herren ekelt."O dieß hat nichts zu bedeuten; ich stehe dir für diesen.
Er hat keinen von den Fehlern der Narcissen, die dir so ärgerlich
sind. Kaum scheint er es zu wissen, daß er einen Leib
hat. Es ist ein Mensch, wie man nicht viele sieht: schön wie
ein Apollo, aber geistig wie ein Zephpr; ein Mensch der lauter
Seele ist; der dich selbst, wie du hier bist, für eine bloße
Seele ansehen würde, und alles auf eine geistige Art thut,
was wir andern körperlich thun. Du verstehst mich doch, schöne
Danae?"Nicht allzu wohl; aber deine Beschreibung gefällt mir
nichtsdestoweniger. Sprichst du im Ernste?"Im ganzen Ernste! Wenn du Lust haben solltest die metaphysische
Liebe zu kosten, so habe ich deinen Mann gefunden.
Er ist Platonischer als Plato selbst! — Und ich denke doch, du
könntest uns geheime Nachrichten von diesem berühmten Weisen
geben."Ich erinnere mich, antwortete Danae lächelnd, daß er
einmal mit einer meiner Freundinnen eine kleine Zerstreuung
gehabt hat, die du ihm nicht übel nehmen mußt. Wo ist ein
Geist, dem ein artiges Mädchen von achtzehn Jahren nicht einen
Körper geben könnte?"Das sagst du bloß, weil du meinen Mann noch nicht
kennst; die Göttin von Paphos, ja du selbst würdest es bei
ihm so weit nicht bringen. Du kannst ihn Tag und Nacht um
dich haben. Du kannst ihn auf alle Proben stellen; du kannst
ihn — bei dir schlafen lassen, Danae, ohne daß er dir Gelegenheit
geben wird, nur die mindeste kleine Ausrufung anzubringen.
Kurz, bei ihm kann deine Tugend ganz ruhig einschlummern,
ohne jemals in Gefahr zu kommen, aufgeweckt zu
werden."Ach! nun verstehe ich dich; es verlohnte sich auch wohl
der Mühe, den Scherz so weit zu treiben! Ich verlange keinen
Liebhaber, der sich nur darum an meine Seele hält, weil
ihm das Uebrige zu nichts nütze ist."Auch ist derjenige, den ich dir anpreise, weit entfernt in
diese Classe zu gehören: mache dir darüber keinen Kummer.
Was du für die Folgen einer physischen Ursache hältst, ist bei
ihm die Wirkung der Tugend, der erhabnen Philosophie, von
der er Profession macht."Den Mann möcht' ich wohl sehen! — Aber weißt du
auch, Hippias, daß meine Eitelkeit nicht zufrieden wäre, auf
eine so kaltsinnige Art geliebt zu werden? Es ist wahr, ich
bin dieser mechanischen Liebhaber von Herzen überdrüssig; aber
ich würde doch auch nicht ganz mit einem andern zufrieden
seyn, der gegen dasjenige gänzlich ohne Empfindung wäre, wofür
jene allein empfindlich sind. Ein Frauenzimmer findet allezeit
ein Vergnügen darin, Begierden einzuflößen, auch wenn
sie nicht gesonnen ist, sich zu vergnügen. Die Spröden selbst
sind von dieser Schwachheit nicht ausgenommen. Wozu brauchen
wir von einem Liebhaber zu hören, daß wir reizend sind?
Wir wollen es aus den Wirkungen sehen, die wir auf ihn
machen. Je weiser er ist, desto schmeichelnder ist es für unsre
Eitelkeit, wenn wir ihn aus seiner Fassung setzen können.
Nein, du begreifst nicht, wie sehr das Vergnügen, alle die
Thorheiten zu sehen, wozu wir diese Herren der Schöpfung
bringen können, alles andre übertrifft, das sie uns zu geben
fähig sind. Ein Philosoph, der zu meinen Füßen wie eine
Turteltaube girret, der mir zu gefallen seine Haare und seinen
Bart kräuseln läßt, der alle Wohlgerüche von Arabien und Indien
um sich duftet, und, um sich bei mir einzuschmeicheln,
meinem Schoßhund liebkoset und Oden auf meinen Sperling
macht, —ah! Hippias, man muß ein Frauenzimmer seyn, um
zu begreifen was dieß für ein Vergnügen ist!"So bedaure ich dich, daß du diesem Vergnügen bei dem
Virtuosen, von dem ich spreche, entsagen mußt. Er hat seine
Proben schon gemacht. Er ist zärtlich wie ein Knabe von sechzehn
Jahren, aber, wie gesagt, nur für die Seelen der Schönen;
alles Uebrige macht keinen größern Eindruck auf ihn als
auf eine Bildsäule."Das wollen wir sehen, Hippias! Ich verlange schlechterdings,
daß du ihn diesen Abend zu mir bringest. Du wirst
nur eine kleine Gesellschaft finden, die uns nicht stören soll. —
Aber wer ist denn dieser Ungenannte, von dem wir schon so
lange schwatzen?"Es ist ein Sklave, den ich vor etlichen Wochen von einem
Cilicier gekauft habe, aber ein Sklave, wie man sonst nirgends
sieht; zu Delphi im Tempel des Apollo erzogen; vermuthlich
hat er sein Daseyn der antiplatonischen Liebe dieses Gottes,
oder eines von seinen Vertretern, zu irgend einer hübschen
Schäferin zu danken, die sich zu tief in seinen Lorderhain
wagte. Er ist in der Folge nach Athen gekommen, und die
schönen Reden des Plato haben die romanhafte Erziehung vollendet,
die er in den geheiligten Hainen von Delphi erhielt.
Er gerieth durch einen Zufall in die Hände Cilicischer Seeräuber,
und aus diesen in die meinigen. Er nannte sich
Pythokles; aber weil ich diese Art von Namen nicht leiden
kann, so hieß ich ihn Kallias; und er verdient so zu heißen,
denn er ist der schönste Mensch, den ich jemals gesehen habe.
Seine übrigen Gaben bestätigen die gute Meinung, die sein
Anblick von ihm erweckt. Er hat Witz, Geschmack, Kenntnisse;
er ist ein Liebhaber und selbst ein Günstling der Musen; aber
mit allen diesen Vorzügen scheint er doch nichts weiter als ein
wunderlicher Kopf, ein Schwärmer und ein unbrauchbarer
Mensch zu seyn. Er nennt seinen Eigensinn Tugend, weil er
sich einbildet, die Tugend müsse die Gegenfüßlerin der Natur
seyn; er hält die Ausschweifungen seiner Phantasie für Vernunft,
weil er sie in einen gewissen Zusammenhang gebracht
hat; und sich selbst für weise, weil er auf eine methodische
Art raset. Er gefiel mir beim ersten Anblick; ich faßte den
Entschluß, etwas aus dem jungen Menschen zu machen; aber
alle meine Mühe war umsonst. Wenn es möglich ist, daß er
durch jemand zurecht gebracht werde, so muß es durch ein
Frauenzimmer geschehen; denn ich glaube bemerkt zu haben,
daß man nur durch sein Herz in seinen Kopf kommen kann.
Die Unternehmung wäre deiner würdig, schöne Danae. Wenn
sie dir nicht gelingt, so ist er unverbesserlich, und verdient
daß man ihn seiner Thorheit und seinem Schicksal überlasse."Du hast meinen ganzen Ehrgeiz rege gemacht, Hippias,
versetzte die schöne Danae. Bring' ihn diesen Abend mit; ich
will ihn sehen; und wenn er nicht aus andern Elementen zusammengesetzt
ist als die übrigen Erdensöhne, so wollen wir
eine Probe machen, ob Danae ihrer Lehrmeisterin würdig ist."Hippias war sehr erfreut, den Zweck seines Besuchs so
glücklich erreicht zu haben, und versprach beim Abschied, zur
bestimmten Zeit diesen wunderbaren Jüngling aufzuführen, an
welchem die schöne Danae so begierig war die Macht ihrer
Reizungen zu versuchen.—————
Viertes Capitel.Einige Nachrichten von der schönen Danae.Die Schöne, mit welcher wir die Leser im vorigen Capitel
bekannt gemacht haben, hat sie vermuthlich eben so geneigt gemacht,
eine nähere Nachricht von dem Charakter und der Geschichte
derselben zu erwarten, als wir es sind, ihrem Verlangen
ein Genüge zu thun. Gleichwohl ist dasjenige, was man
damals zu Smyrna von ihr wußte, oder doch öffentlich von ihr
sagte, alles was wir dem Leser vor der Hand mittheilen können;
bis sich vielleicht in der Folge Gelegenheit zeigt, genauere
und getreuere Nachrichten aus ihrem eigenen Munde
zu erhalten.Die allgemeine Meinung zu Smyrna war, daß sie eine
Tochter der berühmten Aspasia von Milet sey. Diese Aspasia
hatte schon in ihrer Vaterstadt die Kunst der Galanterie, oder
der weiblichen Sophistik (wie man sie auch nennen könnte), durch
die Verbindung derselben mit den Künsten der Musen, zu
einem so hohen Grade der Vollkommenheit erhoben, daß sie
mit Recht als die wahre Erfinderin derselben anzusehen ist.
Milet schien ihr endlich ein zu kleiner Schauplatz. Sie zog
nach Athen, und bediente sich daselbst ihrer seltnen Vorzüge
auf eine so kluge Art, daß sie zuletzt die unumschränkte Beherrscherin
des großen Perikles, der in gewissem Sinne das
ganze Griechenland beherrschte, oder wie die komischen Dichter
seiner Zeit sich ausdrückten, die Juno dieses Athenischen Jupiters
wurde.Unstreitig konnte man der schönen Danae keine Abkunft
geben, welche einer Person von ihrer Classe mehr Ehre gemacht
hätte. Allein die Vermuthungen, worauf sich diese Meinung
gründete, sind nicht hinlänglich, ihr eignes Geständniß zu
überwiegen, vermöge dessen sie aus der Insel Skios gebürtig,
und nach dem Tod ihrer Eltern, in ihrem vierzehnten Jahre
mit einem Bruder nach Athen gekommen war, um in dieser
Stadt, worin alle angenehmen Talente Aufmunterung fanden,
die ihrigen gelten zu machen. Die Kunst, welche sie hier trieb,
war eine Art von pantomimischen Tänzen, wozu gemeiniglich
nur eine oder zwei Personen erfordert wurden, und worin
die tanzende Person, nach der Modulation einer Flöte oder
Leyer, gewisse Stücke aus der Götter- und Heldengeschichte der
Griechen durch Geberden und Bewegungen vorstellte. Allein,
da diese Kunst, wegen der Menge derer die sie trieben, nicht
zureichte sie anständig zu unterhalten, so sah sich die junge
Schöne genöthigt, den Künstlern zu Athen die Dienste eines
Modells zu thun. Außer dem Nutzen, den sie davon zog, erhielt
sie dadurch die schmeichelhafte Ehre, bald als Danae oder
Leda die Bewunderung der Kenner, bald als Diane oder Venus
die Anbetung des Pöbels zu erhalten.Bei einer solchen Gelegenheit begab es sich, daß sie von
dem jungen Alcibiades überraschen, und in der Stellung der
Danae allzu reizend befunden wurde, als daß einem geringern
wie Alcibiades auch nur der Anblick so vieler Schönheiten erlaubt
seyn sollte. Wie leicht zu erachten ist, hatte dieser liebenswürdige
Verführer, dem seine Gestalt, seine Manieren, sein
Stand und sein Reichthum das Wort redeten, wenig Mühe,
ein Mädchen dieser Gattung zu überreden, sich in seinen Schutz
zu begeben. Er brachte sie in das Haus der Aspasia, welches
zu gleicher Zeit eine Akademie der schönsten Geister von Athen,
und eine Art von Frauenzimmerschule war, worin junge Mädchen
von den vorzüglichsten Gaben, unter Aufsicht einer so
vollkommnen Meisterin, eine Erziehung erhielten, welche sie
zu der Bestimmung geschickt machen sollte, die Großen und die
Weisen der Republik in ihren Ruhestunden zu ergötzen. Danae
machte sich diese Gelegenheit so wohl zu Nutze, daß sie die
Gunst, und endlich selbst die Vertraulichkeit der Aspasia erhielt,
welche, weit über die Niederträchtigkeit gemeiner Seelen erhaben,
sich mit so vielem Vergnügen in dieser jungen Person
wieder hervorgebracht sah, daß sie dadurch zu der Vermuthung
Anlaß gab, deren wir bereits Erwähnung gethan haben. Inzwischen
genoß Alcibiades allein der Früchte einer Erziehung,
wodurch die natürlichen Gaben seiner jungen Freundin zu einer
Vollkommenheit entwickelt wurden, die ihr den Namen der
zweiten Aspasia erwarb; und die schöne Danae legte sich selbst
die Pflicht auf, eine Treue gegen ihn zu beobachten, welche er
nicht zu erwiedern nöthig fand. Da die Liebe zur Veränderung
eine stärkere Leidenschaft bei ihm war, als die Liebe die
ihm irgend eine Sterbliche einflößen konnte: so mußte auch
Danae, nachdem sie sich eine geraume Zeit in dem ersten
Platze bei ihm erhalten hatte, einer andern weichen, die keinen
Vorzug vor ihr hatte, als daß sie ihm neu war. So schwach
Danae von einer gewissen Seite seyn mochte, so edel war ihr
Herz in andern Stücken. Sie liebte den Alcibiades, weil sie
von seiner Person und von seinen Eigenschaften bezaubert war,
und dachte wenig daran, von seinen Reichthümern Vortheil zu
ziehen. Sie würde also nichts von ihm übrig behalten haben,
als das Andenken, von dem liebenswürdigsten Mann ihrer
Zeit geliebt worden zu seyn, wenn er nicht eben so stolz und
freigebig, als sie (wider die Gewohnheit ihrer Gespielen) uneigennützig
war, gewesen wäre, und ihr eine Summe aufgedrungen
hätte, welche mehr als hinlänglich war, sie, wie er
sagte, vor der Erniedrigung zu sichern, dem Reichsten überlassen
zu müssen, was nur dem Liebenswürdigsten gehörte.Nach Aspasiens Tode fand sie Gelegenheit dem jüngern
Cyrus bekannt zu werden, dessen glänzende Eigenschaften durch
die Feder Xenophons eben so bekannt geworden sind, als der
unglückliche Ausgang der Unternehmung, wodurch er seinen
Bruder Artaxerxes (Mnemon) von dem Throne des großen
Cyrus zu verdrängen hoffte. Ihr erster Anblick unterwarf ihr
das Herz eines Prinzen, der desto empfindlicher gegen diejenige
Art von Reizungen war, wodurch sich die Schülerinnen
der Aspasia unterschieden, je seltener sie unter den lebenden
Statuen anzutreffen sind, welche in Persien dem Vergnügen
der Großen gewidmet werden, und in der That zu dem einzigen
Gebrauche, den ihre Gebieter von ihnen zu machen
wissen, wenig Seele nöthig haben. Danae begleitete diesen
Prinzen auf seinem Feldzuge gegen den großen König, und,
nach dem unglücklichen Ausgange desselben, erwählte sie Smyrna
zu ihrem beständigen Aufenthalte; durch die großmüthige Freigebigkeit
des Cyrus, der sich hierin von keinem Bürger von
Athen übertreffen lassen wollte, in den Stand gesetzt, ihre
einzige Sorge seyn zu lassen, wie sie auf die angenehmste Art
leben wollte. Sie bediente sich dieses Glücks, wie es der
Name der zweiten Aspasia erforderte. Ihre Wohnung schien
ein Tempel der Musen und Grazien zu seyn, und wenn
Amor von einer so reizenden Gesellschaft nicht ausgeschlossen
blieb, so war es jener Amor, den die Musen beim Anakreon
mit Blumenkränzen binden, und der sich in dieser Gefangenschaft
so wohl gefällt, daß Venus ihn vergeblich bereden will,
sich in seine vorige Freiheit setzen zu lassen. Die Spiele, die
Scherze und die Freuden (wenn es uns erlaubt ist, die Sprache
Homers zu gebrauchen wo die gewöhnliche zu matt scheint)
schlossen mit den lächelnden Stunden einen unauflöslichen
Reihentanz um sie her, und Schwermuth, Ueberdruß und
Langeweile waren, mit allen andern Feinden der Ruhe und
des Vergnügens, gänzlich aus diesem Wohnsitze der Freude
verbannt.Wir haben, däucht uns, schon mehr als genug gesagt, um
unsere Leser in keine mittelmäßige Sorge für die Tugend unsers
Helden zu setzen. In der That hatte er sich noch niemals in
Umständen befunden, die uns weniger hoffen lassen, daß sie
sich werde erhalten können. Die Gefahr, worin sie bei der
üppigen Pythia, unter den rasenden Bacchantinnen, und in
dem Hause des weisen Hippias, welches dem Stalle der Circe
so ähnlich sah, geschwebt hatte, kommt in gar keine Betrachtung
gegen diejenige, die ihr bevorsteht, und deren wir ihn
gern überhoben hätten, wenn die Pflichten des Geschichtschreibers
erlaubten, einer freundschaftlichen Parteilichkeit zum
Nachtheile der Wahrheit Gehör zu geben.—————
Fünftes Capitel.Wie gefährlich eine verschönernde Einbildungskraft ist.Wenn eine lebhafte Einbildungskraft ihrem Besitzer eine
unendliche Menge von Vergnügungen gewährt, die den übrigen
Sterblichen versagt sind; wenn ihr zauberischer Einfluß
alles Schöne in seinen Augen verschönert, und ihn da in Entzückung
setzt, wo andre kaum empfinden; wenn sie in glücklichen
Stunden ihm diese Welt zu einem Paradiese macht, und
in traurigen seine Seele von der Scene seines Kummers hinweg
zieht, und in bessere Welten versetzt, welche durch die
vergrößernden Schatten einer vollkommnen Wonne seinen
Schmerz bezaubern: so müssen wir auf der andern Seite gestehen,
daß sie nicht weniger eine Quelle von Irrthümern,
Ausschweifungen und Qualen für ihn ist, wovon er, selbst
mit Hülfe der Weisheit und mit der feurigsten Liebe zur Tugend,
sich nicht eher los machen kann, bis er (auf welche Art
es nun seyn mag) dazu gekommen ist, die allzu große Lebhaftigkeit
derselben zu mäßigen.Der weise Hippias hatte unserm Helden sehr wenig Unrecht
gethan, als er ihm eine Einbildungskraft von dieser
Art zuschrieb; und die schlaue Danae machte sich aus der Beschreibung
des Hippias eine sehr richtige Vorstellung von
ihm, da sie alles gewonnen zu haben glaubte, wenn sie nur
seine Einbildungskraft auf ihre Seite gebracht haben würde.
Hippias, dachte sie, hatte nur darin gefehlt, daß er ihn
durch die Sinne verführen wollte. Auf diese Voraussetzung
gründete sie einen Plan, zu dessen Erfolg sie sich selbst zum
voraus Glück wünschte, und dachte eben so wenig daran, daß
die Ausführung sie ihr eignes Herz kosten könnte, als Agathon
sich von der Gefahr träumen ließ, die dem seinigen zubereitet
wurde.Die Stunde, welche sie dem Sophisten anberaumt hatte,
war nun gekommen, und Agathon begleitete seinen Herrn,
ohne zu wissen wohin. Sie traten in einen Palast, der auf
einer doppelten Reihe von Ionischen Säulen ruhte, und mit
vielen vergoldeten Bildsäulen ausgeziert war. Das Inwendige
stimmte vollkommen mit der Pracht des äußerlichen Anblicks
überein. Allenthalben begegnete ihnen das geschäftige Gewimmel
von unzähligen Sklaven und Sklavinnen, wovon die erstern
alle unter dem vierzehnten Jahre, und, so wie die letztern,
von außerordentlicher Schönheit waren. Ihre Kleidung
stellte dem Aug' eine angenehme Verbindung der Einförmigkeit
mit der Abwechslung dar; einige waren weiß, andre himmelblau,
andre rosenfarb, andre grün gekleidet, und jede
Farbe schien eine besondre Classe zu bezeichnen, welcher ihre
eignen Dienste angewiesen waren.Agathon, auf den alles Schöne lebhaftere Eindrücke zu
machen pflegte, als vonnöthen war, um nach dem Maßstabe
der Moralisten genug zu seyn, wurde durch alles was er sah,
so sehr bezaubert, daß er sich in eine von seinen idealischen
Welten versetzt glaubte. Er hatte noch nicht Zeit gehabt wieder
zu sich selbst zu kommen, als ihn Hippias in einen großen,
hell erleuchteten Saal führte, worin die Gesellschaft versammelt
war, welche sie vermehren sollten. Kaum hatte er einen
Blick auf sie geworfen, als die schöne Danae ihm mit einer
ihr eigenen Anmuth entgegen kam, ihm zu sagen, daß ein
Freund des Hippias das Recht habe, sich in ihrem Hause und
in dieser Gesellschaft als einheimisch anzusehen. Ein so verbindlicher
Willkommen verdiente wohl eine Antwort in gleichem
Tone; allein Agathon war in diesem Augenblick außer Stande
höflich zu seyn. Ein Blick, womit man den äußersten Grad
des angenehmsten Erstaunens malen müßte, war alles, was
er auf diese Anrede zu erwiedern wußte.Die Gesellschaft war aus lauter solchen Personen zusammen
gesetzt, welche die Vorrechte des vertrautesten Umgangs
in diesem Hause genossen, und die Attische Urbanität (die von
der steifen und ceremonienreichen Höflichkeit der heutigen Europäer
merklich abstach) in eben so hohem Grade als Danae
selbst, besaßen. In einer Gesellschaft nach der heutigen Art
würde Agathon, in den ersten Augenblicken da er sich darstellte,
zu einer Menge kleiner boshafter Anmerkungen Stoff
gegeben haben; in dieser war ein flüchtiger Blick alles, was
er auszuhalten hatte. Die Unterredung wurde fortgesetzt; niemand
zischelte dem andern ins Ohr, oder schien das Erstaunen
zu bemerken, mit welchem seine Augen die schöne Danae
zu verschlingen schienen; kurz, man ließ ihm alle Zeit die er
brauchte um wieder zu sich selbst zu kommen; wofern sich anders
dieser Ausdruck für die Verfassung schickt, worin er sich
diesen ganzen Abend durch befand.Vielleicht erwartet man, daß wir eine nähere Erläuterung
über diesen außerordentlichen Eindruck geben sollen, welchen
Danae auf unsern allzu reizbaren Helden machte. Allein wir
sehen uns noch außer Stande, die Neugierde des Lesers über
einen Punkt zu befriedigen, wovon Agathon selbst nicht fähig
gewesen wäre Rechenschaft zu geben. Alles was wir davon
sagen können ist, daß diese Dame, dem Anschein nach, niemals
weniger erwarten konnte, eine solche Wirkung zu machen; so
wenig Mühe hatte sie sich gegeben, ihre Reizungen durch einen
schimmernden Putz zu erhöhen, oder durch andere Kunstgriffe
in ein blendendes Licht zu setzen. Ein weißes Kleid mit kleinen
Streifen von Purpur, und eine halb eröffnete Rose in
ihrem schwarzen Haar, machte ihren ganzen Staat aus; und
von der Durchsichtigkeit, wodurch die Kleidung der Cyane den
Augen unsers Helden anstößig gewesen, war die ihrige so weit
entfernt, daß man mit besserm Recht aussetzen konnte, sie
verhülle zu viel. Es ist wahr, sie hatte Sorge getragen, daß
ein sehr artiger kleiner Fuß dem Auge nicht immer entzogen
würde; allein dieser kleine Fuß, und eine schneeweiße rosenfingerige
Hand, mit dem Anfang eines vollkommen schönen
Armes, war alles, was das neidische Gewand vorwitzigen Blicken
nicht versagte. Was es also auch seyn mochte, was in
seinem Herzen vorging, so ist doch dieß gewiß, daß an der
Person und dem Betragen der schönen Danae nicht das Mindeste
zu entdecken war, das einige besondere Absicht auf unsern
Helden hätte anzeigen können; und daß sie, es sey nun aus
Unachtsamkeit oder Bescheidenheit, nicht einmal zu bemerken
schien, daß Agathon für sie allein Augen, und über ihrem
Anschauen den Gebrauch aller andern Sinnen verloren hatte.—————
Sechstes Capitel.Pantomimen.Nach Endigung der Mahlzeit, der welcher Agathon beinahe
einen bloßen Zuschauer abgegeben hatte, trat ein Tänzer
und eine junge Tänzerin herein, um nach der Modulation
zweier Flöten die Geschichte des Apollo und der Daphne zu tanzen.
Die Geschicklichkeit der Tanzenden befriedigte alle Zuschauer;
alles an ihnen war Seele und Ausdruck, und man
glaubte sie immer zu hören, ob man sie gleich nur sah.Wie gefällt dir die Tänzerin, Kallias? fragte Danae den
Agathon, welcher nur mittelmäßig aufmerksam auf dieses Spiel
zu seyn schien, und der einzige war, der nicht beobachtete,
daß die Tänzerin von ungemeiner Schönheit, und, eben so
wie neulich Cyane, kaum mit etwas mehr als gewebter Luft
umhüllt war. Mich däucht, versetzte Agathon (der itzt erst anfing,
diese Daphne aufmerksamer anzusehen), mich däucht, daß
sie, vielleicht aus allzu großer Begierde zu gefallen, den Charakter
verläßt den sie vorstellen soll. Warum sieht sie sich im
Fliehen um? Und mit einem Blicke, der es ihrem Verfolger
zu verweisen scheint, daß er nicht schneller ist als sie? —
Gut, sehr gut! (fuhr er fort, als die Stelle kam, wo Daphne
den Flußgott um Hülfe anruft) unverbesserlich! Mit welcher
Wahrheit sie ihre Verwandlung ausdrückt! Wie sie erbleicht!
wie sie schauert! ihre Füße wurzeln mitten in einer schreckhaften
Bewegung ein; umsonst will sie ihre ausgebreiteten Arme
zurückziehen. — Aber warum dieser zärtlich bange Blick auf
ihren Liebhaber? Warum die Thräne, die in ihrem Auge zu
erstarren scheint?Ein allgemeines Lächeln beantwortete die Frage Agathons.
