C. M. Wieland's
Werke.Zweiter Band.Leipzig.G J. Göschen'sche Verlagshandlung.1853.
Buchdruckerei der J. G. Cotta'schen Buchhandlung in Stuttgart.Die Abenteuer
des
Don Sylvio von Rosalva.Zweiter Theil.
Inhalt
des zweiten Theils.Seite
Fünftes Buch. Erstes Capitel. Worin der Verfasser das
Vergnügen hat, von sich selbst zu reden . . . . . . . . . . . . 1
Zweites Cap. Worin sich Pedrillo sehr zu seinem Vortheile zeigt 6
Drittes Cap. Innerliche Anfechtungen des Don Sylvio . . . . . . 15
Viertes Cap. Die Weissagungen des Pedrillo fangen an in
Erfüllung zu gehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .20
Fünftes Cap. Erscheinung der Fee. Wie gefährlich es ist,
ein Frauenzimmer anzutreffen, welches unserer Geliebten
gar zu ähnlich sieht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .26
Sechstes Cap. Unverhoffte Zusammenkunft . . . . . . . . . . . . 31
Siebentes Cap. Gegenseitige Gefälligkeiten . . . . . . . . . . .35
Achtes Cap. Streit zwischen der Liebe zum Bilde und der Liebe
zum Original . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .43
Neuntes Cap. Was für gefährliche Leute die Philosophen sind . . 48
Zehntes Cap. Wie kräftig die Vorsätze sind, die man gegen die
Liebe faßt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .50
Eilftes Cap. Geschichte der Jacinte . . . . . . . . . . . . . . 54
Zwölftes Cap. Jacinte setzt ihre Geschichte fort . . . . . . . .64
Dreizehntes Cap. Don Eugenio setzt die Erzählung der Jacinte fort81
SeiteVierzehntes Cap. Beschluß der Geschichte der Jacinte. Eine
Vermuthung des Don Sylvio. Vorbereitungen zu einem
Intermezzo, wobei wenige Leute lange Weile haben werden . . . . 95
Sechstes Buch. Erstes Cap. Geschichte des Prinzen Biribinker. . 106
Zweites Cap. Fortsetzung der Geschichte des Prinzen Biribinker .139
Drittes Cap. Anmerkungen über die vorstehende Geschichte . . . .204
Siebentes Buch. Erstes Cap. Merkwürdige Entdeckung.
Sonderbare Verschwiegenheit des Pedrillo . . . . . . . . . . . .219
Zweites Cap. Anfang der Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . 232
Drittes Cap. Abermalige Entdeckung . . . . . . . . . . . . . . .241
Viertes Cap. Beschluß dieser Geschichte . . . . . . . . . . . . 250
Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254
—————
Fünftes Buch
Erstes. Capitel.
Worin der Verfasser das Vergnügen hat , von sich selbst zu reden.
Wir zweifeln sehr daran, ob, seitdem es Feenmährchen in
der Welt gibt, ein von Feen beschützter Liebhaber sich jemals
in kläglichern Umständen befunden habe, als diejenigen waren,
worin wir unsern Helden zu Ende des vorigen Buches verlassen
mußten.Es ist wahr, andre Feenhelden haben auch ihre Anfechtungen.
Sie müssen sich oft mit Drachen, Meerwundern
und blauen Centauren herum schlagen; sie kommen in Gefahr,
von Popanzen gefressen zu werden; sie werden von alten zahnlosen
Feen entführt, die ihre Tugend auf die gefährlichsten
Proben setzen und am Ende sie oft in Papagaien, Kater oder
Grillen verwandeln. Aber, daß jemals eine so außerordentliche
Person, wie der Günstling einer Königin der Salamander
und der Liebhaber eines bezauberten Schmetterlings, von
Grasmenschern zerkratzt und von Bauerjungen wäre abgeprügelt
worden, davon wird man in der vollständigsten Sammlung
aller Geschichten, die sich mit "Es war einmal" anfangen,
vergebens ein Beispiel suchen.Der geneigte Leser wird hieraus die Folge ziehen (und
weil er es vielleicht nicht thun möchte, so nimmt sich der
Verfasser die Freiheit, es ihm hiermit zu verstehen zu geben),
daß diese merkwürdige Verschiedenheit, die sich zwischen der
Geschichte des Don Sylvio und andern Feenmährchen findet,
ein günstiges Vorurtheil für seine historische Treue und
Wahrhaftigkeit erwecken müsse. Hätten wir unsern Helden
in einem Wagen von Saphir mit Paradiesvögeln bespannt
reisen und alle Abend in einem bezauberten Palast absteigen
lassen; hätten wir ihm das rothe Hütchen des Prinzen Kobold,
den Pantoffel der Fee Mustache, den Ring des Gyges
oder die Zauberruthe der königlichen Fee Trusio gegeben, um
sich aus allen Nöthen heraus zu helfen: so hätte ein jedes
Mädchen von zehn Jahren gemerkt, daß man ihm nur ein
Mährchen erzähle. Aber, ungeachtet unsre Geschichte so seltsam
und wunderbar ist, als irgend eine von denen, mit deren
Anhörung sich der weise Sultan von Indien, Schach-Baham,
die Zeit zu vertreiben geruhte: so wird man uns doch nicht
vorwerfen können, daß wir unserm Helden jemals ein Abenteuer
aufstoßen lassen, welches nicht vollkommen mit dem
ordentlichen Laufe der Natur übereinstimmte, und dergleichen
nicht alle Tage sich zu ereignen pflegen oder sich doch ereignen
könnten; wie, zum Exempel, daß ein Frosch in Gefahr
komme, von einem Storch verschlungen zu werden, oder daß
einer ein Kleinod mit einem Bildniß finde, welches vermuthlich
Jemand vorher verloren hat. Wir haben ihn zu Fuße
reisen lassen und nicht einmal Sorge getragen, ihn vor
Sümpfen und Froschgräben zu bewahren; wenn er schlief, so
war es auf der harten Erde oder in einem elenden Dorfwirthshause,
wo ihm die Flöhe keine Ruhe ließen. Anstatt
daß rosenarmige Nymphen oder Sylphen mit goldnen Flügeln
am blumigen Rande krystallner Brunnen ihm Nektar und
Ambrosia hätten auftragen sollen, haben wir ihn aus dem
Zwerchsacke des Pedrillo bedient; und ganz neuer Dinge haben
wir ihn, nicht etwa von Riesen oder bezauberten Mohren,
sondern von gemeinen Bauerjungen abbläuen lassen.Wir hoffen, dieß sind Beweise, die für sich selbst reden;
und wir wünschten, daß man von vielen berühmten Geschichtschreibern
mit eben so gutem Fuge sagen könnte, daß sie von
der betrügerischen Neigung, ihre Gemälde und Charaktere zu
verschönern oder ihren Begebenheiten einen Firniß vom
Wunderbaren zu geben, so entfernt gewesen seyn möchten,
als wir, die wir uns bei Bekanntmachung dieser wahrhaften
und glaubwürdigen Geschichte nicht etwa (wie junge leichtsinnige
Schwindelköpfe sich einbilden möchten) eine eitle Belustigung,
sondern das gemeine Beste und die Beförderung
der Gesundheit unsrer geliebten Leser an Leib und Gemüthe
zum Endzweck vorgesetzt haben.Vielleicht werden Einige, deren Scharfsinn nicht tiefer als
in die äußere Schale der Dinge einzudringen pflegt, nicht
begreifen, wie die Geschichte des Don Sylvio zu einem so
heilsamen Zwecke sollte dienen können. Aber diese wackern
Leute könnten sich, wenn sie wollten, aus den Schriften großer
Aerzte und Naturkündiger belehren, daß es ein gewisses
Fieber gebe, dem die menschliche Seele vom vierzehnten
Jahre ihres Alters bis zum großen Studienjahre häufig ausgesetzt
ist, und welches durch keine andre Arzneimittel sicherer
vertrieben werden kann, als durch solche, die das Zwerchfell
erschüttern, das Blut verdünnern und die Lebensgeister
aufmuntern; eben so wie der giftige Biß der Tarantel (wie
die alte Sage geht) durch nichts Anderes, als durch die sympathetische
Kraft gewisser Tänze, die dem Kranken vorgespielt
werden, geheilt werden kann. Alles kommt also bloß darauf
an, ob diese heilsamen Kräfte wirklich in unserm Buche verborgen
