C. M. Wieland's Werke.
Dritter Band.
Leipzig.G. J. Göschen'sche Verlagshandlung.1853
Buchdruckerei der J. G Cotta'schen Buchhandlung in Stuttgart.
Inhalt.Seite
Musarion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1
Die Grazien. Ein Gedicht in sechs Büchern . . . . .57
Der verklagte Amor. Ein Gedicht in fünf Gesängen . 139
Nadine. Eine Erzählung in Priors Manier . . . . . .193
Erdenglück . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199
Celia an Damon. Nach dem Englischen . . . . . . . .205
Bruckstücke von Psyche, einem unvollendet
gebliebenen allegorischen Gedichte . . . . . . . . 209
Das Leben ein Traum. Eine Träumerei bei einem Bilde
des schlafenden Endymion . . . . . . . . . . . . . 229
Aspasia oder die platonische Liebe . . . . . . . . 263
Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .278
Musarion.
Erstes Buch.
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In einem Hain, der einer Wildniß glich
Und nah' am Meer' ein kleines Gut begränzte,
Ging Phanias mit seinem Gram' und sich
Allein umher; der Abendwind durchstrich
Sein fliegend Haar, das keine Ros' umkränzte;
Verdrossenheit und Trübsinn malte sich
In Blick und Gang und Stellung sichtbarlich,
Und, was ihm noch zum Timon fehlt', ergänzte
Ein Mantel, so entfasert, abgefärbt
Und ausgenützt, daß es Verdacht erweckte,
Er hätte den, der einst den Krates deckte,
Vom Aldermann der Cyniker geerbt. |
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Gedankenvoll, mit halb geschloss'nen Blicken,
Den Kopf gesenkt, die Hände auf dem Rücken,
Ging er daher. Verwandelt wie er war,
Mit langem Bart' und ungeschmücktem Haar,
Mit finstrer Stirn', in cynischem Gewand,
Wer hätt' in ihm den Phanias erkannt,
Der kürzlich noch von Grazien und Scherzen
Umflattert war, den Sieger aller Herzen,
Der an Geschmack und Aufwand Keinem wich
Und zu Athen, wo auch Sokraten zechten,
Beim muntern Fest', in durchgescherzten Nächten,
Dem Komus bald und bald dem Amor glich?
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Ermüdet wirft er sich auf einen Rasen nieder,
Sieht ungerührt die reizende Natur,
So schön in ihrer Einfalt, hört die Lieder
Der Nachtigall, doch mit den Ohren nur.
Ihr zärtlicher Gesang sagt seinem Herzen nichts:
Denn ihn beraubt des Grams umschattendes Gefieder
Des innern Ohrs, des geistigen Gesichts.
Empfindungslos, wie Einer, der Medusen
Erblickt und starrt, erwägt er zweifelsvoll
Nicht, wie vordem, wofür er seufzen soll,
Für welchen Mund, für welchen schönen Busen?
Nein, Phanias spricht jetzt der Thorheit Hohn
Und ruft, seitdem aus einem hohlen Beutel
Die letzte Drachme flog, wie König Salomon:
Was unterm Monde liegt, ist eitel! |
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Ja wohl, vergänglich ist und flüchtiger als Wind
Der Schönen Gunst, die Brudertreu der Zecher;
Sobald nicht mehr der goldne Regen rinnt,
Ist keine Danae, sobald im trocknen Becher
Der Wein versiegt, ist kein Patroklus mehr.
Was Fliegen lockt, das lockt auch Freunde her;
Gold zieht magnetischer, als Schönheit, Witz und Jugend:
Ist eure Hand, ist eure Tafel leer,
So flieht der Näscher Schwarm, und Lais spricht von Tugend. |
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Der großen Wahrheit voll, daß Alles eitel sey,
Womit der Mensch in seinen Frühlingsjahren,
Berauscht von süßer Raserei,
Leichtsinnig, lüstern, rasch und unerfahren,
In seinem Paradies von Rosen und Jasmin
Ein kleiner Gott sich dünkt, setzt Phanias, der Weise,
Wie Hercules, sich auf den Scheidweg hin
(Nur schon zu spät) und sinnt der schweren Reise
Des Lebens nach. Was soll, was kann er thun?
Es ist so süß, auf Flaum und Rosenblättern
Im Arm der Wollust sich vergöttern
Und nur vom Uebermaß der Freuden auszuruhn!
Es ist so unbequem, den Dornenpfad zu klettern!
Was thätet ihr? — Hier ist, wie Vielen däucht,
Das Wählen schwer; dem Phanias war's leicht.
Er sieht die schöne Ungetreue,
Die Wollust —schön, erfühlt's! doch nicht mehr schön für ihn —
Zu jüngern Günstlingen aus seinen Armen fliehn;
Die Scherze mit den Amorinen fliehn
Der Göttin nach, verlassen lachend ihn
Und schicken ihm zum Zeitvertreib die Reue;
Hingegen winken ihm aus ihrem Heiligthum
Die Tugend und ihr Sohn, der Ruhm,
Und zeigen ihm den edeln Weg der Ehren.
Der neue Hercules schickt seufzend einen Blick
Den schon Entflohnen nach, ob sie nicht wiederkehren.
Sie kehren, leider! nicht zurück,
Und nun entschließt er sich, der Helden Zahl zu mehren! |
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Der Helden Zahl? — Hier steht er wieder an;
Der kühne Vorsatz bleibt in neuen Zweifeln schweben.
Zwar ist es schön, auf lorbeernvoller Bahn
Zum Rang der Göttlichen, die in der Nachwelt leben,
Zu einem Platz' im Sternenplan'
Und im Plutarch sich zu erheben;
Schön, sich der trägen Ruh' entziehn,
Gefahren suchen, keine fliehn,
Auf edle Abenteuer ziehn
Und die gerochne Welt mit Riesenblute färben;
Schön, süß sogar — zum mindsten singet so
Ein Dichter, der zwar selbst beim ersten Anlaß floh —
Süß ist's und ehrenvoll, für's Vaterland zu sterben.
Doch auch die Weisheit kann Unsterblichkeit erwerben!
Wie prächtig klingt's, den fesselfreien Geist
Im reinsten Quell des Lichts von seinen Flecken waschen,
Die Wahrheit, die sich sonst nie ohne Schleier weist
(Nie oder Göttern nur), entkleidet überraschen;
Der Schöpfung Grundriß übersehn,
Der Sphären mystischen verworrnen Tanz verstehn,
Vermuthungen auf stolze Schlüsse häufen
Und bis ins Reich der reinen Geister streifen;
Wie glorreich! welche Lust! — Nennt immer Den beglückt
Und frei und groß, den Mann, der nie gezittert,
Den der Trompete Ruf zur wilden Schlacht entzückt,
Der lächelnd sieht, was Menschen sonst erschüttert,
Und selbst den Tod, der ihn mit Lorbern schmückt,
Wie eine Braut an seinen Busen drückt;
Viel größer, glücklicher ist Der mit Recht zu nennen,
Den, von Minervens Schild bedeckt,
Kein nächtliches Phantom, kein Aberglaube schreckt;
Den Flammen, die auf Leinwand brennen,
und Styr und Acheron nicht blässer machen können;
Der ohne Furcht Kometen brennen sieht,
Die hohen Götter nicht mit Taschenspiel bemüht
Und, weil kein Wahn die Augen ihm verbindet,
Stets die Natur sich gleich, stets regelmäßig findet. |
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War Philipps Sohn ein Held, der sich der Lust
entzog,
In welcher unberühmt die Ninias zerrannen,
und auf zertrümmerten Tyrannen
Von Sieg zu Sieg bis in den Indus flog?
Sein wälzender Triumph zermalmte tausend Städte,
Zertrat die halbe Welt — warum? laßt's ihn gestehn!
"Damit der Pöbel von Athen
Beim nassen Schmaus von ihm zu reden hätte."
Um wie viel mehr, als solch ein Weltbezwinger,
Ist Der ein Held, ein Halbgott, kaum geringer
Als Jupiter, der tugendhaft zu seyn
Sich kühn entschließt; dem Lust kein Gut, und Pein
Kein Uebel ist; zu groß, sich zu beklagen,
Zu weise, sich zu freun; der jede Leidenschaft
Als Sieger an der Tugend Wagen
Gefesselt hat und im Triumphe führt;
Den alles Gold der Inder nicht verführt;
Den nur sein eigener, kein fremder Beifall rührt;
Kurz, der in Phalaris' durchglühtem Stier verdärbe,
Eh' er in Phrynens Arm — ein Diadem erwärbe. |
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In solche schimmernde Betrachtungen vertieft
Lag Phanias, schon mehr als halb entschlossen;
Als Amor unverhofft die neue Denkart prüft,
Die Gram, Philosophie und Noth ihm eingegossen.
Er sah und hätte gern den Augen nicht getraut,
Die ein Gesicht, wovor ihm billig graut,
Zu sehn sich nicht erwehren können.
Die Götter werden ihm den Ruhm doch nicht mißgönnen,
Ein Xenokrat zu seyn? Was hilft Entschlossenheit?
Im Augenblick, der uns Minerven weiht,
Kommt Cytherea selbst zur ungelegnen Zeit. |
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Zwar Diese war es nicht; doch hätte
Die Schöne, welche kam, vielleicht sich vor der Wette,
Die Pallas einst verlor, gleich wenig sich gescheut.
Schön, wenn der Schleier bloß ihr schwarzes Aug' entdeckte.
Noch schöner, wenn er nichts versteckte;
Gefallend, wenn sie schwieg, bezaubernd, wenn sie sprach:
Dann hätt' ihr Witz auch Wangen ohne Rosen
Beliebt gemacht; ein Witz, dem's nie an Reiz gebrach,
Zu stechen oder liebzukosen
Gleich aufgelegt, doch lächelnd, wenn er stach,
Und ohne Gift. Nie sahe man die Musen
Und Grazien in einem schönern Bund;
Nie scherzte die Vernunft aus einem schönern Mund',
Und Amor nie um einen schönern Busen. |
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So war, die ihm erschien, so war Musarion.
Sagt, Freunde, wenn mit einer solchen Miene
Im wildsten Hain ein Mädchen euch erschiene,
Die Hand aufs Herz! sagt, ließet ihr davon?
"So lief denn Phanias?" — Das konntet ihr errathen!
Er that, was Wenige in seinem Falle thaten,
Allein, was Jeder soll, der sicher gehen will.
Er sprang vom Boden auf und — hielt ein wenig still,
Um recht gewiß zu sehn, was ihm sein Auge sagte;
Und, da er sah, es sey Musarion,
So ließ er euch — der weise Mann — davon,
Als ob ein Arimasp ihn jagte. |
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Du fliehest, Phanias? ruft sie ihm lachend nach:
Erkennen mich und fliehst? Gut, fliehe nur, du Spröder!
Dein Kaltsinn macht Musarion nicht blöder;
Du schmeichelst dir doch wohl, sie sey so schwach,
Dir nachzufliehn ? — Durch ungebahnte Pfade
Wand er wie eine Schlange sich:
So schlüpft die keusche Oreade
Dem Satyr aus der Hand, der sie im Bad' erschlich.
Die Schöne folgt mit leichten Zephyrfüßen,
Doch ohne Hast: denn (dachte sie) am Strand,
Wohin er flieht, wird er wohl halten müssen.
Es war ihr Glück, daß sich kein Nachen fand:
Denn, der Versuchung zu entgehen,
Was thät' ein Weiser nicht? Doch, da er keinen fand,
Wohin entfliehn? — Es ist um ihn geschehen,
Wenn ihn sein Kopf verläßt! — Seyd unbesorgt! Er blieb
Am Ufer ganz gelassen stehen,
Sah vor sich hin, schwang seinen Stab, beschrieb
Figuren in den Sand, als ob er überdächte,
Wie viel Körner wohl der Erdball fassen möchte,
Kurz, that, als säh' er nichts, und wandte sich nicht um. |
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Vortrefflich! rief sie aus: das nenn' ich Heldenthum
Und etwas mehr! Die alte Ordnung wollte,
Daß Daphne jüngferlich mit kurzen Schritten fliehn,
Apollo keuchend folgen sollte;
Du kehrst es um. — Fliehst du, mich nachzuziehn?
Den kleinen Stolz will ich dir gerne gönnen! |
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Du irrest dich, antwortet unser Held
Mit Mienen, welche nicht, wie sehr sie ihm mißfällt,
Verbergen wollen oder können:
Ein rascher meilenbreiter Spalt,
Der plötzlich zwischen uns den Boden gähnen machte,
Ist Alles, glaube mir, wornach ich sehnlich schmachte,
Seitdem ich dich erblickt. — Der Gruß ist etwas kalt,
Erwiedert sie: du denkest, wie ich sehe,
Die Reihe sey nunmehr an dir,
Und weichst zurück, so wie ich vorwärts gehe.
Doch spiele nicht den Grausamen mit mir!
Was willst du mehr, als daß ich dir gestehe,
Du zürnst mit Recht? Ja, ich mißkannte dich;
Doch, war ich damals mein? Jetzt bin ich, was du mich
Zu seyn so oft zu meinen Füßen batest. |
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Wie? (unterbrach er sie) du, die mit kaltem Blut
Mein zärtlich Herz mit Füßen tratest,
Mich lächelnd leiden sahst — du hast den Uebermuth
Und suchst mich auf, mich noch durch Spott zu quälen?
Zwei Jahre liebt' ich dich, Undankbare, so schön,
Wie keine Sterbliche sich je geliebt gesehn.
Dein Blick, dein Athem schien allein mich zu beseelen.
Thor, der ich war! von einem Blick' entzückt,
Der sich an mir für Nebenbuhler übte;
Durch falsche Hoffnungen berückt,
Womit mein krankes Herz getäuscht zu werden liebte!
Du botst verführerisch das süße Gift mir dar
Und machtest dann mit einem Andern wahr,
Was dein Sirenenmund mir zugelächelt hatte.
Und, o! mit wem? — Dieß brachte mich zur Wuth!
(Nur der Gedank empört noch jetzt mein Blut)
Ein Knabe war's — erröthe nicht, gestatte,
Daß ich ihn malen darf — gelblockig, zephyrlich,
Ein bunter Schmetterling, so glatt wie eine Schlange,
Mit Gänseflaum ums Kinn, mit rothgeschminkter Wange,
Ein Ding, das einer Puppe glich,
Wie kleine Töchterchen mit sich zu Bette nehmen:
Dem gabst du, ohne dich zu schämen,
Den Busen preis, um den der Hirt von Jlion
Helenen untreu worden wäre;
Dieß Aeffchen machte den Adon
Der Nebenbuhlerin der Göttin von Cythere.
Und Phanias, indeß so ein Insect
Auf deinen Rosen kriecht, liegt Nächte durch gestreckt,
Mit Thränen, die den Mai von seinen Wangen ätzen,
Die Schwelle deiner Thür', Undankbare, zu netzen!
Nein! Der versöhnt sich nie, der so beleidigt ward!
Hinweg! die Luft, in der du Athem ziehest,
Ist Pest für mich — Verlaß mich! du bemühest
Dich fruchtlos! — unsre Denkungsart
Stimmt minder überein als ehmals unsre Herzen. |
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Mich däucht (erwiedert sie), du rächest dich zu hart
Für selbst gemachte Liebesschmerzen.
Sey wahr und sprich, ist's stets in unserer Gewalt,
Zu lieben, wie und wen wir sollen?
Oft fragt der Liebesgott uns nur nicht, ob wir wollen?
Wir finden ohne Grund uns zärtlich oder kalt,
Ietzt dem Apollo spröd, jetzt schwach für einen Faunen.
Was weiß ich selbst? Wer zählet Amors Launen?
Ihr, die ihr über uns so bitter euch beschwert,
Laßt euer eignes Herz für unsres Antwort geben!
Ihr bleibt oft an der Stange kleben,
und, was euch angelockt, war kaum der Mühe werth.
Ein Halstuch öffnet sich, ein Aermel fällt zurücke,
und weg ist euer Herz! Oft braucht es nicht so viel;
Ein Lächeln fängt euch schon, ihr faut von einem Blicke.
Ein flüchtiger Geschmack, ein Nichts, ein eitles Spiel
Der Phantasie regiert uns oft im Wählen;
Das Schöne selbst verliert auf kurze Zeit
Den Reiz für uns; wir wissen, daß wir fehlen,
Und finden Grazien bis in der Häßlichkeit.
Hat die Erfahrung, wie ich glaube,
Von dieser Wahrheit dich belehrt
So ist mein Irrthum auch vielleicht verzeihenswerth.
Wer suchet unter einer Haube
So viel Vernunft, als Zenons Bart verheißt?
Und wie? mein Freund, wenn ich sogar zu sagen
Mich untersteh, daß wirklich mein Betragen
Für meine Klugheit mehr als wider sie beweist?
Ich schätzt' an dir, wofür dich Ieder preist,
Ein edles Herz und einen schönen Geist:
Was ich für dich empfand, war auf Verdienst gegründet;
Du wardst mein Freund und fordertest nicht mehr;
Vergnügt mit einem Band, das nur die Seelen bindet,
Sahst du mich Tage lang und fandest gar nicht schwer,
Mich, wenn der Abendstern dir winkte, zu verlassen,
Um an Glycerens Thür die halbe Nacht zu passen.
So ging es gut, bis dich ein Ungefähr
An einem Sommertag in eine Laube führte.
Worin die Freundin schlief, die wachend dich bisher
So ruhig ließ. Ich weiß nicht, was dich rührte;
Der Schlaf nach einem Bad, wenn man allein sich meint,
Muß was Verschönerndes in euren Augen haben;
Genug, du fandst an ihr sonst unerkannte Gaben,
Und sie verlor den angenehmen Freund.
Nichts ahnend wacht' ich auf; da lag zu meinen Füßen
Ein Mittelding von Faun und Liebesgott!
In dithyrambische Begeistrung hingerissen,
Was sagtest du mir nicht! was hätt'st du wagen müssen,
Hätt' ich, der Schwärmerei die Lippen zu verschließen,
Das Mittel nicht gekannt! Ein Strom von kaltem Spott
Nahm deinem Brand die Luft. Mit triefendem Gefieder
Flog Amor zürnend fort; doch freut' ich mich zu früh:
Denn, eh' ich mir's versah, so kam er seufzend wieder.
Mit Seufzen, ich gesteh's, erobert man mich nie;
Der feierliche Schwung erhitzter Phantasie
Schlägt mir die Lebensgeister nieder.
Ich machte den Versuch, durch Fröhlichkeit und Scherz
Den Dämon, der dich plagte, zu verjagen;
Doch diese Geisterart kann keinen Scherz ertragen.
Ich änderte die Kur. Allein mein eignes Herz
Kam in Gefahr dabei; es wurde mir verdächtig:
Denn Schwärmerei steckt wie der Schnupfen an;
Man fühlt, ich weiß nicht was, und, eh' man wehren kann,
Ist unser Kopf des Herzens nicht mehr mächtig.
Auf meine Sicherheit bedacht,
Fand ich zuletzt, ich müsse mich zerstreuen.
Mir schien ein Geck dazu ganz eigentlich gemacht.
Für Schönen, die den Zwang der ernsten Liebe scheuen,
Taugt eine Puppe nur, die trillert, hüpft und lacht;
Ein bunter Thor, der tändelnd uns umflattert,
Die Zähne weist, nie denkt und ewig schnattert;
Der, schwülstiser, je weniger er fühlt,
Von Flammen schwatzt, die unser Fächer kühlt,
Und, unterdeß er sich im Spiegel selbst belächelt,
Studirte Seufzerchen mit schaler Anmuth fächelt. |
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Das Alles, was du sagst, (fiel unser Timon ein),
Soll, wie es scheint, ein kleines Beispiel seyn,
Kein Handel sey so schlimm, den nicht der Witz vertheidigt;
Nur Schade, daß die Ausflucht mehr beleidigt,
Als was dadurch verbessert werden soll.
Doch, lass' es seyn! mein Thorheitsmaß ist voll,
Wir wollen uns mit Zanken nicht ermüden.
Ich liebte dich; vergib! ich war ein wenig toll;
Dir selbst gefiel ein Geck, und ich — ich bin zufrieden,
Erfreut sogar. Denn, ständ' es jetzt bei mir,
Durch einen Wunsch an seinen Platz zu fliegen,
Bathyll zu seyn — um dir im Arm zu liegen,
Bei deiner Augen Macht! — ich bliebe hier.
Du hörst, ich schmeichle nicht. Genießt ihr das Vergnügen,
Durch falsche Zärtlichkeit einander zu betrügen;
Mich fängt kein Lächeln mehr! — Ich seh' ein Blumenfeld
Mit mehr Empfindung an, als eure schöne Welt;
Und, wenn zum zweiten Mal' ein Weib von mir erhält,
Durch einen strengen Blick, durch ein gefällig Lachen
Mich bald zum Gott' und bald zum Wurm zu machen,
Wenn ich, so klein zu seyn, noch einmal fähig bin:
Dann, holde Venus, dann verwirre meinen Sinn,
Verdamme mich zur lächerlichsten Flamme
Und mache mich — verliebt in meine Amme. |
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Wie lange denkst du so? versetzt Musarion:
Der Abstich ist zu stark, den dieser neue Ton
Mit deinem ersten macht! Doch, lieber Freund, erlaube,
Ich fordre mehr Beweis, eh' ich ein Wunder glaube.
Du, welcher ohne Lieb' und Scherz
Vor Kurzem noch kein glücklich Leben kannte;
Du, dessen leicht gerührtes Herz
Von jedem schönen Blick' entbrannte,
Und der (erröthe nicht, der Irrthum war nicht groß),
Wenn ihm Musarion die spröde Thür verschloß,
Zu Lindrung seiner Qual — nach Tänzerinnen sandte;
Du sprichst von kaltem Blut? du bietest Amorn Trutz?
Vermuthlich hast du dich, noch glücklicher zu leben,
In einer andern Gottheit Schutz
Und in die Brüderschaft der Fröhlichen begeben,
Die sich von Leidenschaft und Phantasie befrein,
Um desto ruhiger der Freude sich zu weihn?
Du fliehst den Zwang von ernsten Liebeshändeln
Und findest sicherer, mit Amors nur zu tändeln;
Vermählst die Mäßigung der Lust,
Geschmack mit Unbestand, den Kuß mit Nektarzügen,
Studirtst die Kunst dich immer zu vergnügen,
Genießest, wenn du kannst, und leidest, wenn du mußt?
Ich finde wenigstens in einem solchen Leben
Unendlich Mal mehr Wahrheit und Vernunft,
Als von der freudescheuen Zunft
Geschwollner Stoiker ein Mitglied abzugeben.
Und, denkst du so, dann lächle sorgenlos
Zum Tadel von Athen, das deiner Aendrung spottet.
Nicht, wo die schöne Welt, aus langer Weile bloß,
Zu Freuden sich zusammen rottet,
An denen nur der Name fröhlich tönt,
Die, stets gehofft, doch niemals kommen wollen,
Wobei man künstlich lacht und ungezwungen gähnt
Und mitten im Genuß sich schon nach andern sehnt,
Die da und dort uns gähnen machen sollen:
Nicht im Getümmel, nein, im Schoße der Natur,
Am stillen Bach', in unbelauschten Schatten,
Besuchet uns die holde Freude nur
Und überrascht uns oft auf einer Spur,
Wo wir sie nicht vermuthet hatten.
Doch, Phanias, ist's diese Denkungsart,
Die dich der Stadt entzog, wozu die Außenseite
Von einem Diogen? wozu ein wilder Bart?
Mich däucht, ein weiser Mann trägt sich wie andre Leute? |
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"Mein Ansehn, schöne Spötterin,
Ist, wie es sich zu meinem Glücke schicket.
Wie? ist dir unbekannt, in welcher Lag' ich bin?
Daß jenes Dach, von faulem Moos gedrücket,
Und so viel Land, als jener Zaun umschließt,
Der ganze Rest von meinem Erbgut' ist?
Was Jeder weiß, kann dir allein unmöglich
Verborgen seyn: dein Scherz ist unerträglich,
Musarion, wie deine Gegenwart.
Mit wem sprichst du von einer Denkungsart,
Die von den Günstlingen des lachenden Geschickes
Das Vorrecht ist?" — Freund, du vergissest dich:
Ein Sklave trägt die Farbe seines Glückes,
Kein edles Herz. Im Schauspiel stimmen sich
Die Flöten nach dem Ton des Stückes;
Allein ein weiser Mann denke niemals weinerlich.
Wie, Phanias? Die Farbe deiner Seelen
Ist nur der Widerschein der Dinge um dich her?
Und, dir die Fröhlichkeit, des Lebens Reiz, zu stehlen,
Bedarf es nur ein widrig Ungefähr?
Ich weiß, mein Freund, wohin uns mißverstandne Güte,
Ein Herz, das Freude liebt, die Klugheit leicht vergißt
Und Niemand, als sich selbst, zu schaden fähig ist,
Ich weiß, wohin sie bringen können.
Doch, Alles recht geschätzt, gewinnst du mehr dabei,
Als du verlierst. Was Thoren uns mißgönnen,
Beweist nicht stets, wie sehr man glücklich sey.
Das wahre Glück, das Eigenthum der Weisen,
Steht fest, indeß Fortunens Kugel rollt.
Dem Reichen muß die Pracht, die ihm der Indus zollt,
Erst, daß er glücklich sey, beweisen;
Der Weise fühlt: er ist's. Ihm schmecken schlechte Speisen
Aus Thon so gut als aus getriebnem Gold.
Wenn um ihn her die muntern Lämmer springen,
Indem er sorgenfrei in eignem Schatten sitzt,
Und Zephyrn, untermischt mit bunten Schmetterlingen,
Gemähter Wiesen Duft ihm frisch entgegen bringen,
Die Vögel um ihn her aus tausend Zweigen singen,
Und Alles was er sieht, zugleich ergetzt und nützt:
wie leicht vergißt er da, er, der so viel besitzt,
Daß sich sein Landhaus nicht auf Marmorsäulen stützt,
Nicht Sklaven ohne Zahl in seinem Vorhof lärmen,
Und Fliegen nur, wenn er zu Tische sitzt,
Die Parasiten sind, die seinen Kohl umschwärmen!
Kein Schmeichler-Heer belagert seine Thür,
Kein Hof umschimmert ihn! — Er freue sich! dafür
Besitzt er was, das jedem Midas fehlet,
Was der Monarch mit Gold zu kaufen fälschlich meint,
Was, wer es kennt, vor einer Krone wählet,
Das höchste Gut des Lebens, einen Freund. |
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"Du schwärmst Musarion! —Er, dem das Glück den Rücken
Gewiesen, einen Freund?" — Ein Beispiel siehst du hier,
Erwiedert sie: mich, die von freien Stücken
Athen verließ, dich sucht' und, da du mir
Entflohest, dir (der mütterlichen Lehren
Uneingedenk) so eifrig nachgejagt,
Wie Andre meiner Art vor dir geflohen wären.
Ich dächte, das beweist, wenn einem Mann zu Ehren
Ein Mädchen — sich — und seinen Kopfputz wagt! |
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"Ich weiß die Zeit — ich trug noch deine Kette —
(Hier seufzte Phanias) da, mich entzückt zu sehn,
Dir weniger gekostet hätte.
Du durftest, statt mir nachzugehn,
Dich damals nur nach Art der Nymphen sträuben,
Die gern' an einem Busch' im Fliehen hangen bleiben,
Mit leiser Stimme dräun und lächelnd widerstehn;
Allein wer kann dafür, daß ungeneigte Winde
Von unsern Wünschen stets den besten Theil verwelken?
Dieß ist vorbei! Jetzt, wenn es bei mir stünde,
Wünscht' ich mir nichts als ein gelass'nes Blut.
Man nennt mich zu Athen unglücklich — doch, ich finde,
Zu etwas, wie man sagt, ist stets das Unglück gut:
Durch ein bezaubertes Gewinde
Von süßem Irrthum hat zuletzt
Die Thorheit selbst mich auf den Weg gesetzt,
Zu werden, was ich schien, als man mich glücklich nannte.
Gesegnet seyst du mir, Geburtstag meines Glücks!
Tag, der mich aus Athen in diese Wildniß sandte!
Nicht Phanias, der Günstling des Geschicks,
Nein, Phanias, der Nackte, der Verbannte,
Ist neidenswerth! Da war er wirklich arm,
Unglücklicher als Irus, gleich dem Kranken,
Der sich zu Tode tanzt, als Schmeichler, Schwarm an Schwarm,
Sein Herzensblut aus goldnen Bechern tranken,
Beim nächtlichen Gelag', an feiler Phrynen Brust,
Von jeder Leidenschaft! ein Opferthier der Lust!
Wie? Der, der siebenfach von einer Schlang' umwunden
Auf Blumen schläft und träumt, er sitz' auf einem Thron,
Der sollte glücklich seyn? — und wenn Endymion
(Dem Luna, daß sie ihn bequemer küssen möge,
So schöne Träume gab) durch eine Million
Von Sonnenaltern stets in süßen Träumen läge
Und träumt', er schmaus' am Göttertisch
Mit Jupitern und buhle mit Göttinnen,
Ein süß betäubendes Gemisch
Von Allem, was ergetzt, berausche seine Sinnen,
Mit einem Wort', er schwimme wie ein Fisch
In einem Ocean von Wonne —
Sprich, wer geständ' uns, unerröthend, ein,
Er wünsche sich, Endymion zu seyn?
Diogenes, der Hund, in seiner Tonne
War glücklicher! — In unsrer eignen Brust,
Da oder nirgends fließt die Quelle wahrer Lust,
Der Freuden, welche nie versiegen,
Des Zustands dauernder Vergnügen,
Den nichts von außen stört! Wie elend hätte mich
Ein Wechsel, der mir Alles raubte,
Wodurch ich mich vor diesem glücklich glaubte,
Fortunens ganzen Gram, — wie elend hätt' er mich
Gemacht, wenn mir aus ihrer lichten Sphäre
Die Weisheit nicht zu Hülf' erschienen wäre,
Die aus den Wolken mir die Arme reicht, zu sich
Hinauf mich zieht und mich dahin versetzet,
Wo ihre Lieblinge, frei von Begier und Wahn,
Von keiner Lust gereizt, von keinem Schmerz verletzet,
Sich den Olympiern und ihrer Wonne nahn." |
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Hier war der hohe Schwung, den Phanias zu nehmen
Begriffen war, gehemmt. Schon schwanden Raum und Zeit
Aus seinem Blick, schon fühlt' er sich entkleid't
Vom niederziehenden Gewand der Sterblichkeit,
Schon war er halb ein Gott; — als eine Kleinigkeit,
Die wir uns fast zu sagen schämen,
Ihn plötzlich in die Unterwelt
Zurücke zog. — Ihr mächtige Besieger
Der Menschlichkeit, die ihr dem Sternenfeld'
Euch nahe glaubt — das Herz ist ein Betrüger!
Erkennet euer Bild in Phanias und bebt!
Der Weise, der so kühn sich zum Olymp erhebt,
Der schon so hoch empor gestiegen,
Daß er (wie Sancho dort auf Magellonens Pferd)
Die purpurnen und himmelblauen Ziegen
Des Himmels grasen sieht, die Sphären singen hört
Und aus der Glut, die sein Gehirn verzehrt,
Des Feuerhimmels Nähe schließet,
Ihn, der nichts Sterblichs mehr mit seinem Blick beehrt,
Den stolzen Gast des Aethers, schiebet,
Musarion mit einem — Blick' herab.
Doch freilich war's ein Blick, nur jenem zu vergleichen,
Den Coypel seinem Amor gab, .
Der, euer Herz gewisser zu beschleichen,
Euch schalkhaft warnt, als spräch' er: Seht ihr mich?
Ihr denkt, ich sey ein Kind voll süßer Unschuld, ich?
Verlaßt euch drauf! Seht ihr an meiner Seite
Den Köcher hier? Wenn euch zu rathen ist,
So flieht! — Und doch, was hilft die kleine Frist?
Es sey nun morgen oder heute,
Ihr habt ein Herz, und das ist meine Beute! |
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So, oder doch in diesem Ton,
So etwas sprach der Blick, womit Musarion
Den weisen Phanias aus seiner Fassung brachte.
Er sah, er stockt', er schwieg; die alte Flamm' erwachte,
Und seine Augen füllt' ein unfreiwillig Naß.
Die Schöne stellte sich, sie sehe nichts, und lachte
Nur innerlich. Drauf sprach sie: Phanias,
Es dämmert schon. Ich habe mich zu lange
Bei dir verweilt. Athen ist weit von hier;
In dieser Gegend kenn' ich Niemand außer dir,
Und hier im Hain, gesteh' ich, wäre mir
Die Nacht hindurch vor Ziegenfüßlern bange.
Was ist zu thun? — Ich denk', ich folge dir? |
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"Mir? stottert Phanias: gewiß sehr viele Ehre!
Allein mein Haus ist klein" — Und wenn es kleiner wäre,
Für eine Freundin hat die kleinste Hütte Raum. —
"Du wirst an Allem Mangel haben:
Ein wenig Milch, ein Ei, und dieses kaum" —
Mich hungert nicht. — "Nur einen Hirtenknaben,
Dich zu bedienen" — Nur? Es ist an Dem zu viel.
Wir wollen gehn, mein Freund! die Luft wird kühl —
"Vergib, Musarion; ich muß dir Alles sagen:
Mein Häuschen ist besetzt; ich habe seit acht Tagen
Zwei Freunde, die bei mir" —Zwei Freunde? ---"Ja, und zwar
Die, däucht mir, nicht zu deinem Umgang taugen."—
Was sagst du? — Philosophen gar?
Sie haben doch noch ihre Augen?
Gut, Phanias, ich will sie kennen, ich —
"Du scherzest." — Nein, mein Herr; ich hatte, wie ihr mich
Hier seht, von ihrer Art wohl eher
Um meinen Nachttisch stehn. —"Vergib, ich zweifle sehr:
Der stoische Kleanth". — O Ceres! und wer mehr?
"Theophron, der Pythagoräer,
Sind schwerlich von so blödem Geist". —
O Phanias, ist Alles Gold, was gleißt?
Allein, gesetzt, sie wären lauter Geist,
Was hindert dieß? Nur desto mehr Vergnügen! —
"Kurz, wir sind drei, Madame, und auf den Mann
Ein kleines Ruhebett" — Man hilft sich, wie man kann;
Und können wir den Schlaf durch Schwatzen nicht betrügen?
Wir gehn, mein Lieber — deinen Arm!
Nun, Phanias? macht dir mein Antrag warm?
Man dächt', es wäre hier wer weiß wie viel zu wagen.
Drei Weise werden mir doch wohl gewachsen seyn?
Ich fürchte nichts bei euch und bin allein. |
|
Was soll er thun? — Wo Widerstreben
Vom Untergang das Schiff nicht retten kann,
Da wird ein weiser Steuermann
Mit guter Art sich in den Wind ergeben.
Mein Phanias, der nur aus blöder Scheu
Vor seinen Mentorn sich so lange widersetzte,
Schwor, daß er seine Einsied'lei
Dem Musentempel ähnlich schätzte,
Weil ihr das Glück beschieden sey,
Die liebenswürdigste der Musen zu beschatten.
Schon zeigte sich, daß ihre Reize noch
Nicht alle Macht auf ihn verloren hatten.
Der ausgetriebne Amor kroch,
So leise, wie auf Blumenspitzen,
Aus ihren Augen in sein Herz.
Des Gottes Ankunft künd't ein fliegendes Erhitzen
Der blassen Wang', ein wollustvoller Schmerz
Mit Thränen an, die wider seinen Willen
In runden Tropfen ihm die Augenwinkel füllen.
Er meint, er athme nur, und seufzt; starrt unverwandt
(Indeß sie schwatzt und scherzt) sie an, als ob er höre,
und hört doch nichts; drückt ihr die runde Hand
Und denkt, indem durchs steigende Gewand
Die schöne Brust sich bläht, ob diese halbe Sphäre
Der Pythagorischen nicht vorzuziehen wäre? |
|
Die Schöne wurde die Gefahr,
Worin der Ruhm der Stoa schwebte,
Den Kampf in seiner Brust und ihren Sieg gewahr,
Und wie vergebens er der Macht entgegen strebte,
Wovon (so lispelt ihr der Liebesgott ins Ohr)
Die Philosophen selbst, sie wollten
Nun oder wollten nicht, bald Zeugen werden sollten.
Sie sah, wie nach und nach sein Trübsinn sich verlor,
Und wie beredt, wie stark sein Auge sagte,
Was er sich selbst kaum zu gestehen wagte;
Allein sie fand für gut (und that sehr klug daran),
Ihm, was sie sah, und ihrer beider Seelen
Geheime Sympathie zur Zeit noch zu verhehlen.
Nur sah sie ihn mit solchen Blicken an,
Die er berechtigt war, so sündig auszulegen,
Als ihm gefiel. Allein, macht die Begier verwegen,
So macht die Liebe blöd'. Er sah in ihrem Blick
Sonst jeden Reiz, nur nicht sein nahes Glück. |
|
So langten sie, da schon die letzten Strahlen schwanden,
Bei seinem Landgut' an, wo sie das weise Paar,
Von Linden, die im Vorhof standen,
Umduftet, unverhofft in einer Stellung fanden,
Die der Philosophie nicht allzu rühmlich war. | —————
Zweites Buch. |
Was, beim Anubis! konnte das
Für eine Stellung seyn, in welcher Phanias
Die beiden Weisen angetroffen?
"Sie lagen doch — wir wollen Bess'res hoffen! —
Nicht süßen Meines voll im Gras?" —
Dieß nicht. —"So ritten sie vielleicht auf Steckenpferden?"
Das könnte noch entschuldigt werden:
Plutarchus rühmt sogar es an Agesilas.
Doch von so fei'rlichen Gesichtern, als sie waren,
Vermuthet sich nichts weniger als das.
Ihr Zeitvertreib war in der That kein Spaß:
Denn, kurz, sie hatten sich einander bei den Haaren.
Der nervige Kleanth war im Begriff, ein Knie
Dem Gegner auf die Brust zu setzen,
Der, unter ihm gekrümmt, für die Philosophie,
Die keine Bohnen ißt, die Haare ließ, als sie
In ihrem skythischen Ergetzen
Des Hausherrn Ankunft stört. Beschämt, als hätte ihn
Sein Feind bei einer That, die keine fremde Leute
Zu Zeugen nimmt, ertappt, zum Stehn wie zum Entfliehn
Unschlüssig, wünscht er nur dem Gast' an seiner Seite
Ein Schauspiel zu entziehn, das sie weit mehr erfreute
Als von Mäandern selbst (dem attischen Goldon)
Das beste Stück. Allein sie waren schon
Zu nah, sie sah zu gut, der Schauplatz war zu offen,
Er konnte nicht sie zu bereden hoffen,
Sie habe nichts gesehn. Die Kämpfer raffen sich
Indessen auf; sie ziehen sittsamlich
Die Mäntel um sich her und stehen da und sinnen
(Weil Phanias, damit sie Zeit gewinnen,
Die Nymph' am Arm, nur schleichend näher kam),
Der Schmach sich selbst bewußter Scham
Durch dialektische Mäander zu entrinnen.
Vergebens, wenn Musarion
Großmüthig ihnen nicht zuvor gekommen wäre.
"Die Herren üben sich, spricht mit gelass'nem Ton
Die Spötterin, vermuthlich nach der Lehre,
Daß Leibesübung auch des Geistes Stärke nähre.
Ein männlich Spiel fürwahr! wovon
Mit bestem Recht zu wünschen wäre,
Daß unsrer Sitten Weichlichkeit
Nicht allgemach es aus der Mode brächte." |
|
Man sieht, sie gab dem wilden Stiergefechte
Ein Colorit von Wohlanständigkeit
(Nicht ohne Absicht zwar)—— Wer war dabei so freudig
Als Phanias! — Allein der stoische Kleanth
(Zu hitzig oder ungeschmeidig,
Zu fühlen, daß es bloß in seiner Willkür stand,
Das Compliment in vollem Ernst zu nehmen)
Zwang seinen Schüler, sich noch mehr für ihn zu schämen.
Der Augenblick, worin Musarion
Ihn überfiel, ihr Blick, der schalkhaft sanfte Ton
Der Jronie und (was noch zehnmal schlimmer
Als alles Andre war) ihr ungewohnter Schimmer,
Die Majestät der Liebeskönigin,
Das Wollustathmende, das eine Atmosphäre
Von Reiz und Lust um sie zu machen schien,
Bestürmt auf ein Mal, für die Ehre
Der Apathie zu stark, den überraschten Sinn.
Er stottert ihr Entschuldigungen,
Zupft sich am Bart, zieht stets den Mantel enger an,
Und unterdeß entwischt dem weisen Mann,
Was Niemand wissen will, — er hab' im Ernst gerungen.
Der Streit, versichert er, ging eine Wahrheit an,
Die er so sonnenklar, so scharf beweisen kann,
Nur ein arkadisch Thier, ein Strauß, ein Auerhahn —
Hier rothet sich sein Kamm, es schwellen Brust und Lungen,
Er schreit —. Mich jammert nur der arme Phanias!
Bald lauter Glut, bald leichenmäßig blaß,
Steht er beiseits und wünscht vom Boden sich verschlungen,
Worauf er steht. — Die Schöne sieht's und eilt,
Ihn von der Marter zu erretten.
Mit einem Blick voll junger Amoretten
Und Grazien, der stracks an unsichtbare Ketten
Kleanthens Tollheit legt, Theophrons Rippen heilt,
Spricht sie: Wenn's euch beliebt, so machen wir die Fragen,
Wovon die Rede war, zu unserm Tischconfect',
Ich zög' ein solch Gespräch, sogar bei leerem Magen,
Der Tafel vor, die Ganymedes deckt.
Wie freu' ich mich, daß ich den Weg verloren,
Da mir das Glück so viel Vergnügen zugedacht!
Glücksel'ger Phanias, der Freunde sich erkoren,
Von denen schon der Anblick weiser macht!
Jetzt wundert mich nicht mehr, wenn er zum Spott der Thoren
Mitleidig lächeln kann und, glücklich, wie er ist,
Athen und uns und alle Welt vergißt! |
|
So sprach sie; und mit Ohren und mit Augen
Verschlingt das weise Paar, was diese Muse spricht:
Begier'ger kann die welke Rose nicht
Den Abendthau aus Zephyrs Lippen saugen.
Zusehends schwellen sie von selbstbewußtem Werth:
Nicht, daß ein fremdes Lob sie dessen erst belehrt;
Nur hört man stets mit Wohlgefallen
Aus Andrer Mund das Urtheil widerhallen,
Womit uns innerlich die Eitelkeit beehrt.
Ein Philosoph bleibt doch uns Andern allen
Im Grunde gleich: wär' er so stoisch als ein Stein,
Und hätte nichts die Ehr', ihm zu gefallen,
Er selbst gefällt sich doch! Schmaucht ihn mit Weihrauch ein
Und seyd gewiß, er wird erkenntlich seyn.
Es stieg demnach von Grad zu Grade
Der Schönen Gunst bei unserm Weisenpaar';
Ihr lachend Auge fand selbst vor der Stoa Gnade,
Und man vergab es ihr, daß sie so reizend war. |
|
Ein kleiner Saal, der von des Hauswirths Schätzen
Kein allzu günstig Zeugniß gab,
Nahm die Gesellschaft auf. Ein ungekämmter Knab'
Erschien, die Tafel aufzusetzen,
Lief keuchend hin und her und hatte viel zu thun,
Bis er ein Mahl zu Stande brachte,
Wovon ein wohlbetagtes Huhn
(Doch nicht, der Regel nach, die Kacius erdachte,
In Cypernwein erstickt) die beste Schüssel machte. |
|
Ob die Philosophie des guten Phanias,
Der schönen Nymphe gegenüber,
Bei einem solchen Schmaus so gar gemächlich saß,
Läßt man dem Leser selbst zu untersuchen über.
Ein wenig falsche Scham, von der er noch nicht ganz
Sich los gemacht, schien ihn vor einem Zeugen
Von seines vor'gen Wohlstands Glanz
Ein wenig mehr als nöthig war zu beugen.
Allein der Dame Witz, die freie Munterkeit,
Die, was sie spricht und thut, mit Grazie bestreut,
Und dann und wann ein Blick voll Zärtlichkeit,
Den sie, als ob sie sich vergäß', erst auf ihn heftet,
Dann seitwärts glitschen läßt, entkräftet
Den Unmuth bald, der seine Stirne kräust;
Stets schwächer widersteht sein Herz dem süßen Triebe,
Und, eh' er sich's versieht, beweist
Sein ganzes Wesen schon den stillen Sieg der Liebe. |
|
Indessen wird, so sichtbar als es war,
Den beiden Weisen doch davon nichts offenbar,
Ob sie die Schöne gleich mit großen Augen messen.
Die Herren dieser Art blend't oft zu vieles Licht;
Sie sehn den Wald vor lauter Bäumen nicht.
Doch sind die unsrigen entschuldigt: denn indessen
Daß Phanias ein liebliches Vergessen
Von Allem, was sein steifer Pädagog
Ihm jemals vorgeprahlt, aus schönen Augen sog,
War auf Musarions Verlangen
Das akademische Gefecht schon angegangen,
Womit sie etwas sich zu gut zu thun beschloß.
Kleanth bewies bereits: "der Weise nur sey groß
Und frei, geringer kaum ein wenig
Als Jupiter, ein Krösus, ein Adon,
Ein Hercules und zehnmal mehr ein König
Auf mürbem Stroh', als Xerxes auf dem Thron;
Des Weisen Eigenthum, die Tugend, ganz alleine
Sey wahres Gut, und nichts von allem dem
Was unsern Sinnen reizend scheine,
Sey wünschenswürdig" — Kurz, die Wuth für sein System
Ging weit genug, ganz trotzig, ohne Röthe,
Zu prahlen: "wenn in Cypriens Figur
Die Wollust selbst leibhaftig vor ihn träte,
Schön, wie die Göttin sich dem Sohn der Myrrha nur
Bei Mondschein sehen ließ, — und diese Venus böte
Auf seinem Stroh' ihm ihre schöne Brust
Zum Polster an — ein Mann wie er verschmähte
Den süßen Tausch." |
|
Hier war es, wo die Lust
Des Widerspruchs Theophron sich nicht länger
Versagen kann — ein Mann von krausem schwarzem Bart'
Und Augen voller Glut, kein übler Sänger
Und Citharist, dabei ein Grillenfänger
So gut als jener, nur von einer andern Art.
Das geht zu weit (fiel er Kleanthen in die Rede),
Zum mindsten führet es gar leicht zu Mißverstand.
Nicht daß ich hier das Wort der Wollust rede
Im gröbern Sinn! Die ist unleugbar eitel Tand
Und Schaum und Dunst, ein Kinderspiel für blöde,
Unreife Seelen, die mit ihren Flügeln noch
Im Schlamm des trüben Stoffes stecken.
Doch sollt' uns nicht die Nektartraube schmecken,
Weil ein Insect auf ihrem Purpur kroch?
Der Mißbrauch darf nicht unser Urtheil leiten:
Alt ist der Spruch, zu selten sein Gebrauch!
Saugt nicht auf gleichem Rosenstrauch
Die Raupe Gift, die Biene Süßigkeiten? |
|
Begeistert wie ein Korybant
Und von Musarion die Augen unverwandt,
Fing jezt Theophron an, in dichterischen Tönen,
Vom ersten wesentlichen Schönen
Zu schwärmen: "Wie das Alles, was wir sehn
Und durch der Sinne Dienst mit unsrer Seele gatten,
Von dem, was übersinnlich schön
Und göttlich ist, nur wesenlose Schatten,
Nur Bilder sind, wie wenn in stiller Flut,
Von Büschen eingefaßt, sich Sommerwolken malen."
Von da erhob er sich, bei immer warmerm Blut,
"Zu den geheimnißvollen Zahlen,
Zur sphärischen Musik, zum unsichtbaren Licht,
Zuletzt zum Quell des Lichts." — Ekstatischer hat nicht
Wie aus der alten Nacht die schöne Welt entsprungen,
Und vom Deukalion und von der goldnen Zeit
Virgils Silen den Knaben vorgesungen,
Die ihn im Schlaf' erhascht und zum Gesang gezwungen. |
|
Dann fuhr er fort und sprach "vom Tod der Sinnlichkeit,
Und wie durch magische geheime Reinigungen
Die Seele nach und nach vom Stoffe sich befreit,
Und wie sie, durch Enthaltsamkeit
Von Erdetöchtern und — von Bohnen,
Zum Umgang tüchtig wird mit Göttern und Dämonen,
Bis sie (dem Wurme gleich, der in die Sommerluft
Auf neuen Flügeln sich erhebet)
Dem Stoff sich ganz entreißt und ihres Körpers Gruft,
Zur Göttin wird und unter Göttern lebet." |
|
Belustigt an dem hohen Schwung,
Den unser Doctor nahm, stellt sich die schlaue Schöne,
Als ob vor Hörenslust und vor Bewunderung
Ihr Busen sich in seinen Fesseln dehne.
Zum Unglück für den Mann, der lauter Wunder spricht,
Entsteht dadurch (und sie bemerkt es nicht)
Ich weiß nicht welche kleine Lücke,
Die seinen Flug auf ein Mal unterbricht;
Und, wie zuletzt die Richtung seiner Blicke
Ihr sichtbar macht, was ihn zerstreut,
Und sie beschäftigt scheint, den Zufall zu verbessern,
Hat sie die Ungeschicklichkeit
(Wofern's nicht Bosheit war), das Uebel zu vergrößern. |
|
Der Umstand ist an sich nur eine Kleinigkeit;
Doch wird vielleicht die Folge zeigen,
Daß er entscheidend war. Es folgt ein tiefes Schweigen,
Wobei Kleanth sogar das volle Glas
Und, was kaum glaublich ist, die Lust zum Zank vergaß,
Indeß, vertieft in Sinus und Tangenten,
Der Jünger des Pythagoras
Den wallenden Contour gewisser Sphären maß,
Woran die Lambert selbst sich übermessen könnten,
Vor Amorn unbesorgt, der hier zu lauern pflegt
Und schon den schärfsten Pfeil auf seinen Bogen legt. |
|
Mit lächelnder Verachtung sieht die Dame
Das weise Paar mit seinem Flitterkrame
Von falschen Tugenden und großen Wörtern an;
Und, eh die Herren sich's versahn,
Weiß sie mit guter Art den unbescheidnen Blicken,
Was, ihres Gleichen zu entzücken,
Die Charitinnen nicht mit eigner Hand
So schön gedreht, auf ein Mal zu entrücken;
Und Alles sinkt sogleich in seinen alten Stand. |
|
Draufsprach sie: In der That, man kann nichts Schönres hören;
Als was Theophron uns von unsichtbarem Licht,
Von Eins und Zwey, von musikal'schen Sphären,
Vom Tod der Sinnlichkeit und von Vergöttrung spricht.
Wie Schade, wär' es nur ein schönes Luftgesicht,
Wornach er uns die Lippen wässern machte!
Und doch, der Weg zu diesem stolzen Glück'
Ist, däucht mir, das, woran er nicht gedachte. |
|
Theophron, noch ganz warm von dem, was seinem Blick
Entzogen war und voll von wollustreichen Bildern,
Beginnt den Weg, den Prodikus so schmal
Und rauh und dornig malt, so angenehm zu schildern,
So lachend wie ein Rosenthal
Zu Amathunt, dem Aufenthalt der Freuden.
Ein Sybarit, der einen Weg aus beiden
Zu wählen hätt', erwählte sonder Müh
Den blumigen, den die Philosophie
Theophrons ging, — durch zauberische Schatten,
Wo Geist und Körper sich, bei ungewissem Licht',
In schöne Ungeheuer gatten,
Und Amor, nicht der kleine Bösewicht,
Den Coppel malt, ein andrer von Ideen,
Wie der zu Gnid von Grazien, umschwebt,
Ein Amor, der vom Haupt bis zu den Zehen
Voll Augen ist und nur vom Anschaun lebt,
Der Seele Führer wird, sie in die Wolken hebt
Und, wenn er sie zuvor — in einem kleinen Bade
Von Flammen — wohl gereinigt und gefegt,
Sie stufenweis durch die gestirnten Pfade
Bis in den Schoß des höchsten Schönen trägt. |
|
Doch, eh zu so erhabner Liebe
Die Seele leicht genug sich fühlt,
Befreit Theophron sie vorher von jedem Triebe,
Der thierisch im Morast des groben Stoffes wühlt.
"Und hier ist's, fährt er fort, wo unsre Afterweisen
Ein falsches Licht verführt. Die guten Leute preisen
Uns ihre Apathie als ein Geheimniß an,
Das uns zu mehr als Göttern machen kann.
Nach ihnen soll der Weise Alles meiden,
Was Aug' und Ohr ergetzt; so kleine Kinderfreuden
Sind ihm zu tändelhaft; stets in sich selbst gekehrt,
Beweist er sich allein durch das, was er entbehrt,
Die Größe seines Glücks, fühlt nichts, um nichts zu leiden,
Und — irret sehr. Das Schöne kann allein
Der Gegenstand von unsrer Liebe seyn;
Die große Kunst ist nur, vom Stoff' es abzuscheiden.
Der Weise fühlt. Dieß bleibt ihm stets gemein
Mit allen andern Erdensöhnen;
Doch diese stürzen sich, vom körperlichen Schönen
Geblendet, in den Schlamm der Sinnlichkeit hinein,
Indessen wir daran, als einen Widerschein,
Ins Urbild selbst zu schauen uns gewöhnen.
Dieß ist's, was ein Adept in allem Schönen sieht,
Was in der Sonn' ihm strahlt und in der Rose blüht.
Der Sinnensklave klebt, wie Vögel an der Stange,
An einem Lilienhals', an einer Rosenwange;
Der Weise sieht und liebt im Schönen der Natur
Vom Unvergänglichen die abgedrückte Spur.
Der Seele Fittig wächst in diesen geist'gen Strahlen,
Die, aus dem Ursprungsquell des Lichts
Ergossen, die Natur bis an den Rand des Nichts
Mit fern nachahmenden, nicht eignen Farben malen.
Sie wächst, entfaltet sich, wagt immer höhern Flug
Und trinkt aus reinern Wollustbächen;
Ihr thut nichts Sterbliches genug,
Ia, Götterlust kann einen Durst nicht schwächen,
Den nur die Quelle stillt. So, meine Freunde, wird,
Was andre Sterbliche, aus Mangel
Der höhern Scheidekunst, gleich einer Flieg' am Angel,
Zu süßem Untergange kirrt,
So wird es für den echten Weisen
Ein Flügelpferd zu überird'schen Reisen. |
|
"Auch die Musik, so roh und mangelhaft
Sie unterm Monde bleibt — denn, ihrer Zauberkraft
Sich recht vollkommen zu belehren,
Muß man, wie Scipio, die Sphären
(Zum wenigsten im Traume) singen hören —
Auch die Musik bezähmt die wilde Leidenschaft,
Verfeinert das Gefühl und schwellt die Seelenflügel;
Sie stillt den Kummer, heilt die Milzsucht aus dem Grund'
Und wirkt (zumal aus einem schönen Mund)
Mehr Wunderding' als Salomonis Siegel." |
|
Hier kann Kleanth nicht länger ruhn;
Er muß, vom Wahrheitsdrang gezwungen,
Der Schwärmerei des Mannes Einhalt thun:
Denn Alles, was Theophron uns gesungen,
War, seinem Urtheil nach, vollkommner Aberwitz.
Schon richtet er auf seinem Polstersitz,
Den rechten Arm entblößt, die Stirn' in stolzen Falten,
Sich drohend auf und hat, noch eh' er spricht,
Den leichten Sieg bereits erhalten;
Als ihn ein Auftritt unterbricht,
Auf den das weise Paar sich nicht gefaßt gehalten. |
|
Der Saal eröffnet sich, und eine Nymphe tritt
Herein, das Haupt mit einem Korb beladen,
Den Busen leicht verhüllt und gleich den Oreaden
So hoch geschürzt, daß jeder schnelle Schritt
Den schlanken Fuß bis an die feinsten Waden
Und oft sogar ein Knie von Wachs entdeckt,
Das eilend wieder sich im dünnen Flor versteckt.
Nicht schöner malt die Heben und Auroren
Alban, der, wie ihr wißt, so gerne Nymphen malt.
Mit einem Wort, sie war so auserkoren,
Daß unser Theosoph (beim ersten Blick verloren
Im Widerschein, der ihm entgegen strahlt)
Die Düfte nicht empfind't, die aus dem Korbe steigen,
Und die Kleanth mit Mund und Nase in sich schlürft.
Musarion, die sich den Ausgang schon entwirft,
Winkt ihrem Freund ein pythagor'sches Schweigen,
Indeß den Korb die schöne Sklavin leert
Und mit sechs großen Nektarkrügen
(Genug, von einem Faun den Weindurst zu besiegen),
Mit Früchten und Confect den runden Tisch beschwert. |
|
Die Herren (spricht hierauf die Schöne) haben beide
Mich wechselsweise, so wie jeder sprach, bekehrt:
Wie sehr ich auch das Glück der Apathie beneide,
So däucht mich doch die geist'ge Augenweide,
Die uns Theophron zeigt, nicht minder wünschenswerth.
Erlaubet, daß ich mich ein ander Mal entscheide.
Es sey der Rest der Nacht, der mich so viel gelehrt,
Den Musen heilig und der Freude!
Nimm, Phanias, die Schal' und gieß sie aus
Der himmlisch lächelnden Cytheren;
Und du, Theophron, gib uns einen Ohrenschmaus
Und laß zum Saitenspiel' uns deine Stimme hören. |
|
Das leichte philosoph'sche Mahl
Verwandelt nun (Dank sey der Oreade,
Die Hebens Dienste thut, durch unbemerkte Grade
Sich in ein kleines Bacchanal.
Zwar läßt zum Lob des unsichtbaren Schönen
Der bärtige Apoll das ganze Haus ertönen;
Allein sein Blick, der nie von Chloens Busen weicht,
Beweist, wie wenig, was er fühlet,
Dem, was er singt, und einer Rolle gleicht,
Die auch der künstlichere Komödiant so leicht
Und ungezwungen nie, wie seine eigne, spielet.