Du tadelst gerade, sagte einer von den Gästen, was wir am
meisten bewundern. Eine gewöhnliche Tänzerin würde nicht
fähig gewesen seyn, deinen Tadel zu verdienen. Es ist unmöglich,
mehr Geist, mehr Feinheit und einen schönern Contrast
in diese Rolle zu bringen, als die kleine Psyche gethan
hat.Daphne selbst war nicht bestürzter gewesen, da sie sich verwandelt
fühlte, als Agathon in dem Augenblick, da er den
Namen Psyche hörte; er stockte mitten in einem Worte, das
er sagen wollte; er erröthete, und seine Verwirrung war so
merklich, daß Danae, welche sie der Beschämung seines Tadels
zuschrieb, für nöthig hielt ihm zu Hülfe zu kommen. Der
Tadel des Kallias, sagte sie, beweist, daß er den Geist, womit
Psyche ihre Rolle gespielt, so gut empfunden hat als Phädrias.
Aber vielleicht ist er darum nicht minder gegründet.
Psyche sollte die Person der Daphne gespielt haben, und hat
ihre eigene gespielt. Ist es nicht so, Psyche? Du dachtest:
wie würde mir an Daphnens Stelle gewesen seyn? —"Und wie
hätte ich's anders machen können, meine Gebieterin?" fragte
die kleine Tänzerin. — Du hattest den Charakter annehmen
sollen, den ihr die Dichter geben, und hast dich begnügt dich
selbst in ihre Umstände zu setzen. — "Was für ein Charakter
ist denn dieß?" erwiederte Psyche. — Einer spröden, sagte der
weise Hippias, der Lieblingscharakter des Kallias. — Abermalige
Gelegenheit zum Erröthen für den guten Agathon!Du hast es nicht errathen, versetzte dieser: der Charakter,
den Daphne nach meiner Idee haben soll, ist Gleichgültigkeit
und Unschuld; sie kann beides haben, ohne eine Spröde zu
seyn.Psyche verdient also desto mehr Lob, erwiederte Phädrias
(für den sie noch etwas mehr als eine Tänzerin war), weil
sie den Charakter verschönert hat, den sie vorstellen sollte. Der
Streit zwischen Liebe und Ehre erfordert mehr Genie um
nachgeahmt zu werden, und ist für den Zuschauer rührender,
als die Gleichgültigkeit, die ihr Kallias geben will. Und zudem,
wo ist die junge Nymphe, die gegen die Liebe eines so
schönen Gottes, wie Apollo ist, gleichgültig seyn könnte? —
Ich bin deiner Meinung, sagte Hippias. Daphne flieht vor
dem Apollo, weil sie — ein junges Mädchen ist; und weil
sie — ein junges Mädchen ist, so wünscht sie heimlich, daß
er sie erhaschen möge. Warum sieht sie sich so oft um, als
um ihm zu verweisen, daß er nicht schneller sey? Wie er ihr
so nahe war, daß sie nicht mehr entfliehen konnte, so flehte
sie, sagt die Fabel, dem Flußgotte, daß er sie verwandeln
sollte. Grimasse! Sie brauchte ja nur sich in den Fluß zu
stürzen, wenn es ihr Ernst war. Sie that was eine Nymphe
thun soll, da sie den Flußgott anrief; aber wer konnte auch
fürchten, so schnell erhört zu werden? Und in welchem Augenblicke
konnte sie es weniger wünschen, als in eben diesem,
da sie sich von den begierigen Armen ihres Liebhabers
schon umschlungen fühlte? Hatte sie sich denn aus einem
andern Grund außer Athem gelaufen, als damit er sie
desto gewisser erhaschen möchte? — was ist also natürlicher
als der Unwille, der Schmerz und die Traurigkeit, womit
sie sein Betragen erwiedert, da sie die Arme, womit sie
sie ihn — zurück stoßen will, zu Lorberzweigen erstarret
fühlt? Selbst der zärtliche Blick ist natürlich; die Verstellung
hört auf, wenn man in einen Lorberbaum verwandelt
wird. War nicht dieß das ganze Spiel der Psyche?
Und kann etwas natürlicher seyn? Es ist der Charakter eines
jungen Mädchens; eines von denen jungen Mädchen, versteht
sich, mein lieber Kallias, wie man sie in dieser materiellen
Welt findet. —Ich ergebe mich, versetzte Agathon; die Tänzerin
hat alles gethan, was man von ihr fordern konnte, und
ich war lächerlich zu erwarten, daß sie die Idee ausführen sollte,
die ich von einer Daphne in meiner Phantasie habe.Agathon hatte dieses kaum gesprochen, als Danae, ohne
ein Wort zu sagen, aufstand, der Tänzerin einen Wink gab,
und mit ihr verschwand. In einer kleinen Weile kam die
Tänzerin allein wieder zurück, die Flöten fingen wieder an,
und Apollo und Daphne wiederholten ihre Pantomime. Aber
wie erstaunte Agathon, als er sah, daß es Danae selbst war,
die in der Kleidung der Tänzerin die Person der Daphne
spielte! — Armer Agathon! Allzu reizende Danae! Wer
hätte sich eines solchen Streiches versehen sollen? Ihr ganzes
Spiel drückte die eigenste Idee Agathons aus, aber mit einer
Anmuth, mit einer Zauberei, wovon ihm seine Phantasie
keine Idee gegeben hatte. Die Empfindungen, von denen
seine Seele in diesen Augenblicken überfallen wurde, waren so
lebhaft, daß er sich bemühte, seine Augen von diesem zu sehr
bezaubernden Gegenstand abzuziehen. Aber vergebens! Eine
unwiderstehliche Gewalt zog sie zurück. Wie edel, wie schön
waren alle ihre Bewegungen! Mit welcher rührenden Einfalt
drückte sie den ganzen Charakter der Unschuld aus! — Er sah
noch in sprachloser Entzückung nach dem Orte, wo sie zum
Lorberbaum erstarrte, als sie schon wieder verschwunden war,
ohne das Lob und Händeklatschen der Zuschauer zu erwarten,
welche nicht Worte genug finden konnten, das Vergnügen
auszubrüten, das ihnen Danae durch diese unerwartete Probe
ihres Talentes gemacht hatte. In wenigen Augenblicken kam
sie schon wieder in ihrer eigenen Person zurück. — Wie sehr ist
Kallias dir verbunden, schöne Danae, sagte Phädrias, indem
sie herein trat. Du allein konntest seinen Tadel rechtfertigen;
nur diejenige konnte es, die liebenswürdig genug ist, um die
Sprödigkeit selbst reizend zu machen. Wie sehr wäre ein Apollo
zu bedauern, für den du Daphne warest!Es war glücklich für den guten Agathon, daß er, indem
dieses mit einem bedeutenden Blick gesagt wurde, in dem Anschauen
der schönen Danae so verloren war, daß er nichts
hörte; denn sonst würde ein abermaliges Erröthen die Auslegung
zu diesem Text gemacht haben. Das Lob dieser Dame,
und ein Gespräch über die Tanzkunst füllte den Ueberrest der
Zeit aus, welche die Gesellschaft noch bei einander zubrachte;
ein Gespräch, dessen Mittheilung uns der Leser gerne nachlassen
wird, da wir seine Begierde nach angelegenern Materien
zu befriedigen haben. Nur diesen Umstand können wir nicht
vorbei gehen, daß Agathon bei diesem Anlaß auf einmal so
beredt wurde, als er vorher tiefsinnig und stillschweigend gewesen
war. Eine lächelnde Heiterkeit schimmerte um sein
ganzes Gesicht, und noch niemals hatte sein Witz sich mit
solcher Lebhaftigkeit hervorgethan. Er erhielt den Beifall
der ganzen Gesellschaft, und die schöne Danae selbst konnte
sich nicht enthalten, ihn von Zeit zu Zeit mit einem Ausdruck
von Vergnügen und Zufriedenheit anzusehen, indessen in seinen
nur selten von ihr abgewandten Augen etwas glänzte, für
welches wir uns umsonst bemühet haben, in der Sprache der
Menschen einen Namen zu finden.—————
Siebentes Capitel.Geheime Nachrichten.Wir haben von Plutarch und aus eigener Erfahrung gelernt,
daß sehr kleine Begebenheiten öfters durch große Folgen
merkwürdig werden, und sehr kleine Handlungen nicht
selten tiefere Blicke in das Inwendige der Menschen thun
lassen, als die feierlichen, wozu man, weil sie dem öffentlichen
Urtheil ausgesetzt sind, sich ordentlicher Weise in eine
gewisse mit sich selbst abgeredete Verfassung zu setzen pflegt.
Die Gründlichkeit dieser Beobachtung hat uns bewogen, in der
Geschichte der Pantomime, welche das vorige Kapitel ausfüllt,
so umständlich zu seyn; und wir hoffen uns deßhalb vollkommen
zu rechtfertigen, wenn wir diese Erzählung durch dasjenige
ergänzen, was die liebenswürdige Psyche betrifft, mit welcher
der Leser schon im ersten Buche, wiewohl nur im Vorbeigehen,
bekannt zu werden angefangen hat.Diese Psyche, so wie sie war, hatte bisher unter allen
Wesen, welche in die Sinne fallen (wir setzen diese Einschränkung
nicht ohne Ursache hinzu, so seltsam sie auch in antiplatonischen
Ohren klingen mag), den ersten Platz in Agathons
Herzen eingenommen; und er hatte, seitdem sie von ihm
entfernt war, kein Frauenzimmer gesehen, die nicht durch die
bloße Erinnerung an Psychen alle Macht über sein Herz und
selbst über seine Sinne verloren hätte. Denn die Bewegungen
der letztern laufen sonst nicht immer mit den erstern so parallel,
als manche Romanenschreiber vorauszusetzen scheinen.
Die Wahrheit zu gestehen, so war dieß nicht die Wirkung derjenigen
heroischen Treue und Standhaftigkeit in der Liebe,
welche in besagten Romanen zu einer Tugend von der ersten
Classe gemacht wird. Psyche erhielt sich im Besitz seines Herzens,
weil die bloßen Erinnerungen, die ihm von ihr übrig
waren, ihm einen viel höheren Genuß gaben, als die Empfindungen,
die ihm irgend eine andre Schöne einzuflößen vermochte;
oder, weil er bisher keine andre gesehen hatte, die
so sehr nach seinem Herzen gewesen wäre. Eine Erfahrung
von etlichen Jahren beredete ihn, daß es allezeit so seyn
würde; und daher kam vielleicht die Bestürzung, wovon er
befallen wurde, als der erste Anblick der schönen Danae ihm
eine Vollkommenheit darstellte, die seiner Einbildung nach
allein jenseits des Mondes anzutreffen seyn sollte. Er müßte
nicht Agathon gewesen seyn, wenn diese Erscheinung sich nicht
seiner ganzen Seele so sehr bemeistert hätte, wie wir gesehen
haben. Niemals, däuchte ihn, hatte er in einem so hohen
Grad und in einer so seltnen Harmonie alle diese feinern
Schönheiten, von welchen gemeine Seelen nicht gerührt werden,
vereiniget gesehen. Ihre Gestalt, ihre Blicke, ihr Lächeln,
ihre Gebärden, ihr Gang, alles hatte diese Vollkommenheit,
welche die Dichter den Göttinnen zuzuschreiben pflegen.
Was Wunder also, daß er in den ersten Stunden nichts als
anschauen und bewundern konnte, und daß seine entzückte
Seele noch keine Zeit hatte auf dasjenige Acht zu geben, was
in ihr vorging? In der That waren alle ihre übrigen Kräfte
so gebunden, daß er, wider seine Gewohnheit, in dieser
ganzen Zeit sich seiner Psyche eben so wenig erinnerte, als ob
sie nie gewesen wäre.Allein als die junge Tänzerin zum Vorschein kam, welche
die Person der Daphne spielte: so stellte einige Aehnlichkeit, die
sie wirklich in der Gesichtsbildung und Figur mit Psychen
hatte, ihm auf einmal, wiewohl ohne daß er sich dessen deutlich
bewußt war, das Bild seiner abwesenden Geliebten vor die
Augen. Sogleich setzte seine Einbildungskraft durch eine gewöhnliche
mechanische Wirkung Psychen an die Stelle dieser
Daphne; und wenn er so vieles an der Tänzerin auszusetzen
fand, so war es im Grunde nur darum, weil die Vergleichung
den Betrug des ersten Anblicks entdeckte, oder weil sie nicht
wirklich Psyche war. So gewöhnlich dergleichen Spiele der
Einbildung sind, so seltenheit es, daß man den Einfluß deutlich
unterscheidet, den sie auf unsre Urtheile oder Neigungen zu
haben pflegen. Agathon selbst, der sich von seiner ersten Jugend
an eine Beschäftigung daraus gemacht hatte, den geheimen
Triebfedern seiner innerlichen Bewegungen nachzuspüren,
merkte dennoch nicht eher, was bei diesem Anlaß in
seiner Phantasie vorging, bis der Name Psyche (dieser Name,
dessen bloßer Ton sonst Musik in seinen Ohren gewesen war)
ihn erschütterte, und in eine Verwirrung von Empfindungen
setzte, die er selbst zu beschreiben Mühe gehabt hat; wenn wir
anders hiervon nach der besondern Dunkelheit, die in unsrer
Urkunde über dieser Stelle liegt, urtheilen dürfen.Was auch die Ursache dieser Bestürzung gewesen seyn
mag, so ist gewiß, daß er weit davon entfernt war, nur zu
argwöhnen, der Genius seiner ersten Liebe stutze vielleicht darüber,
eine Nebenbuhlerin in seinem Herzen zu finden, welches
er von Psychen allein ausgefüllt zu sehen gewohnt war. Sein
Selbstbetrug (wofern es anders einer war) scheint desto mehr
Entschuldigung zu verdienen, weil dieser geliebte Name wirklich
in wenig Augenblicken seine ganze Zärtlichkeit rege machte.
Er bemerkte nun erst deutlich die Aehnlichkeiten, welche die beiden
Psychen mit einander hatten; und er verglich sie mit einem
Vorurtheile, welches der Abwesenden so günstig war, daß die
Gegenwärtige ihr nur zum Schatten dienen mußte. Ja, wir
wissen nicht, ob eine so lebhafte Erinnerung nicht endlich der
schönen Danae selbst Abbruch gethan haben würde, wofern
diese (gleich als ob sie durch eine Art von Divination errathen
hätte was in seiner Seele vorging) nicht auf den glücklichen
Einfall gekommen wäre, sich an den Platz der kleinen Tänzerin
zu setzen, um die Vorstellung auszuführen, welche sich Agathon
von einer idealischen Daphne gemacht hatte; eine Idee,
deren die Geschmeidigkeit ihres Geistes sich so schnell und so
glücklich zu bemächtigen wußte, wie wir gesehen haben. Einen
schlimmern Streich konnte sie in der That der einen und der
andern Psyche nicht spielen. Beide wurden von ihrem blendenden
Glanze, wie benachbarte Sterne von dem vollen Mond,
ausgelöscht. Und wie hätte auch das Bild seiner abwesenden
Geliebten unsern Helden noch länger beschäftigen können, da
alle Anschauungskräfte seiner Seele, auf diesen einzigen bezaubernden
Gegenstand geheftet, ihm kaum zureichend schienen,
dessen ganze Vollkommenheit zu empfinden; da er diese sittliche
Venus mit allen ihren geistigen Grazien wirklich vor sich sah,
zu deren bloßem Schattenbild ihn Psyche zu erheben vermocht
hatte?Wir wissen nicht, ob man eben ein Hippias seyn müßte,
um zu glauben, daß Schönheiten von einer nicht so unkörperlichen,
wiewohl in ihrer Art eben so vollkommenen Natur,
weit mehr, als Agathon selbst gewahr wurde, zu dieser Verzückung
in die idealischen Welten beigetragen haben könnten,
worin er während des pantomimischen Tanzes der Danae sich
befand. Die nymphenmäßige Kleidung, welche dieser Tanz
erforderte, war nur allzu geschickt, diese Reizungen in ihrer
ganzen Macht und in dem mannichfaltigsten Lichte zu entwickeln;
und wir müssen gestehen, die Göttin der Liebe selbst
hätte sich nicht zuversichtlicher, als die untadelige Danae, dem
Auge der schärfsten Kenner, ja selbst den Augen einer Nebenbuhlerin,
in diesem Aufzug überlassen dürfen. Der Charakter
der ungeschminkten Unschuld, welchen sie so unverbesserlich
nachahmte, schien dadurch einen noch lebhaftern Ausdruck zu
erhalten; aber einen so lebhaften, daß ein jeder andrer, als
ein Agathon, dabei in Gefahr gewesen wäre, die seinige zu
verlieren. Freilich hatten die übrigen Zuschauer Mühe genug,
sich zu enthalten, die Rolle des Apollo in ganzem Ernste zu
machen. Aber von unserm Helden hatte Danae nichts zu besorgen,
und sie fand, daß Hippias nicht zu viel von ihm versprochen
hatte. Diese körperlichen Schönheiten, die er nicht
einmal deutlich unterschied, weil sie in seinen Augen mit den
geistigen in Eins zusammen geflossen waren, mochten den
Grad der Lebhaftigkeit seiner Empfindungen noch so sehr erhöhen,
sie konnten doch die Natur derselben nicht verändern;
niemals in seinem Leben waren sie reiner, begierdenfreier,
unkörperlicher gewesen. Kurz (so widersinnig es jenen aus
gröberm Stoffe gebildeten Erdensöhnen, welche in dem vollkommensten
Weibe nur ein Weib sehen, scheinen mag) es
ist nichts gewisser, als daß Danae, mit einer Gestalt und in
einem Aufzuge welche (wenn uns ein Ausdruck des Hippias
erlaubt ist) einen Geist hätten verkörpern mögen, diesen seltsamen
Jüngling in einen so völligen Geist verwandelte, als
man jemals diesseits des Mondes gesehen hat.—————
Achtes Capitel.Was die Nacht durch im Gemüthe der Hauptpersonen vorgegangen.Wir haben schon so viel von der gegenwärtigen Gemüthsverfassung
unsers Helden gesagt, daß man sich nicht verwundern
wird, wenn wir hinzusetzen, daß er den übrigen Theil der
Nacht in ununterbrochenem Anschauen dieser idealen Vollkommenheit
zubrachte, die seine Einbildungskraft, mit einer ihr
gewöhnlichen Kunst und ohne daß er den Betrug gewahr wurde,
an die Stelle der schönen Danae geschoben hatte. Dieses Anschauen
setzte sein Gemüth in eine so angenehme und ruhige
Entzückung, daß er, gleich als ob nun alle seine Wünsche befriediget
wären, nicht das geringste von der Unruhe, den Begierden,
der innerlichen Gährung, der Abwechslung von Frost
und Hitze fühlte, womit die Leidenschaft, mit welcher man ihn
nicht ohne Wahrscheinlichkeit behaftet glauben kann, sich ordentlicher
Weise anzukündigen pflegt.Was die Schöne betrifft, welche die Ehre hatte diese erhabenen
Entzückungen in ihm zu erwecken, diese brachte den
Rest der Nacht zwar nicht mit eben so erhabenen, aber doch in
ihrer Art mit eben so angenehmen Betrachtungen zu. Agathon
hatte ihr gefallen; sie war mit dem Eindrucke, den sie
auf ihn gemacht, zufrieden; und sie glaubte, nach den Beobachtungen,
die ihr dieser Abend bereits an die Hand gegeben,
daß sie sich selbst mit gutem Grunde zutrauen könne, ihn durch
die gehörigen Gradationen zu einem zweiten und vielleicht
standhaftern Alcibiades zu machen. Nichts war ihr hierbei
angenehmer, als die Bestätigung des Plans, den sie sich, über
die Art und Weise, wie man seinem Herzen am leichtesten beikommen
könne, ausgedacht hatte. Es ist wahr, der Einfall
sich an die Stelle der Tänzerin zu setzen, war ihr erst in dem
Augenblick gekommen da sie ihn ausführte. Allein sie würde
ihn gewiß nicht ausgeführt haben, wofern sie die gute Wirkung
davon nicht mit einer Art von Gewißheit voraus gesehen hätte.
Hätte sie in dem ersten Augenblicke, da sie sich unserm Helden
in ihrer eigenen Person darstellte, in ihren Gebärden oder in
ihrem Anzuge das mindeste gehabt, das ihm anstößig hätte
seyn können: so würde es ihr schwer geworden seyn, den widrigen
Eindruck dieses ersten Augenblicks jemals wieder gut zu
machen. Agathon mußte in den Fall gesetzt werden, sich selbst
zu hintergehen, ohne das geringste davon zu merken; und wenn
er für subalterne Reizungen empfindlich gemacht werden sollte,
so mußte es durch Vermittelung der Einbildungskraft und auf
eine solche Art geschehen, daß die geistigen und die körperlichen
Schönheiten sich in seinen Augen vermengten, ohne daß er in
den letzteren nichts als den Widerschein der erstern zu sehen
glaubte.Der weise Hippias hatte zu viel Ursache den Agathon der
dieser Gelegenheit zu beobachten, als daß ihm das geringste
entgangen wäre, was ihn des glücklichen Fortgangs seiner Anschläge
zu versichern schien. Allein er schmeichelte sich zu viel,
wenn er hoffte, Kallias werde, in dem ekstatischen Zustande,
worin er zu seyn schien, ihn zum Vertrauten seiner Empfindungen
machen. Das Vorurtheil, welches dieser wider ihn gefaßt
hatte, verschloß ihm den Mund, so gern er auch dem
Strome seiner Begeisterung den Lauf gelassen hätte. Eine
Danae war in seinen Augen ein allzu vortrefflicher Gegenstand,
und das was er für sie empfand, zu rein, zu weit über die
thierische Denkungsart eines Hippias erhaben, daß er nicht
durch eine unzeitige Vertraulichkeit gegen diesen Ungeweihten
beides zu entheiligen geglaubt hätte.—————
Neuntes Capitel.Eine kleine metaphysische Abschweifung.Es gibt so verschiedene Gattungen von Liebe, daß es (wie
uns ein Kenner versichert hat) nicht unmöglich wäre, drei
oder vier Personen zu gleicher Zeit zu lieben, ohne daß sich
eine derselben über Untreue zu beklagen hätte. Agathon hatte
in einem Alter von siebzehn Jahren für die Priesterin zu
Delphi etwas zu empfinden angefangen, das derjenigen Art
von Liebe glich, die (nach dem Ausdruck Fieldings) ein wohl
zubereiteter Rostbeef einem Menschen einflößt, der guten Appetit
hat. Diese animalische Liebe hatte, eh' er selbst noch wußte
was daraus werden könnte, der Zärtlichkeit weichen müssen,
welche ihm Psyche einflößte. Die Zuneigung, die er zu diesem
liebenswürdigen Geschöpfe trug, war eine Liebe der Sympathie,
eine Harmonie der Herzen, eine geheime Verwandtschaft der
Seelen, welche sich dem, der sie nicht aus Erfahrung kennt,
unmöglich recht beschreiben läßt; eine Liebe, an der das Herz
und der Geist mehr Antheil hat als die Sinne, und die
vielleicht die einzige Art von Verbindung ist, welche (wofern sie
allgemein seyn könnte) den Sterblichen einen Begriff von den
Verbindungen und Vergnügungen himmlischer Geister zu geben
fähig wäre.Agathon konnte also von dieser gedoppelten Art von Liebe,
wovon eine die Antipode der andern ist, aus Erfahrung sprechen;
allein diejenige, worin jene beiden sich in einander mischen,
die Liebe, welche die Sinne, den Geist und das Herz
zugleich bezaubert, die heftigste, die reizendste und gefährlichste
aller Leidenschaften, war ihm noch unbekannt. Es ist also
wohl kein Wunder, daß sie sich seines ganzen Wesens schon
bemeistert hatte, eh' es ihm nur eingefallen war, ihr zu
widerstehen.Freilich hätte dasjenige, was in seinem Gemüthe vorging,
nachdem er in zwei oder drei Tagen die schöne Danae weder
gesehen noch etwas von ihr gehört hatte, den Zustand seines
Herzens einem unbefangenen Zuschauer verdächtig gemacht:
aber er selbst war weit entfernt das geringste Mißtrauen in
die Unschuld seiner Gesinnungen zu setzen. Was ist natürlicher,
dachte er, als das Verlangen, das liebenswürdigste
aller Wesen, nachdem man es einmal gesehen hat, wieder zu
sehen, immer zu sehen? — So urtheilt die Leidenschaft."Aber was sagte denn die Vernunft dazu?" — Die Vernunft?
O, die sagte gar nichts.Uebrigens müssen wir doch, es mag nun zur Entschuldigung
unsers Helden dienen oder nicht, den Umstand nicht
aus der Acht lassen: "daß er von der schönen Danae nichts
anders wußte, als was er gesehen hatte." Der Charakter,
den ihr die Welt beilegte, war ihm gänzlich unbekannt. Er
hatte noch keinen Anlaß, und, die Wahrheit zu sagen, auch
kein Verlangen gehabt, sich darnach zu erkundigen. Ihm war
genug, daß er sie gesehen hatte. Ein sehr gewöhnlicher Irrthum
schob das, was sie in seinen Augen war, dem, was sie
selbst war, unter; sie war ihm das vollkommenste was er
sich denken konnte: was kümmerte ihn das Urtheil der Welt
von ihr?—————
Fünftes Buch.Agathon im Hause der Danae.Erstes Capitel.Worin die Absichten des Hippias einen merklichen Schritt machen.Inzwischen waren ungefähr geht Tage verflossen, welche
dem stillschweigenden und melancholischen Agathon, zu großem
Vergnügen des boshaften Sophisten, acht Jahrhunderte däuchten,
als dieser an einem Morgen zu ihm kam, und ihm mit
einer gleichgültigen Art sagte: "Danae hat einen Aufseher
über ihre Gärten und Landgüter vonnöthen; was sagst du zu
dem Einfall den ich habe, dich an diesen Platz zu setzen? Ich
dächte, du solltest dich nicht übel zu einem solchen Amte schicken.