liegen oder nicht; eine Frage, deren Beantwortung
wir, mit einigem Vertrauen auf unsere gute Sache, dem
dankbaren Zeugnisse verschiedener Leser, welche aus Erfahrung
davon sprechen können, überlassen. Es ist wahr, Don Sylvio
wird (so viel uns wenigstens bekannt ist) noch in keinem
Dispensatorium unter den Recepten gegen Schwärmerei,
Milzsucht und Hypochondrie angeführt. Aber davon ließen
sich allenfalls Ursachen angeben, welche wir (aus schuldiger
Achtung für die Verfasser dieser Urtheilssprüche über Leben
und Tod) lieber mit Stillschweigen übergehen; zumal da man
vielleicht eben so viel Grund haben möchte, zu fragen, warum
eine Menge andrer Recepte ihren Platz darin einnehmen,
als warum dem Don Sylvio keiner gegeben wird.Inzwischen wünschen wir, daß irgend eine europäische
Akademie, und wenn es auch nur die zu Pau in Bearn
wäre, sich belieben lassen möchte, einen Preis von fünfzig
Ducaten auf die Untersuchung des mannigfaltigen physischen,
moralischen und politischen Nutzens zu setzen, welchen die
menschliche Gesellschaft von Schriften, die zu lachen machen,
ziehen könnte; besonders auf die gründliche Erörterung der
Frage: ob es sowohl dem gemeinen Besten als dem Buchhandel
(welcher bekanntermaßen einen beträchtlichen Zweig
des europäischen Handelswesens ausmacht) nicht weit zuträglicher
wäre, wenn, anstatt der Menge schlechter und mittelmäßiger
ernsthaft-moralisirender Bücher in allen Formaten,
welche unter viel versprechenden Titeln die arme Welt mit
den alltäglichen Beobachtungen, schiefen, zusammengerafften
und unverdauten Gedanken, frostigen Declamationen und
frommen Wünschen ihrer langweiligen Verfasser bedrücken,
alle halbe Jahre etliche Duzend Bücher im Geschmacke des
komischen Romans, des Gil Blas von Santillana, des Findlings,
ja wenn es auch im Geschmack des Candide oder des
Gargantua und Pantraguel wäre, auf die Messen kämen;
Bücher, in denen die Wahrheit mit Lachen gesagt würde;
welche der Dummheit, Schwärmerei und Schelmerei ihre
betrüglichen Masken abziehen, die Menschen mit ihren Leidenschaften
und Thorheiten, in ihrer wahren Gestalt, weder
vergrößert noch verkleinert, abgemilderten und von ihren
Handlungen diesen Firniß wegwischten, womit Stolz, Selbstbetrug
oder geheime Absichten sie zu überziehen pflegen; Bücher,
die mit desto besserm Erfolg unterrichten und bessern
würden, da sie bloß zu belustigen schienen, und die auch alsdann,
wenn sie zu nichts gut wären, als beschäftigten Leuten
in Erholungsstunden den Kopf auszustäuben, müßige Leute
unschädlich zu beschäftigen und überhaupt den guten Humor
eines Volks zu unterhalten, immer noch tausendmal nützlicher
wären, als dieses längst ausgedroschene moralische Stroh,
dieser methodische Mischmasch von mißgestalteten und buntscheckigen
Ideen, diese frostigen Schul-Chrien, welche hier
gemeint sind, und die (mit Erlaubniß der guten Absichten,
hinter welchen ihre Verfasser sich verbergen) weit mehr am
Kopfe der Leser verderben, als sie an ihrem Herzen bessern
können und bloß deswegen so wenig Schaden thun, weil sie
ordentlicher Weise nur zum Einpacken andrer Bücher gebraucht
werden.Es wäre uns, um gewisser Ursachen willen, lieb gewesen,
wenn wir Gelegenheit gefunden hätten; diese Anmerkung
irgendwo dem Pedrillo oder einer andern privilegirten
Person von dieser Art in den Mund zu legen: denn einem
Pedrillo, Launcellot Gobbo oder Gobbo Launcellot nimmt es
Niemand übel, wenn er die Wahrheit sagt. Da es aber nicht
füglich geschehen konnte, so haben wir uns schon entschließen
müssen, sie im Vorbeigehen selbst zu sagen, und wollen deßwegen,
wo und bei wem es nöthig ist, höflichst abgebetet
haben.—————
Zweites Capitel:Worin sich Pedrillo sehr zu seinem Vortheile zeigt.Pedrillo, ungeachtet er in dem unglücklichen Abenteuer
mit den Grasnymphen die meisten Schläge bekommen, raffte
sich, nachdem er eine gute halbe Viertelstunde ganz betäubt
da gelegen hatte, dennoch zuerst wieder vom Boden auf;
und der erste Gebrauch, den er von seinen wiederkehrenden
Sinnen machte, war, daß er alle Nymphen, Faunen und
Silvanen, Zwerge, Prinzessinnen und Schmetterlinge, nebst
allen und jeden Feenmährchen, die von Erschaffung der Welt
an bis auf selbigen Tag geschrieben worden und noch künftig
bis an der Welt Ende geschrieben werden möchten, mit ihren
Verfassern, Gönnern und Erzählern und deren sämmtlichen
Angehörigen und Erben in ansteigender, absteigender und
Collateral-Linie sammt und sonders zum T** wünschte. Er
verfluchte die Gänse, mit deren Spulen sie geschrieben, die
Lettern, womit sie gesetzt, und die Farbe, womit sie gedruckt
worden, herzlich wünschend, daß die heilige Inquisition alle
diejenigen zu Asche verbrennen möchte, die dergleichen vertracktes
Zeug, wodurch der artigste und braveste junge Edelmann
in ganz Spanien zum Narren gemacht worden, unter
die Leute brächten. Denn die Schläge, die er ohne Zahl
und Maß um des blauen Schmetterlings willen empfangen
hatte, überzeugten ihn nun auf einmal, daß Alles, was ihm
sein Herr von der Fee Radiante und der Bezauberung der
vermeinten Prinzessin gesagt hätte, lauter Träume und Einbildungen
seyen. Je, verflucht! schrie er, wenn hat jemals
eine Fee diejenigen, die sie in ihren Schutz genommen hat,
von Grasmenschern und Bauerknechten halb todt prügeln
lassen? Es sollte mich nicht verdrießen, wenn es noch
Popanze oder feuerspeiende Drachen gewesen wären; aber von
solchem Lumpenvolk! — Sackerlot! ich will mich fressen lassen,
wenn seine Rademante, die uns alle diese verfluchten Händel
gemacht hat, nicht gerade so eine Fee ist, wie die dreifachen
H*r*n, die mir die Augen mit ihren Nägeln ausgekratzt
haben, Nymphen sind!In diesem nachdrücklichen Tone fuhr er eine gute Weile
fort, bis er endlich gewahr wurde, daß sein Herr noch immer
ohne Bewegung auf dem Boden ausgestreckt lag. Dieser
Anblick und die Furcht, daß er gar todt seyn möchte, machten
den gutherzigen Tropf auf einmal seines eignen Ungemachs
vergessen; er rief ihn, er rüttelte ihn, und da er noch
immer kein Lebenszeichen an ihm verspürte, so fing er eben
so jämmerlich oder noch jämmerlicher zu schreien an, als der
bucklige Sohn des bösen Königs, da ihn das Gänsemädchen
nicht heirathen wollte.Endlich besann er sich in der Angst auf eine Flasche Maderawein,
die er noch in seinem Zwerchsack hatte; und zu gutem
Glück hatten die Feinde in der Hitze des Streits den Zwerchsack,
welchen Pedrillo gleich anfangs von sich legte, aus der
Acht gelassen. Er holte also die Flasche und goß sie, ohne
sich den Wein dauern zu lassen, fast ganz über Don Sylvio's
Gesicht aus. Dieses Mittel that die gewünschte Wirkung.
Der junge Ritter erholte sich in Kurzem wieder: denn seine
Betäubung war von einem einzigen, etwas nachdrücklichen
Schlage hergekommen, den er, wiewohl ohne andern Schaden
als eine ziemliche Beule, über den Kopf bekommen hatte; er
öffnete die Augen und rief mit schwacher Stimme: Wo bin
ich? Lebst du noch, Pedrillo?Ja, mein liebster Herr, rief Pedrillo, und Gott Lob!