Die lose Sklavin hilft des Weisen Lüsternheit
Durch listige Geschäftigkeit
Mit jedem Augenblick lebhafter anzufachen;
Stets ist sie um ihn her und macht sich tausend Sachen
Mit ihm zu thun, in immer hellerm Glanz
Die Reizungen ihm vorzuspiegeln,
Die nur zu sehr die Seel' in ihm beflügeln,
Die unterm Zwergfell thront. Ein großer Blumenkranz,
Womit sie seine Stirne schmücket,
Vollendet, was ihm fehlt, damit, wer ihn erblicket,
Wie er den Zärtlichen und Angenehmen macht,
Fast überlaut ihm an die Nase lacht. |
|
Wie traurig, Phanias, siehst du die schönste Nacht,
Dir ungenützt, bei diesem Spiel verstreichen!
Er gähnt die Freundin kläglich an,
Er winkt, er seufzt; umsonst, sie folget ihrem Plan'
Und denkt vielleicht nicht weniger daran,
Ihn mit dem seinen zu vergleichen. |
|
Zu ihrer Freude bringt der schlauen Chloe Kunst
Den schlüpfrigen Pythagoräer
Dem abgeredten Ziel zusehends immer näher.
Er buhlt durch Blicke schon um ihre Gegengunst
So feierlich, antwortet ihren Blicken
Mit so fanatischem, so komischem Entzücken,
Daß Hogarths Laune selbst kaum weiter gehen kann.
Wozu, Verführerin, hieltst du den Nektarbecher
Dem Lechzenden so zaubrisch lächelnd an?
Sein Brand bedarf kein Oel! Nimm lieber einen Fächer
Und kühle seinen Mund und seiner Wangen Glut!
Wohnt so viel Grausamkeit in sanften Mädchenseelen?
Glaubt ihr, ein weiser Mann sey nicht von Fleisch und Blut?
Doch Chloe weiß vermuthlich, was sie thut:
Sie hat die Miene nicht, ihn unbelohnt zu quälen. |
|
Nicht wenig stolz auf sein gefrornes Blut,
Beweist indeß mit hoch empor geworfner Nase
Kleanth, der Stoiker, bei oft gefüllten Glase,
Daß Schmerz kein Uebel sey, und Sinnenlust kein Gut.
Ihm hängt, wie dort Horaz, dem trägen
Lastbaren Thiere gleich, sein Lehrling, weil er muß,
Verzweiflungsvoll ein schläfrig Ohr entgegen
Und widerspricht zuletzt aus Langweil' und Verdruß.
Natürlich reizet dieß noch mehr des Weisen Galle;
Im Eifer schenkt er sich nur desto öfter ein,
Glaubt, daß er Wasser trinkt, nicht Wein,
und demonstrirt den Aristipp und Alle,
Die seiner Gattung sind, in Circens Stall hinein. |
|
Sein Eifer für den Lieblingstanz der Halle,
Durch jeden Widerspruch und jedes Glas verwehrt,
Hat von sechs Flaschen schon die dritte ausgeleert;
Als der Planetentanz, womit der Geisterseher
Die Dame zum Beschluss' ergetzt,
Ihn vollends ganz in Flammen setzt.
Nun wird nichts mehr verschont: Aegypter und Chaldäer
Erfahren seine Wuth, wie er des Weingotts Macht;
Und, eh der Tänzer noch uns von den Antipoden
Den Gott des Lichts zurückgebracht,
Fällt taumelnd sein Rival und liegt besiegt zu Boden. |
|
Der dritte Act des Lustspiels schließt sich nun,
und Alles sehnet sich, den Rest der Nacht zu ruhn.
Kleanth, der, wie er lag, Virgils Silenen
Nicht übel glich (nur daß er nicht erwacht,
So sehr ihn Chloe zwickt, so laut man um ihn lacht),
Wird standsgemäß, umtanzt von beiden Schönen,
Mit bacchischem Triumph in — einen Stall gebracht,
Und lachend wünschet man einander gute Nacht. |
Drittes Buch. |
Die Schöne lag auf ihrem Ruhebette
Und hatte (fern, vermuthlich, vom Verdacht,
Daß sie bei Phanias sich vorzusehen hätte)
Ihr Mädchen fortgeschickt. Es war nach Mitternacht;
Ein leicht Gewölke brach des Mondes Silberschimmer,
Und Alles schlief: als plötzlich, wie ihr däucht,
Den Gang herauf zu ihrem kleinen Zimmer
Mit leisem Tritt' —ich weiß nicht was sich schleicht. |
|
Sie stutzt. Was kann es seyn? Ein Geist nach seinen Tritten —
Besuch von einem Geist! den wollt' ich sehr verbitten,
Denkt sie. Indem eröffnet sich die Thür',
Und, eh sie's ausgedacht, steht — Phanias vor ihr. |
|
Vergib, Musarion, vergib, (so fing der Blöde
Zu stottern an), die Zeit ist unbequem —
Allein — "Wozu, fiel ihm die Freundin in die Rede,
Wozu ein Vorbericht? Wann war ich eine Spröde?
Ein Freund ist auch zur Unzeit angenehm:
Er hat uns immer was, das uns gefällt, zu sagen." |
|
Dein Ton (erwiedert er) beweist,
Wie wenig dieser Schein von Güte meinen Klagen
Mitleidiges Gefühl verheißt.
Du siehst mein Innerstes und kannst mich lächelnd plagen?
Siehst, daß ein Augenblick mir hundert Jahre scheint,
Und findest noch ein grausames Behagen
An meiner Qual? Du treibst mich zum Verzagen,
Kaltsinnige, und nennst mich deinen Freund?
Wie grausam rächst du dich! — |
|
"Ich? — fällt sie ein, mich rächen? |
|
Träumt Phanias? Er liebte mich vordem;
Er hörte wieder auf! War dieses ein Verbrechen?
War's jenes? Mir, mein Freund, war beides angenehm.
Wir Mädchen sehn doch immer mit Vergnügen
Die Weisheit eines Manns zu unsern Füßen liegen.
Allein als Freundin säh' ich dich
Noch lieber kalt für mich — als lächerlich." |
|
Wie du mich martern kannst, Musarion! Viel lieber
Stoß' einen Dolch in dieses Herz, das du
Nicht glücklich machen willst; — |
|
"Nichts Tragisches, mein Lieber! |
|
Komm, setze dich gelassen gegenüber
Und sag' uns in Vertraun, wie viel gehört dazu,
Damit ich dich so glücklich mache,
Als du verlangst?" — Mich lieben, wie ich dich! —
"So liebt mich Phanias, der noch so kürzlich mich
Mit Abscheu von sich warf?" —Ist (ruft er) dieß nicht Rache?
Du weißt zu wohl, ich war nicht Ich
In jener unglücksel'gen Stunde;
Gram und Verzweiflung sprach aus meinem irren Munde;
Ich lästerte die Lieb' und fühlte nie
Mein Herz so voll von ihr. Ich war zu sehr betroffen,
Zu wissen, was ich sprach, und hielt für Ironie,
Was du mir sagtest. Konnt' ich hoffen,
Daß, was Athen von mir, mich von Athen verbannt,
Dein Herz allein mir plötzlich zugewandt?
Erwäge dieß und, kannst du nicht vergeben,
Was ich mir selbst zwar nicht vergeben kann,
So blicke mich noch ein Mal an,
Und nimm mit diesem Blick mir ein verhaßtes Leben.
Ob ich dich liebe? ach! |
|
"Nun, bei Dianen! Freund, |
|
Die Liebe macht bei dir sehr klägliche Geberden;
Sie spricht so weinerlich, daß mir's unmöglich scheint,
In diesen Ton jemals gestimmt zu werden.
Die hohe Schwärmerei taugt meiner Seele nicht,
So wenig als Theophrons Augenweide:
Mein Element ist heitre sanfte Freude,
Und Alles zeigt sich mir in rosenfarbnem Licht'.
Ich liebe dich mit diesem sanften Triebe,
Der, Zephyrn gleich, das Herz in leichte Wellen setzt,
Nie Stürm' erregt, nie peinigt, stets ergetzt;
Wie ich die Grazien, wie ich die Musen liebe,
So lieb' ich dich. Wenn dieß dich glücklich machen kann,
So fängt dein Glück mit diesem Morgen an
Und wird sich nur mit meinem Leben enden." |
|
Welch einen Strahl von unverhofftem Licht
Läßt dieses Wort in seine Seele fallen!
Er glaubte seinem Ohr den süßen Wechsel nicht!
Allein er sieht das Glück, das ihm der Mund verspricht,
In ihren schönen Augen wallen.
Vor Wonne sprachlos sinkt sein Mund auf ihre Hand;
Wie küßt er sie! Sein inniges Entzücken
Entwaffnet ihren Widerstand;
Sie gönnet ihm und sich die Lust, ihn zu beglücken,
Die Lust, die so viel Reiz für schöne Seelen hat;
Selbst da er sich vergißt, bestraft sie ihn so matt,
Daß er es wagt, den Mund an ihre Brust zu drücken. |
|
Die Nacht, die Einsamkeit, der Mondschein, die Magie
Verliebter Schwärmerei, ihr eignes Herz, dem sie
Nur lässig widersteht, wie Vieles kommt zusammen,
Das leichte Blut der Schönen zu entflammen!
Allein Musarion war ihrer selbst gewiß;
Und, als er sich durch das, was sie erlaubte,
Nach Art der Liebenden, zu mehr berechtigt glaubte,
Wie stutzt' er, da sie sich ans seinen Armen riß! |
|
Daß eine Phyllis sich erkläret,
Sie wolle nicht, daß sie mit — leiser Stimme schreit
Und, wenn nichts helfen will, euch — lächelnd dräut —
Und sich, solang' es hilft, mit stumpfen Nägeln wehret,
Ist nichts Befremdliches. Ein Satyr kaum verzeiht
Den Nymphen, die er hascht, zu viele Willigkeit.
Sie sträuben sich: gut, dieß ist in der Regel;
Und so verstand es auch der schlaue Phanias.
Er irrte sich, es war nicht Das!
Sie scherzte nicht und wies ihm keine Nägel. |
|
Nach mehr als einem fehl geschlagenen Versuch
Fängt unser Held sehr kläglich an zu krähen.
Und in der That, wer hätte sich's versehen?
Man treibt in einem Ritterbuch
Die Tugend kaum so weit! — Doch will er nicht gestehen,
Daß dieß Betragen Tugend sey;
Er nennt es Eigensinn und Grillenfängerei;
Er schilt sie spröd', unzärtlich, unempfindlich.
Die Schöne, die gesteht, daß sie uns günstig sey,
Macht, seiner Meinung nach, sich zum Beweis verbindlich. |
|
Und ich, mein Herr (versetzt sie), die so viel
Beweisen soll, bin ich, nach eurer Sittenlehre,
Nicht auch befugt, daß ich Beweis begehre?
Und wie, wenn eure Glut ein bloßes Sinnenspiel,
Ein flüchtiger Geschmack, ein kleines Fieber wäre?
Wenn Phanias mich liebt, so räumt er, hoff' ich, ein
Daß ich, eh' ich mich selbst verschenke,
Auf meine Sicherheit vorher ein wenig denke.
Bei Leuten von so warmem Blut'
Ist diese Vorsicht wohl nicht allzu weit getrieben.
Verzeihe, wenn sie dir ein wenig Unrecht thut;
Allein du selber willst, daß wir im Ernst' uns lieben!
Sonst tändelt' ich mit Amors Pfeilen nur;
Jetzt, da er mich erhascht, ist's nicht mehr Zeit zum Lachen;
Es ist darum zu thun, daß wir uns glücklich machen,
Und nur vereinigt kann dies Weisheit und Natur. |
|
Unwiderstehlich, sagt man, sey
Der Weisheit Reiz aus einem schönen Munde.
Wir geben's zu, sofern euch nicht dabei
Aus einem Nachtgewand mit nelkenfarbnem Grunde
Ein Busen reizt, der, jugendlich gebläht,
Die Augen blend't und niemals stille steht;
Ein Busen. den die Göttin von Cythere,
Wenn eine Göttin nicht zum Neid zu vornehm wäre,
Beneiden könnt'. In diesem Falle fand
Sich, leider! unser Held, von zwei verschiednen Kräften
Gezogen. Mußt' er auch so starr und unverwandt
Auf die Gefahr ein lüstern Auge heften?
Natürlich muß der stärkre Sinn
Des schwächern Eindruck bald verdringen;
Und, was die Freundin spricht, ihn zu sich selbst zu bringen,
Schwebt ungefühlt an seinen Ohren hin.
Was Amor nur vermag, um Spröde zu bezwingen,
Was, wie man sagt, schon Drachen zahm gemacht,
Die Künste, die Ovid in ein System gebracht,
Die feinsten Wendungen, die unsichtbarsten Schlingen
Versucht er gegen sie, und keine will gelingen. |
|
Ergib dich (spricht zuletzt die schöne Siegerin)
Mit guter Art! Du siehst, wie nachsichtsvoll ich bin,
So vielen Uebermuth zu tragen;
Mehr Eigensinn, erlaube mir's zu sagen,
Beleidigt meine Zärtlichkeit
Und dient zu nichts, als deine Prüfungszeit
Mehr, als ich selbst vielleicht es wünsche zu verlängern.
Genug von diesem! Schwatzen wir,
Wenn dir's gefällt, von unsern Grillenfängern.
Ich weiß nicht, wie der Einfall mir
Zu Kopfe steigt — allein, ich wollte schwören,
Daß diesen Augenblick — was meinst du, Phanias? —
Mein Mädchen — rathe doch! — und dein Pythagoras — |
|
Wie? etwa gar die Sphären singen hören?
Versetzt mit Lachen Phanias),
Das hieße mir ein Abenteuer!
Und doch, wer weiß? Ich merkte selbst so was:
Es wallte, däuchte mich, ein ziemlich irdisch Feuer
In seinem Aug', als Chloens lose Hand
Den Blumenkranz um seine Stirne wand.
Wie viel, Musarion, hab' ich dir nicht zu danken!
Was für ein Thor ich war, Gesellen dieser Art,
An denen nichts als Mantel, Stab und Bart
Sokratisch ist (wie hass' ich den Gedanken!),
Ein Paar, das nur in einem Possenspiel
Bei rohen Satyrn und Bacchanten
Zu glänzen würdig ist, für Weise, für Verwandten
Der Götter anzusehn! — |
|
Du thust dir selbst zu viel |
|
(Fällt ihm die Freundin ein) und, wie mich däucht; auch ihnen.
Kein Uebermaß, mein Freund, ich bitte sehr!
Du schätztest sie vordem vermuthlich mehr,
Jetzt weniger, als sie vielleicht verdienen. |
|
Was hör' ich (ruft er) spricht Musarion für sie?
Du scherzest! Hätt'st du auch (was du gewißlich nie
Gethan hast) dieß Gezücht so hoch als ich gehalten,
So müßte dir, nach dem, was wir gesehn,
Der günst'ge Wahn so gut als wir vergehn.
Wie? dieser Stoiker, der nur die Tugend schön
Und gut erkennt, entlarvt in einem alten
Bezechten Faun! — Theophron, der vom Glück
Der Geister singt, indeß sein unbescheidner Blick
In Chloens Busen wühlt —Was brancht es mehr Beweise? — |
|
"Daß sie sehr menschlich sind (fällt ihm die Freundin ein)
Und in der That nicht ganz so weise
Als ihr System, das zeigt der Augenschein. —
Und dennoch ist nichts mächtiger, um Seelen
Zu starken Tugenden zu bilden, unsern Muth
Zu dieser Festigkeit zu stählen,
Die großen Uebeln trotzt und große Thaten thut,
Als eben dieser Satz, für welchen dein Kleanth
Zum Märtyrer sich trank. Die alten Herakliden,
Die Männer, die ihr Vaterland
Mehr als sich selbst geliebt, die Aristiden,
Die Phocion und die Leonidas,
Ruhmvolle Namen!" — Gut! (ruft unser Mann) und waren
Sie etwan Stoiker? — "Sie waren, Phanias,
Noch etwas mehr! Sie haben das erfahren,
Was Zeno speculirt; sie haben es gethan!
Warum hat Hercules Altare?
Den Weg, den Prodikus nicht gehn, nur malen kann,
Den ging der Held" — |
|
— Und wem gebührt davon die Ehre |
|
Als der Natur, die ihn, und wer ihm gleicht, gebar
Und auferzog, eh' eine Stoa war?
Ein Held wird nicht geformt, er wird geboren. |
|
"Indessen hat, weil ihr der erste Preis gebührt,
Doch Plato nicht sein Recht an Phocion verloren.
Was die Natur entwirft, wird von der Kunst vollführt.
Die Blume, die im Feld sich unvermerkt verliert,
Erzieht des Gärtners Fleiß zum schönsten Kind der Floren." |
|
Gesetzt, spricht Phanias, daß dieses richtig sey,
So ist doch, was von Zahlen und Ideen
Und Dingen, die kein Aug gehört, kein Ohr gesehen,
Theophron schwatzt, handgreiflich Träumerei! |
|
"Und mit den nämlichen Ideen
War doch Archytas einst ein wirklich großer Mann!
Auch Seelen dieser Art erzeuget dann und wann
(Zwar sparsam) die Natur. Man wird zum Geisterseher
Geboren, wie zum Feldherrn Xenophon,
Wie Zeuxis zum Palett, und Philipps Sohn zum Thron.
Und in der That, was hebt die Seele höher,
Was nährt die Tugend mehr, erweitert und verfeint
Des Herzens Triebe so, als glänzende Gedanken
Von unsers Daseyns Zweck? — das Weltall ohne Schranken,
Unendlich Raum und Zeit, die Sonne, die uns scheint,
Ein Funke nur von einer höhern Sonne,
Unsterblich unser Geist, Unsterblichen befreundt'
Und, ahmt er Göttern nach, bestimmt zu Götterwonne!" |
|
Bei allen Grazien! (ruft lachend Phanias)
Du wirst noch mit der Zeit die Sphären singen hören!
Vor wenig Stunden gab dieß Galimathias
Dir Stoff zum Spott — |
|
"Der Mann, nicht seine Lehren; |
|
Das Wahre nicht, obgleich (nach aller Schwärmer Art)
Sein glühendes Gehirn' es mit Chimären paart.
Nur diese trifft der Spott. — Doch stille! wir versteigen
Uns allzu hoch. Ich wollte dir nur zeigen,
Daß dich dein Vorurtheil für dieses weise Paar
Nicht schamroth machen soll. Nichts war
Natürlicher in deiner schlimmen Lage.
Der Knospe gleich am kalten Märzentage
Schrumpft, wenn des Glückes Sonnenschein
Sich ihr entzieht, die Seel' in sich hinein.
Entfiedert, nackt, von Allem ausgeleeret,
Was sie für wesentlich zu ihrem Wohlseyn hielt,
Was Wunder, wenn sich ihr ein Lehrbegriff empfiehlt,
Der sie die Kunst, es zu entbehren, lehret?
Der ihr beweist, was nicht zu ihr gehöret,
Was sie verlieren kann, sey keinen Seufzer werth;
Ja, ihren Unmuth zu betrügen,
Aus der Entbehrung selbst ein künstliches Vergnügen
Ihr, statt des wahren, schafft? — Was ist so angenehm
Für den gekränkten Stolz, als ein System,
Das uns gewöhnt, für Puppenwerk zu achten,
Was aufgehört, für uns ein Gut zu seyn?
Was, meinst du, bildete der Mann im Faß sich ein,
Der, groß genug, Monarchen zu verachten,
Von Philipps Sohn nichts bat, als freien Sonnenschein?
Noch mehr willkommen muß, im Falle, den wir setzen,
Die Schwärmerei des Platonischen seyn,
Der das Geheimniß hat, die Freuden zu ersetzen,
Die Zeno nur entbehren lehrt;
Der, statt des thierischen verächtlichen Ergetzen
Der Sinne, uns mit Götterspeise nährt.
Wir sehn mit ihm aus leicht erstiegnen Höhen
Auf diesen Erdenball als einen Punkt herab;
Ein Schlag mit seinem Zauberstab'
Heißt Welten um uns her bei Tausenden entstehen;
Sind's gleich nur Welten aus Ideen,
So baut man sie so herrlich, als man will;
Und, steht einmal das Rad der äußern Sinne still,
Wer sagt uns, daß wir nicht im Traume wirklich sehen?
Ein Traum, der uns zum Gast der Götter macht —" |
|
Hat seinen Werth — zumal in einer Winternacht,
Ruft Phanias: allein auch aus den schönsten Träumen
Ist doch zuletzt Endymion erwacht!
Wozu, Musarion, aus Eigensinn versäumen,
Was wachend uns zu Göttern macht? |
|
An Antworts Statt reicht sie, zum stillen Pfand
Der Sympathie, ihm ihre schöne Hand.
Er drückt mit schüchternem Entzücken
Sie an sein schwellend Herz und sucht in ihren Blicken,
Ob sie sein Klopfen fühlt. Ein sanftes Wiederdrücken
Beweist es ihm. Mit manchem süßen Ach,
Das ihr im Busen zu ersticken
Unmöglich ist, bekämpft sie allzu schwach
Die Macht der süßesten der Triebe,
Und kämpfend noch bekennt ihr Herz den Sieg der Liebe. |
|
Der schönste Tag folgt dieser schönen Nacht.
Mit jedem neuen fühlt sich unser Paar beglückter,
Indem sich Jedes selbst im Andern glücklich macht.
Durch überstandne Noth geschickter
Zum weiseren Gebrauch, zum reizendern Genuß
Des Glückes, das sich ihm so unverhofft versöhnte,
Gleich fern von Dürftigkeit und stolzem Ueberfluß,
Glückselig, weil er's war, nicht weil die Welt es wähnte,
Bringt Phanias in neidenswerther Ruh'
Ein unbeneidet Leben zu;
In Freuden, die der unverfälschte Stempel
Der Unschuld und Natur zu echten Freuden prägt.
Der bürgerliche Sturm, der stets Athen bewegt,
Trifft seine Hütte nicht — den Tempel
Der Grazien, seitdem Musarion sie ziert.
Bescheidne Kunst, durch ihren Witz geleitet,
Gibt der Natur, so weit sein Landgut sich verbreitet,
Den stillen Reiz, der ohne Schimmer rührt.
Ein Garten, den mit Zephyra und mit Floren
Pomona sich zum Aufenthalt erkoren;
Ein Hain, worin sich Amor gern verliert,
Wo ernstes Denken oft mit leichtem Scherz sich gattet!
Ein kleiner Bach, von Ulmen überschattet,
An dem der Mittagsschlaf ihn ungesucht beschleicht;
Im Garten eine Sommerlaube,
Wo, zu der Freundin Kuß, der Saft der Purpurtraube,
Den Thasos schickt, ihm wahrer Nektar däucht;
Ein Nachbar, der Horazens Nachbarn gleicht,
Gesundes Blut, ein unbewölkt Gehirne,
Ein ruhig Herz und eine heitre Stirne,
Wie Vieles macht ihn reich! Denkt noch Musarion
Hinzu und sagt, was kann zum frohen Leben
Der Götter Gunst ihm mehr und Bess'res geben?
Die Weisheit nur, den ganzen Werth davon
Zu fühlen, immer ihn zu fühlen
Und, seines Glückes froh, kein andres zu erzielen!
Auch diese gab sie ihm. Sein Mentor war
Kein Cyniker mit ungekämmtem Haar,
Kein runzliger Kleanth, der, wenn die Flasche blinkt,
Wie Zeno spricht und wie Silenus trinkt:
Die Liebe war's. — Wer lehrt so gut wie sie?
Auch lernt' er gern und schnell und sonder Müh
Die reizende Philosophie,
Die, was Natur und Schicksal uns gewährt,
Vergnügt genießt und gern den Rest entbehrt;
Die Dinge dieser Welt gern von der schönen Seite
Betrachtet, dem Geschick sich unterwürfig macht,
Nicht wissen will, was alles das bedeute,
Was Zeus aus Huld in räthselhafte Nacht
Vor uns verbarg, und auf die guten Leute
Der Unterwelt, so sehr sie Thoren sind,
Nie böse wird, nur lächerlich sie find't
Und sich dazu, sie drum nicht minder liebet,
Den Irrenden bedaurt und nur den Gleißner flieht;
Nicht stets von Tugend spricht,noch,von ihr sprechend,glüht,
Doch, ohne Sold und aus Geschmack, sie übet;
Und, glücklich oder nicht, die Welt
Für kein Elysium, für keine Hölle hält,
Nie so verderbt, als sie der Sittenrichter
Von seinem Thron' — im sechsten Stockwerk sieht,
So lustig nie, als jugendliche Dichter
Sie malen, wenn ihr Hirn von Wein und Phyllis glüht. |
|
So war, so dacht' und lebte Phanias,
Und weil er war — wornach wir Andern streben,
So that er wohl, zu seyn, zu denken und zu leben,
So wie er that. — "Das mag er denn! — Und was
Ward aus dem Manne, der so gerne — Sphären maß?"
Gut, daß ihr fragt, den hätt' ich rein vergessen —
Er ward in einer einz'gen Nacht
Zum γνωδι δεαντον in Chloens Arm gebracht;
Er fand, er sey nicht klug, und lernte Bohnen essen.
"Und Herr Kleanth?" —Der kroch, sobald die Mittagssonne
Ihn aufgeweckt, ganz leise auf den Zehn
Aus seinem Stall — vielleicht in eine Tonne;
Kurz, er verschwand und ward nicht mehr gesehn. | —————
Die Grazien.Ein Gedicht in sechs Büchern.An Danae.Geschrieben im Jahr 1769.Ich weiß nicht, woher Sie es nehmen, schöne Danae, daß
ich mehr von den Grazien wissen müsse, als ein Andrer: genug,
Sie wollen es so, und Sie bedienen sich eines meiner eigenen
Grundsätze, um alle die Bedenklichkeiten zu vernichten,
die ich mir darüber machen könnte, Ihnen, die mit allen
Ihren Vortrefflichkeiten doch nur eine Sterbliche sind, die
Geheimnisse meiner geliebten Göttinnen zu verrathen."Der poetische Himmel (sagen Sie) hat, wenn ich
Ihnen selbst glauben darf, ganz andere Gesetze des Wohlanständigen,
als diejenigen, wornach menschliche Sitten
und Handlungen beurtheilt werden. Die Göttin der
Liebe hat keine Ursache zu erröthen, daß sie den Adonis
zum Glücklichsten unter den Sterblichen gemacht hat. Gesetzt
also auch, Sie wüßten von ihren Grazien mehr, als eine
Sterbliche gern von sich wissen ließe, so würd' es doch
keine Unbescheidenheit seyn —"Verzeihn Sie mir, Danae! Warum sollten die Grazien
nicht eben so wohl ihre Mysterien haben, als Isis und
Ceres? Und sollt' es einem Dichter zu verdenken seyn,
wenn er zu gewissenhaft wäre, die Geheimnisse der liebenswürdigsten
Göttinnen vor profanen Augen aufzudecken?Doch dieß ist hier der Fall nicht! Vor Ihnen, schöne
Danae, können die Grazien keine Geheimnisse haben
wollen; oder welche Sterbliche dürfte sich Hoffnung machen,
zu selbigen zugelassen zu werden, wenn diejenige nicht dazu
berechtigt wäre,
|
Die, mit dem Gürtel der Venus geschmückt,
Die Seelen fesselt, die Augen entzückt. |
Nein, Danae! wenn Ihrem Verlangen nicht genug
geschieht, so muß es bloß daher kommen, weil ich mit diesen
reizenden Gespielen Amors und der Musen nicht so vertraut
bin, als es Ihnen beliebt vorauszusetzen.In ganzem Ernst, ich besorge, es ist mehr als Bescheidenheit
in diesem Geständnisse. Warum, ich bitte Sie, warum
wenden Sie sich nicht an einen Dichter, von welchem Sie
stärkere Beweise haben, daß ihm die Grazien hold sind?
— Sie denken doch nicht, daß ich den Cardinal von Bernis
meine? Nein! dem Abbé mocht' es erlaubt seyn, von Ihnen
zu singen; aber dem Bischof, dem Cardinal — Wer weiß?
sagen Sie. Er mag immer der feinste Conclavist, der geschmeidigste
Hofmann und ein Meister in der Kunst, die zwei
großen Nebenbuhlerinnen um die Herrschaft der Welt mit
einander zu vergleichen, seyn; ich wollte doch nicht dafür stehen,
was er thun würde, wenn ihn die Grazien Homers,
die er als Abbé so schön besang, den Grazien des heiligen
Thomas ungetreu machen wollten!Wie dem auch seyn mag, genug, Sie wollen keine französische
Grazien; sonst würd' ich Ihnen den angenehmen
Dichter vorschlagen, der Zelis im Bade so reizend gesungen
und die deutsche Selima durch seine Nachahmung
verschönert hat. Sie wollen die griechischen Grazien,
die Grazien, die den Anakreon singen, den Xenophon
schreiben, den Apelles malen lehrten, die Grazien,
denen Platon opferte, und die sein Meister geschnitzt
hatte, diese wollen Sie besungen haben, und in unsrer
Sprache!Gut! und Sie wenden sich nicht an den Dichter der
Grazien?"Meinen Sie Gleim oder Jacobi?"Ich danke Ihnen für diesen Zweifel, Danae: er vergütet
das Unrecht, das ich einem von beiden gethan hätte; ich,
der stolz darauf ist, beide meine Freunde zu nennen, und es
so gern der spätesten Nachwelt sagte, daß wenigstens drei
Dichter in unsern Tagen gelebt haben, welche sich so liebten,
wie die schwesterlichen Musen sich lieben; drei Dichter, |
Die, von den Grazien selbst mir Schwesterarmen umschlungen.
Von gleicher Liebe der Musen beseelt,
Zur Dame ihrer Gedanken die freundliche Weisheit gewählt,
Die glücklicher macht und Witz mit Empfindung vermählt,
Und schönen Seelen, sich selbst und bessern Zeiten gesungen. | In der That, Danae, ich habe Lust, Sie zu einem oder
dem andern von meinen Freunden zu weisen oder vielmehr
an beide zugleich. Amöbäische Lieder von Gleim und
Jacobi, und die Grazien der Inhalt! Was für Lieder
würden das seyn! Würdig, von Philaiden gesungen und
von den seelenvollen Fingern einer D**n oder G**g auf
dem melodischen Clavier begleitet zu werden.Aber Sie wollen sich nicht abweisen lassen, Danae!
Sie wollen zu keinem Wettstreit von poetischer Bescheidenheit
Anlaß geben. Gleim und Jacobi, sagen Sie, würden
mich an den Vater der Musarion zurück weisen, und am
Ende würde Niemand dabei verlieren als ich.Wohl! Sie verdienen für Ihren Eigensinn durch — meinen
Gehorsam bestraft zu werden; und auf der Stelle sollt'
es geschehen, wenn es nur auf einen muntern Entschluß ankäme.
Aber die Geschichte der Grazien zu schreiben, setzt
Offenbarungen voraus, die nur von Ihnen selbst herrühren
können. Und glauben Sie wohl, daß diese Göttinnen so fertig
sind, einem Ieden zu erscheinen, der ihnen ruft? Ich besorge
sehr, daß sie Manchem, der vertraulich genug von ihnen
spricht, ganz unbekannte Gottheiten sind. Nichts ist freilich
leichter als immer von Pierinnen und Charitinnen zu
schwatzen und auf allen Seiten Musen und Busen zusammen
zu reimen. Das gibt einem doch die Miene, als
ob man mit den Grazien und den Musen und den schönen Busen
wenigstens so bekannt sey, als die Dichter, welche Günstlinge
der ersten sind, und die Lieblinge der letzten zu seyn
verdienen. Aber ich wollte für mehr als einen dieser guten
Sänger schwören, daß die Muse, die ihn begeistert, mit
ihren Grazien und mit ihrem Busen, weder mehr noch weniger
als eine Trulla oder Maritorne ist.Das mag seyn, sagen Sie: aber man wird doch, ohne
Ihrer Bescheidenheit Gewalt anzuthun, voraussetzen dürfen,
daß Sie von dieser Seite keine Vorwürfe zu besorgen
haben? —Stille, schöne Danae! Sie sollen Alles wissen, was mir
eingegeben werden wird. Aber erst lassen Sie uns, als
Platons echte Schüler, den Grazien opfern, ohne welche
und Amorn und die lächelnde Venus unser Vorhaben nicht
von Statten gehen kann.—————
Erstes BuchDie Menschen, womit Deukalion und Pyrrha das alte
Gräcien bevölkerten, waren anfänglich ein sehr rohes Völkchen;
so, wie man es von Leuten erwarten mag, die aus
Steinen Menschen geworden waren. |
Sie irrten, mit Fellen bedeckt, in dunkeln Eichenhainen,
Der Mann mit der Keule bewehrt, das Weib mit ihren Kleinen
Nach Affenweise behangen; und sank die Sonne. so blieb
Ein Iedes liegen, wohin der Zufall es trieb._________ |
|
Der Baum, der ihnen Schatten gab,
Warf ihre Mahlzeit auch in ihren Schooß herab;
Und war er hohl, so wurde bei Nacht
Aus seinem Laub ihr Bett in seine Höhle gemacht. | Ich weiß nicht, Danae, wie geneigt Sie sich fühlen,
es dem Verfasser der neuen Heloise zu glauben, daß dieses
der selige Stand sey, den uns die Natur zugedacht habe.
Aber wenn wir alle die Uebel zusammen rechnen, wovon
diese Kinder der rohen Natur keinen Begriff hatten, so ist
es unmöglich, ihnen wenigstens eine Art von negativer
Glückseligkeit abzusprechen.Und ein Dichter — was können wir Dichter nicht, wenn
wir uns in den Kopf gesetzt haben, einen Gegenstand zu
verschönern? |
Auch, hätte nicht der Maler und Poet
Das Recht, ins Schönere zu malen,
Wo bliebe die Magie des schönen Idealen,
Das Uebermenschliche, wovon die Werke strahlen,
Vor denen still entzückt der ernste Kenner steht?
Der Reiz, wozu die rohe Majestät
Und Einfalt der Natur das Urbild nie gegeben,
Die Danaen, die Galatheen und Heben? | Das heißt ein wenig ausgeschweift, schöne Freundin: denn
ich wollte Ihnen nur sagen, das Original zum goldnen
Alter der Dichter sei vielleicht nichts Besseres gewesen, als
der Stand solcher Wilden, |
Die, ohne zu pflanzen, zu ackern, zu säen,
Mit Müßiggang sich, auf Kosten der Götter, begehen; | wie Homer von den alten Bewohnern des schönen Siciliens
sagt.Soll ich Ihnen eine Probe geben, wie ein Dichter diesen
Stand verschönern würde? |
Wo ist der Mann, der sich in seinem Stande
Zu wohl gefällt,
Um, wenigstens im Nachtgewande,
Sich nicht ganz leise zurück in eine Welt
Zu sehnen, wo Mutter Natur, wohlthätig wie Urgande,
Die beste der Feen, es auf sich selbst noch nahm,
Das Glück von ihren Kindern zu machen;
Wo, frei von Gesetzen, Bedürfniß und Gram,
Den Glücklichen, unter geselligem Lachen,
Beim ewigen Fest', in Lauben von wildern Jasmin,
Der Stunden zirkelnder Tanz ein seliger Augenblick schien?
Die Götter selbst, gelockt von sanfterm Glücke, stiegen
Aus ihren Sphären herab und theilten ihr Vergnügen.
Zusehends verschönerte sich die Gegend unterm Mond,
Und lange blieb der Himmel unbewohnt. |
|
Die Götter eifern in die Wette,
Wer zur Begabung der Natur
Am meisten beizutragen hätte.
Die blonde Ceres deckt mit goldnen Aehren die Flur,
Mit Blumen Zephyr und Flora der Schäferinnen Bette;
Die Nymphen pflanzen für sie den labyrinthischen Hain
Und laden die Schafer — zum Schlummern in stille Grotten ein;
Arkadiens Pan beschützt die silberwolligen Heerden
Und läßt sie oft vervielfacht werden;
Indeß von traubenvollen Höhn
Der neu erfundne Wein, der Erde Nektar, rauschet,
Und Bacchus, unterstützt vom lachenden Silen,
Der Hirten frohes Erstaunen belauschet. |
|
Dem Gott der Dichter kam sogar
Die Grille, die seitdem den Dichtern eigen war,
Als Seladon sich zu verkleiden
Und, unerkannt, in blonder Hirten Schaar,
Die Heerden des Admet, der schönste Hirt zu weiden;
Ihn macht sein Witz, der ihren rohen Freuden
Veränderung und Feinheit gibt,
Den guten Schäfern bald beliebt,
Vermuthlich auch den Schäferinnen;
Er lehrte sie der schönen Künste viel,
Manch Liedchen, manchen Tanz und manches kleine Spiel,
Mit Pfändern Küsse zu gewinnen. | Was sagen Sie, Danae? Wie manch liebliches Gemälde
würd' uns nicht ein poetischer Watteau aus diesen
ohne Ordnung hingeworfnen Bildern zusammen setzen? —
Was für glückliche Leute die Menschen des goldnen Alters
waren! |
Ihr ganzes Leben ist Genießen!
Sie wissen nicht (beglückt, es nicht zu wissen!),
Daß außer ihrem Stand' ein glücklich Leben sey,
Und träumen, scherzen, singen, küssen
Ihr Daseyn unvermerkt vorbei. | Wer sollte denken, daß jene Autochthonen (erschrecken
Sie nicht vor dem gefährlichen Worte!), jene rohen Kinder
der Mutter Erde, die wir, mit zottigen Fellen bedeckt,
unter Eichen und Nußbäumen herumliegen sahen, —
Geschöpfe, die in diesem Zustande den großen Affen in Ostindien
und Africa nicht so gar ungleich sehen mochten, —
und diese glücklichen Kinder des goldnen Alters eben dieselben
seyn sollten?Aber wie hätten sie auch etwas Besseres seyn können, ehe
sich die Grazien mit den Musen vereinten, um Geschöpfe,
welche die Natur nur angefangen hatte, zu Menschen
auszubilden; sie die Künste zu lehren, die das Leben erleichtern,
verschönern, veredeln; ihren Witz zugleich
mit ihrem Gefühl zu verfeinern und tausend neue Sinne
dem edlern Vergnügen in ihrem Busen zu eröffnen?Die Grazien waren in diesen Zeiten noch unbekannt. |
Kein Dichter hatte sie noch mit aufgelöstem Gürtel |
|
Am stillen Peneus tanzen gesehn; |
|
Im schönsten Thale der Welt entzog sie die ländliche Hütte |
|
Den Augen der Götter und Sterblichen noch. | "Und wie so?" Fragen Sie —In der That war die Sache ein Geheimniß. Ihre Mutter
hatte vermuthlich Ursachen. Aber, da diese Ursachen
längst aufgehört haben, und da ich Ihnen, schöne Danae,
vielleicht noch geheimere Dinge verrathen werde, so sollen
Sie Alles wissen.Sie müssen von den Dichtern oft gehört haben, daß
Venus die Mutter der Grazien sey; aber nicht Iedermann
kennt ihren Vater. Man hat verschiedentlich von der Sache
gesprochen. Hier haben Sie die Anekdote frisch von der
Quelle.Als die neu entstandene Venus, von Himmel und Erde
mit verliebtem Entzücken angeschaut, den Wellen entstieg,
konnten die Götter nicht einig werden, welchem von ihnen
sie zugehören sollte. Das Kürzeste wäre gewesen, die junge
Göttin der Wahl ihres eigenen Herzens zu überlassen. Aber
so schüchtern macht die Liebe, daß keiner von den Göttern
sich liebenswürdig genug glaubte, den Vorzug vor seinen
Nebenbuhlern zu erhalten. Eben so wenig konnten sie sich
entschließen, das Loos den Ausspruch thun zu lassen. Die
Sache blieb also eine geraume Zeit unentschieden und würde
vielleicht immer so geblieben seyn, wenn nicht endlich Momus
den Einfall gehabt hätte: um Alle zufrieden zu stellen, könnte
man nichts Besseres thun, als sie dem Häßlichsten geben.Der Einfall wurde mit allgemeinem Klatschen aufgenommen.
Vulcan war der Glückliche; und die Götter machten
sich an seiner Hochzeit so lustig, als ob jeder seine eigene
beginge.Der gute Vulcan! Er schmeichelte sich. — Aber was für
einen Grund konnt' er auch haben, sich zu schmeicheln? —
Die Tugend der Liebesgöttin? Welch ein Grund!
Doch desto besser für ihn, daß er in diesem Stücke wie viele
Sterbliche dachte!Venus hatte indessen, daß die Götter unschlüssig waren,
ihre Zeit nicht verloren. Sie war ganz heimlich — Mutter
der Grazien geworden. Hören Sie, wie es zuging! |
Noch hatte sie Amathunt nicht zu ihrem Sitz' erkiest;
Zu jung, sich die Lust des Wechsels zu versagen,
Ließ sie, die Welt zu sehn und, wie natürlich ist,
Gesehn zu werden von ihr, auf einem schönen Wagen
Bald da, bald dorten hin
Von ihren Schwanen sich ziehn.
Die Zephyrn flattern voran, mit Blumen jedes Gestad,
Wohin sie absteigt, dicht zu bedecken,
Und jedes einsame Bad,
Worin sich die Göttin erfrischt, umschweben Rosenhecken. | Alle diese reizvollen Gegenden, welche noch immer in den
Werken der griechischen und römischen Dichter blühen, die
schönen Ufer des Eurotas und die thessalische Tempe,
das blumige Euna, durch Proserpinens Entführung berühmt,
der aromatische Hybla, das rosenvolle Cythere
und die wollüstigen Haine von Daphne, deren Reiz mächtig
genug war, selbst den stoischen Marcus Antonius eine
Zeit lang der Sorgen für die Welt vergessen zu machen, —
kurz, die schönsten Oerter der Welt hatten ihre Vorzüglichkeit
diesen Lustreisen der jungen Venus zu danken. Keiner
wurde ohne Merkmale ihrer Gegenwart gelassen. Irdische
Paradiese und Inseln, gleich den Inseln der Seligen,
blühten unter ihren Blicken auf. Ein ewiger Frühling nahm
davon Besitz. Wildnisse verwandelten sich in hesperische
Gärten, und allenthalben boten Myrtenwäldchen oder Rosenbüsche
den Liebenden ihren Schatten an.Denn auch die Halbgötter, welche damals noch die Erde
bewohnten, und vornehmlich die Menschen, erfuhren die
Wirkungen ihrer Gegenwart. |
Die Nymphe, sonst zu spröd', um einem männlichen Schatten
Nur im Vorübergehn die Freiheit zu gestatten
Sich mit dem ihrigen zu gatten,
Schmilzt plötzlich in Gefühl und irrt beim Mondenlicht
In eines alten Hains nicht allzu sichern Schatten:
Ein Faun mit offnem Arm und glühendem Gesicht
Eilt auf sie zu, und sie, sie fliehet — nicht. | ———
|
Der Schäfer, der zu Chloens Füßen |
|
Von Liebesschmerzen halb entseelt
Ihr seine Leiden vorgezählt, |
|
Gedroht, er werde sterben müssen, |
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Geseufzt, geweint und stets ihr Herz verfehlt, |
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Wird plötzlich kühn, fängt an zu küssen; |
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Und sie, anstatt auf einen Blick |
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Ihn, wie er wähnte, todt zu schießen,
Dreht lächelnd sich von seinen Küssen |
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Und gibt sie endlich gar — zurück. | —————
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Und Tithon, den Aurorens schöne Brust |
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Und seelenvoller Blick vergebens |
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Ins Daseyn rief, erwacht zur längst entwohnten Lust |
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Und sucht in ihrem Blick, auf ihrer schönen Brust |
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Zum letzten Male die Freuden des Lebens. | Vor allen andern Gegenden der Welt liebte Venus die
anmuthsvollen Gefilde, die sich am Fuße des syrischen Amanus
verbreiten; sie erwählte die junge Göttin, die Scene
ihrer schönsten Siege zu sein.Hier war es, wo sie einst den jungen Bacchus fand,
den Sohn Jupiters und der schönen Semele, den die
Hyaden in einer Grotte des Berges Nysa erzogen hatten,
Sie fand ihn, müde von der Jagd, auf Epheu und Rosen
liegen.O, könnt' ich ihn malen, Danae! Ihr eigenes Herz sollte
Ihnen dann sagen, was die junge Göttin der Liebe bei seinem
Anblick empfand."So versuchen Sie es wenigstens!" —Ich will, wofern Sie mir erlauben, daß ich die Farben
zu meinem Gemälde von Winkelmann borge. |
So eben betrat er die Grenzen
Des wollustathmenden Lenzen |
|
Der ewigen Jünglingsschaft. |
|
Sein Athem glich den Lüften,
Worin sich Rosen verdüften,
Und seine wallenden Hüften |
———
|
Zärtlichkeit und süße Schalkheit blitzen
Aus den schwarzen Augen; und, wie zarte Spitzen
Junger Pflanzen, drückt der Keim der Lust
Sanft hervor aus seiner Rosenbrust. | Kurz — Sie kennen ja das schönste Lied des Gleims
der Griechen? — Anakreon hätte seinen Bathyll zu
sehen geglaubt. |
Er lag in der grünlichen Nacht
Vom schönsten Myrtenbaume,
Halb schlummernd, halb erwacht,
In einem entzückenden Traume
Und schien die Bilder, die noch um seine Augen lachen,
Zu sammeln und sich wahr zu machen. | Hätte der Zufall beide junge Götter in einem günstigern
Augenblick überraschen können? Und wie hätte die Göttin
der Liebe — sagen Sie, Danae! — wie hätte sie einem so
lieblichen Knaben nicht gewogen werden sollen? |
Cythere war schön und empfindlich,
Und Bacchus empfindlich und schön.
Wie konnt' es anders ergehn?
Sie lieben, sobald sie sich sehn.
Baumgarten beweist es uns gründlich.
Es konnte nicht anders ergehn! | Die junge Venus war nie so schön gewesen als in diesem
Augenblicke. Sie, die den Geist der Liebe über Alles ausgoß,
was ihre Blicke berührten, hatte selbst noch nie geliebt.
Ein Seufzer, der erste, der mit wollüstigem Schmerz aus
ihrer erröthenden Brust empor arbeitete, sagt' ihr, sie
liebe.Der erste Seufzer der Liebesgöttin! — Wie glücklich war
der Unsterbliche, dem dieses Erröthen, dieser Seufzer ihre
Rührungen gestand! Der junge Bacchus fühlte jetzt zum
ersten Male, daß er mehr als ein Sterblicher sey. Und wohl
kam es ihm! Kein Sterblicher hätte die Gewalt des Entzückens
ertragen können, mit welchem er in ihre Arme flog.Vergessen Sie nicht, Danae, daß er noch beinah ein
Knabe war und so liebenswürdig, so unschuldig und doch
bei aller seiner Unschuld so verführerisch aussah, daß es nicht
möglich war, sich in Verfassung gegen ihn zu setzen. |
Diana hätte vielleicht in diesem Augenblicke |
|
Sich eben so wenig zu helfen gewußt. |
|
Die Göttin meint, sie drück' ihn — sanft zurücke, |
|
Und drückt ihn sanft — an ihre Brust. | Die poetischen Götter sind nicht immer die Gebieter der
Natur. Es gibt Fälle, wo sie ihr eben so unterthan sind,
als wir arme Sterbliche. Der junge Bacchus und die
junge Cythere überließen sich, in aller Unschuld der Unerfahrenheit,
den süßen Empfindungen, deren Gewalt sie zum
ersten Male fühlten.Seyn Sie ruhig, Danae! — Ich unterdrücke wirklich ein
halbes Duzend Verse, wiewohl es vielleicht die schönsten
sind, die mir jemals eingegeben wurden. — Und doch —
wenn ich dächte, Sie glaubten, ich unterdrücke sie nur, weil
es mir so bequemer sey —"Nein! Nein! ich glaube nichts zu Ihrem Nachtheil; man
kennt die Wärme Ihres Pinsels! Lassen Sie immer —"Ein schönes, dicht verwebtes Rosengebüsche um das Gemälde
herziehn, das ich machen wollte; nicht wahr? —Ihr Wink soll vollzogen werden, Danae: hier steht es!—————
Zweites Buch.Amor, — Sie kennen ihn doch, Danae?"Und wie, wenn ich ihn nicht kennte oder ihn nicht anders
als aus den Gemälden Ihrer Freunde oder aus alten
Gemmen oder aus den Bildern kennte, welche Daullé
und Mechel nach Coypel und Vanloo von ihm gemacht
haben?"In diesem Falle würde ein französischer Dichter sich sehr
höflich erbieten, Sie näher mit ihm bekannt zu machen.
Aber ich — Alles, was ich für Sie thun könnte, wäre, daß
ich Sie bedaure.Amor also verlor sich einst — er war noch sehr jung —
auf einer seiner Wanderungen in einem Gehölze von Arkadien.
Müde warf er sich unter einen wilden Myrtenbaum
und entschlief. |
Hyacinthen, Lotus, Violetten
Trieb die Erde, Amorn sanft zu betten, |
|
O, wie schön er lag! die Blumen hielten,
Gleich als ob sie seine Gottheit fühlten,
Federn gleich den Schlafenden empor. | Wenn Ihnen die Verse gefallen sollten, Danae, so bedanken
Sie sich dafür beim Homer, der dem Vater der
Götter ein ähnliches Lager bereitet, als Juno ein Mittel
fand, ihn vergessen zu machen, daß sie seine Gemahlin sey.Als Amor erwachte, fand er sich von drei jungen Mädchen
umgeben, aber den artigsten lieblichsten Mädchen, die
er jemals gesehen hatte.Beim ersten Anblicke hätte man sie für drei Nachbilder
des nämlichen Urbildes gehalten, so ähnlich sahen sie einander.Sie waren um Abendzeit ausgegangen, Blumen zu holen,
womit sie das Lager ihrer vermeinten Mutter zu bekränzen
pflegten.Dort sind eine Menge Blumen, rief die kleinste, indem
sie nach dem Orte hinhüpfte, wo Amor schlief. Stellen Sie
sich vor, wie angenehm sie erschrak, als sie unter den Blumen
den kleinen Gott erblickte! |
Schwestern (rief sie, doch nur mit halber Stimme.
Um den kleinen Schläfer nicht aufzuwecken),
Was ich sehe! O Schwestern, helft mir sehen!
Ein — wie nenn' ich's? — kein Mädchen, doch so lieblich
Als das schönste Mädchen, mit goldnen Flügeln
An den runden lilienweißen Schultern.
Auf den Blumen liegt es, wie Sommervögel
Sich auf Blumen wiegen! In euerm Leben
Habt ihr so was Liebliches nicht gesehen! | Die Schwestern eilten herbei. Alle drei standen jetzt um
den kleinen schlafenden Gott und betrachteten ihn mit süßer
Verwunderung. |
"Wie schön es ist! wie roth sein kleiner Mund!
Die gelben Locken, wie kraus! Sein weißer Arm, wie rund!
O seht, es lächelt im Schlaf! — Und Grübchen in beiden Wangen,
Indem es lächelt — Aglaja, wir müssen es fangen,
Eh' es erwacht und uns entfliegt!"— Es fangen
Du kleine Närrin! und was
Damit machen? — Welche Frag' ist das! |
|
Kurzweil, liebe Schwester, soll's uns machen, |
|
Mit uns spielen, scherzen, singen, lachen,
Schwestern, meint ihr nicht? | Aber, o Diana! — rief die kleinste der Schwestern, was
seh' ich! Einen Bogen und einen Köcher voll kleiner goldener
Pfeile, unter den Blumen verstreut. Mich schaudert! |
"Ach, Schwestern, wenn es Amor wäre? |
|
Wie würd' es uns ergehn!" |
|
Nein, Pasithea, nein! Zum Amor ist's zu schön! |
|
Wo hast du ein Gesichtchen gesehn |
|
Wie dieß? Es machte dem schönsten Mädchen Ehre! |
|
Der kleine Drache sollt' es seyn, |
|
Von dem die Mutter spricht, er nähre |
|
Von Mädchenherzen sich? Nein, Pasithea, nein! |
|
Es schreckte, wenn es Amor wäre;
Und dieß ist lauter Reiz; es kann nicht Amor seyn! | Mein Herz klopft mir vor Angst, sprach die sanfte Pasithea.
Die kleine Unschuldige! Es war nicht Angst, was
in ihrem jungen Herzen klopfte; Liebe war's.Kommt, Schwestern, sagte Aglaja; das Sicherste ist,
wir fliehen.Redet nicht so laut, flüsterte ihnen die muntre Thalia
zu, welche sich nicht entschließen konnte, den kleinen Gott zu
verlassen. Was es auch seyn mag, dieß bin ich gewiß, daß
es uns kein Leid zufügen wird.Aber, wenn es Amor wäre? wiederholte Pasithea: das
Sicherste ist, wir fliehen.
Schwestern, erwiederte Jene, mir fällt was ein. |
Wie, wenn wir ihn mit Blumen bänden?
Ihn um und um an Arm und Bein
Mit Fesseln von Epheu und Rosen umwänden?
Dann möcht' es immer Amor seyn!
Er möchte zappeln, wüthen, dräun,
Wir hätten ihn in unsern Händen!
Wir würden seine Pfeile zerbrechen
Und ließen ihn nicht frei, er müßt' uns erst versprechen,
Fromm, wie ein Lamm, zu seyn. | Der Einfall gefiel den Schwestern. Sie nahmen ihre
Kränze ab, flochten noch frische dazu und umwickelten ihm
Arme und Flügel und Füße so gut damit, daß alle Stärke
dieses kleinen Bezwingers der Götter und der Menschen
nicht vermögend war, sich loszureißen, als er erwachte.Sie hatten sich hinter eine Rosenhecke verborgen, um sein
Erwachen zu erlauschen. Aber sie ließen ihn nicht lange im
Wunder, wer ihm den losen Streich gespielt habe. Ihr Lachen
verrieth sie. Amor erblickte sie hinter der Hecke, und
sein Herz hüpfte vor Freude: denn so liebliche Mädchen hatte
er nie gesehen, seit er Amor war. Er rief ihnen in dem
Tone, den er annimmt, wenn er verführen will, zu: |
Schöne Nymphen, o, helft mir armen Knaben! |
|
Ich bin Amor, Cytheräens Sohn, |
|
Der sich hier in euerm Hain verlief. |
|
Faunen müssen mich so gebunden haben, |
|
Da ich unbesorgt in meiner Unschuld schlief. | Höret ihr, was er sagte? flüsterte Aglaja ihren Schwestern
zu: er verräth sich selbst.Aber er bittet so schön, sagte die sanfte Pasithea: wir
wollen doch zu ihm hingehen; er ist so festgebunden, daß er
uns nichts thun kann.So bist du Amor? fragte ihn Thalia lächelnd."Ja, schöne Nymphe, ich bin Amor, der Gott der Liebe,
der Gott der süßesten Freuden; und nie fühlt' ich so vollkommen,
daß ich es bin, als seitdem ich euch sehe."Du bist ein kleiner Schmeichler, versetzte das Mädchen;
aber du sollst uns nicht beschwatzen! Eben weil du Amor
bist, binden wir dich nicht los."Und warum nicht, weil ich Amor bin?"Wir müssen dir erst deine Pfeile zerbrechen. — |
"Meine Pfeile müßt ihr erst zerbrechen? |
|
Ist euch lieben ein so groß Verbrechen? |
|
Doch, zerbrecht sie nur, es gilt mir gleich!
Kann ich doch mit euren schönen Blicken
Statt der Pfeile meinen Köcher schmucken!" | Er begleitete diese Schmeichelei mit so zärtlichen Bitten,
daß die guten Mädchen unschlüssig wurden, was sie thun
sollten.Wenn er Amor ist, sagten sie leise zu einander, so müssen
zwei Amorn seyn. Dieser hier sieht dem gar nicht ähnlich,
vor welchem uns die Mutter zu warnen pflegt. Er sieht so
freundlich, so unschuldig aus! Ich dächte, wir bänden ihn los?"Aber, wenn er uns davon flöge?"Amor hörte diese letzten Worte. Nein, liebenswürdige
Nymphen! Lernet die Gewalt besser, die ihr über mich habt!
Der bloße Gedanke, euch zu verlassen, würde mir unerträglich
seyn. Ich habe keinen andern Wunsch, als ewig bei euch
zu bleiben."Also willst du mit uns kommen, Amor, und bei uns
wohnen und unser Gespiele seyn?"Ja wohl will ich, sprach Amor: |
Von euch zu scheiden begehren?
Ich müßte nicht Liebesgott seyn!
Euch ließ' ich im wilden Hain
Bei Faunen und Hirten allein,
Nach Paphos wiederzukehren?
Nein, holde Schwestern, nein!
Ihr seyd zu reizend, Cytheren
Nicht einzig anzugehören!
Ich führ' euch bei ihr ein,
Um ihren Hof zu vermehren
Und ihre Gespielen zu seyn. | Das gefiel den Mädchen. — Paphos! der Hof der Liebesgöttin! —
Nach Amorn davon zu urtheilen, mußt' es dort
sehr artig seyn.Was für ein süßes — wie nenn' ich's? —bemächtiget sich
meiner, indem er spricht? flüsterte Pasithea. — Mir ist,
ich erwache aus einem Traume. — Ich fürcht', er hat uns
bezaubert, sagte Aglaja. — Es ist unmöglich, seinem süßen
Geschwätze zu widerstehen, sagte Thalia. —Kurz, sie fingen
an, ihm seine Blumenfesseln abzunehmen.Wie froh war er, da er einen seiner schönen Arme wieder
frei hatte! Sie vermuthen doch, Danae, daß der erste
Gebrauch, den er davon machte, kein andrer seyn konnte,
als seine Befreierinnen — umarmen zu wollen.Wie? du bist schon so leichtfertig, sagte Thalia lächelnd,
und hast erst einen Arm frei? Warte, Amor! du sollst den
andern nicht haben, wo du uns nicht schwörest, daß du sittsam
seyn willst!"Also soll ich euch keinen Kuß geben dürfen?"Einen Kuß? — rief sie, indem sich ihr Gesicht mit der
süßesten Rosenfarbe überzog: —
|
Nein, wir müßten's gar zu strenge büßen, |
|
Wenn wir uns von Knaben küssen ließen!