Hast du nicht Lust in ihre Dienste zu treten?"Ein Wort, welches Bestürzung und übermäßige Freude,
Mißtrauen und Hoffnung, Erblassen und Glühen zu gleicher
Zeit ausdrückte, würde uns wohl zu Statten kommen, die
Verwirrung auszudrücken, worein diese Anrede den guten
Agathon setzte. Sie war zu groß als daß er sogleich hätte
antworten können. Allein die Augen des Hippias, in welchen
er einen Theil der Bosheit las, die der Sophist zu verbergen
sich bemühte, gaben ihm bald die Sprache wieder. — Wenn
du Lust hast dich auf diese Art von mir los zu machen, versetzte
er mit so vieler Fassung als ihm möglich war, so hab'
ich nur Eine Bedenklichkeit."Und diese ist?"Daß ich mich sehr schlecht auf die Landwirthschaft verstehe."Das hat nichts zu bedeuten; du wirst Leute unter dir
haben, die sich desto besser darauf verstehen, und dieß ist genug.
Im übrigen glaube ich, daß du mit Vergnügen in diesem Hause
seyn wirst. Du liebest das Landleben, und du wirst Gelegenheit
haben alle seine Annehmlichkeiten zu schmecken. Wenn
du es zufrieden bist, so geh' ich, die Sache in Richtigkeit zu
bringen."Du hast dir das Recht erkauft, mit mir zu machen was
du willst."Die Wahrheit zu sagen, Kallias, ungeachtet der kleinen
Mißhelligkeiten unsrer Kopfe, verliere ich dich ungern. Allein
Danae scheint es zu wünschen, und ich habe Verbindlichkeiten
gegen sie. Sie hat, ich weiß nicht woher, eine große Meinung
von deiner Fähigkeit gefaßt; und da ich alle Tage Gelegenheit
haben werde dich in ihrem Hause zu sehen, so kann
ich mir's um so eher gefallen lassen, dich an eine Freundin
abzutreten, von der ich gewiß bin, daß sie dir so begegnen wird
wie du es verdienest."Agathon beharrte in seinem angenommenen Tone von
Gleichgültigkeit, und Hippias, dem es Mühe kostete die
Spöttereien zurück zu halten, die ihm alle Augenblicke auf die
Lippen kamen, verließ ihn, ohne sich merken zu lassen, daß er
wüßte was er von dieser Gleichgültigkeit denken sollte.Das Betragen Agathons bei diesem Anlaß wird ihn vielleicht
in den Verdacht setzen, daß er sich bewußt gewesen sey,
es stehe nicht so gar richtig in seinem Herzen. Denn warum
hätte er sonst nöthig gehabt sich zu verbergen? Allein man
muß sich seiner gegen den Sophisten gefaßten Vorurtheile erinnern,
um zu sehen, daß er vollkommen in seinem Charakter
blieb, indem er Empfindungen vor ihm zu verbergen suchte,
die einem so unverbesserlichen Anti-Platon ganz unverständlich
oder vollkommen lächerlich gewesen wären. Die Freude, welcher
er sich überließ sobald er wieder allein war, läßt uns
keinen Zweifel übrig, daß er damals noch nicht das geringste
Mißtrauen in sein Herz gesetzt habe.Diese Freude war über allen Ausdruck. Liebhaber von
einer gewissen Art können sich eine Vorstellung davon machen,
welche der allerbesten Beschreibung werth ist; und den übrigen
würde diese Beschreibung ungefähr so viel helfen als eine Seekarte
einem Fußgänger. Die unvergleichliche Danae wieder
zu sehen, nicht nur wieder zu sehen, in ihrem Hause zu seyn,
unter ihren Augen zu leben, ihres Umgangs zu genießen,
vielleicht — ihrer Freundschaft gewürdiget zu werden —hier
hielt seine entzückte Einbildungskraft stille. Die Hoffnungen
eines gewöhnlichen Liebhabers würden weiter gegangen seyn;
allein Agathon war kein gewöhnlicher Liebhaber. Ich liebe die
schöne Danae, sagte Hyacinthus, da er nach ihrem Genuß
lüstern war. Eben darum liebst du sie nicht, würde ihm die
Sokratische Diotima geantwortet haben. "Derjenige, der in
dem Augenblicke, da ihm seine Geliebte den ersten Kuß auf
ihre Hand gestattet, einen Wunsch nach einer größern Glückseligkeit
hat, muß nicht sagen daß er liebe."—————
Zweites Capitel.Veränderung der Scene.Danae besaß durch die Freigebigkeit des Prinzen Cyrus,
außer dem Hause welches sie zu Smyrna bewohnte, ein Landgut
in der anmuthigsten Gegend außerhalb der Stadt, wo sie
von Zeit zu Zeit einige dem Vergnügen geweihte Tage zuzubringen
pflegte. Hierher mußte sich Agathon begeben, um
von seinem neuen Amte Besitz zu nehmen, und dasjenige zu
veranstalten, was zum Empfang seiner Gebieterin nöthig war,
welche sich vorgenommen hatte, den Rest der schönen Jahreszeit
auf dem Lande zu genießen.Wir widerstehen der Versuchung eine Beschreibung von
diesem Landgute zu machen, um dem Leser das Vergnügen zu
lassen, sich dasselbe so wohl angelegt, so prächtig und so angenehm
vorzustellen als er selbst will. Alles was wir davon sagen
wollen ist, daß diejenigen, deren Einbildungskraft einiger Unterstützung
nöthig hat, den sechzehnten Gesang des befreiten Jerusalems
lesen müßten, um sich eine Vorstellung von dem Orte
zu machen, den sich diese Griechische Armide zum Schauplatz
der Siege auswählte, die sie über unsern Helden zu erhalten
hoffte. Sie fand nicht für gut, oder konnte es nicht über sich
selbst erhalten, ihn lange auf ihre Ankunft warten zu lassen:
und sie war kaum angelangt, als sie ihn zu sich rufen ließ, und
ihn durch folgende Anrede in eine angenehme Bestürzung setzte:
die Bekanntschaft, die wir vor einigen Tagen mit einander
gemacht haben, wäre, auch ohne die Nachrichten die mir Hippias
von dir gegeben, schon genug gewesen, mich zu überzeugen,
daß du für den Stand nicht geboren bist, in den dich ein widriger
Zufall gesetzt hat. Die Gerechtigkeit, die ich Personen von
Verdiensten widerfahren zu lassen fähig bin, gab mir das Verlangen
ein, dich aus einem Verhältnisse gegen Hippias zu
setzen, welches dir die Verschiedenheit deiner Denkungsart von
der seinigen in die Länge beschwerlich gemacht haben würde.
Er hatte die Gefälligkeit, dich mir als eine Person vorzuschlagen,
die sich schickte die Stelle eines Aufsehers in meinem
Hause zu vertreten. Ich nahm sein Erbieten an, um das
Vergnügen zu haben den Gebrauch davon zu machen, den ich
deinen Verdiensten und meiner Denkungsart schuldig bin. Du
bist frei, Kallias, und vollkommen Herr zu thun was du für
gut befindest. Kann die Freundschaft, die ich dir anbiete, dich
bewegen bei mir zu bleiben, so wird der Name eines Amtes,
von dessen Pflichten ich dich völlig freispreche, wenigstens dazu
dienen, der Welt eine begreifliche Ursache zu geben, warum du
in meinem Hause bist. Wo nicht, so soll das Vergnügen, womit
ich zu Beförderung der Entwürfe, die du wegen deines
künftigen Lebens machen kannst, die Hand bieten werde, dich
von der Lauterkeit der Bewegungsgründe überzeugen, welche
mich so gegen dich zu handeln angetrieben haben."Die edle und ungezwungene Anmuth, womit dieses gesprochen
wurde, vollendete die Wirkung, die eine so großmüthige
Erklärung auf den empfindungsvollen Agathon machen mußte.
Was für eine Art zu denken! Was für eine Seele! — Konnt'
er weniger thun, als sich zu ihren Füßen werfen, um in Ausdrücken,
deren Verwirrung ihre ganze Beredsamkeit ausmachte,
der Bewunderung und der Dankbarkeit den Lauf zu lassen,
deren Uebermaß seine Brust zu zersprengen drohte? — Keine
Danksagungen, Kallias, unterbrach ihn die großmüthige Danae;
was ich gethan habe, ist nicht mehr, als ich einem jeden andern,
der deine Verdienste hätte, eben so wohl schuldig zu seyn
glaubte. — Ich habe keine Ausdrücke für das was ich empfinde,
anbetungswürdige Danae, rief der entzückte Agathon:
ich nehme dein Geschenk an, um das Vergnügen zu genießen
dein freiwilliger Sklave zu seyn; eine Ehre, gegen welche ich
die Krone des Königs von Persien verschmähen würde. Ja
schönste Danae, seitdem ich dich gesehen habe, kenne ich kein
größeres Glück als dich zu sehen; und wenn alles, was ich in
deinem Dienste thun kann, fähig wäre, dich von der unaussprechlichen
Empfindung, die ich von deinem Werthe habe, zu
überzeugen, — würdig wäre mit einem zufriednen Blicke von
dir belohnt zu werden, — o Danae! wer würde dann so glücklich
seyn als ich? — Laß uns, sagte die bescheidne Nymphe,
ein Gespräch enden, das die allzu große Dankbarkeit deines
Herzens auf einen zu hohen Ton gestimmt hat. Ich habe
dir gesagt, auf was für einem Fuß du hier seyn wirst. Ich
sehe dich als einen Freund meines Hauses an, dessen Gegenwart
mir Vergnügen macht, dessen Werth ich doch schätze, und
dessen Dienste mir in meinen Angelegenheiten desto nützlicher
seyn können, da sie freiwillige und die Frucht einer uneigennützigen
Freundschaft seyn werden.Mit diesen Worten verließ sie den dankbaren Agathon, —
in dessen Erklärung einige vielleicht Schwurst und Unsinn, oder
wenigstens zu viel Feuer und Entzückung gefunden haben werden.
Allein sie werden sich zu erinnern belieben, daß Agathon
weder in einer so gelassenen Gemüthsverfassung war wie sie,
noch alles wußte, was sie durch unsere Verrätherei von der
schönen Danae erfahren haben. Wir wissen freilich was wir
ungefähr von ihr denken sollen; allein in seinen Augen war sie
eine Göttin, und, zu ihren Füßen liegend, konnte er, zumal
bei der Verbindlichkeit die er ihr hatte, natürlicher Weise diese
Danae nicht mit der philosophischen Gleichgültigkeit ansehen,
womit wir andern — sie nicht sehen.Agathon war nun also ein Hausgenosse der schönen Danae,
und entfaltete mit jedem Tage neue Verdienste, die ihn dieses
Glückes würdig zeigten, und die seine geringe Achtung für
den Hippias ihn verhindert hatte in dessen Hause sehen zu
lassen. Da, nebst den besondern Ergötzungen des Landlebens,
diese feinere Art von Belustigungen, an denen der Witz und
die Musen den meisten Antheil haben, die hauptsächlichste Beschäftigung
war, wozu man die Zeit in diesem angenehmen
Aufenthalt anwandte: so hatte er Gelegenheit genug, seine
Talente von dieser Seite schimmern zu lassen. Seine bezauberte
Phantasie gab ihm so viel Erfindungen an die Hand, daß
er keine andre Mühe hatte als diejenigen auszuwählen, die er
am geschicktesten glaubte, seine Gebieterin und die kleine
Gesellschaft von vertrauten Freunden, die sich bei ihr einfanden,
zu ergötzen. So weit war es schon mit demjenigen gekommen,
der vor wenigen Tagen es für eine geringschätzige Bestimmung
hielt, in der Person eines unschuldigen Vorlesers die Ionischen
Ohren zu bezaubern.In der That können wir länger nicht verbergen, daß diese
unbeschreibliche Empfindung (wie er dasjenige nannte was ihm
die schöne Danae eingeflößt hatte), dieses ich weiß nicht was,
welches wir (so wenig er es auch gestanden hätte) ganz ungescheuet
Liebe nennen wollen, in dem Laufe von wenigen Tagen
so sehr gewachsen war, daß einem jeden andern als einem
Agathon die Augen über den wahren Zustand seines Herzens
hätten aufgehen müssen. Und ungeachtet wir besorgen müssen,
daß die Umständlichkeit unserer Erzählung bei diesem Theile
seiner Geschichte den ernsthaftern unter unsern Lesern langweilig
vorkommen werde: so können wir uns doch nicht entbrechen,
von dem Wie? und Warum? dieser schnellen Veränderung
genauere Rechenschaft zu geben. Alle Achtung, die
wir den besagten ernsthaften Lesern schuldig sind, kann und
darf uns nicht verhindern, als etwas Mögliches anzunehmen,
daß diese Geschichte vielleicht künftig einem jungen noch nicht
ganz ausgebrüteten Agathon in die Hände fallen könnte, der
aus einer genauern Beschreibung der Veränderungen, welche
die Göttin Danae nach und nach in dem Herzen und der
Denkungsart unsers Helden hervorgebracht, sich gewisse Beobachtungen
und Cautelen ziehen könnte, von welchen er guten
Gebrauch zu machen Gelegenheit bekommen möchte. Wir
glauben also, wenn wir, diesem zukünftigen Agathon zu
Gefallen, uns die Mühe nehmen, der Leidenschaft unsers Helden,
von der Quelle an, in ihrem wiewohl noch geheimen Laufe
nachzugehen, desto eher entschuldiget zu seyn, da es allen
übrigen, die mit diesen Anekdoten nichts zu machen wissen,
frei steht, das folgende Kapitel zu überschlagen.—————
Drittes Capitel.Natürliche Geschichte der platonischen Liebe.Die Quelle der Liebe (sagt Zoroaster, oder hätte es doch
sagen können) ist das Anschauen eines Gegenstandes, der unsere
Einbildungskraft bezaubert.Der Wunsch diesen Gegenstand immer anzuschauen, ist
der erste Grad derselben.Je bezauberter dieses Anschauen ist und je mehr die an
dieses Bild der Vollkommenheit angeheftete Seele daran zu
entdecken und zu bewundern findet, desto länger bleibt sie in
den Gränzen dieses ersten Grades der Liebe stehen.Dasjenige, was sie hierbei erfährt, kommt anfangs demjenigen
außerordentlichen Zustand ganz nahe, den man Verzückung
nennt. Alle andern Sinnen, alle thätigen Kräfte der
Seele scheinen stille zu stehen, und in einen einzigen Blick,
worin man keiner Zeitfolge gewahr wird, verschlungen zu seyn.Dieser Zustand ist zu gewaltsam, als daß er lange dauern
könnte.Langsamer oder schneller macht er dem Bewußtseyn eines
unaussprechlichen Vergnügens Platz, welches die natürliche
Folge jenes ekstatischen Anschauens ist, und wovon (wie einige
Adepten uns versichert haben) keine andre Art von Vergnügen
oder Wollust uns einen bessern Begriff geben kann, als der
unreine und düstre Schein einer Pechfackel von der Klarheit
des unkörperlichen Lichts, worin (ihrer Meinung nach) die
Geister als in ihrem Elemente leben.Dieses innerliche Vergnügen äußert sich bald durch die
Veränderungen, die es in dem mechanischen Theil unsers Wesens
hervorbringt. Es wallt mit hüpfender Munterkeit in unsern
Adern, es schimmert aus unsern Augen, es gießt eine
lächelnde Heiterkeit über unser Gesicht, gibt allen unsern Bewegungen
eine neue Lebhaftigkeit und Anmuth, stimmt und
erhöhet alle Kräfte unsrer Seele, belebt das Spiel der Phantasie
und des Witzes, und kleidet, so zu sagen, alle unsre Ideen
in den Schimmer und die Farbe der Liebe.Ein Liebhaber ist in diesem Augenblicke mehr als ein gewöhnlicher
Mensch; er ist (wie Plato sagt) von einer Gottheit
voll, die aus ihm redet und wirket; und es ist keine Vollkommenheit,
keine Tugend, keine Heldenthat so groß, wozu
er in diesem Stande der Begeisterung und unter den Augen
des geliebten Gegenstandes nicht fähig wäre.Dieser Zustand dauert noch fort, wenn er gleich von demselben
entfernt wird, und das Bild desselben, das seine ganze
Seele auszufüllen scheint, ist so lebhaft, daß es einiger Zeit
bedarf bis er der Abwesenheit des Urbildes gewahr wird.Aber kaum empfindet die Seele diese Abwesenheit, so
verschwindet jenes Vergnügen mit seinem ganzen Zaubergefolge;
man erfährt in immer zunehmenden Graden das Gegentheil
von allen Wirkungen der vorbesagten Begeisterung; und derjenige,
der vor kurzem mehr als ein Mensch schien, scheint nun
nichts als der Schatten von sich selbst, ohne Leben, ohne Geist,
zu nichts geschickt als in einöden Wildnissen wie ein Gespenst
umher zu irren, den Namen seiner Göttin in Felsen einzugraben
und den tauben Bäumen seine Schmerzen vorzuseufzen.Ein kläglicher Zustand, in Wahrheit, wenn nicht ein einziger
Blick des Gegenstandes, von dem diese seltsame Bezauberung
herrührt, hinlänglich wäre, in einem Wink diesem
Schatten wieder einen Leib, dem Leib eine Seele, und der
Seele diese Begeisterung wieder zu geben, durch welche sie,
ohne Beobachtung einiger Stufenfolge, von der Verzweiflung
zu unermeßlicher Wonne übergeht.Wenn Agathon dieses alles nicht völlig in so hohem Grad
erfuhr, als andere seiner Art, so muß es vermuthlich allein
dem Einflusse beigemessen werden, welchen seine geliebte Psyche
noch in dasjenige hatte, was in seinem Herzen vorging.Allein wir müssen gestehen, dieser Einfluß wurde immer
schwächer; die lebhaften Farben, womit ihr Bild seiner Einbildung
bisher vorgeschwebt hatte, wurden immer matter;
und anstatt daß ihn sonst sein Herz an sie erinnerte, mußte
es ist durch einen Zufall geschehen.Endlich verschwand dieses Bild gänzlich. Psyche hörte
auf für ihn da zu seyn; ja kaum erinnerte er sich alles dessen,
was vor seiner Bekanntschaft mit der schönen Danae vorgegangen
war, anders als wie ein erwachsener Mensch sich seiner
ersten Kindheit erinnert.Es ist also leicht zu begreifen, daß seine ganze vormalige
Art zu empfinden und zu seyn einige Veränderung erlitt, und
die Farbe und den Ton des Gegenstandes bekam, der mit
einer so unumschränkten Macht über ihn herrschte.Sein ernsthaftes Wesen machte nach und nach einer gewissen
Munterkeit Platz, die ihm vieles, das er ehemals gemißbilliget
hatte, in einem günstigern Lichte zeigte; seine
Sittenlehre wurde unvermerkt freier und gefälliger, und seine
ehemaligen Freunde, die ätherischen Geister, wenn sie ja noch
einigen Zutritt bei ihm hatten, mußten sich gefallen lassen,
die Gestalt der schönen Danae anzunehmen, um vorgelassen
zu werden. Vor Begierde der Beherrscherin seines Herzens
zu gefallen vergaß er, sich um den Beifall unsichtbarer Zuschauer
seines Lebens zu bekümmern; und der Zustand der entkörperten
Seelen däuchte ihn nicht mehr so beneidenswürdig, seitdem
er, ohne seinen Leib abgelegt zu haben, im Anschauen dieser
irdischen Göttin ein Vergnügen genoß, welches alle seine Einbildungen
überstieg.Der Wunsch immer bei ihr zu seyn, war nun erfüllt.
Dem zweiten, der auf diesen gefolgt seyn würde, dem Verlangen
ihre Freundschaft zu besitzen, war sie selbst gleich anfangs
großmüthiger Weise zuvorgekommen; und die verbindliche
und vertraute Art, wie sie etliche Tage lang mit ihm
umging, ließ ihm von dieser Seite nichts zu wünschen übrig.Da er nun ihre Freundschaft hatte, so wünschte er auch
ihre Liebe zu haben."Jhre Liebe?" — Ja, aber eine Liebe, wie nur die Einbildungskraft
eines Agathons fähig ist sich vorzustellen. Kurz,
da er anfing zu merken, daß er sie liebe, so wünschte er wieder
geliebt zu werden. Allein er liebte sie mit einer so uneigennützigen,
so geistigen, so begierdefreien Liebe, daß sein kühnster
Wunsch nicht weiter ging, als in jener sympathetischen
Verbindung der Seelen mit ihr zu stehen, wovon ihm Psyche
die Erfahrung gegeben hatte. Wie angenehm (dachte er),
wie entzückungsvoll, wie sehr über alles, was die Sprache
der Sterblichen ausdrücken kann, müßte eine solche Sympathie
mit einer Danae seyn, da sie mit Psychen schon so angenehm
gewesen war!Zum Unglück für unsern Platoniker war dieß ein Plan,
wozu Danae sich nicht so gut anließ, als er es gewünscht hatte.
Denn sie fuhr immer fort, sich in den Gränzen der Freundschaft
zu halten: es sey nun, daß sie nicht geistig genug war,
sich von der intellectuellen Liebe einen rechten Begriff zu machen;
oder daß sie es lächerlich fand, in ihrem Alter und mit ihrer
Figur eine Rolle zu spielen, welche sich nur für Personen, die
im Bade keine Besuche mehr annehmen, zu schicken schien.
Zwar hatte sie zu viel Bescheidenheit, sich über diesen letztern
Punkt deutlich zu erklären, aber es fehlte ihr doch nicht an
Wendungen, ihm ihre Gedanken von der Sache auf eine feine
Art zu verstehen zu geben. Gewisse kleine Nachlässigkeiten in
ihrem Putz, ein verrätherischer Zephyr, oder ihr Sperling,
der, wenn sie neben Agathon auf einer Ruhebank saß, mit
muthwilligem Schnabel an dem Gewand zerrte, das zu ihren
Füßen herab floß, schienen oft seiner ätherischen Liebe spotten,
und ihm Aufmunterungen geben zu wollen, deren ein minder
bezauberter Liebhaber nicht bedurft hätte.Sie hatte Ursache mit dem Erfolg dieser kleinen Kunstgriffe
zufrieden zu seyn. Agathon, welcher gewohnt war den
Leib und die Seele als zwei verschiedene Wesen zu betrachten,
und in dessen Augen Danae eine geraume Zeit nichts
anders als, nach dem Ausdrucke des Guidi, eine himmlische
Schönheit in einem irdischen Schleier gewesen war, vermengte
diese beiden Wesen je länger je mehr in seiner Vorstellung
mit einander; und er konnte es desto leichter, da in der That
alle körperlichen Schönheiten seiner Göttin so beseelt, und alle
Schönheiten ihrer Seele so verkörpert waren, daß es beinahe
unmöglich war, sich die einen ohne die andern vorzustellen.Dieser Umstand brachte zwar keine wesentliche Veränderung
in seiner Art zu lieben hervor: doch ist gewiß, daß
er nicht wenig dazu beitrug, ihn unvermerkt in eine Verfassung
zu setzen, welche die Absichten der schlauen Danae mehr
zu begünstigen als abzuschreiben schien.O du, für den wir aus großmüthiger Freundschaft uns
die Mühe gegeben haben, dieses dir allein gewidmete Kapitel
zu schreiben, halte hier ein und frage dein Herz! Wenn du
eine Danae gefunden hast — armer Jüngling! welche Molly
Seagrim kann es nicht in deinen bezauberten Augen seyn! —
und du verstehest den Schluß dieses Capitels, so kommt unsre
Warnung schon zu spät. Du bist verloren! Fliehe in diesem
Augenblicke, fliehe und ersticke den Wunsch sie wieder zu sehen!
Wenn du dieß nicht kannst; wenn du, nachdem du diese
Warnung gelesen, nicht willst: so bist du kein Agathon mehr,
so bist du was wir andern alle sind; thue was du willst, es
ist nichts mehr an dir zu verderben.Viertes Capitel.Neue Talente der schönen Danae.Danae war weit entfernt, gleichgültig gegen die Vorzüge
des Kallias zu seyn, oder (die Sache unverhohlen zu sagen)
es kostete ihr vielmehr einige Mühe ihm zu verbergen, wie
sehr sie von seiner Liebe gerührt war, und wie gern sie sich
dieselbe zu Nutze gemacht hätte. Allein aus einem Agathon
einen Alcibiades zu machen, konnte nicht das Werk von etlichen
Tagen seyn; zumal da er durch unmerkliche Schritte,
und ohne daß sie selbst etwas dabei zu thun schien, zu einer
so großen Veränderung gebracht werden mußte, wenn sie anders
dauerhaft seyn sollte.Die große Kunst war also, unter der Maske der Freundschaft
seine Begierden zu eben der Zeit zu reizen, da sie selbige
durch eine unaffectirte Zurückhaltung abzuschreiben schien.Allein auch dieß war nicht genug; er mußte vorher die
Macht verlieren zu widerstehen, wenn der Augenblick einmal
gekommen seyn würde, da sie die ganze Gewalt ihrer Reizungen
an ihm zu prüfen entschlossen war. Eine zärtliche Weichlichkeit
mußte sich vorher seiner ganzen Seele bemeistern, und
seine in Vergnügen schwimmenden Sinne mußten von einer
süßen Unruhe und wollüstigen Sehnsucht eingenommen werden,
ehe sie es wagen durfte, einen Versuch zu machen, der,
wenn er zu früh gemacht worden wäre, gar leicht ihren ganzen
Plan hätte vereiteln können.Zum Unglück für unsern Helden ersparte ihr die magische
Kraft seiner Einbildung die Hälfte der Mühe, welche sie aus
einem Uebermaß von Freundschaft anwenden wollte, ihm die
Verwandlung, die mit ihm vorgehen sollte, zu verbergen.