daß Sie, wie ich sehe, auch noch leben! denn, so wahr ich
ehrlich bin, wenn Sie todt gewesen wären, wie ich schon zn
fürchten anfing, ich hätte mich eher in den Fluß gestürzt, eh'
ich Euer Gnaden hätte überleben wollen.Wollte Gott, sagte Don Sylvio, daß ich dein gutes Herz
und deine Treue belohnen könnte! Aber, o Himmel! sage
mir; wenn du es weißt, was ist aus meiner armen Prinzessin
geworden?Die Prinzessin? schrie Pedrillo; fort ist sie, zum Geier
ist sie, sie flog gleich anfangs davon, wie die pausbackigen
Unholden mit ihren langen krummen Nägeln über uns herfielen! —
Sapperment! ich wollte sie hätt' uns — Aber was
haben Sie denn, Herr — ums Himmels willen, gnädiger
Herr, was fehlt Ihnen? Daß es Gott erbarme! Was ist
zu thun? O, die verfluchten Feen!Pedrillo jammerte so, weil sein Herr, der sich nach dem
Bildniß seiner Prinzessin umgesehen, sobald er fand, daß
er es nicht mehr bei sich hatte, von Schrecken und Herzleid
abermals in Ohnmacht gesunken war.Er hatte große Mühe, ihn wieder zu sich selbst zu bringen,
aber noch größere, der Verzweiflung Einhalt zu thun, der
sich der arme junge Ritter ohne Maß überließ, sobald er
wieder fähig war, die Größe seines Verlusts zu fühlen. Pedrillo,
so gute Lust er gehabt hätte, über die Fee Radiante und alle
Feen der ganzen Welt loszubrechen und seinem Herrn die
närrische Liebe zu einem Schmetterlinge auszureden, wußte
nicht mehr, was er sagen oder anfangen sollte, da er ihn so
kläglich jammern hörte, ja sogar entschlossen sah, den Guadalaviar
durch seinen Tod berühmt zu machen. Er warf sich ihm
zu Füßen, er bat, er weinte, er fluchte über die Feen und
die Feerei; aber das Erste half nichts, und das Andre machte
das uebel noch ärger.Nachdem er nun alles Andre versucht hatte, so verfiel er
endlich auf das einzige Mittel, wovon man sich in dergleichen
Umständen noch einige Wirkung versprechen kann: er
fing an, mit Don Sylvio in die Wette zu heulen und ihn,
wo möglich, noch darin zu übertreffen. Er dachte: mein
junger Herr wird es doch endlich müde werden, und wenn
nur einmal der erste Anstoß von Tollheit vorüber ist, so wird
er sich hernach schon besser berichten lassen.Wie er nun sah, daß Don Sylvio wieder stille wurde, so
fing er an, obgleich wider seine eigene Ueberzeugung, alle
nur ersinnliche Vorstellungen hervor zu suchen, die, wie er
glaubte, ihn sollten beruhigen können. Er versicherte ihn,
wenn auch, wider besseres Hoffen, das Bildniß der Prinzessin
in den Händen des grünen Zwergs seyn sollte, so sey
doch die Prinzessin selbst in Sicherheit: denn die habe er
sammt dem Faden mit seinen eignen Augen davon fliegen
sehen. Glauben Sie mir, mein lieber Herr, sagte er, die
Fee Rademante will nur Ihre Geduld auf die Probe setzen;
es kann in kurzer Zeit Alles ein ganz anderes Gesicht bekommen.
Man muß hoffen, solange man noch Athem hat.
Denken Sie, daß es andern Prinzen und Rittern auch nicht
besser oder wohl noch ärger gegangen ist. Was hat nicht
der blaue Vogel ausstehen müssen, bis er der garstigen
Forelle los ward und seine liebe Florine, wiewohl in der
Gestalt eines schmutzigen Sausödels, wieder fand! Wie sauer
ist es dem guten Prinzen Höckerich gemacht worden, bis er
zum Besitz der schönen Brillante gelangte, die der schwarze
Zauberer in eine Heuschrecke verwandelte, ob sie gleich so gut
eine Prinzessin war, als andre, die ich nicht nennen will! Euer
Gnaden haben doch noch nicht in einem Keller voller Kröten
und Eidechsen bis an den Hals im Wasser gestanden, wie die
Brüder der Prinzessin Rosette. Sie sind doch in kein Thier
verwandelt worden, wie der Prinz der glücklichen Insel, und
noch nie in Gefahr gewesen, von Popanzen und Unholden gefressen
zu werden, wie der Prinz Amatus. Mit einem
Worte, gnädiger Herr, bedenken Sie, daß ich Ursache genug
hätte, mich so arg zu beklagen als einer. Ich weiß nicht,
warum es die Frau Rademante so gut mit mir meint; aber
ich habe zehnmal mehr Prügel und Rippenstöße gekriegt als
Euer Gnaden, nub die Prinzessin soll noch geboren werden,
die mich deßwegen trösten wird. Wenn Sie etwas leiden,
gnädiger Herr, so wissen Sie doch warum! Aber dem armen
Pedrillo, der bei allen schlimmen Abenteuern das Meiste davon
trägt, gibt Niemand ein gutes Wort darum. Sey es!
Ich will mich nicht beschweren, ob mir gleich die verdammten
Bengel den Rücken so weich geschlagen haben, als den
Bauch; es ist nun einmal mein Schicksal: wenn Sie nur
wieder zufrieden seyn wollen, so will ich mit Ener Gnaden
aushalten, solange Gott will, und solang' ich noch eine
Rippe habe, die ich mir in Euer Gnaden Dienst entzwei
schlagen lassen kann.Diese Vorstellungen, denen das gute Herz des Pedrillo
keinen geringen Nachdruck gab, und die Gewißheit, daß die
Prinzessin noch lebe und in Freiheit sey, wirkten nach und
nach so viel auf unsern Helden, daß er sich wieder faßte und
dem Pedrillo für die Ergebenheit, die er gegen ihn zeigte,
sehr verbindliche Dinge sagte; mit der Versicherung, daß er,
wenn er noch glücklich genug seyn sollte, das Ziel seiner
Wünsche zu erreichen, seine erste Sorge seyn lassen wolle,
ihn für seine Treue unb für alles Ungemach, das er ihm zu
Liebe ausgestanden, so reichlich zu belohnen, daß ihm nichts
zu wünschen übrig bleiben sollte. Diese tröstlichen Versprechungen,
wiewohl die dermaligen Umstände zu ihrer Erfüllung
wenig Hoffnung machten, erfreuten den dankbaren
Pedrillo so sehr, daß er der empfangenen Schläge auf einmal
vergessen hätte, wenn sein Rücken nicht unhöflich genug gewesen
wäre, ihn alle Augenblicke daran zu erinnern.Indessen raffte er doch alle seine Kräfte zusammen, um
seinen niedergeschlagenen Herrn wieder aufzumuntern; und
nachdem er den schattigsten Platz am Flusse ausgesucht hatte,
so wurde beschlossen, sich so lange da aufzuhalten, bis sie sich
völlig erholt haben würden.Don Sylvio fühlte den Schmerz, das Bildniß seiner
Geliebten verloren zu haben, allzu stark, als daß er andere
Schmerzen hätte fühlen können; er fing alle Augenblicke an,
neue Klagen anzustimmen, und es währte ziemlich lange,
bis ihn das Beispiel des Pedrillo und sein eigener Hunger
vermögen konnten, den Vorrath aufzehren zu helfen, der sich
noch im Zerchsacke fand. Es war unter andern noch eine Flasche
Malaga vorhanden, die ihnen in so betrübten Umständen sehr
zu Statten kam und in kurzer Zeit den ehrlichen Pedrillo
so guten Humors machte, daß er nicht leiden konnte, seinen
Herrn mit einer so trostlosen Miene dasitzen zu sehen.Herr Don Sylvio, sagte er, im Unglück muß man haben
Muth. Sapperment! es ist keine Kunst, zufrieden zu seyn,
wenn Ihnen Alles nach Wunsch und Willen geht. Herzhaft,
gnädiger Herr! Ein feiges Herz freit keine schöne Frau. Das
Glück ist kugelrund; heute mir, morgen dir; heute Regen,
Hagel und Prügelsuppen, morgen Sonnenschein, Freude und
Wohlleben. Es ist die Welt, pflegte meine Großmutter zu
sagen, jeder Tag hat seine eigene Plage; aber es wird Alles
besser, wenn man nur die Zeit erwarten kann; Zeit bringt
Rosen, und man redet so lange von der Kirmesse, bis sie
kommt. Es ist mir, ich sehe es schon, wie froh wir seyn
werden, wenn wir einmal unsere Prinzessin wieder gefunden
haben; aber nicht mehr als einen elenden Schmetterling, versteht
sich, sondern in Lebensgröße, wie sie aus Mutterleibe
gekommen ist; ich will sagen, als eine wirkliche Prinzessin,
mit einer reichen goldnen Krone auf dem Kopf und in einem
langen Talar, über und über mit Perlen und Karfunkeln
besetzt, daß sie wie die helle Sonne glänzen wird. Hey sa!
da wird's zugehen! da wird der Himmel voller Geigen hängen;
da werden wir alle Tage Feiertag haben und essen und
trinken und tanzen und springen und lachen und fröhlich
seyn, daß die Carabossen und Fanferluchen vor Neid die
Darmgicht kriegen möchten, wenn sie uns so fröhlich sehen.
Nur gutes Muths, sag' ich! Sapperment, wenn wir die
Prinzessin selbst haben, was bekümmern wir uns um ihr
Bild! So dächte ich wenigstens, wenn es meine Sache wäre.