Amor, nein, das kann nicht seyn! | ————
|
Ich hört' es oft die Mutter sagen; |
|
Er macht die Lippen hitzig
Unb Kinn und Nase spitzig |
————
|
"Von Faunen, ja! das muß ich selber sagen, |
|
Allein bei mir ist nichts zu wagen, |
|
Mein Kuß erquickt das Herz. |
|
Versucht es nur! ihr werdet Dank mir sagen!" |
|
Nein, wir müssen erst die Mutter fragen; |
Gut, rief Amor, mit einer kleinen trotzenden Miene,
die in seinem schönen Gesichte tausend Reize hatte: ich sehe
wohl, daß man euch wider euren Willen glücklich machen
muß. Ihr sollt bald andre Gedanken von der Sache fassen.Er glaubte, daß es nun sehr leicht seyn würde, sich los zu
machen. Aber er erfuhr das Gegentheil. Er hätte leichter
diamantene Fesseln zerreißen können, so sehr boten diese Blumenketten
aller seiner Stärke Trotz. — Was für Mädchen
sind das? dacht' er bei sich selbst, indem er Blicke auf sie
heftete, mit denen er in das Geheimniß ihres Wesens dringen
zu wollen schien?Warum siehst du uns so ernsthaft an? sagte Aglaja."Ich frage mich selbst, welche von euch dreien ich am
meisten lieben werde?"Und was antwortest du dir?"Ihr seyd alle drei so liebenswürdig, daß ich mir nicht
anders zu helfen weiß, als — euch alle drei zu lieben."Aber welche von uns gefällt dir am besten?"Die, welche sich zuerst küssen lassen wird!"Schwestern, Schwestern, rief Aglaja mit einem kleinen
Seufzer: ich besorge, es wird uns gereuen, daß wir uns mit
ihm eingelassen haben.Und doch! was sollten sie machen, die guten Kinder! die
Sonne war schon untergegangen. Sie mußten zurück nach
der Hütte, und, Amorn gefesselt im Haine zurück zu lassen,
war ein so grausamer Gedanke, daß keine von ihnen fähig
war, ihm nur einen Augenblick Gehör zu geben.Komm, Amor, sagten sie, wir wollen dich losbinden; aber
erst mußt du uns schwören, daß du recht artig seyn und
Alles thun willst, was wir dir befehlen!Wer hätte gedacht, rief er, daß so holdselige Mädchen so
mißtrauisch sein könnten! Doch ich will Alles, was ihr wollt. |
Beim schmelzenden Entzücken
Von euren sanften Blicken!
Bei diesen Blumenketten
Und bei den Zephyretten,
Die erst im Hinterhalt'
In jungen Busen liegen,
Dann, von der Liebe Gewalt
Gepreßt, mit bangem Vergnügen
In kleiner Götter Gestalt
Den schönen Lippen entfliegen!
Beim Saft der Nektartraube,
Der Spröden Lüsternheit
Und Blöden Muth verleiht!
Bei meiner Mutter Taube,
Bei Daphnens Lorbeerbaum
Und bei Endymions Traum!
Bei Ariadnens Faden,
Bei Iasons goldnem Vließ,
Bei Meleagers Spieß
Und Atalantens Waden,
Bei Leda's Ei und Danae's Gold
Schwört euch Amor — was ihr wollt! | "Und konnten so artige Mädchen einfältig genug seyn,
einen solchen Schwur verbindlich zu glauben?"Es ist wirklich wunderbar, Danae, daß — so viele Schönen,
seit der ersten, die durch Schwüre betrogen worden
ist, sich noch immer durch Schwüre betrügen lassen, die, im
Grunde, nicht um das Gewicht eines Sonnenstäubchens verbindlicher
sind, als dieser!"Aber wissen Sie auch, daß Sie mir noch ein Gemälde
schuldig sind?"Das dächt' ich nicht; und wovon?"Von den Grazien, von denen Sie mich diese ganze Zeit
über unterhalten, ohne sie gemalt zu haben."Desto schlimmer für mich! Denn ich hatte wirklich die Absicht,
sie zu malen; die naiven Grazien wenigstens, die
Grazien, die, sich selbst noch unbekannt, Amors Beistand
vonnöthen hatten, um die leichte Hülle, welche die arkadische
Einfalt um sie geworfen hatte, abzustreifen und dem Gott
der Liebe — seine Schwester darzustellen."Aber ihre Gestalt?" —Vergeben Sie mir, Danae! Sie fordern mehr von mir,
als ich leisten kann. Sie mögen sehr reizend in ihrer
Schäfertracht ausgesehen haben; aber, wie sie aussahen, das
müssen Sie sich von unsrer Grazienmalerin Angelika zeigen
lassen."Sie waren also nicht — wie man sie gewöhnlich vorzustellen
pflegt?"Unbekleidet, meinen Sie? — Nein! Sie waren gekleidet,
wie es die arkadischen Mädchen damals zu seyn pflegten,
nur artiger. Denn die andern Mädchen eiferten ihnen darin
nach. Aber umsonst! Das, was die Töchter des jungen
Bacchus und der lächelnden Cythere, in welcher Tracht
sie erschienen, zu Grazien machte, entschlüpfte der Nachahmung.
Es war nicht ein Blumenstrauß, auf diese Art oder
auf jene Art an einen Busen gesteckt; es war ein Blumenstrauß,
von der Hand einer Grazie an den Busen einer
Grazie gesteckt. Es war das Zauberische — das Niemand
nennen kann, wozu die empfindsamen Seelen einen eigenen
Sinn haben; was sich von diesen Günstlingen der Natur
fühlen, denken, aber nicht beschreiben läßt.Ich weiß nicht, ob die Grazien, welche Sokrates, der
Weise, in seiner Iugend aus Marmor gebildet haben soll,
in diesem Geschmacke gekleidet waren. Aber dieß weiß ich,
daß ich einem jeden Maler, der nur ein Rubens oder
nur ein Boucher wäre, möchte verbieten können, die Grazien
mit aufgelöstem Gürtel zu malen.Schöne, junge, wollustathmende nackte Mädchen sind
darum noch keine Grazien. Sie können dazu erhoben
werden; aber diese Apotheose kann nur in der Einbildungskraft
eines Apelles, eines Raphael oder
Correggio und auch da nur mit Hülfe einer außerordentlichen
Begeisterung vorgehen. Wenn es jemals
der Natur gefallen sollte, in einem Manne Correggio's
Gefühl mit Raphael's Geist und mit der ganzen Magie
des feinsten und wärmsten niederländischen Pinsels zu vereinigen:
dann möchte diesem Phönix erlaubt sein, Alles zu
wagen, wozu er sich geboren fühlte. Ihm könnte man zutrauen,
daß er den Charitinnen diese ideale Schönheit geben
würde, von welcher Winkelmann mit einer Schwärmerei
spricht, die in seinem Munde so viel Wahrheit hat;
dieses Ueberirdische, "diese Einheit der Form, die wie ein
Gedank' erweckt und mit einem leichten Hauche geblasen
schiene;" — dieses Charakteristische endlich, dieses Seelenvolle,
dieß über ihre ganze Gestalt ausgegossene Lächeln,
diesen unter ihr, wie durch einen dünnen Schleier, hervorscheinenden
Geist der Anmuth und der Freude, der uns
beim ersten Anblick empfinden machte, daß wir die Grazien
vor uns sähen.Bis dahin, Danae, vereinigen Sie sich mit mir, die
Artisten zu ersuchen, daß es ihnen belieben möchte, ihre Geschicklichkeit
im Nackenden lieber an irdischen Formen, an
Urbildern, welche man nicht profaniren kann, zu beweisen;
— wofern sie anders nicht für anständiger halten, auch die
unidealische Schönheit der Erdentöchter — von welcher eben
deßwegen keine geistigen Eindrücke zu hoffen sind — des
Schleiers, dem sie so viel zu danken haben, nicht ohne Noth
zu berauben und den Vorhang vor badenden Schönen
bloß aus dem ganz einfältigen Grunde nicht wegzuziehen,
weil diese Schönen sich ganz sicher darauf verließen, daß sie
außer Gefahr seyen, von männlichen Augen betastet zu
werden.Bekleidet also waren sie, aber so, wie Grazien bekleidet
seyn sollen. |
Nicht in den gothischen Schwulst
Des ehrenfesten Wulst
Der Dame Quintagnone;
Nicht in gewebte Luft,
Wie ehmals Roms Matrone;
Noch, wie Horaz zu Amors Fest sie ruft,
Mit aufgelöster Zone!
Dem leichten Silberduft
Glich ihr Gewand,
Das Zephyrs lose Hand,
Wenn Luna seufzend nieder
Auf ihren schönen Schläfer sieht,
Um ihr erröthend Antlitz zieht. |
Drittes Buch.Nun bin ich frei, rief Amor hüpfend, da sie ihn losgebunden
hatten; und sehet, schöne Schwestern, was für einen
Gebrauch ich von meiner Freiheit mache!Er flatterte einer nach der andern in die Arme und
liebkosete ihnen so schön, daß sie nicht umhin konnten, ihn
freundlich an ihren Busen zu drücken und ihm alle die Küsse
wieder zu geben, die er ihnen, ohne um Erlaubniß zu fragen,
gegeben hatte. Ich wollte nicht Allen, denen diese Methode
gefallen könnte, rathen, es ihm nachzuthun. Man
muß Amor seyn oder Amorn zum Fürsprecher haben, um
sich einen so guten Erfolg versprechen zu können.Jezt flog Amor wieder aus ihren Armen, band die auf
dem Boden verstreuten Blumenkränze in eine lange Kette
zusammen, umwand mit einem Theile davon seine schönen
Hüften und reichte lächelnd das andere Ende den Schwestern
hin. Freiwillig, rief er, will ich euer Gefangner seyn! |
Eure Ketten tragen
Ist so schön, so süß!
Niemals, seit ich Amor hieß,
Fühlt' ich dieß Behagen! | —————
|
O! wie nenn' ich euch, von euren Blicken,
Eurem Lächeln, Allem, was ihr seyd,
Diese unnennbare Süßigkeit
Mit einem Worte auszudrücken? | —————
|
Ich nenn' euch Grazien, ihr holden Drei! |
|
So soll euch Gnid und Paphos nennen!
Und selbst Cythere soll erkennen, |
|
Daß sie durch euch allein der Herzen Göttin sey! | Die Grazien fühlten sich selbst noch nicht genug, um Amorn
ganz zu verstehen. Aber sie verstanden ihn doch genug, um
das, was er ihnen sagte, sehr schön zu finden. Wer hätte
gedacht, rief Thalia, daß Amor so artig wäre!In der That, der kleine Gott wußte selbst nicht recht, wie
ihm geschah. Er kannte sich nicht mehr, seitdem er bei diesen
holden Mädchen war. Alle Schelmerei ging weg; er
fühlte sich unfähig, ihnen einen seiner Streiche zu spielen.
Seine Empfindungen verfeinerten sich und nahmen eine Farbe
von Sanftheit und Unschuld an, wie man sagt, daß der
Chamäleon die Farbe des Gegenstandes annehme, der ihm
der nächste ist. Wären es gewöhnliche Nymphen gewesen, er
hätte nicht zehn Minuten warten können, seinen kleinen
Muthwillen auf Kosten ihrer Ruhe auszulassen. Aber diese
lieblichen Mädchen, in denen Alles, was naive Unschuld, gefällige
Güte und frohe Heiterkeit Göttliches hat, wie in der
Knospe eingewickelt lag, diese konnte er nur — lieben; so
lieben, als ob es ihm geahnet hätte, daß sie seine Schwestern
waren; alle drei gleich zärtlich, und jede so sehr, daß die Eifersucht
selbst hätte befriediget seyn müssen, wenn diese unedle
sich selbst quälende Leidenschaft einen Platz in dem Herzen
der Grazien finden könnte.Aber was werden wir unsrer Mutter sagen, wenn wir
mit Amors zurück kommen? fragte die kleine Pasithea.Wißt ihr, was wir thun? sprach Thalia: wir füllen diesen
Korb mit Blumen, setzen Amorn drauf und tragen ihn
nach Hause und sagen, daß wir ihn unter den Blumen gehascht
haben, und fragen sie, ob sie jemals in ihrem Leben
einen so artigen Vogel gesehen habe? — Oder was meint ihr?Vortrefflich, Thalia! rief Amor lachend: ich will mich so
leicht machen, als ob ich ein Schmetterling wäre; und für
die Aufnahme bei eurer Mutter laßt nur mich sorgen! Sie
soll mit mir zufrieden seyn. Dieß sagend, hüpft' er in den
Korb, und lachend und scherzend trugen ihn die Grazien
davon.Die Schäferin, welche von den Grazien Mutter genannt
wurde, war, zu ihrer Zeit, so schön gewesen, als man sich
die Amme der Grazien, von Venus selbst ausgewählt,
vorstellen kann. Aber sie fing an zu welken. Ihr Hirt war
kein Seladon, kein Pastorfido, auch kein Geßnerischer
Daphnis; doch wich er dem besten Theokritischen Hirten
nicht. Noch immer liebt' ihn seine Lycänion; aber er
war alt.Lycänion stand unter der Hütte, als die Mädchen mit
ihrem Blumenkorb und Amorn daher gehüpft kamen. Liebe
Mutter, rief Thalia: |
Was wir dir für einen Vogel bringen!
Welche Locken! was für schöne Schwingen!
Und ein Mädchengesicht!
Kann er dir nur halb so lieblich singen,
Als er lieblich spricht,
O, so sahst du keinen schönern nicht!
Was wir dir für einen Vogel bringen!
Gelbe, krause Locken, goldne Schwingen
Und ein Mädchengesicht! | Venus sey uns gnädig! rief Lycänion, da sie in den Korb
hinein guckte: was für einen Vogel habt ihr da! Arme
Mädchen! Seht ihr nicht, daß es Amor ist?Ia wohl ist es Amor, rief die kleine Pasithea: aber der
beste, freundlichste Amor von der Welt. |
Nicht der böse, ungestüme, wilde,
Der die Mädchen frißt!
Mütterchen, es ist
Ganz ein andrer, lachend, sanft und milde.
Auf den Blumen im Gefilde
Lag er schlummernd da;
Und wir banden ihn mit Blumenketten.
Eh' er sich's versah.
O, wie bat er uns! Allein wir hätten,
Als er sagte, daß er Amor sey,
Ihn nicht losgemacht, wiewohl wir drei
Er nur einzeln war; — er mußt' uns schwören,
Eh' er seine Arme frei bekam,
Uns kein Leid zu thun und fromm zu seyn und zahm. |
|
Und er schwor's! es war recht schön zu hören!
Und als ob wir seine Schwestern wären,
Liebt er uns und führt uns bei Cytheren,
Seiner Mutter, ein;
Und wir sollen, wenn wir artig wären,
Ihre Mädchen seyn! | Kinder, Kinder, rief die Amme — welche nicht wußte,
daß ihre Pflegekinder die Töchter einer Göttin waren —ihr
habt euch hintergehen lassen! So lieblich er aussieht, so
schlimm ist er. |
Ihr denkt , er ist ein Kind
Und süßer Unschuld voll, wie Kinder sind? |
|
Verlaßt euch drauf! Er lockt euch um ins Netze!
Traut seinem schmeichelnden, glatten Geschwätze: |
|
Zu bald, zu bald gereut es euch!
Er ist der Wassernixe gleich,
Die unterm Schilf am Ufer lauschet
Und singt ihr Zauberlied |
|
Und, kommt ihr, sie zu sehn, euch schnell entgegen rauschet |
|
Und euch hinab ins Wasser zieht. | Ei, ei, Mütterchen, rief Amor; was für eine Beschreibung
du von mir machst! Ich bitte sehr, erschrecke mir meine
lieben Mädchen nicht! Ist's billig, daß Amor es entgelten
soll, wenn dir Hymen lange Weile macht? — Aber laß uns
gute Freunde seyn, schöne Lycänion! —He! Damöt, wo bist
du, Damöt? — Wie gefällt dir diese junge Schäferin?O Götter! riefen beide zugleich aus, indem sie einander
ansahen und umarmten: Bist du Lycänion? Bist du
Damöt? — Welche Gottheit hat uns unsre Jugend wieder
gegeben? —O Amor, wir erkennen deine wohlthätige Macht!
Unser Entzücken allein kann dir unsern Dank ausdrücken!Wie gefällt Ihnen Amors Rache, schöne Danae? Stellen
Sie sich selbst vor, welche Freude dieses unverhoffte Wunder
verursachte.Aber in dem nämlichen Augenblick erfolgte ein andres,
welches Amorn selbst in angenehmes Erstaunen setzte. Die
Hütte, worin sie waren, verwandelte sich plötzlich in eine
große Laube, deren Wände und Dach aus Myrten, mit Epheu
und Weinreben verwebt, dicht zusammen geflochten waren.
Ringsum hingen große Kränze von frischen Rosen, in Liebesknoten
gewunden, an den Wänden herab; und ein Krug
und etliche geschnitzte Becher, die auf dem Tische standen,
füllten sich selbst mit dem besten Weine, der sprudelnd über
den Rand der Becher sich ergoß.Amor erkannte die unsichtbare Gegenwart seiner Mutter
und des schönen Bacchus, des Freudengebers. Er sah
die erstaunten Grazien an. Aber wie erstaunt' er selbst, da
er, wiewohl ihre Gestalt noch kenntlich blieb, die holden Mädchen
zu wahren Göttinnen erhöhet sah!Das Irdische schien wie eine leichte Hülle von ihnen abgefallen
zu seyn. Namenlosen Reiz athmend, schwebten sie
über dem Boden; in ihren Augen glänzte unsterbliche Jugend;
Ambrosia düftete aus den flatternden Locken, und ein Gewand,
wie von Zephyrn aus Rosendüften gewebt, wallte reizend
um sie her.O, laßt euch umarmen! rief Amor entzückt: meine Augen
öffnen sich; die Götter erklären uns das Geheimniß eures
Wesens; umarmet mich, holde Grazien, ihr seyd meine
Schwestern!Sie umarmten ihn — aber diese Scene — wenn Jemand
sie malen kann, so muß es der Dichter seyn, der Pygmalions
Statue beseelt und die Vergötterung der schönen Ino
so göttlich gesungen hat. Ich gestehe Ihnen, Danae, daß ich
hier an der Grenze meiner Fähigkeit bin.—————
Viertes Buch.Die Bewohner Arkadiens in diesen Zeiten waren gute Leute,
größten Theils Hirten, aber weit davon entfernt, so zärtlich
und witzig zu seyn und so schöne Monologen halten zu
können, als die Myrtillen und Korisken des sinnreichen
Guarini.Doch dieß wollen wir ihnen gerne zu gute halten, Danae:
denn, wie sehr wir auch für die geistvolle Poesie dieses wälschen
Dichters, für die Magie seines Ausdrucks und die
Musik seiner Verse eingenommen sind; so können wir uns
doch nicht verbergen, daß die Vermischung der arkadischen
Einfalt mit der romantischen Spitzfindigkeit in Gedanken und
Ausdrücken, die er seinen Liebhabern gibt, ungefähr eben die
Wirkung auf uns mache, als wenn wir die künstliche Symmetrie,
die in groteske Formen verschnittenen Bäume und
die in einen Punkt zusammen laufenden, nach der Schnur
gezogenen Hecken unsrer (ehmaligen) Lustgärten in arkadische
Gegenden versetzt sehen würden; |
In Gegenden, wo die Natur, vom Zwange der Regeln entbunden, |
|
Als spielte sie nur, die großen Wunder gethan, |
|
Wozu die Kunst noch nie den Schlüssel gefunden, |
|
Und edel ohne Schwulst, harmonisch ohne Plan, |
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Den Reichthum mit Einfalt, den Reis mit Majestät verbunden. |
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In stille Matten, an denen ein rieselnder Bach |
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Durch junge durchsichtige Büsche sich windet, |
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Und Wäldchen, wo der Hirt ein kühles Sonnendach, |
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Und Amor den Schlaf, und Begeistrung der Penseroso findet. | Allein diesen lieblichen Gegenden des schönen Arkadiens
fehlt' es noch an Einwohnern, die ihrer würdig waren.
Noch glichen sie jenen unvollendeten Menschen die, von
Prometheus aus geschmeidigem Thon gebildet, auf den
beseelenden Funken warteten, den er für sie aus der geheimen
Quelle des himmlischen Feuers im Olymp zu stehlen
unternahm.Freiheit und Ueberfluß des Nothwendigen theilte ihnen
diejenige Art des Wohlstandes mit, welche die Grundlage
der Glückseligkeit, aber nicht die Glückseligkeit selbst ist. Sie
lebten friedsam unter einander; die Nothwendigkeit hatte
ihnen sogar die edleren Begriffe von einem gemeinsamen
Besten und dieses von Tugend und Verdienst gegeben; aber
die Reize der verfeinerten Geselligkeit, diese kannten sie noch
nicht. Ihre Jünglinge waren noch wild, ihre Mädchen
blöde. Die Liebe war bei ihnen wenig mehr als die Sättigung
eines thierischen Triebes; ihre Seele war noch nicht
zur Idee einer feinen ausgesuchten Glückseligkeit
aus der Wahl ihrer Gesellschaft (wenn ich mir einen
Ausdruck von Milton eigen machen darf) erhöhet. Bei
ihren Festen herrschte lärmende zügellose Fröhlichkeit, die sich
oft, nach thrakaischer Weise, in Schlachten mit Bechern
und Krügen und alle Mal in einem allgemeinen Rausch
endigte. Denn sie kannten noch für Sterbliche und Götter
selbst keine größere Wonne. Das feinere Gefühl des Schönen
und Anständigen, die edlere Liebe, die allein dieses
schönen Namens würdig ist, den züchtigen Scherz und das
witzige Lachen und diese liebliche Trunkenheit, welche die
Seele nicht ersäuft, nur sanft begeistert, sie (wie der
Homerische Nepenthe) in süßes Vergessen aller Sorgen
einwiegt, unfähig zur Traurigkeit macht und jeder zärtlichen
Regung und schuldlosen Freude öffnet, — von allem diesem
wußten die guten Leute nichts. Zwar hatten die Musen
angefangen, ihnen ihre Gaben mitzutheilen; die Arkadier
waren unter allen Griechen durch die Liebe zur Musik berühmt.
Aber ohne die Grazien und Amorn in ihrer
Gesellschaft ist es selbst den Musen nicht gegeben, die
Verschönerung des Menschen zu vollenden.So war es mit Arkadien beschaffen, als die Grazien,
ehe sie mit Amorn nach Paphos, dem Sitz ihrer schönen
Mutter zogen, den lieblichen Gegenden, wo ihre Kindheit
in ländlicher Einfalt und Unwissenheit ihrer selbst dahin geflossen
war, die ersten Wirkungen ihrer neuen Macht zurücklagen
wollten.Ein alter König in Arkadien hatte Wettspiele der Schönheit,
aber nur für die Jünglinge, angeordnet; und der Tag
dieser Wettspiele stand bevor.Warum schließen wir unsre Mädchen von einem Streit
aus, der sie zum wenigsten so nahe angeht, als uns? —
sagte Damöt zu seinen Landsleuten.Du hast Recht, antworteten die Arkadier: die Mädchen
sollen zu gleicher Zeit um den Preis der Schönheit streiten,
— und aus des schönsten Jünglings Hand soll das schönste
Mädchen einen Kranz von jungen Rosen, das Zeichen des
Sieges, empfangen, sprach Damöt.Nichts konnte einfältiger seyn, als dieser Gedanke Damöts;
und doch hatte ihn noch Niemand gehabt. Sie wissen,
Danae, daß dieses die allgemeine Geschichte der
Erfindungen ist.Aber auch Damöt würde ihn nicht gehabt haben. Die
Grazien waren es, die ihn unbemerkt auf seine Lippen legten;
und die Grazien waren es, welche die Arkadier so bereit
und einstimmig machten, ihn auszuführen.Die Nachricht von diesen neuen Wettspielen weckte die
arkadischen Schönen auf ein Mal wie aus einem tiefen
Schlummer auf.Bisher waren sie, wie Winkelmann von der Diana
sagt, schön gewesen, ohne sich ihrer Reizungen bewußt zu
seyn; oder, noch richtiger zu reden, ihre Schönheit hatte
noch keine Reizungen. |
Wenn, wie es oft geschah, an Festen zum Exempel,
In einem heil'gen Hain (denn Tempel
Gab's nicht in diesem Schäferland)
Die schöne Welt sich bei einander fand,
Stieg unter hunderten nicht einer jungen Dirne |
|
Der Einfall auf: Gefäll' ich oder nicht?
Gefiel sie — gut! so hatt' ihr fein Gesicht, |
|
Der rothe Mund, die weiße freie Stirne, |
|
Die schöne Brust, dieß oder das, daran
Die Schuld; sie hatte selbst zur Sache nichts gethan. |
|
Die Mädchen wußten nicht, daß große schwarze Augen |
|
Zu etwas mehr, als in die Welt hinaus |
|
Einfältiglich dadurch zu gucken, taugen; |
|
Nicht, wie man einen Blumenstrauß |
|
Mit Vortheil an den Busen stecket, |
|
Damit, durch eine kleine List, |
|
Die Hälfte, die er nicht bedecket, |
Aber nun gingen ihnen plötzlich die Augen auf. Der Wunsch,
zu gefallen, hob jeden Busen und strahlte aus jedem Auge.
Einzeln schlichen sie sich jetzt in stille Gebüsche, an überschattete
Bäche oder in Grotten, wo herab murmelnde Quellen
in spiegelhelle Brunnen sich sammelten. Dort beschaueten
sie sich selbst, dort schminkten sie sich, wie Hagedorns ländliche
Dirne, aus der silbernen Quelle und versuchten, wie
sie den Blumenkranz aufsetzen wollten, damit er ihnen am
besten lasse, und überlegten, wie sie mit guter Art diese
Schönheit hervorstrechen lassen oder jenen Fehler verbergen
könnten.Unter allen diesen Schäferinnen hatte keine mehr Anspruch
an den Preis der Schönheit zu machen, als Phyllis, eine
junge Unempfindliche, welche das Vergnügen, zu gefallen,
weniger als irgend eine von ihren Gespielen zu kennen schien.
Der junge Daphnis, so schön und blöde, als Phyllis schön
und unempfindlich, liebte sie. Schon zwei Sommer schlich
er ihr nach. Tausend Mal hatte er sich ihr mit dem Vorsatze
genähert, seine Liebe zu entdecken; aber noch nie hatte er
den Muth in sich gefunden, ihn auszuführen. |
Oft hatte zwar sein Blick die kühne That gewagt,
Oft Seufzer, Thränen oft, die ihm ins Auge drangen,
Sein stummes Leiden ihr geklagt:
Allein was konnte das bei einem Kind verfangen,
Dem die Natur noch nichts für ihn gesagt? | Jetzt wurde Phyllis von ihm überschlichen, da sie allein
am Rand einer Quelle saß. |
Sie saß auf Blumen und Moos,
In schönen Gedanken verloren,
Ein frischer Roth, als Auroren
In junger Rosen Schoß
Entgegen glänzt, umzog ihr liebliches Gesicht.
Sie schien zum ersten Mal zu fühlen,
und sah — ganz Auge — nicht
Den Hirten; nein, die schönen Augen zielen
Nach einem Ast, wo unverhüllt
Vom jungen Laub zwei sanfte Täubchen spielen,
Der schönen Liebe schönstes Bild! | Schon eine Weile stand der junge Hirt, die Augen an
die ihrigen geheftet, hinter dem leichten Gebüsche, und
Amor, der unsichtbar neben ihm schwebte, haucht' ihm Gedanken
ein, über die er, als hatt' er gefühlt, daß sie nicht
sein eigen waren, sich zu verwundern schien. Ietzt, dacht'
er, jetzt, |
Da ihrer Wangen Glut, die wallende Bewegung
Der sanften Brust, des Herzens innre Regung
Verräth; jetzt, da sie sich
Betroffen fragt: Wie ist mir? Was bedeutet
Der süße Schmerz, der mich
Zu seufzen zwingt? — Ietzt, Daphnis, zeige dich!
Ietzt ist sie, dich zu hören, vorbereitet! | Der junge Daphnis gab den geheimen Eingebungen des
kleinen Gottes nach. Aber seine Blödigkeit war zu groß,
um auf ein Mal zu weichen. |
Er tritt hervor, mit vieler Sorgfalt zwar,
Damit sein Anblick sie zu sehr nicht überrasche;
Er steigert lang an seiner Schäfertasche,
Stets lauter, sumst ein Lied und hustet endlich gar. | Alles umsonst! In ihre Gedanken vertieft, sah und hörte
die schöne Phyllis nichts.Eine kleine Ungeduld wandelte den Sohn der Venus an.
Was zögerst du? flüstert' er ihm ein; zu ihren Füßen wirf
dich! — Und mit einem kleinen Stoß, den ihm Amor gab,
lag Daphnis, ohne selbst zu wissen wie, zu ihren Füßen. |
Erschrocken schauert sie in sich hinein, will fliehn
Und bleibt im Fliehn am Boden kleben.
Er klag! und klagt so schön, daß ihn
Zu hassen, klagt so schön, daß ihm nicht zu vergeben
Nichts Leichtes war. — | Pasithea, die jüngste von Amors Schwestern, war dem
schwärmenden Bruder unsichtbar nachgefolgt. Und jetzt, da,
von Amorn angetrieben, der schöne Hirt die Kniee des bebenden
Mädchens mit zärtlichem Ungestüm umfaßte, jetzt
glaubte die Grazie, daß es Zeit sey, ihrer ehemaligen Gespielin
beizustehen. Von ihrem sanften Anhauch glitschte
eine zarte Flamme von schönem Unwillen aus den seelenvollen
Augen des Mädchens, die über ihr ganzes reizendes Gesicht
einen höhern Glanz verbreitete. Mit dem Stolze der
Unschuld, aber mit bebender Hand, stieß sie den Jüngling
zurück. Denn beinahe in dem nämlichen Augenblicke zerfloß
ihr kleiner Unwille in Mitleiden und Liebe.Amor schien alle seine Macht aufzubieten, um den jungen
Hirten verführerisch zu machen. |
Das Mädchen blickt erstaunt auf ihn
Und wundert sich, noch nie bemerkt zu haben,
Wie schön er ist, wie seine Wangen blühn,
Die krausen Locken, schwarz wie Raben,
Und schwarz sein Aug', und seinem runden Kinn
Von Amorn selbst ein Grübchen eingegraben.
Wie viel, sonst ungesehn, sieht jetzt die Schäferin!
Ihr Auge schmilzt in immer sanftre Blicke;
Es war des Hirten Schuld, wenn er von seinem Glücke
Die Zeugen nicht in ihnen schwimmen sah.
Unschlüssig zieht sie die Hand von seinem Kusse zurücke,
Und selbst ihr Weigern lächelt — Ia! | Noch niemals war eine Schäferin in Arkadien so reizend
gewesen; und noch kein Schäfer hatte empfunden, was der
Jüngling empfand: die feurigere Liebe, von der zärtlichsten
Ehrerbietung gefesselt. Unfähig, ihre liebenswürdige
Schwachheit zu mißbrauchen, schien er keine größere Wonne
zu wünschen, noch zu kennen, |
Als einen Blick, der ihm Gefühl gestand,
Und einen Kuß auf ihre schöne Hand. | Ich habe nicht nöthig, Ihnen zu sagen, Danae, daß man
so liebt, wenn die Grazien mit Amorn die Herrschaft über
unsre Herzen theilen.Endlich darf ich hoffen, sagte Daphnis, daß Amor durch
meine geheimen Thränen, durch die verhehlten Schmerzen
zweier trauriger Jahre versöhnt ist! Täuscht mich eine betrügliche
Hoffnung, Phyllis? — O, dann laß mich, süßer
Gott der Liebe, laß mich nie aus diesem beglückenden Traum
erwachen!Ein zärtlicher Blick und ein sanfter Druck seiner Hand
gaben ihm die Antwort des gerührten Mädchens.Aber, ach, Phyllis, der morgende Tag! Alle unsre Jünglinge
wirst du versammelt sehen. Alle werden nur dir, nur
dir gefallen wollen. Wie liebenswürdig wird sie dieß Verlangen
machen! Was wird, ach Phyllis, was wird dann
aus deinem Daphnis werden?"Und du, Daphnis, du wirst alle unsre Mädchen versammelt
sehen. Jede wird sich selbst für die Schönste halten,
wenn sie dir gefällt, und jede wird es zu seyn wünschen
und Amors heimlich Gelübde thun. Ich werde mich schüchtern
hinter sie verbergen und nicht Muth haben, die Augen
aufzuheben. Daphnis, werden dann die deinigen mich
suchen und, wenn sie mich gefunden haben, mir sagen, daß du
mich noch liebest?"Die Antwort eines zärtlichen Liebhabers auf einen solchen
Zweifel ist etwas zu Bekanntes, Danae, als daß ich Sie
damit aufhalten sollte.Der gewünschte und gefürchtete Morgen war nun gekommen.
Die Jünglinge und die Alten versammelten sich am
Fuß eines Hügels, der in sanften Stufen wie ein Amphitheater
sich erhob, oben mit hohen Bäumen bekränzt, hinter
welchen die aufgehende Sonne hervorbrach. Sechs alte Arkadier,
deren geübtes Auge noch scharf genug sah, jede
Schönheit zu fühlen und keinen Fehler unbemerkt zu lassen,
nahmen als Richter ihren Platz; und die Jünglinge begannen
den Streit mit einem bewaffneten Reihentanze. Sie
tanzten um die Bildsäule des schönen Hyacinth, des Amykliden,
welchen Apollo geliebt hatte: ein Werk alter Kunst,
aber schön genug, um das Modell einer tadellosen männlichen
Schönheit zu seyn. Selbst ein Phidias oder Polyklet
konnte sich nur den Apollo unter den Musen oder den
jungen Bacchus schöner denken.Kaum war der Tanz mit einem Lobgesang auf den delphischen
Gott und seinen Liebling geendiget, so sah man die
schöne Jugend in die Wette sich entwaffnen und entkleiden;
jeder begierig, durch seine Eilfertigkeit zu zeigen, daß er
keine Ursache habe, das strenge Auge der Richter zu scheuen.
Ein schöner Anblick unverdorbner Natur und blühender ungeschwächter
Jugend, in welcher der schöne Umriß des jugendlichen
Alters, mit den Merkmalen der Stärke vereinbart
und erhoben durch den warmen Glanz einer von frischen
Rosen durchglühten Weiße, das beobachtende Auge so angenehm
rührte, daß es schwer war, kalt genug zu bleiben, um
Mängel in einzelnen Formen oder Theilen zu entdecken.Neue Tänze, mit Wettspielen im Ringen und Laufen
und allen andern Uebungen abgewechselt, welche geschickt sind,
die Eigenschaften einer schönen Bildung zu entwickeln, gaben
den Richtern Gelegenheit, ihr Urtheil festzusetzen; und oft
waren kleine Ausrufungen, welche der Anblick einer vorzüglich
schönen Stellung ihrem richterlichen Kaltsinn abnöthigte,
die Vorboten des Ausspruchs, der auf ihren Lippen schwebte.Die Gewohnheit befahl, aus allen diesen Nebenbuhlern
um den Preis Vier zu erwählen, welche für die Würdigsten
geachtet wurden, um den Vorzug zu streiten, wer unter
ihnen dem Liebling des Apollo am nächsten komme. Alles,
was diese Vier zu thun hatten, war, sich zwei und zwei zu
beiden Seiten seiner Bildsäule in der nämlichen Stellung
den Augen der Richter unbeweglich darzustellen.Die Stimmen wurden gesammelt, und Daphnis erhielt
den Preis.Der erröthende Jüngling wurde gekrönt; und so groß
war bei diesem glücklichen Volke die Liebe der Schönheit,
daß unter allen Besiegten nicht Einer war, der sich durch
den Vorzug des Siegers für beleidigt gehalten hätte. Ein
lautes Freudengeschrei rief seinen Namen aus, und der Wiederhall
brachte ihn bis in die Gegend, wo, durch einen den
Nymphen geheiligten Hain abgesondert, die Mädchen unter
der Aufsicht ihrer Mütter versammelt waren, um einen
Preis zu streiten, den jede wünschte und keine zu verdienen
hoffte. |
Vertheilt in kleine Gruppen stunden
Die holden Mädchen schüchtern da,
Und unter so vielen ward keine gefunden,
Die nicht von jeder Gespielin sich übertroffen sah. |
|
Ein leichtes weißes Gewand, |
|
Mit künstlichen Blumen bemalet
Von ihrer eigenen Hand,
Schien um sie her zu weben
Und stahl dem Auge nicht den lieblichen Contour.
Es glich dem Schatten nur,
Wodurch die Apellen den Reiz der schönsten Theile heben
Und Feuer und täuschendes Licht dem schönern Ganzen geben.
Ein Theil der Locken floß
Die schönen Schultern herab, ein Theil war aufgewunden,
Der Busen halb verhüllt, die schönen Arme bloß,
Und, nymphenmäßig, ein Theil der Kleidung aufgebunden. | Unter die übrigen Schäferinnen hatten sich auch die Grazien
gemischt, aber, um noch unerkannt zu bleiben, in ihrer
vorigen Gestalt und Tracht; welche gleichwohl nicht verhindern
konnte, daß nicht ein Schimmer von Göttlichkeit und
der unbeschreibliche Reiz, der ihr ganzes Wesen ausmacht,
alle Augen mit stiller Bewunderung auf sie geheftet hätten.
"Wie reizend die Töchter der Lycänion sind! sagte eine zur
andern —mich däucht, daß ich sie noch nie so schön gesehen
habe. — Kannst du glauben, Aegle, daß du mir in diesem
Augenblick schöner vorkamst, da dich Thalia anlächelte? —
Für wen werden unsre Hirten Augen haben als für sie? "Ich fühl' es (sagte Phyllis zu Aglajen und umarmte
sie) ich fühl' es, indem ich dich ansehe, nur die Göttin der
Liebe könnte dir den Preis zweifelhaft machen; und doch
kann ich nicht satt werden, dich anzusehen, und das Vergnügen,
das ich dabei empfinde, wird durch keine Unlust, übertroffen
zu seyn, beschattet. Umarme mich, liebenswürdige
Aglaja! Sage mir, du liebest mich, wie ich dich liebe!Aglaja
umarmte sie und heftete einen Blick auf sie,
aus welchem die Grazie ganz hervor glänzte.
"Welch ein Blick war dieß! — rief die junge Schäferin
mit dem Ausdruck eines süßen Erstaunens im Gesicht und
im Ton ihrer Stimme. Aber —ach! was wird aus deiner
armen Phyllis werden?"Was fürchtest du, meine Liebe?"
Ich fürchte dich, und in eben dem Augenblick fühl' ich,
daß ich dich unaussprechlich liebe."Was für eine Sprache, meine Freundin! Du fürchtest
mich?"Ach, Aglaja! Ich will dir meine ganze Schwachheit gestehen!
dein Anblick läßt keinem Mißtrauen, keiner Zurückhaltung
Platz. —Ich liebe" —sagte das erröthende Mädchen,
indem sie ihr Gesicht in dem Busen der Grazie verbarg.
Und wie sollte dich der nicht wieder lieben, den du liebest?"
Er liebte mich, Aglaja; ich bin es gewiß, er liebte mich.
Aber, wenn er dich sehen wird! — Ach, liebste Freundin,
ich fühl' es voraus, ich werde unglücklich seyn; und doch
kann ich dich nicht weniger lieben! Er wird dich sehen und
beim ersten Blick vergessen, daß eine Phyllis ist, die er liebte,
und die ihr allzu weiches Herz gegen seine Thränen nicht
verhärten konnte. Und — auch du, Aglaja, auch du wirst
ihn lieben! Wie solltest du nicht? Er ist der schönste, der
sanfteste unter allen Hirten!"Fürchte nichts, liebe Phyllis! sagte die Grazie: wenn ich
auch so gefährlich wäre, als die Furchtsamkeit der Liebe dich
bereden will, deinem Hirten werd' ich, so bald er dich ansieht,
nur ein gewöhnliches Mädchen seyn. In den Augen
der Liebe ist nur das Geliebte schön."Vergib mir, liebste Freundin; mein eignes Herz sagt
mir — und ich bin doch ein Mädchen — was das seinige
fühlen wird, wenn du ihn mit einem solchen Blick ansehen
würdest, wie du mich jetzt ansahest. Verachte mich nicht,
daß ich so schwach bin, beste Aglaja! aber — wenn ich dich
etwas bitten dürfte —"Alles, was das Herz meiner sanften Gespielin beruhigen
kann!"Ach! es war eine alberne Bitte. Du kannst sie mir
nicht gewähren. Nicht so reizend zu seyn, wollt' ich dich bitten,
nicht so sehr einnehmend, so sehr rührend zu seyn, wie
du bist. Aber wie könntest du?"Sey ruhig, liebe Phyllis! — Sie kommen. — Besorge
nichts! Bald wirst du sehen, wie vergeblich deine Sorge war.
— Hier entschlüpfte die Grazie aus ihren Armen.Musik und Gesänge verkündigten die Ankunft der Hirten.
Mit Rosen bekränzt, kam der schöne Daphnis, gleich dem
Apollo, wenn er, die goldne Leier in der Hand, vom Pindus
herab steigt; von der blühenden Schaar der Jünglinge
begleitet, kam er den sanften Hügel herab, der in die Ebne
hinab führte, wo die Mädchen versammelt waren.In einem weiten Kreise setzten sich die Väter und die
Mütter paarweise auf der Anhöhe, welche die Wiese wie
ein haider Mond umgab.Die Jünglinge standen oder saßen am Fuße des Hügels;
der schöne Daphnis in ihrer Mitte, den Kranz von Rosen
in der Hand, der das schönste Mädchen krönen sollte; und
die drei Jünglinge, die schönsten nach ihm, an seiner Seite.Es war verordnet, daß diese drei eben so viele unter den
Mädchen auswählen sollten, und zwischen den Ausgewählten
sollte Daphnis den Ausspruch thun. Denn der selbst Schöne
ist, wie Jupiter beim Lucian sagt, der natürliche Richter
der Schönheit. Diejenige, welcher er den Kranz um die
Stirne legen würde, sollte für die Schönste erkannt werden.
Der Herold rief eine allgemeine Stille aus, und nun
begann der Tanz der Schäferinnen."Und die Grazien tanzten mit?" fragen Sie, Danae.
Ja, sie tanzten mit."Die armen Schäferinnen! Der Streit war gar zu ungleich!
Was für Ehre konnt' es den Grazien machen, sterbliche
Mädchen, einfältige arkadische Schäferinnen auszulöschen?"
Sie irren sich, Danae; das thaten die Grazien nicht.
Sie bewiesen ihr Daseyn vielmehr durch die Reizungen,
welche sie mittheilten, als durch ihre eigenen. Sie dachten
weniger daran, selbst zu gefallen, als zu machen, daß ihre
Gespielen gefallen mußten.Eine unruhige Bestrebung, gefallen zu wollen, ist das
sicherste Mittel, seines Zweckes zu verfehlen.Durch den geheimen Einfluß der Grazien ergoß sich ein
allgemeiner Geist von Wohlwollen und sanfter Fröhlichkeit
über diese jungen Schönen aus. Ohne Eifersucht, ohne Begierde,
vor andern bemerkt zu werden, schien eine jede stolzer
auf die Reizungen ihrer Gespielen, als auf ihre eigenen
zu seyn.Gestehen Sie, Danae, daß die Grazien hier ein Wunder
wirkten!Ihr Tanz schien die unvorbereitete Eingebung einer naiven
Freude, welche ihren Füßen und Armen Seelen gab oder
vielmehr durch alle ihre Bewegungen eine gemeinschaftliche
Seele hauchte. |
So tanzen, umschattet von flatternder Gase,
Am Fuße des Cynthus, auf kurzem, sammtnem Grase, |
|
Die Nymphen um ihre Gebieterin her;
So sieht der alte Vater Homer |
|
Latonens Tochter mit euch, ihr Charitinnen, |
|
Und mit den Musen im delphischen Hain |
|
Zum schönsten Gesang den schönsten Reigen beginnen. |
Die Einbildung konnte sich nichts Angenehmeres dichten,
als dieses Schauspiel war. |
Die Augen schwammen, ergetzt, befriedigt, trunken von Lust,
Auf schönen Formen dahin, vergaßen sich im Schauen
Und irrten von Reiz zu Reiz, von schwarzen Augen zu blauen
Und von der reifen Brust, | Die, vollen Trauben gleich, zum Pflücken winkt,
Zu jener hin, die, wie ein Lilienbeet,
Von Amors Hauch zum ersten Mal gebläht,
In schönen Wellen steigt und sinkt.
—————
|
Bei solchen Seenen war's, wo in den goldnen Zeiten
Die Kunst (die jetzt aus Schutt sich Muster graben muß)
Den Zeuxis und Parrhasius
Die schöne Menschheit sich von ihren schönsten Seiten
Zu sehen gab. Hier füllten sie
Das Magazin der Phantasie
Mit Stoff zu Göttern an und hatten nur zu wählen;
Den Bienen gleich, die auf der bunten Flur
Den schönsten Blumen nur die süße Beute stehlen.
Hier lernten sie der willigen Natur
Das Handwerk nicht, ihr ängstlich nachzuäffen,
Nein, das Geheimniß ab, sie selbst zu übertreffen. |
Die Grazien hatten, wie gesagt, alle Vorsicht angewandt,
ihre Gottheit zu verbergen; aber die Verkleidung in
Schäferinnen konnte nicht verhindern, daß sie nicht noch
immer die reizendesten unter allen ihren Gespielen schienen.
Sie würden es |
Selbst in dem gothischen Wulst
Der Dame Quintagnone |
geblieben seyn. Was Wunder also, daß, wie es nun dazu
kam, daß die erste Wahl geschehen sollte, die drei Jünglinge
in einem Augenblick einig waren, Lycänions Töchter
auszurufen? Jedermann billigte diese Wahl mit sanftem
Händeklatschen; und unter so vielen Müttern, welche zugegen
waren, fand sich nicht eine, welche den Vorzug, der
Lycänions Töchtern vor ihren eigenen gegeben wurde, nicht
mit Vergnügen anerkannt hätte.Nur Daphnis, welcher jetzt unter diesen Dreien die
Schönste krönen sollte, Daphnis allein stand in unschlüssiger
Verwirrung da und suchte mit Augen voller Unruhe —
seine Phyllis.Das arme Mädchen! Sie ward es nicht gewahr; woher
hätte sie den Muth, die Augen aufzuheben, nehmen sollen?
Sie hatte keinen Wunsch, die Schönste zu seyn, als in ihres
Daphnis Augen. Aber, wie konnte sie dieß hoffen, da er
Lycänions Töchter, da er Aglajen, von lauter Reizen
schimmernd, vor sich sah?Lange hatte Daphnis gezögert; alle Augen waren auf
ihn geheftet, und die Erwartung schwebte auf den halb geöffneten
Lippen. Endlich trat er hervor. Wie schön seyd ihr,
holde Schwestern! sprach er zu den Grazien: wahrlich, je
mehr ich euch betrachte, keinen sterblichen Mädchen gleich!
Es ist unmöglich, unter euch zu wählen. Aber — vergebet
mir, wenn mich Amor gegen eure Vorzüge ungerecht macht!Hier sah er sich wieder nach Phyllis um. Dieses Mal
begegnete sein Blick dem ihrigen, und, o! wie viel Liebe, welche
rührende Angst las er in ihren Augen! In jedem glänzte
eine zurück gehaltene Thräne. Wär' er auch unentschlossen
gewesen, so hatte ihn dieser Anblick fähig gemacht, sich dem
Zorne der Venus selbst um ihretwillen auszusetzen.Vergebet mir, schöne Schwestern, rief er, und ihr Schäferinnen
alle, deren jede werth ist, von Amorn gekrönt zu
werden — ich liebe — und wie sollte sie, die ich liebe, nicht
die Schönste in meinen Augen seyn? — Mit diesen Worten
flog er der erröthenden Phyllis zu und wollte den Kranz auf
ihre Stirne setzen. In Freudethränen verwandelt, schlichen
die Thränen, die in ihren Augen standen, die glühenden
Wangen herab. — Nein, Daphnis, sprach sie, dieß ist zu
viel! Dein Herz, ja, dieß verdien' ich, und dieß ist Alles,
was ich wünsche. Der Kranz gehört Aglajen zu!Allgemeine Aufmerksamkeit war auf diese Scene geheftet;
aber bald wurde sie von einem unerwarteten Wunder
verschlungen.Amor zeigte sich auf einer goldenen Wolke, von Zephyrn
getragen; Gerüche von Ambrosia walleten, wie leichte Nebel,
von ihr herab. Der irdische Schleier, den die Grazien um
sich geworfen hatten, fiel von ihnen ab. Leicht schwebend
erhoben sie sich in ihrer eigenen Gestalt, wahre Göttinnen,
vom Boden zu Amorn auf.Süßes Schrecken und allgemeines Entzücken kam über die
ganze Versammlung. Daphnis und Phyllis warfen sich zur
Erde. Der bebende Jüngling wollte reden — aber Amor
unterbrach ihn, mit Worten, von deren Ton die Herzen
schmolzen: Du hast meine Macht vor dieser ganzen Versammlung
gerechtfertiget, junger Hirt! Du verdienst glücklich
zu seyn; und wenn alle Gaben, welche Amor und seine
Schwestern über Liebende auszugießen vermögen, euer Glück
vollkommen machen können, so soll euch nichts zu wünschen
übrig bleiben. — Und ihr, Jünglinge und Mädchen, höret
Amors Gesetz! Vergebens würd' es seyn, künftig um den
Preis der Schönheit zu streiten. Jede Schäferin sey zufrieden,
in den Augen ihres Hirten die Schönste zu seyn!Amor hatte
noch nicht ausgeredet, als plötzlich ein kleiner
Hain voll aufblühender Rosen unter ihm empor stieg. Alle
Jünglinge liefen hinzu und pflückten Rosen, und jeder kränzte
die Haare seines Mädchens.Und nun, rief Aglaja, an die Arme ihrer schönen Schwestern
angeschlungen, mit dem Lächeln und der Stimme der
schönsten unter den Grazien herab, höret auch mich, ihr,
einst meine holden Gespielen! Niemals werden euch die
Grazien verlassen! Oft werden wir an Sommerabenden uns
in eure frohen Tänze mischen; zwar euern Augen unsichtbar;
aber an einem sanften Beben der Brust, an einem höhern
Gefühl der seligen Triebe der Liebe und des Vergnügens,
einander glücklich zu sehen, werdet ihr unsre Gegenwart erkennen!
Feiert, Töchter Arkadiens, künftig diesen Tag! Er
sey einem Wettstreit in jeder weiblichen Tugend heilig! Und
nur diejenige, welche die Beste ist, erhalte den Preis der
Schönheit!Auf ein Mal entzog sich das himmlische Gesicht den entzückten
Augen, die noch lange weit offen empor schauten,
seine Spuren in der ambrosischen Luft zu suchen. Ueberall
wuchsen Rosengebüsche, wo der Fuß der Grazien den Boden
berührt hatte, und Myrtenhecken und Lauben von Jasmin
schnell empor. In dieser Gegend, die ein andres Paphos
schien, richteten die Arkadier den Grazien einen Altar auf.
Freude und Eintracht und Liebe und Unschuld herrschten
unter diesen Glücklichen, so lange sie sich des Schutzes der
Liebenswürdigsten unter den Unsterblichen würdig erhielten;
und so oft die Rosen blühten, wurde das Fest der Grazien
gefeiert.*
Fünftes Buch.
Ohne den Beistand der Charitinnen ist die Schönheit, was
Pygmalions idealisches Bild war, eh' es zu athmen und
zu empfinden anfing. Alles, was sie für sich allein thun kann,
ist, den Wunsch, sie beseelt zu sehen, einzuflößen. Wenn
man dieß Liebe nennen will, so mag es immer Liebe seyn.
Aber was ist dieß gegen jene unbeschreibliche Süßigkeit, womit
die Grazie sich in die Herzen hinein schmeichelt, gegen
jene geistigen, unauflöslichen Fesseln, mit denen sie die Seelen
an sich zieht, jenen unbegreiflichen Zauber, dessen Quelle
und seltsame Wirkungen der reizend schwärmende Petrarca
aus seiner Erfahrung so unübertrefflich besungen hat?War es etwa die körperliche Schönheit seiner geliebten
Feindin (wie er seine Laura zu nennen pflegt), oder
waren es nichtdiese Augen, aus denen Amor Süßigkeit und Anmuth
ohne Maß zu regnen schien; — war es nicht dieses Lächeln,
welches einen Wilden hätte in Liebe zerschmelzen
können, — aus welchem eine selige Ruhe, die keinem
Schmerze Raum ließ, derjenigen ähnlich, die man im
Himmel genießt, in die Seele herab stieg; —dieses reizende
Erblassen, welches (beim Anblick seiner Qual) ihr süßes
Lächeln mit einer verliebten Welke bedeckte ;— dieser
Gang, nicht der Gang einer Sterblichen, sondern eines
himmlischen Wesens. und diese Worte, in deren Klang
eine mehr als menschliche Lieblichkeit war, — mit einem
Worte, war es nicht diese (in dem süßen Irrthum eines
Verliebten) ihr allein eigene und sonst nie gesehene
Anmuth,was die schöne Seele dieses Platons der Dichter in
einen so außerordentlichen, so ekstatischen Zustand setzte, daß
er Dinge fühlte und phantasirte und sang und that, die vor
ihm in kein menschliches Herz gekommen waren und nach
ihm nur der kleinen Zahl empfindungsvoller Seelen, die
jemals etwas Aehnliches erfahren haben, verständlich seyn
können? Sie kennen die Lieder dieses liebenswürdigen Schwärmers
zu gut, schöne Danae, daß Ihnen nicht zwanzig andere Stellen
beifallen sollten, welche dieses bestätigen. Es ist wahr,
er spricht an mehr als einem Orte von der körperlichen
Schönheit seiner Geliebten mit genugsamer Empfindung, um
das Lächerliche einer bloß intellectualen Leidenschaft zu vermeiden.
Aber nur die Schönheit ihrer Seele und die
Grazien, die diese über Alles, was sie sagt und thut,
ausgießt, sind (wie er sich ausdrückt) die Zauberer, die
ihn verwandelt haben.Die Mutter der Liebe und der Grazien, sie, in welcher
die griechischen Musen den höchsten Begriff der Schönheit
zu verkörpern gesucht haben, läßt sich zwar nicht ohne
eigenthümlichen Reiz denken; aber es ist dieser hohe
Reiz, der (wie unser Winkelmann sagt) mehr mit den
Augen des Verstandes unmittelbar erblickt, als durch Hülfe
der Sinne empfunden werden kann."Wissen Sie auch, mein Herr, daß Sie und Ihr Winkelmann
wirklich ein wenig schwärmen, um nicht ein härteres
Wort zu gebrauchen? — Ein Reiz, der an einer körperlichen
Gestalt — idealisch oder nicht — mit dem Verstande
unmittelbar erblickt werden soll, welch eine Forderung!
Und wie sollen wir uns überreden lassen, Ihnen
ein solches Anschauungsvermögen zuzugestehen, mit desses
Hülfe Sie in jedem Gegenstande sehen könnten, was Sie
wollten, ohne daß uns andern Sterblichen erlaubt wäre, mit
Beihülfe der Augen unsers Leibes zu untersuchen, ob die
Augen Ihres Verstandes recht gesehen hätten?"Soll ich Ihnen die Wahrheit gestehen, Danae? Ich besorge
selbst, Sie haben Recht. Aber es gibt Augenblicke,
wo ich diese hohe unkörperliche Grazie (welche, wenn
ich nicht irre, Winkelmann zuerst von den Grazien im
gewöhnlichen Verstande unterschieden hat) wirklich zu empfinden
glaube. Diese Empfindung ist so fein, so geizig, daß
sie mich vielleicht betrügen könnte; aber ich kann doch, Alles
wohl überlegt, selbst dem bescheidenen Geiste des Zweifels,
den ich aus der sokratischen Schule geerbt habe, nicht so viel
einräumen, daß ich seinen Bedenklichkeiten die Gewißheit
meiner Empfindung aufopfern sollte.Doch dem mag seyn, wie Sie wollen; dieß wenigstens
geben Alle, von denen wir unsre Nachrichten aus der
Götterwelt empfangen, zu, daß Venus die Grazien von dem
Augenblick an, da Amor sie nach Paphos brachte, zu ihren
vertrautesten und unzertrennlichsten Begleiterinnen gemacht
habe. Nicht aus einem geheimes Mißtrauen in sich selbst
(erlauben Sie mir, Danae, auf einen Augenblick diesen
Rückfall in meine Grille), sondern um sich zu der Fähigkeit
sinnlicher Wesen herab zu lassen, bediente sie sich der Hülfe
der Grazien, wenn sie sterblichen Augen sichtbar werden
wollte. Von den Grazien gebadet und mit Ambrosia gesalbt
und ausgeschmückt und mit dem berühmten Gürtel umgeben,
in welchen von den Händen ihrer lieblichen Töchter jeder
anziehende Reiz und zärtliches Verlangen und das süße Liebkosen,
das den Weisen selbst das Herz nimmt, eingewebt
war, ging sie, sich dem Urtheil des Paris auf Jda auszustellen,
ihres Sieges über die Schönsten unter den Göttinnen
gewiß; — und an die Grazien angelehnt stand sie,
als Adonis zum ersten Mal in den reizenden Gebüschen
sie erblickte, welche in spätern Zeiten unter dem Namen
Daphne den Göttern der Freude und den Musen gewidmet
wurden. |
Unwiderstehlich schön stand sie in Rosenschatten,
An ihre Grazien gelehnt
Und, Lilien gleich, die sich mit Veilchen gatten,
Durch sanftern Reiz verschönt.
Er blieb, in himmlischer Wonne verloren,
Schwebend, sprachlos, halb vergöttert stehn;
Denn, seitdem das Meer die Lust der Welt geboren,
Hatte noch kein Gott so reizend sie gesehn. |
Auch in den Olympus begleiteten die Grazien ihre Mutter,
und nun konnte kein Götterfest ohne ihre Gegenwart
mehr vollkommen seyn. Die Götter selbst, deren Sitten uns
Homer nicht immer so fein und polirt vorstellt, als man
von Göttern billig erwarten sollte, änderten sich durch den
geheimen Einfluß der Charitinnen gar sehr zu ihrem Vortheile.