Ein Lächeln seiner Göttin war genug ihn in Vergnügen zu
zerschmelzen; ihre Blicke schienen ihm einen überirdischen
Glanz über alle Gegenstände auszugießen, und ihr Athem der
ganzen Natur den Geist der Liebe einzuhauchen. Was mußte
also aus ihm werden, da sie zu Vollendung ihres Sieges alles
anwendete, was auch den unempfindlichsten unter allen Menschen
zu ihren Füßen hätte legen können.Agathon wußte noch nicht, daß sie die Laute spielte und
in der Musik eine eben so große Virtuosin als in der Tanzkunst
war. Die ländlichen Feste und Lustbarkeiten, in deren
Erfindung er unerschöpflich war, gaben ihr Anlaß, ihn durch
Entdeckung dieser neuen Reizungen in Erstaunen zu setzen.
Es ist billig, sagte sie zu ihm, daß ich deine Bemühungen mir
Vergnügen zu machen durch eine Erfindung von meiner Art
erwiedere. Diesen Abend will ich dir den Wettstreit der Sirenen
mit den Musen geben, ein Stück des berühmten Dämons,
das ich noch von Aspasiens Zeiten übrig habe, und das von
den Kennern für das Meisterstück der Tonkunst erklärt wurde.
Die Anstalten sind schon dazu gemacht, und du allein sollst
der Zuhörer und Richter dieses Wettgesangs seyn.Niemals hatte dem Agathon eine Zeit länger gedäucht,
als die wenigen Stunden, die er in Erwartung dieses versprochenen
Vergnügens zubrachte. Danae hatte ihn verlassen, um
durch ein erfrischendes Bad ihrer Schönheit einen neuen Glanz
zu geben, indessen daß er die verschwindenden Strahlen der
untergehenden Sonne einen nach dem andern zu zählen schien.
Endlich kam die angesetzte Stunde.Der schönste Tag hatte der anmuthigsten Nacht Platz gemacht,
und eine süße Dämmerung hatte schon die ganze schlummernde
Natur eingeschleiert: als plötzlich ein zauberischer
Tag, von einer unendlichen Menge künstlich versteckter Lampen
verursacht, den reizenden Schauplatz erhellte, welchen die Fee
des Orts zu diesem Lustspiel hatte zubereiten lassen.Eine mit Lorberbäumen beschattete Anhöhe erhob sich aus
einem großen spiegelhellen Teiche, der mit Marmor gepflastert,
und ringsum mit Myrten und Rosenhecken eingefaßt war,
Kleine Quellen schlängelten den Lorberhain herab, und rieselten
mit sanftem Gemurmel in den Teich hinab, an dessen Ufer
hier und da kleine Grotten, mit Korallenmuscheln und andern
Seegewächsen ausgeschmückt, hervor ragten, und die Wohnung
der Nymphen dieses Wassers zu seyn schienen. Ein kleiner Nachen
in Gestalt einer Perlenmuschel, von einem marmornen
Triton empor gehalten, stand der Anhöhe gegenüber am Ufer,
und war der Sitz, auf welchem Agathon als Richter dem Wettgesang
zuhören sollte.—————
Fünftes Capitel.Magische Kraft der Musik.Agathon hatte seinen Platz kaum eingenommen, als man
ein plätscherndes Gewühl im Wasser, und aus der Ferne eine
sanft zerflossene Harmonie von allen Arten musikalischer Instrumente
hörte, ohne zu sehen woher sie kam. Unser Liebhaber
wurde, ungeachtet er zu diesem Spiele vorbereitet war, zu
glauben versucht, daß sein inneres Ohr der Harmonie der
Sphären aufgethan worden sey, deren Wirklichkeit ihn die
Pythagorischen Weisen schon in seiner frühesten Jugend glauben
gelehrt hatten. Während dieses liebliche Getön immer
näher kam, sah er zu gleicher Zeit die Musen aus dem kleinen
Lorberwäldchen und die Sirenen aus ihren Grotten hervor
kommen. Danae hatte die jüngsten und schönsten aus ihren
Aufwärterinnen ausgelesen, diese Meernymphen vorzustellen,
welche, nur von einem wallenden Streif von himmelblauem
Byssus umflattert, mit Cithern und Flöten in der Hand sich
über die Wellen erhoben, und mit jugendlichem Stolz untadelige
Schönheiten vor den Augen ihrer eifersüchtigen Gespielen
entdeckten. Kleine Tritonen bliesen, um sie her schwimmend,
aus krummen Hörnern, und neckten sie durch muthwillige
Spiele; indessen Danae mitten unter den Musen an den Rand
der kleinen Halbinsel herab stieg, und, wie Venus unter den
Grazien oder Diana unter ihren Nymphen hervor glänzend,
dem Auge keine Freiheit ließ auf einem andern Gegenstande
zu verweilen. Ein langes schneeweißes Gewand, unter dem
halb enthüllten Busen mit einem goldnen Gürtel umfaßt, floß
in leicht wallenden Falten zu ihren Füßen herab; ein Kranz
von Rosen wand sich um ihre Locken, wovon ein Theil in kunstloser
Anmuth um ihren Nacken schwebte; ihr rechter Arm, auf
dessen Weiße und Schönheit Homers Juno hätte eifersüchtig
werden können, umfaßte eine Laute von Elfenbein. Die
übrigen Musen, mit verschiednen Saiteninstrumenten versehen,
lagerten sich zu ihren Füßen; sie allein blieb in unnachahmlich
reizender Stellung stehen und hörte der Aufforderung
zu, welche die übermüthigen Sirenen ihr entgegen sangen.Man muß gestehen, das Gemälde, welches sich in diesem
Augenblick unserm Helden darstellte, war nicht sehr geschickt
weder sein Herz noch seine Sinnen in Ruhe zu lassen. Gleichwohl
war die Absicht der Danae nur, ihn durch die Augen zu
den Vergnügungen des Gehörs vorzubereiten, und ihr Stolz
verlangte keinen geringern Triumph, als ein so reizendes Gemälde
durch die Zaubergewalt ihrer Stimme und ihrer Saiten
in seiner Seele auszulöschen.Sie schmeichelte sich nicht zu viel. Die Sirenen hörten
auf zu singen, und die Musen antworteten ihrer Aufforderung
durch eine Symphonie, welche auszudrücken schien, wie gewiß
sie sich des Sieges hielten. Nach und nach verlor sich die
Munterkeit, die in dieser Symphonie herrschte; ein feierlicher
Ernst nahm ihren Platz ein; das Getön wurde immer einförmiger,
bis es endlich in ein dunkles gedämpftes Murmeln,
und zuletzt in eine gänzliche Stille erstarb. Allgemeines Erwarten
schien dem Erfolg dieser vorbereitenden Stille entgegen
zu horchen: als es auf einmal durch eine liebliche Harmonie
unterbrochen wurde, welche die geflügelten und seelenvollen
Finger der schönen Danae aus ihrer Laute lockten. Eine
Stimme, welche fähig schien die Seelen ihren Leibern zu entführen
und Todte wieder zu beseelen (wenn wir einen
Ausdruck des Liebhabers der schönen Laura entlehnen dürfen),
beseelte diese reizende Anrede. Der Inhalt des Wettgesangs
war ein Streit über den Vorzug der Liebe die sich auf die Empfindung,
oder derjenigen die sich auf die bloße Begierde gründet.
Nichts konnte rührender seyn als das Gemälde, welches
Danae von der ersten Art der Liebe machte. In solchen
Tönen, dachte Agathon, ganz gewiß in keinen andern, sagen
die Unsterblichen einander was sie empfinden; nur eine solche
Sprache ist der Götter würdig! Die ganze Zeit, da dieser Gesang
dauerte, däuchte ihn ein Augenblick, und er wurde ganz
unwillig, als Danae aufhörte, und eine der Sirenen, von
den Flöten ihrer Schwestern begleitet, verwegen genug war,
es mit seiner Göttin aufzunehmen. Doch er wurde bald gezwungen
andres Sinnes zu werden, als er sie hörte; alle seine
Vorurtheile für die Muse konnten ihn nicht verhindern sich
selbst zu gestehen, daß eine fast unwiderstehliche Verführung
in ihren Tönen athmete. Ihre Stimme, die an Weichheit und
Biegsamkeit nicht übertroffen werden konnte, schien alle Grade
der Entzückungen auszubrüten, deren die sinnliche Liebe fähig
ist; und das wollüstige Getön der Flöten erhöhte die Lebhaftigkeit
dieses Ausdrucks auf einen Grad, der kaum einen Unterschied
zwischen der Nachahmung und der Wahrheit übrig ließ.
Wenn die Sirenen, bei welchen der kluge Ulysses vorbeifahren
mußte, so gesungen haben (dachte Agathon), so hatte er wohl
Ursache sich an Händen und Füßen an den Mastbaum binden
zu lassen.Kaum hatten die Verführerinnen ihren Gesang geendiget,
so erhob sich ein frohlockendes Klatschen aus dem Wasser, und
die kleinen Tritonen stießen in ihre Hörner, den Sieg anzudeuten,
den sie über die Musen erhalten zu haben glaubten.
Allein diese hatten den Muth nicht verloren: sie ermunterten
sich bald wieder, indem sie eine Symphonie anfingen, welche
eine spottende Nachahmung des Gesanges der Sirenen zu
seyn schien. Nach einer Weile wechselten sie die Tonart und
das Zeitmaß, und gingen zu einem Adagio über, welches gar
bald keine Spur von den Eindrücken übrig ließ, die der Sirenen
Gesang auf das Gemüthe der Hörenden gemacht haben
konnte. Eine süße Schwermuth bemächtigte sich Agathons,
er sank in ein angenehmes Staunen, unfreiwillige Seufzer
entflohen seiner Brust, und wollüstige Thränen rollten über
seine Wangen herab.Mitten aus dieser rührenden Harmonie erhob sich der
Gesang der schönen Danae, welche durch die eifersüchtigen
Bestrebungen ihrer Nebenbuhlerin aufgefordert war, die ganze
Vollkommenheit ihrer Stimme und alle Zauberkräfte der Kunst
anzuwenden, um den Sieg gänzlich auf die Seite der Musen
zu entscheiden. Ihr Gesang schilderte die rührenden Schmerzen
einer wahren Liebe, die in ihren Schmerzen selbst ein
melancholisches Vergnügen findet, ihre standhafte Treue, und
die Belohnung, die sie zuletzt von der zärtlichsten Gegenliebe
erhält. Die Art wie sie dieses ausführte, oder vielmehr die
Eindrücke, die sie dadurch auf ihren Liebhaber machte, übertrafen
alles, was inan sich davon vorstellen kann. Alle seine Sinne
waren Ohr, während sein ganzes Herz in die Empfindungen
zerfloß, die in ihrem Gesange herrschten. Er war nicht so
weit entfernt, daß Danae nicht bemerkt hätte, wie sehr er außer
sich selbst war, wie viel Gewalt er sich anthun mußte, um
nicht aus seinem Sitz in die Flut herab zu stürzen, zu ihrhinüber zu schwimmen und seine in Entzücken und Liebe zerschmolzene
Seele zu ihren Füßen auszuhauchen. Sie wurde
durch diesen Anblick selbst so gerührt, daß sie genöthiget war
die Augen von ihm abzuwerden, um ihren Gesang vollenden
zu können: allein sie beschloß bei sich selbst, die Belohnung
nicht länger aufzuschieben, welche sie einer so vollkommenen
Liebe schuldig zu seyn glaubte.Endlich endigte sich ihr Lied; die begleitende Symphonie
hörte auf; die beschämten Sirenen flohen in ihre Grotten;
die Musen verschwanden; und der staunende Agathon blieb in
trauriger Entzückung allein.—————
Sechstes Capitel.Eine Abschweifung, welche zum Folgenden vorbereitet.Wir können die Verlegenheit nicht verbergen, in welche
wir uns durch die Umstände gesetzt finden, worin wir unsern
Helden zu Ende des vorigen Capitels verlassen haben. Sie
drohen dem erhabnen Charakter, den er bisher mit rühmlicher
Standhaftigkeit behauptet, und wodurch er sich billig in
eine nicht gemeine Hochachtung bei unsern Lesern gesetzt hat,
einen Abfall, der allen, die von einem Helden eine vollkommene
Tugend fordern, eben so anstößig seyn muß, als ob sie,
nach dem was bereits mit ihm vorgegangen, natürlicher Weise
etwas Besseres hätten erwarten können.Wie groß ist in diesem Stücke der Vortheil eines Romanendichters
vor demjenigen, welcher sich anheischig gemacht
hat, ohne Vorurtheil oder Parteilichkeit, mit Verläugnung
des Ruhms, den er vieleicht durch Verschönerung seiner
Charakter und durch Erhebung des Natürlichen ins Wunderbare
sich hätte erwerben können, der Natur und Wahrheit in gewissenhafter
Aufrichtigkeit durchaus getreu zu bleiben! Wenn
jener die ganze gränzenlose Welt des Möglichen zu freiem Gebrauch
vor sich ausgebreitet sieht; wenn seine Dichtungen durch
den mächtigen Reiz des Erhabnen und Erstaunlichen schon
sicher genug sind, unsere Einbildungskraft auf seine Seite zu
bringen; wenn schon der kleinste Schein von Uebereinstimmung
mit der Natur hinlänglich ist, die zahlreichen Freunde des
Wunderbaren von ihrer Möglichkeit zu überzeugen: ja, wenn
sie ihm volle Freiheit geben die Natur selbst umzuschaffen,
und, als ein anderer Prometheus, den geschmeidigen Thon,
aus welchem er seine Halbgötter und Halbgöttinnen bildet,
zu gestalten wie es ihm beliebt, oder wie es die Absicht, die
er auf uns haben mag, erheischet: so sieht sich hingegen der
arme Geschichtschreiber genöthiget, auf einem engen Pfade
Schritt vor Schritt in die Fußstapfen der vor ihm her gehenden
Wahrheit einzutreten, jeden Gegenstand so groß oder so
klein, so schön oder so häßlich, wie er ihn findet, abzumalen;
die Wirkungen so anzugeben, wie sie kraft der unveränderlichen
Gesetze der Natur aus ihren Ursachen herfließen; und
wenn er seiner Pflicht ein völliges Genüge gethan hat,
muß er sich gefallen lassen, daß man seinen Helden
am Ende um wenig oder nichts schätzbarer findet, als
der schlechteste unter seinen Lesern sich ungefähr selbst zu
schätzen pflegt.Vielleicht ist kein unfehlbares Mittel, mit dem wenigsten
Aufwande von Genie, Wissenschaft und Erfahrenheit ein gepriesener
Schriftsteller zu werden, als wenn man sich damit
abgibt, Menschen (denn Menschen sollen es doch seyn) ohne
Leidenschaften, ohne Schwachheit, ohne alle Mängel und Gebrechen,
durch etliche Bände voll wunderreicher Abenteuer,
in der einförmigsten Gleichheit mit sich selbst, herum zu führen.
Eh' ihr es euch verseht, ist ein Buch fertig, das durch den
Ton einer strengen Sittenlehre, durch blendende Sentenzen,
durch Personen und Handlungen, die eben so viele Muster
sind, den Beifall aller der gutherzigen Leute überrascht, welche
jedes Buch, das die Tugend anpreist, vortrefflich finden. Und
was für einen Beifall kann sich erst ein solches Werk versprechen,
wenn der Verfasser die Kunst oder die natürliche
Gabe besitzt, seine Schreibart auf den Ton der Begeisterung
zu stimmen, und, verliebt in die schönen Geschöpfe seiner erhitzten
Einbildungskraft, die Meinung von sich zu erwecken,
daß er's in die Tugend selber sey! Umsonst mag dann ein
verdächtiger Kunstrichter sich heiser schreien, daß ein solches
Werk eben so wenig für die Talente seines Urhebers beweise,
als es der Welt Nutzen schaffe; umsonst mag er vorstellen, wie
leicht es sey, die Definitionen eines Auszugs der Sittenlehre
in Personen, und die Maximen des Epiktets in Handlungen
zu verwandeln; umsonst mag er beweisen, daß die unfruchtbare
Bewunderung einer Vollkommenheit, welche man zu erreichen
eben so wenig wahren Vorsatz als Vermögen hat, das
äußerste sey, was diese wackeren Leute von ihren Bemühungen
zum Besten einer ungelehrigen Welt erwarten können: der
weisere Tadler heißt ihnen ein Zoilus, und hat von Glück zu
sagen, wenn das Urtheil, das er von einem so moralischen
Werke des Witzes fällt, nicht auf seinen eignen sittlichen Charakter
zurückprallt, und die gesundere Beschaffenheit seines
Gehirns nicht zu einem Beweise seines schlimmen Herzens
gemacht wird.Bei allem dem können wir nicht verbergen, daß wir aus
verschiedenen Gründen in Versuchung gerathen sind, der
historischen Wahrheit dieses einzige Mal Gewalt anzuthun,
und unsern Agathon, wenn es auch durch irgend einen Deus
ex Machina hatte geschehen müssen. unversehrt aus der Gefahr,
worin er sich befindet, heraus zu wickeln. Allein da wir in
Erwägung zogen, daß diese einzige poetische Freiheit uns nöthigen
würde, in der Folge seiner Begebenheiten so viele andre
Veränderungen vorzunehmen, daß die Geschichte Agathons die
Natur einer Geschichte verloren hatte; so haben wir uns aufgemuntert,
über alle Bedenklichkeiten hinaus zu gehen, die
uns anfänglich stutzen gemacht hatten, und uns zu überreden,
daß der Nutzen, den verständige Leser sogar von den Schwachheiten
unsers Helden in der Folge zu ziehen Gelegenheit bekommen
könnten, ungleich größer sey, als der zweideutige
Vortheil, den die Tugend dadurch erhalten hätte, wenn wir
die schöne Danae in die Nothwendigkeit gesetzt hätten, in der
Stille von ihm zu denken, was die berühmte Phryne bei einer
gewissen Gelegenheit von dem weisen Xenocrates öffentlich
gesagt haben soll.So wisset denn, schöne Leserinnen (und hütet euch stolz
auf diesen Sieg eurer Zaubermacht zu seyn!), daß Agathon —
nachdem er eine ziemliche Weile, in einem Gemüthszustande,
dessen Abschilderung über die Kräfte unsers Pinsels geht,
allein zurück geblieben war — wir wissen nicht ob aus eigner
Bewegung oder durch den geheimen Antrieb irgend eines unsokratischen
Genius, den Weg gegen einen Pavillon genommen,
welcher auf der Morgenseite des Gartens, in einem kleinen
Hain von Citronen-, Granaten- und Myrtenbäumen, auf
Ionischen Säulen von Jaspis ruhte — daß er, weil er ihn
erleuchtet gefunden, hineingegangen, und, nachdem er einen
Saal und zwei oder drei kleinere Zimmer durchgeeilet, in
einem Cabinette, welches für die Ruhe der Liebesgöttin bestimmt
schien, die schöne Danae auf einem Ruhebette schlafend
angetroffen —daß er, nachdem er sie eine lange Zeit in unbeweglicher
Entzückung und mit einer Zärtlichkeit, deren innerliches
Gefühl alle körperliche Lust an Süßigkeit übertrifft,
betrachtet hatte, endlich, von der Gewalt der Empfindung
hingerissen, sich nicht länger zu enthalten vermocht, zu ihren
Füßen kniend, eine von ihren nachlässig ausgestreckten schönen
Händen mit einer Jnbrunst, wovon wenige Liebhaber sich eine
Vorstellung zu machen fähig sind, zu küssen, ohne daß sie davon
erwacht wäre — daß er hierauf noch weniger als zuvor sich
entschließen können, so unbemerkt als er gekommen sich wieder
hinweg zu schleichen, und — kurz — daß die kleine Psyche
(die Tänzerin, welche seit der Pantomime, man weiß nicht
warum, gar nicht seine Freundin war) mit ihren Augen
gesehen haben wollte, daß er, eine ziemliche Weile nach
Anbruch des Tages, allein und mit einer Miene, aus welcher
sich sehr vieles habe schließen lassen, aus dem Pavillon hinter
die Myrtenhecken sich weggestohlen habe.—————
Siebentes Capitel.Nachrichten zu Verhütung eines besorglichen Mißverstandes. Beschluß
des sechsten Capitels, nebst einer Herzenserleichterung des Autors.Die Tugend (pflegt man dem Aristoteles oder Horaz nachzusagen)
ist die Mittelstraße zwischen zwei Abwegen, welche
beide gleich sorgfältig zu vermeiden sind.Es ist ohne Zweifel wohl gethan, wenn ein Schriftsteller,
der sich einen wichtigern Zweck als die bloße Ergötzung seiner
Leser vorgesetzt hat, bei gewissen Anlässen, anstatt des zaumlosen
Muthwillens vieler von den neuern Franzosen, lieber die
bescheidne Zurückhaltung des jungfräulichen Virgils nachahmet,
welcher — bei einer Gelegenheit, wo die Angolas und Versorands
alle ihre Malerkunst verschwendet und nichts besorget
hätten, als daß sie nicht lebhaft und deutlich genug seyn möchten —
sich begnügt uns zu sagen: "daß Dido und sein Held
in Einer Höhle sich zusammen fanden."Allein wenn diese Zurückhaltung so weit ginge, daß die
Dunkelheit, welche man über einen schlüpfrigen Gegenstand
ausbreitete, zu Mißverstand und Irrthum Anlaß geben könnte:
so würde sie, däucht uns, in eine falsche Scham ausarten;
und in solchen Fällen scheint uns rathsamer zu seyn, den
Vorhang ein wenig wegzuziehen, als aus übertriebener Bedenklichkeit
Gefahr zu laufen, vielleicht die Unschuld selbst
ungegründeten Vermuthungen auszusetzen.Wie mißfällig also auch unsern Leserinnen der Anblick
eines schönen Jünglings zu den Füßen einer selbst im Schlummer
lauter Liebe und Wollust athmenden Danae billig seyn
mag: so können wir doch nicht vermeiden, uns noch etliche
Augenblicke bei diesem anstößigen Gegenstande aufzuhalten.
Man ist so geneigt, in dergleichen Fällen der Einbildungskraft
den Zügel schießen zu lassen, daß wir uns lächerlich machen
würden, wenn wir behaupten wollten, unser Held habe sich,
während der ganzen Zeit, die er (nach dem Vorgeben der
kleinen Tänzerin) in dem Pavillon zugebracht haben soll,
immer in der ehrfurchtsvollen Stellung erhalten, worin man
ihn zu Ende des vorigen Capitels gesehen hat. Ja, wir
müssen besorgen, daß Leute, welche —freilich keine Agathonen
sind, vielleicht so weit gehen möchten, zu argwöhnen, daß
er sich den tiefen Schlaf, worin Danae zu liegen schien, auf
eine Art zu Nutze gemacht haben könnte, die sich ordentlicher
Weise nur für einen Faun schickt, und welche unser Freund
Johann Jakob Rousseau selbst nicht schlechterdings gebilliget
hätte, so scharfsinnig er auch in einer Note seines Schreibens
an D'Alembert dasjenige zu rechtfertigen weiß, was er eine
stillschweigende Einwilligung abnöthigen nennet.Um nun unsern Agathon gegen alle solche unverschuldete
Muthmaßungen sicher zu stellen, müssen wir zur Steuer der
Wahrheit melden, daß selbst die reizende Lage der schönen
Schläferin, und die günstige Leichtigkeit ihres Anzugs, welche
ihn einzuladen schien seinen Augen alles zu erlauben, seine Bescheidenheit
schwerlich überrascht haben würden, wenn es ihm
möglich gewesen wäre, der Gewalt der Empfindung, welche
sich aller Kräfte seines Wesens bemächtiget hatte, Widerstand
zu thun. Er überließ also endlich seine Seele der vollkommensten
Wonne ihres edelsten Sinnes, dem Anschauen einer
Schönheit, welche selbst seine idealische Einbildungskraft weit
hinter sich zurückließ; und (was nur diejenigen begreifen
werden, welche die wahre Liebe kennen) dieses Anschauen erfüllte
sein Herz mit einer so reinen, vollkommenen, unbeschreiblichen
Befriedigung, daß er alle Wünsche, alle Ahnungen einer
noch größern Glückseligkeit darüber vergessen zu haben schien.
Vermuthlich (denn gewiß können wir hierüber nichts entscheiden)
würde die Schönheit des Gegenstandes allein, so vollkommen
sie war, diese sonderbare Wirkung nicht gethan haben.