Zudem so wollt' ich gleich schwören, daß der grüne Zwerg
unser Kleinod so wenig gesehen hat, als die achtzigjährige
Jungfer, der er die Zähne ausstochern soll. Ich hatte meine
Augen weit genug offen, und ich sehe Gott Lob! noch wohl,
daß eine Mistgabel kein Ohrlöffelchen ist. Die Nymphe war
ein Grasmensch, gnädiger Herr, ein Kühmensch: das weiß
ich so gewiß, als ob es meine leibliche Mutter wäre. Und
wenn Sie's nicht glauben wollen, so ist bald ein Mittel dahinter
die Sache zu kommen. Das Dorf kann nicht hundert
Meilen von hier seyn, wo sie zu Hause ist. Wir wollen
diesen Abend noch hingehen und von Thür zu Thür suchen,
bis wir sie gefunden haben; sie muß das Kleinod wieder
herausgeben, oder es müßte keine Justiz mehr im Lande seyn.Aber wenn es so wäre, sagte Don Sylvio, woher käme
die wunderbare Uebereinstimmung ?wischen dieser Begebenheit
und meinem gestrigen Traume?Gnädiger Herr, antwortete Pedrillo, ich erinnere mich
Ihres Traumes noch so wohl, als ob ich ihn selbst geträumt
hätte; aber ich kann die Uebereinstimmung nicht finden, die
Sie darin sehen. Wo ist denn hier die Sylphide, die Ihnen
erschien? und wo ist der Rosenwagen mit zwölf rubinenen
Paradiesvögeln, der Euer Gnaden in die bezauberte Insel
führte? ? Das ist doch ein Hauptumstand, der hier gänzlich
mangelt. Und dann sagen Sie, die Nymphe habe den blauen
Schmetterling an einem goldnen Faden flattern lassen; dieß
trifft wieder nicht ein. Denn der Faden, den die Grasnymphe
dazu brauchte, war ein grober hanfener Faden, womit sie,
denk' ich, die Löcher in ihrem Hemde hatte stopfen wollen;
und sie hätte, meiner Six, wohl daran gethan, denn die
bloße Haut guckte ihr allenthalben hervor. Ich will nicht
ehrlich seyn, wenn sie nicht so schwarz wie Erde war; und
ich habe doch mein Tage gehört, daß eine Nymphe lauter
Lilien und Rosen ist. Doch sie mag gewesen seyn, was sie
will, so viel weiß ich gewiß, daß wir die Schläge, die uns
die groben Lümmel gaben, gewiß nicht im Traume gekriegt
haben. — Basta! es ist nun vorbei, und zu geschehenen
Dingen muß man das Beste reden. Auf die Gesundheit der
Prinzzessin, wo sie auch seyn mag! Ich hoffe, sie wird es uns
zu seiner Zeit genießen lassen, daß wir so viel um ihrentwillen
ausgestanden haben.—————
Drittes Capitel:Innerliche Anfechtungen des Don Sylvio.Don Sylvio, dem das Gewäsche des Pedrillo beschwerlich
war, bediente sich des Vorwandes, daß er während der Nachmittagshitze
ein paar Stunden ruhen möchte, um ihn zum
Schweigen zu bringen Er stellte sich, als ob er schliefe,
und Pedrillo folgte seinem Beispiele bald darauf in vollem
Ernst. Aber Don Sylvio war zu unruhig, als daß er hätte
schlafen können. Tausend quälende Gedanken, die wider
seinen Willen in ihm aufstiegen, brachten ihn endlich so weit,
daß er zum ersten Mal einiges Mißtrauen in die Wahrheit
seiner Einbildungen zu sehen anfing.Wie? dachte er, wenn die Erscheinung, die ich von der
Fee Radiante zu haben glaubte, ein bloßes Spiel einer erhitzten
Phantasie gewesen wäre? — Je mehr er dieser Vermuthung
nachsann, je wahrscheinlicher fand er sie, und die
unglückliche Begebenheit mit den Grasnymphen (die er nun
ziemlich geneigt war, für das zu halten, was sie wirklich
waren) trieb diese Wahrscheinlichkeit in etlichen Minuten
beinahe zur Gewißheit hinauf: denn es schien ihm unbegreiflich,
daß ihn die Fee Radiante den Fäusten und Knitteln
dieses groben Bauergesindels preisgegeben haben würde,
wenn sie ihm wirklich ihren Schutz versprochen hätte.Diese Zweifel ängstigten ihn unaussprechlich. Er raffte
alle seine Kräfte zusammen, sich ihrer zu erwehren; aber sie
kamen immer mit verdoppelter Stärke wieder, und der Aufruhr,
den sie in seinem Gehirn erregten, ward zuletzt so wild,
daß der Ueberrest von Vernunft, den ihm die Feerei noch
gelassen hatte, in die größte Gefahr kam, vollends darüber
verloren zu gehen.In diesen betrübten Umständen war das Bild seiner geliebten
Schäferin das Einzge, was in seiner von Zweifeln
überschwemmten Seele noch emporragte und im allgemeinen
Umsturz seiner Ideen unerschüttert blieb. Wenn auch alles
Andere Einbildung ist, rief er, so weiß ich doch gewiß, o du
namenlose Unbekannte! daß es keine Einbildung ist, daß ich
dich liebe. Es mag nun eine Fee seyn, die dein Bild in
meinen Weg gelegt hat, oder ein glückliches Ungefähr mag
es dahin geworfen haben; du magst eine Prinzessin oder eine
Schäferin seyn, du magst, für mich benimmt seyn oder einst
von einem Glücklichern als ich geliebt werden, du, die jetzt
die schönste unter den Nymphen des Himmels ist! wenn mein
Verhängniß es so will, daß ich, deiner beraubt, in hoffnungsloser
Liebe verschmachten soll, so ist doch keine Gewalt,
die dein Bild aus meiner Seele reißen kann. Ich will dich
suchen durch alle Länder und Meere des Erdkreises, von
einem Pole zum andern, vom ewigen Schnee der cimmerischen
Gebirge bis in die glühenden Zonen, wo kein schatten der
Baum, keine kühle Quelle die brennende Hitze mildert: und
wenn ich dich nicht finde, und die Erde dich, ihre schönste
Zierde, schon verloren hat, was kann mich hindern, daß mein
verlangender Geist, von der Gewalt seiner unsterblichen Liebe
emporgezogen, nicht von Sphäre zu Sphäre irre, dich da zu
suchen, wo deine Schönheit alle namenlose Schönheiten des
Aethers verdunkelt, oder herab in die unterirdischen Gegenden
steige und unter den Schatten dich suche. die, von deinen
Augen angestrahlt, den Verlust des Tages nicht mehr beklagen,
und ein süßes Vergessen aller andern Wünsche aus
deinen Blicken saugen!Diese dithyrambischen Einfälle, so närrisch sie unsern weisen
Lesern vorkommen mögen, hatten einen sehr heilsamen Einfluß
auf unsern Helden: denn er schlummerte unvermerkt darüber
ein, und dieß war in seinen dermaligen Umständen das Beste,
was ihm begegnen konnte. Oder was kann der Unglückliche
Besseres thun, als schlafen!Don Sylvio fand in seinem Schlummer einen gedoppelten
Vortheil, das Vergessen seines Kummers und die Glückseligkeit
eines angenehmen Traums, der, wenigstens solang
er dauerte, alle wohlthätige Wirkungen der Wahrheit hatte.
Es däuchte ihn, er sehe seine geliebte Prinzessin, aber nicht
in Gestalt einer Schäferin oder eines Sommervogels, sondern
in ihrer eigenen, wie eine Göttin geschmückt; sie lag auf
einer rosenfarbnen Wolke, die nahe bei ibm über dem Boden
schwebte, und sie besprach sich eine geraume Zeit mit ihm;
sie munterte ihn auf, den Muth nicht sinken zu lassen und
den Hindernissen großmüthig zu widerstehen, die ihre Feinde
ihrem Glück in den Weg legten; sie versicherte ihn, daß die
Zeit nicht lange mehr verziehen werde, da sie die Gestalt,
worin sie ihm jetzt sich zeige, durch ihn selbst wieder erhalten
würde; und sie setzte auf eine eben so zärtliche als verbindliche
Art hinzu, sie wünschte noch tausendmal liebenswürdiger
zu seyn, um ihn für alles Ungemach belohnen zu
können, womit er ihren Besitz erkaufen müsse. Don Sylvio
wollte ihr eben die zärtlichste Antwort hierauf geben, die
eine so schmeichelnde Erklärung verdiente, als sie wieder
verschwand.Dieser Umstand war freilich der einzige unangenehme in
seinem ganzen Traum; aber das Vergnügen, sie gesehen zu
haben, und der liebliche Ton ihrer Tröstungen, der noch um
sein entzücktes Ohr säuselte, machte ihn für alles Schmerzhafte
unempfindlich. Er vergaß aller überstandenen Trübsale,
verachtete alle künftige und war jetzt nur begierig eine Reise
fortzusetzen, wovon jeder Schritt ihn dem Ziele seiner Sehnsucht
näher brachte. Er weckte also den Pedrillo, und nachdem
er ihm voller Freuden seinen Traum erzählt hatte, befahl
er ihm, sich unverzüglich reisefertig zu machen.Bei Sanct Velten, rief Pedrillo, das ist doch artig, wie
unsre Träume in einander passen! Euer Gnaden haben eine
Erscheinung von der Prinzessin gehabt, und ich vom Sylphenmädchen.