Sie brachen nicht mehr in ein unauslöschliches Gelächter
aus, wenn der ehrliche hinkende Vulcan, um einem
Hader zwischen seinem Vater und seiner Mutter ein Ende
zu machen, mit wohlgemeinter, wiewohl possirlicher Geschäftigkeit
die Stelle des Mundschenken vertrat; und Jupiter
drohte seiner Gemahlin nicht mehr, daß er ihr Schläge geben
oder sie, mit einem Amboß an jedem Fuße, zwischen den
Wolken aufhängen wollte. Juno wurde die angenehmste
Frau, Jupiter der gefälligste Ehemann und die Götter
überhaupt die beste Gesellschaft von der Welt. |
Minerva, welche sonst die Philosophin machte
Und, wenn die ganze unsterbliche Schaar
Bis aus den Momus selbst bei guter Laune war,
In einem Winkel saß und Hypothesen erdachte,
Ließ jetzt zuweilen doch der hohen Stirne Ruh'
Und sah dem Tanz der Musen und Grazien zu,
Die alte Vesta sogar, die (wie Homer erzählet)
Den edlen Jungfernstaud
Zu ihrem Theil erwählet
Und sonst an jedem Spiel viel Aergerliches fand,
Soll mit den Grazien und mit Amorn und dem Knaben,
Den Jupiter sokratisch liebt und küßt,
Oft blinde Kuh gespielet haben:
Ein Spiel, das in der That die Unschuld selber ist. |
Die Grazien sind lauter Gefälligkeit. Sollten sie nicht,
um die Stirne der guten alten Vesta zu entrunzeln, sich
auch zu Kinderspielen herunter lassen?Die Sympathie, welche zwischen liebenswürdigen Wesen
eine Freundschaft stiftet, die in ihrem ersten Augenblick alle
Stärke eines reifen Alters hat, macht aus den Musen,
den Töchtern Jupiters und der Harmonie, und aus den
Grazien die vertraulichsten Gespielen. Die ersten konnten
nicht anders als unendlich viel dabei gewinnen; ihre Ernsthaftigkeit
hatte es wohl vonnöthen, durch die Anmuth der
letztern gemildert zu werden.Die Gesänge, welche sie ihren Günstlingen eingaben,
hatten nun nicht bloß erhabene und die menschliche Schwachheit
übersteigende Gegenstände, die Vermählung des Chaos
mit der alten Nacht, den Ursprung der Götter und
der Welt und die Wanderungen der Seele, zum Gegenstande;
sie hielten es nun für ein edles und wohlthätigen
Gottheiten sehr anständiges Geschäft, auch die Freuden der
Sterblichen zu verschönern. |
Nicht den Orpheen nur, nicht nur den Amphionen,
Auch den Sappho's und Anakreonen
Hauchten sie, bei Lieb' und süßen Wein,
Unter Rosen sanfte Lieder ein.
Wenn zwischen jungen Dirnen,
Aus denen Freude glänzt,
Die heiterste der Stirnen
Mit Myrt' und Ros' umkränzt,
Der alte Tejer scherzt' und lachte
Und fröhlich, wie Silen, die Jugend neidisch machte:
Waren's oft die Grazien und Musen,
Die mit freiem Haar und offnem Busen
Hand in Hand um ihren lieben Alten
Tanzten zu der goldnen Leier Klang
Und ihm jedes Lied mit einem Kuß vergalten,
Das er Amorn und der Freude sang. |
Selbst die Muse der Philosophie lernte den Grazien
das Geheimniß ab, zu gleicher Zeit zu unterrichten und zu
gefallen. |
Aus ihrer schönen Hand
Empfingen die Platon, die Humen
Und Fontenellen die Blumen.
Womit sie den steinigen Pfad der fliehenden Wahrheit bestreun,
Und, wenn sie erbitten sich läßt, den Sterblichen sichtbar zu seyn,
Das leicht gewebte Gewand,
Das unsrer Augen schont und unter schlauer Zierde
Nur das versteckt, was uns verblenden würde. |
Vorzüglich waren die Grazien die Schutzgöttinnen der
sokratischen Schule. Schon in der ersten Blume seiner
Jugend von ihnen begeistert, versuchte es Sokrates, sie
in Marmor zu bilden; und, daß es ihm gelungen sey, läßt
sich daher vermuthen, weil die Athener dieses einzige Werk
seiner Kunst würdig fanden, ihm in dem Vorhof ihrer Burg
einen Platz unter Meisterstücken zu geben. Speusippus,
Platons Nachfolger, stellte die Grazien in dem Hörsaale
auf, wo sie aus dem Munde seines Meisters gesprochen
hatten. Und welchem Sterblichen sind sie jemals günstiger
gewesen, als dem liebenswürdigen Xenophon? ihm, der die
wahren Züge der sittlichen Grazie in seinen Werken so
vollkommen ausgedrückt und in seinen Gedanken und
Empfindungen, wie in seiner Schreibart, Wahrheit,
Einfalt und ungeschminkte Anmuth so unverbesserlich vereiniget
hat?Den Grazien opferte bei den Griechen, wer gefallen wollte;
und es war eine Zeit zu Athen, wo der Staatsmann und
der Feldherr ihren Beistand eben so nöthig hatten, als
der geringste mechanische Künstler. Die Zauberei der Grazie,
die über Alles, was Alcibiades that und sagte, ausgegossen
war, gab seinen Fehlern selbst einen Reiz, der Andrer
Tugenden verdunkelte. Sollten wir uns wundern, daß durch
ihren Einfluß eine Aspasia fähig wurde, Griechenland im
Perikles zu beherrschen und im Sokrates zu unterrichten? —
Und wie liebenswürdig müßten wir uns (wenn
eine strengere Sittenlehre über diesen Punkt uns gerecht zu
seyn erlaubte) diejenigen unter den Schönen des Sokratischen
Jahrhunderts vorstellen, welche in einem besondern Verstande
als Priesterinnen der Grazien angesehen wurden?
|
Nur den Phrynen, den Glyceren
Und Laiden konnt' es zugehören,
Euren Orgien
Würdig vorzustehn;
Ihnen, die zu Amors Künsten allen |
|
Das Geheimniß, selbst den Weisen zu gefallen,
Euch in Paphos abgesehn. |
O Danae, welch ein Jahrhundert war diese in den Jahrbüchern
der Menschheit ewig unvergeßliche Zeit von Perikles
zu Alexandern! diese Zeit, von der man mehr als
von irgend einer andern sagen kann, daß sie unter der Herrschaft
der Grazien gestanden hat. |
Da Philosophen, Künstler, Dichter,
Archonten, Priesterinnen, Richter
Die Macht der Grazien empfanden,
Die Majestät im Phydias,
Den Reiz im Kalamis verstanden,
Geschmack mit jeder Lust verbanden
Und Lust an allem Schönen fanden;
Da Plato denken, Hippias
Gefallen, Lais fühlen lehrte;
Da, wer kein Sklave war, die Kunst der Musen ehrte,
Der Philosoph mit kritischem Gefühl
Euphranorn malen sah, Damone singen hörte,
Und zwischen Scherz und Saitenspiel
Das Alter Munterkeit, die Jugend Weisheit lehrte;
Zeus-Perikles mit gleicher Leichtigkeit
Von Arbeit zu Ergötzlichkeit
Und von Aspasien ins Prytaneon kehrte,
(Denn alles Ding hat seine Zeit)
Und Alcibiades, wiewohl Gelegenheit
Ihn dann und wann zur Schelmerei verführte,
Im Rath Ulyß, Achilles in Gefahr
Und Paris nur bei freien Schönen war
Und, ob er Amorn gleich in seinem Schilde führte,
Die Feinde schlug, wie sichs gebührte. |
|
O goldne Zeit, da noch sich schwesterlich umfaßt
Die Grazien und Musen hielten;
Da Helden noch die sanfte Lyra spielten,
Da Helden noch den Werth des Sängers fühlten,
Durch den Achilles lebt; da zwischen Theophrast
Und Glycera sich ein Menander bild'te;
Da noch kein blöder Wahn vor einem Alkamen
Und Zeuxis die Natur verhüllte;
Da ohne Neid Apelles, Protogen
Freundschaftlich sich den Vorzug streitig machten
Und, willig sein Verdienst dem andern zu gestehn,
Nur auf den Ruhm der Kunst bei ihrem Wettstreit dachten;
Und Jener, dem die Grazien
Zuerst aus allen Sterblichen
Am blumigen Cephisen
Sich ohne Gürtel wiesen,
Aus dessen Werke sie den Reiz, der nie verblüht,
Mit ihren süßen Lippen hauchten,
In Amors Flamme selbst ihm diesen Pinsel tauchten,
Durch den Cythere sich der Fluth entsteigen sieht,
Es wagen durfte, die Gunst der Grazien laut zu bekennen
Und ihren Maler sich zu nennen. | Nur mit flüchtigen Zügen, schöne Danae — denn die
Grazien hassen ein mühsames nach der Lampe riechendes
Werk — hab' ich Ihnen den Einfluß dieser liebenswürdigen
Gottheiten auf Wissenschaften, Künste und Sitten entworfen.
Aber noch weiter estreckt sich ihre Macht. Nicht nur das
grenzenlose Reich der Einbildungskraft, nicht nur das ganze
Gebiet der Freude, — die Tugend selbst steht unter ihrer
Herrschaft. Die Epaminondas und die Scipionen
opferten ihnen nicht weniger, als die Menander und Aristippe.
Auch den Handlungen, dem Charakter und dem Leben
eines weisen und guten Mannes, — welches (wie Sokrates
zu sagen pflegte) gleich einem vollkommnen Gemälde
ein schönes Ganzes seyn muß —müssen die Grazien dieses
Ansehen von zwangloser Leichtigkeit, diesen Glanz der
Vollendung geben, der sie mehr zu Geschenken der Natur
als zu Werken der Kunst zu machen scheint.Diese Grazie war es, die der Tugend des Cato von
Utica fehlte, und bloß die Abwesenheit derselben ist, was so
vielen andern vermeinten Tugenden ein widriges, die Herzen
zurückstoßendes Ansehen gibt. Nur unter den Händen
der Grazien verliert die Weisheit und die Tugend der
Sterblichen das Uebertriebene und Aufgedunsene, das Herbe,
Steife und Eckige, welches eben so viele Fehler sind, wodurch
sie, nach dem moralischen Schönheitsmaß der Weisen, aufhört
Weisheit und Tugend zu seyn.Dieß war es, was Musarion ihren Schüler lehren
wollte; und sagen Sie mir, Danae, wie war es möglich, sie
nicht zu verstehen?—————
Sechstes Buch.
Wie sehr man bei Ihnen auf seiner Hut seyn muß, Danae!
— Ich dachte nicht, daß Sie sich eines Ausdrucks wieder
erinnern sollten, der mir, ich weiß nicht wie, entschlüpft
war; und nun glauben Sie sogar, ein Recht zu haben, mich,
wie Sie sagen, zu Erfüllung meines Versprechens anzuhalten. —
War es denn wirklich ein Versprechen? Ich sagte,
vielleicht würd' ich Ihnen in der Folge von den Grazien
Geheimnisse verrathen; und, ohne für mein Vielleicht
die mindeste Achtung zu haben, bestehen Sie darauf, daß ich
Ihre Neugierde gereizt hätte. Es wäre sehr unhöflich, gefällt
es Ihnen zu sagen, die Neugier eines Frauenzimmers rege
zu machen, wenn man nicht gesonnen sey oder sich nicht im
Stande wisse, sie zu befriedigen.In der That ist dieß ein Grund, gegen den ich nicht sehe,
was man einwenden könnte. Ich kann nicht daran denken,
solche Vorwürfe von Ihnen zu verdienen: Sie sollen befriediget
werden.Göttinnen, in denen der höchste Grad des Reizes mit
der ersten Blüthe einer ewigen Jugend gepaart ist, die unter
lauter Freuden, Scherzen und Liebesgöttern leben und ihrer
Natur nach lauter Gefälligkeit sind, — mit einem Worte,
die Grazien, wie sollten sie immer ohne kleine Anekdoten
geblieben seyn? Töchter des frohen Bacchus und der zärtlichen
Cythere, müßten sie ganz aus der Art geschlagen seyn,
wenn sie unempfindlich gegen die Liebe seyn könnten, die sie
einflößen; und unter so vielen Göttern, Halbgöttern und
Sterblichen, von denen sie jemals geliebt wurden, sollten
wohl alle, alle, nicht einen ausgenommen, nur Platonische
Liebhaber gewesen seyn? — Es ist nicht wahrscheinlich!Gleichwohl habe ich die gemeine Meinung und das Zeugniß
einer unendlichen Menge von Schriftstellern für mich,
wenn ich Ihnen versichre, daß die Grazien — die unschuldigsten
unter allen Göttinnen sind.Es ist wahr, der jungfräuliche Stand, der ihnen gewöhnlich
beigelegt wird, ist für sich allein nicht hinlänglich, sie
gegen schalkhafte Vermuthungen völlig sicher zu stellen. Auch
Minerva hatte ihr Abenteuer mit dem hinkenden Vulcan,
Luna das ihrige mit dem schönen Endymion, die schöne
Jo, Kallisto, Europa und zwanzig andre die ihrigen, die
den reizenden Stoff der Maler und Dichter vermehren. Und
erzählt uns nicht Ovid, wie wenig es gefehlt hätte, daß
sogar die ehrwürdige Vesta von dem gefährlichsten Liebhaber,
den eine Spröde haben kann, überrascht worden wäre? Ueberdieß
find' ich nirgends, daß uns die geheimen Geschichtschreiber
der Götter eine hinlängliche Nachricht geben, woher alle
die kleinen Amoretten kommen, die in den Hainen von
Paphos und Gnidos und Cythere, in größerer Anzahl als
die Schmetterlinge in einem warmen Sommer, herumflattern.
Der einzige Claudian (wenn ich nicht irre) begnügt sich,
ihnen überhaupt die Nymphen zu Müttern zu geben. Sehen
Sie, Danae, ob dieses genug ist, die Grazien frei zu sprechen,
— wenn man anders Ursache haben könnte zu erröthen, so
lieblichen kleinen Göttern, als die Amoretten sind, das Daseyn
gegeben zu haben. Doch ich will Ihnen ohne Umschweife
gestehen, was man sich am Hofe der Liebesgöttin in die Ohren
geflüstert hat.Erinnern Sie sich des reizenden Genius, |
— Halb Faun, halb Liebesgott,
Der flatterhaft um alle Blumen scherzet,
Um alle buhlt, doch nur die schönsten herzet
Und, daß sein kleines Horn die Nymphen nicht erschreckt,
Es unter Rosen schlau versteckt. | Ein Dichter, den Sie kennen, malte Hamiltons Geist
unter diesem Bilde ab; aber dieses Bild ist kein Geschöpf
der Phantasie, wie Sie vielleicht dachten: wirklich findet sich
unter den Paphischen Göttern einer, der das Urbild davon war.Unter den jungen Faunen, welche die Spielgesellen der
Amoretten sind, war einer, |
Der schönste kleine Faun!
Der je, statt an der Brust, am Nektarschlauch gesogen!
Ihm fehlten nur Flügel und Bogen,
So glaubtet ihr, Amorn zu schaun.
An einem Rosenzaun
Ward einst um ihn ein Nymphchen vom Schlafe betrogen:
Denn auch dem Schlaf' ist nicht zu traun!
Dem schönen kleinen Faun
War alle Welt und Venus selbst gewogen;
Gefällig erzogen die Nymphen zu Gnid
Den holden Fündling auf; er hüpfte, scherzt' und lachte
Mit andern Amorn herum, und keine Seele dachte,
Daß Art noch nie von Art sich schied.
Thalia selbst, der Grazien munterste, machte
Sich eine Freude daraus, so lang' er Knabe noch war,
Den schönen jungen Wilden
Zum Amor umzubilden,
Sein kleines Horn zu vergülden
Und Rosen zu flechten ins lockige Haar. |
Wer hätte dem kleinen Faun zugetraut, daß er fähig
wäre, so viele Liebe mit — einer Art von Gegenliebe zu erwiedern,
welche, die Wahrheit zu sagen, der Natur eines
Fauns so gemäß war, daß man sich vielmehr wundern sollte,
wie man ihm weniger zutrauen konnte?Ich weiß nicht, wie es kam; Göttinnen haben in gewissen
Dingen besondre Vorrechte; man wurde nichts davon
gewahr; — aber ein allerliebstes kleines Geschöpf, in dessen
Gestalt und Zügen ein seltsames Gemische von Leichtfertigkeit
und Anmuth seinen zweideutigen Ursprung verrieth, kam
auf ein Mal in den Hainen zu Gnid zum Vorschein. Mit
süßer Bestürzung fand es Pasithea, da sie einst in einer
Sommerlaube eingeschlafen war, beim Erwachen, |
So zärtlich und bekannt,
Als waren sie verwandt,
Auf ihrem Busen spielen
Und mit der kleinen runden Hand
In seinen Rosen wühlen. |
|
Epheugleiches krauses Haar umkränzte
Seine breite Stirn', im schwarzen Auge glänzte
Süßer Trotz; die Mutter that der Mund,
Um und um von Reiz umflossen,
Hörnerchen, die aus den Locken sprossen,
Und der kühne Blick den Vater kund, |
|
Mit tausend reizenden Grimassen
Stahl ins Heiz der kleine Gott sich ein
Und schien ganz ausgelassen
Vor Freude da zu seyn. | Der schöne Faun und ihre Schwester Thalia waren
der erste Gedanke, den Pasithea hatte, da sie das kleine Mittelding
von Faun und Grazie betrachtete. Sie eilte damit
ihren Schwestern zu. Aber keine wollte wissen, woher er
gekommen seyn könnte. Und doch, sagte Thalia lächelnd,
sieht er so sehr in unser Geschlecht, daß man wetten sollte,
eine von uns müßt' ihm näher verwandt seyn, als sie gestehen
will.Ein scherzhafter Streit erhob sich darüber unter den Grazien;
eine schob ihn immer der andern zu und machte gewisse
Züge ausfindig, worin sie die eine oder die andere
Schwester erkennen wollte. Ihr Lachen zog eine Menge von
Amoretten und Nymphen herbei, die an dem kleinen Lustspiele
Theil nahmen. Alle fanden den kleinen Gott unendlich
liebenswürdig, aber keine wollte sich zu ihm bekennen.
Sein Ursprung blieb eines von diesen Geheimnissen, die Jedermann
weiß, und Niemand zu wissen scheint. |
Die Zärtlichkeit, womit, da sie allein sich hielt,
Thalia den kleinen Faun, der kindlich nach ihr blickte,
An ihren Busen drückte,
Verrieth sie einer Najade,
Die an des Cepheus Gestade
Zwischen den Binsen hervor geschielt. |
Wollen Sie wissen, Danae, was aus diesem kleinen
Impromtu der artigsten unter den Grazien geworden ist? Er
wurde der Genius der Sokratischen Jronie, der Horazischen
Satire, des Lucianischen Spottes. |
Er lehrte Phänaretens Sohn
Die Kunst, durch lauerndes Verstellen,
Der Narren, die vor Weisheit schwellen
Der Gorgiassen, Stolz zu fällen;
Und dich, Horaz, den eleganten Ton,
Die Narren Roms, die Natta's, die Metellen,
Die Cacius und Cupiennius
Und zwanzig andre Narren in us
So fein zum Gegenstand von unserm Spott zu machen,
Daß selbst der Thor, indem wir ihn belachen,
Gern oder nicht uns lachen helfen muß. |
|
Den schönen Geistern neuer Zeiten
Scheint er nicht minder hold zu seyn.
Er gab den Lockenraub, den frommen Verd-verd ein,
Ließ Mancha's Helden kühn mit Klappermühlen streiten,
Den schönen Facardin an Crystallinens Seiten,
Ein Spinnrad in der Hand, im Schlafrock unversehrt
Durch fünfzig Mohrensäbel schreiten, |
|
Und meinen lieben Stern' auf seinem Steckenpferd —
Poor Yorik! — sich zu Tode reiten. |
Doch Sie erwarten nicht, Danae, daß ich Ihnen ein
Verzeichniß seiner Eingebungen aufschreibe; Sie wollen
noch mehr von den geheimen Geschichtchen der Grazien erfahren. —
Allein was könnte ich Ihnen, nach dem, was
Sie bereits wissen, noch Unterhaltendes davon sagen? Wenn
sie deren noch mehr gehabt haben, so müssen sie vermuthlich
diesem ähnlich gewesen seyn.Doch etwas hätte ich beinahe
vergessen, das Ihnen vermuthlich
unerwarteter ist, als alles Andre, was ich von meinen
geliebten Göttinnen noch sagen könnte. Oder hätten
Sie sich wohl vorgestellt, daß eine von den Grazien wirklich,
im ganzen Ernste, verheirathet ist; so sehr im Ernste, daß
Juno selbst die Ehestifterin war?"Verheirathet?" — Nicht anders. — "Aber an
wen?" — O! gewiß, Sie würden alle mögliche Götter
rathen können und den rechten doch verfehlen. Wenn wir
nicht einen so unverwerflichen Zeugen vor uns hätten, als
Homer ist, wer würde sich einfallen lassen, eine Grazie an
— den Schlaf zu verheirathen?Doch vielleicht stellen Sie
sich den Gott Schlaf nicht so liebenswürdig vor, als ihn die
griechischen Dichter und Künstler
zu bilden pflegten. — Und warum sollten wir ihn unter
einem weniger lieblichen Bilde denken, den holden Schlaf,
ihn, der, eben so wohl als die Grazien und Amor selbst,
unter die Wohlthäter des Menschengeschlechtes zu zählen ist? |
Ihn, dessen magischer Duft
Ein süßes Vergessen der Sorgen
Auf unsre Stirne träuft und uns mit jedem Morgen
In neues Daseyn ruft;
Ihn, dessen Gunst der Mann, in Purpur gekleidet,
Dem Mann am Pfluge, dem Sklaven beneidet;
Den holden Gott, der wenigstens bei Nacht
Des Glückes Eigensinn vergütet
Und, wenn der Gram an goldnen Betten wacht,
Und Harpax seinen Schatz mit hohlen Augen hütet,
Auf Stroh den Aermsten glücklich macht? |
Welcher Unglückliche findet nicht in ihm das Ende seiner
Schmerzen? Und wer ist so sehr den Göttern gleich, um
durch seinen Verlust sich nicht für elend zu halten?
|
Schlummert nicht, von Küssen müde,
Mit gesenktem Augenlide
Amor selbst an seinem Busen ein?
Ja, es würden (glaubt's Homeren!)
Selbst die Götter in den Sphären
Ohne ihn nicht selig seyn. |
Genug, der Schlaf, den Sie sich nun unter einem so
angenehmen Bilde, als Sie immer wollen, denken mögen,
|
Mit krausem, gelbem Haar
Und schlaffen, jugendlichen Zügen,
Schön, wie der Liebesgott, wenn er von seinen Siegen
In Psychens Armen ruht, — wie Lunens Schläfer war,
Als er, in ihrem einsamen Vergnügen
Sie nicht zu stören, tief in süßen Träumen lag;
Schön, wie die schönste Nacht nach einem Sommertag! |
|
Er liebte Pasitheen,
Und Pasithea — zwar sie wollte nichts gestehen,
Allein man wußte doch, sie war ihm heimlich gut,
Wie jetzo noch manch artig Mädchen thut.
Man sagt, er habe bloß, sie länger anzusehen,
Sie oft bei hellem Tag auf Rosen eingewiegt
Und, von des Anblicks Reiz besiegt,
Indem er neben ihr gesessen,
Sich und sein Amt so sehr dabei vergessen,
Daß allgemeine Agrypnie
Die Sterblichen befiel. Vergebens riefen sie
Dem süßen Schlaf. Die Hippokraten
Erschöpften fruchtlos Kunst und Müh;
Das Uebel widerstand den stärksten Opiaten!
Es griff zuletzt sogar die Götter an,
Und Zeus, der sonst doch in den Schlummerstunden
Vor Junons Aug' und Zunge Ruh gefunden,
Fand keinen Augenblick, den Schwan
Bei unsern Leden mehr zu machen,
Und spielte nun, aus bösem Muth, den Drachen. | Kurz, die ganze Natur kam aus ihrem Geleise, und,
ihren Untergang zu verhüten, mußte auf ein schleuniges
Mittel gedacht werden, den Gott des Schlafs wieder einzuschläfern.
Man fand kein zuverlässigeres, als ihn unverzüglich
mit der schönen Pasithea zu vermählen. Die Hochzeit
wurde in größter Stille vollzogen. Die Grazien führten die
erröthende Braut an den Eingang seiner Grotte; in wenigen
Minuten schloßen sich die Augen des kleinen phlegmatischen
Gottes, und die ganze Natur entschlief.Ein so schläfriger Gemahl würde, wir gestehen es, nicht
viele sterbliche Schönen glücklich machen, und vielleicht der
sprödesten Tugend am gefährlichsten seyn. Nur die sanfteste
unter den Grazien war dazu gemacht, einen Gemahl liebenswürdig
zu finden, der, wenn ihre Küsse ihn weckten, kaum
so lange wachte, um sie anzusehen und vor Vergnügen —
wieder einzuschlafen.Gleichwohl sagt man, daß die Welt der Vermählung des
Schlafs mit der jüngsten Grazie diese süßen Träume zu
danken habe, |
Wobei der keusche Sinn
Von Vesta's Priesterin,
Wenn sie zu früh erwacht,
Sich viel Gedanken macht
Und doch aus Neubegierde —
Wie Alles enden würde?
Der Wiederkunft der Nacht
Bei Tage schon entgegen gähnt
Und sich nach ihrem Traume sehnt; |
|
Die Träume, deren Scherzen
In einsamen Nächten die Schmerzen
Der jungen Wittwe betrügt
Und unter günstigen Schatten
Den wieder gefundenen Gatten
In ihren Armen wiegt; |
|
Kurz, Danae, im ganzen Träumereich
Die angenehmsten Träume,
Die, jungen Amorinen gleich,
Dich unter Myrtenbäume
Und, wenn sie Zeugen spüren,
In stille Grotten führen, |
|
Wo Amor lachend sich versteckt,
Dann Abends dich zum Baden
In laue Brunnen laden,
Wo, wenn der Freund der fliehenden Najaden,
Ein Faun, die dunkeln Büsche schreckt,
Dich Leda's Schwan mit seinen Flügeln deckt. | —————
Der verklagte Amor.Ein Gedicht in fünf Gesängen.Vorbericht.Die Idee dieses Gedichts, welches eben sowohl als Musarion
(zu welchem es als ein Gegenstück angesehen werden kann)
nicht leicht unter eine schon bekannte Rubrik zu bringen ist,
erschien dem Verfasser schon im Jahre 1771, und der kleinere
Theil desselben wurde an einigen Winterabenden des
besagten Jahres zu Papier gebracht. Wie Musarion, hatte
es das Schicksal, einige Jahre bei Seite gelegt zu werden,
bis es im Winter 1774 wieder hervorgesucht, vollendet und
im siebenten Stücke des T. Merkurs dieses Jahres zuerst
bekannt gemacht wurde. Es war anfangs in vier Bücher
oder Gesänge abgetheilt; man hat aber, um ein besseres
Verhältniß in Rücksicht der Größe zwischen den Gesängen zu
bewirken, für gut gefunden, in dieser Ausgabe aus dem
vierten Gesange zwei zu machen.—————
Erster Gesang. |
Der große Tag war nun gekommen,
An dem im Götter-Parlament'
In Sachen zwischen den Weisen und Frommen,
Als Kläger, an einem —und Amorn, den man Cupido nennt,
Beklagten, am andern Theil gesprochen werden sollte.
Die Götter versammelten sich, indem das hehre Signal
Des großen Donnerers sieben Mal
Rings um die himmlische Burg durch heitre Lüfte rollte.
Sie schritten heran, Neptun vom alten Trögen,
Von Delos der schöne Apollo, und von den thracischen Höhn
Der junge Bacchus, begleitet von Vater Silen
Auf seinem trägen Thier. Die Jägerin Diane
Verließ den waldigen Cynthus, und ihr geliebtes Athen
Minerva. Nicht von ihrem lahmen Vulcane
Geschleppt, vom Mars im Triumphe geführt,
Schwamm auch Cythere daher in lustigem Morgengewande,
Nicht ohne List mit ihrem Gürtel geziert.
Die Götter von der fröhlichen Bande
Sehn ihr mit Lüsternheit nach, und jeder nimmt sich vor,
Wohlfeiler nicht für sie, als um den Preis, zu sprechen,
Um welchen Pallas und Juno den goldnen Apfel verlor:
Denn, daß sie die Richter für ihren Sohn zu bestechen
Gekommen sey, zischeln die Frauen einander laut ins Ohr.
Die Klugheit räth, bei zweifelhaften Sachen
Die Rhadamanten sich voraus geneigt zu machen;
Und wem ist unbekannt, wie groß in diesem Stück
Der Schönheit Vortheil ist? Sogar der Hippiassen
Berüchtigte Kunst muß ihr den Vorzug lassen;
Sie überzeugt mit einem einzigen Blick.
Man zeige mir vor seinem neunzigsten Jahre
Den Cato oder Catinat,
Bei dem (vorausgesetzt, er leide nicht am Staare)
Ein schöner Busen Unrecht hat! |
|
Indessen sich nun im großen Saale die Götter
Und ihre Damen nach und nach
Versammelten, Venus die Männer bestach,
Und Hermes, der Höfling, und Momus. der Spötter,
Der alten Vesta die Stimme versprach,
War's ziemlich laut im zweiten Vorgemach. |
|
Die hohe Dienerschaft der Götter,
Der Adler Jupiters, und, stolz wie seine Frau,
Der in sich selbst verliebte Pfau,
Cytherens Spatz, Minervens Eule,
Apollo's Schwan, und einer, der schon grau
In Mutterleibe war, und den man just nicht gerne
Vor zarten Ohren nennt, -wiewohl Freund Tristram-Sterne
In diesem Punkt, dem Himmel sey's geklagt!
Und noch in manchem Punkt, nichts nach dem Wohlstand fragt —
Kurz, und züchtig als möglich gesagt, |
|
Der Esel Silens, verkürzten sich die Weile,
Die Welt, an der sie viel, sehr viel zu bessern sehn,
In eine andre Form zu gießen:
Denn so, spricht Doctor Kauz, so kann's nicht länger bestehn.
Nur lassen wir uns, um nicht am Ziel vorbei zu schießen,
Die kleine Mühe nicht verdrießen,
Bis auf den Grund des Grundes zu gehn.
Die Leute sind nicht klug, ist eine alte Sage
Und nicht der Weisen allein, auch selbst der Thoren Klage;
Vom Spötter Lucian zu Gerhard Gerhardssohn,
Genannt Erasmus, ist Alles voll davon.
Akademien und Lyceen
Erschallen davon, beweisen's zum Greifen und zum Sehen,
In Duodez, in Quart, in Folio;
Man hört nichts anders. Gut, ihr Narren! ist ihm so —
Und, daß ihm so ist, scheint vom Ganges bis zum Po
(Um ohne Noth die Beweise nicht zu häufen)
Consensus gentium zu besteifen,
(Ein Argument, wovor nach Marcus Cicero
Sich billig aller Respect geziemet)
Nun gut, so sag' ich unverblümet:
Was hilfts den Narren, wenn einer den andern belacht,
Und keiner weder sich selbst noch andre weiser macht?
Zwar hör' ich diesen und jenen, der sein Arcan uns rühmet:
"Ihr Herrn, probatum est! Wer kauft mein Elixir?
Die Quintessenz der Weisheit aller Zeiten!
Es führt die Grillen ab, vertreibt die Uebelkeiten,
Stärkt Kopf und Herz" — Sehr wohl! Wir wollen uns hier |
|
Nicht um des Esels Schatten zanken:
Hilft dein Arcan, so ist dafür zu danken;
Nur zeig' uns, Wundermann, die erste Probe an dir!
Kurz — denn wir andre Denker pflegen
Auch unsre Worte, so leicht sie sind, zu wägen —
Die Welt ist voller Narren, darin stimmt Jeder mir bei
(Nur mit dem Vorbehalt, sich selber auszunehmen);
Doch, wie den Narren zu helfen sey,
Ist immer noch das schwerste von allen Problemen.
Mich kümmert es nichts; indessen sag' ich frei,
Zeus thäte wohl, Notiz davon zu nehmen.
Wär' ich an seinem Platz — |
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"An seinem Platze?" fällt |
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Der Adler ihm ins Wort: "ein blinder Regent der Welt!
Da wäre sie, ma Dia! wohl bestellt!
Doch immerhin! Laß sehn, an seinem Platze
Was thätest du, Herr Kauz?" — |
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Man wähne nicht, ich schwatze |
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Ins Blaue hinein! ich stehe zu meinem Satze.
Der Grund des Uebels ist: Die Leute denken nicht,
Nicht oder nicht genug und selten, wo sie sollen;
Allein das Aergste ist, auch wenn sie denken wollen,
Verhindert sie an dieser großen Pflicht
Die Sinnlichkeit, besonders das Gesicht.
Um tief zu denken, darf uns nichts von außen stören,
Und was zerstreut so sehr, als Licht?
Wie leicht wir Denker es entbehren,
Kann euch mein eignes Beispiel lehren. |
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Zwei Sinne oder drei aufs höchste sind genug
Zum Hausgebrauch; was soll das Auge dienen?
Was ist es, als ein Quell von Irrthum und Betrug?
Kurz, eure Leute sind, blos weil sie sehn, nicht klug;
Die Augen, wär' ich Zeus, die Augen nähm' ich ihnen.
"Die Augen?" zwitschert ihm Cytherens Vogel zu,
"Und dieß, um klüger zu seyn? Ich denke nicht wie du!
Gesetzt, wir würden dabei fürs Raisonniren gewinnen,
An Wohlseyn, glaube mir, Kauz, gewännen wir nicht viel.
Wir Spatzen halten's mit den Sinnen
Und gäben um alles Andre nicht einen Pappenstiel.
Dank sey der Göttin, die uns von ihrem Nektar zu naschen
Freigebig erlaubt! wir wenden das Daseyn besser an,
Als Grillen in hohlen Aesten zu haschen.
Wir leben ohne Zweck und Plan
In stolzer Freiheit von allen andern Gesetzen
Als, was uns lüstert, zu thun. Ist's wohl oder übel gethan
In Andrer Augen, das ficht uns wenig an.
Was kümmert's uns, wenn wir uns nur ergetzen,
Ob unser Zettergesang dem Hausherrn wohl gefällt,
Von dessen Dache wir in Besitz uns setzen,
Und wer das Feld für uns bestellt,
Worin wir die Schnäbel an jungen Erbsen wetzen?
Kurz, unsre geringste Sorge ist, ob wir Pflichten verletzen,
Und unser ist dafür die Welt!
Willst du, Freund Kauz, deßwegen uns Narren schelten,
So lachen wir dazu; uns ist's Philosophie!
Die Worte, wie du weißt, sind Alles, was sie gelten.
Nur, daß wir zu Narren uns denken, dazu bekehrst du uns nie!
Mehr sag' ich nicht. — Was hältst du von der Sache,
Herr Nachbar mit dem langen Ohr?" |
|
Ich? (gähnt das träge Thier und reckt die Ohren empor)
Nicht daß ich besser mich als andre Leute mache,
Doch großen Dank dem, der mich Esel werden hieß!
Ich möchte nichts Andres seyn, wenn man mich wählen ließ'.
Ich denke — nichts und finde, daß Nichtsdenken
Ein trefflich Mittel ist — sich über nichts zu kränken.
Ich trage meinen Herrn und seinen Schlauch dazu
Und käue meine Disteln in epikurischer Ruh;
Gibt's Feigen oder Macaronen,
Nun, desto besser! Wo nicht, so gilt mir's einerlei;
Ihm nachzusinnen mag sich nicht der Mühe verlohnen:
Ununtersucht glaub' ich, das Beste sey,
Was vor mir liegt, und bis zur Schwärmerei
Hat weder Liebe noch Haß kein Esel je getrieben.
Doch, wer mir nachgesagt, ich sey
Ein Narr gewesen und zwischen zwei gleichen Bündeln Heu
Mit offnem Maul unschlüssig stehn geblieben,
Mag seyn, er ist zum Doctor übrig klug,
Allein zum Esel hat er nicht Verstand genug!
Daß wir die Kunst der Musen lieben,
Ist kein Verdienst vielleicht bei einem solchen Ohr;
Und, ziehn wir Mozarts Schwierigkeiten
Und Schweizers Gesange den schnarrenden Dudelsack vor,
So wird es uns gewiß kein Weiser übel deuten.
Wohl dem, der sich um einen kleinen Preis
Am Schlechten selbst zu laben weiß!
Seyd nur, wie wir, nicht allzu zart im Wählen,
So kann es euch nie an Vergnügen fehlen —
Dieß in Parenthesi! weil ich de gustibus
Mit Niemand hadern will. — Und also, um zum Schluß
Zu kommen, meint' ich unmaßgeblich,
Creirte Zeus die ganze Menschenschaar
Zu meines Gleichen, Paar und Paar,
Der Schade wäre unerheblich,
Und für die größre Zahl der Vortheil sonnenklar. |
|
Vortrefflich! ruft der Vogel, der die Keile
Des Götterkönigs trägt, den Esel lob' ich mir!
Es lebe das naive Thier!
Was der verkühlte Spatz und die gelehrte Eule
Nur zu verstehen gab, sagt Langohr rund heraus.
Ich hörte in Zenons Halle einst einen Bocksbart schwatzen,
Und, in der That, es kam auf Eins hinaus.
Beim Donner! eine Welt von lauter Eulen, Spatzen
Und Eseln müßt' ein feines Weltchen seyn!
Mir leuchtet die Erfindung ein;
Noch heute soll dem Oberherrn der Erden
Beim Schlafengehn Bericht erstattet werden:
Wer weiß, wozu er sich entschließt,
Wenn unsre Liebe Frau bei guter Laune ist.
So viel ist ausgemacht, er würde
Der Weltregierung lästige Bürde,
Die jetzt ihm oft die Galle schwellt,
Sich selbst dadurch unendlich leichter machen.
Was würde bei dieser neuen Organisirung der Welt
Nur bloß an Blitzen erspart? Und uns im Sternenfeld,
Was blieb' uns zu thun, als Schmausen und Tanzen und Lachen?
Der Esel lebe hoch, und seine beste Welt! |
|
Indessen daß man hier so stark philosophirte,
Saß Junons Pfau auf einem Polster da,
Dem größten Spiegel des Saals gegenüber, und amüsirte
Sich mit dem Bilde, das ihm daraus entgegen sah.
Apollo's Schwan, erzogen unter den Musen
Und zärtlicher, als der beste, der je am Strymon sang,
Lag schmeichelnd ihm zu Füßen und schlang
Den langen buhl'rischen Hals hinauf an seinem Busen.
Er hatte von Leda's Schwan die Stellung abgesehn.
O Schönste, lispelt er ihm mit schmachtendem Flötengetön
(Zum Zeichen, wie weit der Taumel bei Dichtern gehen könne,
Verwandelt der Schwärmer den Pfau in eine Pfauenhenne),
Die Welt, o Schönste, die Welt mag meinethalben gehn,
So gut sie kann; Projecte bessern selten,
Und wirklich find' ich nicht sehr viel an ihr zu schelten;
Sie scheint zur Rosenzeit, zumal beim Mondenlicht,
Mit Allem dem so übel nicht;
Und sie für mich zur besten aller Welten
Zu machen, möcht' ich mir von Zeus nur Eins erflehn,
Nur dich, o Schönste, dich ewig aus eben so vielen Augen,
Als man in deinem Rade bewundert, anzusehn
Und ewig den süßesten Tod aus deinen Blicken zu saugen.
Sehr neu, ich muß es selbst gestehn,
Ist der Gedanke nicht; doch, wollten Sie vergönnen,
Sie sollten gleich ein kleines Beispiel sehn,
Welch einen frischen Glanz wir ihm ertheilen können.
Mir sind, zumal für ein Sonnet,
Die abgetragensten Ideen
Die liebsten; aber, sie zu drehen,
Zu drehn, Madame, zu drehn — o, diese Kunst versteht
Nicht jeder kaiserlich belorberte Poet!
Geruhn Sie — |
|
Nein, Herr Schwan! und, wäre dein Sonnet |
|
Auf einer Drechselbank gedreht
Und düftete lauter Zimmt und Amber
Wie Mühlpfort oder Lohenstein,
Wir müssen fort! Man winkt uns aus der Antichambre
Zur Audienz im Götterrath' hinein. | —————
Zweiter Gesang. |
Nach Standes Gebühr. geliebte Brüder, Vettern
Und Söhne, auch Schwestern, Basen und Töchter lobesam
(So sprach jetzt Zeus vom Thron zu den ringsum stehenden
Göttern),
Ich war zu jeder Zeit Processen herzlich gram
Und nie ein Gott von vielen Worten:
Um also kurz zu seyn, so ist euch Allen kund,
Wie lange schon Minerva und Consorten
Mit Klagen gegen den Sohn der Frau von Amathunt
Olymp und Erde betäuben. Er macht es wirklich so bunt,
Und täglich laufen von allen Enden und Orten
So viel Beschwerden bei uns ein,
Daß unser Richteramt uns wehret,
Ihm länger nachzusehn. Beklagter, dem der Schein
Vorhin nicht günstig war, erschweret
Durch Trotzen noch die aufgehäufte Schuld;
Sein Uebermuth zerreißt die Dämme der Geduld.
Was hielt ihn ab, sich vor Gericht zu stellen?
Ihr wisset, was in solchen Fällen
Sonst Rechtens ist. Jedoch, der ganzen Welt
(Die es theils ohne Scheu, theils heimlich mit ihm hält)
Zu zeigen, daß wir ihn nicht ungehört verdammen,
Ermangelten wir nicht, den Vater Sanchez dort
Ihm ex officio zum Anwalt zu bestellen. |
|
Papa, fiel Venus hier dem Donnerer ins Wort,
Den Anwalt will ich mir im Namen meines Knaben
Aus Gründen sehr verbeten haben.
"Warum, mein Kind? Wenn ich nicht irrig bin,
Sind Naso selbst und Peter Aretin
In deinen Angelegenheiten
Nur arme Laien gegen ihn." |
|
Ich war, erwiedert sie, den tief gelehrten Leuten
Von seiner Gattung niemals gut
Und fühl' in mir, auch ohne Doctorhut
Für meinen Sohn im Fall der Noth zu streiten,
Beruf und Fähigkeit und Muth. |
|
"Gut, gut, mein Töchterchen, gut! Um uns nicht aufzuhalten,
Thut, was ihr wollt!" — Er spricht's und winkt dem Alten,
Der einem Aegipan an Bart und Miene glich,
Zum Saal hinaus. — Und nun erhoben sich,
Hier Pallas, Hymen dort, als Sprecher an der Spitze
Der Klägerschaft, von ihrem Polstersitze;
Minerven folgt Aurora und Dian',
Und neben Hymen hinkt der gute Mann Vulcan.
Frau Pallas räuspert sich, wirft ihren Schleier zurücke,
Macht einen tiefen Knicks und fängt zu reden an;
Nur Schade, daß man das, was ihre sprechenden Blicke,
Was Augenbrauen und Arm und Hand dabei gethan,
Das ist gerade das Beste, nicht übersetzen kann. |
|
"Wir sehen uns, Vater Zeus und ihr Unsterblichen alle,
Indem wir hier vor euch als Amors Kläger stehn,
Im außerordentlichsten Falle,
Worin sich Kläger je gesehn.
Es fällt uns schwer, uns selbst zu überzeugen,
Daß unsre Klage möglich sey;
Wir stehn verwirrt und möchten lieber schweigen.
Doch, schwiegen wir, so weckt uns das Geschrei
Der Erde, des Olymps für die gemeine Sache:
Wir dulden zu lange schon und fordern endlich Rache!
Und gegen wen? Ist's glaublich? Kann es seyn?
Kaum glauben wir's dem Augenschein;
Und welche Meinung wird die Nachwelt von uns haben?
Die Harmonie der Dinge wird gestört,
Die Tugend ausgezischt, der Götterstand entehrt,
Die ganze Schöpfung umgekehrt,
Und Alles dieß von wem? — von wem? —Von einem Knaben,
Der, bloß damit kein Unfug unverübt
Von ihm gelassen sey, für einen Gott sich gibt,
Wiewohl Cythere selbst zu ihm sich zu bekennen
Erröthet — wenigstens, aus einem Rest von Scham,
Indem sie ihm erlaubt, sich ihren Sohn zu nennen,
Uns nie gestand, woher sie ihn bekam.
Und er? was darf nicht Amor sich erfrechen?
Er prahlt noch mit der Dunkelheit,
Die seinen Ursprung deckt! Die Nacht, hört man ihn sprechen,
Hat lange vor der Götterzeit,
Als Alles Chaos war, mich ersten Gott geboren.
Und denket nicht, er prahl' in diesem Ton
Aus Unverstand bei Kindern nur und Thoren:
Der schlaue Bube zieht davon
Den Vortheil, unter dem Namen des himmlischen Amors,
in Seelen
Von bessrer Art sich heimlich einzustehlen;
In Seelen, denen er als Aphroditens Sohn
Nicht nahe kommen darf. Um diese zu berücken,
Entkörpert sich der Schalk und spielt den reinen Geist,
Spricht Metaphysik, schwatzt von himmlischem Entzücken,
Von einer Liebe, die sich mit bloßem Anschaun speist,
Von Flammen, worin sich alle Begierden verzehren,
Und wie die Seelen, durch ihn aus ihrem Raupenstand
Zu Schmetterlingen entwickelt, ins unsichtbare Land,
Das sie geboren, wiederkehren.
Der Heuchler! Macht er nicht Dianens Nymphen weiß,
Es bleibe, wenn sein Geist nach ihrem Busen schiele
Und sich zum Urbild der Busen empor gezogen fühle,
Sein Blut dabei so kalt wie Alpeneis?
Ist gleich die Schlinge zu sichtbar — ein kluges Mädchen zu
fangen,
So bleibt doch zuweilen daran ein blödes Gimpelchen hangen. |
|
"Doch dieses Alles ist, wiewohl bereits zu viel,
Mit dem, was uns zur Klage zwinget,
Verglichen, bloßes Kinderspiel.
Wo ist ein Platz im Himmel und auf Erden,
Den Amors Frevel nicht entweiht?
Wo ist der Sterbliche, wo der Gott, der nicht Beschwerden
Zu führen hat? Ihr Alle wißt, wie weit
Sein Muthwill' es sogar mit unserm Stande getrieben,
Und wie die Unschuld selbst nicht sicher vor ihm geblieben.
Gesetzt auch, sie verwahre sich
Vor seinem Pfeil, was kann vor seiner Natterzunge
Sie schützen? Ach! ihr unsichtbarer Stich
Dringt selbst durch meinen Schild! Wie pflegt der wilde Junge
Beim Faunenfest, wenn auf der Mänas Schoß
Der Wein ihn schwärmen macht, uns Andern mitzuspielen?
Ihm ist, sein Müthchen abzukühlen,
Hestia nicht zu fromm, und Juno nicht zu groß.
Hofft nicht, durch Weisheit ihn zur Ehrfurcht zu vermögen!
Seyd ohne Tadel, seyd Latonens Tochter gleich;
Wenn Alles fehlt, so weiß er euch
Endymions Schlaf zur Last zu legen.
Doch diesen Muthwill könnte man
Auf Rechnung seines Alters schreiben;
Und, da sein Witz uns doch nicht treffen kann,
So möcht' er immerhin, um minder schädlich zu bleiben,
Mit Lästern sich die Zeit vertreiben;
Allein, den Unfug aufzustehn,
Den sein Gewerb in unsrer Herrschaft stiftet,
Und, was wir Gutes thun, stets ohne Frucht zu sehn,
Solang' er ungestraft die Sittenlehre vergiftet,
Solang' er singen darf: "ein Becher und ein Kuß
Könn' einen Sterblichen froher und, nach Gestalt der Sachen,
Selbst besser, als er war, und zehnmal klüger machen
Als alle Philosophien der Weisen in es und us,"
Was dünkt euch, selige Götter, von solchen Sittensprüchen?
Kein Wunder, daß er längst damit
Die Monarchie der Welt erschlichen!
Ein Lehrbegriff von diesem Schnitt
Wird nie an Schülern Mangel haben;
Den jungen Dirnen und den Knaben,
Um deren Kinn die erste Wolle spielt,
Scheint nichts so gründlich. — "O, man fühlt,
Man fühlt ja, rufen sie, die Wahrheit seiner Lehren!"
Nun, sagt mir, werden sie der Weisheit Stimme hören,
Wo Amor solche Schulen hält?
Wollt ihr die Früchte sehn? Schaut nieder auf die Welt,
Die ihr regieren sollt, und seht sie von Cytheren
Und ihrem Söhnchen so bestellt,
Als ob wir Andre nichts als Figuranten wären.
Wer präsidirt im Rath' und im Gericht?
Wer hat die Gnaden auszuspenden?
Ich und Asträa wahrlich nicht!
Cupido wälzt mit seinen Kinderhänden
Den Erdenball, sein Spiel; das Glück
Von einem ganzen Volk entscheidet
Durch seinen Einfluß oft der Blick
Von einer Pompadour: sie winkt den Helden zurück,
Und ihr Adonis wird in einen Mars verkleidet,
Der, trotz Homers Achill, ein Fest
Besorgen kann und sich, wie Paris, jagen läßt.
Verwundern wir uns noch, wenn wir den Scepter sehen,
Der unterm Mond die Herrschaft führt,
Daß alle Dinge dort so widersinnig gehen?
Mich wundert nicht, daß er schlecht, nur, daß er nicht schlechter
regiert.
Das Restchen von Weisheit, daß noch aus jener guten alten
Saturuuszeit sich bis hieher erhalten,
Wiewohl schon längst der Geist davon
Verflogen ist, erweist noch seine Tugend.
Doch selbst den kleinen Rest von jener goldnen Jugend
Der erstern Welt mißgönnt Cytherens Sohn
Dem Erdenvolk. Sein Thorenreich zu gründen,
Soll jede Spur der Sittlichkeit
Und Unschuld aus der Welt verschwinden.
Fortunens Freunde haben sich
Zu diesem großen Werk vorlängst mit ihm verschworen.
Die Musen, zu meinen Gespielen geboren,
Die Musen selbst entehren sich und mich,
Seitdem sie Amorn zum Führer erkoren.
Und ach! die Weisen sogar, die Weisen haben verloren,
Was ihren Orden sonst den Thoren
Verhaßt und fürchterlich gemacht.
Der Ernst ist lächerlich, der von den Pythagoren
Das Zeichen war. Jetzt trinkt man, scherzt und lacht
Und salbt sein Haar und kränzt mit Rosen die Scheitel,
Ruft mit Diogenes, der Menschen Thun ist eitel,
Und nennt sich Philosoph und wird dafür erkannt.
Was soll ich sagen, nachdem der Fürst der sieben Weisen,
Ein Mann, der fähig war, bis in das Wunderland,
Wo Isis thront, der Weisheit nachzureisen,
Ein Solon selbst Lyäen und Amorn anzupreisen
Und, was noch schlimmer ist, in seinem siebzigsten Jahr
Ihr Priester zu seyn noch nicht zu weise war! war!
Und wie? den Mann, den Delphi für den besten
Der Griechen erklärte, den Mann, der meinem Athen
Den hohen Plato erzog, bei wenig ehrbaren Festen
Zum Lehrer, muß ich es gestehn?
Von einer Tänzerin herabgesetzt zu sehn,
Sprecht, wie gefällt euch dieß? und doch sind's Kleinigkeiten;
Sein Liebling Xenophon macht uns noch mehr bekannt:
Er läßt ihn gar zu einer Dirne schreiten,
Die als Modell für junge Künstler stand.
Ein Knabe hatte sie unsäglich schön genannt:
Gut, spricht der weise Mann, so werden wir, zu wissen,
Wie schön sie ist, die Augen brauchen müssen.
Der Griechen Lehrer geht, die Jünger hinterdrein
An hellem Tag bei einer Lais ein
(Ein Andrer, fällt der Spötter Momus ein,
Ein Andrer wäre bei Nacht zum mindsten eingegangen),
Und, für die Augenlust nicht undankbar zu seyn,
Was, meint ihr, lehrt er sie? — Die Weisheit, Herzen zu
fangen. |
|
"Nun, große Götter, sprecht, ist's nicht die höchste Zeit,
Dem Fortgang dieser Pest zu steuern?
Der Unfug geht, beim Styx! zu weit;
Was wird der Ausgang seyn, wenn wir noch länger feiern?
Verbannet Amorn, schließt ihn ein,
Der Hain zu Amathunt mag sein Gefängniß seyn;
Dort laßt ihn, was er will, mit seinen Charitinnen
Und Nymphen und Zephyretten und Amorinen beginnen!
Ist nur um seinen Rosenhain
Ein Zauberkreis, der ihm den Ausgang wehrt, gezogen,
Kann er nur nicht heraus, und Niemand zu ihm ein,
So spiel' er, wie er will, mit seinem goldnen Bogen
Und singe bis zum Ueberdruß
Von Kuß und Wein, von Wein und Kuß,
Regiere Löwen und Schwanen
Mit seinem Rosenzaum und plappre von Dianen
Und Pallas, was ihm wohlgefällt;
Nur, Götter, nur befreit von ihm die Welt." | —————
Dritter Gesang. |
Minerva schwieg, und mit verschämten Wangen
Trat Hymen jetzt hervor. Die Wahrheit zu gestehn,
Sein Aufzug gab kein mächtiges Verlangen,
Aus Amors Sold in seinen Dienst zu gehn.
An Schönheit fehlt' es ihm nicht, wiewohl sie etwas vergangen
Und abgetragen schien; hingegen fehlt' ihm sehr
Der Talisman, womit uns Amors Schwestern fangen.
Matt ist sein blaues Aug', und ohne Anmuth hangen
Die Locken ihm um Stirn' und Nacken her.
Er hätte (Vesta selbst bemerkt es heimlich gegen
Cybelen) ohne Furcht, zu viel darin zu thun,
Vor seinem Spiegel sich ein wenig säumen mögen.
Doch im Vorhergehn dieß! denn nun
Ist's um die Sache selbst, nicht um die Form, zu thun.
Vielleicht war's List, die schönen Richterinnen
Beim ersten Anblick zu gewinnen —
Zur Liebe freilich nicht; allein
Er will auch nicht geliebt, bedaurt nur will er seyn,
Und wirklich nur ein Herz von Stein
War fähig, ihm so wenig zu versagen. |
|
"Ihr Götter, fängt er stockend an,
Nach einer Pallas noch vor euch zu reden wagen
Ist kühn; allein, was Amor mir gethan
Und täglich thut, ist länger nicht zu tragen
Und spornte wohl zu lauten Klagen,
Beim Herkules! selbst einen Stummen an.
Ihr wißt, daß Themis, kurz eh sie der Welt enteilte,
Noch zwischen ihm und mir das Reich der Liebe theilte.
Er, sprach sie (weil sein Blick, der lauter Unschuld log,
Die Herzenskennerin betrog),
Er, sprach sie, soll es auf sich nehmen,
Den jugendlichen Trotz des Mädchens zu bezähmen,
Das, stolz auf seinen Reiz, in wilder Fröhlichkeit
Der Liebe lacht und Hymens Bande scheut:
Und ihrem Seladon, dem seine Schüchternheit
Mehr Schaden thut als ihre Sprödigkeit,
Ihm geb' er Muth, sich freier auszudrücken,
Und seinem Ton Musik und Feuer seinen Blicken.
Er zwinge sie mit sanfter Uebermacht,
Ihr fühlend Herz vergebens zu verhehlen.
Doch hüt' er sich, auch wenn die schönste Nacht
Verzeihlicher der Sinnen Irrthum macht,
In Hymens Grenzen sich verräthrisch einzustehlen!
Er soll in einer jungen Brust
Den sanft sich sträubenden verschämten Wunsch entfalten
In Hymens Arm die unbekannte Lust
Des Mutternamens zu erhalten.
Ein Kuß, zum Pfand von ihrem Liebesbund,
Mag ihm verwilligt seyn, nur niemals auf den Mund:
Was weiter geht, das bleibt, nach unsrer Alten
Wohllöblichem Gebrauch, dem Hymen vorbehalten. |
|
"So, Götter, sollten wir in aller Ehrbarkeit
Und Eintracht unser Amt verwalten;
Und thäte Amor nicht, o welche goldne Zeit!
Doch sehet selbst — der Sache Kundbarkeit
Kommt leider! meiner Scham zu Statten! —
Was mir der Schalk für Abbruch thut;
Wozu er, wenn sein Pfeil das jugendliche Blut
Zu Feuer macht, in kupplerische Schatten,
Da wo die Rose verliebt sich um die Myrte schränkt,
Die junge Unschuld lockt, die an nichts Böses denkt;
Mit welchem grausamen Vergnügen,
Wenn sie der Arglist sich am wenigsten versieht,
Er über ihr sein Garn zusammen zieht;
Wie er, die Wachsamkeit der Klügern zu betrügen,
Sich stellt, als ließ' er sich besiegen,
Und jeden warnenden Verdacht
Einschläfert oder gar zu seinem Freunde macht;
Wie oft er seine Masken täuschet,
Und wie geduldig der Schalk die Schäferstund' erlauschet;
Mit welchem Fleiß (nach mehr als tausend einer Nacht,
Worin der schlaue Gast Bemerkungen gemacht,
Die ihm zu schlechtem Ruhm gereichen)
Er die Verführungskunst in ein System gebracht,
Dem wenige an Gewißheit gleichen;
Und wie es nun — ihr Schönen wißt,
Ich übertreibe nicht — beinah' unmöglich ist,
Dem Tausendkünstler auszuweichen!
O Unschuld, holde Schüchternheit
Und süße Scham, Beschützerin der Tugend,
Wo seyd ihr hingeflohn, seit Amor unsre Jugend
Belehrte, daß ihr Blödigkeit
Und Vorurtheil und bloße Larven seyd!
Seit dieser Zeit, ich schwör' es bei den Flüssen
Des furchtbarn Styx! hat Hymen nichts zu thun,
Als, gleich dem Gott des Schlafs, auf seinem Pfühl zu ruhn:
Cupido lehrt die jungen Nymphen küssen
Und lehret sie so gut, daß mir
Nichts, das sie nicht schon besser wissen,
Zu lehren übrig ist. Und nun verwundern wir
Uns noch, wenn Weiber — wie wir sehen,
Aus Töchtern dieser Art entstehen?
Wenn Messalinen und Poppäen —
Verzeiht, Göttinnen, mir; allein mein Herz ist voll,
Und meinen Schmerz hat noch kein Gott gefühlet!
Daß ich, wenn Amor mich bestiehlet,
Ihm noch dazu die Fackel halten soll,
Gesteht, das ist zu viel für einen Gott von Ehre:
Auch sag' ichs öffentlich, wofern mir nicht in Zeit
Genug geschieht, und volle Sicherheit
Fürs Künftige gegeben wird, so kehre
Ich meine Fackel um und lösche sie und bin
Nicht Hymen mehr! Sey Hymen meinetwegen,
Wer Schultern hat, die dieß ertragen mögen!