Allein dieser Gegenstand war seine Geliebte! Dieser Umstand
verstärkte die Bewunderung, womit auch die Kaltsinnigsten
die Schönheit ansehen müssen, mit einer Empfindung, welche
noch kein Dichter zu beschreiben fähig gewesen ist, so sehr sich
auch vermuthen läßt, daß sie den mehresten aus Erfahrung
bekannt gewesen seyn könne. Diese namenlose Empfindung
ist es allein, was den wahren Liebhaber von dem Satyr unterscheidet,
und was eine Art von sittlicher Grazie sogar über
dasjenige ausbreitet, was bei diesem nur das Werk des Instincts
oder eines animalischen Hungers ist. Welcher Satyr
würde in solchen Augenblicken fähig gewesen seyn, wie Agathon
zu handeln? — Behutsam und mit der leichten Hand eines
Sylphen zog er das seidene Gewand, welches Amor verrätherisch
aufgedeckt hatte, wieder über die schöne Schlafende
her, warf sich wieder zu den Füßen ihres Ruhebettes, und begnügte
sich ihre nachlässig ausgestreckte Hand, aber mit einer
Zärtlichkeit, mit einer Entzückung und Sehnsucht an seinen
Mund zu drücken, daß eine Bildsäule davon hätte erweckt
werden mögen.Sie mußte also endlich erwachen. Und wie hätte sie
auch dessen sich länger erwehren können, da ihr bisheriger
Schlummer wirklich nur erdichtet gewesen war? Sie hatte
aus einer Neugier, die in ihrer Verfassung natürlich scheinen
kann, sehen wollen, wie ein Agathon in einer so sonderbaren
Gelegenheit sich betragen würde? Aber dieser letzte Beweis
einer vollkommnen Liebe, welche (ungeachtet ihrer Erfahrenheit)
alle Annehmlichkeiten der Neuheit für sie hatte, rührte
sie so sehr, daß sie, von einer ungewohnten und unwiderstehlichen
Empfindung überwunden, in einem Augenblicke, wo sie
zum erstenmal zu lieben und geliebt zu werden glaubte, nicht
mehr Meisterin von ihren Bewegungen war. Sie schlug ihre
schönen Augen auf, Augen, die in den wollüstigen Thränen
der Liebe schwammen und dem entzückten Agathon sein ganzes
Glück auf eine unendlich vollkommnere Art entdeckten, als es
das beredteste Geständniß hatte thun können. O Kallias!
(rief sie endlich mit einem Tone der Stimme, der alle Saiten
seines Herzens widerhallen machte, indem sie, ihre schönen
Arme um ihn windend, den glücklichsten aller Liebhaber an
ihren Busen drückte) was für ein neues Wesen gibst du
mir! Genieße, o! genieße, du Liebenswürdigster unter den
Sterblichen, der ganzen unbegränzten Zärtlichkeit, die du mir
einflößest. — Und hier, ohne den Leser unnöthiger Weise damit
aufzuhalten was sie ferner sagte und was er antwortete, überlassen
wir den Pinsel einem Correggio, und entfernen uns.Doch wir fangen an (wiewohl zu spät) gewahr zu werden,
daß wir unsern Freund Agathon auf Unkosten seiner schönen
Freundin entschuldiget haben. Es ist leicht voraus zu
sehen, wie wenig Gnade sie vor dem ehrwürdigen und glücklichen
Theil unsrer Leserinnen finden werde, welche sich bewußt
sind, oder wenigstens sich schmeicheln, daß sie sich in ähnlichen
Umständen ganz anders als Danae betragen haben würden.
Auch sind wir weit davon entfernt, diese allzu zärtliche Nymphe
rechtfertigen zu wollen, so scheinbar auch die Liebe ihre
Vergehungen zu bemänteln weiß. Indessen bitten wir gleichwohl
die vorbelobten Lukrezien um Erlaubniß, dieses Capitel
mit einer kleinen Nutzanwendung, auf die sie sich vielleicht
nicht gefaßt gemacht haben, schließen zu dürfen.Diese Damen (mit aller Ehrfurcht die wir ihnen schuldig
sind, sey es gesagt) würden sich sehr betrügen, wenn sie glaubten,
daß wir die Schwachheiten eines so liebenswürdigen Geschöpfes
als die schöne Danae ist, nur darum verrathen hätten,
damit sie Gelegenheit bekämen ihre Eigenliebe daran zu kitzeln.
Wir sind in der That nicht so sehr Neulinge in der Welt,
uns überreden zu lassen, daß eine jede, welche sich über das
Betragen unserer Danae ärgern wird, an ihrer Stelle weiser
gewesen wäre. Wir wissen sehr wohl, daß nicht alles, was
das Gepräge der Tugend führt, wirklich ächte und vollhaltige
Tugend ist; und daß sechzig Jahre, oder eine gewisse Figur,
kein oder sehr wenig Recht geben, sich viel auf eine Tugend zu
gut zu thun, welche vielleicht niemand jemals versucht gewesen
ist auf die Probe zu stellen. Kurz, wir zweifeln mit gutem
Grunde, ob diejenigen, die von einer Danae am unbarmherzigsten
urtheilen, an ihrem Platze einem viel weniger gefährlichen
Versucher als Agathon die Augen auskratzen würden. Und
wenn sie es auch thäten, so würden wir vielleicht anstehen ihrer
Tugend beizumessen, was ebensowohl die mechanische Wirkung
unreizbarer Sinnen oder eines unzärtlichen Herzens
gewesen seyn könnte.Unter Augenmerk ist bloß auf euch gerichtet, ihr liebreizenden
Geschöpfe, denen die Natur die schönste ihrer Gaben, die
Gabe zu gefallen, geschenkt hat —ihr, welche sie bestimmt hat
uns glücklich zu machen, aber, welche eine einzige kleine Unvorsichtigkeit
bei Erfüllung dieser schönen Bestimmung so leicht
in Gefahr setzen kann, durch die schätzbarste eurer Eigenschaften,
durch das was die Anlage zu jeder Tugend ist, durch die Zärtlichkeit
eures Herzens selbst, unglücklich zu werden! Euch
allein wünschten wir überreden zu können, wie gefährlich jene
Einbildung ist, womit euch das Bewußtseyn eurer Unschuld
schmeichelt, als ob es allezeit in eurer Macht stehen werde,
der Liebe und ihren Forderungen Gränzen zu setzen. Möchten
die Unsterblichen (wenn anders, wie wir hoffen, die Unschuld
und die Güte des Herzens himmlische Beschützer hat), möchten
sie über die eurige wachen! Möchten sie euch zu rechter Zeit
warnen, euch einer Zärtlichkeit nicht zu vertrauen, welche, bezaubert
von dem großmüthigen Vergnügen den Gegenstand
ihrer Zuneigung glücklich zu machen, so leicht sich selbst
vergessen kann! Möchten sie endlich in jenen Augenblicken, wo
das Anschauen der Entzückungen, in die ihr zu sehen fähig
seyd, eure Klugheit überraschen könnte, euch ins Ohr flüstern:
daß selbst ein Agathon weder Verdient noch Liebe genug hat,
um würdig zu seyn, daß die Befriedigung seiner Wünsche euch
die Ruhe eures Herzens koste!—————
Achtes Capitel.Welch ein Zustand, wenn er dauern könnte!Die schöne Danae war nicht von denen, welche das, was
sie thun, nur zur Hälfte thun. Nachdem sie einmal beschlossen
hatte, ihren Freund glücklich zu machen, so vollführte sie es
auf eine Art, die alles, was er bisher Vergnügen und Wonne
genannt hatte, in Schatten und Träume verwandelte.Man erinnert sich vermuthlich noch, daß eine Art von
Vorwitz, oder vielmehr ein launischer Einfall die Macht ihrer
Reizungen an unserm Helden zu probiren, anfangs die einzige
Triebfeder der Anschläge war, welche sie auf sein Herz gemacht
hatte. Die persönliche Bekanntschaft belebre dieses Vorhaben
durch den Geschmack, den sie an ihm fand; und der tägliche
Umgang, die Vorzüge Agathons, und (was in den meisten
Fällen die Niederlage der weiblichen Tugend wo nicht allein
verursacht, doch sehr befördert) die anstehende Kraft der verliebten
Begeisterung, welcher der göttliche Plato mit Recht die
wunderthätigsten Kräfte zuschreibt; alles dieses zusammen
genommen, verwandelte zuletzt diesen Geschmack in Liebe, aber
in die wahreste, zärtlichste und heftigste, welche jemals gewesen
ist. Unserm Helden allein war die Ehre aufbehalten (wenn es
eine war) ihr eine Leidenschaft einzuflößen, worin sie, ungeachtet
alles dessen was uns von ihrer Geschichte schon entdeckt
worden ist, noch so sehr ein Neuling war als eine Vestalin.
Kurz, er, und er allein, war dazu gemacht, den Widerwillen
zu überwinden, den ihr die gemeinen Liebhaber, die schönen
Hyacinthe, diese tändelnden Gecken, an denen (nach ihrem
eigenen Ausdrucke) die Hälfte ihrer Reizungen verloren ging,
gegen alles was die Miene der Liebe trug, einzuflößen angefangen
hatten.Die meisten von denjenigen Naturkündigern, welche mit
dem Herrn von Büffon dafür halten, daß das Physikalische der
Liebe das Beste davon sey, werden ohne Bedenken eingestehen,
daß der Besitz, oder (um unsern Ausdruck genauer nach ihren
Ideen zu bestimmen) der Genuß einer Danae, an sich selbst
betrachtet, die vollkommenste Art von Vergnügungen in sich
schließe, deren unsre Sinnen fähig sind. Eine Wahrheit, welche,
ungeachtet einer Art von stillschweigender Uebereinkunft, "daß
man sie nicht laut gestehen wolle," von allen Völkern und zu
allen Zeiten so allgemein anerkannt worden ist, daß Karneades,
Sextus, Cornelius Agrippa und Bayle selbst, sich nicht getrauet
haben sie in Zweifel zu ziehen.Ob wir nun gleich nicht Muth genug besitzen, gegen einen
so ehrwürdigen Beweis, als das einhellige Gefühl des ganzen
menschlichen Geschlechts abgibt, denjenigen Vergnügungen der
Liebe, welche der Seele eigen sind, den Vorzug vor jenen
öffentlich zuzusprechen: so werden doch nicht wenige mit uns
einstimmig seyn, daß ein Liebhaber, der selbst eine Seele hat,
im Besitz der schönsten Statue von Fleisch und Blut, die man
nur immer finden kann, sogar jene von den neuern Epicuräern
so hoch gepriesene Lust nur in einem sehr unvollkommnen
Grad erfahren würde; und daß sie allein von der Empfindung
des Herzens jenen wunderbaren Reiz empfange, welcher
immer für unaussprechlich gehalten worden ist —bis Rousseau,
der Stoiker, sich herab gelassen hat, sie in dem fünfundvierzigsten
der Briefe der neuen Heloise zu schildern. Ohne Zweifel
sind es Liebhaber wie Saint Preux und Agathon, welchen es
zukommt über die berührte Streitfrage einen entscheidenden
Ausspruch zu thun; sie, welche durch die Feinheit und Lebhaftigkeit
ihres Gefühls eben so geschickt gemacht werden, von
den körperlichen, als durch die Zärtlichkeit ihres Herzens und
durch ihren innern Sinn für das sittliche Schöne, von den
moralischen Vergnügungen der Liebe zu urtheilen. Und wie
wahr, wie natürlich werden nicht diese, wofern es anders noch
ihresgleichen in diesem verderbten Zeitalter gibt, jene Ausrufung
finden, die den Verehrern der animalischen Liebe unverständlicher
war, als eine Hetruscische Aufschrift den Gelehrten: —
"O, entziehe mie immer diese berauschenden Entzückungen,
für die ich tausend Leben gäbe! — Gib mir nur
das alles wieder, was nicht sie, aber tausendmal süßer ist
als sie!"Die schöne Danae war so sinnreich, so unerschöpflich in der
Kunst ihre Gunstbezeugungen zu vervielfältigen, den innerlichen
Werth derselben durch die Annehmlichkeiten der Verzierung
zu erhöhen, ihnen immer die frische Blüthe der Neuheit
zu erhalten, und alles Eintönige, alles was die Bezauberung
hätte auflösen und dem Ueberdruß den Zugang öffnen können,
klüglich zu entfernen: daß sie, oder eine andre ihresgleichen,
den Herrn von Büffon selbst dahin gebracht haben könnte, seine
Gedanken von der Liebe zu ändern. Diese glückseligen Liebenden
brauchten, um, ihrer Empfindung nach, den Göttern an
Wonne gleich zu seyn, nichts als ihre Liebe. Sie verschmähten
itzt alle jene Lustbarkeiten, an denen sie vorher so viel Geschmack
gefunden hatten. Ihre Liebe machte alle ihre Beschäftigungen
und alle ihre Ergötzungen aus: sie empfanden
nichts anders, sie dachten an nichts anders, sie unterhielten
sich mit nichts anderm. Und doch schienen sie sich immer zum
ersten Mal zu sehen, zum ersten Mal zu umarmen, zum ersten
Mal einander zu sagen, daß sie sich liebten; und wenn sie von
einer Morgenröthe zur andern nichts anders gethan hatten,
so beklagten sie sich noch über die Kargheit der Zeit, welche zu
einem Leben, das sie zum Besten ihrer Liebe unsterblich gewünscht
hätten, ihnen Augenblicke für Tage anrechne. Welch
ein Zustand, wenn er dauern könnte! — ruft hier der griechische
Autor aus.—————
Neuntes Capitel.Eine bemerkenswürdige Wirkung der Liebe, oder, von der Seelenvermischung.Ein alter Schriftsteller, den gewiß niemand beschuldigen
wird, daß er die Liebe zu metaphysisch behandelt habe, und den
wir nur zu nennen brauchen, um allen Verdacht dessen, was
materielle Seelen für Platonische Grillen erklären, von ihm
zu entfernen, mit Einem Worte, Petronius, bedient sich irgendwo
eines Ausdrucks, welcher ganz deutlich zu erkennen gibt,
daß er eine verliebte Vermischung der Seelen nicht nur für
möglich, sondern für einen solchen Umstand gehalten habe, der
die Geheimnisse der Liebesgöttin natürlicher Weise zu begleiten
pflege. Ob er selbst die ganze Stärke dieses Ausdrucks eingesehen,
oder ihm so viel Bedeutung beigelegt habe als wir,
läßt sich aus guten Gründen sehr bezweifeln. Genug, daß
wir diese Stelle einer Hypothese günstig finden, ohne welche
sich, unsrer Meinung nach, verschiedene Phänomene der Liebe
nicht wohl erklären lassen, und vermöge welcher wir annehmen:
"daß bei wahren Liebenden, in gewissen Umständen,
nicht (wie einer unsrer tugendhaftesten Dichter meint)
ein Tausch, sondern eine wirkliche Vermischung der Seelen
vorgehe."Wie dieses möglich sey zu untersuchen, überlassen wir den
weisen und tiefsinnigen Leuten, die, in stolzer Muße und seliger
Abgeschiedenheit von dem Getümmel dieser sublunarischen
Welt, mit der nützlichen Speculation sich beschäftigen, uns zu
belehren, wie alles was wirklich ist, ohne Nachtheil ihrer Meinungen
und Lehrgebäude, möglich seyn könne. Für uns ist
genug, daß eine durch unzählige Beispiele bestätigte Erfahrung
außer allen Zweifel setzt: daß diejenige Gattung von Liebe,
welche Shaftesbury mit bestem Rechte zu einer Art des Enthusiasmus
macht, und gegen welche Lukrez aus eben diesem
Grunde sich mit so vielem Eifer erklärt, solche Wirkungen
hervorbringe, welche nicht besser als durch jenen Petronischen
Ausdruck abgemalt werden können.Agathon und Danae, die uns zu dieser Anmerkung Anlaß
gegeben haben, hatten kaum vierzehn Tage (welche freilich nach
dem Kalender der Liebe nur vierzehn Augenblicke waren) in
jenem glückseligen Wahnsinne, worin wir sie im vorigen Kapitel
verlassen haben, zugebracht: als die besagte Seelenmischung
sich in einem solchen Grade bei ihnen äußerte, daß sie nur
von einer einzigen gemeinschaftlichen Seele belebt und begeistert
zu werden schienen. Wirklich war die Veränderung und der
Absatz ihrer gegenwärtigen Art zu seyn mit ihrer vorigen so
groß daß weder Alcibiades seine Danae, noch die Priesterin zu
Delphi ihren unkörperlichen Agathon wieder erkannt haben
würden. Daß dieser aus einem speculativen Platoniker ein
praktischer Aristipp geworden; daß er eine Philosophie, welche
die reinste Glückseligkeit in Beschauung unsichtbarer Schönheiten
setzt, gegen eine andre, welche sie in angenehmen Empfindungen,
und die angenehmen Empfindungen in ihren nächsten
Quellen, in der Natur, in unsern Sinnen und in unserm Herzen
sucht, vertauschte; daß er von den Göttern und Halbgöttern,
mit denen er vorher umgegangen war, nur die Grazien
und Liebesgötter beibehielt; daß dieser Agathon, der ehemals
von seinen Minuten, von seinen Augenblicken der Weisheit
Rechenschaft geben konnte, jetzt fähig war (wir schämen
uns es zu sagen), ganze Stunden, ganze Tage in zärtlicher
Trunkenheit wegzutändeln — alles dieses, so stark der Abfall
auch ist, wird dennoch den meisten begreiflich scheinen. Aber
daß Danae, welche die Schönsten und Edelsten von Asien,
welche Fürsten und Satrapen zu ihren Füßen gesehen hatte,
welche gewohnt war, in den schimmerndsten Versammlungen
am meisten zu glänzen, einen Hof von allem, was durch Vorzüge
der Geburt, des Geistes, des Reichthums und der Talente
nach ihrem Beifall zu streben würdig war, um sich her zu
sehen; daß diese Danae jetzt verächtliche Blicke in die große
Welt zurück warf, und nichts Angenehmeres fand als die ländliche
Einfalt, nichts Schöneres als in Hainen herum zu irren,
Blumenkränze für ihren Schäfer zu winden, an einer murmelnden
Quelle in seinem Arm einzuschlummern, von der
Welt vergessen zu seyn und die Welt zu vergessen —daß sie,
für welche die empfindsame Liebe sonst ein unerschöpflicher Gegenstand
von witzigen Spöttereien gewesen war, itzt von den
zärtlichen Klagen der Nachtigall in still-heitern Nächten bis zu
Thränen gerührt werden. — oder, wenn sie ihren Geliebten
unter einer schattigen Laube schlafend fand, ganze Stunden,
unbeweglich, in zärtliches Staunen und in den Genuß ihrer
Empfindungen versenkt, neben ihm sitzen konnte, ohne daran
zu denken ihn durch einen eigennützigen Kuß aufzuwecken —
daß diese Schülerin eines Hippias, welche gewohnt gewesen war
nichts lächerlicher zu finden, als die Hoffnung der Unsterblichkeit
und diese süßen Träume von bessern Welten, in welche
sich empfindsame Seelen so gerne zu wiegen pflegen, —daß
sie jetzt, beim dämmernden Schein des Monds, an Agathons
Seite lustwandelnd, schon entkörpert zu seyn, schon in den
seligen Thälern Elysiums zu schweben glaubte, — mitten aus
den berauschenden Freuden der Liebe sich zu Gedanken von
Gräbern und Urnen verlieren, dann, ihren Geliebten zärtlicher
an ihre Brust drückend, den gestirnten Himmel anschauen, und
ganze Stunden von der Wonne der Unsterblichen, von unvergänglichen
Schönheiten und himmlischen Welten phantasiren
konnte: —Dieß waren in der That Wunderwerke der Liebe,
und Wunderwerke, welche nur die Liebe eines Agathons, nur
jene Vermischung der Seelen, durch welche ihrer beider Denkungsart,
Ideen, Geschmack und Neigungen in einander zerflossen,
zuwege bringen konnte.Welches von beiden bei dieser Vermischung gewonnen oder
verloren habe, wollen wir den Lesern zu entscheiden überlassen,
von denen der zärtlichere Theil ohne Zweifel der schönen Danae
den Vortheil zuerkennen wird. Auch dieses däucht uns, wird
niemand so roh oder so stoisch seyn zu leugnen, daß sie glücklich
waren —felices errore suo! —glücklich in dieser süßen Bethörung,
welcher, um dasjenige zu seyn, was die Weisen schon so
lange gesucht und nie gefunden haben, nichts abgeht, als daß
sie (wie der Griechische Autor hier abermal mit Bedauern ausruft)
nicht immer währen kann.—————
Sechstes Buch.Fortsetzung der Liebesgeschichte Agathons und der
schönen Danae.Erstes Capitel.Danae erhält einen Besuch von Hippias.Zufällige Ursachen hatten es so gefügt, daß Hippias sich
auf einige Wochen von Smyrna hatte entfernen müssen, und
daß die Zeit seiner Abwesenheit gerade in diejenige fiel, worin
die Liebe unsers Helden und der schönen Danae den äußersten
Punkt ihrer Höhe erreichte.Dieser Umstand hatte sie gänzlich Meister von einer Zeit
gelassen, welche sie zum Vortheil der Liebe und des Vergnügens
so wohl anzuwenden wußten. Keinem von Danae's ehemaligen
Verehrern wurde gestattet ihre Einsamkeit zu stören; und die
Freundinnen, mit denen sie in Gesellschaft gestanden, hatten
so viel mit ihren eignen Angelegenheiten zu thun, daß sie sich
wenig um die übrigen bekümmerten. Zudem war ihr Aufenthalt
auf dem Lande nichts Ungewöhnliches, und der allgemeine
Genius der Stadt Smyrna war der Freiheit in der Wahl der
Vergnügungen allzu günstig, als daß eine Danae (von der
man ohnehin nicht die strengste Tugend forderte) über die ihrigen,
wenn sie auch bekannt gewesen wären, sehr harte Urtheile
zu besorgen gehabt hätte.Allein Hippias war kaum von seiner Reise zurück gekommen,
so ließ er eine seiner ersten Sorgen seyn, sich in eigner
Person nach dem Fortgange des Entwurfs zu erkundigen, den
er mit ihr zu Bekehrung des allzu Platonischen Kallias gemeinschaftlich
angelegt hatte. Die besondere Vertraulichkeit, worin
er seit mehr als zehn Jahren mit ihr stand, gab ihm das vorzügliche
Recht, sie auch dann zu überraschen, wenn sie sonst
für niemand sichtbar war. Er eilte also sobald er nur konnte
nach ihrem Landgute; und hier brauchte er nur einen Blick
auf unsre Liebenden zu werfen, um zu sehen, wie weit der
besagte Plan in seiner Abwesenheit vorgerückt war. Ein gewisser
Zwang, eine gewisse Zurückhaltung, eine Art von schamhafter
Schüchternheit, welche ihm, besonders an der Pflegetochter
Aspasiens, beinahe lächerlich vorkam, war das erste
was ihm an beiden in die Augen fiel. Wahre Liebe (wie man
längst beobachtet hat) ist eben so sorgfältig ihre Glückseligkeit
zu verbergen, als jene frostige, welche Koketterie oder lange
Weile zur Mutter hat, begierig ist ihre Siege auszurufen.
Allein dieß war weder die einzige noch die vornehmste Ursache
einer Zurückhaltung, welche unsre Liebenden, aller angewandten
Mühe ungeachtet, einem so scharfsichtigen Beobachter nicht
entziehen konnten. Das Bewußtseyn der Verwandlung, welche
sie erlitten hatten; die Furcht vor dem komischen Ansehen, so
ihnen diese in den Augen des Sophisten geben möchte; die
Furcht vor einem Spotte, dessen muthwillige Ergießungen sie
bei jedem Blicke, bei jedem Lächeln erwarteten: dieß war es
was sie in Verlegenheit setzte, und was den artigsten Gesichtern
in ganz Ionien etwas Verdrießliches gab, welches von
einem jeden andern als ihm für ein Zeichen, daß seine Gegenwart
unangenehm sey, hätte aufgenommen werden müssen.Hippias nahm es für das auf, was es in der That war;
und da niemand besser zu leben wußte, so schien er so wenig
zu bemerken was in ihnen vorging, machte den Unachtsamen
und Sorglosen so natürlich, hatte so viel von seiner Reise und
tausend gleichgültigen Dingen zu schwatzen, wußte dem Gespräch
unvermerkt einen so freien Schwung von Munterkeit
zu geben, daß sie alle erforderliche Zeit gewannen, sich wieder
zu erholen und in eine ungezwungene Verfassung zu setzen.Wenn Agathon hierdurch so sehr beruhiget wurde, daß er
wirklich hoffte, sich in seinen ersten Besorgnissen geirret zu
haben: so war hingegen die schlauere Danae weit davon entfernt,
sich durch die Kunstgriffe des Sophisten verblenden zu
lassen. Sie kannte ihn zu gut, um nicht in seiner Seele zu
lesen. Sie sahe wohl, daß es zu einer Erörterung mit ihm
kommen müsse; und war nur darüber unruhig, wie sie sich
entschuldigen wollte, über der Bemühung den Charakter Agathons
umzubilden, ihren eignen, oder doch einen guten Theil
davon, verloren zu haben.Mit diesen Gedanken hatte sie sich in den Stunden der
gewöhnlichen Mittagsruhe beschäftiget, und war noch nicht
recht mit sich selbst einig, wie weit sie sich dem Sophisten vertrauen
wolle: als er in ihr Zimmer trat, und ihr mit der
vertraulichen Freimüthigkeit eines alten Freundes entdeckte,
daß es bloß die Neugier über den Fortgang ihres geheimen
Anschlags sey, was ihn so bald nach seiner Wiederkunft zu ihr
gezogen habe. Die Glückseligkeit des Kallias (setzte er hinzu)
schimmert zu lebhaft aus seinen Augen und aus seinem ganzen
Betragen hervor, schöne Danae, als daß ich durch überflüssige
Fragstücke die reizende Farbe dieser liebenswürdigen Wangen
zu erhöhen suchen sollte. Und findest du ihn also der Mühe
würdig, die du auf seine Bekehrung ohne Zweifel verwenden
mußtest?Der Mühe? sagte Danae lächelnd: ich schwöre dir, daß
mir in meinem Leben keine Mühe so leicht geworden ist, als
mich von dem liebenswürdigsten Sterblichen, den ich jemals
gekannt habe, lieben zu lassen. Denn dieß war doch alle Mühe.Nicht ganz und gar (unterbrach sie Hippias), wenn du so
aufrichtig seyn willst als es unsrer Freundschaft gemäß ist. Ich
bin gewiß, daß er an keine Verstellung dachte, da er noch in
meinem Hause war; und die Veränderung, die ich an ihm
wahrnehme, ist so groß, verbreitet sich so sehr über seine
ganze Person, hat ihn so unkenntlich gemacht, daß Danae
selbst, auf deren Lippen die Ueberredung wohnt, mich nicht
überreden soll, daß eine solche Seelenverwandlung im Schlafe
vorgehen könne. Keine Zurückhaltungen, schöne Danae! Die
Wirkungen zeugen von ihren Ursachen, und ein großes Werk
setzt große Anstalten voraus. Wenn ein Kallias dahin gebracht
wird, daß er wie ein Liebling der Venus heraus geputzt ist;
daß er mit einer Sybaritischen Zunge von der Niedlichkeit der
Speisen und dem Geschmacke der Weine urtheilt; daß er die
wollüstigsten Modulationen eines in Liebe schmelzenden Liedes
mit entzücktem Händeklatschen wiederholen heißt, und sich die
Trinkschale von einer Nymphe mit unverhülltem Busen eben
so gleichgültig reichen läßt, als er sich in die weichen Polster
eines Persischen Ruhebettes hinein senkt: —wahrhaftig, schöne
Danae, dieß nenn' ich eine Verwandlung, deren Bewerkstelligung,
zumal in so kurzer Zeit, ich keiner von allen unsterblichen
Göttinnen zugetraut hätte.Ich weiß nicht was du damit sagen willst, erwiederte
Danae mit einer angenommenen Zerstreuung: mich däucht
nichts natürlicher als das alles worüber du dich so verwundert
stellst. Und gesetzt du hattest dich in deinem Urtheil von Kallias
betrogen, ist es seine Schuld? Die Wahrheit zu sagen,
nichts kann unähnlicher seyn als der Kallias, den du mir abschildertest,
und der, den ich gefunden habe. Du machtest
mich einen pedantischen Thoren, den Gegenstand einer Komödie,
erwarten; und ich — du magst über mich lachen so lange
du willst, aber ich wiederhol' es, Alcibiades im Frühling seiner
Jahre und Reizungen war nicht liebenswürdiger als der
Mann, den du mir für ein lächerliches Mittelding von einem
Phantasten und von einer Bildsäule gabst. Wenn eine Verschiedenheit
zwischen Agathon und — denen ist, für welche ich
ehmals, aus Dankbarkeit, Geschmack oder Laune, Gefälligkeiten
gehabt habe, so ist sie gänzlich zu seinem Vortheile; so
ist es, daß er edler, aufrichtiger, zärtlicher ist; daß er mich
liebt, da jene nur sich selbst in mir liebten; daß ihn mein
Vergnügen glücklicher macht als sein eignes; daß er das großmüthigste
und erkenntlichste Herz mit den glänzendsten
Vorzügen des Geistes und mit allem, was den Umgang reizend
macht, vereinigt besitzt.Welch ein Strom von Beredsamkeit! rief Hippias mit
dem Lächeln eines Fauns: du sprichst nicht anders, als ob du
seine Apologie gegen mich machen müßtest! Und wann hab'
ich denn was andres gesagt? Beschrieb ich ihn nicht als liebenswürdig?