Es kam mir vor, ich fände sie an dem nämlichen
Orte, wo Sie gestern schliefen, unter den Rosen liegen; aber
ihre Frau, die Fee, war nicht dabei, und jetzt reuet es mich,
daß ich sie nicht nach ihrem Namen fragte; aber wir hatten
so viel andere Dinge zu schwatzen, daß ich es vergaß. Sapperment!
die Zeit verging, daß ich nicht wußte, wo sie hinkam;
wir waren wohl drei bis vier Stunden beisammen, denn die
Sonne ging unter, ohne daß wir's gewahr wurden, und doch
däuchte mich's nur ein Augenblick; es war mir nicht anders,
als ob ich selbst eine Sylphe wäre; wenn es mir das Leben
gälte, so könnt ich Ihnen nicht beschreiben, wie mir war; aber
dieß ist gewiß, daß mir in meinem Leben nie so zu Muthe
gewesen ist. Sagt' ich nicht, das Gute würde uns auch
einmal wieder anlachen? Diese Träume kamen gewiß nicht
so von ungefähr; wer weiß, was geschehen kann! Die Frau
Rademante will vielleicht auf einmal wieder einbringen, was
sie bisher versäumt hat. Wir wollen sehen, sagte der Blinde.
Das Blatt kann sich schnell wenden. So viel versichere ich
Sie, gnädiger Herr, wenn ich einmal den grünen Zwerg unter
mich kriege, wie ich hoffe und glaube, so soll er die Rippenstöße
mit Wucher wieder bekommen, womit er uns heute
bedient hat: darauf kann er sich verlassen!—————
Viertes Capitel:Die Weissagungen des Pedrillo fangen an in Erfüllung zu gehen.Während daß Pedrillo seinem sprudelnden Humor auf
diese Weise Luft machte, setzten sie ihren Weg durch einen
Wald von Kastanienbäumen fort, welcher, je weiter sie kamen,
immer mehr das Ansehen eines Parks bekam. Hier und da
sahen sie große Sommerlauben, Springbrunnen, Urnen,
Grotten und Ruinen, die aus Gebüschen von Rosen, Jasmin
oder Geißblatt hervorragten, und nachdem sie eine kleine
halbe Stunde fortgegangen waren, befanden sie sich in einer
Art von Irrgarten von Rosen- und Myrtenhecken, dessen
Gänge so künstlich durch einander geschlungen waren, daß sie
einige Mühe hatten, sich heraus zu finden.Diese Anscheinungen ließen unsere Wanderer nicht zweifeln,
dah sie sich in der Nähe eines Feenschlosses und am
Anfang eines sehr merkwürdigen Abenteuers befänden.Pedrillo rief ein Mal übers andere: Sagt' ichs nicht, sagt'
ichs nicht vorher, die Fee Rademante würde sich besser halten?
Da sehen Sie nun einmal, gnädiger Herr, ob es wohlgethan
gewesen wäre, wenn wir uns dem verfluchten Zaubergeschmeiß
zu Gefallen ins Wasser gestürzt hätten, wie Sie ganz gewiß
gethan hätten, wenn ich nicht gewesen wäre! Das Beste,
was wir davon gehabt hätten, wär' etwan gewesen, daß uns
irgend eine Sirene in Wasserschlangen oder Meerkatzen verwandelt
hätte; anstatt daß wir jetzt Hoffnung haben, in einem
diamantenen oder gar krystallenen Schlosse zu übernachten,
auf seidenen Matratzen zu liegen und von lauter schönen
Sylphiden bedient zu werden, von denen die schlechteste so
viel Perlen und Edelsteine an sich hängen hat, daß man ein
paar Königreiche dafür kaufen könnte.Indem er so plauderte, befanden sie sich in einem großen
Spaziergange von Pomeranzenbäumen, an dessen Ende sie
einen prächtigen Pavillon erblickten. Eine halb offene Flügelthür
ließ sie in einen großen Saal sehen, aus welchem,
weil die sinkende Sonne ihm gegenüber stand, ein Schimmer
von Spiegeln, Vergoldungen und reichem Geräthe von ferne
schon die Augen des Pedrillo blendete.So erfreut er uber diesen Anblick war, so fing ihn doch
an ein wenig zu schauern, wenn er dachte, daß er sich an
einem Orte befände, wo Alles durch Zauberei zuginge, und
das Herz schlug ihm immer stärker, je näher sie dem Pavillon
kamen. Don Sylvio selbst, der sonst nicht der Furchtsamste
war, schien eine Weile unentschlossen, was er thun
sollte: denn er hatte schon so viele Proben von der Arglist
und unermüdeten Bosheit seiner Feinde, daß er nicht wußte,
ob nicht etwan eine neue List unter diesen schönen Anscheinungen
verborgen liege. Allein die tröstlichen Versprechungen,
die ihm seine geliebte Prinzessin so kürzlich erst gegeben hatte,
verbannten alle diese Besorgnisse bald wieder: und ob er gleich
(außer einigen Papagaien, die auf dem vergoldeten Geländer,
das den Saal umgab, herum hüpften) kein lebendiges Wesen
gewahr wurde; so beschloß er doch nach einer kleinen Ueberlegung,
hinein zu gehen und zu erwarten, was aus diesem
Abenteuer werden möchte.Aber wie groß war sein Erstaunen, als er beim Eintritt
in den Saal, dessen Schönheit und kostbare Auszierung einer
Fee würdig schien, eine Menge Katzen von allen Farben erblickte,
die sich nicht anders geberdeten, als ob sie die einzigen
Bewohner dieses prächtigen Ortes wären! Einige lagen auf
Polstern von goldnem Stoffe; andre spazierten ganz gelassen
zwischen den Blumengefässen und sinesischen Pagoden, womit
der Kamin ausgeziert war, herum; indem noch andre sich um
ein wunderartiges schneeweißes Kätzchen geschäftig zeigten,
welches, mit Perlenschnüren umwunden, in einer anmuthig
nachlässigen Stellung auf einem Sopha von rosenfarbnem
Damast mit Silber ausgestreckt lag.Bei einem solchen Anblick hätte sich wohl ein weiserer
Mann als Don Sylvio des Palasts der weißen Katze
erinnern können. Aber als die Katzen, die auf den Polstern
lagen, sobald er den Fuß in den Saal setzte, ihn mit einer
Symphonie nach ihrer Art bewillkommten: so war nun (nach
seiner Weise zu schließen) nichts gewisser, als daß er sich in
dem nämlichen Palaste befände, worin ein gewisser Prinz,
dem die Geschichte keinen Namen gibt, in Gesellschaft einer
sehr geistreichen, zärtlichen und tugendhaften weißen Katze;
die in der Folge eine eben so schöne Prinzessin war, drei
Jahre zubrachte, die ihm nur einzelne Tage däuchten.Seine Freude über einen so glücklichen Zufall war ungemein.
Denn, außer der verbindlichen Aufnahme, die er sich
in diesem Schlosse versprechen konnte, war ihm das gute Herz
und die Großmuth der weißen Katze so wohl bekannt, daß
er sich versichert hielt, sie werde ihm zu glücklicher Vollendung
seines Vorhabens allen Beistand leisten, den er sich nur
wünschen könne.In diesen Gedanken näherte er sich dem Sopha, wo das
schöne weiße Kätzchen saß, und war im Begriff, sie mit aller
der Ehrfurcht, die einer Katze von so hoher Geburt und außerordentlichen
Eigenschaften gebührt, anzureden: als sich plötzlich
eine Thür öffnete, aus welcher, zu großem Erstaunen
des Pedrillo, die kleine Sylphide herein guckte, mit welcher
er gestern im Walde Bekanntschaft gemacht hatte.Wenn eine so unvermuthete Erscheinung den Pedrillo in
Bestürzung setzte, so that sie auf die Sylphide keine geringere
Wirkung. Kaum wurde sie unsrer Abenteurer gewahr, als
sie den Kopf mit einem Schrei zurückzog, die Thür wieder
zuschlug und so eilfertig davon lief, als ob sie ein Gespenst
gesehen hätte.Don Sylvio wußte nicht, was er aus dieser seltsamen
Art zu erscheinen und wieder zu verschwinden machen sollte.