In eine Gruft des rauhsten Apennin
Will ich zurück mich ziehn und ein Gelübde schwören —
(Beim ersten Tritt von einem Mädchenfuß,
Den er im Schnee erblickt, ganz sachte umzukehren,
Spricht Bacchus laut genug, daß man ihn hören muß)
Und, sag' ich, ein Gelübde schwören,
Der Weiber und des Weins auf ewig zu entbehren!" |
|
Das ist ein grausamer Entschluß,
Erwiedert lachend Bromius;
Das heiß' ich Amors Schuld an deinem Leibe rächen! —
Sey unbesorgt, versetzt der Gott von Lampsakus,
Ich weiß, wie man ihn fangen muß;
Er soll mir bald aus anderm Tone sprechen! |
|
Der Gott der Ehen schwieg, und unversehens trat
Der Spötter Momus auf und bat
Um günstiges Gehör. "Ihr Götter und Göttinnen,
So fing er an, ihr wißt, mir liegt
Daran sehr wenig, wer in dieser Fehde siegt;
Ich werde nichts dabei verlieren noch gewinnen.
Ich bin dem Hymen gut, ich bin auch Amorn gut;
Sie geben beide mir zu lachen,
Und, frisches Blut vel quasi uns zu machen,
Ist keine Panacee, die bess're Wirkung thut.
Kurz, wider oder für, am Ende bin ich immer
Freund der Person, der Sache Feind,
Und selbst mein Spott ist herzlich gut gemeint.
Ich sehe, daß das Frauenzimmer,
Das gegen Amors hier mit Hymen sich vereint,
Aus Sittsamkeit nicht Alles sagen wollte,
Und Schwager Hymen hat, vor Eifer, wie es scheint,
Das Beste, was er sagen sollte,
Vergessen. Oder ist's vielleicht nicht ahndenswerth,
Wie mit uns Göttern selbst der kleine Schalk verfährt?
Ich sage nicht, wer Leda's Schwan gewesen,
Nicht, wer Alkmenen eine Nacht
Drei Sommertage lang gemacht:
Die Dichter geben uns nur zu viel davon zu lesen,
Und unser Ruhm gewinnt nicht sehr dabei;
Indessen gilt der Vorwurf freilich — Allen.
Die Hand aufs Herz und ohne Gleißnerei!
Wer unter uns ist nie in Amors Netz gefallen?
Wird nicht der Vesta selbst ein Buhler vorgerückt,
Den weder Frau noch Jungfrau gern gestehet?
Daß just Silens Grauschimmel drein gekrähet,
War sehr viel Glück für sie; allein es glückt
Nicht immer so; und, hätt' er nicht gekrähet,
Wer sagt uns, hätte man den Buhler fortgeschickt?
So spricht die böse Welt! Man hat nicht immer Zeugen
Von seinem Widerstand', und eine einzige Nacht
Hat große Tugenden schon um ihren Ruf gebracht,
Man darf Selenen nur von ihrem Wagen steigen
Und sich dem schlummernden Endymion nähern sehn,
Sie darf aus Neugier nur auf ihn herab sich beugen,
So ist es schon um sie geschehn,
Sie hat nichts mehr im Wahn der Leute zu verlieren;
Und, sollte gar ihr Mund den seinigen berühren,
So nennt, verlaßt euch drauf, die Welt es einen Kuß;
Und weh' ihr dann, wenn ein Ovidius
Den Einfall kriegt, das Mährchen zu brodiren!
Wir wissen insgesammt, wie weise Pallas ist;
Und dennoch zischelt man von einem feinen Knaben
(Mit Drachenfüßchen zwar), den sie aus einem Zwist
Mit Mulcibern soll aufgelesen haben;
Man spricht nicht gerne laut davon.
Sie wand sich, sagt man, los — und doch fiel Erichthon
Nicht aus dem Mond' herab. Sein Daseyn macht die Sache
Nicht besser. Hatte, wie sie spricht,
Das kleine Mittelding von Feuergott und Drache
Kein näher Recht an ihre Mutterpflicht,
Was trieb sie an, in ihrem eignen Tempel
Den Fündling zu erziehn? Man flieht doch gern den Schein
Und mag an den verhaßten Stempel,
Deß Bild der Unhold trägt, nicht gern' erinnert seyn.
Doch freilich lehrt ein neueres Exempel
Der Götterkönigin, daß gegen Amors List
Die strengste Sprödigkeit noch unzulänglich ist.
"Sie sollte sich mit Ganymeden,
Der so verhaßt ihr ist, vergehn?"
Gut! wenn uns nicht die Danaen und Leden
Zur Rache reizten! — Zwar hat Niemand zugesehn,
Und Iris schweigt, allein die Wände reden.
Des Himmels Chronik ist ein wenig ärgerlich;
Genug davon! Doch, daß die Damen mich
Nicht etwa für parteiisch halten,
Wer weiß die Kurzweil nicht, die Amor täglich sich
Mit unsern Herren macht? die komischen Gestalten,
In die er, wann und wo und wie es ihm gefällt,
Uns übersetzt? wie klein von uns die Welt
Um seinetwillen denkt, und, wenn sie uns verachtet,
Wie recht sie hat? — Der Kriegsgott, spricht man, ist
Der Gott nicht mehr, der Krieg für Lustspiel achtet,
Der Hunger, Durst und Schmerz als Kleinigkeit betrachtet,
Und dem, wenn ja sein Aug' auf eine Stunde sich schließt,
Der harte Grund ein Schwanenlager ist:
Ein Weichling, der an Venus Busen schmachtet,
Ein Attys ist er, ein Bathyll,
Bei Grazien und bei Liebesgöttern
Entwöhnet von den Donnerwettern
Der wilden Schlacht, gepflegt auf Rosenblättern;
Und, rafft er auch einmal sich auf und will
Seyn, was er war in Hektors Heldentagen,
So fühlt er bald die Sehnen ihm versagen.
Apollo selbst, der Gott der hohen Schwärmerei,
Die jene schönen Thaten zeuget,
Auf deren Stufen man zum Sitz der Götter steiget,
Ist nicht Apollo mehr. Die Zeiten sind vorbei,
Da sein Geschäfte war, die Wilden
Am Rhodope zu Menschen umzubilden,
Da Löwen sich, wenn seine Leier klang,
Entzückt zu seinen Füßen schmiegten,
Da Steine, wie beseelt von seinem Zaubergesang,
Sich tanzend in einander fügten,
Und durch der Dichtkunst süßen Zwang
Deukalions Stamm aus Wäldern sich entfernte,
Gesellig ward und Götter ehren lernte.
Entgöttert schleicht im Hain', am Rosenbach,
Der Musengott den Schäferinnen nach;
Der von den Sphären sang, besingt jetzt junge Busen,
Singt von des Kusses Wunderkraft,
Und, ihrem Führer gleich, berauschen seine Musen
Mit Amorn sich in süßem Traubensaft. |
|
"So könnt' ich, liebe Herrn und Brüder,
Das ganze Götterchor durchgehn;
Allein es möchte leicht Satiren ähnlich sehn,
Und diese waren mir, ihr wißt es, stets zuwider.
Ich bin fürwahr kein Rigorist;
Indessen geb' ich zu bedenken,
Ob Amors Lust zu losen Ränken
Des Uebels einzige Quelle ist.
Es wäre viel davon zu sprechen;
Doch Schweigen hat, wie Reden, seine Zeit.
Des Rangen Ungebundenheit
Bleibt allemal ein Polizeigebrechen.
Man muß ihm Einhalt thun. Nur, wie? ist überhaupt,
Wo man verbessern will, zumal in Sachen
Von dieser Häklichkeit, viel schwerer, als man glaubt.
Man kann so bald das Uebel ärger machen!
Bedenket also wohl, ihr Herren, was ihr thut!
Ein Schluß ist freilich leicht zu fassen,
Zumal um Tafelzeit; allein, sich reuen lassen,
Was man gethan, steht Göttern gar nicht gut," |
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So sprach der Patriarch der Spötter,
Der im Besitze war, die andern sel'gen Götter
Und all ihr Thun zu tadeln und zu schmähn;
Und, weil es leichter war, ihn seitwärts anzusehn
Und stumm zu seyn, als ihn zu widerlegen:
So thaten auch die Damen, die es traf,
Was sie in solchen Fällen pflegen.
Die eine stellte sich, als könnte sie dem Schlaf
Nicht widerstehn und schloß die Augenlieder;
Unachtsam gafft die andre hin und wieder,
Spielt mit den Fingerchen an ihrer schönen Hand,
Bespiegelt sich, berichtiget ein Band
An ihrem Latz' und flüstert Kleinigkeiten
Der Nachbarin ins Ohr, als ob sie viel bedeuten,
Die Fächer rauschen auf und zu,
Kurz, keine thut, als ob sie Ohren habe.
Uns scheint dieß nicht der Damen kleinste Gabe,
Wir wünschen ihnen Glück dazu.
Auch Vater Zeus läßt, ohne sich zu rühren,
Die Danaen sich zu Gemüthe führen,
Und Mars, solang der Panegyrikus
Ihm um die Ohren saust, scherzt achtlos mit Auroren,
Fragt, ob ihr Alter noch die Schlafsucht nicht verloren,
Und trägt sich an zu ihrem Cephalus. |
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Der Musengott allein — man weiß, wie leicht die Galle
Den Dichtern schwillt — fährt zürnend auf und kräht,
Als ob die Nymphenwuth ihn plötzlich überfalle.
"Wie, ruft er, wenn vielleicht ein Reimer sich vergeht,
Die Leier zwingt, dem Liebesgott zu fröhnen,
Mit Paphos den Parnaß vertauscht
Und statt der klaren Hippokrenen
In Wein von Beaune sich berauscht,
Soll es der Musen Chor, soll Phöbus es entgelten?
Bekenn' ich mich zu jedem Dichterling'?
Und soll man mich für Amors Sünden schelten?
Wohl weislich spricht Aesop: das schlimmste Ding
In dieser besten Welt sey eines Narren Zunge —" |
|
Halt, lieber Sohn! ruft Zeus vom Thron' ihm zu,
Besänftige dich und schone deiner Lunge!
Man kennt den Momus ja! Sey ruhig, goldner Junge!
Ei! bringt so wenig schon dich um die Seelenruh?
Bemerkst du nicht, wie unsre frommen Damen
Des Spötters Neckerein so ruhig auf sich nahmen?
Ich selber, wie du siehst, ich thu',
Als fühlt' ich nichts, wenn er von hinten zu
Mir Eins versetzt. Mit Leuten seines Gleichen
Gibt sich kein Kluger ab; man sucht ihm auszuweichen:
Und, kömmt er dennoch uns mit seiner Pritsche bei,
Was hilft ein knabenhaft Geschrei?
Das Klügste ist, sich schweigend wegzuschleichen. | —————
Vierter Gesang. |
Die Götter schickten nun, bei wohlverschloss'nen Thüren,
Mit hohem Ernst sich an, in Schachen zu votiren;
Als ein Getös' im Vorgemach
Das weitere Verfahren unterbrach.
Kaum lauscht man stutzend nach dem Orte,
Woher es kommt, so knarrt die goldne Pforte,
Die Flügel rauschen auf, und siehe! Paar an Paar
Schleicht leis' und schneckenhaft ganz Paphos und Cythere
Zum Saal hinein: der Scherze leichte Schaar
Mit düsterm Blick und ungebundnem Haar;
Die Grazien, in lange Trauerflöre
Wie Klageweiber eingehüllt,
Drei echte, heilige Nituschen;
Die Liebesgötterchen, vermummt in Scaramuschen;
Der ganze Zug ein wahres Bild
Des Lustspiels, wo man — weint. Die ernsten Oberalten
Des Himmels hatten Mühe, die richterlichen Falten
Auf ihrer Stirn' in Ordnung zu erhalten.
Was wird daraus noch werden? dachten sie;
Vermuthlich hofft der Schalk, der selber zu erscheinen
Sich nicht getraut, durch dieses Possenspiel
Die Strafe von sich abzuleiten.
Allein sie schossen weit vom Ziel.
Denn, während daß zu beiden Seiten
Die Karawan' im Saal sich auszubreiten
Beschäftigt war, wer, meint ihr, schloß den Zug?
Kein Wunder, wenn das Herz den guten Göttern schlug.
Cupido war es selbst und, o! so ganz Cupido,
Als weder Raphael noch Guido,
Wiewohl des Gottes voll ihn jemals dargestellt;
So schön, daß Vater Zeus für Ganymed ihn hält,
Daß Junons großes Aug' noch eins so feurig spielet,
Und Mutter Cybele, indem sie seufzend sich
Erinnerte, wie sehr ihm Attys glich,
Zum zweiten Mal des Lieblings Wunde fühlet;
So schön, so zart, so voll von ewiger Jugendkraft,
Daß Mulciber in seine Vaterschaft
Mehr Zweifel setzt als je, die Stirne sich befühlet
Und grimmig bald nach Mars, bald nach dem Weingott schielet.
So, Amor, schwebtest du daher,
Und deinen Feinden sank der Muth beim ersten Blicke.
Selbst Hymen spürt schon keine Galle mehr
Und schmiegt verwirrt sich an Vulcan zurücke.
Minerva nur blieb unerschüttert stehn
Und machte Miene, ihr Lied von vornen anzufangen;
Allein Zeus läßt es nicht geschehn
Und nimmt das Wort, indeß mit feuerrothen Wangen
Und halb gesenktem Augenlied,
Wie einer, der sich überwiesen sieht,
Der Liebesgott sich vor dem Throne bücket.
Dem Nymphchen gleich, das seine Fruchtbarkeit
Zum Protokoll laut zu gestehn sich scheut,
Allein, vom Augenschein gedrücket,
Ein schüchtern Mittelding von Weib und Mädchen, steht
Und, unserm Blick den Umstand zu entwenden,
Der das verrätherische Blut
Ihr in die Wangen pumpt, mit ihren beiden Händen,
Was Venus zu Florenz mit einem Händchen, thut:
So stand der lose Gast, den Heuchlerblick zur Erde
Geheftet, da, mit züchtiger Geberde,
Als Vater Zeus beginnt: Mein trauter Enkelsohn,
Es thut mir leid, allein sehr große Klagen
Sind gegen dich den Göttern vorgetragen.
Komm', hurtig! — denn die Tafel ruft uns schon —
Was hast du uns zur Gegenwehr zu sagen?
Bring's in beliebter Kürze vor! vor! |
|
"Nichts, leider nichts! erwiedert Cypripor:
Auch komm' ich nicht, mit losen Rednerstreichen
Ein mildes Urtheil zu erschleichen.
Nur allzu wahr ist, was die Schmähsucht spricht;
Und, wollt' ich leugnen, spränge nicht
Aus euren Augen mir die Wahrheit ins Gesicht?
Ia, ich bekenn' und leugne nicht:
Das Aergste, was Ovid uns angedichtet,
Ist ärger nicht, als was wir angerichtet,
Ich und mein Hofgesind. Wem ist es unbekannt?
Gestohlen ward durch uns aus Pelops schönem Land
Der Leda Schwanenkind; wir hetzten am Skamander
Um nichts und wieder nichts die Helden aneinander;
Wir steckten Ilion in Brand;
Wir trugen Holz zu Dido's Scheiterhaufen;
Wo Fürsten sich mit Bürgerhaaren raufen,
Wo ein Eroberer in durchgeschwärmter Nacht
Die schönste Königsstadt zum zweiten Troja macht,
Um einen Kuß von Thais zu erkaufen,
Mit einem Wort, wo eine Büberei
Verübt wird, seyd gewiß, da sind auch wir dabei.
Durch wen, als uns, ward — Jemand einst zum Farren?
Zum Bock? zum Schwan? zu Allem, was ihr wollt?
Und wird nicht um der Minne Sold
Der Weise täglich noch zum Narren?
Was braucht es Klagen und Verhör?
Hier steh' ich, Götter, und bekenne,
Bekenne, was man mich beschuldigt, und noch mehr:
Verdien' ich noch, daß man mich störrig nenne?
Allein, wie Pallas weislich sprach,
Der Sünde folgt die Strafe billig nach.
Verbannet will die weise Frau mich sehen
Verbannen will ich mich, ihr Wille soll geschehen!
Ich selbst — ersparet euch die Müh',
Ein Urtheil über mich zu sprechen —
Ich selbst will euch an Amorn rächen.
Kommt, meine Grazien, kommt, wir gehn:
Sie wollen's so! kommt, gute Knaben!
Die sollen scharfe Augen haben,
Die hier uns jemals wiedersehn!" |
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Kaum ist das letzte Wort dem schönen Mund entfallen,
So hebt Cytherens lose Schaar
Sich in die Luft; die Trauermäntel fallen,
In schönen Locken fließt der Charitinnen Haar,
Und um die runden Hüften wallen
Gewänder, Rosen gleich in angestrahltem Thau.
Sie ziehn in lieblichem Gewimmel,
Von Zephyrn hoch getragen, durch den Himmel,
Und, wo sie fliehen, welkt sein reines Blau
Und stirbt in freudeleerem Grau.
Doch, eh sie sich den Augen ganz entzogen,
Zerbricht Cupido seinen Bogen,
Wirft ihn herab und ruft den Göttern zu:
Gehabt euch wohl! Wir wünschen euch Vergnügen;
An Amorn soll's gewiß nicht liegen,
Wenn fürderhin nicht unbegrenzte Ruh
Den Himmel wiegt. Nur wähnet nicht, Göttinnen,
Daß, was er thut, er bloß zur Hälfte thu'.
Ihr hofft vielleicht, dabei noch zu gewinnen,
Weil doch mein Brüderchen von linker Hand euch bleibt,
Der, wie verlauten will, euch stolzen Sultaninnen
Oft ingeheim die Zeit vertreibt.
Doch, ihm das Reich zu übergeben,
Das ich verlassen muß verbeut
Die Ehre mir und selbst die Sittigkeit;
Wir werden ihn der Arbeit überheben! |
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So sprach der Gott und lächelt' und verschwand.
Die himmlische Synode stand
Ein wenig dummer da, als mancher vor der Hand
Dem andern merken lassen wollte.
Man that sein Möglichstes, um gutes Muths zu seyn.
Doch, was man kann, und was man können sollte,
Trifft, wie ihr wißt, nicht immer überein.
Gleich bei dem ersten Mahl schleicht sich die Langweil' ein,
Wie sehr die Götter auch sich quälen,
Ein düstres Vorgefühl durch übertriebnen Schein
Von Lustigkeit einander zu verhehlen;
Vergebens! denn sogar der Götterwein
Erfreuet nicht das Herz, wenn Amors Schwestern fehlen.
Man ißt und weiß nicht was, man lacht und fragt warum,
Man öffnet weit den Mund, will reden und bleibt stumm.
Der Witz verläßt den Gott der Musen,
Die Munterkeit den Gott des Weins;
Mercur ruft Heben stets, noch Eins!
Und gafft, indem er trinkt, nach —Vesta's plattem Busen.
Vergebens stimmt der Pieriden Chor
Der glühnden Sappho wärmste Oden,
Zwar etwas schläfrig, an: man hört mit halbem Ohr'
Und bleibt so frostig, als zuvor.
Die Damen sitzen wie Pagoden
In steifer Majestät, nach Juno's Beispiel, da,
Und, schleicht sich auch in einer Viertelstunde
Ein Wort aus einem schönen Munde,
So schnappt der Dialog beim ersten Nein und Ja
Gleich wieder zu: kurz, sumste hier und da
Nicht eine Fliege noch, so dächte man, es stünde
Der Puls der Schöpfung still. Zeus der die Kurzweil liebt,
Fand diese Art zu tafeln sehr betrübt.
Noch nie ward Hebe so geschwinde
Des Dienst's entlassen. Aber, ach!
Die lange Weile schleicht den guten Göttern nach,
Wohin sie fliehn, bis in die Cabinetchen,
Bis in die Lauben von Jasmin
Und auf die nun nicht mehr wollust'gen Ruhebettchen.
Zu bald erfuhren sie, sogar im Têt' à Têt',
Daß ohne der Grazien Gunst nichts wohl von Statten geht.
Vergebens wurde bei Auroren
Die Sommernacht ein wenig lang bestellt;
Selbst für die Heben und die Floren
Geht nun (so unbarmherzig hält
Der Liebesgott sein Wort) die schönste Nacht verloren.
Den schlummernden Endymion
Kann Lunens wärmender Kuß nicht aus der Schlafsucht küssen,
Und zu Aurorens Rosenfüßen
Petrarkisirt, trotz D'Urfé's Seladon,
Der weise Cephalus. Sogar der Gott der Gärten
Schleicht von Pomonen sich ein wenig früh davon
Und schwört, gerichtlich zu erhärten,
Daß einem Manne, wie er, durch alle Zauberei
Von allen Nestelknüpferinnen
Der ganzen Welt, so was noch nie begegnet sey.
Die hintergangenen Göttinnen
Benahmen zwar sich meisterlich
Und sprachen von der Lust der Sinnen
Wie Zenons strengste Schülerinnen;
Doch sage mir nur Niemand, daß man sich
Durch Scenen dieser Art bei ihnen sehr empfehle.
Natürlich dünkt ein schönes Weib
Sich etwas mehr als eine nackte Seele;
Und Metaphysik ist ein schaler Zeitvertreib
Für Nymphen, die in Lauben wachend schlafen
Und sich gefaßt gemacht, anstatt
Dem Günstling zu verzeihn, der nichts begangen hat,
Ihn für Verbrechen zu bestrafen. |
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Wie dem auch sey, so hatten dieses Mal
Die Götter keine andre Wahl,
Als Amors Strafgericht so leicht auf sich zu nehmen,
Als möglich war, und, statt der Weisheit sich zu schämen,
Wozu er sie verdammt, sie, wo nicht angenehm,
Doch ehrenvoll zum wenigsten zu machen.
Diotima's gepriesenes System
Ist, wie ihr wisset, sehr bequem
Zu diesem Zweck. Zu was für schönen Sachen
Gibt es den Stoff! Wie fein es klingen muß,
Wenn selbst Priap, dem sonst der beste Kuß
Zu leichte Speise war, mit schwärmendem Entzücken
Von reiner Liebe schwatzt, sich sättiget an Blicken
Und in demüthiger Distanz
Von seinem Gegenstand, mit einem großen Kranz
Von Agnus castus um die Lenden,
Pomonen überzeugt, ein Busen, dessen Glanz
Den Schnee beschämt, sey nicht gemacht, von Händen
Gedrückt zu seyn, und, einen kleinen Mund,
Der reizend spricht und lacht, um einen Kuß zu pfänden,
Sey Hochverrath. — Wer kann so schön dich sehn
(So fährt Herr Phallus fort, zu krähn)
Und mehr, als dich zu sehn, verlangen?
Die Seele, die dich anschaut, streift
Flugs ihren Körper ab, so wie verjüngte Schlangen
Die alte Haut; sie fliegt empor, durchschweift
Ihr neues Element, die Rosen deiner Wangen,
Die Lilien deiner Brust, vergißt
Der Sinnen letzten Wunsch und fühlt, daß wahrer Liebe
Die Liebe selbst die höchste Wonne ist. |
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Dieß Alles, wir gestehn's, ist schön und gut zum Sagen;
Auch sagen es die Götter oft genug
Den Himmelstöchtern vor; man hört in dreißig Tagen
Und Nächten nichts als dieß. Doch, diesen hohen Flug
Noch dreißig Tage auszuhalten,
Fühlt kein Olympier sich stark genug bekielt.
Ein Andres ist's, wenn man dergleichen wirklich fühlt,
Wie einst Petrarc'. Allein bei unsern kalten
Entgeisterten Verliebten war gewiß
Dieß nicht der Fall: die guten Götter hatten
Nichts Besseres zu thun und sagten Alles dieß,
Von Nacht und Mond und kupplerischen Schatten
Heraus gefordert, bloß in Fugam Vacui.
Die Damen gähnten, traun! noch mehr dabei als sie;
Und, wie das Lustspiel enden mußte,
Erräth sich leicht. Denn trotz der harten Kruste,
Die ihr jungfräulich Herz beschützt,
Kann Pallas selbst den Mann, der zu nichts Anderm nützt,
Als ihr zu Fuß zu liegen und zu schmachten,
Nicht anders als aus Herzensgrund verachten.
Das tugendhaftete Weib flößt gern was Wärmeres ein,
Als was wir bloß für ihre Tugend fühlen,
Und, ohne minder darum der Weisheit treu zu seyn,
Beim ruhigsten Vorsatz, das Feuer nie zu kühlen,
Das euch verzehrt, ergetzt sie innerlich
An seinem Spiel, an seiner Flamme sich.
Worin bestände denn auch, im Grunde, das Behagen
Von einer Lage, wobei sie nichts zu wagen,
Nichts zu verlieren sieht? sich selbst nicht sagen kann,
Dein Sieg ist ein Verdienst, dein Gegner war ein Mann!
Wir unterstehen uns, zu sagen,
Daß dieß sogar auf Bilder sich erstreckt,
Und daß ein Cherub ohne Magen
Und Unterleib in seinem Federkragen
Des frommen Nönnchens Herz nicht halb so gut erweckt,
Als Guido's Amor, zwar divino
Der Absicht nach, allein der, wie ihr wißt,
Darum nicht minder als ein andrer Amorino
Ein sehr vollständig Bübchen ist. |
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Ist diesem so, wer kann den überirdischen Schönen
Verargen, wenn sie sich, sobald Cupido's Fluch
Durch manchen fehlgeschlagenen Versuch
Bestätigt ist, nach andrer Kurzweil sehnen?
So manche schöne Sommernacht
Vorbei gegähnt! Die nie betrogne Macht
Von ihren Reizen nun dem Zweifel preisgegeben!
Und Rachsucht sollte nicht die holden Busen heben?
Der erste Schäfer wäre just,
Was eine Göttin braucht, wenn sie der Rache Lust
Sich geben will; oft ist dabei zu gewinnen:
Allein auch diesen Behelf entbehren die Göttinnen.
Der Erdkreis wird von Amors Interdict
Nicht leichter als der Göttersitz gedrückt.
Den einzigen Trost, den ihnen zu versagen
In Amors Macht nicht lag, war das Talent — zu plagen,
Womit das schöne Volk, zumal vom Götterstand,
Sehr reichlich sich versehen fand.
Die unfreiwilligen olympischen Kombaben,
Wie sollen sie erfahren haben,
Was Schönen können, denen man
Mißfallen hat, und die uns quälen wollen?
Zu unserm Glücke kommt's, wenn wir's empfinden sollen,
Auf einen kleinen Umstand an,
Auf den die Herzensköniginnen
Sich, wie es scheint, nicht allemal besinnen.
Ins Ohr gesagt, ich weiß euch ein Arcan,
Womit die Götter sich so fest als Eisen machen.
Ihr wünscht es mitgetheilt? Wohlan!
Das Ganze ist: zu ihrem Zorn — zu lachen.
Das Mittel ist bewährt; von allen Remediis
Amoris in der Welt hilft keines so wie dieß.
Die Göttin starrt, zum Exempel, mit Augen von Medusen
Dich an und hofft, versteinert werdest du,
Ein Denkmal ihrer Macht, nun da stehn; aber du,
Du bist kein Geck, du hast aes triplex um den Busen,
Du issest, trinkst und pflegst der Ruh
Wie sonst und nimmst, statt abzunehmen, zu,
Und, statt der Quälerin was Dummes vorzuweinen,
Lachst du und gehst davon auf zwei gesunden Beinen.
Verachtung ist ein mächtiger Talisman,
Nur schlagt er nicht so gut in allen Fällen an,
Als wie in dem, worin für ihre Sünden,
Seit Amors Flucht, die Götter sich befinden,
Denn freilich thut ein gewisser geheimnißvoller Instinct,
Den wir in guter Gesellschaft nie unmaskirt erblicken,
Weit mehr dabei, als mancher Göttin dünkt,
Wenn ihre Reize selbst ein weises Hirn verrücken.
Durch ihn setzt oft ein Nymphchen in Entzücken,
Ist eine Ilia und Egeria, überall
Mit Grazien garnirt und tota merum sal
In deinen fascinirten Blicken,
Die dir, wie uns, sobald du nüchtern bist,
Ein sehr alltäglich Thierchen ist.
Ohn' ihn erblickte vielleicht Adonis an Cytheren
Nur abgeschoss'nen Reiz und Rosen im Verblühn;
Ohn' ihn wird Iuno zur Megären,
Zur Galatee ein Austerweib durch ihn.
Sie, deren Lieblichkeit zu hyperbolisiren
Die Göttersprache selbst einst unzulänglich war,
Sind jetzt der Gegenstand von hämischen Satiren.
Auroren wird ihr Rosenhaar
Zur Last gelegt, Dianen ihre Länge;
Mit unbarmherziger, kunstrichterlicher Strenge
Wird jeder Reiz anatomirt,
Und, wie natürlich ist, verliert
Der Reiz dabei. — Bei Amors Zauberfackel
Muß man die Schönheit sehn! Der kalten Tadelsucht,
Die Reiz vor Reiz gerichtlich untersucht,
Ist Hebe selbst nicht ohne Makel. | —————
Fünfter Gesang. |
Nun, liebe Freunde, setzet euch
Ein wenig an der Götter Stelle
Und sagt mir, ist ein Himmelreich,
Wo man einander quält, nicht eine wahre Hölle?
O Amor, Gott der Freuden, kehre um!
(So rufen heimlich Götter und Göttinnen)
O, kommt zurück, ihr holde Charitinnen!
Wo ihr verbannet seyd, da rinnen
Kocyt und Phlegethon, da quälen Plaggöttinnen;
Ach, ohne euch ist kein Elysium,
Ist kein Olymp! — Allein, dieß laut zu rufen,
Verbietet Stolz und falsche Scham.
Sie mußten erst durch alle Stufen
Der langen Weile gehn. Zu welchen Mitteln nahm
Man seine Zuflucht nicht? Bald gab der dicke Komus
Ein prächtig Freudenfest, wobei
Nichts als die Freude fehlt; bald Momus
Ein possenreiches Allerlei,
Das desto mehr die Logen gähnen machte,
Ie lauter Silen und Pan und der Verfasser lachte.
Herr Momus war, wie Dichter meistens sind,
Für seines Witzes Brut an beiden Augen blind
Und sprach im ersten Zorn zu seinem Freund, dem Thiere
Mit langem Ohr: Der Henker amusire
Die Damen und Herren, die nicht zu amusiren sind!
Doch dient es ihm zum Trost, daß Azor und Zemire
Von Monsieur Marmontel nicht bess're Wirkung that.
Die Musen dachten, so was Neues,
Dergleichen der Olymp noch nie gesehen hat,
Muß Wunder thun; allein Apoll verzeih' es
Zemiren-Crato! man fand sie kalt wie Schnee.
Zwar schien das arme Thier von Azor zehnmal ärmer
An Feuer noch, wiewohl der größte Schwärmer
Im ganzen Götterthum, der Sohn der Semele,
Die Rolle spielte; nur der Götter-Assemblee
Ward, wie ihr seht, dadurch nicht desto wärmer.
Wißt ihr was Traurigers im Himmel oder hier
In diesem Jammerthal, wo wir, nach Standsgebühr
Mehr oder weniger, der langen Weile fröhnen,
Als, unergetzt, bei langen frostigen Scenen
Mit Sang und ohne Sang, einander anzugähnen?
Auch hielten's die Schönen des Himmels nicht manchen
Abend aus.
Viel lieber, sprachen sie, hojahnen wir zu Haus
Und schneiden Bilderchen aus und putzen unsre Puppen.
Zuletzt, nachdem man lang' auf neue Kurzweil sann,
Bot die Astronomie sich an.
Seitdem es Sterne gibt, sah man so schöne Gruppen
Um kein Dollondisch Rohr gebückt:
Die Damen schienen ganz von Wissenslust entzückt,
Sie guckten Nächte lang und holten sich den Schnuppen.
Der Wettstreit, wer im schönsten Nachtgewand
Den Sternen Cour zu machen käme,
Trug auch das Seine bei, daß man am Weltsysteme
Und am Planetentanz so viel Vergnügen fand.
Nehmt noch dazu, was allen Lustbarkeiten
(Sogar den fei'rlichen, wozu die Glocken läuten)
So was, wie nenn' ich's? gibt, das sie pikanter macht,
Mit einem Wort, die Zeit der Mitternacht:
So hätte wohl zum Glück der Mondenfinsternissen
Nur Amor noch ins Spiel sich mischen müssen.
Allein, da dieser fehlt, verlor die Warte bald
Den ersten Reiz. Die Nächte waren kalt;
Die Damen klagten über Flüsse
Und Rückenweh' und Drücken auf der Brust:
Man fand, daß man die Wissenslust
Gemächlicher zu stillen suchen müsse.
Versuche folgten nun in Guer'ckens leerem Raum;
Man wiegt die Luft, zergliedert Sonnenstrahlen
Und lernt, warum sie leichter Wolken Saum
Bald blau, bald gelb, bald purpurfarbig malen;
Man mißt den Schall, man zählt den Sand am Meer,
Die Flocken Schnee, die Tropfen Regen,
Die auf das Erdrund ungefähr
Ein Jahr ins andre fallen mögen;
Was mißt und zählt man nicht? —Wenn man mit seiner Zeit
Sonst nichts zu machen weiß, alsdann ist Zeitersparung
Nur Zeitverlust. Die kleinste Kleinigkeit
Wird wichtig dann, und eh die Seele Hunger leid't,
Zieht sie aus Distelköpfen Nahrung.
Noch mehr — vorausgesetzt, daß euer Trismegist
Die Klugheit hat, mit Demonstrationen
Und a +b die Damen zu verschonen,
Wo ist — wenn den Endymionen
Was Menschliches begegnet ist,
Ein Zeitvertreib mit diesem zu vergleichen,
Dem Mütterchen Natur (die keine Zeugen liebt,
Wenn sie den Wangen Roth, dem Busen Lilien gibt)
Bis zur Toilette nachzuschleichen?
Die Schächtelchen, die Büchschen allzumal
Eins nach dem andern aufzumachen
Und tausend wunderbare Sachen,
Wovon euch nie geträumt, aus ihrem Futteral
Herauszuziehn und Stück vor Stück besehen,
Sie, jedes in sein Fach, zurück
Zu legen und — so klug davon zu gehen,
Als ihr gekommen seyd! — Man muß gestehen,
Dieß Spiel ist wohl so gut, als eines in der Welt.
Allein, so sehr es unterhält,
Verliert's doch, wenn ihr's lange spielet,
Der Neuheit Reiz, der anfangs es empfiehlet.
Ein andrer Spaß wird auf die Bahn gebracht;
Die Antlia, die nicht mehr Kurzweil macht,
Muß dem Elektrophor', und der dem Luftball weichen,
Und diesem geht's, wie allen seines Gleichen.
Was wollen wir? da nichts mehr Lindrung gab,
Sank man von Spiel zu Spiel zur blinden Kuh herab.
Vergebens! Amor fehlt, die Charitinnen fehlen!
Die blinde Kuh sogar wird int'ressant durch sie;
Umsonst, umsonst, ihr gute Seelen,
Hofft ihr Vergnügen ohne sie!
Vergebens schwanket ihr von einer Phantasie
Zur andern; ohne sie sind Freuden ohne Freude,
Ergetzt kein Ohrenschmaus und keine Augenweide,
Herrscht lange Weil' und dumme Apathie
Und Ueberdruß und Spleen und Agrypnie
Bei aller Lust, beim schönsten Sommerwetter,
Beim Nektartisch, bei Tanz, Gesang und Symphonie
Sogar im goldnen Saal der Götter. |
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Die weise Frau verzeih' uns, deren Rath,
Zwar wohlgemeint, die schlimme Wirkung that;
Doch unser Sokrates scheint wohl gewußt zu haben,
Warum er stets die schönen Knaben,
In deren Cirkel er sich so gerne finden ließ,
Den keuschen Grazien opfern hieß.
Der Mann that, was wir Alle sollten,
Wofern wir weiser werden wollten:
Er fragte die Natur. Sie war sein Genius
Und seine Pythia. Doch, wohl gemerkt, er fragte,
Wie man, belehrt zu werden, fragen muß;
Und, was sie ihm in Antwort sagte,
Vernahm er recht und ganz. Wem dieß ein Räthsel ist,
Der lass' es sich von Xenophon erklären:
Ein jeder echter Sokratist
Versteht uns. Kurz und gut, Frau Pallas (ihren Ehren
Unschädlich!) hatte wohl die Folgen nicht bedacht,
Da sie den Göttern aus Cytheren
So strenge den Proceß gemacht.
Der Spleen, der nun, seitdem man sie vertrieben,
Den Götterhof erfüllt, der Augen trübes Licht,
Die finstre Stirne, das faltenreiche Gesicht,
Das Unvermögen, was zu lieben,
Die Trägheit, was zu thun, war noch das Schlimmste nicht.
Ist's dahin erst mit uns gekommen,
So nimmt das Uebel zu. Zeus, der die Unterwelt
Regieren soll, regiert, so wie ein Würfel fällt,
Auf gutes Glück und plagt die Bösen und die Frommen.
Minerva, deren Ernst die milden Grazien
Sonst unvermerkt erheiterten,
Ist vor Pedanterei nicht länger aufzustehn.
Der schöne Bacchus wird, seit Amor sich verbrannt,
Mit Satyrn stets bezecht gesehn;
Mars tobt und macht den Sacripant;
Die Musen krähen uns in fremden rauhen Tönen
Kamtschatkische Gesänge vor,
Entsagen, um neu zu seyn, dem Schönen,
Betäuben den Verstand und martern unser Ohr.
Es hieß sogar (wir wollen Bess'res hoffen!),
Sie hätten einst in dickem Gerstensaft
Mit Wodans wilder Brüderschaft
Aus Menschenschädeln sich besoffen.
Genug, der Unsinn ging von Grad zu Grad so weit,
Daß endlich Aeskulap, der Göttern und Göttinnen
Zweimal des Tags mit großer Fei'rlichkeit
Den Puls fühlt, um ihr Blut ein wenig zu verdünnen
Und wieder sie in aller ihrer Sinnen
Nutznießung und Gebrauch zu setzen, nöthig fand,
Auf Amors Rückkehr vor der Hand
In vollem Amtsernst' anzutragen.
Die Krankheit, sprach er, hat die Zirbeldrüse schon
Ergriffen; Alles hier zu wagen,
Ist nichts gewagt. So schlimm Cytherens Sohn
Auch seyn mag, wird er doch bei unsern Frauenzimmern
Und Herren überhaupt im Hirnchen nichts verschlimmern,
Hingegen desto mehr an Laune, gutem Muth'
Und selbst am Herzen besser machen;
Wir leben wieder, scherzen, lachen,
Verdauen, schlafen sanft und machen frisches Blut
Und werden mehr dabei gewinnen,
Als Mancher denkt. — Der Arzt hat Recht,
Rief das olympische Geschlecht.
Man hatte Zeit gehabt, sich besser zu besinnen.
Sogar der Spröden weise Zunft
(Wiewohl sie sich's nicht merken ließen)
War müde, für Minervens Milz zu büßen,
Und sehnte heimlich sich nach Amors Wiederkunft.
Die Sache ging im Götterrathe
Einhellig durch. Es liegt dem ganzen Staate
Zu viel daran, sprach Zeus, daß wir in Einigkeit,
Wie Göttern ziemt, beisammen wohnen!
Stracks sendet man Mercurn mit Propositionen
Nach Paphos ab. Man gab sich etwas bloß,
Dieß ist gewiß; allein die Sehnsucht war zu groß,
Um durch Bedingungen den Frieden zu erschweren.
Ich sage nicht, sprach Momus, daß man es
Vermeiden konnte, just so weit zurück zu kehren,
Als man zu vorwärts ging. — Wohl Recht hat Sokrates:
"So arg der Schalk auch ist, man kann ihn nicht entbehren"—
Dieß sag' ich nur: das, was wir jetzo thun,
War schon gethan, und, hätten wir's beim Alten
Gelassen, wie ich stets für räthlicher gehalten,
So brauchten wir jetzt nicht zu thun,
Was schon gethan war; nun ist Amor unser Sieger!
Dafür, spricht Aeskulap, sind wir um so viel klüger. |
|
Von ungefähr stand mit gespitztem Ohr
Das Eselchen dabei und lachte
In sich hinein: "He? sagt' ich's nicht zuvor?
Die Welt geht, wie ich immer dachte,
So gut sie kann. Sie sollte besser seyn,
Spricht man, dieß fehlt und das! —Ich merk' es auch; allein
Den will ich sehn, der eine bess're machte!" | —————
Nadine.Eine Erzählung in Priors Manier.1762. |
"Nadine, komm' und misch' in deinen Kuß
Den Zauberton, der Philomelens gleichet,
Indeß die Nacht mit unbemerktem Fuß
Den jungen Tag in Florens Arm beschleichet. |
|
"Ein Augenblick wird schon zu theu'r versäumt;
Sie fliehn, sie fliehn mit Flügeln an den Füßen,
Die Stunden fliehn, die unter unsern Küssen
Ein Ouincica am Quell der Lust verträumt. |
|
"Hat meinen letzten Hauch dein Mund einst aufgeküßt,
Was folget uns ins öde Reich der Schatten?
Ach! die Erinnerung, was wir genossen hatten,
Ist mehr vielleicht, als dann uns übrig ist." |
|
So spricht Amynt und drückt, indem er's spricht,
An ihren Schwanenhals sein glühendes Gesicht
Und fühlt, vom Arm der Liebe sanft umwunden,
Den ganzen Werth der eilenden Secunden. |
|
Mit Augen, wo die Traurigkeit
In süße Wollust schmilzt, verschämt, doch hingerissen
Von eurer Macht, Natur und Zärtlichkeit,
Entwind't sie lässig nur sich seinen heißen Küssen. |
|
Die schlaue Nacht zieht jüngferlich bescheiden
Ein Wölkchen, wie vom dünnsten Silberflor,
Dem Seitenblick der spröden Luna vor;
Ein Rosenbusch wächst schnell um sie empor,
Und ungesehn umflattert sie ein Chor
Von Liebesgöttern und von Freuden. |
|
Nur einer aus der kleinen Schaar,
Ein junger Scherz von dreisterem Geschlechte,
Den eine Grazie dem schönsten Faun gebar,
Setzt schalkhaft auf dem braunen Haar'
An deiner Stirn, Nadine, sich zurechte. |
|
Amynt wird ihn zuletzt gewahr
Und will den losen Gaukler fangen;
Allein der Scherz, der leicht von Füßen war,
Entschlüpft und flieht in eins der Grübchen ihrer Wangen. |
|
Auch hier verfolget ihn Amynt.
Nun, denkt er, soll mir's doch in ihren Lippen glücken!
Ja! wäre nicht sein Gegner schnell besinnt,
Den kleinen Gott mit Küssen zu ersticken. |
|
Er zappelt, wie ein junger Aal
Im feuchten Netz', und schlägt und sträubt sich mit den Flügeln,
Bis zwischen sanft erhabnen Hügeln
Von warmem Schnee ein dämmernd Rosenthal
Sich ihm entdeckt. — Er glitscht an einer Leiter
Von Bändern unvermerkt herab.
Umsonst! Der Mund, der keine Rast ihm gab,
Folgt ihm durch Berg und Thal und treibt ihn immer weiter. |
|
Wohin, o Venus, soll er fliehn?
Wo kann er zu entrinnen hoffen?
Wie soll er sich der Schmach, erhascht zu seyn, entziehn?
Wo ist noch eine Zuflucht offen? |
|
So wie ein Reh, vom frühen Horn' erweckt,
Mit raschem Lauf, der kaum das Gras berühret,
Von Bergen flieht, dann steht, die Ohren reckt,
Dann schneller eilt, vom Nachhall fortgeschreckt,
Und sich zuletzt in einen Hain verlieret,
Wo krauser Büsche Nacht ihm seinen Feind versteckt: |
|
So eilt der schlaue Scherz, ganz athemlos vor Schrecken,
So leis' er kann, in eine Freistatt sich,
Wo ihn sein Jäger sicherlich
Nicht suchen werde, zu verstecken. |
|
Der Flüchtling glaubt, in Paphos tiefstem Hain,
Wo, unentdeckt sogar bei Sonnenschein,
Sich Amor oft an Spröden schon gerochen,
Glaubt in Cytherens Heiligthum,
In Dädals Labyrinth, ja im Elysium
Nicht sicherer zu seyn, als wo er sich verkrochen. |
|
Allein der Liebesgötter Schaar,
Die, Bienen gleich, doch unsichtbar,
In Trauben an Nadinens Wangen,
An ihrem Rosenmund', an ihrem Busen hangen,
Bemerkten bald die reizende Gefahr
Und schrieen laut — als es zu späte war:
Ach, Brüderchen, du bist gefangen! |
—————
Erdenglück.An Chloe.
1766 |
Hüpfend, wie das Blut in deinen Adern, scherzet,
Chloe, deine Seel' ihr Daseyn hin;
Keine Ahnung ferner Uebel schwärzet
Deinen freien unbewölkten Sinn;
Alles, däucht dir, ist wie deine Wangen
Rosenroth; gleich Liebesgöttern hangen
Tausend Hoffnungen, von brütender Begier
Sanft entfaltet, gaukelnd über dir.
Jeder Wunsch, der mit Vergnügen schmeichelt,
Scheint die schuldlos: du erfuhrst noch nicht,
Daß der Schmerz sich oft zu Wollust heuchelt,
Und die Hoffnung stets zu viel verspricht. |
|
Ach! warum, o Chloe, sind's nur Träume,
Wenn die Phantasie, mit eitler Schöpfungskraft,
Goldne Welten um uns her erschafft?
Lauter Lust, wohin das Auge gafft,
Lauter Rosen, lauter Myrtenbäumen;
Göttertisch, von Grazien gedeckt,
Nektar aus Tokay in allen Flüssen,
Schlaf auf Schwanen, den zu stillen Küssen
Amor oft, die Sorge niemals, weckt;
Lauter Feste, Tänze, frohe Spiele,
Lauter Unschuld, Eintracht, Zärtlichkeit,
Kurz, der Menschen ganze Lebenszeit
Ein Gewebe lieblicher Gefühle —
Welch ein Traum! — |
|
Von Nanett' im kurzen Unterröcke,
Tristram aus, indem des Mädchens schwarze Locke
Sich im ungelernten Tanz' entstrickt,
Und ihr lächelnd Aug' unwissend Liebe blickt)
"Ach! warum, du, dessen Wohlbehagen
Unsre Freuden schafft und unsre Plagen,
Kann nicht hier ein Mann sich in der Freude Schoß
Niederlegen, tanzen, singen und sein Pater sagen
Und gen Himmel mit Nanetten gehn? |
|
Eitler Wunsch! vielleicht verzeihlich im Entstehn,
Aber dem Gesetz der ernsten Weisheit — Sünde!
Ein Verhängniß, dessen dunkle Gründe
Wir vielleicht in bessern Welten sehn,
Find't für diese Welt ein reines Glück zu schön,
Mischt in jeden Tropfen Lust geschwinde
Zwei von Bitterkeit, gefällt sich (wie es scheint),
Jede Hoffnung selbstgewählter Wonne,
Wenn zu unsern Wünschen Alles sich vereint,
Plötzlich zu verwehn, erfindet jedem Morgen,
Der uns Lust verhieß, unvorgesehne Sorgen,
Gibt die Unschuld oft der Bosheit, dem Betrug
Preis und lohnt die Treu' mit einem Aschenkrug. |
|
Chloe, hoffe nicht, daß innerhalb dem Kreise,
Der den Erdball von dem Sternenfeld
Trennt, die Wonn' uns je ihr himmlisch Antlitz weise!
Ach, sie sinkt nicht bis zur Unterwelt!
Alle diese schönen Luftgesichte,
Deren Name deine junge Brust
Ueberwallen macht, sind bloße Schaugerichte,
Leichte Träum' unwesentlicher Lust!
Freundschaft, Liebe! ach, euch lassen uns die Götter
Nur von fern aus offnem Himmel sehn;
Diesseits her versetzt, sind eure Früchte — Blätter,
Die mit leerem Schmuck das Auge hintergehn! | —————
Celia an Damon.Nach dem Englischen.Collection of Poems Vol. III. p. 140. |
Nein, Damon, länger soll mein Mund
Dich nicht um deinen Sieg betrügen!
Aufrichtig als ich widerstund,
Sollt' ich unedel unterliegen? |
|
Du triumphirst! Was hälf' es mir,
Wenn ich's noch länger mir verhehle?
Ach, diese Spiegel meiner Seele
Verrathen mein Geheimniß dir! |
|
Ja, Damon, ja, du triumphirest,
Mein Herz ergibt sich, es ist dein;
Doch lass', o, laß genug dir seyn,
Daß du es unumschränkt regierest. |
|
Nimm zum Beweise diesen Kuß,
Den ersten, den ein Mann von mir davon getragen;
Nur fordre nicht — ich wär' es zu versagen
Vielleicht zu schwach — was ich versagen muß. |
|
Laß, theurer Jüngling, nicht vergebens
Der Tugend letzten Seufzer seyn!
Das Glück, die Ruhe meines Lebens
Steht nun bei dir, bei dir allein. |
|
Zwar hab' ich gegen dich Entschließungen genommen,
Und Engel hörten meinen Schwur;
Doch, bester Damon, lass' es nur,
O, lass' es nicht — zur Probe kommen! |
|
Sey du vielmehr der Genius
Der Unschuld, die in deinen Schutz sich gibet,
Und die nur darum zittern muß,
Weil sie dich über Alles liebet! | —————
Bruchstücke von Psyche,einem unvollendet gebliebenen allegorischen Gedichte.
1767.Vorbericht.Die bekannte Milesische Fabel von Amor und Psyche aus
dem goldnen Esel des Apulejus, die schon in den frühesten
Jahren unsers Dichters mit einem ganz eigenen Zauber auf
seine Seele gewirkt hatte, bildete sich nach und nach in seiner
Phantasie zu einem idealischen Traumgesicht einer Art
von allegorischer Naturgeschichte der Seele, mit dessen Ausbildung
er viele Jahre lang umging, ohne zu dieser besonderen
feinen Stimmung des Gemüths und dieser äußeren
Ruhe und Muße gelangen zu können, welche ihm zur Ausführung
und wirklichen Darstellung des ihm vorschwebenden
Ideals nothwendige Bedingungen zu seyn schienen. Die Idee
dieser Psyche verfolgte ihn, so zu sagen, wie das Gespenst
einer lieben Abgeschiedenen, das dem Geliebten mit offenen
Armen entgegen schwebt, aber, sobald er es zu umfangen
glaubt, zwischen seinen Armen in Liebe zerflossen ist. Vermuthlich
lag es auch an den Hindernissen, welche die verschiedenen
Lagen des Dichters in dem ganzen Zeitraume zwischen
den Jahren 1758 und 75 der Ausarbeitung eines so
zart gesponnenen psychologischen Feenmärchens entgegen
setzten, daß er sogar über die Art der Einkleidung und den
Hauptton, der durch das ganze Gemälde herrschen sollte, nie
mit sich einig werden konnte.Endlich brachte ihn ein zufälliges Zusammentreffen von
Ideen auf den Einfall, diese Geschichte der Psyche, einer
liebenswürdigen und zur feinsten Art von Schwärmerei aufgelegten
Priesterin, von einem —Platonischen Liebhaber in
einer Reihe schöner Sommernächte erzählen zu lassen. Glücklicherweise
bot sich ihm hierzu die (aus Plutarch bekannte)
zweite Aspasia an, die aus einer Geliebten des jüngern Cyrus,
nach dem tragischen Tode dieses Prinzen, Oberpriesterin
der Diana zu Ekbatana geworden war. Zum Erzähler
machte er einen schönen jungen Magier aus Zoroasters Schule;
und, da ihm diese Form der Erzählung unter allen andern,
die sich nach und nach dargestellt hatten, die schicklichste zu
seyn däuchte, um alle Zwecke zu vereinigen, die er bei diesem
poetischen Werke beabsichtigte: so beschloß er, keine andere zu
suchen, und machte sich an einigen heitern und geschäftfreien
Tagen, die ihm im Jahre 1767 zu Theil wurden, an die
Ausführung.Diese Spiele mit seiner Muse waren ihm in seiner damaligen
Lage, im eigentlichen Verstande, curarum dulce
lenimen; und, wenn es allgemein wahr wäre, daß verstohlner
Weise erzeugte Kinder schöner und geistreicher wären als
andre, so müßten seine in der Canzlei der Reichsstadt Biberach
entstandenen Gedichte nicht geringe Vorzüge vor den
übrigen haben.Aber das angefangene Werk war von einem zu großen
Umfange, — die günstigen Stunden, die er dazu stehlen
mußte, zu selten, — und, die Wahrheit zu sagen, das Gefühl
der Geisteskraft, die zu dessen Ausführung erfordert
wurde, nicht stark und anhaltend genug, als daß er die Lust
fortzufahren nicht ziemlich bald verloren hätte. Er vertröstete
sich selbst mehrere Jahre durch auf gelegenere Zeiten; aber
sie kamen nicht: andere Plane, andere Arbeiten bemächtigten
sich seiner Einbildungskraft; ein Theil des Stoffes, woraus
jenes Werk hätte gewebt werden sollen, wurde nach und
nach im Idris, im Neuen Amadis und in den Grazien verarbeitet;
aus einem andern Theil entstand die Erzählung
"Aspasia" und von dem, was das erste, zweite, dritte und
vierte Buch von Psyche ausgemacht haben sollte, erhielten
sich bloß die Bruchstücke, welche theils in der Vorrede zur
ersten Ausgabe der Musarion, theils als Anhang zur ersten
Ausgabe der Grazien (1770), theils im Deutschen Mercur
(Mai 1774) bereits abgedruckt worden sind und damals eine
so günstige Aufnahme gefunden haben, daß sie hoffentlich des
wenigen Raums, den sie in gegenwärtiger Sammlung einnehmen,
auch jetzt nicht ganz unwürdig scheinen werden.—————
Bruchstücke von Psyche.
Die folgenden Verse sind aus einer Art von Eingang übrig
geblieben, der zu einer im Grunde sehr unnöthigen, aber
damals vielleicht nicht ganz unzeitigen Schutzrede für die
Gattung von Gedichten, unter welche diese Psyche gehören
sollte, bestimmt war.—————
|
Man weiß, daß Pilpai, Trismegist
Und Plato selbst sich oft herab gelassen,
Was von der Geisterwelt zu sagen räthlich ist,
In eine Art von Mährchen zu verfassen,
Wobei, wie blau sie auch dem ersten Anblick sind,
Der beste Kopf zum Denken Stoff gewinnt.
Man pflegt' in jenen Kindheitstagen
Der Welt die Weisheit stets in Bildern vorzutragen;
Und klüglich, wie uns däucht: denn ungebrochnes Licht
Taugt ganz gewiß für blöde Augen nicht.
Die Wahrheit läßt sich nur Adepten
Gewandlos sehn, und manches schwache Haupt,
Das ungestraft sie anzugaffen glaubt,
Erfährt das Los der alten Nympholepten
Und läßt für einen Augenblick
Zweideut'ger Lust sein Bißchen Witz zurück.
Ein Schleier, wie der Morgenländer
Um seine Dame zieht, nicht eben siebenfach,
Doch auch so gläsern nicht wie koische Gewänder,
Verhütet sehr bequem dergleichen Ungemach.
Liebhaber, die Geschmack mit Witz verbinden,
Gewinnen noch dabei. Sie finden
In einem Putz, der weder schwimmt noch preßt,
Viel Schönes sehn, doch mehr errathen läßt,
Die Wahrheit, just wie andre Schönen,
Nur desto reizender. Gemeinern Erdensöhnen
Gefällt doch wenigstens die feine Stickerei,
Der reiche Stoff, der Farben Spiel und Leben;
Sie würden um den Putz die Dame selber geben;
Und was verlören sie dabei? | —————
Alkahest, der junge Magier, der die schöne Oberpriesterin
Aspasia mit dem Mährchen von Psyche unterhalten sollte,
beginnt seine Erzählung mit einer Schilderung der goldnen
Zeit, die in dem ersten Buche der Grazien einen schicklichen
Platz gefunden hat. Und nun fährt die Erzählung des
Dichters folgender Maßen fort:
Hier kommt, mit Recht, ein unaufhaltbars Gähnen
Die aufmerksame Freundin an;
Sie weist dem jungen Mann die schöne Reih' von Zähnen
Im schönsten Munde, der sich jemals aufgethan:
"Und Psyche —gähnt sie aus — war damals schon geboren?" |
Sie zupfen mich zu rechter Zeit, Madame
(Spricht Alkahest), ein wenig bei den Ohren;
Ich weiß nicht, wie ich da ins Phantasiren kam:
Und Psyche — in der That, der Faden ist verloren —
Wir müssen schon zurück! — In dieser goldnen Zeit,
Wovon die Rede war — die Wendung, ich gestehe,
Ist etwas rasch, allein der Umweg war zu weit.
Das Beste scheint mir jetzt, ich gehe
Den nächsten Weg zurück in meine Bahn
Und fange — bei dem Anfang an. |
|
In jenen goldnen Tagen dann,
Wo? gilt uns gleich, lebt' eine junge Dirne,
Das angenehmste Ding, das man
Mit einem Schäferstab' und Rosen um die Stirne
Sich denken mag. Ihr Ursprung — unbekannt:
Es ward davon verschiedentlich gesprochen;
Doch, weil man sie an einer Hecke fand,
Gab der gemeine Wahn, von ihrem Reiz bestochen,
Ihr Dschinnistan zum Vaterland:
Denn ihre Wärterin gestand,
Die Windeln hätten nach Ambrosia gerochen.
Wie dem auch sey, genug aus Leda's Ei
War nichts so Liebliches wie Psyche ausgekrochen.