Sagt' ich dir nicht, daß er dir alle deine gaukelnden
Sommervögel unerträglich machen würde? — Aber
wir wollen uns nicht zanken, schöne Danae. Ich sehe, daß
Amor hier mehr Arbeit gemacht hat als ihm aufgetragen war.
Er sollte dir nur helfen, den Agathon zu unterwerfen; aber
der übermüthige kleine Bube hat es für eine größere Ehre
gehalten, dich selbst zu besiegen; diese Danae, welche bisher
mit seinen Pfeilen nur gescherzt hatte. Bekenne, Danae —Ja (fiel sie ihm lebhaft ein), ich bekenne, daß ich
liebe wie ich nie geliebt habe; daß alles was ich sonst Glückseligkeit
nannte, kaum den Namen des Daseyns verdient hat.
Ich bekenne es, Hippias, und bin stolz darauf, daß ich mich
fähig fühle, alles was ich besitze, alle Ergötzlichkeiten von
Smyrna, alle Ansprüche an Beifall, alle Befriedigungen der
Eitelkeit, und eine ganze Welt voll Liebhaber, wie eine Nußschale
hinzuwerfen, um mit Kallias in einer Strohhütte zu
leben, und mit diesen Händen, welche nicht zu weiß und zärtlich
dazu seyn sollten, die Milch zuzubereiten, die ihm, vom
Felde wieder kommend weil ich sie ihm reichte, lieblicher schmecken
würde, als Nektar aus den Händen der Liebesgöttin.O, das ist was andres, rief Hippias, der sich nun nicht
länger halten konnte in ein lautes Gelächter auszubrechen:
wenn Danae aus diesem Tone spricht, so hat Hippias nichts
mehr zu sagen! Aber (fuhr er fort, nachdem er sich die Augen
gewischt und den Mund in Falten gelegt hatte) in der That,
schöne Freundin, ich lache zur Unzeit. Die Sache ist ernsthafter
als ich beim ersten Anblick dachte, und ich besorge nun
in ganzem Ernste, daß Kallias, so sehr er dich anzubeten
scheint, nicht Liebe genug haben möchte, die deinige zu erwiedern.Ich erlasse dem Hippias diese Sorge, sagte Danae mit
einem spöttischen Lächeln, welches ihr ungemein reizend ließ;
dieß soll meine Sorge seyn. Mich däucht, Hippias, der ein
so großer Meister ist von den Wirkungen auf die Ursachen zu
schließen, sollte ganz ruhig darüber seyn können, daß Danae
sich nicht wie ein vierzehnjähriges Mädchen fangen läßt.Die Götter der Liebe und Freude verhüten, daß meine
Worte einen übel weissagenden Sinn in sich fassen! erwiederte
Hippias. Du liebest, schöne Danae; du wirst geliebt; kein
würdigeres Paar glücklich zu seyn, kein geschickteres sich glücklich
zu machen, hat Amor je vereiniget. Erschöpfet alles
was die Liebe Reizendes hat! Trinket immer neue Entzückungen
aus ihrem nektarischen Becher; und möge die neidenswerthe
Bezauberung so lang als euer Leben dauern!—————
Zweites Capitel.Eine Probe von den Talenten eines Liebenden.In einem so freundschaftlichen und schwärmerischen Ton
stimmte der gefällige Sophist seine Sprache um, als Agathon
herein trat, um ihnen einen Spaziergang in die Gärten vorzuschlagen,
worin er sich das Vergnügen machen wollte, sie
mit einer in geheim veranstalteten Ergötzung zu überraschen.
Man ließ sich den Vorschlag gefallen, und nachdem Hippias
eine Reihe von neuen Gemälden, womit die Galerie vermehrt
worden war, besehen hatte, stieg man in den Garten hinab,
wo, in Persischem Geschmack, große Blumenstücke, Spaziergänge
von hohen Bäumen, kleine Teiche, künstliche Wildnisse,
Lauben und Grotten, in anmuthiger Unordnung unter einander
geworfen schienen. Das Gespräch ward itzt wieder gleichgültig,
und Hippias wußte es so zu lenken, daß Agathon unvermerkt
veranlaßt wurde, die neue Richtung, welche seine
Einbildungskraft bekommen hatte, auf hundertfältige Art zu
verrathen.Inzwischen neigte sich die Sonne, als sie beim Eintritt
in einen kleinen Wald von Myrten- und Citronenbäumen,
von einem versteckten Concert, welches alle Arten der Singvögel
nachahmte, empfangen wurden. Aus jedem Zweig, aus
jedem Blatte schien eine besondere Stimme hervor zu dringen,
so volltönig war diese Musik, die, durch Nachahmung der
kunstlosen Natur, in der scheinbaren Unregelmäßigkeit phantasirender
Töne, die lieblichste Harmonie hervorbrachte, die man
jemals gehört hatte. Die Dämmerung des heitersten Abends,
und die eigne Anmuth des Orts vereinigten sich damit, diesem
Lusthaine die Gestalt der Bezauberung zu geben. Danae,
welche seit wenigen Wochen eine ganz neue Empfindlichkeit
für das Schöne der Natur und die Vergnügungen der Einbildungskraft
bekommen hatte, sah ihren sich ganz unwissend
stellenden Liebling mit Augen an, welche ihm sagten, daß nur
die Gegenwart des Hippias sie verhindere, ihre schönen Arme
um seinen Hals zu werfen.Indem hüpfte unversehens eine Anzahl von kleinen
Liebesgöttern und Faunen aus dem Hain hervor; jene von
flatterndem, mit nachgeahmten Rosen durchwebtem Silberflor
leicht bedeckt; diese nackend, außer daß ein Epheukranz, mit
gelben Rosen durchflochten, ihre milchweißen Hüften schützte,
und um die kleinen vergoldeten Hörner sich wand, die aus
ihren schwarzen kurzlockichten Haaren hervorstachen. Alle
diese kleinen Geniusse streuten aus zierlichen Körbchen von
Silberdrath die schönsten Blumen vor Danae her, und führten
sie tanzend in die Mitte des Wäldchens, wo Gebüsche von
Schasminen, Rosen und Akazien eine Art von halbcirkelndem
Amphitheater bildeten, unter welchem ein zierlicher Thron von
Laubwerk und Blumenkränzen für die schöne Danae bereitet
stand. Nachdem sie sich hier gesetzt hatte, breiteten die Liebesgötter
einen Persischen Teppich vor ihr aus, indem von den
kleinen Faunen einige beschäftigt waren, den Boden mit goldenen
und krystallenen Trinkschalen von den schönsten Formen
zu besetzen, andere unter der Last voller Schläuche mit
possierlichen Gebärden herbei gekrochen kamen, und im Vorbeigehen
den weisen Hippias durch hundert muthwillige Spiele
neckten.Auf einmal schlüpften die Grazien hinter einer Myrtenhecke
hervor, drei jugendliche Schwestern, deren halb aufgeblühte
Schönheit ein leichtes Gewölke von seidnem Flor mehr
zu entwickeln als zu verhüllen eifersüchtig schien. Sie umgaben
ihre Gebieterin, und, indem die erste einen frischen
Blumenkranz um ihre schöne Stirn wand, reichten ihr die
beiden andern kniend in goldnen Schalen die auserlesensten
Früchte und Erfrischungen dar; während daß die Faunen den
Hippias mit Epheu kränzten, und wohlriechende Salben über
seine Glatze und halbgrauen Bart herunter gossen.Beide bezeigten ihr Vergnügen über dieses kleine Schauspiel,
welches das lachendste Gemälde von der Welt machte;
als eine zärtliche Symphonie von Flöten, aus der Luft, wie
es schien, herabtönend, die Augen zu einer neuen Erscheinung
aufmerksam machte. Die Liebesgötter, die Faunen und
die Grazien waren verschwunden, und es öffnete sich, der
Danae gegenüber, die waldichte Scene, um auf einem goldnen
Gewölke, welches über den Rosenbüschen von Zephyren
empor gehalten wurde, den Liebesgott darzustellen. Ein schalkhaftes
Lächeln, das sein liebliches Gesicht umscherzte, schien die
Herzen zu warnen, sich von der tändelnden Unschuld dieses
schönen Götterknaben nicht berücken zu lassen. Er sang mit
der lieblichsten Stimme, und der Inhalt seines Gesangs
drückte seine Freude aus, daß er endlich Gelegenheit gefunden
habe, sich an der schönen Danae zu rächen. "Gleich der Liebesgöttin,
meiner Mutter (so sang er), herrscht sie unumschränkt über
die Herzen, und athmet allgemeine Liebe umher: von ihren
Blicken beseelt, wendet sich ihr die Natur als ihrer Göttin zu;
verschönert, wenn sie lächelt, traurig und welkend, wenn sie
sich von ihr kehrt. Verlassen stehen die Altäre zu Paphos;
die Seufzer der Liebenden wallen nur ihr entgegen; und indem
ihre siegreichen Augen rings um sie her jedes Herz verwunden
und entzücken, lacht sie, die Stolze, meiner Pfeile, und trotzt
mit unbezwungener Brust der Macht, vor welcher Götter
zittern. Aber nicht länger soll sie trotzen! Hier ist der schärfste
Pfeil, scharf genug einen Busen von Marmor zu spalten, und
die kälteste Seele in Liebesflammen hinzuschmelzen. Zittre,
ungewahrsame Schöne! Dieser Augenblick soll Amorn und
seine Mutter rächen! Tief seufzend sollst du auffahren, wie
ein junges Reh auffährt, wenn es, unter Rosen schlummernd,
den geflügelten Pfeil des Jägers fühlt; schmerzenvoll und
trostlos sollst du in einsamen Hainen irren, und, auf öden
Felsen sitzend, den schleichenden Bach mit deinen Thränen
mehren."So sang er und spannte boshaft-lächelnd den Bogen;
schon war der Pfeil angelegt, schon zielte er nach ihrem
Busen; aber plötzlich fuhr er mit einem lauten Schrei zurück,
zerbrach seinen Pfeil, warf den Bogen von sich, und
flatterte mit zärtlich schüchterner Gebärde auf die schöne
Danae zu. "O Göttin, vergib! (sang er, indem er bittend
ihre Knie umfaßte) vergib, vergib, schöne Mutter, dem
Irrthum meiner Augen! Wie leicht war es zu irren! Ich
sahe dich für Danae an."In dem nämlichen Augenblicke, da er dieß gesungen hatte,
erschienen die Grazien, die Liebesgötter und die kleinen Faunen
wieder, um die Scene mit Tänzen und Gesängen zum
Preis der Schönen zu endigen, welche auf eine so schmeichelhafte
Art zur Göttin der Liebe erklärt worden war. Dieses
überraschende Compliment (welches damals noch den Reiz der
Neuheit hatte) schien ihr Vergnügen zu machen; und der doppelt
belustigte Hippias gestand, daß sein junger Freund einen
sehr guten Gebrauch von seiner Einbildungskraft zu machen
gelernt habe. "Dachte ich nicht, Kallias" (sagte er leise zu
ihm, indem er ihn auf die Schultern klopfte), "daß ein
Monat unter den Augen der schönen Danae dich von den Vorurtheilen
heilen würde, womit du gegen meine Grundsätze
eingenommen warest? Ich sehe, du hast sie bereits meisterhaft
ausüben gelernt!"Der übrige Theil des Abends wurde auf eine eben so angenehme
Weise zugebracht, bis endlich Hippias (welcher den
folgenden Morgen wieder in Smyrna seyn mußte) in einem
Zustande, worin er mehr dem Vater Silen als einem Weisen
glich, von den kleinen Faunen zu Bette gebracht wurde.Agathon hat nun nichts Dringenderes als von Danae zu
erfahren, was der Gegenstand ihrer einzelnen Unterredung
mit dem Hippias gewesen sey. Man wird es dieser Schönen
zu gut halten können, daß sie die Aufrichtigkeit ihres Berichts
nicht so weit trieb, ihm das Verständniß zu entdecken, worein
sie sich von dem Sophisten anfangs hatte ziehen lassen, und
dessen Ausgang sich so weit von der Anlage des ersten Plans
entfernt hatte. Die zärtlichste und vertrauteste Liebe verhindert
nicht, daß man sich nicht kleine Geheimnisse vorbehalten
sollte, bei deren Entdeckung die Eigenliebe zu viel verlieren
würde. Sie begnügte sich also, ihm zu sagen: daß Hippias
viel Gutes von ihm gesprochen und versichert habe, daß er
ihn weit aufgeweckter und artiger finde als er vorher gewesen.
Es hätte sie bedünkt, daß er mehr damit habe sagen
wollen, als seine Worte an sich selbst gesagt hätten; sie hätte
aber eben so wenig daran gedacht ihn zum Vertrauten ihrer
Liebe zu machen, als sie Ursache fände, eine Achtung zu verbergen,
welche man den persönlichen Verdiensten des Kallias
nicht versagen könne. Uebrigens hätte sie die Munterkeit unsers
Helden der Zeit, welche das Andenken seiner Unglücksfälle
schwäche, und der vollkommnern Freiheit die er in ihrem Hause
genösse, beigemessen.Agathon ließ sich durch diese Erzählung nicht nur beruhigen;
sondern, wie seine Einbildungskraft gewohnt war, ihn
immer weiter zu führen als er im Sinne hatte zu gehen, so
fühlte er sich, nachdem sie eine Zeit lang von dieser Sache gesprochen
hatte, so muthig, daß er sich vornahm, den Scherzen
des Hippias, wofern es demselben jemals einfallen sollte über
seine Freundschaft mit Danaen zu scherzen, in gleichem Tone
zu antworten. Eine Entschließung, welche (ob er es gleich
nicht gewahr wurde) in der That mehr Unverschämtheit voraussetzte,
als ein viel längerer Fortgang auf den Abwegen
auf die er verirrt war, einem Agathon hätte geben sollen.—————
Drittes Capitel.Zückende Bewegungen der wieder auflebenden Tugend.Wenige Tage waren seit dem Besuch des Hippias verstossen,
als ein Fest, welches dieser Sophist alle Jahre anzustellen
pflegte, ihm Gelegenheit gab, der schönen Danae und
ihrem Freunde eine Einladung zuzusenden. Weil sie keinen
guten Vorwand hatten sich zu entschuldigen, so erschienen sie
auf den bestimmten Tag, und Agathon brachte eine Lebhaftigkeit
mit, welche ihm selbst Hoffnung machte, daß er sich so gut
halten würde, als es die Anfälle, die er von der Schalkhaftigkeit
des Sophisten erwartete, nur immer erfordern
könnten. Hippias hatte nichts vergessen, was die Pracht seines
Festes vermehren konnte; und nach demjenigen, was wir im
zweiten Buche von den Grundsätzen, der Lebensart und den
Reichthümern dieses Mannes gemeldet haben, können unsre
Leser sich so viel davon einbilden als sie wollen, ohne zu besorgen,
daß wir sie durch überflüssige Beschreibung von den
wichtigern Gegenständen, die unsre Aufmerksamkeit fordern,
zurückhalten werden.Agathon hatte über der Tafel die Rolle eines witzigen
Kopfes sehr gut gespielt. Er hatte so fein und so lebhaft
gescherzt, und bei vielen Gelegenheiten die Vorstellungen,
wovon seine Seele damals beherrscht wurde, so deutlich verrathen,
daß Hippias sich nicht enthalten konnte, ihm in
einem Augenblicke, wo sie allein waren, seine ganze Freude
darüber auszudrücken. "Ich bin erfreut, Kallias (sagte er zu
ihm), daß du, wie ich sehe, einer der Unsrigen geworden bist.
Du rechtfertigest die gute Meinung vollkommen, die ich beim
ersten Anblick von dir faßte: ich sagte immer, daß einer so
feurigen Seele wie die deinige nur wirkliche Gegenstände
mangelten, um ohne Mühe von den Chimären zurück zu
kommen, woran du vor einigen Wochen noch so stark zu
hängen schienest."Zum Glück für den guten Agathon rettete ihn die Dazwischenkunft
einiger Personen von der Gesellschaft, mitten
in der Antwort, die er zu stottern angefangen hatte: aber
aus der Unruhe, welche diese wenigen Worte des Sophisten
in sein Gemüth geworfen hatten, konnte ihn nichts retten.
Alle Mühe die er anwandte, alle Zeitkürzungen wovon er
sich umgeben sah, waren zu schwach, ihn aus einer Verwirrung
heraus zu ziehen, welche sogar durch den Anblick der
schönen Danae vermehrt wurde. Er mußte sich unter dem
Vorwand einer kleinen Uebelkeit aus der Gesellschaft wegbegeben,
um in einem entlegnen Cabinette den Gedanken nachzuhängen,
deren auf einmal daher staunende Menge ihm eine
Zeit lang alles Vermögen benahm, einen von dem andern zu
unterscheiden. Endlich faßte er sich doch so weit, daß er seinem
beklemmten Herzen durch folgendes, oft abgebrochenes Selbstgespräch
Luft machen konnte."Ich bin erfreut, daß du einer von den Unsrigen geworden?
sagte er. — Ist's möglich? Einer von den Seinigen?
— Dem Hippias ähnlich? — Ihm, dessen Grundsätze, dessen
Leben, dessen vermeinte Weisheit mir vor kurzen noch so viel
Abscheu einflößten! — Und die Verwandlung ist so groß, daß
sie ihm keinen Zweifel übrig läßt? —Gütige Götter! Was
ist aus eurem Agathon geworden? — Ach! es ist mehr als
zu gewiß, daß ich nicht mehr ich selbst bin! — Wie? sind
mir nicht alle Gegenstände dieses Hanses, von denen meine
Seele sich ehemals mit Ekel und Grauen wegwandte, gleichgültig
oder gar angenehm geworden? Diese üppigen Gemälde —
diese schlüpfrigen Nymphen — diese Gespräche,
worin alles, was dem Menschen groß und ehrwürdig seyn
soll, in ein komisches Licht gestellt wird —diese Verschwendung
der Zeit — diese mühsam ausgesonnenen und über die Forderung
der Natur getriebenen Ergötzungen — Himmel! wo
bin ich? An was für einem jähen Abhang finde ich mich
selbst — Welch ein Abgrund unter mir! — O Danae,
Danae!"Hier hielt er ein, um den trostvollen Einflüssen Raum
zu lassen, welche dieser Name und die zauberischen Bilder,
die damit verbunden waren, über seine sich selbst quälende
Seele ausbreiteten. Mit einem schleunigen Uebergang von
Schwermuth zu Entzückung durchflog sie jetzt alle diese Scenen
von Liebe und Glückseligkeit, welche ihr die letztverflossenen
Tage zu Augenblicken gemacht hatten; und von diesen Erinnerungen
mit einer innigen Wollust durchströmt, konnte sie
oder wollte sie vielmehr den Gedanken nicht ertragen, daß sie
in einem so beneidenswürdigen Zustand unter sich selbst herunter
gesunken seyn könne. "Göttliche Danae" (rief der arme
Kranke in einem verdoppelten Anstoß des wiederkehrenden
Taumels aus), ".könnt' es ein Verbrechen seyn, das vollkommenste
unter allen Geschöpfen zu lieben? Ein Verbrechen,
glücklich zu seyn?" In diesem Tone fuhr Amor (welchen Plato
sehr richtig den größten unter allen Sophisten nennt) desto ungehinderter
fort ihm zuzureden, da ihm die Eigenliebe zu
Hülfe kam und seine Sache zu der ihrigen machte. Denn was
ist unangenehmer, als sich selbst zugleich anklagen und verurtheilen
müssen? Und wie gern hören wir die Stimme der sich
selbst vertheidigenden Leidenschaft? Wie gründlich finden
wir jedes Blendwerk, womit sie die richterliche Vernunft zu
einem falschen Ausspruch zu verleiten sucht?Agathon hörte diese betrügliche Schutzrednerin so gern,
daß es ihr gelang, sein Gemüth wieder zu besänftigen. Er
schmeichelte sich, ungeachtet einer Veränderung seiner Denkungsart,
die er sich selbst für eine Verbesserung zu geben suchte,
den Unterschied zwischen ihm und Hippias noch so groß, so wesentlich
zu finden als jemals. Er verbarg seine schwache Seite
hinter die Tugenden, deren er sich bewußt zu seyn glaubte,
und beruhigte sich endlich völlig mit einem idealischen Entwurf
eines seinen eignen Grundsätzen gemäßen Lebens, zu welchem
er seine geliebte Danae schon genug vorbereitet glaubte, um
ihr selbigen ohne längern Aufschub vorzulegen. Er kehrte nun
mit einem so aufgeheiterten Gesichte zur Gesellschaft zurück,
daß Danae und Hippias selbst sich leicht bereden ließen, seinen
vorigen Anstoß einer vorübergehenden Uebelkeit zuzuschreiben.Ergötzlichkeiten folgten jetzt auf Ergötzlichkeiten so dicht an
einander, und so mannichfaltig, daß die überladne Seele keine
Zeit behielt, sich Rechenschaft von ihren Empfindungen zu geben;
und in diesen brausenden Vergnügungen wurde die ganze
Nacht bis zum Anbruch der Morgenröthe hingebracht. Die
Gegenwart der liebenswürdigen Danae wirkte mit ihrer ganzen
Zauberkraft auf unsern Helden, ohne verhindern zu können,
daß er von Zeit zu Zeit in eine Zerstreuung fiel, aus welcher
sie ihn, sobald sie es gewahr wurde, zu ziehen bemüht war. Die
Gegenstände, welche seinen sittlichen Geschmack ehemals beleidiget
hatten, waren hier zu häufig, als daß nicht, mitten
unter den flüchtigen Vergnügungen, womit sie gleichsam über
die Oberfläche seiner Seele hinglitscheten, ein geheimes Gefühl
seiner Erniedrigung seine Wangen mit Schamröthe vor
sich selbst, dem Vorläufer der wiederkehrenden Tugend, hätte
überziehen sollen.Dieses begegnete insonderheit bei einem pantomimischen
Tanze, womit Hippias seine größtentheils von Wein glühenden
Gäste noch eine geraume Zeit nach Mitternacht vom Einschlummern
abzuhalten suchte. Die Tänzerin, ein reizendes
Mädchen, welches ungeachtet seiner Jugend schon lange in den
Geheimnissen von Cythere eingeweiht war, tanzte die Fabel
der Leda; dieses berüchtigte Meisterstück der eben so vollkommnen
als üppigen Tanzkunst der Alten, dessen Wirkungen Juvenal
in einer von seinen Satyren mit Zügen schildert, welche
mehr der Stärke als der Sittsamkeit wegen merkwürdig sind.