Aber Pedrillo half ihm augenblicklich aus dem Wunder. Da
haben wir's! rief er; Glück zu, gnädiger Herr, unser Traum
ist erfüllt! machen Sie sich keinen Kummer, sie wird bald wieder
kommen; sie lief nur, um der Fee zu sagen, daß wir da sind.Von wem redest du? fragte Don Sylvio leise, indem er
ihn auf die Seite nahm.Ei, von wem sonst; als von der Sylphide, die eben zu
dieser Thür herein guckte, und die, wie ich Euer Gnaden
schwören kann, eben dieselbe Sylphide ist, die ich gestern
unter der Rosenlaube neben Ihnen antraf, und die mir heut
im Traum erschienen ist.Pedrillo, sagte Don Sylvio, es müßte mich Alles betrügen,
oder wir befinden uns im Schlosse der weißen Katze,
welche eine große Prinzessin und zugleich eine Fee ist; wenn
die Sylphide, die du kennst, zu diesem Palast gehört; so war
die Fee, die du gestern sahest, vermuthlich die weiße Katze
selbst.Ich weiß nicht, was Sie mit Ihrer weißen Katze wollen,
antwortete Pedrillo: Sie werden doch, zum Deixel! nicht
denken, daß das Pußchen, das dort auf dem Sopha sitzt und
Gesichter schneidet, die Fee ist —Rede nicht so laut, unterbrach ihn Don Sylvio, und laß
dir ein für alle Mal sagen, daß man an solchen Orten, wie
der, wo wir uns befinden, nicht vorsichtig und bescheiden
genug seyn kann.Don Sylvio hatte die letzten Worte noch nicht ausgesprochen,
als Pedrillo einen großen Schrei that und mit
beiden Händen wie ein Unsinniger um sich schlug: denn einer
von den Papagaien, die den Katzen in diesem Zimmer Gesellschaft
leisteten, hatte, entweder weil ihm Pedrillo's Physiognomie
nicht anständig war oder aus einer andern Ursache;
die er (so viel wir wissen) niemals entdeckt hat, für gut
befunden, ihm, indem er hinter ihm vorbeiflog, einen kleinen
Backenstreich mit seinen Krallen zu versetzen, welchen Pedrillo
(weil er den Urheber davon nicht sah) mit großen Betheurungen
von irgend einem Kobold oder unsichtbaren Zwerg empfangen
zu haben versicherte.Nimm es, sagte Don Sylvio, als den Lohn für dein unbescheidenes
Geplauder an! Es wird weiter nichts als eine
kleine Züchtigung gewesen seyn, die dir eine von den unsichtbaren
Händen gegeben hat, von denen man in diesem
Palast bedient zu werden pflegt.Potz Herrich, sagte Pedrillo, das ist eine vertraute Art
die Leute zu bedienen! Wenn es eine Hand war, so muß
sie sich die Nägel in sieben Jahren nicht beschnitten haben;
ich versichre Euer Gnaden, daß ein Griff von einem jungen
Waldteufel nicht tiefer einschneiden könnte. Sapperment!
wenn man für ein jedes Wort, womit man sich hier verfehlt,
einen solchen Circumflex bekommt, so muß ich mir das Maul
zunähen lassen, oder die boshaften Kobolde werden mir bis
morgen das ganze große und kleine Alphabet in mein Gesicht
hinein gekratzt haben.In der That, sagte Don Sylvio, du würdest am besten
thun, wenn du einen vollkommenen Stummen vorstelltest:
denn, so wie du dich ausführst, steh' ich dir nicht dafür, daß
dir nicht noch unangenehmere Dinge begegnen könnten; nichts
davon zu sagen, daß du mir mit deiner ungezogenen Waschhaftigkeit
und mit deinen pöbelhaften Schwüren und Ausdrücken
sehr wenig Ehre machen wirst.Nun gut, gnädiger Herr, versetzte Pedrillo, ein guter
Rath findet eine gute Statt. Ich will, weil Sie's für gut
ansehen, so stumm seyn als ein Karpfen; ich will Ihnen einen
Stummen agiren, daß Sie Jhre Lust daran sehen sollen.
Aber, hum! ich höre Jemand kommen — Ha! sagt' ich's
nicht? Es ist die Fee selbst. — St!—————
Fünftes Capitel:Erscheinung der Fee. Wie gefährlich es ist, ein Frauenzimmer anzutreffen,
welches unsrer Geliebten gar zu ähnlich sieht.Es ist, geneigter Leser, bereits zwei und vierzig Minuten,
achtzehn Secunden, richtig an einer zu Genf fabricirten Londoner
Uhr abgezählt, daß wir einem halben Duzend schönen
neuen Gleichnissen nachsinnen, wodurch ein Dichter benöthigten
Falls den höchsten Grad des Erstaunens und der Bestürzung
abzuschildern versuchen könnte, — ohne daß wir so glücklich
gewesen sind, nur ein einziges zu finden, welches nicht durch
die vielen Hände, wodurch es seit den Zeiten des alten Homer
bis auf diesen Tag gegangen, so abgenutzt worden wäre, daß
es zu nichts mehr zu gebrauchen ist.Wir wissen uns also für dießmal nicht anders zu helfen,
als durch eine gewisse rhetorische Figur, die wir einem
der geschicktesten Zueignungsschriftenmacher unsrer Zeit abgesehen
haben, und sagen also: Weder der Schrecken eines
unvorsichtigen Knaben, der seine Hand in eine Höhle gesteckt
hat und unversehens eine Schlange ergreift; noch das Entsetzen
jenes Bräutigams, der des Morgens nach seiner Hochzeitnacht
anstatt der schönen Schwester, die er liebte, die
häßliche an seiner Seite fand; noch die Bestürzung eines
Richters bei Erblickung eines silbernen Waschbeckens voll Kremnitzer
Ducaten, womit ihm ein Client, der zu leben weiß,
die Gerechtigkeit seiner Sache begreiflich gemacht hat — sind
hinlänglich, uns nur den zehnten Theil der Bestürzung vorzubilden,
in welche Don Sylvio gerieth, da er in der Fee
dieses Zauberschlosses das Urbild seiner geliebten Schäferin
erblickte. — Doch wir sagen zu viel: denn, da er sich seit
seinem letzten Traum von neuem überredet hatte, daß sie
noch ein Sommervogel sey; so war er bloß darüber bestürzt,
wie es zugehe, daß eine so erstaunliche Aehnlichkeit zwischen
ihr und dieser Fee seyn könne.Donna Felicia (denn wir können und wollen es nicht
länger verbergen, daß wir zu Lirias sind) hatte Sorge getragen,
sich unserm Helden in einem Anzuge zu zeigen, der,
indem er ihre Annehmlichkeiten auf die vortheilhafte Art
entwickelte, ihr zugleich ein so sonderbares Ansehen gab, daß
ihr nur ein Stäbchen von Ebenholz fehlte, um eine vollkommene
Lumineuse vorzustellen.Sie hatte sich eben an ihrem Nachttische befunden, um
sich auf die Ankunft ihres Bruders auszuputzen, der sie auf
eine unerwartete Gesellschaft vorbereitet hatte; als ihr Laura
die überraschende Zeitung brachte, daß Don Sylvio, sie wisse
nicht wie, im Saale sichtbar geworden sey; und der glückliche
Instinct, der bei den Beherrscherinnen unsrer Herzen die
Stelle der langsamen Vernunft einnimmt, hatte ihr in einem
Augenblick begreiflich gemacht, daß sie nicht feenmäßig genug
aussehen könne, um den Eindruck zu befördern, den sie auf
ihn zu machen wünschte.Sie bewillkommte ihn mit dem edeln und anmuthsvollen
Anstande, der ihr eigen war, ob sie sich gleich Gewalt anthun
mußte, die Unruhe zu verbergen, die in ihrem schönen
Busen kochte. Sie bezeigte sich dem Zufalle sehr verbunden,
der einen jungen Ritter, dessen Ansehen keine gemeine
Verdienste ankündigte, in ihr Schloß geführt hätte, und versicherte
ihn, daß ihr Bruder, dessen Ankunft sie alle Augenblicke
erwarte, sehr erfreut seyn würde, eine so angenehme Bekanntschaft
zu machen.Hätte Don Sylvio nichts als die Bestürzung über eine
unverhoffte Aehnlichkeit zu bekämpfen gehabt, so möchte es
wohl nicht schwer gewesen seyn, sich in der gehörigen Fassung
zu erhalten. Allein die Natur, die ihre Rechte nie verliert
und am Ende doch allemal den Sieg über die Einbildungskraft
davon trägt, spielte ihm in diesem kritischen Augenblick
einen andern Streich, gegen den es so viel als unmöglich
war sich zu vertheidigen.Der gute Sylvio hatte die Eindrücke, die das Bildniß
seiner vermeinten Prinzessin auf ihn gemacht, und die Wünsche,
die es in seinem Herzen erregt hatte, für Liebe gehalten: er
hatte sich geirrt; es war nur eine schwache Vorempfindung,
nur ein armes Schattenbild der Liebe, die ihm das Urbild
selbst einflößen würde.Ihr erster Blick, der dem seinigen begegnete, schien ihre
Seelen auszutauschen. Die ganze Gewalt dieser unbeschreiblichen
Entzückung, womit eine sympathetische Liebe, zumal
wenn es die erste ist, bei Erblickung ihres Gegenstandes eine