Sie schien beim ersten Blick die reizendste Copei
Von einem Urbild' aus dem Lande der Ideen:
Ganz Seele, ganz Gefühl, oft bis zur Schwärmerei,
Und dann, die Wahrheit zu gestehen,
Geneigt, im Rausch der süßen Raserei
Den ersten jungen Faun für — Amorn anzusehen,
Auch ihren Neigungen nicht immer sehr getreu;
Gefällig sonst und bildsam, leicht zu leiten,
Oft gar zu leicht, wiewohl zu andern Zeiten
Voll Eigensinn, von Launen selten frei
Und sinnreich, sich aus einer Kinderei
Bald Stoff zur Lust und bald zur Unlust zu bereiten;
Der Ruhe hold und doch nie ruhig; arbeitsscheu,
Doch unermüdet zum Vergnügen;
Leichtgläubig Allem, was ihr neu
Und unbegreiflich schien, und, wenn ihr Herz dabei
Gewann, ein wenig rasch, sich selber zu betrügen;
Doch, ohne daß das gute Herz dabei
An Arges dachte; frank und frei
Von Arglist und von Schadenfreude,
Der Schwermuth herzlich gram, sowie der Gleisnerei;
Kurz, gar ein gutes Kind, das seine Augenweide
An Andrer Wonne sah und, wenn sie selbst der Freude
Sich überließ, in ihrer Phantasei
Rings um sich her gleich Alles glücklich machte,
Fest überzeugt und sehr vergnügt dabei,
Daß eine Welt, worin ihr Alles lachte,
Die beste aller Welten sey. | So war sie, da sie aus den Händen
Der Mutter Isis kam, noch ungebildet zwar,
Doch voller Stoff. Sie auszubilden, war
Der Musen Amt, sie zu vollenden,
Der Grazien. — Was fehlt zur Göttin ihr?
Der Götter Glück. Auch dieß ihr zuzuwenden,
Gebührt allein, o Gott der Liebe, dir!—————
Psyche befand sich unmittelbar in dem Augenblicke, da
dieses Fragment anfängt, in der Gemüthsstimmung, für
einen jungen Hirten, mit welchem sie erzogen worden war,
etwas zu empfinden, das mehr den Namen einer Anlage zur
Zärtlichkeit als einer leidenschaftlichen Liebe verdiente. |
So zärtlich fühlte sich ihr junges Herz noch nie.
Aus Neugier halb und halb aus Sympathie
Zieht sie die Hand, die er ergreift, zurücke,
So reizend ungewiß, daß er an seinem Glücke
Nicht zweifeln kann. Doch, wie er, hoch entzückt,
Die schöne Hand — noch nicht an seine Lippen drückt,
Nur eben drücken will — in diesem Augenblicke
Wird Psyche schnell empor gerückt
Und durch die Luft, verfolgt von seinen Klagen
Wie leichter Flaum von Zephyr fortgetragen. | Mit diesen Versen schloß sich das zweite Buch, und, was
nun folget, machte einen Theil des dritten aus.—————
|
Wo bin ich? Welch ein Ort? Wer brachte mich hierher?
Rief Psyche, da sie sich, als wie von ungefähr,
Auf weichem Moos, beschneit mit Rosenblättern
Und mit Jasmin, an eine Myrtenwand
Gelehnt, an einem Ort, der würdig schien, von Göttern
Bewohnt zu seyn, auf ein Mal wieder fand. |
|
Sie dreht mit zweifelhaften Blicken
Sich schüchtern um und fragt sich, ob sie wacht?
"Träumt ' ich bisher? — Vor wenig Augenblicken,
Wo war ich da? — Nicht hier! — In Hirtentracht
Schien mir die Hand ein Liebesgott zu drücken.
Es war ein Traum! — und doch — Nein, nein,
Es kann kein Traum gewesen seyn!
Er lauscht gewiß in diesen Myrten." |
|
Sie sucht und findet weder Hirten
Noch Liebesgott; ganz einsam ist der Hain,
Nur zärtlich girrende, verliebte Turteltauben
Bewohnen ihn und fliehen nicht vor ihr. |
|
Ihr Wunder steigt und ihre Neubegier
Mit jedem Blick. Was soll sie glauben?
"Wie? ruft sie, war ich nicht kaum eine Schäferin?
War's nur ein Traum, aus dem ich jetzt erwachte?
Das fühl' ich doch, je mehr ich mich betrachte,
Daß ich noch stets die kleine Psyche bin!" |
|
Und dennoch eilet sie zu einer Quelle hin,
Die im Gebüsch ihr Murmeln sichtbar machte,
Ihr erster Blick erkennt die reizende Gestalt,
Mit welchem innigen Entzücken!
Sie streckt die Arme aus, mit liebevollen Blicken
Die schöne Brust, die ihr entgegen wallt,
An ihr aufwallend Herz zu drücken.
So zärtlich liebten sich zwei schöne Schwestern nie.
Sey immerhin der junge Hirt verschwunden!
Verschwunden war er flugs aus ihrer Phantasie
Und alle Welt mit ihm, sobald sie — sich gefunden. |
|
Noch schwebt sie über dem bezaubernden Gesicht,
Als eine Stimme sie in dieser Wonne störet:
Musik war jeder Ton; sie schaut empor und höret,
Doch, wen sie höre, sieht sie nicht. |
|
Kann Psyche noch mit ihrem Schatten spielen,
Sie, die der schönste Gott zum Liebling sich erkiest?
O, wüßte sie, wie schön er ist,
Wie würde sie zu ihm sich hingerissen fühlen!
Sie, die der schönste Gott zu seiner Braut erkiest?
Sie fühlte sich zu groß, mit Puppen noch zu spielen." |
|
So sang die Stimm' und schwieg. Das Mädchen schaut
empor
Und um sich her, sieht Niemand, lauscht betroffen
Dem Wohlklang nach, der im entzückten Ohr
Noch wiedertönt. — "Wer heißt so stolz mich hoffen?
Hört' ich auch recht? Ein Gott, der liebte mich?
Der schönste Gott? — Warum verbarg' er sich?" |
|
"Dein Aug' ist noch zu schwach, sein Anschaun zu ertragen
(Versetzt die Stimm'), obschon gewohnt, dich selbst zu sehn;
Du würdest, Psyche, vor Behagen
Und Wonne, sollt' er dir erscheinen, gleich vergehn." |
|
Auf die Gefahr, denkt Psyche, wollt' ich's wagen,
Und lächelt mädchenhaft ihr Bild im Wasser an.
Sie möchte gern noch dieß und jenes fragen,
Allein die Stimme schweigt. Auch sie verstummt' und sann
Der Wunderstimme nach und dieser neuen Liebe. |
|
"Mich liebt ein Gott! So war es seine Macht
Was mich hierher in einem Wink gebracht?
Der schönste Gott? — Gewiß der Gott der Liebe!
Gewiß er selbst! Noch nie gefühlte Triebe
Und süße Schauer sagen mir,
Sein Hain sey dieß! Wer anders herrschte hier?
O, die ihr euch in diesen Myrten gattet,
Ihr Täubchen, leitet meinen Fuß
Zur Laube hin, die ihn umschattet,
O, zeigt ihn mir, und Psychens erster Kuß
Sey euer Lohn!" |
|
Der süße Lohn. Sie wird auf einem Blumenpfad'
In lieblich irrenden Gebüschen fortgeführet
Und nahet unvermerkt dem angenehmsten Bad'. |
|
Ah, welch ein Anblick! — Rosenhecken,
Mit Epheu unterwebt, verhüllen und entdecken
Zugleich das Lieblichste, was Augen jemals sahn.
Darf sie der Götterscene nahn?
Sie darf. Ein Zephyr schwebt voran
Und zieht den Vorhang weg. O göttliches Vergnügen!
Auf Blumen, welche, leicht wie Geist
Und hell wie Luft, ein sanfter Quell befleußt,
Sieht sie die Huldgöttinnen liegen.
Wie schön gruppirt! Wie reizend schwesterlich!
Zum Spiel beschäftigt, Blumenketten
Um lose kleine Amoretten
Zu winden, welche schmeichelnd sich
Um jeden runden Arm und weißen Nacken schmiegen,
Hier schlau versteckt aus schwarzen Locken lächeln,
Dort sich auf Lilienbusen wiegen
Und ihre rege Glut mit goldnen Schwingen fächeln. |
|
Ein Maler möcht' ich seyn, wie dieser Augenblick
Auf Psychen wirkte, auszudrücken!
Dieß süße Schaudern, dieß Entzücken,
Gemalt von Guido — welch ein Stück,
Die Dresdner Gallerie zu schmücken!
Doch dazu wählt' ich mir den schönern Augenblick,
Da sie, entdeckt vom ganzen kleinen Schwarme
Der Götterchen, den Grazien in die Arme
Getragen wird und (was ihr süßes Staunen mehrt)
Sich Schwesterchen, sich Psyche nennen hört,
An jeden holden Mund, an jede Brust gedrückt,
Der Zärtlichkeit, wovon ihr Herz erstickt,
Sich überlassen darf und küssend und geküßt
Vernimmt, daß Alles hier um ihrentwillen ist. |
|
Indem sie unter so viel Freuden
Sich selbst vergißt, erhascht die kleine Schaar
Den Augenblick, der ihnen günstig war,
Zur Grazie sie umzukleiden.
In einem Wink steht sie gewandlos da,
Beschämt, den losen Blick der Götterchen zu weiden,
Zu denen sie des Streiks sich nicht versah.
Sie schmiegt, um ihnen zu entrinnen,
In Pasitheens Brust ihr glühendes Gesicht;
Die kleine Blöde wußte nicht,
Wie viel die Grazien selbst bei dieser Tracht gewinnen.
Ein lieblich Mittelding von Ideal
Und von Natur, auch zwischen Huldgöttinnen
Noch reizend, steht sie da, der Wahl
Des schönsten Gottes werth, der, hoch aus Rosenlüften
Auf einen Zephyr hingebückt,
Im Geiste sie an seinen Busen drückt. |
|
Und nun, da Amphitritens Grüften
Apollons goldner Wagen naht,
Entsteigen sie dem kühlen Bad.
Schon wallet von den weißen Hüften,
Wie Silberduft, Sokratisches Gewand
Zum schönen Knöchel reizend nieder,
Und Psychen flicht Aglajens eigne Hand
Die Rosen ein, die Amors kleine Brüder
Für sie gepflückt. In einem Myrtensaal
Folgt jetzt dem Bad' ein leichtes Göttermahl,
Von Fröhlichkeit und süßem Scherz gewürzet,
Dem Mahl' ein Lied, dem Lied' ein Grazientanz;
Sie tanzen nymphenhaft geschürzet
Auf kurzem Gras bei Lunens Silberglanz,
Indeß geschäft'ge Amoretten
Für Amors Braut ein sanftes Lager betten. |
|
Den Grazien und den Amoretten
Schließt jetzt auf ihren Rosenbetten
Der weiche Schlaf die Augen zu;
Nur Psychen läßt die Freude keine Ruh,
Sich an dem schönen Ort zu sehen.
Noch faßt sie nicht, wie ihr geschehen;
Nur dieses Einz'ge fühlet sie,
Der Ort, und was sie da gehöret und gesehen,
Sey nicht ein Spiel der Phantasie.
Was läßt nicht solch ein Anfang hoffen?
Geliebt vom schönsten Gott, und, wo sie geht, ein Schwarm
Von Zephyrn und von Amorinen
Und Charitinnen Arm an Arm,
Die neue Venus zu bedienen!
Wem würde nicht der Kopf von solchen Bildern warm!
Auch sieht sie schon den hellen Himmel offen,
Sieht jeden Gott verliebt in Amors Glück
Und Eifersucht in jeder Göttin Blick,
Schwimmt um und um in Glanz und Wohlgerüchen,
In Harmonie und namenloser Lust
Und wird zuletzt — an Amors Brust
Vom Schlummer unvermerkt beschlichen. |
|
Vermuthlich denken Sie — "Ich? spricht die Priesterin:
Sie selbst, wo denken Sie wohl hin,
Zu glauben, daß bei dieser Stelle
Sich was Besondres denken läßt?" |
|
Ich meinte nur, erwiedert Alkahest,
Die Ursach wäre ziemlich helle.
Von Amorn ließe sich, schon seinem Rufe nach,
Ein wenig Hinterlist vermuthen.
Dient ihm sein Pfeil statt aller Zauberruthen,
Wer dächte, daß es ihm am Willen nur gebracht?
Auch öffnet er sich Psychens Schlafgemach
Und schleicht hinzu und — schaut. — Kann Venus schöner
liegen?
Wie sanft sie ruht! Wie schmeichelhaft
Die leichten Träume sich auf ihrem Busen wiegen!
Und was aus eifersucht'gem Taft
Sein irrend Auge niederziehet,
Ein Tithon hätte sich zum Jüngling dran vergafft!
Wie hätte Vater Zeus vor diesem Fuß geknieet,
Der, halb versteckt, nur desto mehr verführt!
Und Amor, der aus Liebe sie entführt,
Er sah noch mehr und — wurde nicht gerührt?
Nichts scheint vom Glaublichen sich weiter zu entfernen,
Ich geb' es zu. Allein wir werden bald
Zwei Amorn unterscheiden lernen,
Halbbrüder zwar, allein an Herkunft und Gestalt
Und Neigung wahre Gegenfüßer.
Der eine find't den Mund unendlich süßer,
Der reizend küßt, als den, der göttlich spricht,
Und ihn versucht die weiseste der Musen
Vielleicht durch einen schönen Busen,
Doch sicherlich durch ihre Weisheit nicht.
Der andre sieht im schönsten aller Busen,
Nichts als — der Unschuld Wiederschein;
Ihm sind nur Seelen schön, und fänd' er an Medusen
Das Innre liebenswerth, sie würd' ihm Venus seyn.
Der Rest ist nichts, warum er sich bekümmert;
Die Tugend, die durch Psychens offne Brust,
Wie durch Krystall, ihm in die Seele schimmert,
Läßt für gemeine Augenlust
Ihm keinen Sinn. — Sie lächeln einer Tugend,
Die kaum mit Puppen noch gespielt?
Doch unser Amor sieht in Psychens grüner Jugend
Den Herbst bereits, den noch die Knosp' enthielt,
Und das Vergnügen, selbst sein Knöspchen zu entfalten,
Ist ihm, der bloß Platonisch fühlt,
Mehr als genug, sein Herz zu unterhalten. |
|
Indessen, ob er gleich das liebe Kind bei Nacht
Nicht in der Ruhe stören wollte,
So war er doch nicht minder drauf bedacht,
Daß sie so schön erwachen sollte,
Wie noch kein Erdenkind erwacht.
Neun Musen, rings um Psychens Bette
Gelagert, wirbelten so reizend in die Wette,
Daß Psyche, die davon erwacht,
Schon im Olymp zu seyn sich gänzlich überredet. |
|
Sie sangen, wie der Krieg, der in der alten Nacht
Das ungestalte Heer der Atomen befehdet,
Auf Amors Wink der Ordnung Platz gemacht,
Wie neue Formen sich zu bilden angefangen
Und, von der Liebe Geist geschwellt,
Voll sympathetischem Verlangen
Die Keime gleicher Art einander angehangen,
Bis durch den Ocean des Aethers Welt an Welt
Gleich Frühlingstagen aufgegangen u. s. w. | ——————
Das Leben ein Traum.Eine Träumerei bei einem Bilde des schlafenden Endymion.
1771.
|
Wie schön, von Luna eingewiegt,
Endymion hier im Mondschein liegt!
Auf seinen Wangen scheint der schönste Traum zu schweben.
Die Wonne, die sein Herz entzückt,
In jedem Muskel ausgedrückt,
Scheint was Vergötterndes dem Sterblichen zu geben.
Du, dem sein Schlaf ein Bild des Todes heißt,
Sieh' hier dich widerlegt! Ist glücklich seyn nicht leben? |
2. |
Wenn Demokrits, des Weisen, Geist
In andre Welten zieht, läßt er den Abderiten
Sein sichtbar Theil zurück. Sie nennen's Demokriten;
Da geht er ja und schwatzt und ißt und trinkt
Und macht es (wie die Herren dünkt)
So gut, als einer ihrer besten.
Und doch betrügen sich die Herr'n.
Der wahre Demokrit ist fern'
Im Geisterreich, bei Jovis Gästen,
Gibt unterwegs vielleicht Besuch dem Mann im Mond
Und irrt, von Welt zu Welt, durch Lamberts Himmelskreise,
Bis in den Raum, wo Niemand wohnt. |
3.Und glaubet nicht, daß etwa dieß der weise
Demokritus ex privilegio
Voraus gehabt. Es geht uns eben so.
Das träge Thier, das wir gewöhnlich reiten,
Ist (wie Pythagoras uns lehrt)
Kein Theil von unserm Selbst, wie des Centauren Pferd.
Was Wunder denn, wenn sich der Geist zu Zeiten
Verändrung macht (denn meistens geht der Trott
Des Thierchens etwas schwer) und, wie sich Anlaß zeiget,
Bald einen Schmetterling, bald einen Liebesgott,
Bald einen Cherub gar besteiget?4.Die letzte Art von Reiterei
Hat (die Gefahr des Schwindels ausgenommen,
Und daß man wissen will, der Ein' und Andre sey
Ein wenig angebrannt davon zurück gekommen)
Den Werth der Schnelligkeit. Ihr kommt in gleicher Zeit
Auf keinem Pegasus so weit
Und steigt so hoch, daß euch (wie dort dem frommen
Stallmeister Don Quixotte's) der Sitz der Sterblichkeit
Ein Senfkorn nur, und wir, die auf zwei Beinen
Uns drauf bewegen, kaum wie Haselnüsse scheinen.5. |
Die Weisen, die zu Fuße gehn
Und nach den überird'schen Kreisen
Bei kaltem Blut durch lange Röhren sehn,
Sind keine Gönner zwar von solchen Seelenreisen
Und fordern trotziglich, ihr sollt, was ihr gesehn,
Durch x und y beweisen.
Bleibt noch so überzeugt dabei,
Ihr habt's gefühlt, gehört, gesehn — mit Geistessinnen:
Bei ihnen ist damit sehr wenig zu gewinnen.
Das große Machtwort Schwärmerei
Löst Alles auf! — Als ob, indem ich seh' und höre,
Am Wie? mir was gelegen wäre? |
6. |
Denkt zum Exempel euch, in aller seiner Pracht
Den ersten besten Schach aus tausend einer Nacht:
Mit aller Majestät, die seines Gleichen kleidet,
Füllt er den goldnen Thron in seinem Divan aus;
Er nickt (im Schlummer zwar), doch dieser Nick entscheidet!
Sein Seneschall macht ein Edict daraus,
Der Staatsversorgung folgt ein Schmaus
Und Saitenspiel und Tanz und Sängerinnen;
Bis endlich mit betäubten Sinnen
Der eingesungne Völkerhirt'
In großem Pomp zu seiner Ruhestätte
Um Mitternacht getragen wird.
Flugs nehmen an dem goldnen Bette
Zwei junge Nymphen ihren Stand,
An Lieblichkeit den Huri's zu vergleichen,
Mit großen Wedeln in der Hand
Von Seiner Majestät die Fliegen wegzuscheuchen.
Nun setzet, daß auf diesem Fuß,
Wiewohl im Wahne bloß, ein Waldheimsbürger lebe,
Worin bestände wohl der Unterschied? — Ich gäbe
Für meinen Theil darum nicht eine hohle Nuß.
Hört, wenn ihr wollt, warum. — Als Dionysius
Die Knaben zu Corinth das Alpha-Beta lehrte,
Anstatt des goldnen Stabs, den ihm das Glück entwand,
Den Birkenscepter in der Hand:
Was, meint ihr, dacht' er da von seinem Fürstenstand?
"Was einer, der im Traum sich Sultan nennen hörte."
War's etwa mehr? — Ich glaube kaum.
Ihm däucht sogar, die ganze Posse währte
Nicht länger als ein Wintertraum.
Denn zwanzig Jahre gehn in einen engen Raum,
Wenn sie vorüber sind; sie werden zu Secunden:
Füllt sie mit Allem aus, was je in frohen Stunden
Ein Glücklicher an Seel' und Leib empfunden;
Sie fliehn vorbei und sind — ein Traum. |
7. |
Wenn Salomo in seinen alten Tagen
Uns predigt: "Unterm Sonnenwagen
Ist Alles eitel Eitelkeit!
Ihr gute Leute, braucht die gegenwärt'ge Zeit!"
War's ohne Zweifel dieß, was Seine Hoheit meinte.
Dieß war's, was bei Gelegenheit
Demokritus belacht', und Heraklit beweinte.
Deßwegen bloß hielt Diogen
Es nicht der Mühe werth, in diesem Traum von Leben
Um wie und um warum sich viele Müh' zu geben;
Und wenn er nicht, um Philipps Sohn zu sehn,
Aus seiner Tonne kriechen wollte,
Und da er eine Gunst von ihm sich bitten sollte,
Ihn bat: so gut zu seyn und seines Wegs zu gehn;
So denket nur, es sey aus diesem Grund geschehn.
Hingegen fand, ich wette, bloß deßwegen
Freund Aristipp, es sey daran gelegen,
Den Augenblick, worin wir sind,
Flugs, eh' er uns entschlüpft, zu etwas anzulegen,
Wovon wir, wenn das Glas zu Ende rinnt,
Uns mit Vergnügen sagen mögen:
"Da lebten wir! Dieß Tröpfchen Zeit,
Nach seinem innern Werth, war eine Ewigkeit!"
Was wollt ihr? Selbst ein Mann von unbescholtnem Leben,
Selbst Epiktet gibt uns den Unterricht:
"Genießen, was die Götter geben,
Sei aller frommen Menschen Pflicht."
Ist Alles gleich nur Luft und Seifenblase,
Gemalte Wolke, Wurmgespinnst
Und Flittergold und Schmuck von buntem Glase,
Kurz, eitel Eitelkeit — Herr Seneca, gewinnst
Du etwa mehr dabei, von unsern Kinderspielen
Dich abzusondern? nichts zu sehen, nichts zu fühlen,
Weil, was man sieht und fühlt, ein Spiel der Sinnen ist? |
8 |
"Gewinnen —(schnarrt mit aufgeworfner Nase
Ein neuer Seneca) man hört an dieser Phrase
Von welcher feinen Zunft du bist!
Gewinnen? — Wisse, daß ein Weiser
Nicht sich, daß er dem Ganzen lebt.
Gold, Diademe, Lorberreiser,
Mit Amors Rosen unterwebt,
Der Künste Zauberei, der Reiz verwöhnter Musen,
Der wollustvolle Tanz, das weiche Saitenspiel
Glitscht schadlos ab an seinem festen Busen,
Sein einzigs, unbeweglichs Ziel
Ist, treu zu seyn den ewigen Gesetzen
Des großen Alls, und Arbeit sein Ergetzen.
Nie macht in seiner Pflicht ihn Furcht und Hoffnung schwank,
Und weder Phrynens Schoß, noch eine Folterbank
Wird über ihn erhalten können,
Die Lust ein Gut, den Schmerz ein Weh zu nennen.
Die ganze Welt verschwöre sich,
Was Unrecht ist, in Recht zu wandeln:
Betrogne Welt! bedauern kann er dich,
Doch anders wird er nicht dir zu Gefallen handeln.
Und träten, wie in Rom geschah,
Die Götter selbst auf Cäsars Seite:
Auch dann, im hoffnungslosen Streite,
Steht Cato ganz allein auf seiner Seite da;
Der Mann des Staats, sein Schutzgeist, sein Berather,
Nur für die Republik Freund, Bruder, Ehmann, Vater;
Der nur für Rom und für die Freiheit lebt
Und, ihren Fall den Göttern zu vergeben
Unfähig, sie zu überleben
Verschmähend, sich in ihrem Schutt begräbt. —
Und, solch ein Leben Traum zu nennen,
Erröthet du im Angesicht
Der Weisen aller Zeiten nicht?" |
|
Freund Seneca, du wirst vergönnen —
Ich rede von der Brust — ich nenn' es: ein Gedicht.
Den Weisen, den du malst, hat ihn ein Weib geboren,
Und floß in seinen Adern Blut,
War er mit Augen und mit Ohren
Versehn und aß und trank, wie unser einer thut,
So war er wahrlich nicht der Mann, den du uns malest!
Herr Stoiker, wir kennen uns, du pralest!
Wir wissen auch, was seyn kann oder nicht:
Dein weiser Mann bleibt ewig — ein Gedicht.
Ich sage mehr! Der Mann, der stets nach Regeln handelt,
Stets Herr ist von sich selbst und niemals sich verwandelt,
Allein für Andre lebt, nichts fürchtet, nichts begehrt,
Kurz, nie was Menschliches erfährt,
Der Mann, wofern er nicht ein Gott ist, ist ein Schwärmer!
In seiner Art ein wenig bess'rer Mann
Als Attila und Gengiskhan,
Als Cromwell Miriweys und andre solche Lärmer.
"Die Tugend? — O, die hat ein Cato selbst nicht wärmer
Geliebt als ich! Sie ehrt sogar der Bösewicht;
Und ohne Gleißnerei, aus Neigung, nicht aus Pflicht,
Ist schöner Seelen Lust, sie fröhlich auszuüben.
Doch selbst die Tugend kann kein Schwärmer weislich lieben. |
9. |
Die Tugend ist den schönen Formen gleich,
Die jungen Künstlern zu Modelen
Ein Polykletus gibt: "Jhr Knaben, hütet euch
Die Schönheitslinie nur ein Haar breit zu verfehlen!"
Sie hält in Allem Maß und Zeit;
Dem strengen Recht vermischt sie Billigkeit;
Sie wird sogar aus zweien Uebeln wählen,
Wenn ihr die Noth die schwere Wahl gebeut.
Fehlt dem geraden Weg, wie öfters, Sicherheit,
Läßt sie die Klugheit sich durch Seitenwege führen;
Und wenn der Widerstand ihr Werk zu hemmen dräut,
So gibt sie etwas nach, nicht Alles zu verlieren. |
10- |
Dieß thut ein Cato nie; sein edler Starrsinn geht
Allein und unverwandt auf seinem eignen Pfade
Und achtet nicht, woher der Wind des Zufalls weht.
Sein Anti-Cato selbst gesteht,
Halb ungern, ein, es sey um seine Tugend Schade:
Sie nahte sich vielleicht dem höchsten Grade,
Allein sie kam ein Säculum zu spät.
Was half es, Porcius, die gute Zeit der Alten,
Des armen Roms gezwungne Mäßigkeit
Der Königin der Welt zum Muster vorzuhalten?
Die Sitten wechseln mit der Zeit.
Soll sich Lucull, bereichert mit den Schätzen
Des goldnen Asiens, der Mehrer seines Staats,
Der Cimon Roms, der Sieger Mithridats,
Wie Curius, zu magern Rüben setzen?
Vergebens hoffest du, durch deines Beispiels Kraft
Die neuen Sitten zu besiegen.
Mit einer Art von schauerndem Vergnügen
Wirst du vielleicht wie einer angegafft,
Der aus der andern Welt zu uns herauf gestiegen;
Doch bald gewöhnt das Auge sich an dich
Und findet deinen Ton und deine strengen Sitten,
Gleich deinem Rock' ahnherrlich zugeschnitten,
Zwar ehrenfest, doch etwas lächerlich.
Von Allen, welche sich für deine Freunde gaben,
War auch nur Einer, der zum Muster dich erkor?
Den Einen wenigstens war's besser nicht zu haben;
Denn dieser Eine heißt Plutarchen selbst ein Thor.
Gestehe nur (wenn das Gesetz der Schatten
In die vergangne Welt dir einen Blick erlaubt),
Die Cäsarn und Pompejen hatten
So Unrecht nicht, wie du geglaubt.
Ein Cato war in Cäsars Tagen,
Was Mancha's Held, als ihn Cervantes schuf.
Aus eigenmächtigem Beruf
Mit Zauberern und Riesen sich zu schlagen
Und, weil der Riesenstamm längst ausgestorben war,
Windmühlen dafür anzusehen;
Dieß oder, so wie du, dem Manne widerstehen,
Der Rom allein zu retten fähig war,
Mich dünkt, es gleicht sich auf ein Haar.
Gut war, dieß ist gewiß, der Wille bei euch beiden:
Wohlthätig, tapfer, keusch, bescheiden,
Stolz ohne Uebermuth, ein Feind von trägen Freuden,
Fromm ohne Gleißnerei, an jeder Tugend reich
War er, warst du; — und wer, der Sinn hat, liebet euch
Von dieser Seite nicht, wünscht nicht, er wär' euch gleich?
Und dennoch stellet ihr, mit allem guten Willen,
Mehr Unheil an als zwanzig Ginesillen.
Wer Tag und Nacht euch in Bewegung sah,
Bewehrt von Kopf bis zu den Füßen,
Stets wachsam, stets bald dort, bald da,
Mit eingelegtem Speer — der hätte denken müssen,
Wenn ihr nicht thätet, würde bald
Die Welt zurück ins Chaos fallen.
Bekenne, Porcius, mit deinen Thaten allen,
Warst du ein Rittersmann von trauriger Gestalt.
Der Widerstand, den du dem Schicksal thatest,
Bewies, wie wenig du von seinem Plan' errathest.
Dem Helden gleich, der auf des schwarzen Berges Höh
Thorheiten that, um Nachruhm zu erwerben,
Gabst du dein Daseyn preis, um unbesiegt zu sterben,
Und deine Tugend war — war seine Dulcinee. |
11. |
Hört eine Wahrheit, liebe Leute!
Nur ärgert euch, ich bitte, nicht daran.
Der Meisten Lebenslauf ist, von der schönsten Seite,
Ein kläglich Lustspiel ohne Plan,
Und ihr Verdienst oft bloß ein angenehmer Wahn.
Kaum daß wir aus dem Traum der Kindheit aufzuwachen
Beginnen, kaum die Freude, da zu seyn,
Durch Ueberlegung uns beginnen wahr zu machen:
So wiegt die Phantasie uns zwischen Lieb' und Wein
In süßer Trunkenheit zu neuen Träumen ein.
"Von Liebesgöttern und Freuden umgeben,
Däucht dem bezauberten Jüngling die Welt
Ein ewiges Paphos, unsterblich sein Leben
Und eine Venus — die Erste, in deren Netz er fällt." |
|
Gesetzt (ein seltner Fall!) daß seine bess're Jugend
Am Arm der Weisheit und der Tugend
In edlern Uebungen verfließt,
Und daß Homer sein Spiel, sein Lehrer Plato ist:
Auch dann, im Mittagspunkt von seiner Weisheit, schwärmet
Sein Kopf, warm wie sein Herz. Dem Unerfahrnen
däucht
Das Leben — ein System und jede Tugend — leicht.
Athen und Rom ist seine Welt,
Sein Genius Sokrates, und Phocion sein Held.
O, warum konnt' er nicht in ihren Tagen leben!
Wie häßlich findet er die Gothen seiner Zeit!
Doch fehlt's der Phantasie wohl an Gelegenheit,
Auch Gothen selbst zu Griechen zu erheben?
Voll von der hohen Würdigkeit
Der Menschheit, o! wie leicht sieht er in ihren Söhnen
Und Töchtern überall Geschöpfe bes'rer Art,
Diotima's in allen sanften Schönen
Und einen Epiktet in jedem — weißen Bart!
Sein Ideal (von Bildern abgezogen,
An deren Schönheit ihm Plutarch und Xenophon
Vielleicht den dritten Theil gelogen)
Ist ihm des Schönen Maß, — ein Gott Timoleon,
Und Alcibiades ein schönes Ungeheuer,
Der stolze Cassius des Vaterlands Befreier
Und nichts als ein Tyrann der Sieger von Anton. |
|
So lebt er unbesorgt im Lande der Ideen,
Glaubt Wunder, wenn er phantasirt,
Wie tief er die Natur studirt,
Und bleibt so unbekannt mit dem, was stets geschehen,
Und ist so ungewohnt, was vor ihm liegt, zu sehen,
Als hätt' ihn ein Komet zu uns herab geführt.
"Nur das, was wirklich ist (wie ihn sein Plato lehret), | Ist unsrer Neigung werth," — Er glaubt's! Und doch bethöretIhn tausend Mal (wie kann es anders seyn,
Solang' er schwärmt?) ein falscher Augenschein.
Was wollen wir? Wie soll er Andre kennen?
Er sieht ja gar sich selbst durch Platons Augen an:
Beglückt vielleicht in seinem Wahn,
So gut als Täuschungen uns glücklich machen können,
Doch stündlich in Gefahr, wenn er (wie Demokrit)
Vor lauter Himmel nicht die Erde vor sich sieht,
An irgend einen Baum die Nase anzurennen.
Und wenn dieß oft genug geschieht,
So weiß ich nicht, wie ich den Träumer nennen wollte
Der nicht zuletzt erwachen sollte.12. |
Wohlan, er werde wach! — Wie lange? — Nur zu
bald
Läßt Göttin Thorheit ihm in anderer Gestalt
Den Zauberkelch entgegen blinken.
Wir werden nie zu weise, noch zu alt,
Ihr süßes Gift mit Lust hinein zu trinken:
Unmerklich schläfert es die Weisheit wieder ein;
Wir träumen fort und glauben wach zu seyn.
Wenn Ritter Don Quixote den besten Platz im Himmel
Und noch vorher in diesem Weltgetümmel
Ein hübsches Kaiserthum sich zu erfechten denkt;
Wenn Sancho hinter ihm, auf seinem frommen Schimmel,
Den Inseln, die sein Herr ihm vor der Hand geschenkt,
Getrost entgegen trabt; wenn Harpax, reich begraben
Zu werden, dürftig lebt; wenn Flor den Schlaf vergißt,
Um einen neuen Stern zuerst begrüßt zu haben;
Wenn, in gelehrtem Staub vergraben,
Sich Rufus blind an alter Mönchsschrift liest;
Marullus sein Gehirn mit Wörtern so belastet,
Daß selbst Homer — für ihn nur Wörter schreibt;
Wenn (was, auch wenn's geschieht, noch unwahrscheinlich
bleibt)
Ein Bonz' in vollem Ernst sich zur Pagode fastet;
Wenn Niphus, als getreuer Hirt,
Nach siebzig Wintern noch verliebte Seufzer girrt;
Wenn Brutus, ein Gespenst von Freiheit zu erlösen,
Aus Tugend lasterhaft, zum Vatermörder wird,
Und Timon, um von allem Bösen
Auf einmal frei zu seyn, in eine Wildniß irrt:
Was sind sie wohl? — Und sie, die man uns anzupreisen
Gewohnt ist, ohne recht zu wissen, was man preist,
Die ganze Zunft der Helden und der Weisen
(Den nehm' ich höchstens aus, den Delphi weise heißt),
Der Virtuosen und — der Reimer,
Wo sie am besten sind, was sind sie sonst, als Träumer?
Traum ist der Wahn von ihrer Nützlichkeit!
Die Hoffnung Traum, als ob noch in der spätsten Zeit
Ihr Nam' im Reihn der Götter unsrer Erde
Auf allen Lippen schweben werde!
Traum der Gedank', als ob ganz Paros Marmors kaum
Genug besitze, drein zu graben,
Durch welche Thaten sie die Welt verpflichtet haben!
Kurz, ihr Bemühn, ihr Stolz, ihr ganzes Glück — ein
Traum! | —————
Beilagezu dem vorstehenden Gedichte.Ein schlafender Endymion, den ich einst in einer müßigen
Stunde mit Vergnügen betrachtete, brachte mir eine Stelle
aus dem Cicero in den Sinn, wo dieser große Schriftsteller
bei Gelegenheit des Satzes, "daß der Mensch zur Thätigkeit
geboren sey," sagt: "Und wenn wir auch versichert wären,
daß wir die angenehmsten Träume von der Welt haben sollten,
würden wir uns doch Endymions Schlaf nicht wünschen;
im Gegentheil, der Zustand eines Menschen, dem dieß
begegnete, würde in unsern Augen um nichts besser seyn,
als Tod."Diese Stelle führte mich zu einer Folge von Betrachtungen
über den Gegenstand des berühmten Monologs in
Shakspeare's Hamlet — "Seyn und Nichtseyn;" — einen
Gegenstand, der dem gedankenlosen Haufen so klar und einfach
vorkommt, daß sie nicht begreifen, wie man etwas darüber
sollte denken können, während der Philosoph mit Schwindeln
in die Tiefe desselben hinab sieht.Es war an einem schönen Sommertage, und ich befand
mich eben ohne irgend etwas, das meinen Geist verhindert
hätte, sich aus dem ersten besten Gegenstande, der sich ihm
anbieten mochte, ein Geschäft zu machen. Ein Ueberrest von
der Laune, welche den neuen Amadis geboren hatte, machte
meine Gedanken in Verse hinfließen; und so entstand das
Gedicht, welchem Herr Boie einen Platz in seiner poetischen
Blumenlese auf das Jahr 1778, S. 81, einzuräumen beliebte.
— Ein Gedicht, welches mehr einem Werke der Natur als
der Kunst ähnlich sieht und keinen andern Plan hat, als die
oft unsichtbaren Faden, wodurch freiwillige Gedanken in
einem Dichterkopfe zusammen hangen, aber, seiner anscheinenden
Unordnung ungeachtet, ein Ganzes, in der kunstmäßigen
Bedeutung dieses Wortes, geworden wäre, wenn die
Dazwischenkunft zufälliger Umstände dessen Vollendung nicht
verhindert hätte.Der Grundriß davon ist ungefähr dieser:"In jeder Vorstellung, die für die Seele Empfindung ist,
ist subjective Wahrheit. Endymion hat in seinem langen
Traume die angenehmsten Gesichte. Es sind Einbildungen;
aber diese Einbildungen haben für ihn die Stärke wirklicher
Empfindungen: er genießt, weil er zu genießen glaubt. Das
Daseyn dieser angenehmen Gegenstände außer seinem Gehirne
— würde die Wonne dieses Genusses nicht vergrößern. Was
geht es ihn an, ob sie für Andre, ob sie für sich selbst wirklich
sind? Sie sind wirklich für ihn: dieß ist ihm genug.
Er ist in diesem Falle so glücklich, als in jenem. — Wohl
bemerkt, daß hier der Zustand, worin er sich vor diesem langen
Traume, wovon die Rede ist, befunden, und der Zustand,
in welchen er durchs Erwachen versetzt werden mag,
hier in keine Betrachtung kommt. —Sein Zustand während
des besagten Träumens ist also vom Tode so verschieden, als
Leben und Tod verschieden sind, und Cicero hat Unrecht."Unsre Seele kann auch wachend träumen. Der speculative
Weise — ein Demokrit, zum Beispiel, der (wie Horaz
sagt) sein Vieh auf seinen Aeckern weiden läßt, indessen sein
Geist in idealischen Welten herum wandert —oder ein Begeisterter
aus einer andern Classe, der, wenn wir andere
Erdensöhne uns auf gewöhnlichen Steckenpferden erlustigen,
auf einem Cherub in die unsichtbaren Welten hinein trottet
— Leute von dieser Art gelangen oft dazu, von dem, was
sie wachend träumen, von ihren Hypothesen, Vermuthungen,
Wünschen, sich so stark zu überreden, als ob es empfundene
oder erwiesene Wahrheiten wären. Ohne es zu bemerken
oder bemerken zu wollen, däucht ihnen die Fertigkeit, womit
sie sich ihre Einbildungen anschauend denken, für die Gewißheit
derselben gut zu sagen. Was sah nicht Poiret, dieser
scharfsinnige Vernunftkünstler, nachdem er es einmal bis
zu der muthigen Entschließung gebracht hatte, die Realität
der Gesichte einer Antoinette Bourignon a priori zu beweisen?
Was sind die wunderbarsten Feenmährchen gegen die
erstaunlichen Träume, womit sein Buch von der Oekonomie
Gottes angefüllt ist? Und was für ein demonstratives Ansehen
hat er diesen Träumen nicht zu geben gewußt?"Die Seher dieser Art finden einen wesentlichen Theil
ihrer Glückseligkeit in dergleichen Träumereien, welche für
sie Wahrheit sind; und sie würden Ursache haben, denjenigen,
die sie ihrer Gesichte berauben, sie dadurch in den Stand
gemeiner unbegeisterter Menschen setzen wollten — wie jener
Argeer (der, in einer Art von Wahnsinn, ganz allein im
Schauplatze sitzend die schönsten Tragödien zu hören glaubte)
seinen Freunden, welche ihn mit Niesewurz geheilt hatten —
statt des Dankes zuzurufen: Pol me occidistis."Doch wozu haben wir nöthig, unsre Beispiele aus der
Classe der ungewöhnlichen Menschen herzuholen? Ist nicht
das Leben der Meisten eine Kette von angenehmen oder unangenehmen
sinnlichen Eindrücken und Vorstellungen? Gesetzt,
es wäre aus Allem, was die Sinne vergnügen und berauschen
kann, zusammen gewebt und dauerte so lange, als
Nestors Leben; wenn es vorüber ist, was ist es Andres, als
ein verschwundener Traum?"Von jeher fanden die Weisen, daß es so leicht nicht sey,
als Viele meinen, sich zu überzeugen, daß Alles, was einem
Sterblichen unterm Monde von seiner Geburt an bis zum
Erwachen in eine andre Welt (denn was ist der Tod Andres?)
begegnet, etwas mehr als ein langer Traum sey, in welchem
die Sachen nur allzu oft wenig ordentlicher, weiser
und zweckmäßiger zugehen, als in einem Sommernachtstraum."Vermuthlich dachte der weise Salomo so etwas, da er
sein berühmtes "Eitelkeit der Eitelkeiten" über Alles, was
unter der Sonne ist, ausrief."Aus diesem Grunde fand es vermuthlich Diogenes nicht
der Mühe werth, in einem Leben, das einem Traume so
ähnlich ist, sich den Kopf darüber zu zerbrechen, wie und
warum wir so und nicht anders träumen? — oder, wenn
er in seiner Tonne gemächlich lag, sich heraus zu begeben,
um bei Alexandern Gefahr zu laufen, auf persischen Polstern
übel zu liegen. Aber aus eben diesem Grunde fand
Aristipp, indem er die Sache von einer andern Seite betrachtete,
daß nichts thörichter wäre, als in einem Leben,
worin der künftige Augenblick so wenig in unsrer Gewalt ist,
den gegenwärtigen ungebraucht oder ungenossen entschlüpfen
zu lassen."Ein weiser Mann, sagt er, geht nicht auf die Jagd des
Vergnügens aus — denn wie oft findet man gerade das
Gegentheil dessen, was man sucht! — Aber ein unschädliches
Vergnügen, das man — wie ein Wanderer im Vorübergehen
eine Blume, die an seinem Wege steht —pflücken kann, nicht
zu pflücken, würde eine große Sünde — gegen uns selbst seyn."Man hat dem ehrlichen Aristipp diese Maxime übel ausgedeutet,
und gleichwohl enthält sie mit Grunde nichts, als
einen Gedanken, welchen Epiktet noch stärker und ernsthafter
ausdrückt, da er sagt: "Es würde Gottlosigkeit seyn, die Annehmlichkeiten,
womit uns die Götter dieses mühselige Leben
versüßen wollen, zu verschmähen."So weit spricht der Dichter der zufälligen Rhapsodie, von
welcher wir hier den Entwurf geben, gleichsam mit sich selbst.
Aber nun fängt er zu dialogiren an — denn, in der That,
die besten Monologen schläfern ein, wenn sie zu lange währen.
Er stellt sich einen Stoiker vor, der ihn behorcht hat
und über die Maxime des Aristipps oder überhaupt über
den Ton, worin der Dichter von Träumen und Leben vernünftelte,
den Kopf schüttelt. Er redet ihn an:"Du hörest, sagt er , daß ich nicht viel dawider einwenden
werde, wenn du alle Vergnügungen der Sinne und der
Einbildung —wenigstens in Rücksicht auf ihren Gegenstand,
auf ihre Dauer und auf ihre Ungewißheit — für eitel Eitelkeit
erklärest, Aber, guter Seneca! wenn dieß nun einmal
das Los der Erdenbewohner wäre: was gewännest du dabei,
wenn du dich von unsern Kinderspielen absondertest, in deinem
Winkel ernsthafte Grillen fingest und nichts Angenehmes
fühlen, sehen, hören, schmecken und riechen wolltest,
weil Alles, was wir fühlen, sehen, hören, schmecken und
riechen, ein Spiel der Sinne ist?"Der Stoiker antwortet dem Dichter, der ihn in der Person
Aristipps anredet, in dem hohen Tone, der diese Secte
unterscheidet. "Der Weise, spricht er, hat andere Dinge zu
thun, als sich zu belustigen. Lebt er etwa für sich selbst?
Was ist Vergnügen oder Schmerz für den Mann, der nichts
bedarf, nichts wünschet, nichts fürchtet? der keine andere
Gesetze kennt als das ewige Gesetz des Rechts, und unbeweglich
der Einzige auf seiner Seite bleibt, wenn gleich die
ganze Welt zum glücklichen Laster überginge? Immerhin mag
das Leben eines Crassus, eines Antonius, eines Cäsars
den Namen eines Traumes verdienen; aber das Leben eines
Cato — ist das Leben eines Gottes!"Natürlicher Weise kann der Dichter seinen Aristipp nicht
sogleich verstummen lassen. Dieser hat noch etwas zu sagen,
eh' er schweigen muß; und es wäre unbillig, ihn mit Strohhalmen
fechten zu lassen, da es ihm nicht an bessern Waffen
fehlt. "Es steht bei dir (erwiedert Aristipp), einem in
deiner Phantasie erzeugten Menschen die Eigenschaften, die
Selbstgenügsamkeit, die unabhängigkeit, die immer weise.
immer wohlthätige Wirksamkeit, mit einem Worte, die
ganze Größe des vollkommensten Wesens zu geben. Aber,
was nicht bei dir steht, ist, uns auf dem ganzen Erdboden
einen Menschen zu zeigen, der diesem Ideal, das du den
Weisen nennest, gleich wäre. Die Rede ist von Erdensöhnen,
und du sprichst uns von einem Gott. Denn dieß ist der
Weise, den du ohne Leidenschaften, ohne Ungleichheiten,
ohne Bedürfnisse, ohne Schwachheit schilderst: er ist ein Gott
oder — ein Schwärmer, dem es träumt, daß er ein Gott
sey. Dein Cato zum Exempel —"Bei diesem Namen brennt der Stoiker auf. "Wie? (ruft
er) und selbst einen Cato, selbst den Helden der Tugend,
verschont dein sträflicher Leichtsinn nicht?""Die Tugend (antwortet jener)— dieß Wort umfaßt
Alles, was gut, schön und groß ist! Aber die Tugend gibt
keinen Freibrief gegen das Urtheil der gesunden Vernunft,
und nicht Alles ist Tugend, was ihren Stempel trägt. Die
Tugend ist die Göttin der schönen Seelen; nichts ist liebenswürdiger
als sie; aber ein Schwärmer, ein Mensch, der
nicht Herr von seiner Einbildung ist, kann die Tugend selbst
nicht weislich lieben. Dein Cato, mit allen seinen großen
Eigenschaften, war gleichwohl nur ein Don Quixote: er
kämpfte sein ganzes Leben durch mit phantasirten Ungeheuern,
wie dieser mit Riesen und bezauberten Mohren. Es ist wahr,
er liebte die Tugend über Alles, er blieb ihr getreu — bis
sie ihn auf eine gar zu harte Probe setzte; er unternahm
das Unmögliche für sie; aber seine Tugend — war eine
Dulcinee."———
Hier wurde der Dichter unterbrochen. Andre Beschäftigungen
brachten ihm dieses Spiel einiger müßigen Stunden
aus dem Sinne, und seine Rhapsodie blieb ein Fragment.
Seinem ersten Plane nach sollte es hier nicht aufgehört haben.
Nicht der Stoiker sollte siegen; aber sein vorgeblicher
Aristipp eben so wenig. Der Dichter wollte in seiner eigenen
Person zwischen sie treten und Friede unter ihnen machen.
Er wollte in einem lebhaften Gemälde gegen den Stoiker
vorstellen, wie viel Chimäre, wie viel Träumerisches selbst
in dem Leben der besten Menschen ist. Aber er wollte auch
in der warmen kunstlosen Sprache der Empfindungen gegen
Aristippen beweisen: "daß die Thätigkeit des Weisen und
Tugendhaften allein den Namen eines wahren Lebens verdiene,
und daß, mitten unter den angenehmen oder unangenehmen
Täuschungen unsrer innern und äußern Sinne,
die Vervollkommnung unser selbst und die Bestrebung, alles
Gute außer uns zu befördern, unserm Daseyn Wahrheit,
Würde und innerlichen Werth mittheilen, und ein Leben,
welches ohne sie der Zustand einer sich einspinnenden Raupe
wäre, zu einer Vorübung auf eine bessere Zukunft, zu einem
wirklichen Fortschritt auf der langwierigen, aber herrlichen
Laufbahn machen, auf welcher die Geister einem Ziele, das
sie nie erreichen können, sich ewig zu nahen bestimmt sind."Dieses unvollendete Gedicht, wovon bisher die Rede gewesen
ist, sollte der Absicht des Dichters nach entweder
vollendet werden oder, wenn es Bruchstück bliebe, unter
zwanzig andern verunglückten Geschöpfen der Laune, unbemerkt
vermodern. Aber sein Schicksal wollte es anders. Der
ehemalige Herausgeber des Göttingischen Musenalmanachs
ersuchte ihn, mit einer so verbindlichen Art, um einen kleinen
Beitrag zu seiner Blumenlese für das Jahr 1773, daß
es unserm Dichter um so weniger möglich war, ihn mit
Entschuldigungen abzuspeisen, da viele freundschaftliche Dienste,
wodurch Herr B. ihn verpflichtet hatte, der Verweigerung
einer so geringen Gefälligkeit einen Schein von Unerkenntlichkeit
zu geben schienen. Gleichwohl fand sich unter seinen
Papieren nichts, als dieß nämliche Bruchstück, was im Nothfall
den Mangel eines vollendeten Stückes einiger Maßen
ersetzen konnte. Er schickte es ihm also zu, mehr zum Zeichen
seines guten Willens, als in der Meinung, daß es eines
Platzes in einer Sammlung, die mit den Namen unsrer
besten Dichter prangt, würdig sey. Ein freundschaftliches
Vorurtheil hieß den Herrn B. anders denken, und so wurde
dieses Fragment der Welt bekannt.Was sich der Verfasser von dem Urtheile, das Manche
darüber fällen würden, zum Voraus vorgestellt hatte, traf
nun ein. Er vermuthete, daß die wackern Leute, die ihn
(damals wenigstens) nicht verstehen konnten oder wollten,
auch dießmal nicht errathen würden, was er mit diesen zufälligen
Gedanken über einen schlafenden Endymion beabsichtigt
haben könne. Und so erfolgte es. Man fand sehr ärgerlich,
daß er von Aristipp in einem Tone, der wenigstens keine
deutliche Mißbilligung merken läßt, gesagt hatte: |
Und eine Lust in Unschuld, die ein Mann,
Wie einen Schmetterling, geschwinde
In seinem Wege haschen kann,
Nicht haschen, hielt der weise Mann
Für eine Sünde. | Aber noch ärgerlicher fand man, daß er sich nicht gescheuet
hatte, eine höchst anstößige Vergleichung zwischen dem
Tugendhelden Cato und dem irrenden Ritter Don Quixote
von Mancha anzustellen, ja die Tugend des erstern gar für
eine bloße Dulcinee auszugeben. "Dieß ist entsetzlich! sagte
Iemand, dessen Namen wir aus billiger Schonung verschweigen:
Dulcinee, so zärtlich und inbrünstig sie auch von dem
Ritter von Mancha geliebt wurde, war im Grunde doch
weder mehr noch weniger, als eine Chimäre. Wenn also
Cato's Tugend eine Dulcinee war, so war sie ein bloßes
Hirngespinnst. Welche Lästerung!" —Gleichwohl hat es eine
Menge gelehrter Männer, ja sogar heilige Kirchenväter gegeben,
welche mit Cato's Tugenden noch weit unfreundlicher
umgegangen sind. Eine Chimäre ist, nach der Erklärung
der Gräfin Orsina, ein Ding, das kein Ding ist; und ein
Ding, das kein Ding ist (sagt eben diese kluge Dame), ist
so viel als gar nichts. Nun frage ich alle ehrliche Leute,
ob es ihnen nicht auch so zu Muthe sey, wie dem guten
Plutarch, der irgendwo sagt: "Ich würde mich weit weniger
beleidigt halten, wenn man von mir sagte: Es gibt keinen
Plutarch, es ist nie ein solcher Mann wie Plutarch gewesen,
Plutarch ist eine Chimäre; als wenn man sagte: Plutarch
ist ein hoffährtiger, ungerechter, neidischer, hartherziger, boshafter
Mann." — Gesetzt nun auch, der Dichter hätte Cato's
Tugend eine Chimäre genannt: was wäre dieß gegen das,
was der heilige Augustinus gethan hat, da er die Tugenden
Cato's und aller andern weisen und guten Heiden geradezu
für Laster ausgibt? Wer vergreift sich wohl mehr an Cato's
Tugend, derjenige, der sie für eine Dulcinee hält, oder die
unendliche Menge von Theologen, die den guten Mann
zusammt seiner Tugend — in die Hölle geworfen haben?
Wenn der Dichter dieß Letztere gethan hätte, hätte er nicht
die ehrwürdigsten Autoritäten und eine unendlich überwiegende
Mehrheit der Stimmen auf seiner Seite? Aber er hat nie
einen solchen Gedanken gehabt. Er ist ein gutherziger Mensch,
der gern lebt und leben läßt, aber, wie Plato, es den Poeten
ein wenig übel nimmt, wenn sie dem Vater der Natur ungerechte
und seiner unwürdige Dinge nachsagen. Er hat
Cato's Tugend nicht einmal für eine Chimäre ausgegeben,
wiewohl er sie eine Dulcinee genannt hat. Sollte der ungenannt
bleibende Iemand nicht aus der Geschichte des Ritters
von Mancha gewußt haben, daß Dulcinee keine Chimäre,
sondern ein hübsches Bauernmädchen von Toboso war, Alonza
Lorenzo genannt, welche dadurch nichts von ihrer Wirklichkeit,
Personalität, auch übrigen Eigenschaften und jungfräulichen
Ehren verlor, daß der Ritter sie in seiner Einbildung
zu einer Prinzessin von Toboso und zur Dame seiner Gedanken
erhob? Und hier liegt eigentlich der Vergleichungspunkt,
welchen der Ungenannte zu übersehen beliebte. Der Dichter,
indem er von Cato sagt — und deine Tugend war nur eine
Dulcinee — sagt weiter nichts als dieß: Cato liebte die
Tugend, wie Don Quixote die schöne Alonza Lorenzo liebte.
Beiden war es vollkommener Ernst damit. Aber in beider
Köpfen stand es nicht so ganz richtig. Don Quixote erhob
das Bauernmädchen Alonza Lorenzo in seiner Einbildung zu
einem Ideal der Schönheit und weiblichen Vollkommenheit;
und von diesem Augenblick an war sie für ihn nicht mehr
Alonza Lorenzo, sondern die Prinzessin Dulcinea von Toboso.
Csto machte sich ein Ideal von der politischen Tugend, welches
nicht die Tugend eines weisen Staatsmannes, sondern die
Tugend eines politischen Schwärmers war; und eben dadurch
hörte sie auf, echte Tugend zu seyn, und wurde für ihn eben
das, was Dulcinee für den Ritter von Mancha. Die Tugend
konnte nichts dafür, daß Cato sich übertriebene Begriffe
von ihr machte: so wie Alonza Lorenzo nichts dafür konnte
und sich wenig darum bekümmerte, daß Don Quixote sie zu
einer Dulcinee erhob. Diese war darum nicht weniger
Alonza Lorenzo, jene nicht weniger Tugend; und der Ungenannte
gab sich also eine sehr undankbare Mühe, da er dem
Dichter in einer langen gereimten Epistel aus Gründen,
die keinem Schulknaben unbekannt sind, bewies, die Tugend
sey keine Chimäre. Davon war ja gar die Rede nicht; und
der müßte wohl ein übel organisirter, unglücklicher Mensch
seyn, der eines solchen Beweises vonnöthen hätte. Ob die
Tugend eine Dulcinee sey, kann unter vernünftigen Leuten
niemals eine Frage seyn. Aber ob Cato's Tugend eine
Dulcinea war, darüber läßt sich wenigstens reden; und wer
es behauptete, wäre darum noch lange kein Mensch, gegen
welchen man das Kreuz predigen müßte.Es lassen sich zwar ganz gute Gründe angeben, warum
Esprit, Mandeville und Andre, welche ganze Bücher über die
Falschheit der menschlichen Tugenden geschrieben, der Tugend
eben nicht den wichtigsten Dienst dadurch geleistet haben.
Denn Montaigne hat sehr Recht, da er sagt: "Man gebe
mir die allerschönste und reinste Handlung, und es müßte
mir übel fehlen, wenn ich nicht ganz wahrscheinlich funfzig
schlimme oder unlautere Beweggründe dazu finden wollte."