Hippias und die meisten seiner Gäste bezeigten ein unmäßiges
Vergnügen über die Art, wie seine Tänzerin diese schlüpfrige
Geschichte, nach der wollüstigen Modulation zweier Flöten,
durch die stumme Sprache der Bewegung von Scene zu Scene
bis zur Entwicklung fortzuwinden wußte. Zeuxis und Homer
selbst, riefen sie, könnte nicht besser, nicht deutlicher mit Farben
oder Worten, als die Tänzerin durch ihre Bewegungen,
malen. Die Frauenzimmer glaubten genug gethan zu haben,
da sie auf dieses Schauspiel nicht Acht zu geben schienen; aber
Agathon konnte den widrigen Eindruck, den es auf ihn machte,
nur mit Mühe in sich selbst verschließen. Er wollte eben etwas
sagen, welches in einer solchen Gesellschaft keinen großen Effect
hätte thun können: als ein beschämter Blick auf sich selbst,
und vielleicht die Furcht den ausgelassenen Hippias zu einer
allzu scharfen Rache zu reizen, seine Rede auf seinen Lippen
erstickte, und (weil doch die ersten Worte einmal gesprochen
waren) den vorgehabten Tadel in einen gezwungenen Beifall
verwandelte. Er hatte nun keine Ruhe, bis er die schöne
Danae bewog, sich mit ihm und einer von ihren Freundinnen
aus einer Gesellschaft davon zu schleichen, aus welcher die Grazien
schamroth weggeflohen waren; und sein Unwille ergoß sich,
während daß sie nach Hause zurückkehrten, in eine scharfe Beurtheilung
des verdorbenen Geschmacks der Sophisten, die so
lange dauerte, bis sie bei Anbruch des Tages wieder auf
dem Landhause der Danae anlangten, um die von Ergötzungen
abgemattete Natur durch Ruhe und Schlummer wieder herzustellen.—————
Viertes Capitel.Ein Traum.Die Stoiker (dieser strenge moralische Orden, dessen Abgang
wir mit dem vortrefflichen Montesquieu einen Verlust für
das menschliche Geschlecht zu nennen versucht sind) hatten,
unter andern Sonderlichkeiten, eine große Meinung von der
Natur und Bestimmung der Träume. Sie trieben es so weit,
daß sie sich die Mühe gaben, eben so große Bücher über diese
Materie zu schreiben, als diejenigen, womit die gelehrte Welt
noch in unsern Tagen von einigen weisen Mönchen über die
erhabne Kunst, die Gespenster zu prüfen und zu bannen, beschenkt
worden ist. Sie theilten die Träume in mancherlei
Gattungen und Arten ein, wiesen ihnen ihre geheimen Bedeutungen
an, gaben den Schlüssel dazu, und trugen kein Bedenken,
einige Arten derselben ganz zuversichtlich dem Einfluß
derjenigen Geister zuzuschreiben, womit sie alle Theile der
Natur bevölkert hatten. In der That scheinen sie sich in
diesem Stücke lediglich nach einem allgemeinen Glauben,
der sich von jeher unter allen Völkern und Zeiten erhalten
hat, gerichtet, und dasjenige in die Form einer gelehrten
Theorie gebracht zu haben, was bei ihren Großmüttern
ein sehr unsicheres Gemische von Tradition, Einbildung
und Blödigkeit des Geistes gewesen seyn mochte. Dem
sey nun wie ihm wolle, so ist doch schwerlich zu läugnen:
daß wir zuweilen Träume haben, in welchen so viel Zusammenhang,
so viel Beziehung auf unsere vergangnen und
gegenwärtigen Umstände, wiewohl allezeit mit einem kleinen
Zusatze von Wunderbarem und Unbegreiflichem, anzutreffen
ist, daß wir uns, um jener Merkmale der Wahrheit
willen, geneigt finden, in diesen letztern etwas Geheimnisvolles
und Vorbedeutendes zu suchen. Träume von dieser
Art den Geistern außer uns, oder (wie die Pythagoräer thaten)
einer gewissen prophetischen Kraft oder Divination
unsrer Seele, welche unter dem tiefen Schlummer der Sinne
bessere Freiheit haben sich zu entwickeln, mit entscheidender
Gewißheit beizumessen, überlassen wir denjenigen, welche zum
Besitz jener von Lukrez so enthusiastisch gepriesenen Glückseligkeit,
die Ursachen der Dinge einzusehen, in einem vollern Maße
gelangt sind als wir. Indessen haben wir uns doch zum Gesetze
gemacht, den guten Rath unsrer Großmütter und Tanten
nicht zu verachten, welche uns, da wir noch das Glück ihrer
einsichtsvollen Erziehung genossen, unter Anführung einer
langen Reihe von Familien-Beispielen, ernstlich zu vermahnen
pflegten, die Warnungen und Fingerzeige der Träume
ja nicht für gleichgültig anzusehen.Agathon hatte diesen Morgen, nachdem er in einer Verwirrung
von uneinigen Gedanken und Gemüthsbewegungen
endlich eingeschlummert war, einen Traum, den man mit einigem
Rechte zu den kleinen Ursachen zählen kann, durch welche
große Begebenheiten hervorgebracht worden sind. Wir wollen
ihn erzählen, wie wir ihn in unsrer Urkunde finden, und dem
Leser überlassen, was er davon urtheilen will.Ihn däuchte, daß er in einer Gesellschaft von Nymphen
und Liebesgöttern auf einer anmuthigen Ebne sich erlustige.
Danae war unter ihnen. Mit zauberischem Lächeln reichte sie
ihm, wie Ariadne ihrem Bacchus, eine Schale voll Nektars,
welchen er, an ihren Blicken hangend, mit wollüstigen Zügen
hinunter schlürfte. Auf einmal fing alles um ihn her zu tanzen
an. Er tanzte mit. Ein Nebel von süßen Düften schien
ringsum die wahre Gestalt der Dinge zu verhüllen; tausend
liebliche Gestalten, wie Seifenblasen, eben so schnell zerflossen
als entstanden, gaukelten vor seiner Stirne. In diesem Taumel
hüpfte er eine Zeit lang fort, bis auf einmal der Nebel
und seine ganze fröhliche Gesellschaft verschwand. Ihm war,
als ob er aus einem tiefen Schlaf erwachte; und da er die
Augen aufschlug, sah er sich an der Spitze eines jähen Felsen,
unter welchem ein reißender Strom seine beschäumten Wellen
fortwälzte. Gegen ihm über, auf dem andern Ufer des Flusses,
stand Psyche. Ein schneeweißes Gewand floß zu ihren Füßen
herab; ganz einsam und traurig stand sie, und heftete Blicke
auf ihn, die ihm das Herz durchbohrten. Ohne sich einen
Augenblick zu besinnen, stürzte er sich in den Fluß hinab, arbeitete
sich ans andre Ufer hinüber, und eilte seiner Psyche
zu Füßen sich zu werfen. Aber sie entschlüpfte ihm wie ein
Schatten; er strebte ihr mit ausgebreiteten Armen nach; vergebens!
es war ihm unmöglich den kleinen Zwischenraum zurückzulegen,
der ihn von ihr trennte. Noch immer heftete sie ihre
Blicke auf ihn; ernste Traurigkeit sprach aus ihrem Gesicht,
und ihre rechte Hand wies in die Ferne, wo er die goldnen
Thürme und die heiligen Haine des Delphischen Tempels ganz
deutlich zu unterscheiden glaubte. Thränen stürzten bei diesem
Anblick über seine Wangen herab. Er streckte seine Arme,
flehend und von unaussprechlichen Empfindungen beklemmt,
nach der geliebten Psyche aus. Aber sie floh eilends von ihm
weg, einer Bildsäule der Tugend zu, die unter den Trümmern
eines verfallnen Tempels, einsam und unversehrt, in majestätischer
Ruhe auf einem unbeweglichen Kubus stand. Sie umarmte
diese Bildsäule, warf noch einen tiefsinnigen Blick auf
ihn, und verschwand. In unbeschreiblicher Angst wollt' er ihr
nacheilen, als er sich plötzlich in einem tiefen Schlamme versenket
sah; und die Bestrebung, die er anwendete, sich heraus
zu arbeiten, war so heftig, daß er davon erwachte.Ein Strom von Thränen, in welchen sein berstendes Herz
ausbrach, war die erste Wirkung des tiefen Eindrucks, den
dieser sonderbare Traum in seiner erwachten, aber noch ganz
von ihren Gesichten umgebenen Seele zurück ließ. Er weinte
so lange und so heftig, daß sein Hauptkissen ganz davon durchnetzt
wurde. Ach Psyche! Psyche! rief er von Zeit zu Zeit
aus, indem er seine gerungenen Arme wie nach ihrem Bilde
ausstreckte; und dann brach eine neue Flut aus seinen schwellenden
Augen. Wo bin ich? rief er wieder aus, und sah sich
um, als ob er bestürzt wäre, sich in einem von Persischen Tapeten
schimmernden Gemach auf dem weichsten Ruhebette liegend
zu finden — O Psyche! — was ist aus deinem Agathon
geworden? — O unglücklicher Tag, an welchem mich die verhaßten
Räuber deinem Arm entrissen! — Unter solchen Vorstellungen
und Ausrufungen stand er auf, ging in heftiger Bewegung
auf und nieder, warf sich abermal auf das Ruhebette,
und blieb eine lange Zeit stumm und mit zu Boden starrenden
Blicken, unbeweglich, in Gedanken verloren sitzen. Endlich
raffte er sich wieder auf, kleidete sich an, und stieg in die Gärten
hinab, um in dem einsamsten Theile des Hains die Ruhe
zu suchen, die er nöthig hatte, um über seinen Traum, seinen
gegenwärtigen Zustand, und die Entschließungen die er zu fassen
habe, nachdenken zu können. Unter allen Bildern, welche
der Traum in seinem Gemüthe zurück gelassen hatte, rührte
ihn keines lebhafter, als die Vorstellung der Psyche, wie sie
mit ernstem Gesicht auf den Tempel und die Haine von Delphi
wies; diese geheiligten Oerter, wo sie einander zuerst gesehen,
wo sie so oft sich eine ewige Liebe geschworen, wo sie so rein,
so tugendhaft sich geliebt hatten,"Wie sich im hohen Olymp die Unverkörperten lieben."Diese Bilder hatten etwas so Rührendes, der Schmerz,
womit sie ihn durchdrangen, wurde durch die lebhaftesten
Erinnerungen seiner ehemaligen Glückseligkeit so sanft gemildert,
daß er eine Art von Wollust darin empfand, sich der
trauernden Wehmuth zu überlassen, die sie über sein Gemüth
verbreiteten. Er verglich seinen jetzigen Zustand mit jener
seligen Stille des Herzens, jener immer lächelnden Heiterkeit,
jenen sanften unschuldvollen Freuden, zu welchen unsterbliche
Zuschauer ihren Beifall gegeben hatten; und indem er unvermerkt,
anstatt die Vergleichung unparteiisch fortzusetzen, sich
dem Laufe seiner Einbildungskraft überließ, däuchte ihn nicht
anders, als ob seine Seele nach jener Elysischen Ruhe, wie
nach ihrem angebornen Elemente, sich zurücksehne. Wenn es
auch Schwärmereien waren, rief er seufzend aus, wenn es
auch bloße Träume waren, in die mein halb abgeschiedner,
bald vergötterter Geist sich wiegte —welch eine selige Schwärmerei!
Und wie viel glücklicher machten mich diese Traume,
als alle die rauschenden Freuden, welche die Sinnen in einem
Wirbel von Wollust dahin reißen, und, wenn sie vorüber sind,
nichts als Beschämung und Reue, und ein schwermüthiges
Leeres in der unbefriedigten Seele zurücklassen!Vielleicht werden unsre Leser aus demjenigen, was damals
in dem Gemüthe unsers Helden vorging, sich viel Gutes
für seine Wiederkehr zur Tugend weissagen. Aber mit Bedauern
müssen wir gestehen, daß sich eine andre Seele in seinem
Inwendigen erhob, welche diese guten Regungen in kurzem
wieder unkräftig machte; es sey nun, daß es die Stimme
der Natur oder der Leidenschaft war, oder daß beide sich vereinigten,
ihn, ohne Abbruch seiner Eigenliebe, wieder mit
sich selbst und dem Gegenwärtigen auszusöhnen.In der That war es bei der Lebhaftigkeit, welche alle
Ideen und Gemüthsbewegungen dieses sonderbaren Menschen
bezeichnete, kaum möglich, daß der überspannte Affect, worin
wir ihn gesehen haben, von langer Dauer hätte seyn können.
Die Stärke seiner Empfindungen rieb sich an sich selbst ab.
Seine Einbildungskraft pflegte in solchen Fällen so lange in
geradem Laufe fortzuschießen, bis sie sich genöthiget fand wieder
umzukehren. Er fing nun an sich zu überreden, daß mehr
Schwärmerei als Wahrheit und Vernunft in seiner Betrübniß
sey. Er glaubte bei näherer Vergleichung zu finden, daß
seine Leidenschaft für Danae durch die Vollkommenheit des
Gegenstandes gänzlich gerechtfertiget werde. So vorzüglich
ihm kurz zuvor die Glückseligkeit seines Delphischen Lebens,
und die unschuldigen Freuden der ersten noch unerfahrnen
Liebe, geschienen hatten: so unwesentlich fand er sie jetzt in
Vergleichung mit demjenigen, was ihn die schöne Danae in
ihren Armen hatte erfahren lassen. Das bloße Andenken daran
setzte sein Blut in Feuer und seine Seele in Entzücken; seine
angestrengteste Einbildung erlag unter dem Bestreben, eine
vollkommnere Wonne zu empfinden. Psyche schien ihm jetzt,
so liebenswürdig sie immer seyn mochte, zu nichts anderm
bestimmt gewesen zu seyn, als die Empfindlichkeit seines Herzens
zu entwickeln, um ihn fähig zu machen, die Vorzüge der
unvergleichlichen Danae zu empfinden. Er schrieb es einem
Rückfall in seine ehemalige Schwärmerei zu, daß er durch
einen Traum, welchen er, bei aller seiner wunderbaren Beschaffenheit,
doch für nichts mehr als ein Spiel der Phantasie
halten konnte, sich in so heftige Bewegungen hatte setzen lassen.
Das einzige was ihn noch beunruhigte, war der Vorwurf
der Untreue gegen seine einst so zärtlich geliebte und so
zärtlich wieder liebende Psyche. Allein die Unmöglichkeit von
der unwiderstehlichen Danae nicht überwunden zu werden (ein
Punkt, wovon er so vollkommen als von seinem eignen Daseyn
überzeugt zu seyn glaubte) und der Verlust aller Hoffnung,
Psychen jemals wieder zu finden (welchen er ohne genauere
Untersuchung für ausgemacht annahm), schien ihm gegen
diesen Vorwurf von großem Gewicht zu seyn. Um sich
desselben gänzlich zu entledigen, gerieth er endlich gar auf den
Gedanken, daß seine Verbindung mit Psychen mehr die Liebe
eines Bruders zu einer Schwester, eine bloße Liebe der Seelen,
als dasjenige gewesen sey, was im eigentlichen Sinn
Liebe genannt werden sollte; eine Entdeckung, die ihm bei
Vergleichung der Symptomen beider Arten von Liebe unwidersprechlich
zu seyn däuchte. Diese Vorstellungen stiegen nach
und nach (zumal an einem Orte, wo jede schattichte Laube, jede
Blumenbank, jede Grotte ein Zeuge genossener Glückseligkeiten
war) zu einer solchen Lebhaftigkeit, daß sie eine Art von Ruhe
in seinem Gemüthe wieder herstellten; wenn anders die Verblendung
eines Kranken, der in der Hitze seines Fiebers gesund
zn seyn wähnt, diesen Namen verdienen kann. Doch verhinderten
sie nicht, daß, diesen ganzen Tag über, ein Eindruck
von Schwermuth in seiner Seele zurückblieb. Die Bilder
der Psyche und der Tugend, welche er so lange gewohnt gewesen
war zu vermengen, stellten sich immer wieder vor seine
Augen. Umsonst suchte er sie durch Zerstreuungen zu entfernen;
sie überraschten ihn in seinen Arbeiten, und beunruhigten
ihn in seinen Ergötzungen. Er suchte ihnen auszuweichen,
der Unglückliche! und wurde nicht gewahr, daß eben dieß ein
vollständiger Beweis war, daß es nicht so richtig mit ihm
stand, als er sich selbst zu überreden suchte.—————
Fünftes Capitel.Ein starker Schritt zu einer Katastrophe.Danae liebte zu zärtlich, als daß ihr der stille Kummer,
der eine (wiewohl anmuthige) Düsternheit über das schöne Gesicht
unsers Helden ausbreitete, hätte unbemerkt bleiben können.
Aber aus eben diesem Grunde war sie zu schüchtern, ihn voreilig
um die Ursache einer so unerwarteten Veränderung zu
befragen. Es war leicht zu sehen, daß sein Herz leiden müsse;
aber mit aller Scharfsichtigkeit, welche den Augen der Liebe
eigen ist, konnte sie doch nicht mit sich selbst einig werden, was
die Ursache davon seyn könne. Ihr erster Gedanke war: vielleicht
könnte ihm ein zu weit getriebener Scherz des boshaften
Hippias anstößig gewesen seyn. Allein auch das Aergste, was
Hippias gesagt haben konnte, schien ihr nicht genugsam, eine
so tiefe Wunde zu machen, als sie in seinem Herzen zu sehen
glaubte. Der Vortheil ihres eignen brachte sie bald auf einen
andern Gedanken, dessen sie vermuthlich nicht fähig gewesen
wäre, wofern ihre Liebe nicht die Eitelkeit überwogen hätte,
welche (sagt man) bei den meisten Schönen die wahre Quelle
dessen ist, was sie uns für Liebe geben. "Wie, wenn seine
Liebe zu erkalten anfinge? sagte sie zu sich selbst. — Erkalten?
Himmel! wenn dieß möglich ist, so werde ich bald gar nicht
mehr geliebt seyn!" —Dieser Gedanke war für ein völlig eingenommenes
Herz zu schrecklich, als daß sie ihn sogleich hätte
verbannen können. Wie bescheiden macht die wahre Liebe!
Sie, welche gewohnt gewesen war, in allen Augen die Siege
ihrer Reizungen zu sehen; sie, die unter den Vollkommensten
ihres Geschlechts nicht eine kannte, von der sie jemals in dem
süßen Bewußtseyn ihrer Vorzüglichkeit nur einen Augenblick
gestört worden wäre; mit einem Worte, Danae fing an mit
Zittern sich selbst zu fragen: "ob sie auch liebenswürdig genug
sey, das Herz eines so außerordentlichen Mannes in ihren
Fesseln zu behalten?" — Und wenn gleich die Eigenliebe sie
von Seiten ihres persönlichen Werthes beruhigte, so war sie
doch nicht ohne Sorgen, daß in ihrem Betragen etwas gewesen
seyn möchte, wodurch das Sonderbare in seiner Denkungsart,
oder die Zartheit seines Gefühls hätte beleidiget werden können.
"Hatte sie ihm nicht zu viel Beweise von ihrer Liebe gegeben?
Hätte sie ihm seinen Sieg nicht schwerer machen sollen? War
es sicher, ihn die ganze Stärke ihrer Leidenschaft sehen zu lassen,
und sich wegen der Erhaltung seines Herzens allein auf
die gänzliche Dahingebung des ihrigen zu verlassen?" — Diese
Fragen waren weder spitzfindig, noch so leicht zu beantworten,
als manches gute Ding sich einbildet, dem man eine ewige
Liebe geschworen hat, und dessen geringster Kummer nun ist,
ob man ihr werde Wort halten können oder nicht. Die schöne
Danae kannte die Wichtigkeit dieser Frage in ihrem ganzen Umfange;
und alles was sie sich selbst darüber sagen konnte, stellte
sie doch nicht so zufrieden, daß sie nicht für nöthig befunden
hätte, einen gelegenen Augenblick zu belauschen, um sich über
alle ihre Zweifel ins Klare zu sehen; im übrigen sehr überzeugt,
daß es ihr nicht an Mitteln fehlen werde, dem entdeckten
Uebel zu helfen, es möchte nun auch bestehen worin es
immer wolle. Agathon ermangelte nicht, ihr noch an dem
nämlichen Tage Gelegenheit dazu zu geben.Schwermuth und Traurigkeit machen die Seele nach und
nach schlaff, weichmüthig, und mehr als gewöhnlich zu zärtlichen
Eindrücken und Regungen aufgelegt. Dieser Satz ist so
wahr, daß tausend Liebesverbindungen in der Welt keinen andern
Ursprung haben. Ein Liebhaber verliert einen Gegenstand
den er anbetet. Er ergießt seine Klagen in den Busen einer
Freundin, für deren Reizungen er bisher vollkommen gleichgültig
gewesen war. Sie bedauert ihn. Er findet sich dadurch
erleichtert, daß er frei und ungehindert klagen kann. Die
Schöne ist erfreut, daß sie Gelegenheit hat ihr gutes Herz zu
zeigen. Ihr Mitleiden rührt ihn, erregt seine Aufmerksamkeit.
Sobald eine Frauensperson zu interessiren anfängt, sobald
entdeckt man Reizungen an ihr. Die Reizungen, worin
itzt beide sich befinden, sind der Liebe günstig; sie verschönern
die Freundin, und blenden die Augen des Freundes. Ueberdieß
sucht der Schmerz natürlicher Weise Zerstreuung, und ist
geneigt sich an alles zu hängen, was ihm Trost und Linderung
verspricht. Eine dunkle Ahnung neuer Vergnügungen,
der Anblick eines Gegenstandes der solche geben kann, die
günstige Gemüthsstellung worin man denselben sieht, auf der
einen, — die Eitelkeit, diese große Triebfeder des weiblichen
Herzens, das Vergnügen, so zu sagen über eine Nebenbuhlerin
zu siegen, indem man liebenswürdig genug ist, den Verlust
des Gegenstandes einer großen Leidenschaft zu ersetzen,
die Begierde das Andenken desselben auszulöschen, vielleicht
auch die Gutartigkeit der menschlichen Natur und das Vergnügen
glücklich zu machen, auf der andern Seite: wie viel
Umstände, welche sich vereinigen, unvermerkt den Freund in
einen Liebhaber, und die Vertraute in die Hauptperson eines
neuen Romans zu verwandeln!In einer Gemüthsverfassung von dieser Art befand sich
Agathon, als Danae (welche vernommen hatte, daß er den
ganzen Abend in der einsamsten Gegend des Gartens zugebracht)
sich nicht mehr zurückhalten konnte ihn aufzusuchen.
Sie fand ihn mit halbem Leib auf einer grünen Bank liegen,
das Haupt unterstützt, und so zerstreut, daß sie eine Weile
vor ihm stand eh' er sie gewahr wurde. Du bist traurig,
Kallias, sagte sie endlich mit einer gerührten Stimme, indem
sie Augen voll mitleidender Liebe auf ihn heftete. — Kann
ich traurig seyn, wenn ich dich sehe? erwiederte Agathon, mit
einem Seufzer, welcher seine Frage zu beantworten schien.
Auch gab ihm Danae keine Antwort auf ein so verbindliches
Compliment, sondern fuhr fort, ihn stillschweigend, aber mit
einem Gesicht voll Seele und mit Augen die voll Wasser
standen, anzusehen. Er richtete sich auf, und blickte sie eine
Weile an, als ob er bis in den Grund ihrer Seele schauen
wollte. Ihre Herzen schienen durch ihre Blicke in einander zu
zerfließen. Liebst du mich, Danae? fragte endlich Agathon
mit einer von Zärtlichkeit und Wehmuth halb erstickten Stimme,
indem er einen Arm um sie schlang, und fortfuhr sie mit
bethränten Augen anzuschauen. Sie schwieg eine Zeit lang.
Ob ich dich liebe? — war alles was sie sagen konnte. Aber der
Ausdruck, der Ton, womit sie es sagte, hätte durch alle Beredsamkeit
des Demosthenes nicht ersetzt werden können. Ach
Danae! (erwiederte Agathon) ich frage nicht, weil ich zweifle.
Kann ich eine Versicherung, von welcher das ganze Glück
meines Lebens abhängt, zu oft von diesen geliebten Lippen
empfangen? Wenn du mich nicht liebtest, wenn du aufhören
könntest mich zu lieben — Was für Gedanken, mein liebster
Kallias! (unterbrach sie ihn). Wie elend wär' ich, wenn du
sie in deinem Herzen fändest! wenn dieses dir sagte, daß eine
Liebe wie die unsrige aufhören könne!Ein übel verhehlter Seufzer war alles was er antworten
konnte. Du bist traurig, Kallias, fuhr sie fort; ein geheimer
Kummer bricht aus allen deinen Zügen hervor? Du begreifst
nicht, nein, du begreifst nicht was ich leide, dich traurig zu
sehen ohne die Ursache davon zu wissen. Wenn mein Vermögen,
wenn meine Liebe, wenn mein Leben selbst hinlänglich
ist sie von dir zu entfernen, o so verzögre keinen Augenblick
dein Innerstes wir aufzuschließen! —Der gefühlvolle Agathon
war bis zu sprachloser Entzückung gerührt. Er wand seine
Arme um sie, drückte sein Gesicht auf ihre klopfende Brust
und konnte lange nur durch die Thränen reden womit er sie
benetzte.Nichts ist ansteckender als der Affect einer in Empfindung
zerfließenden Seele. Danae. ohne die Ursache aller dieser
Bewegungen zu wissen, wurde so sehr von dem Zustande gerührt,
worin sie ihren Liebhaber sah, daß sie, eben so sprachlos
als er selbst, sympathetische Thränen mit den seinigen vermischte.