empfindliche und zu dieser glücklichen Art von Schwärmerei
aufgelegte Seele berauschen kann, durchdrang, erfüllte, überwältigte
sein ganzes Wesen. Alle seine vorigen Ideen schienen
ausgelöscht; neue Sinne schienen plötzlich in seinem Innersten
sich zu entwickeln, um alle diese unzähligen Reizungen aufzufassen,
die ihm entgegen strahlten; kurz, er war so sehr
außer sich selbst, daß er die verbindliche Anrede der vermeinten
Fee mit nichts Anderm als stammelnden und abgebrochenen
Sylben zu beantworten vermochte.Donna Felicia würde vermuthlich mit dem zärtlichsten
und wohlgesetztesten Complimente nicht halb so gut zufrieden
gewesen seyn, als sie es mit der weit beredtern Verwirrung
war, worin sie ihn sah. Dasjenige, was in ihrem
eigenen Herzen vorging, erklärte und ergänzte ihr, was in
der Anrede unsers Helden mangelhaft und unverständlich
schien; aber, weil sie mehr Gewalt über sich selbst hatte, oder
(um uns richtiger auszudrücken) weil sie ein Frauenzimmer
war, so wußte sie nicht nur ihre eigene Unruhe zu verbergen,
sondern sie hatte auch die Gefälligkeit, ihm zu einiger Fassung
behüflich zu seyn, indem sie sich sogleich in den Sopha warf
und, nachdem sie ihn ersucht hatte, einen Lehnstuhl neben ihr
einzunehmen, von dem weißen Kätzchen, das von seinem
gewohnten Platz auf ihrem Schoße Besitz genommen hatte,
Anlaß nahm, uber die Gedanken zu scherzen, welche beim
Eintritt in diesen Saal in ihm hätten veranlaßt werden
müssen. Gestehen Sie mir, Don Sylvio, sagte sie, daß Sie
bei Erblickung einer so ansehnlichen Gesellschaft von Katzen,
die den Hof meines kleinen Lieblings auszumachen schien,
sich kaum erwehren konnten zu glauben, daß sie in dem Palast
der weißen Katze seyen!Man kann auf keine glücklichere Art betrogen werden,
schönste Fee, erwiederte Don Sylvio. Möchten Sie mit eben
der Scharfsichtigkeit, womit Sie meinen ersten Gedanken,
der, ehe ich Sie selbst zu sehen das Glück hatte, natürlich
genug war, zu entdecken wußten, in das Innerste meiner
Seele schauen und darin zu lesen würdigen, was ich weder
Kühnheit noch Vermögen habe auszusprechen.Donna Felicia fand für gut, anstatt auf diese ehrfurchtsvolle
Liebeserklärung zu antworten, ihn mit der Lebensgeschichte
und den bewundernswürdigen Tugenden der kleinen weißen
Katze zu unterhalten. So geringfügig dieser Gegenstand an
sich selbst war, so wichtig ward er (zumal für einen so geneigten
Zuhörer als Don Sylvio) auf den schönen Lippen der
Donna Felicia und durch den Reiz, den sie über Alles, was
sie sagte oder that, auszugießen wußte. Don Sylvio erfuhr
es nur allzu sehr. Ieder ihrer Blicke, jedes Wort, das sie
sprach, jede kleine Bewegung, die sie machte, verwehrte die
Entzückung, worin er ganz verloren schien. Seine Einbildungskraft,
unfähig, etwas Vollkommneres zu erstreben, als
was sich seinen Augen darstellte, wurde nun auf einmal ihrer
vorigen Macht beraubt und diente zu nichts, als den Sieg
der Empfindung vollkommen zu machen. Alle diese schönen
Phantome, womit sie angefüllt gewesen war, verschwanden
wie die leichten Dünste eines Frühlingsmorgens vor der aufgehenden
Sonne. Er erinnerte sich seines vorigen Zustandes
nur wie eines Traumes, oder (richtiger zu reden) er vergaß
ihn und Alles, was er kurz vorher gedacht, geliebt, gehofft
und gefürchtet hatte, solang er Donna Felicia vor sich sah,
so gänzlich, als ob er den ganzen Lethe ausgetrunken hätte.Dieser Zustand mochte für ihn selbst angenehm genug
seyn, aber er machte ihn nicht sehr kurzweilig für seine Gesellschafterin,
und nachdem Alles, was sich von ihren Katzen
nur immer sagen ließ, völlig erschöpft war, so würde die
Unterhaltung ziemlich matt geworden seyn, wenn die Papagaien,
welche von Zeit zu Zeit in den Saal gehüpft kamen
und überaus witzig und schwatzhaft waren, sich nicht zuweilen
in das Gespräch gemischt hätten.—————
Sechstes Capitel:Unverhoffte Zusammenkunft.Donna Felicia bezeigte eben einige Unruhe über das Außenbleiben
ihres Bruders, der ihr, wie sie sagte, Hoffnung
gegeben hätte, eine liebenswürdige Gesellschaft mitzubringen:
als sich die innere Thür des Saals öffnete, und Don Eugenio
von Lirias mit der schönen Jacinte und seinem Freunde Don
Gabriel herein trat und unserm Helden in dem Unbekannten,
dem er das Leben oder wenigstens seine Geliebte gerettet
hatte, den Bruder seiner angebeteten Fee zeigte.Die Ueberraschung war auf beiden Seiten gleich angenehm,
und mit einer gleich großen Verwunderung auf Seiten des
Bruders und der Schwester begleitet. Allein, da es sich jetzt
nicht schickte, diese leztere Regung merken zu lassen, so begnügte
sich Don Eugenio, nachdem er seiner Schwester die
schöne Jacinte vorgestellt und empfohlen hatte, seine Freude
darüber zu bezeigen, daß er unsern Helden (dessen unerwartete
heimliche Abreise aus dem Wirthshause ihn nicht wenig
befremdet hatte) so unverhofft in seinem eigenen Hause
wieder finde. Sie wissen vermuthlich nicht, sagte er zu
Donna Felicia, wie viel wir dem Don Sylvio schuldig sind.
In Kurzem sollen Sie den ganzen Zusammenhang einer
Geschichte erfahren, die Ihnen kein Geheimniß mehr seyn
darf. Alles, was ich Ihnen jetzt davon melden kann, ist, daß
Sie in der Person dieses liebenswürdigen Unbekannten denjenigen
sehen, der durch großmüthige Wagung seines eigenen
Lebens Ihnen einen Bruder erhalten hat.Sie vergrößern, erwiederte unser Held, den Werth eines
Beistandes, den Ihre und Ihres Freundes Tapferkeit überflüssig
machte, und wozu ich durch Gesinnungen, die Ihr
erster Anblick mir einflößte, hingerissen wurde. Hätte ich damals
wissen können, was dieser glückliche Augenblick mich
gelehrt hat, so würde ich, wenn auch jede meiner Adern ein
eigenes Leben hätte, jedes derselben mit Vergnügen aufgeopfert
haben, um ein so kostbares Leben zu erhalten.Don Eugenio würde vermuthlich über dieses hyperbolische
Compliment ein wenig gestutzt haben, wenn die Aufmerksamkeit.
womit er die Eindrucke beobachtete, welche Jacinte auf
seine Schwester machte, ihm zugelassen hätte; auf irgend etwas
Anderes aufmerksam zu seyn.Donna Felicia, welche ziemlich verlegen gewesen war,
wie sie ihre Neigung zu unserm Helden und den Plan, den
sie seit einer halben Stunde mit der Behendigkeit, die allen
Wirkungen der Liebe eigen ist, bei sich selbst entworfen hatte,
ihrem Bruder verbergen oder gefällig machen könnte, war vor
Vergnügen außer sich, da sie hörte, was für Verdienste Don
Sylvio sich bereits um ihn erworben hatte. Dieser glückliche
Umstand rechtfertigte nicht nur die Lebhaftigkeit ihrer Achtung
für den Erretter eines Bruders, den sie so zärtlich liebte;
sondern, da er ihr in Verbindung mit den übrigen Umständen
einiges Licht über die geheime Geschichte desselben
(worin Jacinte vermuthlich keine Nebenrolle zu spielen hatte)
zu geben schien, so hoffte sie nun, daß sie wenig Mühe haben
würde, den Beifall ihres Bruders für ihre Liebe zu erhalten,
da er vermuthlich den ihrigen für die seinige nöthig haben
würde. Sie verdoppelte also die Ausdrücke des Wohlgefallens
und der Zuneigung, welche ihr die Liebenswürdigkeit der
jungen Dame ohnehin eingeflößt haben würde, da sie, aller
Zurückhaltung des Don Eugenio ungeachtet, nur allzu deutlich
sah, wie heftig er sie liebte; und Don Eugenio, der alle
diese Liebkosungen ganz allein auf die Rechnung der Vorzüge
seiner Geliebten schrieb, war darüber so erfreut, daß er den
Augenblick kaum erwarten konnte, sich seines Geheimnisses
in ihren schwesterlichen Busen zu entladen.Niemals hat vielleicht in einer Gesellschaft von Personen,
welche einander theils gänzlich, theils beinahe unbekannt waren,
so viel Sympathie und eine solche Mannigfaltigkeit von verborgenen
zärtlichen Regungen geherrschet, als in dieser.