— Aber wer sich darum ein Bedenken machen wollte, die
Tugend eines Dion, Cato, Seneca, Julian oder irgend eines
andern Sterblichen, den man für ein Muster gibt, zu prüfen,
um das Echte von den Schlacken, das Uebertriebene von
dem Wahren darin abzusondern, würde dem abergläubischen
Andächtler gleichen, der aus Furcht, zu wenig zu glauben,
dem Gebrauch seiner Vernunft entsagte und lieber Gefahr
laufen wollte, die ungereimtesten Mährchen für Wahrheit
anzunehmen, als zu untersuchen, ob der Gegenstand seines
Vorurtheils die Hochachtung auch wirklich verdiene, die er
auf Hörensagen demselben gewidmet hatte.Ueberhaupt scheint der Ungenannte sehr übel zu finden, daß
man sich die Freiheit genommen, einen so ehrwürdigen Mann,
wie Cato, mit einem so großen Narren, wie Don Quixote,
zu vergleichen. Vermuthlich gehört er unter die weisen Männerchen,
welche ihre Zeit übel anzuwenden glaubten, wenn
sie ein Buch, das ihnen nur zum Zeitvertreib gemacht zu
seyn scheint, mit Aufmerksamkeit lesen sollten. Gleichwohl
sind wenig Bücher in der Welt, welche ernsthafter gelesen
und öfter wieder gelesen zu werden verdienten, als Don
Ouixote; ja, wir erdreisten uns zu behaupten, daß ein
Professor, der dazu angestellt würde, öffentliche Vorlesungen
über den Don Ouixote zu halten, wofern der Angestellte anders
der Mann dazu wäre, der studirenden Jugend und dem gemeinen
Wesen ungleich nützlicher seyn würde, als ein Professor
des Aristotelischen Organons. Hätte der Ungenannte
das Buch des weisen Cervantes gelesen, wie man lesen soll,
so würde er vermuthlich klug genug daraus geworden seyn,
um sich über eine Vergleichung zwischen Cato und Don Quixote
nicht zu ärgern. Es ist immer noch eine Frage, ob
Cato oder der Heid von Mancha mehr dabei zu verlieren
hat. Don Ouixote war freilich ein Narr — was den Punkt
der irrenden Ritterschaft anbetraf; aber, dieser Narrheit
ungeachtet, ein so edelmüthiger, frommer und tugendhafter
Mann, als irgend eine wahre Geschichte einen aufzuweisen
hat. Es würde sehr überflüssig seyn, den Beweis hiervon
führen zu wollen. Seine ganze Geschichte, von Anfang bis
zu Ende, enthält diesen Beweis. Er hatte sich den erhabensten
Begriff von dem Charakter und den Pflichten eines irrenden
Ritters aus Allem, was man jemals edel, gut und lobenswürdig
genannt hat, zusammengesetzt; und er war,
seiner Absicht und den Gesinnungen des Herzens nach, der
Mann wirklich, der er zu seyn wünschte. Daß die äußern
Gegenstände seinen Vorstellungen nicht immer entsprachen,
daß der Ausgang seine edelsten und wohlthätigsten Absichten
so oft zu Schanden machte, war seine Schuld nicht. Was
konnte er dafür, als er mit so viel Großmuth und Unerschrockenheit
dem guten König Pentapolin mit dem aufgeschürzten
Arm gegen den mächtigen Kaiser Alifanfaron,
Herrn der Insel Taprobana, und gegen den Riesen Brandabarbaran,
Herrn der drei Arabien, zu Hülfe kam und eine
so große Niederlage unter dem zahlreichen Heere der Ungläubigen
verursachte, was konnte er dafür, daß am Ende das,
was er für zwei furchtbare Kriegsheere angesehen hatte, zwei
Heerden Schafe waren? Und als er den wackern Ritter Don
Gaiferos und die schöne Melisandra mit so vielem Eifer
gegen die Mauren beschützte, hatte er darum weniger Recht,
sich mit dem Bewußtseyn, eine tapfere und wohlthätige That
gethan zu haben, über die Bosheit der Zauberer, seiner
Feinde, zu beruhigen, weil sich's beim Ausgang zeigte, daß
Don Gaiferos, die schöne Melisandra, der König Marsilius
und alle seine Mauren —bloße Marionetten waren? Freilich
sind wir Andere, welche dieß schon vorher wußten, nicht
zu verdenken, wenn wir die Achseln zucken, da er, nachdem
er die Ungläubigen in die Flucht gejagt und einen der edelsten
Ritter von Karls des Großen Hofe so glücklich befreit
zu haben glaubt, mit dem Triumphe der süßesten Selbstzufriedenheit
ausruft: "Nun möcht' ich doch gleich alle Diejenigen
vor mir haben, welche nicht glauben wollen, wie
nützlich der Welt die irrenden Ritter sind! Man sehe mir
einmal, was aus Don Gaiferos und der schönen Melisandra
ohne mich geworden wäre? Es lebe die irrende Ritterschaft,
trotz ihren Neidern und dem Unglauben Derjenigen,
welche nicht Muth genug haben, sich einem so gefahrvollen
Stande zu widmen!" u. s. w. — Allein demungeachtet ging
in der Seele des guten Ritters eben dasselbe vor, was in
ihr hätte vorgehen können, wenn der wirkliche Don Gaiferos
und die wirkliche Melisandra seines Armes vonnöthen gehabt
hätten; und er hatte — da er von Meister Petern,
dem Eigenthümer des Marionettenspiels, aus seinem ekstatischen
Gemüthszustande zurück gebracht wurde —vollkommen
Recht, sich mit dem Gedanken zu trösten: "daß er bei der
ganzen Sache keine andere Absicht gehabt, als die Pflichten
seines Standes zu erfüllen. Entspricht der Erfolg meiner Absicht
nicht, setzt er hinzu, so ist es nicht meine, sondern der verfluchten
Zauberer Schuld, die mich aufs Aeußerste verfolgen."Alles dieß beweist wenigstens so viel, daß die Vergleichung,
welche den Ungenannten so sehr erhitzte, daß er in
seinem Unwillen eine ganze Epistel voll platter Verse gegen
den armen Dichter aufs Papier schüttete, — dem Herzen und
der Tugend des großen Cato keine Schande macht."Aber Don Ouixote war doch ein Narr (sagt man), ein
Narr, der in einen Käficht eingesperrt zu werden verdiente?"
— Gut! und nun fragt sich's, ob der große Cato, da er in
dem äußerst verdorbenen, gesetzlosen und einer neuen monarchischen
Verfassung schlechterdings bedürftigen Rom die Rolle
seines Urgroßvaters spielte und durch eine moralisch unmögliche
Wiederherstellung jener Sitten, die ehemals das arme
Rom groß gemacht hatten, dem verzweifelt bösen Zustande
des zu einer ungeheuren Größe aufgeschwollenen Roms
abhelfen wollte, — ob er da was Weiseres und Schicklicheres
unternommen habe, als Don Quixote, da er unternahm,
den in Verfall gerathenen Stand der irrenden Ritterschaft
(einen Stand, der in den Zeiten der Kreuzzüge wohlthätig
und gewisser Maßen unentbehrlich gewesen war) in den Zeiten
Philipps des Dritten wieder herzustellen?Alles würde wohl bei Beantwortung dieser Frage darauf
ankommen. ob und inwiefern die Umstände, unter welchen
Cato die Sitten und Grundsätze des hölzernen Roms
in dem marmornen Rom wieder herstellen wollte, sich gegen
seine Unternehmung eben so verhielten, wie sich zu Don
Quixote's Zeiten die Verfassung Spaniens gegen das Unternehmen
dieses tapfern und wohlmeinenden Junkers verhielt?
— Eine Frage, die durch die Geschichte beider Zeiten beantwortet
wird, welche schwerlich irgend einem Unbefangenen
den mindesten Zweifel übrig lassen kann, ob Cicero Recht
gehabt habe, von seinem Freunde Cato zu sagen: er füge
mit dem besten Willen und Herzen der Republik zuweilen
Schaden zu, weil er bei manchen wichtigen Gelegenheiten im
Senat wie in Platons Republik, nicht wie in Romuli faece
(in den Hefen der alten Zeiten Roms) spreche.Doch genug zur Vertheidigung eines unvollendeten Gedichtes,
dem wir, damit es auch in seiner jetzigen Gestalt
für ein Ganzes gelten könne, die Ueberschrift, Das Leben
ein Traum, gegeben haben; damit der Leser sogleich auf
den rechten Gesichtspunkt gestellt werde und nicht mehr
davon erwarte, als man von einer poetischen Rhapsodie über
einen Satz, der in demselben Sinne, worin ihn unser Dichter
nimmt, seit undenklichen Zeiten von einer Menge weiser
Männer behauptet worden ist, billiger Weise erwarten kann.
Aspasiaoder
die platonische Liebe. |
Schön, liebenswerth, mit jedem Reiz geschmückt,
Der Aug' und Herz und Geist zugleich entzückt,
An edlem Bau und langen blonden Haaren
Der schönsten Frau in Artaratens Reich,
An Grazien nur Amors Mutter gleich,
Sah sich, im Flor von fünf und zwanzig Jahren,
Aspasia zum priesterlichen Stand
Aus eines Helden Arm, aus Cyrus Arm, verbannt. |
|
Es hatte zwar zu Ekbatane
(So hieß ihr Sitz) die Oberpriesterin
Der stets jungfräulichen Diane
Die Majestät von einer Königin.
Ihr Kerker war ein schimmernder Palast,
Ihr Zimmer ausgeschmückt mit indischen Tapeten;
Und, ihr Brevier gemächlicher zu beten,
Schwoll unter ihr mit Polstern von Damast
Der weichste Canapee. Auch hielt die Frau im Beten
(Wie billig) Maß, aß viel und niedlich, trank
Den besten Wein, den Kos und Cypern senden,
Und, wenn sie sich zur Ruh begab, versank
Die schöne Last der wohlgepflegten Lenden
In Schwanenflaum; und doch, bei frischem Blut,
Und blühendem Gesicht, schlief sie — nur selten gut. |
|
Man glaubt, der Stand der Oberpriesterinnen
Sey diesem Ungemach vor andern ausgesetzt.
Vergebens hoffen sie, mit ihren andern Sinnen,
Was einem abgeht, zu gewinnen;
Durch alle fünfe wird der sechste nicht ersetzt. |
|
Die Stoa lehrt uns zwar, wir können, was wir wollen;
Allein dem Prahlen bin ich gram.
Aspasien hätte man, eh sie den Schleier nahm.
Vorher im Lethe baden sollen.
Liegt's etwa nur an ihr, sich nicht bewußt zu seyn?
Und kann man stets der Phantasie gebieten?
Sie mag sich noch so sehr vor Ueberraschung hüten,
Geberde, Kleidung, Blick mag noch so geistlich seyn;
Man ist deßwegen nicht von Stein.
Oft fällt im Tempel selbst, bei ihrer Göttin Schein,
Ein weltlicher Gedank' ihr ein:
"So schien durch jenen Myrtenhain,
Wo Amorn über sie der erste Sieg gelungen,
Der stille Mond!" — Was für Erinnerungen!
An solchen Bildern schmilzt der priesterliche Frost.
Diana selbst, um ihr die Strafe gern zu schenken,
Darf an Endymion nur denken.
Ein Priester hälfe sich vielleicht, in süßem Most
Versuchungen, wie diese, zu ertränken;
Doch, wenn ich recht berichtet bin,
Schlägt dieß Recept nicht an bei einer Priesterin.
Galenus sagt: das Uebel quille
Bei dieser aus der Herzensfülle.
Nichts hemmt und Alles nährt bei ihr die Phantasie;
Die Einsamkeit, die klösterliche Stille,
Die Andacht selbst vermehrt, ich weiß nicht wie,
Den süßen Hang zu untersagten Freuden.
Muß Amor gleich Dianens Schwelle meiden,
Ist ihre Stirne gleich verhüllt:
Ihr Herz, von dem, was sie geliebt, erfüllt,
Laßt sich davon durch keine Götter scheiden
Und sieht im Mithras selbst des schönen Cyrus Bild. |
|
Mit einem Wort': ihr ging's nach aller Nonnen Weise.
Die gute Priesterin gestand sich selbst ganz leise,
Es irre, wer sie glücklich preise.
Die Schäferin, die, statt auf Sammt und Flaum
Im dunkeln Busch' auf weiches Moos gestrecket,
Ihr junger Hirt, leibhaftig, nicht im Traum,
Mit unverhofften Küssen wecket,
War, wenn sie schlaflos sich auf ihrem Lager wand,
Oft ihres Neides Gegenstand. |
|
Doch (wie uns die Natur für alle kleine Plagen
Des Lebens immer Mittel weist)
Auch unsre Priesterin fand endlich das Behagen,
Das ihr Gelübd' und Zwang versagen —
Wo meint ihr wohl? — in ihrem Geist! |
|
Der Zufall führt ihr einen Magen
Vom Strand des Orus zu. Es war in seiner Art
Ein seltner Mann, wiewohl noch ohne Bart,
Von Ansehn jung, doch altklug an Betragen;
An Schönheit ein Adon, an Unschuld ein Kombab;
Bei Damen, denen er sehr gern Besuche gab,
Kalt wie ein Bild von Alabaster;
Doch seelvoll, wie ein Geist in einem Luftgewand',
Und mit dem unsichtbaren Land
Beinahe mehr als unsrer Welt bekannt;
Mit einem Wort: ein zweiter Zoroaster! |
|
Ein Weiser dieser Art schien wirklich ganz allein
Für eine Priesterin, wie sie, gemacht zu seyn.
Er sprach von dem, was in den Sphären
Zu sehen ist, mit aller Zuversicht
Der Männer, die, versengt an Angesicht
Und am Gehirn, vom Land der fabelhaften Seren,
Gebläht mit Wundern, wiederkehren. |
|
Der Weg — nur bis zum nächsten Stern',
Ist ziemlich weit, wie uns die Zache lehren:
Drum lügt sich's gut aus einer solchen Fern';
Und was er ihr erzählt — setzt, daß es Mährchen wären —
So wünscht man's wahr und glaubt es gern.
Wie dem auch sey, die Luft der idealen Sphären
Bekam Aspasien gut; sie ward in kurzer Zeit
So schön davon! Ihr ist, es werde
So leicht ihr drin, so wohl, so weit
Ums Herz, daß ihr der Dunstkreis unsrer Erde
Bald grauenhafter scheint als eine Todtengruft. |
|
Die vorbesagte Luft
Hat eine sonderbare Tugend
Mit Lethens Flut gemein.
Aspasia sog darin von ihrer freiern Jugend
Ein gänzliches Vergessen ein.
Bald wurde selbst an jenen Myrtenhain,
Wo sie dem Liebesgott ihr erstes Opfer brachte,
Nicht mehr gedacht, als an ein Puppenspiel,
Das ihr vordem die Kindheit wichtig machte.
Ihr schien die Welt, und was ihr einst gefiel,
Ein Traum, woraus sie eben jetzt erwachte.
Ihr Geist (der ganz allein jetzt Alles bei ihr that,
Was bei uns Andern pflegt mechanisch zuzugehen)
Sah in der neuen Welt, in die er wundernd trat,
Rings um sich nichts als — Geister und Ideen.
Doch führt Herr Alkahest (so hieß der Weise) sie
Nicht so geradezu ins Land der Phantasie.
Ihr neu geöffnet Aug' ertrüge (wie er spricht)
Den unsichtbaren Glanz des Geisterreiches nicht.
Erst läßt er (wie ein weiser Oculiste
In solchem Fall verfahren müßte)
Von dem, was wahr und immer schön
Und selbstbeständig ist, ihr nur die Schatten sehn.
Die auf den Erdenklos, auf dem wir Alle wallen,
Herab aus höhern Welten fallen:
Denn, was uns Wesen heißt, ist bloßer Wiederschein.
So malen sich im majestät'schen Rhein,
Indem er stolz mit königlichem Schritte
Das schönste Land durchzieht, bald ein bejahrter Hain,
Bald ein zertrümmert Schloß, bald Hügel voller Wein,
Bald ein Palast, bald eine Fischerhütte. |
|
Nachdem in weniger als einem Vierteljahr
Ihr diese Art zu sehn geläufig war:
Nun war es Zeit zu höhern Lehren!
Nun wies ihr Alkahest die Kunst — zum Sehn
Der Augen gänzlich zu entbehren.
Nothwendig mußte dieß ein wenig langsam gehn.
Erst sah sie — nichts. Doch nur getrost und immer
Hinein geguckt! Schon zeigt ich weiß nicht welcher Schimmer
Von ferne sich. Was kann ein fester Vorsatz nicht!
Zusehends öffnet sich ihr innerlich Gesicht
Dem nicht mehr blendenden unkörperlichen Licht,
Dem Element ätherischer Geschöpfe.
Sie sieht — o welche Augenlust! —
Sie sieht bereits die schönsten Engelsköpfe
Mit goldnen Flügelchen; bald wächst die schönste Brut
An jeden Kopf; an jeden Busen schließen
Sich schöne Arme an. Zuletzt stehn Geister da
(So geistig als Aspasia
Sie immer glaubt), vom Kopf bis zu den Füßen
Den schönsten Knaben gleich, die man sich denken kann;
Doch, da es Geister sind, macht sie sich kein Gewissen
Und sieht sie unerröthend an. |
|
Der Name, wie man weiß, thut öfters viel zur Sache.
Vor Alters stellten euch die von Böotien
Drei Klötze auf und nannten's Grazien.
Man irrt noch heut zu Tag sehr gern in diesem Fache.
Wie Mancher sieht bei seinem Trauerspiel,
Daß unsre Augen Wasser machen,
Und, überzeugt, wir weinen aus Gefühl,
Bemerkt er nicht, wir weinen bloß vor Lachen.
Zwar Thränen sind's, in diesem Falle wie
In jenem; nur die Quelle ist verschieden.
Allein wie selten gibt auch Jemand sich hienieden
Den Quellen nachzuspähen Müh!
Die muntre rasche Phantasie
Hat einen kürzern Weg. Sie gibt den Dingen Namen
Nach Willkür und Bequemlichkeit,
Vermenget Wesen, Form, Verhältniß, Ort und Zeit,
Bestimmt den Platz und Werth der Bilder nach den Rahmen
Und läßt, wie Kinder, gern von jeder Aehnlichkeit,
So plump sie ist, sich hintergehen. |
|
Dieß war Aspasiens Fall. Die gute Frau befand
Nur darum sich so wohl im Lande der Ideen,
Weil Alles dort dem schönen Feenland,
Worin von Jugend an sie gern zu irren pflegte,
Dem Land der Phantasie, so wunderähnlich sah. |
|
Ob Alkahest hiervon die Folgen überlegte;
Ob ihm nicht selbst vielleicht was Menschliches geschah,
Wovon er anfangs nicht den kleinsten Argwohn hegte;
Kurz, ob er, ohne die Gefahr
Voraus zu sehn, der Narr von seinem Herzen war,
Getrauen wir uns nicht zu sagen.
Er fing sein Werk so systematisch an,
Daß man zur Noth sich überreden kann,
Er habe nichts dabei zu wagen
Vermeint; wiewohl, für einen Mann
Von solcher Gattung gut zu sagen,
Bedenklich ist. Genug, Herr Alkahest gewann
Bei seiner guten Art, die Damen
In den Mysterien der Geister einzuweihn.
Von jeher, um ein Herz zu überschleichen, nahmen
Die Alkahesten erst das Cerebellum ein. |
|
Die Geister — konnten sie auch wohlerzogner seyn? —
Die Geister kamen nun, zwar ohne Fleisch und Bein,
Doch so geputzt, als Geister nur vermögen,
In Mäntelchen von Sonnenschein
Aspasien auf halbem Weg entgegen.
Den ganzen Weg zu ihr zurück zu legen,
Dieß hieße (meint Herr Alkahest)
Mehr fordern, als sich billig fordern läßt.
Man soll vielmehr zu beiden Theilen
Einander gleich entgegen eilen.
Wenn Geister einer schönen Frau
Zu Lieb' in Rosenduft sich kleiden:
So ziemt es auch der schönen Frau,
Der Geister wegen, selbst mit einem kleinen Leiden,
Von Fleisch und Blut sich möglichst zu entkleiden.
Nichts, dächt' ich, kann so billig seyn! |
|
Aspasia ergibt sich desto leichter drein,
Da sie dabei an Schönheit zu gewinnen
Die beste Hoffnung hat. Den Salamanderinnen
An Reizen gleich zu seyn, dieß ist doch wohl Gewinn
Für eine Oberpriesterin,
Die ihrem Spiegel gegenüber
Mit jedem Tag ein Reizchen welken sieht?
Die unsrige, wie ganz natürlich, glüht
Vor Ungeduld, je schleuniger je lieber
Entkörpert sich zu sehn. Allein Herr Alkahest
Belehrt sie, daß sich hier nichts übereilen läßt.
Das große Werk kann nur durch Stufen
Zur Zeitigung gedeihn. Die erste ist, den Geist,
Der oft zur Unzeit sich am thätigsten erweist,
Von aller Wirksamkeit zum Ruhen abzurufen;
Die zweite, nach und nach ihn von der Sinnlichkeit,
Von dem, worin wir uns den Thieren ähnlich finden,
Selbst vom Bedürfniß, los zu winden;
Die dritte Stufe — Doch so weit
Kam unser Pärchen nicht. Denn leider! auf der zweiten,
Schon auf der zweiten, glitscht der Fuß den guten Leuten.
Auch ist der Schritt ein wenig dreist,
Wenn man es recht bedenkt. Verwickelt
Im Stoffe, wie wir sind, — verstümmelt und zerstückelt
Man leichter sich, als daß man los sich reißt.
Zum mindsten ist den Candidaten
Des Geisterstandes kaltes Blut
Und Eile langsam! anzurathen:
Denn hier thut Eilen selten gut! |
|
Herr Alkahest, um beim Entkörp'rungswesen
Recht ordentlich zu gehn, fing mit der Tafel an.
Aspasia aß und trank nach Skrupel und nach Gran
Und nur, was ihr der Weise ausgelesen;
Nichts, was nicht fein und leicht und geistig, kurz so nah'
An Nektar und Ambrosia
Als möglich, war, der echten Geisterspeise.
Dem Schlummer brach er gleicher Weise
Die Hälfte ab, zumal beim Mondenschein'
In schönen warmen Sommernächten;
Nur ließ er sie alsdann, aus Vorsicht, nie allein. |
|
Wir selbst gestehn, wir sind den Sommernächten
Beim Mondschein gut, wiewohl wir dächten,
Daß unserm schwärmerischen Paar
Die Hälfte schon entbehrlich war.
Der Mondschein hat dieß eigen, wie uns däucht,
Er scheinet uns die Welt der Geister aufzuschließen:
Man fühlt sich federleicht
Und glaubt in Luft dahin zu fließen;
Der Schlummer der Natur hält rings um uns herum
Aus Ehrfurcht alle Wesen stumm;
Und aus den Formen, die im zweifelhaften Schatten
Gar sonderbar sich mischen, wandeln, gatten,
Schafft unvermerkt der Geist sich ein Elysium.
Die Werktagswelt verschwind't. Ein wollustreiches Sehnen
Schwellt sanft das Herz. Befreit von irdischer Begier
Erhebt die Seele sich zum wesentlichen Schönen,
Und hohe Ahnungen entwickeln sich in ihr. |
|
Es sey nun, was ihr wollt — denn, hier es zu entscheiden,
Ist nicht der Ort — es sey ein süßer Selbstbetrug,
Es sey Realität, es sey vermischt aus beiden,
Was diesen Seelenstand so reizend macht — genug,
Ein Schwärmer, der in diesem Stande
Mit einer Schwärmerin, wenn Alles dämmernd, still
Und einsam um ihn ist, platonisiren will,
Gleicht einem, der bei dunkler Nacht am Rande
Des steilsten Abgrunds schläft. Auch hier macht Ort und Zeit
Und Er und Sie sehr vielen Unterscheid! |
|
Die zärtlichste Empfindsamkeit
Bemächtigt unvermerkt sich unsers Mystasogen.
Der Geist der Liebe weht durch dieß Elysium,
Wohin er mit Aspasien aufgeflogen.
Er schlägt, indem er spricht, den Arm um sie herum
Und schwärmt ihr von der Art, wie sich die Geister lieben,
Die schönsten Dinge vor, mit einem Wörterfluß,
Mit einer Glut, daß selbst Ovidius
Corinnens Kuß nicht feuriger beschrieben.
"Wie glücklich diese Geister sind!
Wie viel ein Geist dadurch gewinnt,
Daß ihn im Ausdruck seiner Triebe
Kein Körper stört! — An ihm ist Alles Liebe,
Und sein Genuß ist nicht ein Werk des Nervenspiels.
Wie matt, wie unvollkommen malet
In unsern Augen sich die Allmacht des Gefühls!
Wenn dort ein Geist den andern ganz durchstrahlet,
Ihn ganz durchdringt, erfüllt, mit ihm in Eins zerfließt
Und, ewig unerschöpft, sich mittheilt und genießt!
Ach! —ruft er aus und drückt (vor Schwärmen und Empfinden
Deß, was er thut, sich unbewußt)
Sein glühendes Gesicht an ihre heiße Brust —
Ach! ruft er, welch ein Glück, vom Stoff sich los zu winden,
Der so viel Wonn' uns vorenthält!" |
|
Aspasia, in eine andre Welt
Mit ihm entzückt und halb, wie er, entkörpert, fühlte
So wenig als ihr Freund, daß hier
Der unbemerkte Leib auch eine Rolle spielte.
Zu gutem Glück kommt ihr — und mir
Ein Rosenbusch zu Hülf', in dessen Duft und Schatten
Sie, in Gedanken, sich zuvor gelagert hatten. |
|
Wie weit sie übrigens in dieser Sommernacht
Es im Entkörp'rungswerk gebracht,
Läßt eine Lücke uns im Manuscript verborgen.
Nur so viel sagt es uns: Kaum war am nächsten Morgen
Das gute, fromme Paar erwacht,
So wurden sie gewahr, der Weg, den sie genommen,
Sey wenigstens — der nächste nicht,
Um in die Geisterwelt zu kommen.
Sie sahn sich schweigend an, verbargen ihr Gesicht,
Versuchten oft zu reden, schlossen wieder
Den offnen Mund und sahn beschämt zur Erde nieder.
Der junge Zoroaster fand,
Er habe bei dem Amt von einem Mystagogen
Sich selbst und seinen Gegenstand
Durch wie? und wo? und wann? betrogen.
Gern' hätt' er auf sich selbst, gern' hätt' auf sich und ihn
Aspasia gezürnt; allein sie fühlten beide
Ihr Herz nicht hart genug, in dem gemeinen Leide
Des Mitleids Trost einander zu entziehn. |
|
"Freund, sprach die Priesterin zuletzt, wir müssen fliehn!
In dieser Art gilt ein Versuch für hundert:
Wir würden immer rückwärts gehn;
Und Alles was mich jetzt bei unserm Zufall wundert,
Ist, daß wir nicht den Ausgang vorgesehn." |
|
Und nun — was haben wir aus Allem dem zu lernen?
Sehr viel zu lernen, Freund, sehr viel!
Kennt ihr den Mann, der, als er nach den Sternen
Zu hitzig sah, in eine Grube fiel?
Es war ein Beispiel mehr! Laßt's euch zur Warnung dienen?
Auch, wenn ihr je bei Mondenlicht im Grünen
Platonisiren wollt, platonisirt allein!
Und, kommt die Luft euch an, in einem heil'gen Hain
Um solche Zeit — des Stoffs euch zu entladen,
So laßt dabei (so wie beim Baden
In einer Sommernacht) ja keine Zeugin seyn! |
|
Wir zögen leicht mehr schöner Sittenlehren
Aus der Geschichte noch heraus:
Allein wir lassen gern den Leser selbst gewähren.
Wer eine Nase hat — spürt sie unfehlbar aus;
Die Andern können sie entbehren. | —————
Anmerkungen.
Musarion.Buch 1.G. 3. Z. 8. Timon — Eine Anspielung auf den armseligen Auszug,
worin Lucian in einem seiner dramatischen Dialogen den berüchtigten
Timon, den Menschenhasser aufführt. — "Wer ist denn (fragte der auf die
Erde herabschauende Jupiter den Mercur) da unten am Fuße des Hymettus
der lumpige, schmutzige Kerl in dem Ziegenpelze, der ihm kaum bis über die
Hüften reicht?" u. s. w. S. Lucians sämmtliche Werke I. Theil, S. 60
der neuen deutschen Uebersetzung. W.S 3. Z. 12. Aldermann der Cyniker — In der Ausgabe von
1769 lautete der letzte Bers so:(Jhr wißt ja wo?) vom Diogen geerbt.
Nun wußten aber die meisten Leser nicht wo? Man hat also für besser gehalten,
den Vers abzuändern und dem Leser, dem die Anekdote , auf welche
hier angespielt wird, unbekannt oder entfallen seyn könnte, durch eine kleine
Anmerkung zu dienen. Der Sinn dieser Stelle ist also: Der Mantel des
aus seinem ehemaligen Wohlstande, gleich dem Timon, herunter gekommenen
Phanias, der seine ganze Kleidung ausmachte, habe so abgenützt ausgesehen,
als ob es eben derselbe wäre, welchen Diogenes über seinen Freund
und Schüler Krates ausgebreitet haben soll, als dieser (aus einem kleinen
Uebermaß von Eifer, die cynische Lehre, "daß nichts Natürliches schändlich
sei," durch eine auffallende That zu bekräftigen) sich die Freiheit nahm, sein
Beilager mit der schönen Hipparchia in der großen Halle (Stoa) zu Athen
öffentlich zu vollziehen. — Daß dem Diogenes die Benennung eines Aldermanns
der Cyniker zukomme, bedarf wohl keines Beweises, und man hat
sie in dieser Ausgabe der in einigen vorgehenden, wo es, dem Aldermann
der Stoiker, d. i. dem Zeno, hieß, vorgezogen, weil von einem Mantel., der
vom Diogenes bis aus den Zeno und sodann weiter von einem philosophischen
Bettler zum andern, endlich bis auf den Phanias fortgeerbt worden
wäre, wahrscheinlich gar nichts mehr als Fetzen übrig geblieben seyn
müßten. W.S. 4. Z. 2. Sokraten zechten — Daß Sokrates bei Gelegenheit
ein strenger Zecher gewesen sey. erhellet aus verschiedenen Stellen des Platonischen
Symposion. So rühmt es ihm zum Beispiel Agathon, der Wirth
in diesem berühmten Gastmahl, als keinen geringen Vorzug vor den übrigen
Anwesenden nach, daß er den Wein besser ertragen könne, als die stärksten
Trinker unter ihnen; und der junge Alcibiades, da er, um die Gesellschaft
zum Trinken einzuladen, dem Sokrates einen großen Becher voll Wein
zubringt, setzt hinzu: "Gegen den Sokrates, meine Herren, wird mir dieser
Pfiff nichts helfen: denn der trinkt so viel, als man will, und ist doch
in seinem Leben nie betrunken gewesen." — Auch leerte Sokrates den vollgeschenkten
Becher nicht nur rein aus, sondern, nachdem, auf eine ziemlich
lange Pause, das Trinken wegen einiger noch von ungefähr hinzu gekommenen
Bacchusbrüder von neuem angegangen war, und, unter mehrern Andern,
die es nicht länger aushalten konnten, auch Aristodemus sich in irgend
einen Winkel zurückgezogen hatte und eingeschlafen war, fand dieser, als er
um Tagesanbruch wieder erwachte und ins Tafelzimmer zurückkam, daß alle
Andere weggegangen, und nur Agathon, Aristophanes und Sokrates allein
noch auf waren und aus einem großen Becher tranken. Sokrates dialogirte
noch immer mit ihnen fort und fühlte sich durch allen Wein, den er die
ganze Nacht durch zu sich genommen hatte, so wenig verändert, daß er, als
es Tag geworden war, mit besagtem Aristodemus ins Lyceon baden ging
und, nachdem er den ganzen Tag nach seiner gewöhnlichen Weise zugebracht,
erst gegen Abend sich nach Hause zur Ruhe begab. — Ein Zug seines
Temperaments, welcher (däucht uns) bei Schätzung seines sittlichen Charakters
nicht aus der Acht zu lassen ist. Denn mit einem solchen Temperamente
kann es, bei einem einmal festgefaßten Vorsatz, eben nicht sehr
schwer seyn, immer Herr von seinen Leidenschaften zu bleiben. W.S. 4. Z. 12. Medusen — Der Medusenkopf auf dem Schilde der
Minerva; anfangs scheußlich und gräßlinch gebildet, dann zu einem Ideal
furchtbaren Ernstes verschönert, hatte die Kraft, den, der ihn erblickte, zu
versteinern. Wer darüber sich genauer unterrichten möchte, kann es am besten
durch Böttingers Furienmaske.S. 4. Z. 23. Danae — Tochter des Akrisios, wurde Mutter durch
Zeus, der als goldener Regen in ihren Schoß fiel.S. 4. Z. 24. Patroklus — Dieser treue Freund und Gefährte des
Achilles steht hier für jeden bis zum Tode treuen Freund.S. 6. Z. 6. Im Plutarch — d. h. in der Sammlung von Lebensbeschreibungen
berühmter Männer, durch welche dieser vielseitige Schriftsteller
aus dem 1. Jahrhundert v. Chr. sich selbst den meisten Ruhm erworben
hat.S. 6. Z. 12. Ein Dichter, der —— floh —Horaz, der, ungeachtet
seines "Süß ist's und edel sterben fürs Vaterland" . in einem andern
Gesang offenherzig genug ist, zu gestehen, daß er in der Schlacht bei
Philippi sogar seinen kleinen runden Schild von sich geworfen habe, um dem
schönen Tod fürs Vaterland desto hurtiger entlaufen zu können. — Wiewohl
nicht zu verschweigen ist, daß unser Autor selbst an einem andern Orte nicht
ganz unerhebliche Gründe, den Dichter gegen sich selbst zu rechtfertigen, vorgebracht
zu haben scheint. S. die erste Erläuterung zur zweiten Epistel des
Horaz an Julius Florus W.S. 7. Z. 2. Von Minervens Schild bedeckt. — Unter dem
Schutze der Göttin der Weisheit.S. 7. Z. 4. Flammen, die auf Leinwand brennen — Die
Schreckgestalten, die in den Mysterien bei Vorstellungen der Unterwelt vorkamen.
Styx und Acheron, Flüsse der Unterwelt.S. 7. Z. 12. Ninias — Sohn des Ninus und der Semiramis, ein
assyrischer König, von welchem die Geschichte nichts zu sagen hat, als daß
er die achtundzwanzig Jahre seiner Regierung (wie man bei seines Gleichen
das divino far niente nennt) in der ürpigsten Unthätigkeit in seinem Harem
zwischen Weibern und Höflingen verträumt habe. W.S. 7. Z. 17. Der Pöbel von Athen —— zu reden hätte —
"O ihr Athener (soll Alexander, als er in einem äußerst mühseligen und gefährlichen
Abenteuer am Flusse Hydaspes in Indien begriffen war, ausgerufen
haben), werdet ihr jemals glauben können, was für Gefahren ich laufe,
um mir eure gute Meinung zu erwerben?" W.S. 8. Z. 11. Xenokrates — Vielleicht der enthaltsamste und — kälteste
von allen Philosophen.S. 9. Z. 12. Arimasp — Die Arimaspen sind (wie uns Plinius
unter der Gewährleistung der berühmten Geschichtschreiber Herodot und
Aristeas meldet) ein skythisches Volk, das im äußersten Norden unweit der Höhle
des Nordwindes wohnt, nur ein Auge mitten auf der Stirne hat und in
ewigem Kriege mit den Greisen lebt, um ihnen das Gold zu rauben, welches
diese ungeheuren Vögel mit unersättlicher Begierde aus den Adern der
Erde hervorscharren, bloß um das Vergnügen zu haben, ihre Goldhausen
Tag und Nacht zu bewachen und gegen die Arimaspen zu vertheidigen. Das,
was an diesem Mährchen historisch wahr ist, gehört nicht hierher. W.S. 10. Z. 8. Daphne — Die Tochter des thessalischen Flussgottes
Peneus, eine Nymphe der Artemis, ward von Apollon geliebt, entfloh dem
liebenden Gotte, rief im Fliehen den Schutz des Zeus an und ward in
einen Lorbeerbaum verwandelt, mit dessen Zweigen Apollon nachher Stirn
und Lyra schmückte.S. 16. Z. 9. Bathyll — Ein schöner, durch Anakreons Lieder verewigter
Jüngling.S. 16. Z. 8. Die Brüderschaft der Fröhlichen u. s. w. —
es hat seit undenklichen Zeiten Menschen gegeben, die durch die peinlichsten
Enthaltungen, ja durch — Selbstverstümmelungen und Beraubung alles
Empfindungsvermögens, kurz, durch das Aufhören des Umgangs der Seele
mit dem Leibe den Genuß der höchsten Seligkeit zu erreichen meinten.
Aeußerlich unthätig, gegen die Eindrücke der umgebenden Welt unempfindlich
seyn und in sich brüten, darin bestand ihr Leben. Unter den Griechen
zeigten die Pythagoräer Anlage dazu. Die Kirchengeschichte zeigt an den
Valesiern, daß man sich darum — kombabisirte.S. 18. Z. 26. Parasiten — Schmarotzer, nach Lessing die Harlekins
der alten Komödie.S. 19. 3. 1. Midas — Der phrygische König Midas, bekannt durch
sein Urtheil über Apollon, welches ihm einen schlimmen Zuwachs an den
Ohren brachte, erbat sich einst vom Bacchus, daß Alles, was er berühre,
sich in Gold verwandeln möge. Da sich ihm nun auch Speise und Trank
in Gold verwandelten, stand er in Gefahr, in der Mitte unermeßlicher
Reichthümer zu verschmachten. — Die Goldwäschen, die er in dem Paktolus
anlegte, haben diese Sage veranlaßt.S. 21. Z. 28. Wie Sancho dort — Unter andern Wunderdingen,
welche Sancho Pansa auf dieser eingebildeten Luftreise gesehen haben wollte,
waren auch die sieben himmlischen Ziegen (das Siebengestirn), mit denen
er sehr gute Bekanntschaft gemacht zu haben vorgab, und von welchen, wie
er getrost versicherte, zwei grün, zwei fleischfarben, zwei himmelblau und
eine von gemischter Farbe sind. W.S. 22. Z. 9. Coppel — L'amour maître du monde, gestochen von
J, Daullé 1755, nach Charles Antoine Coppel (dem Sohn Antons), geb.
zu Paris 1694, gest. daselbst 1752. Wiefern sein Amor des Dichters Lob
verdiene, weiß der Herausgeber nicht. Coppel steht im Ruf eines Manieristen,
den aber Benutzung des Zeitgeschmack zum ersten königlichen Maler
erhob.S. 25. Z. 2. 3. Pythagoräische Sphäre — Dem Pythagoras
war die runde Figur die vollkommenste, und eben deßhalb hielt er das Weltganze
für rund.
Buch 2.S. 26. Z. 1. Beim Anubis — einer ägyptischen Gottheit (in einer
männlichen Figur mit dem Kopf eines Hundes gebildet), die in den meisten
Hinsichten dem Hermes der Griechen oder Mercur der Römer entspricht,
schwor Sokrates.S. 26. Z. 9. Agesilas — Der Reim muß die kleine Freiheit entschuldigen,
daß der Name Agesilaus h!er in französischer Gestalt erscheint.
Dieser berühmte spartanische König war ein so gefälliger Vater, daß er
einsmals von einem seiner Freunde überrascht wurde, da er mit seinen
Kindern auf dem Steppenpferde herumtrabte. Sage ja Niemanden etwas
davon, sagte Agesilaus zu ihm, bis du selbst Vater bist. W.S. 26. Z. 16. 17. Die Philosophie, die keine Bohnen ißt —
Die Pythagorische. Das Gebot ihres Meisters, sich der Bohnen zu
enthalten (über dessen wahren Grund schon viel Vergebliches geschrieben
worden ist), wurde von den ersten Pythagoräern so heilig beobachtet und so
weit getrieben, daß einige von ihnen, da sie sich vor ihren nachsetzenden
Feinden nicht anders als durch ein Bohnenfeld retten konnten, lieber den
Feinden in die Hände liefen — si fabula vera est. W.S. 26. Z. 18. Skytihschem Ergetzen — Die Skythen galten den
Alten für das roheste Volk. Skythisch ist daher das Rohe, Ungeschliffene.S. 27, Z. 2. Menander — Ein Lustspieldichter der Griechen, Goldoni
der Italiener.S. 27. Z. 12. Dialektische Mäander — Irrgänge der Disputirkunst.
Von dem Mäander, einem wegen seiner vielen Krümmungen und
Windungen berühmten Flusse in Kleinasien, haben die Irrgewinde und
Alles, was sich durch viele und ungewöhnliche Windungen auszeichnet, denselben
Namen erhalten.S. 28, Z. 9. 10. Für die Ehre der Apathie — So nannten die
Stoiker die vollkommene Gleichgültigkeit ihres Weisen gegen alle sinnliche
Eindrücke von Schmerz und Vergnügen, die ihn natürlicher Weise allen
Leidenschaften unzugänglich machen mußte.
S. 29. Z. 2. Die Tafel, die Ganymedes deckt — ist die Göttertafel.S. 30. Z. 7. Der Regel nach. die Catius erdachte — "Kommt
(sagt dieser durch seine von Horaz aufbehaltenen Aphorismen aus der Küchenphilosophie
berühmt gewordene Epikuräer) |
"Kommt unvermuthet dir des Abends spät
Ein Gast noch auf den Hals, so laß dir rathen,
Das alte zähe Huhn (womit die Noth
Dich ihn bewirthen heißt), damit es ihm
Nicht in den Zähnen stecken bleibe, in
Falerner Moste zu ersticken —" W. | S. 31. Z. 10. Der Weise nur sey groß u. s. w. — Bei dieser
Stelle, die mehrere stoische Sentenzen zusammenfaßt, diente zum Vorbild
Horaz, Brief I. 1, 127 fg. |
Summa, der Weis' ist unter dem einzigen Jupiter, ist reich,
Edel und frei, bildschön und geehrt, ja der Könige König,
Auch vorzüglich gesund, nur nicht, wenn der Schnupfen belästigt. | S. 31. Z. 22. Sohn der Myrrha — Dem Adonis, dem geliebtesten
unter ihren sterblichen Günstlingen. W.S. 32. Z. 10. 11. Die mit ihren Flügeln noch im Schlamm
des Stoffes stecken —Anspielung auf eine von den Pythagoräern und
von Plato aus einer uralten morgenländischen Vorstellungsart angenommene
Lehre von der dämonischen Natur der menschlichen Seele, ihrer Präexistenz
in der Geisterwelt und ihrem Sturz in die Materie, wovon der göttliche
Plato in seinem Phädrus, im zehnten Buche von den Gesetzen, im Timäus
u. a. O. uns mancherlei schwer zu begreifende Dinge offenbart. W.S. 32. Z. 18. Korybanten (Trembleurs, Kopfschüttler)— hießen,
von ihren heftigen Verdrehungen, die tanzenden Priester der Kybele.S. 32. Z. 20. Fing jetzt Theophron an — Aus dem, was der
Dichter diesem Philosophen in den Mund legt (so wie aus einer Anführung
des Scipio, ja sogar des salomonischen Siegels, weiter unten), muß man
schließen, daß er in eine Zeit gesetzt werde, worin platonische und
pythagoräische Philosophie längst in einander geschmolzen und eben dadurch
verunstaltet waren. Die Ideen als Urbilder der wirklichen Dinge
gehören dem Platon, die geheimnißvollen Zahlen und die Musik der
Sphären dem Pythagoras zu, der bei jenen eine Theorie der Zeit und
des Raumes, bei dieser eine allgemeine Harmonie des Weltalls als tiefer
Denker ahnete. Das Vielverwirrte, welches Spätere hinein gebracht haben,
zu lösen, ist hier der Ort nicht. Wieland wollte hier nur den Mißbrauch
dieser Lehre darstellen, dem wahren Werthe derselben läßt er hier und anderwärts
volle Gerechtigkeit widerfahren. Was weiter unten vom Tod der
Sinnlichkeit und magischen geheimen Reinigungen gesagt wird, gehört
ebenfalls den späteren schwärmendes Pythagoräern und den mit ihnen verschmolzenen
Geheimnißkrämern aus der orphischen Schule (Orpheotelesten) zu.S. 33. Z. 6. Virgils Silen — S. Virgils Ekloge 6.S. 34. Z. 8. Sinus und Tangenten — Ob Wieland bei diesen
mathematischen Ausdrücken nicht an den Wortsinn zugleich schalkhaft gedacht
habe, überlasse ich Jedem selbst zu entscheiden.S. 34. Z. 10. Contour — Das Wort Contour (Contour, Conturno)
scheint uns unter diejenigen ausländischen Kunstwörter zu gehören, welche
man sonst, aus Ermangelung eines gleichbedeutenden deutschen Wortes immer
nur durch Umschreibung zu geben genöthigt wäre: denn Contour und
Umriß sind keineswegs gleichbedeutend. Umriß heißt bloß das, was von
der Form eines Körpers durch den Sinn des Gesicts erkannt wird; Contour
hingegen bezeichnet eigentlich die Vorstellung, die wir von einer körperlichen
Form vermittelst des Gefühls und Betastens erhalten. Es ist eine bloße
Täuschung — nicht unsrer Sinne, sondern unsers voreiligen Urtheils, wenn
wir den Contour eines Körpers (z. B. der Sphären, wovon hier die
Rede ist) zu sehen glauben. Bevor wir ihn durch das Gefühl ausgetastet,
haben wir von seiner Form nur eine sehr mangelhafte Vorstellung, weil
uns das Auge nicht mit der Dichtkeit, Rundung, Eckigkeit, Glätte, Rauheit
u. s. w., sondern bloß mit der heller oder dunkler gefärbten Oberfläche
der Körper bekannt macht. W.S. 34. Z. 11. Lambert — (geb. 1728 zu Mühlhausen im Sundgau,
gest. zu Berlin 1777), gehört zu den vorzüglichsten Mathematikern und Philosophen
des vorigen Jahrhunderts.S. 35. Z. 5. Der Weg, den Prodikus — —malt — Der Weg
der Tugend, in der Erzählung von Hercules auf dem Scheidewege, auf
welche im ersten Buche schon angespielt wird. W.S. 35. Z. 8. Amathunt (Amathus, daher Venus Amathusia)—
Stadt an der Südküste Cyperns, ein der Venus geweihter Ort.S. 35. Z. 9. Sybarit — Die Bürger von Sybaris, einer Stadt in
Großgriechenland, waren wegen ihrer ausnehmenden Weichlichkeit und
Schwelgerei in der alten Geschichte berüchtigt.S. 36. Z. 4. Das uns zu mehr als Göttern machen kann —
Denn, da die Götter keine Bedürfnisse und also auch keine Leidenschaften
haben, so würde ein Sterblicher . der es in der Apathie so weit als ein Gott
bringen könnte, eben darum, weil sie nicht eine nothwendige Eigenschaft
seiner Natur, sondern ein Werk seines freien Willens und eines nicht immer
leichten Sieges über seine Sinnlichkeit wäre, mehr als ein Gott seyn.
Daher sagt Seneca: "Est aliquid quo Sapiens antecedat Deum; ille naturae
beneficio non timet, suo Sapiens." (Epist. 53.) Und an einem andern
Orte: "Sapiens tam aequo animo omnia apud alios videt contemnitque quam
Jupiter; et hoc ae magis suspicit, quod Jupiter illia uti non potest, Sapiens
non vult." (Epist. 73) W.S. 37. Z. 14. Muß man, wie Scipio —— hören — Anspielung
auf eine Stelle in dem bekannten Traumgesichte des Scipio, dem schönsten
Fragmente, das sich von dem verloren gegangenen Werke des Cicero, de
Republica, erhalten hat, worin die Harmonie, die aus den verschiedenen
Intervallen der Bewegung der Planetenkreise und des Sternhimmels entstehen
soll, nach pythagorischen Begriffen, wiewohl nicht sehr verständlich, beschrieben
wird. Cicero läßt den jungen Scipio diese himmlische Harmonie in
feinem Traumgesichte hören; Pythagoras hatte, nach der Versicherung seinem
Legendenschreibers Iamblichus, daß Vorrecht, sie sogar wachend zu vernehmen;
und die Ursache, warum sie nicht von Jedermann gehört wird,
ist bloß, weil vieles Getön so stark ist, daß es unser Ohr gänzlich übertäubt.
Hoc sonitu oppltetae aures hominum obsurduerunt, nec est ullus hebetior
aensus in vobis. Somn. Scip. c. 5. W.S. 37. Z. 11. 16. Auch die Musik bezähmt die wilde Leidenschaft —
Die glaubwürdigsten Schriftsteller behaupten, daß Pythagoras
nicht bloß die Musik liebte, sie für sich und seine Jünger gebrauchte,
um sich entweder von den Anstrengungen des Nachdenkens zu erholen oder
zum neuen Nachdenken sich zu ermuntern, sondern es wird uns sogar erzählt,
er habe durch besondere Melodien jede Art von Leidenschaft theils erregen,
theils unterdrücken können; durch Musik habe er sich und seine Jünger
zu sanften und tugendhaften Empfindungen gestimmt, die Ausbrüche
wilder Leidenschaften zurückgehalten und zu guten Entschließungen
aufgemuntert. Aber nicht bloß als Kunst trieb Pythagoras die Musik, sondern
ward auch hier Erfinder, wie sich daraus schließen läßt, daß eine Reihe von
8 Tönen die pythagoräische Lyra (octochorda Pythagorae) genannt wird;
ja er erhob die Musik zum Range einer mathematischen Wissenschaft, indem
er die Ursache der consonirenden Intervalle entdeckte. — Darf man sich
wundern, daß das System solch eines mathematisch-musikalischen Geistes
sich mit der Weltharmonie und der Musik der Sphären endigte? Der Gedanke
gehört gewiß zu den erhabensten, die in einem menschlichen Geiste
aufgestiegen sind.S. 38. Z. 11. 12. Nicht schöner malt —Alban —Franz Albano,
geb. zu Bologna 1578 und gest. daselbst 1660, ein Schüler des Caracchi, behandelte
am liebsten und glücklichsten anmuthige Sujets, wobei er Weiber und
Kinder anbringen konnte, die er mit einem eigenen Reize darzustellen wußte.
Ueber seine Nymphen und Amoretten ist eine freundliche Grazie ausgebreitet.S. 38. Z. 19. Ein Pythagor'sches Schweigen — Pythagoras
hatte sein Institut nach der Weise der ägyptischen Priesterinstitute organisirt,
und bediente sich der Classem, in welche seine Jünger eingetheilt wurden,
zu einem politischen Zwecke. Für jede gab es eigne Gesetze, und zu diesen
gehört auch ein dreijähriges Stillschweigen, welches den Mitgliedern der
ersten Classe auferlegt wurde, und welches von den Bedächtigsten dahin erklärt
wird, daß jedes Mitglied einige Jahre nach seiner Aufnahme bloß zuhören
und nicht selbst lehren solle.S. 39. Z. 25. 26. Die Seele, die unterm Zwerchfell thront
—Plato gibt in seinem Timäus dem Menschen drei Seelen, wovon die
erste göttlicher und unsterblicher Natur ist und ihren Sitz im Haupte hat,
von den beiden andern sterblichen aber die eine die Brusthöhle und die andere
(deren Begierden bloß auf Befriedigung der körperlichen Bedürfnisse
gehen) die Gegend zwischen dem Zwerchfell und Nabel zu ihrer Wohnung angewiesen
bekommen hat, "wo sie (sagt der hochweise Timäus), gleich einem
Thiere, das nichts zu thun hat, als zu fressen, an die Krippe angebunden,
so weit als möglich von dem denkenden und regierenden Princip entfernt
worden ist, um dasselbe desto weniger durch ihr Geräusch und Geschrei nach
Futter in der Ruhe zu stören, deren es, zu der ihm obliegenden Besorgung
dessen, was Allen zuträglich ist, vonnöthen hat." W.S. 41. Z. 2. Ein schläfrig Ohr entgegen — Anspielung auf die
Stelle in der neunten Satire des ersten Buchs der Horazischen Satiren: |
Demitto auriculas ut iniquae mentis asellus
Dum gravius dorso subiit onus. W. | S. 41. Z. 8. In Circens Stall — Worin die Menschen bekanntlich
in Schweine verwandelt waren.S. 41. Z. 9. Den Lieblingstanz der Halle — Der stoischen
Philosophie, die von der vornehmsten der Hallen oder bedeckten Säulengänge)
in Athen, welche gewöhnlich, wegen der Gemälde, womit sie geziert
war, die Poikile (die bunte) genannt wurde, ihren Beinamen erhielt
und, so wie diese Halle selbst, auch die Stoa schlechtweg hieß, weil Zeno
und seine Nachfolger in derselben öffentlich zu lehren pflegten. W.S. 41. Z. 12. Als der Planetentanz — Vermuthlich ein Pythagorischer
Tanz, der die Bewegungen der Planeten nachahmt. Es scheint
hier auf eine Stelle in Lurian Dialog über die Tanzkunßt gedeutet zu werden,
wo Lycinus sagt: "Die Tanzkunst habe mit dem ganzen Weltall einerlei
Ursprung und sey mit jenem uralten Amor des Orpheus und Hesiodus
zugleich zum Vorschein gekommen. Denn (setzt er hinzu) was ist jener
Reigen der Gestirne und jene regelmäßige Verflechtung der Planeten mit
den Fixsternen und die gemeinschaftliche Mensur und schöne Harmonie ihrer
Bewegungen anders, als Proben jenes uranfänglichen Tanz's?" W.S. 41. Z. 15. Aegypter und Chaldäer erfahren seine
Wuth — Will vermuthlich so viel sagen, Kleanth habe seinen Eifer gegen
die Pythagorisch seyn sollen den Thorheiten des Theophron bis zu einem Ausfall
gegen die alten chaldäischen und ägyptischen Weisen getrieben, von welchen
Pythagoras, nach der gemeinen Sage, die vornehmsten Lehren und den
Geist seiner Philosophie geborgt haben sollte. W.
Buch 3.
S. 45. Z. 21. Und sich — mit stumpfen Nägeln wehret —
Anspielung auf das Horazische — praelia virginum sectia in jevenes unguibus
acrium, in der sechsten Ode des ersten Buchs. W.S. 50. Z. 2. Hat Plato — Phocion verloren — Das dieser
unter den Feldherren und Staatsmännern so seltene Mann in seiner ersten
Jugend noch den Plato und dessen ersten Nachfolger, den Xenokrates, gehört
und in ihrer Schule die Maximen eingesogen habe, deren Ausübung ihn
sein ganzes Leben durch und bis zu seinem Sokratischen Tode zum tugendhaftesten
Manne seiner Zeit machte, bezeugt Plutarch in seiner Lebensbeschreibung
W.S. 50. Z. 14. Wie zum Feldherrn Xenophon — In den vorigen
Ausgaben lautet diese Stelle so: |
— Man wird zum Geisterseher |
|
Geboren, wie zum Held, wie zum Anakreon. |
Da das Wort Held kein Indeclinabile ist und in allen seinen Biegefällen
Heiden lautet, so mußte es, nicht zum Held, sondern zum Helden, heißen.
Weil dieß aber nicht in den Vers passen wollte, so mußte der Held hier ein
Opfer der Sprachrichtigkeit werden, und auch Anakreon, wiewohl unschuldig,
konnte seinen Platz nicht behalten. Die neue Lesart, wodurch dem
Sprachfehler abgeholfen worden ist, hat außerdem, daß der Gedanke an
Wahrheit nichts dadurch verliert, noch den Vorzug, sich mit dem folgenden
Verse richtiger zu verbinden. — Daß man von Xenophon vorzüglich sagen
könne, er sey zum Feldherrn geboren gewesen, scheint sich hinlänglich dadurch
erwiesen zu haben, daß er, als er nach dem Tode des jüngern Cyrus
aus einem bloßen Freiwilligen, der die Dienste eines gemeinen Soldaten
verrichtete, auf ein Mal zum Rang eines Feldherrn stieg, auch die Talente
eines Feldherren in einem Grade zeigte, der ihm bis auf diesen Tag einen
Platz unter den Meistern der Kriegskunst erhalten hat. W.S. 53. Z. 27. Ein Nachbar, der Horazens Nachbarn gleicht
— Vermuthlich hatte der Dichter die Stelle im sechsten der Horazischen
Germonen (des zweiten Buchs) im Sinne: |
Cervius haec inter vicinus garrit aniles
Ex re fabellas, u. s. w. | wo Horaz den alten Nachbar Cervius die berühmte Fabel von der Feldmaus
und Stadtmaus in einem so unnachahmlich gutlaunigen und verständigen
Ton erzählen läßt, daß man nicht umhin kann, den Dichter eben so sehr
wegen seines Nachbars Cervius, als wegen seines Sabinums und des frohen
Lebensgenusses, den es ihm gewährte, glücklich zu preisen. W.S. 55. Z. 13. Zum γνωδι δεαντον —(gnothiseauton) d. i. zur
Selbsterkenntniß, welche diese zwei über die Pforte des Tempels zu Delphi
geschriebenen Worte empfahlen, als den besten Rath, den der Delphische
Gott allen Sterblichen, die sich bei ihm Rathes erholten, ertheilen konnte.
Die Grazien
S. 60. Z. 18. Cardinal von B**s — Bernis, geb. 1715 in Languedoc,
gest. 1794 zu Rom, aus einer alten gräflichen Familie stammend,
aber in beschränkten Vermögensumständen, war dem geistlichen Stande gewidmet,
glänzte aber in seiner Jugend durch Gestalt, Witz und Geist in
den ersten Gesellschaften von Paris, wo seine Gedichte voll anmuthiger,
lachender Phantasie allgemein bewundert worden. Gleichwohl konnte er es
lange Zeit nicht über den Abbé hinausbringen. Schnell hinter einander ward
er aber dann Erzbischof, Cardinal, Staatsminister, Commandeur des heiligen
Geist-Ordens, unterzeichnete die Allianz zwischen Frankreich und Oesterreich
und starb als Botschafter in Rom unter dem Titel Protector von Frankreich.
Sein Uebergang von den Grazien Homers zu denen des heil. Thomas geschah
wirklich, zeigt aber den Abbé Bernis nicht mehr; sein nachgelassenes
Gebiet in 10 Gesängen: la religion (1797) wird von Laharpe unter das
des jüngeren Racine gesetzt.S. 61. Z. 3. Zelis im Bade — Ist ein Gedicht von Dorat (geb.
1734 u. gest. 1780 zu Paris), über welchen Laharpe (Cours de Littérature
VIII. 297.) ein sehr strenges Urtheil fällt. Wielands Urtheil über ihn, der
zuerst eins seiner Gebiete — Selim und Selima — ins Französische übersetzt
hatte, könnte bestochen scheinen, wofern er ihn etwas Anderes als einen
angenehmen Dichter genannt und ihm etwas Anderes als französische Grazie
zugeschrieben hätte. — Sonderbar genug haben Manche Wielands Grazien
selbst nur dieß zugestehen wollen, was er an Dorat hier nur ironisch lobt;
wir werden an einem andern Orte sehen, wie es sich damit verhält.S. 61. Z. 27. Amöbäische Lieder — Nennt man eine Art Wechselgesänge,
von Mehreren in einer Wette angestellt, von ähnlichem Inhalt,
gleichem Versmaß und gleicher Länge. Die Idyllen Theokrits und Virgils
enthalten mehrere dergleichen Wettgesänge zwischen zwei Hirten, und ein
Dritter entscheidet über den Preis.