Diese Scene, welche für den gleichgültigen Leser
nicht so interessant seyn kann als sie es für unsre Verliebten
war, dauerte eine ziemliche Weile. Endlich faßte sich Agathon,
und sagte in einer von diesen zärtlichen Ergießungen der
Seele, an welchen die Ueberlegung keinen Antheil hat, und
worin man keine andere Absicht hat als ein volles Herz zu erleichtern:
ich liebe dich zu sehr, unvergleichliche Danae, und
fühle zu sehr, daß ich dich nicht genug lieben kann, um dir
länger zu verhehlen, wer dieser Kallias ist, den du, ohne
ihn zu kennen, deines Herzens würdig geachtet hast. Ich will
dir das Geheimniß meines Namens und die ganze Geschichte
meines Lebens, so weit ich in selbiges zurück zu sehen vermag,
entdecken; und, wenn du alles wissen wirst, — denn
warum soll' ich einer Seele, wie die deinige, nicht alles entdecken
dürfen? — dann wirst du vielleicht natürlich finden,
daß der flüchtigste Zweifel, ob es möglich seyn könne deine
Liebe zu verlieren, hinlänglich ist mich elend zu machen.Danae stutzte, wie man sich vorstellen kann, bei einer so
unerwarteten Vorrede. Sie sah unsern Helden so aufmerksam
an als ob sie ihn noch nie gesehen hätte, und verwunderte
sich jetzt über sich selbst, daß ihr nicht längst in die Augen
gefallen war, daß weit mehr unter ihrem Liebhaber verborgen
seyn müsse, als die Nachrichten des Hippias, und die Umstände,
worin sich ihre Bekanntschaft angefangen, vermuthen
ließen. Sie dankte ihm auf die zärtlichste Art für die Probe
eines vollkommenen Zutrauens, die er ihr geben wolle, und,
nach einigen vorbereitenden Liebkosungen, womit sie ihre Dankbarkeit
bestätigte, fing Agathon die folgende Erzählung an.—————
Anmerkungen.
|
|
Ueber das Historische im Agathon.
|
| S. 3. Z. 10. Kenner von großem Ansehn — Cicero,
ep, ad. A. Fratrem, I. 1, 8. Cyrus ille a Xenophonte non ad historiae
scriptus, sed ad effigiem justi imperii: cujus summa gravitas
ab illo philosopho cum singulari comitate conjungitur. W.S. 3. Z. 14. Ein späterer Schriftsteller — Auson. in
Panegyrico ad Gratian. Noni qualis esset, sed qualis esse deberet. W.S. 6. Z. 17. Demosthenes — Kuß —S. Bayle Dict. Article
Lais. Rem. N. W.S. 6. Z. 21. Helena — zählte — Bayle Diet. Art. Helene,
Rem. Q, W.S. 6. Z. 22. Lamia — Plutarch im Demetrius.S. 7. Z. 22. Plato in einem seiner Briefe — Epist. 7.
Tom. III. opp. p. 313. ed. Steph. W.S. 8 Z. 2. Aristides — anpreisen — Marmor. Oxon. 2. 78.
143. Aristid., Tom. opp. II. P. 307. ed. Cant. Philostr. in vita Apollon,
L. IV. c. 7. W.S. 8. Z. 9. Plato in seinen Dialogen — Besonders,
im größern und kleinern Hippias, im Protagoras, Gorgias und Sophistes.
Wir sagen mit Bedacht, nicht viel besser. Denn, wiewohl
sie unläugbar so schädliche Leute waren, als Plato sagt, so waren sie
doch gewiß nicht halb so dumm, als er sie macht; und wie hätten sie
auch so schädlich seyn können, wenn sie so dumm gewesen wären? In
der That ist dieser sophistisirende Sokrates Ursache, daß man gewöhnlicher
Weise den Sophisten, seinen Nebenbuhlern, nicht alle Gerechtigkeit,
Berachtung finten. — Posten vero vulgo hoc facere coeperunt hodieque
faciunt, ut nulla sit res neque tanta neque tam improvisa neque Um
nova, de qua se non omnia quae dici possint, profiteantur esse dic-
die ihnen gebührt widerfahren läßt wie von gelehrten Männern z B
Hardion in seinen Abhandlungen sur I'origine er les progres Rhetorique
parmi les Drecs ausführlicher gezeigt worden ist WS o Z 2 Plato schreibt dem Agathon — Charakter
zu Plato in Protagota. Greek Greek Greek Greek Greek Greek
Greek Greek Greek WS s s 1i Aristophanes Scholiast Scholiast. ad Aristoph.
mms Act. i 8ceu ii 84 Greek Greek Greek WS 9 s Archelaus von Macedonien — S Suas Diction
Art. Archelaus und Euripides WS s 7 Leontiums tragischer Tod — S Bayle vue Art
Leontium nein v WS Z 11. 12 Glycera an Menander — S den 29 Brief
des l und den 4 des ii Buches W.S Z 4 Hippias brachte ein Vermögen zusammen
Philostratus de vitis Sophist L I 495 US Z ,12 Mehr damit gewann als zwei andre —
p. 282. r iii opp Eni W.S 12 Z 28 24 Gorgias Bildsäule von gediegenem
Golde — Cicero Oratora L u 32 WS ie Z i7 Graeculus — Ein kleiner Grieche Die römische
Republik war an literarischer Cultur zu der Zeit als sie Griechenland
unterjochte noch sehr zurück und von da an reiseten entweder
die 3Somer nach Griechenland um zu lernen oder Griechen nach
Roni um zu lehren Da sich zu dem letzten viele gut genug dünkten
die in Griechenland nichts anzufangen wußten und in Rom nur Keckheit
nöthig zu haben glaubten so mußten sie bet den Gebildeten in
0eas L c 22 Die Unverschämtheit dieser kleinen Griechen
welche Cicero hier verspottet stieg in der Folge tn eben dein
Maße wie unter den Cäsarn mit dem Geiste der ueppigkeit alle
Arten von Ausschweifungen und Thorheiten Rom aufs äußerste
stiegen Man kann nichts Lächerlicheres lesen als Abschilderung
welche Juvenal in seiner dritten Satyre von einem solchen Graeculus
macht: Dieser Schlaukopf hier der sich mit einer so unver
Dreistigkeit darstellt, so geschwind spricht, und uns mit einem
so reißenden Strome von Worten ohne Bedeutung überschwemmt, was
meint ihr, wer er sey? Er ist Jedermann: in seiner einzigen
Person bringt er uns alle Stände und Professionen mit; er ist Philolog,
Rhetor, Geometer, Maler, Bader, Zeichendeuter, Seiltänzer,
Arzt, Goldmacher; was sollt' ein kleiner Griechischer Bel-esprit nicht
wissen, oder nicht seyn, wenn ihn hungert? Er steigt euch in den
Himmel, wenn ihr's haben wollt." Kennen wir nicht in Deutschland
Originale zu diesem Gemälde, aus einer Nation, welche uns in vielen
Stücken das ist, was die Griechen ehemals den Römern waren? W.S. 13. Z. 19. Sogar diese Halbstiefeln — eigenen Arbeit
— Plato in Hipp. minor. T. opp. I. p. 368. und Cicero, der hierin dem
Plato nachspricht, de Orat. L. III. c. 32. W.S. 14. Z. 8. Topinambus — Wilde amerikanische Völkerschaft
am Amazonenflusse.S. 15. Z. 17. Geschichte der Sokratischen Schule —
Vielerlei meistens bloß zufällige, aber darum nicht weniger unüberwindliche
Hindernisse haben diese Idee, die der Verfasser lange mit sich
herumtrug, nicht zur Ausführung kommen lassen. Doch hat Wieland
einen großen Theil seiner Ansichten und Untersuchungen nachher niedergelegt
in den Briefen Aristipps und der Lais.S. 16. Z. 4. Aristipp — vergüten können — Dieses Urtheil
von der Philosophie Aristipps, und dem Charakter, mit welchem er im
Agathon aufgeführt ist, hat unser Autor (wenn wir nicht irren) durch
die ausführliche Darstellung, die er von beiden in seinem Commentar
über die Horazischen Episteln und in den Briefen Aristipps gemacht hat,
hinlänglich gerechtfertigt.S. 16. Z. 15. Archytas — Alles was man von dem Leben
und Charakter desselben in einer Menge von alten Schriftstellern
zerstreut antrifft, hat Andreas Schmid, ein ehemaliger Lehrer der
hohen Schule zu Jena, in einer gelehrten Abhandlung de Archyta Tarentino
zusammengetragen, welche im Jahre 1683 daselbst ans Licht getreten
ist. W.—————
Buch 1.S. 18. Z. 16. Ochsen des Phalaris — Seneca im 66. seiner
Briefe belehrt uns, daß diese Rodomontade einem Philosophen
zugehört, zu welchem man sich so etwas wohl nicht versehen hätte. Epikur
war es, welcher sagte: "Der Weise, wenn er in dem Ochsen
des Phalaris gebraten würde, würde ausrufen: wie wohl ist mir!" Da
ein Epikur so was Schönes gesagt hatte, so könnten, wie Seneca meint,
die Stoiker nun wohl mit Ehren nicht weniger sagen. Indessen gesteht
er doch, daß ein weiser Mann, wenn es bei ihm stände, lieber nicht gebraten
werden wollte; aber nicht etwan um der Unbehaglichkeit der Sache willen,
sondern weil es der Natur nicht gemäß ist, daß ein weiser Mann sich
ohne Noth braten lasse. W.S. 20. Z. 27. Zug des Bacchus aus Indien — Die Mysterien
oder der geheime Gottesdienst des Bacchus durften ordentlicher
Weise nur von Frauenspersonen begangen werden, und wurden von der
fanatischen Wuth, in welche man sich, um die mächtigen Wirkungen
des Weingottes auszudrücken, dabei setzte, vorzugsweise Orgia genannt.
Zu dem Gemälde, welches hier davon gemacht wird, haben Euripides,
Virgil und Ovid die Farben hergegeben. W.S. 21. Z. 1. La Fage (Remond)— Einer der genievollsten
Zeichner (geb. zu Toulouse 1648), dessen von Weise nachgestochene
Blätter viel bekannter zu seyn verdienten, war, wo er Nymphen und
Saturn darstellte, nicht sonderlich züchtig.S. 22. Z. 7. Pentheus und Orpheus — Beide hatten das
Unglück, von Bacchantinnen in einem Anstoß fanatischer Raserei zerrissen
zu werden. W.S. 24. Z. 9. Gynäceen — Gynäkeion hieß der innere Theil des
Hauses bei den Griechen, worin die Frauen, nach orientalischer Sitte,
abgesondert von dem männlichen Geschlechte lebten.S. 26. Z. 16. Gleich dem Horazischen Gyges — Horat.
Od, II. 5.Der, eingeschaltet fröhlichen Mädchenreihen,Gar sehr den Scharfsinn täuschte der Fremdlinge,
Kaum unterscheidbar durch des Haares
Flatternden Wuchs und das Heuchel-Antlitz.S. 40. Z. 5. An den Ufern des Oxus — Dieß zielt vermuthlich
auf die am Oxus, oder Amu (wie er nun heißt) gelegene und von Gengiskhan
zerstörte Stadt Balch oder Balk, wo das berühmteste Collegium
der Persischen Magier aus Zoroasters Schule war. W.S. 44. Z. 14. Großen Königs — So nannten die Griechen gewöhnlich
den König von Persien. W.S. 45. Z. 7. Barbados — Die am östlichsten gelegene Karaibische
Insel, auf welcher ein sehr beträchtlicher Sklavenhandel getrieben
wird. Alle dreißig Jahre werden 100,000 Negersklaven hieher
geschafft.—————
Buch 2.S. 48. Z. 11. Sechs Obolen — Der Obolus war eine kleine
Griechische Münze, ungefähr s Pfennige unsers Geldes.S. 54. Z. 25. Das Gastmahl des Alcinous — S. Homers
Odyssee, Ges. 8.S. 56. Z. 10. Alexander von Pherä — Ein seiner brutalen
Gemüthsart wegen ubel berüchtigter kleiner Fürst in Thessalien, der um
die Zeit dieser Geschichte lebte. S. Plutarch im Pelopidas.S. 57. Z. 20. Xenokrates — Berühmt durch seine Enthaltsamkeit,
bestand eine für die Meisten vielleicht allzugefährliche Probe bei der
schönen Phryne, die von ihm das Zeugniß ablegte, daß er eine Bildsäule
sey. Diog. Laërt. 4, 2.S. 66. Z. 4. Woher kennst du diesen obersten Geist?
— Der Verfasser wollte, zur Warnung derjenigen, welche über viele Gegenstände
wie Hippias denken, ohne die Folgen seiner Grundsätze zu
übersehen, zeigen, daß sie gerades Weges zum Atheismus führen. Hippias
läugnet zwar das Daseyn eines höchsten Wesens nicht; aber er behauptet,
daß man es nicht beweisen könne, und daß der Begriff desselben
kein Verhältniß gegen unsre übrigen Begriffe habe, folglich
gar nicht in die Reihe unsrer Begriffe gehöre. Diese Art von Skepticismus
ist wahre Atheisterei, und raubt dem Menschen, wie Agathon
ganz richtig bemerkt, das kräftigste Mittel, alle die Hindernisse, welche
sich der Tugend entgegensetzen, zu überwinden. Agathon hält sich bei
diesem Beweise gegen die Grundsätze des Hippias am meisten auf, weil
er der einleuchtendste ist. Wir wollen damit den sogenannten metaphysischen
Beweisen nicht allen Werth abgesprochen haben: aber selbst diejenigen,
die ihnen eine Evidenz, wobei die Vernunft sich beruhigen könne,
zuschreiben, können nicht in Abrede seyn, daß der moralische Beweis,
welchen Agathon gegen den Sophisten geltend macht, das Herz
überzeugt; und dieß war, nach Agathons damaliger Gemüthsstimmung,
die vollkommenste Art von Ueberzeugung. Daß übrigens dem Hippias
nicht zu viel geschehen sey, indem man ihn als einen skeptischen
Atheisten vorgestellt hat, ist desto wahrscheinlicher, da wir von einem
seiner Professionsverwandten, dem Protagoras, zuverlässig wissen,
daß er aus Athen verbannt worden, weil er öffentlich gelehrt hatte:
"Er sehe keine Gründe, das Daseyn der Götter Götter weder zu bejahen, noch
zu verneinen." Cic. de Nat. Deor. I. c. 28. W.S. 72. Z. 21. Sylphen — Sind in des Hippias Mund ohne
Zweifel nur aus Vergeßlichkeit des Dichters gekommen.S. 75. Z. 5. Damon — Von Athen, ein Freund des Sokrates,
bildete Platon zufolge den rhythmischen Theil der Musik vorzüglich
aus. Aristides Quintilianus rühmt seine Kunst, den Melodien Charakter
und Bedeutung zu geben.S. 77. Z. 4. Theophrast — (Der vorzüglichste unter den Schülern
des großen Aristoteles, und den Lesern des Agathon vermuthlich aus
seinen Charaktern bekannt) soll, da er in einem Alter von fünsundachtzig
(oder, wie der heilige Hieronymus sagt, von hundert und
sieben) Jahren sein Ende herankommen sah, sich bitterlich über die Natur
beklagt haben, daß sie dem Menschen nur eine so kurze Lebenszeit
zugestehe. "Ich habe nun, sprach er, gerade so lange gelebt, um mich
in der Welt umsehen und lernen zu können, wozu das Leben gut ist;
und nun, da ich Gebrauch davon machen möchte, muß ich abtreten."
Es ist der nämliche Gedanke, welchen Pope mit der ihm eigenen Kunst
in die berühmte Zeile zusammen gezogen hat: | Since Life can little more supply,
Than just to look about us and to die. W. | —————
Buch 3.S. 84. Z. 25. Alkamenes und Polygnotes — Griechische
Maler, die in ihrer Kunst so berühmt waren als Homer in der
Poesie.S. 89. Z. 5. Heraklitus — Dieser tiefforschende Ionische Naturphilosoph,
Verfasser eines Werks über die Natur, wurde von den Alten
der Dunkle genannt.S. 90. Z. 4. Ambrosischer Geruch — S. Anmerk. zu Bd. 26.S. 90. Z. 7. Empyräische Gegenden — S. Anmerk. zu Bd. 26.S. 95. Z. 2. Sogdianer — Am Oxus wischen Indien und
Scythien der alten Geographie.S. 102. Z. 15. Merkure und Mus — Werden hier zusammengestellt
wie Beredsamkeit und Poesie, denn jener stand Merkur vor
wie dieser die Musen. Der Götterbote und Geschäftsträger konnte nicht
ohne Beredsamkeit seyn.S. 103. Z. 27. Stein der Weisen — Mit diesem dürfte es sich
hier schwerlich anders verhalten als oben mit den Sylphen.S. 106. Z. 8. Nur in freien Staaten — Hippias spricht
hier als ein Mann, der von einer auf Grundsätze gebauten und mit der
Freiheit des Volkes sehr wohl verträglichen monarchischen Verfassung
keinen Begriff hatte. Zu seiner Zeit kannte man nichts als despotische
Reiche und Freistaaten. W.S. 109. Z. 16. Antiphon — Dieser Antiphon soll der erste
gewesen seyn, der die Kunst vor Gerichte zu reden zu einer gewissen
Vollkommenheit gebracht. Auch von ihm rühmt man, daß er seine Zuhörer
alles, was er gewollt, habe überreden können. (Philostr. vit.
Sophist, I. 15.) Gleichwohl konnte er, da er wegen eines Staatsverbrechens
angeklagt wurde, die Athener nicht überreden, ihn los zu
sprechen, wiewohl Thucydides, der selbst dabei zugegen war, versichert,
neminem unaquam melius ullam oravisse capitis causam. Cicero de Clar.
Or. XlI. W.S. 110. Z. 7. Gnathonen — Gnatho ist der Name eines aus
den Lustspielen des Terenz bekannten Schmarozers.S. 110. Z. 22. Aspasia —— die Rolle des Körpers durch
andre spielen ließ — Wir haben keinen sittsamern Ausdruck für die
Gefälligkeit finden können, deren Aspasia von einem gewißen Komödienmacher
Hermippus öffentlich beschuldiget wurde. Plutarch und
sein ehrlicher wälscher Uebersetzer Amyot sagen, ohne Umschweife,
qu'elle servoit de maquerelle à Periclès, recevant en sa maison des bourgoises
de la ville, dont Periclès jouissoit. W.S 111. Z. 10. Was ist das Schöne? das Gute? — Dieß
ist dieselbe Frage, über welche der Platonische Sokrates unsern Sophisten
in dem Dialog, den man den größern Hippias nennt, schikanirt.
Hippias bekannte sich wirklich zu den Grundsätzen, die man ihn
in diesem Kapital behaupten läßt. Sie sind vollkommen das Widerspiel
derjenigen, weiche Plato in seinem Phädrus lehrt. Nur hat man
freilich den Sophisten ein wenig scheinbarer und witziger reden lassen
müssen, als ihn Plato reden läßt; er mußte doch wenigstens verdienen
angehört zu werden. W.S. 112. Z. 6. Serer — ohne Zweifel werden die Chineser unter
diesem Namen gemeint. W.S. 114. Z. 28. Die Perserin für das schönste Weib —
Die heutigen Perserinnen, und diejenigen, von welchen Hippias spricht,
sind nicht die nämlichen. Die heutigen sind nach dem Zeugnisse der
glaubwürdigsten Augenzeugen mehr häßlich als schön. Die Schönen in
den Harems der Großen, und selbst diejenigen, welche man öffentlich zu
sehen bekommen kann, sand aus Tschirkassien und Georgien. W.S. 119. Z. 1. Jener Citharschläger von Aspendus —
Cicero I, in Verrem, c. 20, Illum Aspendium Citharistam, de quo saepe
audistis id quod est Graecis hominibus in proverbio quem omnia intus
canere dicebant. W.S. 119. Z. 24. Dädalus — Dädalus war der erste Griechische Bildhauer,
der seinen Bildern abgesonderte Füße, oder (mit dem König Lear beim
Shakespeare zu reden) eine gabelförmige Gestalt gab. Dieß wurde für
ein so großes Kunststück angesehen, daß in spätern Zeiten die Sage ging,
seine Bildsäulen hätten (gleich denjenigen welche Homers Vulcan bildete)
von sich selbst wandeln können wohin sie gewollt hätten, und man
hätte sie fesseln müssen, damit sie ihrem Besitzer nicht davon liefen.
Plato, opp. II. 97. W.Buch 4.S. 125. Z. 6. Tempel der Diana — Wo die Keuschheit heimisch
seyn sollte, etwa wie in unsern Nonnenklöstern.S. 125. Z. 7. Gymnosophist — ein indischer Weiser, der, zur
Probe seiner Weisheit, nackt sich der größten Gluth und Kälte aussetzte.S. 136. Z. 19. Standen auch in keiner geringern Achtung
—Dem Sophisten Gorgias wurde eine goldene Bildsäule zu Delphi gesetzt.
Die nämliche Ehre widerfuhr der berühmten Phryne. S. Plutarch
in der Abhandlung von den Orakeln der Pythia, und in einer andern
über die Liebe. Ihr Griechen seyd doch ewig Kinder, sagte ein Aegyptischer
Priester zu Solon: und der Priester hatte Recht. W.S. 136. Z. 22. Die Thargelien, die Aspasien, die
Leontion — Namen berühmter Hetären. Thargelia wurde noch mit
einem Thessalischen König vermählt.S. 141. Z. 16. (Plato's) kleine Zerstreuung — Die Verehrer
des Plato haben keine Ursache sich an dieser kleinen Anekdote zu
ärgern. Die Schwachheit, deren ihn die schöne Danae beschuldiget,
wird durch ein bekanntes Distichon, welches ihn unleugbar zum Verfasser
hat, mehr als zu gut bestätiget, und es wäre zur Ehre des Philosophen
zu wünschen, daß diese Verse wirklich einer Freundin der Danae
gegolten hätten. W.S. 146. Z. 15. Eine Art von pantomimischen Tänzen —
Man sehe davon ein Beispiel im Gastmahle des Xenophon. W.S. 147. Z. 9. (Aspasia's) Frauenzimmerschule — S. Bayle
Diction. Article Perikles. Bem. O. W.S. 148. Z. 15. Jüngere Cyrus — S. Bd. 3.—————
Buch 5.S. 173. Z. 1. Diotima — Eine Dame, von welcher Sokrates in
dem Gastmahle des Plato seine Theorie von der Liebe und die wahre
Kunst zu lieben gelernt zu haben versichert. W.S. 181. Z. 5, Guidi — Endimione, Atto V. Sc. 2. W.S. 183. Z. 20. Molly Seagrlm — Man kennt diese erste Zuneigung
des Fieldingischen Tom Jones aus dem ersten Theile seiner
lehrreichen Geschichte. W.S. 188. Z. 27. Des Liebhabers der schönen Laura —Petrarka
schreibt diese Gewalt nicht der Stimme, sondern den Augen
seiner Laura zu: | Possenti a rischiarar abisso e notti
E torre l'alme a' corpi e darle altrui.
Sonnet. 178. W. | S. 194. Z. 3. Zoilus. — S. Anmerk. zu Don Sylvio von Rosalva.S. 194. Z. 12. Deus ex machina — S. Anmerk. zu Don Sylvio
von Rosalva.S. 196. Z. 14. Bescheidne Zurückhaltung Virgils —
Aeneis 4, 165.S. 198. Z. 4. Wenn es ihm möglich gewesen wäre —
Widerstand zu thun — In den ältern Ausgaben dieses Werkes
lieset man hier folgenden Beisatz: "Wagen wir zu viel, wenn wir einen
solchen Widerstand in seinen Umständen für unmöglich erklären, nachdem
er einem Agathon unmöglich gewesen ist?" — Die Frage scheint zwar
diesen Ausspruch in ein Problem zu verwandeln; aber es fällt deutlich
genug in die Augen, daß sie eine bloße Wendung ist, um das
Auffallende desselben in etwas zu mildern. Der Verfasser hat sich also
gedrungen gefunden, diese Stelle wegzustreichen, da sie (nach seiner dermaligen
Ueberzeugung) zwei falsche Sätze in sich schließt. Denn, erstens
ist Agathon, wie groß auch seine Vorzüge seyn mögen, nur ein einzelner
Mensch, dessen Tugend nicht zum Maßstabe der moralischen Kräfte der
menschlichen Natur gemacht werden kann; und zweitens ist es falsch,
daß Agathon selbst den Widerstand, den er nicht gethan hat, nicht hätte
thun können, wenn er sich aller Kräfte eines vernünftigen und freien
Wesens, folglich aller moralischen Hülfsquellen der Tugend, die in seiner
Gewalt waren, so wie es seine Pflicht war, bedient hätte. Der Zusatz:
"in seinen Umständen," macht die Behauptung nicht richtiger; denn die
Umstände könnten wohl die Schuld vermindern, aber nicht entschuldigen,
geschweige denn rechtfertigen. W.S. 206. Z. 16. Tausch der Seelen — Bodmer in der Noachide,
u. a. w. W.S. 206. Z. 25. 26. Shaftesbury. Lukrez. — Shaftesbury
(Charakteristicks T. 3.) mußte die Liebe als Enthusiasmus betrachten,
weil er die Einbildungskraft zu ihrer Quelle macht, und die menschliche
Vollkommenheit in Schönheit setzt. Lukrez nach der Epikureischen
Theorie der Natürlichkeit verspottet dagegen jene Art von Liebe, de
rerum Natura IV. 1151 sgg.—————
Buch 6.S. 227. Z. 19. Dessen Wirkungen Juvenal —— schildert.
Satira 6, 63 fgg.S. 228. Z. 24. Mit Montesquieu — Si je pouvois un
moment cesser de penser que je suis chrétien, je ne pourrois m'empècher
de mettre la déstruction de la secte de Zenon au nombre des malheirs du
genre humain. Esprit des Lois, Livre XXIV. Ch. 10. W.
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