Buch 1.S. 64. Z. 1. Deukalion und Pyrrha — Waren, nach der griechischen
Sage, die einzigen aus einer Sündflut geretteten Menschen und
die Stammeltern eines neuen Geschlechts. Beide warfen Steine hinter sich:
aus denen des Deukalion entstanden Männer, aus denen der Pyrrha
Weiber.S. 64. Z. 14. Es dem Verfasser der neuen Heloise zu glauben —
Wieland hat sich hierüber ausführlich erklärt in seinen Betrachtungen
über J. J. Rousseau's ursprünglichen Zustand des Menschen, welcher
Gegenstand seit Erscheinung von Rousseau's Preisschrift über den Einfluß
der Wissenschaften und Künste ein noch größeres Interesse erhalten hatte, als
er an sich zu jeder Zeit haben wird.S. 67. Z. 6. Watteau — (gest. zu Paris 1721), sagt Fiorillo, der
ihm übrigens Leichtigkeit und Originalität nicht absprechen kann, "bezeichnete
durch den Beifall, womit er gekrönt wurde, mehr als Alles den tiefgesunkenen
Geschmack seines Zeitalters. Was er lieferte, trug den Preis
davon und wurde überall bewundert. Wer seine Cabinette, Kamine, Windschirme,
spanische Wände oder die Räume über den Thüren auf irgend eine
Weise verzieren wollte, eilte zu Watteau, dessen Urtheil sogar die Kleidermoden
bestimmte, da jede Dame, welche auf Bildung Anspruch machte, à
la Watteau geschmückt seyn wollte." Ein poetischer Watteau ist daher nicht
mehr, als ein angenehmer, gefälliger Modeschriftsteller.S. 69. Z. 2. Wenn nicht endlich Momus den Einfall gehabt
hätte — Bei den Griechen war die altorientalische Idee von der
Personification der beiden Naturprincipe, des Feuers und Wassers, wohl
auch der Sonne und des Mondes, verloren gegangen, und sie verstanden
daher die so natürliche Verbindung zwischen Hephästos (Vulcan, dem Feuergotte)
und der Aphrodite (die aus Meerschaum geboren wird), eine der Ilias
übrigens noch unbekannte Verbindung, selbst nicht mehr. Daher mußte sie
ihnen seltsam und lächerlich vorkommen, und sie erklärten sie aus einem
lustigen Einfall des Spötters Momus, den man besonders bei Lucian
findet.S. 69. Z. 15. 16. Venus, Mutter der Grazien — Unter den
sehr abweichenden Abstammungen, welche die Alten selbst den Grazien (Charites)
gegeben haben, findet sich auch die von Wieland angenommene, freilich
nur bei Servius (zu Aeneis 1, 720.). Niemand kann aber tadeln, daß
der Dichter aus der Menge von Genealogien die auswählte, die ihm zu
seiner Absicht die passendste war. Ueber seine Absicht, die stets so wenig erkannt
worden ist, werden wir uns an einem andern Ort erklären.S. 70. Z. 10. Inseln der Seligen — Sind das Homerische Elysium
westwärts im Strome des erdumgürtenden Oceanos. Bei den Alten
selbst, unter denen Pindar (01. 2.) die reizendste Schilderung davon entworfen
hat, herrscht nur in so fern Einstimmigteit, als sie die größten Annehmlichkeiten
der Erde in Unveränderlichkeit dorthin versetzen. Vgl. Agathon,
Bd. 2.S. 70. Z. 12. Hesperische Gärten — Nach Hesiodus auf einer
westlichen Oceaninsel, erblühten nach dem Mythus mit goldenen Aepfeln
(Pomeranzen) zum Brautgeschenk für Here, die Königin der Götter.S. 71. Z. 9. Tithon — Der Gemahl oder Geliebte der Aurora, die
ihm die Unsterblichkeit wohl, aber nicht unsterbliche —Jugend erbeten hatte,
weßhalb sich die ewig jugendliche Göttin bald an der Seite eines immer
mehr verschrumpfenden Greises sah, der ihr weder zum Gemahl noch Geliebten
sehr wünschenswerth schien.S. 78. Z. 5. Baumgarten (Alexander Gottlieb) —Gegen die Mitte
des vorigen Jahrhundert der Schopfer der Aesthetik, war aus der Schule
des berühmten Wolff, der zu Allem gern —was Niemanden zu verdenken
ist — den zureichenden Grund entdecken mochte. Sein Schüler versuchte dieß
auch in der Aesthetik, wo es freilich, weil das Gefühl etwas so Geheimnißvolles
und die Einbildungskraft so magisch ist, am mißlichsten seyn mag, und
dadurch zog er sich — was der ihm gebührenden Achtung übrigens gewiß
nichts entzieht — hier den kleinen ironischen Seitenblick unsers Dichters zu.S. 74. Z. 12-14. Rosengebüsch — hier steht es — Diese
Stelle erklärt sich eigentlich aus der Vignette zur ersten Ausgabe.
Buch 2.S. 75. Z. 1-6. Amor nach Coppel von Daullé — siehe die
frühere Anm. S. 282. Von Mechel nach Vanloo gestochen ist es l'Amour
menaçant, prèt à décocher une fleche.S. 85. Z. 24. 25. Rubens oder Boucher — Rubens war bei aller seiner
sonstigen Vortrefflichkeit doch keiner wahren Idealität fähig: wie hätte
er sonst seine wohlbeleibte Frau als Madonna gemalt? — 'Boucher. erster
Maler des Königs und Director der Malerakademie zu Paris (geb. 1704, gest.
1770), den man damals den Maier der Grazien nannte, war es vornehmlich,
der die Periode herbeiführte, worin die Maler ihr Heil in Darstellung
des Wollüstigen suchten. Er arbeitete lediglich auf reizenden Effect
hin.S. 87. Z. 10. Dame Quintagnone —Diese, nach Don Quixote's
Charakteristik, weise und ehrenvolle Dame spielte in der Liebesgeschichte der
Königin Genievre, Gemahlin des großen Artus, um dem schönen und tapfern
Ritter Lanzelot vom See die Unterhändlerin und gehört mithin zur Geschichte
der Tafelrunde. S. Bibliothek der Romane.
Buch 3.S. 89. Z. 6. Knidos — In Karien, verherrlicht durch die bewunderte
Bildsäule der Venus von Praxiteles, und Paphos, auf der westlichen
Küste der Insel Cypern (vgl. d. Anm. zu Anti-Ovid, Ges. 1. B., 83.),
waren zwei Hauptverehrungsorte der Venus.S. 90. Z. 22. Seladon — Ist durch seine fast mystische (Guarini's)
Pastor fido (treuer Hirt), durch seine romantische, Geßners Daphnis, durch
seine elegantere Empfindsamkeit in jeder Hinsicht ein Gegenbild zu Theokrits
naiver, zuweilen etwas derber Natürlichkeit.S. 94. Z. 6-8. Der Dichter, der Pygmalions Statue beseelt
und die Vergötterung der Jno gesungen hat, — war
Ramler. S. dessen Cantate.
Buch 4.S. 96. Z. 6. Der Penseroso — Der gefühlvolle Dichter. Anspielung
auf Miltons Penseroso. W.S. 96. Z. 24. 25. Ausgesuchten Glückseligkeit aus der
Wahl ihrer Gesellschaft — |
A nice and subtle happiness, I see,
Thou to thyself proposest in the choice
Of thy associates — |
|
Parad. Lost B. VIII. v. 399. W. | S. 96. Z. 27. Nach thracischer Weise —Horaz Oden B. I. Ode 27. |
Fi, Brüder! wollt ihr kämpfen wie Thracier,
Mit Bechern, die zur Freude geschaffen sind? |
|
Seyd nicht Barbaren, die den frommen
Bacchus durch blutige Fehd' entweihen, | S. 97. Z. 8. Der Homerische Nepenthe — Odyssee 4, 220 heißt
es von Helena: |
Schnell in den Wein warf jene, wovon sie tranken, ein Mittel,
Kummer zu tilgen und Groll und jeglicher Leiden Gedächtniß. | Dieses Zaubermittel ist der Homerische Nepenthe, der kummervertilgende
Zaubertrank.S. 99. Z. 9. 10. Die Hälfte mehr als das Ganze — Eine
Anspielung auf den berühmten Vers des Hesiodus: |
Íçðéïé ονδ ίδαδιν οδω πλεον ημιόν παντος! '
Die Thoren, die nicht wissen, um wie viel die Hälfte mehr ist, |
S. 104. Z. 15. Hyacinth (Hyakinthos)— Nach der gewöhnlichsten
Sage der Sohn des lacedämonischen Königs Amyklas, ein schöner Jüngling,
war der Liebling Apollons, der sich gern in Spiele mit ihm einließ. Zephyr
aber liebte den Jüngling auch und trieb aus Eifersucht einst die Wurfscheibe
des Jünglings so, daß sie zurückfiel und diesen erschlug. Apollon verewigte
sein Andenken durch ein Wunder, welches Ovid (Met. 10, 210.) beschrieben
hat: |
Siehe das Blut, das strömend des Erdreichs Kräuter gestecket,
Endiget Blut zu seyn; voll Glanz, wie tyrischer Purpur,
Hebt sich die Blum' und empfänget Gestalt gleich Lilien, wenn nicht
Röthelnde Bläue die ein', und die andern Silber gefärbet.
Nicht genügt es dem Phöbus; denn der war Stifter der Ehre.
Selbst mit eigenem Wehe beschrieb er die Blätter, und Ai Ai
Sagt den Griechen die Schrift, und es klagt auf der Blume der Buchstab. | Die Hyacinthe ist jedoch nicht die unsrige, sondern entweder die Iris, blaue
Schwertlilie oder der kleine Rittersporn. — Außerdem aber erhielt sich Hyacinths
Andenken noch durch ein jährliches Fest und feierliche Wettspiele, die
zu Amyklä im heiligen Bezirke gehalten wurden. Die Feier dauerte drei
Tage. Am ersten brachte man dem Hyacinth als Heros ein Todtenopfer,
am zweiten ward dem Apollon ein Opfer gebracht, und feierlicher Gesang
und Tanz zu seinen Ehren gehalten; den dritten Tag füllten vermuthlich
Spiele aus. (S. Heyne's antiq. Aufs. 1, 97 fg.) Wieland hat dieses Fest
zu seinem Zwecke mit Dichter-Freiheit benutzt.
Buch 5.S. 116, Z. 14. 15. Waren es nicht diese Augen — |
Tanto negli occhi bei fuor di misura
Par ch' Amore e dolcezza e grazia piova. |
|
Riso da far inamorae un uom selvaggio. |
|
Pace tranquilla senz' alcuno affanno,
Simile a quella, ch' è nel Ciel eterna,
Muove dal lor inamorato riso. |
|
Quel vago impallidir, che'l dolce riso
D'un amorosa nebbia ricoperse. |
|
Non era l'andar suo cosa mortale.
Ma d'angelica forma, o le parole
Suonavan altro, che pur voce umana. |
|
Leggiadria singolare e pellegrina. |
S. 117. Z. 11-15. Dinge, die —— verständlich seyn können —
Beweise hiervon finden sich vornehmlich in den Canzonen 18, 19,
20, 27, 30, 31, 35 und in den Sonetten 84, 123, 134, 142, 143. W.
S. 117. Z. 24. Die Zauberer, die ihn verwandelt haben — |
Grazie ch' a pochi il Ciel destina, etc.
Da questi Magi transformato fui. |
S. 119. Z. 10. Mit dem berühmten Gürtel umgeben — Iliad,
XIV. 215, 16, 17. W.S. 120. Z. 2. Kein Götterfest ohne ihre Gegenwart —
Pindar, Olymp. XIV. W.S. 120. Z. 8-11. Vulcan — an die Stelle des Mundschenken
— Iliad. I. 599. W.S. 120. Z. 12. Ihr Schläge zu geben — Iliad. I. 567, XV. 17.S. 120. Z. 13. Mit einem Amboß auszuhängen —Iliad. XV.S. 121. Z. 16-17. Die Vermählung des Chaos mit der
alten Nacht u. s. w. — Wieland bezeichnet in dieser Stelle den historisch
erwiesenen Uebergang der griechischen Poesie aus der Periode der Theogonien
und Kosmogonien (Orphische und Hesiodische Schule) in die Periode
der Lyrik, die sich den Ausdruck des Gefühls bei den mannigfaltigsten
Scenen und Interessen des Lebens, zu Erheiterung und Erhebung desselben,
zum Geschäft machte. Da erschienen die erhabene Ode, das anmuthige
Lied, der zürnende Jambus und die sanfte Elegie: Dichtungsarten, deren
jede das Gemüth auf eine eigne Weise in Anspruch nimmt.S,. 122. Z. 4. Und fröhlich, wie Silen — Anakreon, Ode 38, W.S. 123. Z. 26. Euren Orgien — Die Grazien hatten zu Athen
eine Art von geheimem festlichem Gottesdienste, welcher die Orgien der
Charitinnen genannt wurde. Pausanias in Boeotic. W.S. 124. Z. 9. Priesterinnen, Richter — Anspielungen auf die
Priesterin, welche sich weigerte, dem Alcibiades zu fluchen (s. Plutarch im
Leben des Alcib.), und auf die Richter der schönen Phryne. Der Kunstgriff,
dessen sich ihr Vertheidiger, Hyperides, bediente, ist zu bekannt, hier angeführt
werden. W.S. 124. Z. 11. 12. Phidias, Kalamis — Anspielung auf die
Pallas des erstern und auf die Sosandra des letztern, wovon Lucian in dem
Ideal einer vollkommnen Schönheit nachzusehen ist. W.S. 124. Z. 19. Euphranor — als Bildhauer, Erzgießer, Maler und
Schriftsteller gleich berühmt, der Vollender des Heroen-Ideals, gehört in
Alexanders Zeitalter, worin der Styl der Grazie sich ausbildete.S. 124. Z. 19. Damon — s. Agathon, Bd,. 1.S. 124. Z. 21. Die Jugend Weisheit lehrte — S. Xenophons
Gastmahl. W.S. 124. Z. 22. Zeus Perikles — Perikles wurde von den komischen
Dichtern seiner Zeit häufig unter dem Namen Jupiters, mit Beifügung
eines spöttischen Beiworts, satirisirt. W.S. 124. Z. 24. Prytaneon — Das Rathhaus zu Athen. W.S. 124. Z. 28. Ulysses — War der beredteste und listigste, Achilles
der tapferste der Helden vor Troja; den Paris nennt Homer selbst den weibsüchtigen,
schlauen Verführer.S. 125. Z. 8. Menander — Ein Schüler des berühmten Charakterschilderers
Theophrastos, gehört zu den vorzüglichsten Dichtern der sogenannten
neuen Komödie bei den Griechen. Statt des Aristophanes hoher komischer
Kraft zeichnete er sich durch stittliche Grazie aus. Sein Verhältnis
zu Glycera hat Wieland späterhin selbst in Menander und Glycerion geschildert.S. 125. Z. 11. Apelles, Protogen (Protogenes). — Den freundschaftlichen
Wettstreit beider Künstler erzählt Plinius (H. N. 35, 10,), Die
berühmte Linie des Apelles, die den Wettstreit veranlaßte, in dem sich Protogenes
so rühmlich für den Besiegten erkannte, hat den Erklärern viel
Noth gemacht, und — adhuc sub judice lis eat. Das Beste darüber findet
man bei Fiorillo kl. Schriften art. Inh. 1, 229 fgg. und Böttiger Archäol.
d. Mal. 1, 153 sgg.S. 125. Z. 15. 18. Und jener, dem die Grazien sich ohne
Gürtel wiesen — Ist Apelles, von dem man sagte, daß die Götter ihm
die Charis (Grazie) zum Eigenthum gegeben. Sein allbewundertes und in
vielen Sinngedichten besungenes Werk war die aus dem Meer aufsteigende
Venus (Anadyomene). Ist die Anekdote bei Athenäus (13, 6.) wahr, daß
ihm Phryne zum Modell gedient, wie sie am Feste Neptuns vor den Augen
des versammelten Griechenlands mit anfgelöstem Haar im Meere gebadet
habe; so zeigt sie an einem auffallenden Beispiele, was der Dichter oben
rühmte, daß damals kein blöder Wahn dem Künstler die Natur verhüllte.
Buch 6.S. 128. Z. 21. Die ehrwürdige Vesta — Fastor. VI. Est multi
fabula plena joci, sagt er; und zu seiner Ehre müssen wir gestehen, daß er
sie den Grazien selbst nicht anständiger hätte erzählen können. können. W.S. 128. Z. 28. Der einzige Claudian — Mille pharetrati ludunt
in margino frates, Ore pares, aevo similes, gens mollis Amorum. Hos
Nymphae pariunt — De Nupt. Honorii et Mariae, v. 72. W.S. 129. Z. 14. Ein Dichter, den Sie kennen — Wieland selbst
in Jdris und Zenide Ges. 1. St. 4.S. 132. Z. 11-26. Phänaretens Sohn — Sokrates — Der
Lockenraub von Pope; — Verd-verd von Gresset; — Facardin
von Hamilton.S. 135. Z. 12. Agrypnie, Schlaflosigkeit.
Der verklagte Amor.Erster Gesang.S. 142. Z. 4. Amorn, den man Cupido nennt —Cupido, das
Verlangen (Pathos bei den Griechen), wurde dem Amor eigentlich nur
beigesellt, bald aber nahm man auch beide für eine und dieselbe Gottheit, und
Amor als Cupido ist es eigentlich — der mit den Kerzen sein Spiel treibt.S. 143. Z. 6. 7. Der Hippiassen berüchtigte Kunst — Die
Disputirkunst der Sophisten.S. 143. Z. 10. Catinat — Im Jahr 1712 als Marschall von Frankreich
gestorben, zu welcher Höhe ihn nur Verdienst gehoben hatte, wurde
wegen seiner immer gleichen Stimmung von den Soldaten le père la Pensée
genannt. In seiner Jugend war er Advocat gewesen, wegen einer Entscheidung
aber, die ihm ungerecht schien, hatte er diese Laufbahn mit der militairischen
vertauscht.S. 144. Z. 18. Consensus gentium — Die gleiche Meinung aller
Völker.S. 145. Z. 1. Des Esels Schatten — S. Wielands Abderiten.S. 145. Z. 15. Ma Dia — Eine den alten Griechen gewöhnliche Betheurung,
beim Jupiter! — die sich für den Vogel Jupiters besonders zu
schicken schien. W.S. 147. Z. 12. Feigen oder Macaronen — Die Macaronen beziehen
sich auf eine Stelle im VII. Theile des Tristram Shandy und die Feigen
auf das Mährchen von einem Feigen essenden Esel, über den der stoische
Philosoph Chrysippuy, der ihn bei diesem ungewöhnlichen Schmaus ertappte,
sich zu Tode gelacht haben soll. Das Nämliche wurde auch dem Komödien-Dichter
Philemon nachgesagt W.S. 147. Z. 19. Und zwischen zwei gleichen Bündeln Heu
—Johann Buridan, ein subtiler Scholastiker von der Secte der Nominalisten,
im vierzehnten Jahrhundert, dessen zu seiner Zeit vielgeltende Commentarien
über den Aristoteles längst vergeßen sind, hat seine Unsterblichkeit
einem, unter dem Namen der Esel Buridans, berühmten Sophisma zu
danken oder vielmehr der Celebrität, die ihm Merlinus Coccajus (Theofilo
Forengo) in seiner Macaronea durch seinen Spott und Bayle, Spinoza,
Leibnitz u. A. durch ernsthafte Beantwortung desselben gegeben haben.
Wenn, sagt Buridan, ein hungriger Esel sich gleich weit zwischen zwei vollkommen
gleichen Bündeln Heu oder Grasplätzen befände: was könnte könnte er
thun? Da kein objectiver Beweggrund vorhanden ist, warum er den einen
dem andern vorziehen sollte, und der subjective (sein Hunger) ihn gleich stark
zu beiden zieht: so muß er entweder in diesem fatalen Gleichgewichte Hungers
sterben —welches wenigstens alle Esel in der Welt eben so ungereimt
finden werden, als der Esel Silens — oder er muß, ohne Beweggrund, aus
freiem Willen sich zum einen oder zum andern entschließen können, welches,
nach den Scholastikern, ein Vorrecht der vernünftigen Wesen ist, das keinem
Esel zukommen kann. Leibniz gesteht ohne Bedenken, wenn der vorausgesetzte
Fall Statt fände, müßte der Esel wirklich Hungers sterben; er behauptet
aber, dieser Fall sey nach dem ordentlichen Laufe der Natur gar
nicht möglich; —wiewohl er aus Achtung für die Theologen seiner Zeit (die
nicht ganz so geschmeidig waren, wie die unsrigen) hinzusetzt: es wäre denn,
daß unser Herr Gott es schlechterdings so veranstalten wollte. Aber auch
in diesem Falle würde sich, glaube ich, jeder Esel noch zu helfen wissen:
denn er würde sich ohne Zweifel vor Hunger oder Ungeduld so lange herumwälzen,
bis er dem einen Heuhaufen näher wäre als dem andern. W.S. 147. Z. 26. Schweizers Gesange — Die launenhafte Göttin
Tyche, welche nicht gewohnt ist, "Glück und Verdienst gegen einander
gleich zu wägen," hat dem hier genannten großen Musikkünstler den Platz,
der ihm, neben den Jomelli's, Sacchini's, Gulielmi's, Sariti's und ihres
Gleichen, unter den dramatischen Componisten gebührt, in der Meinung
der Welt (die ihn wenig kennt, und in welcher er nie empor kommen konnte)
nicht zu Theil werden lassen. Aber gewiß wird Niemand, der die von ihm
in Musik gesetzten Singspiele, Elysium (von J. G. Jacobi), Alceste und
Rosemunde, besonders das leztere, kennt oder ehemals zu Manheim aufführen
gehört hat, es unserm Dichter verdenken, daß er seinem verewigten
Freunde bei dieser Gelegenheit eine Gerechtigkeit erweist, die nichts dadurch
verliert, daß sie aus dem naiven Munde eines so unbefangenen Wesens
kommt, als Silens Esel, zumal da dieser hier als Repräsentant vieler anderer
spricht, die sich, wiewohl mit kürzern Ohren, in einerlei Falle mit ihm befinden.
W.S. 149. Z. 16. Den Pfau in eine Pfauhenne — Diese beiden
Verse, die in den ältern Ausgaben fehlen, schienen, zu Beschönigung
der Ungereimtheit, den Dichter-Schwan eine so ekstatische Rolle bei Junons
Pfauen spielen zu lassen, unumgänglich nöthig zu seyn. W.S. 150. Z. 12. Mühlpfort (Heinr.)— geb. zu Breslau 1639 gest.
daselbst 1681, gehörte zu den schlesischen Dichtern, die sich, nach Bouterwecks
Ausdruck, durch galantes Kauderwälsch zu empfehlen dachten. — Lohenstein
(geb. 1635) hat zwar auch alle Fehler jener schlesischen Dichterschule,
war aber gewiß ein Mann von echt poetischem Genie, der zu einer andern
Zeit ein Schiller geworden seyn würde.
Zweiter Gesang.
S. 152. Z. 2. Vater Sanchez. —Jesuit, geb. zu Cordova 1551, gest.
zu Grenada 1610, behauptete stets den Ruf strenger Sitten, ungeachtet er
in seinem Werk über die Ehe (de matrimonio, zuerst erschienen 1592 fol. zu
Genua; beste Ausgabe zu Antwerpen 1607) die schlüpsrigsten Fälle aus dieser
delicaten Materie abhandelte. Was auf den Verfasser selbst keinen Eindruck
gemacht hatte, machte dessen um so mehr auf den Censor, der die Genehmigung
zum Drucke mit den Worten beifügte: Legi, perlegi, maxima
cum voluptate.S. 152. Z. 8. Naso, Ovid — Peter Aretin, italienischer Dichter
aus dem 16. Jahrhundert, der nächste Geistesverwandte Ovids, von seinen
Zeitgenossen der Göttliche genannt, und nicht seiner — Erbauungsbücher
wegen, die er neben den schlüpfrigsten Gedichten ebenfalls herausgab. S.
Flögels Gesch. d. kom. Literatur 2, 144.S. 152. Z. 1. Den tiefgelehrten Leuten von seiner
Gattung — Mangel an Einsichten in die Geheimnisse der Venus Volgivaga
war es gewiß nicht, was die Liebesgöttin gegen den ehrwürdigen
Pater Thomas Sanchez, S. J. einzuwenden hatte, dessen berüchtigtes
Buch de matrimonio, nach dem Urtheile des berühmten Abts von St.
Cyran, ein Werk von unendlicher Gelehrsamkeit in denjenigen Wissenschaften
und Künsten ist, welche unter Asmodi's unmittelbarem Einfluß stehen, und
in welchen unwissend zu seyn rühmlich und nützlich ist (s. oben). Vermuthlich
rührt also der Widerwille Cytherens gegen ihn bloß daher, weil die Göttin
der Liebe nicht die Göttin der Leichtfertigkeit ist. Ein Sachwalter, wie
Doctor Sanchez, würde Amors Sache nur verschlimmert haben; und der
Erfolg zeigt, daß dieser sein Interesse am besten verstand, da er sich mit
seinen Gegnern in gar keine Rechtfertigung einlassen wollte. W.S. 152, Z. 18.
Aegipan — Dieser Ziegenfüßler steht hier im Allgemeinen
statt Satyr.S. 152. Z. 26. Was ihre sprechenden Blicke u. s. w. —
Wenigstens nach dem Urtheile des Demosthenes, der auf die Frage, was in
der Redekunst das Erste sey, antwortete: Die Action ist das Erste, das
Andere und das Dritte. Cicero de Oratore III, 56. W.S. 153. Z. 26-28. Die Nacht hat —— mich geboren — Daß
Amor (Eros) in dem ältesten griechischen Systeme der Weltentstehung die
Stelle einer philosophischen Idee vertrat (durch Liebe — Wahlverwandtschaft —
habe das Chaos sich harmonisch geordnet), erhellet noch aus
Hesiod. Theog. 116 fgg.S. 154. Z. 7. Aphrodite — Hieß Venus, weil sie aus Schaum
des Meeres entsprungen war; ursprünglich eine naturphilosophische Idee,
hier als ein Vorwurf, der auf die Natur des Meerschaumes anspielt;
Gegensatz zur himmlischen Venus.S. 155. Z. 11. Hestia (Vesta) nicht zu fromm — Anspielung auf
eine Anekdote, welche Ovidius im sechsten Buche seines Festkalenders
v. 331 f. erzählt, und deren noch etwas deutlicher zu erwähnen Momus im
dritten Gesange sich die Freiheit nimmt. W.S. 155. Z. 13. Latonens Tochter — Die keusche Artemis oder
Diana. Ueber ihr Verhältniß zu Endymion.S. 156. Z. 18. Asträa — Die Sternenjungfrau, Göttin der Gerechtigkeit.
S. Anmerkungen zu den moral. Briefen, 5. Br.S. 156. Z. 23. Pompadour — Durch den Einfluß dieser berühmten
Maitresse Ludwigs XV. soll Prinz Soubise, der bei Roßbach geschlagen
wurde, den Oberbefehl des Heeres erhalten haben.S. 157. Z. 5. Saturnuszeit — Das goldene Weltalter voll Unschuld
und Glück. Agathon, Bd. 3.S. 158. Z. 1. Ein Solon selbst — Dieser berühmte Gesetzgeber
der Athener vertrieb sich die Zeit noch in seinem hohen Alter mit Versemachen.
Plutarch führt unter Anderm folgendes Distichon von ihm an, auf
welches Minerva hier anzuspielen scheint: |
Εςγα δε Κνπςογενονς ποι ψιλα χαι Διοννόον, |
|
Και Μονόων, α τιδηό ανδςαόιν ενφςοόνας.
Wiewohl man diese Verse in ihrem Zusammenhange mit den vorgehenden
müßte lesen können, um ihren Sinn ohne Gefahr eines Mißverstandes ganz
bestimmt angeben zu können: so erhellt doch immer so viel daraus, daß die
runde Erklärung: "daß er noch immer Last und Liebe zu den Werken (oder
Gaben) der cyprischen Göttin und des Bacchus habe,"
Minerven einen hinlänglichen
Vorwand zu geben scheint, seine Weisheit wenigstens denjenigen
verdächtig zu machen, welche nicht so glücklich sind, in Solons damaligem
Alter ein gleiches von sich rühmen zu können. W.
S. 158. Z. 8. Von einer Tänzerin herabgesetzt zu sehen
—S. Xenophons Gastmahl, wo diese Anekdote umständlich erzählt wird. W. |
S. 158. Z. 22. Die Weisheit, Herzen zu fangen — S. Xenophons
Denkwürdigkeiten des Sokrates III. 13. Daß Minerva auch des
weisesten Mannes, den ihr geliebtes Athen je hervorgebracht, nicht verschont,
soll den Richtern vermuthlich eine desto größere Meinung von der
Gerechtigkeit ihrer Sache geben: indessen wäre es leichter, den guten Sokrates
gegen diese beide Anschuldigungen, als die redselige Göttin gegen den
Vorwurf der Chicane zu vertheidigen. W.
Dritter Gesang.
S. 160. Z. 10. Vesta — War die älteste Göttin (Hom. Hymn. in
Vener. 32), Kybele hieß die Göttermutter. Beide also waren die Matronen
des Olymps.S. 163. Z. 17. Messalina — Die Gemahlin des Kaisers Claudius
(s. die Anm. zu Anti-Ovid, Ges. 1. B, 112-119.), und Poppäa, des
Nero, waren ihrer Ausschweifungen halber berüchtigt.S. 164. Z. 9.
Bromius, Bacchus. — Der Gott von Lampsakus,
Priapus.S. 164. Z. 15. Der Spötter Momus —Daß Momus hier ungefähr
eben dieselbe Rolle spielt, wie in Lucians Götterversammlung und im
Jupiter Tragödus, braucht für Leser, die mit diesem Schriftsteller nicht
unbekannt sind, kaum erinnert zu werden. W.S. 164. Z. 22. Frisches Blut vel quasi — Anspielung auf eine
Stelle in Cicero's Dialogen de Natura Deorum, die wir im neuen Amadis
schon angeführt haben.S. 166. Z. 7. Mit Mulcibern soll aufgelesen haben — Die
Rede ist von dem drachenfüßigen Erichthonius, der sein Daseyn einem ziemlich
seltsamen Paroxismus zu danken hatte, der den guten Vulcan überfiel,
als Minerva einst allein in seine Werkstätte kam, um sich neue Waffen bei
ihm zu bestellen — eine Anekdote, die man in Benjamin Hederichs mythol.
Lexikon in einem Ton und Styl, die vermuthlich einzig in ihrer Art sind,
erzählt finden kann. W.S. 166. Z. 25. Allein die Wände reden — Dieser Ausfall des
Momus auf den Ruhm der Götterkönigin bezieht sich auf die komische Erzählung
Juno und Ganymed und würde, da die Lauterkeit dieser Quelle
mehr als verdächtig ist, in dem Munde eines jeden Andern als des Momus
nicht zu entschuldigen seyn, da sich in der alten Mythologie nichts findet,
was den Urheber derselben von dem Vorwurfe, diese Göttin verleumdet zu
haben, frei sprechen könnte. W.
Vierter Gesang.S. 171. Z. 13. Nituschen — Une sainte Nitouche nennt man sprüchwörtlich
einen, der sich heilig stellt.S. 171. Z. 14. Scaramuschen — Scaramuccia, Scaramouche, Scaramutz,
ist eine der italienischen komischen Masken, die in spanische Tracht,
ganz schwarz, gekleidet waren.S. 174. Z. 6. Die schönste Königsstadt zum zweiten Troja
macht — Bei einem großen Gastmahl, welches Alexander zu Persepolis
veranstaltet hatte, wünschte Thais, eine attische Hetäre, mit eigner Hand
den Palast des Xerxes, des größten Feindes von Griechenland und Zerstörers
von Athen, anzuzünden. Der zwiefach berauschte Sieger schleuderte selbst
die erste brennende Fackel in den herrlichen Palast.S. 175. Z. 20. Mein Brüderchen von linker Hand — Ich
vermuthe, daß Wieland den sogenannten himmlischen Amor meint. Was
die Sittigkeit (Z. 25.) freilich gegen diesen könnte einzuwenden haben,
scheint nicht leicht zu erklären. Wahrscheinlich erinnerte sich aber der Dichter
bei diesem kosmogonischen Amor, daß er in den Hymnen der Orphiker
als König Priapus (auch als πολνόποςος, ηςιχαπαιος, Symbole der
Befruchtung der Natur) dargestellt wurde, nahm dieß aber nicht im alterthümlichen,
sondern im späteren Sinne, ganz seiner Ueberzeugung gemäß,
daß es Liebe ohne einige Beimischung von Sinnlichkeit nicht gebe, und daß
die himmlische Liebe meist ziemlich irdisch ende.S. 177. Z. 19. d'Urfe's Seladon — Ein sentimental-romantischer
Schäferroman von Honoré d'Urfé, welcher 1610 zum Erstenmal zu Paris
unter dem Titel "Asträa" erschien und eigentlich auch für die nachfolgenden
historischen Romane den alten ritterlichen Ton der Galanterie in den
langweiligen Ton galanter schäferlicher Empfindsamkeit umstimmte. Als er
im J. 1733 noch einmal in 5 Octavbänden herausgegeben wurde, mußten
die ermüdend zärtlichen Monologe und Dialoge abgekürzt werden. — Seladon
hat sich aus dieser Asträa wenigstens dem Namen nach im Andenken erhalten.S. 178. Z. 17. Diotima's gepriesenes System — Die sogenannte
platonische Liebe, welche Plato in seinem Gastmahl von der Wahrsagerin
Diotima dem Sokrates vortragen läßt. W.S. 178. Z. 26. Agnus castus um die Lenden — Die Blätter
dieser Staude haben, nach der Versicherung des Plinius, eine gewisse kühlende
Kraft, die dem Gelübde der Enthaltung besonders zuträglich ist. Die
athenischen Frauen, welche während der Thesmophorien (eines über 8 Tage
dauernden Festes der Ceres) von ihren Männern abgesondert leben mußten,
bestreuten, aus einer Vorsicht, die ihrer Gewissenhaftigkeit mehr Ehre macht,
als ihrem Temperament, ihr Lager mit Blättern von Agnus castus Plin.
H. N. XXIV. 9. W.S. 179. Z. 2. Phallus — So viel als Jtiphall, vergl. d. Anm. zu
Jdris und Zenide, Ges. 1. St. 53.S. 179. Z. 25. In Fugam Vacui — Um der Leere zu entfliehen.S. 180. Z. 20. Als Guido's Amor, zwar divino — Auf einem
von Robert Strange gestochenen Blatte, das einen nackten schlafenden Knaben
von sechs oder acht Monaten vorstellt, neben welchem eine junge Nonne
mit gefalteten Händen ihre Andacht verrichtet, aber unfreiwillige Zerstreuungen
zu haben scheint. Statt der Unterschrift Amoris primitiae, die sich
auf die Nonne bezieht, hätte sich Amore divino um so besser geschickt, weil
dieses Blatt das Gegenstück von einem ebenfalls nach Guido Reni gestochenen
Cupido ist. W.S. 181. Z. 26. 27. Remedia Amoris — Hülfsmittel der Liebe, ist
der Titel eines ovidischen Gedichtes.S. 182. Z. 3. Aes triplex — Dreifaches Erz um den Busen haben,
gebraucht Horaz, um die höchste Sorg- und Furchtlosigkeit auszudrücken.S. 182. Z. 17. Jlia und Egeria — Jlia, die Mutter des Romulus
und Remus; Egeria, eine Nymphe, Gemahlin des Numa. —Ilia et Egeria
est, do nomen quodlibet illi. Horat. Tota merum sal (von Kopf bis zu
Fuße lauter Reiz). Lucret. de Rerum Natura, VI. W.
Fünfter Gesang.S. 185. Z. 13. Sohn der Semele — 'Bacchus.S. 186. Z. 19. Guer'ckens leerem Raum — Otto von Guericke,
Erfinder der Luftpumpe. Die Chronologie ist durch ihn und andre Angeführte
verlezt, — absichtlich, zur Vermehrung der komischen Kraft,S. 187. Z. 4. Trismegist — Hier Hermes, Mercur, Vergl. die
sieb. Anm. zum 1, Buch der "Natur der Dinge" und die folg. Anm.S. 187. Z. 28. Antlia — Luftpumpe.S. 188. Z. 10. Apathie — gefühllose Gleichgültigkeit. — Spleen,
Milzsucht, launisches Wesen. — Aprypnie, Schlaflosigkeit.S. 189. Z. 20. Sakripant — Der tscherkassische König, bekannt
aus Ariosto's rasendem Roland — durch seinen Liebesschmerz und seine
Abenteuer.S. 189. Z. 26. Sie hätten einst in dickem Gerstensaft
u. s. w. —Diese ganze Stelle enthält eine Selbstvertheidigung Wielands gegen
Gerstenbergs Angriffe und zugleich einen Angriff auf dessen und Anderer
damalige Bardengesänge. Hiervon an einem andern Orte.——————
Psyche.S. 209. Die Geschichte der Liebe Amors und der Psyche (Seele), wie
sie Apulejus in seinem goldenen Esel (Buch 4. 5. 6.) erzählt, und der Graf
Soden nacherzählt hat (s. Psyche, ein Mährchen des Alterthums. Berl. 1798.)
ist von jeher für eine der gelungensten Allegorien in Platons Geschmack gehalten
worden, und Wieland sah wohl nicht mit Unrecht in ihr eine Art
von Naturgeschichte der Seele. Daß diese ihn in jener Zeit sehr lange und
lebhaft müsse beschäftigt haben, würde man, auch ohne sein ausdrückliches
Geständniß, aus Allem, was er sonst noch schrieb, errathen, so wie daraus
auch hervorgeht, aus welchem Gesichtspunkt er jenes Mährchen vornehmlich
angesehen habe. Schwerlich sah er in jener Psyche, wie Manso, überhaupt
das Bild der menschlichen Seele, die durch Leiden und Unglück geläutert
und so auf den Genuß reiner und echter Freude vorbereitet und für selbigen
empfänglich gemacht wird, sondern er faßte vornehmlich das Verhältniß der
Seele zur Liebe und den Einfluß dieser auf die menschliche Bildung und
menschlichen Lebensgenuß auf. Die Naturgeschichte seiner eigenen Seele,
wie sie aus dem Reiche platonischer Ideen allgemach in das wirkliche Leben
sich gefunden hatte, lag ihm hiebei zu nah, als daß sie nicht Einfluß auf
seine Darstellung und den Ton derselben hätte haben sollen. Eine gewisse
Persiflage läuft durch das Ganze hin, die der Dichter eigentlich nur gegen
sich selbst gerichtet hat, und die eben darum so heiterer Natur ist. Dieß
würde seine Psyche der des Apulejus wahrscheinlich sehr unähnlich gemacht
haben: und wäre seine Darstellung nun auch in ihrer Art gleich vortrefflich
gewesen, wer weiß, ob man ihm verziehen hätte! Bemerkenswerth ist es
wohl, daß er im Jahre 1767 für diese Gattung von Gedichten eine Schlussrede
verfertigte, die er im Jahre 1795 für sehr unnöthig hielt, — jetzt aber
wahrscheinlich wieder für nicht ganz unzeitig erklären würde.S. 214. Z. 6. Pilpai oder Pidpai — Ein indischer Weiser, der
eine Art von Volksphilosophie unter dem Gewande der Fabel geschrieben
haben soll.S. 214. Z. 6. Trismegist — Das ist der dreimal Große. Mit
diesem Beinamen wurde Theut (Hermes), ein Phönicier oder Aegypter, der
Erfinder der Buchstabenschrift und, wie man vorgibt, vieler geheimer Weisheit,
belegt. Man schrieb ihm ehedem nicht weniger als 36,525 Schriften
zu, unter denen, nach Wielands Meinung, wohl auch Mährchen —gewesen
seyn könnten, wenn er nicht an den Poemander gedacht hat, der unter seinem
Namen noch vorhanden ist.S. 214. Z. 10. Wie blau sie sind — Man nennt Sammlungen
von Mährchen aller Art die blaue Bibliothek, vielleicht in Beziehung auf
die blauen Dünste oder den Schuß ins Blaue, bei denen beiden es eben
nicht auf die Wahrheit abgesehen ist.S. 214. Z. 16. Adepten — Hier: Eingeweihte in die Geheimnisse
der Wissenschaften.S. 215. Z. 2. Nympholepten — So hießen bei den Griechen eine
Art von Wahnwitzigen, von welchen man glaubte, daß sie von dem unversehenen
Anblick einer Nymphe den Verstand verloren hätten. W.S. 215. Z. 7. Koische Gewänder — Eine sehr feine Art von Flor,
die auf der Insel Kos verfertigt wurde. W.S. 216. Z. 24. Dschinnistan — Das Feenland der persischen und
arabischen Dichter. W.S. 221. Z. 21. Dione — Venus.S. 222. Z. 17. Guido Reni — Einer der anmuthigsten Maler der
italienischen Schule aus dem 16. Jahrhundert.S. 223. Z. 17. Amphritrite — Göttin des Meeres. Apollon hier
als Sonnengott.S. 223. Z. 21. Sokratisches Gewand —Anspielung auf die bekleideten
Grazien, welche Sokrates in seiner Jugend aus Marmor gebildet
haben soll. W.
Das Leben ein Traum.
S. 229. — Der Dichter sagt selbst, daß das Bild eines schlafenden Endymion
gegenwärtiges Gedicht bei ihm veranlaßt habe: es ist also billig, daß
wir uns vor allen Dingen über diesen schlafenden Endymion selbst erklären.
Apollodor (1, 7, 5.) erzählt: Selene verliebte sich um seiner ausgezeichneten
Schönheit willen in Endymion. Zeus stellte ihm frei, sich das ihm
Liebste zu wählen, und er wählte sich immerwährenden Schlaf, Unsterbkeit
und ewige Jugend. —Heyne bemerkt dabei, es sey nicht recht klar, wie
dem Erfinder dieser Sage die Glückseligkeit eines ewigen Schlafes vorgekommen
seyn möge; möge; und wer befindet sich hier nicht in Heyne's Falle, —
selbst wenn er astronomische Hypothesen zu Hülfe nimmt? Wieland erinnerte
sich dabei an Hamletts berühmten Monolog, und was hätte ihm daraus
mehr auffallen müssen, als die Reflexion: Schlafen? — Nicht auch
träumen? "Er hatte schon früher den Endymion im Schlafe träumen lassen,
und so lag ihm allerdings die Betrachtung sehr nahe; worin sich denn
der Traum vom Leben selbst unterscheide?" Daß das Leben des Menschen
nur ein Traum sey — schreibt Göthe's Werther —, ist Manchem schon so
vorgekommen, und auch mit mir zieht dieses Gefühl immer herum. Wenn
ich die Einschränkung ansehe, in welcher die thätigen und forschenden Kräfte
des Menschen eingesperrt sind; wenn ich sehe, wie alle Wirksamkeit dahinaus
läuft, sich die Befriedigung von Bedürfnissen zu verschaffen, die weiter
keinen Zweck haben, als unsre arme Existenz zu verlängern, und dann, daß
alle Beruhigung über gewisse Punkte des Nachforschens nur eine träumende
Resignation ist, da man sich die Wände, zwischen denen man gefangen sitzt,
mit bunten Gestalten und lichten Aussichten bemalt, — das Alles macht
mich stumm. Ich kehre in mich selbst zurück und finde eine Welt! Wieder
mehr in Ahnung und dunkler Begier, als in Darstellung und lebendiger
Kraft. Und da schwimmt Alles vor meinen Sinnen, und ich lächle dann so
so träumend wetter in die Welt." Wer, der nicht sein ganzes Leben
verträumte, hat nicht die tiefe, erschütternde Wahrheit hiervon gefühlt? Das
Resultat davon ist, daß die Einbildung das Leben wie den Traum beherrscht,
und daß der der Glücklichste sey, der lächelnd träumt. So ungefähr war Wielands
Jdeengang, als ihm die in der Beilage angeführte Stelle Cicero's beifiel,
die — im Grunde hiemit gar nichts zu thun hat, denn Cicero stellt dem
eingebornen Thätigkeitstriebe den Schlaf, Wieland aber dem Machen den
Traum entgegen. Er bestreitet also Cicero eigentlich ganz und gar nicht,
sondern nur eine durch Vergesellschaftung ihm unterlegte Idee. Cicero behauptet,
daß Schlaf kein Glück sey, Wieland, daß der Traum ein Glück
sey; und wenn nun Wieland sagt, Cicero hat Unrecht, so hat Wieland
Unrecht. Seine Behauptung indeß sucht Wieland zu beweisen. Sehr wenig
würde man ihn aber verstehen, wenn man annehmen wollte, sein Ernst sey
es. daß das Leben ein Traum, und daß glücklich seyn leben sey. Zu gut
wußte er, daß Bewußtseyn und freien Streben nach dem Zweck der Vernunft,
dem einzig guten, das Leben vom Traum unterscheiden, um jenen
Satz anders als ironisch zu beweisen. Darum wählt er alle Belege zum
Erweis von — wachenden Träumern. Wer es nicht merkt, daß es ihm um
das Erwecken zu thun ist, dem weiß ich freilich nicht zu helfen, es wäre
denn durch Anwünschung einer guten Nacht. Denen, die unserm Dichter
das Erwecken nicht zu verzeihen vielleicht besondre Ursachen haben, lege ich
ans Herz, daß er doch so freundlich und gutmüthig ans Beit tritt, und
daß er darum doch wenigstens Schonung verdient. Es ist nun einmal seine
ehrliche Meinung, daß es um die ganze Welt besser stehen würde, wenn sie
—wachte. Hat er darin Unrecht, warum sollten wir denn ärger mit ihm
verfahren, als er mit uns? Stellen wir ihn also getrost auch in die Reihe
der Träumer und sagen: er jagte Zeitlebens einem Traumbild nach, da er
wähnte, man würde ihm das freundliche Erwecken dereinst danken und sich
des Wachens freuen. Betrogenster aller Träumer! Es schlaft sich gar zu
süß, und der Traum kostet so wenig Mühe. Kann also der Mensch dem
Menschen etwas Besseres wünschen, als angenehme Ruhe?S. 231. Z. 9. Demokrit und seine Landsleute, die Abderiten —
werden den Lesern aus Wielands eigner Schilderung noch hinlänglich bekannt
werden.S. 231. Z. 19. Lambert — vgl. die frühere Anm. S. 284. Wieland
nennt ihn hier in Beziehung auf feine kosmologischen Briefe über die Einrichtung
des Weltbaues.S. 232. Z. 5. Pythagoras — Hielt die Seele für einen Theil des
Aethers, glaubte, daß sie von außen in den Körper komme und aus dem
Körper wieder in den Aether zurückgehe, nachdem sie ihren nothwendigen
Kreislauf vollendet, während dessen sie mit verschiedenen lebenden Wesen
vereinigt wird.S. 232. Z. 19. Stallmeister Don Quixote's — Der ehrliche
Sancho Pansa, der den hier mitgetheilten Bericht abstattete.S. 233. Z. 18. Seneschall —(nach der wahrscheinlichsten Ableitung
von dem alten Sin, Sein, des Seinen, und scalcus, Diener, wovon
Schalk), ursprünglich der Diener eines Großen, der sein Hauswesen verwaltete
(Hausvogt), dann einer, der an des Herrn Statt dessen Geschäfte
verwaltete. Es kommt daher vor theils als Hofamt (jetzt Hof- und Haus-Marschall;
Marschall war ursprünglich Oberstallmeister), theils als Staatsamt,
wieder entweder am Hofe (jetzt vielleicht Minister-Staatssecretair)
oder in Provinzen (jetzt etwa Atshauptmann). — Edict, Befehl.S. 234. Z. 3. Huris —Nymphen ausgezeichneter Schönheit im Paradies
Muhammeds, welche mit zu den Belohnungen der Seligen gehören.S. 234. Z. 7. Waldheimsbürger —Tollhäusler, benannt nach der der
sächsischen Irrenanstalt zu Waldheim.S. 238. Z. 2. 3. Attila —Der Hunnenkönig, und der Mongolenfürst
Temudschin, der sich Gengiskhan (Dschengis-Khan), d. i. den größten Khan
nannte, gehören zu den größten Eroberern und Verwüstern und sind wohl
so bekannt, als Cromwell, der gefürchtete Protector von England. —Miriweys
(Mir-Weis) gehörte zu den mächtigsten Häuptern der Afghanen, eines
kriegerischen Nomadenvolks im persischen Reiche, welches unter Mir-Weis
in den Jahren 1709-1718 seine Freiheit erkämpfte. Der so schlaue als tapfere
Führer starb 1715.S. 238. Z. 11. Polykletus — Aus Sicyon, einer der berühmtesten
Künstler Griechenlands, zeichnete sich unter anderem auch durch genaue
Beobachtung der Symmetrie aus. Besonders wurde die eine seiner Statuen
dadurch berühmt, der Doryphorus, ein Jüngling, der einen Spieß trägt.
Sie wurde als Kanon, Musterregel, betrachtet.S. 239. Z. 10. Lucull —Plutarch in seinen vergleichenden Lebensbeschreibungen
stellt dem Athener Cimon den Römer Lucius Licinius Lucullus
entgegen, nicht bloß als Feldherrn, sondern auch als Kunstfreund.
Cimon verschönerte zuerst Athen mit der aus dem persischen Kriege gewonnenen
Beute, Lucull verwendete seine von dem pontischen König Mithridates
eroberten Reichthümer zur Verschönerung Roms. Plutarch wirft ihm
die Anlage der kostbaren Gebäude, prächtigen Bäder und Spaziergänge, das
Anschaffen von Gemälden und Statuen als Verschwendung vor.S. 239. Z. 13. Curius —
Empfing einst als Dictator die Gesandten
der Samniter, da er gerade einige zu seinem Mittagsessen bestimmte Rüben
am Feuer briet. Die angebotenen großen Geldsummen der Gesandten schlug
er mit den Worten aus: Wem solche Kost genügt, der braucht kein Gold.S.
239. Z. 24. Einer, der zum Muster dich erkor — Vermuthlich
Statyllius, der dem Cato folgen wollte, den dieser selbst aber bei
Plutarch einen aufgeblasenen jungen Menschen nennt. Doch fiel er mit Ehre
in der Schlacht von Philippi.S. 240. Z. 19. Ginesillen — Vielleicht hergeleitet von Argamesilla,
einem spanischen Dorfe in der Provinz La Mancha, welches Cervantes als
Geburtsort seines Don Quixote angibt.S. 242. Z. 13. Diotima — Heißt die Seherin in Platons Gastmahl,
aus deren begeistertem Munde Sokrates die Weisheit von der Liebe
erhalten zu haben vorgibt.S. 242. Z. 15-18. Sein Ideal ist ihm des Schönen Maß —
d. h. er hat sich nach den Urbildern bei Xenophon und Plutarch einen Maßstab
für die Menschen gemacht, nach welchem er nachher einige zu hoch,
andere zu niedrig anschlägt. Der Dichter führt Beispiele in zwei Gegensätzen
an, Timoleon und Alcibiades, Cassius und Augustus.S. 242. Z. 18. Timoleon — War, wie Nepos sagt, nach Aller
Urtheil ein großer Mann, denn ihm gelang, was vielleicht noch Keinem,
daß er das eigne Vaterland vom Tyrannenjoch befreite, aus Syrakus die
verjährte Sklaverei vertrieb und in ganz Sicilien Freiheit und Glück wieder
herstellte. Er selbst wollte lieber seines Vaterlandes Gesetzen gehorchen,
als dasselbe beherrschen, da er es konnte. — Vielleicht aber, meint der
Dichter, geht dem Helden der Freiheit doch etwas zum Gott ab, denn
sein, wenn auch aus edler Absicht verfügter, Brudermord fällt wenigstens
der Casuistik zur Beurtheilung anheim. —Für Alcibiades will der Dichter
wohl geltend gemacht wissen, was Luden ihm zugesteht, daß auch ohne ihn,
was kam, gekommen seyn würde, und daß er überhaupt nur den Zeitgeist
seines Staates znrückspiegelte. — Die Motive des Cassius zur Ermordung
Cäsars macht der Dichter durch das Beiwort der Stolze verdächtig, und sein
Urtheil über Augustus hat er in seinen Einleitungen zum Horaz deutlich
ausgesprochen. Die Vergleichung mit Luden kann auch hier nicht ohne
Interesse seyn.S. 244. Z. 13. Pagode — Nennt man nicht bloß in gewissen Gegenden
Jndiens und China's eine Art von Tempeln, sondern auch die
Hauptgottheit, der ein solcher Tempel geweiht ist. Aus China kamen ehedem
solchen Götterbildern ähnliche Figuren aus Porzellan, welche bei einer
leichten Bewegung gleich mit dem Kopfe wackelten und von dem Ungeschmack
zur Zierde auf die Kamine gestellt wurden.S. 244. Z. 14. Niphus — Augustin, aus Calabrien gebürtig, ein
sehr berühmter Philosoph des 16. Jahrhunderts, war während seines ganzen
Lebens ein großer Freund des schönen Geschlechts gewesen und wurde
noch in seinem hohen Alter von einer heftigen Leidenschaft ergriffen. Er
selbst sagt: Crevit amor tandem adeo, ut non ad insanias modo, sed ad
mortem compellerer.Das in der Beilage von Cicero angeführte Urtheil über Cato findet sich
in den Briefen an Atticus (Bd. 2. Br. 4. ed. Schütz. Bd. 1. Br. 26)
Der Herausgeber glaubt übrigens, den Schluß, welchen diese Beilage hatte,
als sie 1773 im August-Stück des T. Mercur zum Erstenmal abgedruckt
wurde, hier wieder beifügen zu müssen."Die Vergleichung Cato's mit dem Helden von Mancha ist kein rascher
Einfall einer vorübergehenden Laune, sondern das Resultat langer Beobachtungen
und wohlgeprüfter Grundsätze. Er empfindet indeßen sehr wohl, daß
die Frage: wiefern Cato als ein Beispiel der Tugend angesehen und nachgeahmet
werden könne, nur zu sehr verdiene, von Cicero ein archimedisches
Problem* genannt zu werden; und wenn er dieses Problem aufzulösen versucht,
so gibt er auch seine Arbeit für nichts mehr, als einen Versuch, dessen
bestes Verdienst vielleicht bloß darin besteht, Andere zu einer gründlichern
Auflösung zu veranlassen. Irret er sich, so entschuldiget ihn das allgemeine
Los der Menschheit, und Niemand ist williger als er, sich zurechte weisen
zu lassen. Alles, was er verlangt, ist Freiheit, zu untersuchen und zu
sagen, was er, seiner Ueberzeugung nach, für wahr und gut hält. Diese
Freiheit ist ein unverlierbares Recht des Menschen und das wahre Palladium
des allgemeinen Wohls unsrer Gattung. Was für eine Stirne müßte
der haben, der ein Recht, welches er nur mit dem Leben verlieren möchte)
irgend einem seiner denkenden Mitgeschöpfe absprechen wollte?"
Aspasia.
S. 263. — Diese Aspasia ist dieselbe, welche sich Wieland erwählt
hatte, um ihr seine Psyche erzählen zu lassen. Sie war aus Phokäa in
Ionien gebürtig, hieß eigentlich Milto und erhielt den Namen Aspasia nur
von Kyros, weil sie der berühmten Gemahlin des Perikles an Schönheit
und Geist so ähnlich war. (Plutarch im Leben des Perikles.) Dieser Kyros,
dessen Geliebte oder Gemahlin sie war, war nicht der, welchen sich Wieland
zum Helden einer Epopöe gewählt hatte, sondern ein späterer, Sohn des
persischen Königs Darius Nothus, Bruder des Artaxerxes Mnemon und
selbst Satrap von Lydien, Phrygien und Kappadocien. Xenophon (Anabasis
Buch 1. Cap. 9.) erklärt ihn für einen tapfern Prinzen und für den
Würdigsten, nach jenem ersten Kyros Krone und Reich zu besitzen. Um diese
zu erwerben, kämpfte er mit seinem Bruder Artaxerxes, der ihn früher des
Lebens hatte berauben wollen, fiel aber in einer Schlacht, worauf unter
anderer Beute des Lagers auch Aspasia in die Gewalt des Artaxerxes fiel.
Nach zwei verschiedenen Erzählungen erscheint sie als eine ganz verschiedene
Person, höchst liebens- und achtnugswürdig bei Aelian (Var. Hist. 12, 1.),
nah ans Gemeine gränzend bei Plutarch (im Leben des Artaxerxes). Nach
diesem Letzteren erbat sich des Artaxerxes Sohn, der nachher hingerichtete
Darius, von seinem Vater die Aspasia. Der Vater stellte die Entscheidung
in Aspasia's Willkür, wahrscheinlich hoffend, daß, sie ihn vorziehen
werde. Da sie jedoch, wider sein Erwarten, den Darius wählte, so
ernannte sie der König bald darauf zur Priesterin der Anaitis (Artemis,
Diana) in Ekbatana und glaubte dadurch, wie Plutarch sagt, eine scherzhafte
Rache genommen zu haben, weil sie nun zu ewiger Keuschheit verpflichtet
war. Dieß Alles entstellt vollkommen das schöne Bild von ihr,
welches man bei Aelian immer gern wieder betrachtet; und so mag auch
Plutarch verantworten, daß Wieland von Aspasien Begebenheiten dichtete,
die sich nur der Plutarchischen Aspasia nachsagen lassen. Daß sich übrigens
unser Dichter mit der Geschichte eine kleine Freiheit erlaubt hat, wird
man nach dem Gesagten bald entdecken.S. 265. Z. 4. Artaxatens Reich. — Wenn nicht Artaxerxes Reich
zu lesen ist, so ist mit dieser armenischen Risidenz das Gebiet des Kyros in
jedem Sinne sehr uneigentlich bezeichnet.S. 267. Z. 9. Mitras — Der Sonnengott
bei den Persern.S. 267. Z. 24. Magen — Magus war der Priester bei den Persern,
wovon noch die Magie (eigentlich als Wissenschaft von göttlichen Dingen)
den Namen führt.S. 267. Z. 28. Kombab — Siehe die Erzählung Kombabus.S. 268. Z. 12.
Land der Seren — Hieß bei den Alten das jetzige
China, was ihnen das äußerste Land und wenig bekannt war. Desto besser
ließ sich darüber fabeln.S. 268. Z. 15. Die Zache — Herr von Zach statt aller berühmten
Astronomen genannt.S. 270. Z. 23. Die von Böotien — Zu Orchomenos verehrte man
als Grazien lange Zeit rohe, unbearbeitete Steine, die unter des Eteokles
Regierung vom Himmel gefallen seyn sollten. Erst zu des Pausanias Zeit
wurden Bildsäulen an ihre Stelle gesetzt.S. 272. Z. 5. Cerbellum — Das kleine Gehirn, statt des Gehirns
überhaupt als Organs der Seele. Wäre zu der Zeit, als Wieland dieß
schrieb, Gall's Theorie schon vorhanden gewesen, so möchte man leicht einen
Doppelsinn vermuthen.S. 275. Z. 6. Mystagog — Hieß der Priester, der in die heiligen
Geheimnisse (Mysterien) einweihte.—————
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