Natürlicher Weise konnten so liebenswürdige Personen, als
sich hier zusammen gefunden hatten, einander nicht gleichgültig
seyn; aber die geheimen, obgleich noch unentwickelten
Verhältnisse, worin sie gegen einander standen, machten sie
einander noch unendliche Mal interessanter; und Liebe und
Natur, welche hier ingeheim ihr Spiel hatten, brachten
eine Harmonie und eine Vertraulichkeit, wozu sonst eine
q ,
Reihe von Wochen erfordert wird, in eben so vielen Minuten
hervor.Don Gabriel war der Einzige, der ohne Rücksicht auf sich
selbst an dem allgemeinen Vergnügen Antheil nahm. Die
Ruhe seines Herzens erlaubte ihm, die Uebrigen mit der Scharfsichtigkeit
eines Weisen und mit der Güte eines Menschenfreundes
zu beobachten; und, obgleich ein Theil von dem, was er zu
bemerken glaubte, ein Räthsel für ihn war, so sah er doch, daß
in Kurzem sehr artige Geheimnisse sich entwickeln würden.Inzwischen erschienen ein paar prächtig gekleidete kleine
Mohren, um die Gesellschaft mit Erfrischungen zu bedienen;
und Don Gabriel, der einen natürlichen Beruf dazu zu
haben glaubte, hatte die Gefälligkeit, durch die Munterkeit
seines Witzes zu verhindern, daß die Unterhaltung nicht von
Zeit zu Zeit in ein doppeltes wiewohl stillschweigendes Tête
à Tête ausartete.Ungeachtet einer gewissen phantastischen Wendung, welche
beinahe in Allem, was Don Sylvio sagte oder that, in die
Augen fiel, wurde doch Don Eugenio je länger je mehr von
ihm eingenommen; und bei den Verbindlichkeiten, die er
gegen ihn hatte, konnte er ohnehin nicht weniger thun, als
sich die Ehre seines Aufenthalts zu Lirias auf einige Zeit
auszubitten, um (wie er sagte) einer Bekanntschaft, die sich
auf eine so außerordentliche Art angefangen, Zeit zu lassen,
zu einer Freundschaft zu reifen, deren er sich nicht unwürdig
zu zeigen hoffte.Don Sylvio nahm eine so verbindliche Einladung mit
größtem Vergnügen an, ohne einen Augenblick mehr
Umstände zu machen, als die Prinzen in den Feenmärchen zu
machen pflegen, wenn ihnen ein Nachtquartier in einem bezauberten
Schlosse angeboten wird.Donna Felicia entfernte sich hierauf mit der schönen Jacinte,
und Eugenio führte seinen Gast in ein prächtiges Gemach,
welches er ihn als das seinige anzusehen bat, solang er
Lirias mit seinem Aufenthalte beglücken würde. Er verließ
ihn hierauf bis zum Abendessen und wartete mit Ungeduld
bis Laura ihm die Nachricht brachte, daß seine Schwester sich
in ihrem Cabinet allein befinde.—————
Siebentes Capitel:Gegenseitige Gefälligkeiten.Es ist schon längst beobachtet worden, daß das Terenzische
Tu si hic esses, aliter sentias, wenn der gehörige Gebrauch
davon gemacht würde, ein fast allgemeines Mittel gegen alle
die Widersprüche, Irrungen und Zwistigkeiten wäre, die aus
der Verschiedenheit und dem Zusammenstoß der menschlichen
Meinungen und Leidenschaften täglich zu entstehen pflegen.Für einen bloßen Zuschauer der menschlichen Thorheiten,
wenn es anders einen solchen gibt, kann nichts lustiger seyn,
als eine ganze wohl policirte Gesellschaft von moralischen
Egoisten beisammen zu sehen, wovon immer einer dem andern
seine Persönlichkeit streitig macht und nichts Geringeres fordert,
als daß alle andre in allen Sachen und zu allen Zeiten
gerade so empfinden, denken, urtheilen, glauben, lieben,
hassen, thun und lassen sollen, wie er; oder, welches in der
That eben so viel sagen will, daß sie keine für sich selbst bestehende
Wesen, sondern bloße Zufälligkeiten und Bestimmungen
von ihm selbst seyn sollen.Es ist wahr, unter allen diesen Egoisten ist keiner unverschämt
genug, diese Forderung geradezu zu machen; aber;
indem wir alle Meinungen, Urtheile oder Neigungen unserer
Nebengeschöpfe für thöricht, irrig und ausschweifend erklären,
sobald sie mit den unsrigen in einigem Widerspruche stehen;
was thun wir im Grunde Anderes, als daß wir ihnen unter
der Hand zu verstehen geben, daß sie Unrecht haben, ein
Paar Augen, ein Gehirn und ein Herz für sich haben zu
wollen?"Warum gefällt Ihnen das, mein Herr?"Ich kann Ihnen keine andere Ursache davon angeben, als,
weil es mir gefällt."Aber ich kann doch unmöglich begreifen, was Sie denn
daran sehen, das Ihnen so sehr gefällt! Ich für meinen
Theil —"Gut, mein Herr, das beweist nichts, als daß mir etwas
gefallen kann, das Ihnen nicht gefällt."Ich will eben nicht sagen, daß es mir schlechterdings
mißfalle, aber ich kann doch auch nicht sagen, daß ich es so
gar vortrefflich, so gar ungemein finden sollte, wie Sie."Gesetzt aber, es käme mir so vor?"So hätten Sie Unrecht."Und warum das, mein Herr?"Weil es nicht so ist."Und warum ist es nicht so?"Eine seltsame Frage, mit Ihrer Erlaubniß. Hab' ich
denn nicht so gute Augen, wie Sie? Ist mein Geschmack
nicht eben so richtig? Kann ich nicht eben so gut von dem
Werth einer Sache urtheilen, wie Sie? Wenn es so vortrefflich
wäre, wie Sie sich einbilden, so müßte ich's ja auch so finden?"Alles dieß kann ich mit so gutem Rechte sagen, wie Sie.
Es mag nun hier das Auge, der Verstand oder die Einbildung
entscheiden, warum soll ich Ihren Augen, Ihrem Verstand
oder Ihrer Einbildung mehr zutrauen, als den meinigen?
Das möcht' ich doch wissen!"Das kann ich Ihnen gleich sagen. Ich sehe die Sache,
wie sie ist, und Sie sind durch den Affect verblendet."Gut, mein Herr, da kommen Sie mir gerade, wo ich
Sie erwartete. Wenn der Affect zuweilen verblendet (und
das thut er nur alsdann, wenn er raset, welches nie lange
dauern kann), so ist hingegen eben so gewiß, daß er ordentlicher
Weise das Gesicht schärft. Wie können Sie erwarten,
daß der flüchtige, unachtsame und ungefähre Blick, den die
Gleichgültigkeit auf einen Gegenstand wirft, so viel an ihm
entdecken oder die Grade seines Werthes so richtig bemerken
soll, als der Affect, der ihn mit der äußersten Aufmerksamkeit
von allen Seiten und Gesichtspunkten betrachtet?"Aber die Einbildung, die sich unvermerkt in seine Beobachtung
mischt —"Belieben Sie zu bedenken, mein Herr, daß nur ein verrückter
Mensch seine Einbildungen für Empfindungen hält.
Warum wollen Sie lieber auf einer Voraussetzung bestehen,
wodurch Sie die Gesundheit meines Gehirns verdächtig
machen, als bekennen, daß es eine Sache geben kann, die
ich besser kenne, als Sie, oder die zum wenigsten mir aus
guten Ursachen anders vorkommt, als Ihnen?Erhitzen Sie sich nicht, meine Herren! rief ein Dritter,
der diesem Streite zwischen einem Ich und einem andern Ich
oder zwischen Ich und Du zugehört hatte. Sie können noch
einen halben Tag disputiren, ohne daß einer den andern
bekehren würde. Und wissen Sie wohl warum? Die Ursache
ist ganz natürlich: weil sie beide Recht haben. Sie urtheilen
wie ein Liebhaber, und so haben Sie Recht; und Sie urtheilen
wie ein Gleichgültiger, und so haben Sie auch Recht."Aber, mein Herr Schiedsrichter, die Frage ist: ob er
Recht habe, ein Liebhaber von etwas zu seyn, das in der
That — "Ihnen gleichgültig ist, wollen Sie sagen?"Nein, mein Herr — das den Grad der Liebe nicht verdient,
den er — "Dieß ist eben die Frage, die sich nicht ausmachen läßt,
mein Herr. Auf diesem Wege gerathen wir wieder in den
vorigen Cirkel, und da können wir uns ewig herum drehen,
ohne jemals an ein Ende zu kommen. Ihr Streit ist von
einer Art, die nur durch einen gütlichen Vergleich ausgemacht
werden kann. Gestehen Sie einander ein, daß Ich gar wohl
berechtiget ist, nicht Du zu seyn; hernach setzen Sie sich jeder
an des andern Platz; ich will verloren haben, was Sie wollen,
wenn Sie nicht eben so dächten wie Er, wenn Sie Er oder
in seinen Umständen wären; und so hätte der Streit ein
Ende.Es ist (wie vermuthlich Aristoteles schon vor uns bemerkt
haben wird) keine verdrießlichere Lage in der Welt, als diejenige,
worin ein Liebhaber ist, der einer dritten Person (zumal
wenn sie nur wenig empfindlich ist) von seiner Neigung
Rechenschaft geben soll. Donna Felicia und ihr Bruder befanden
sich beide in diesem kritischen Umstande, und bei einer
andern Lage der Sachen würde vermuthlich ein jedes große
Schwierigkeiten gehabt haben, den Beifall des andern zu
erhalten. Ohne diesen glücklichen Zufall hätte Donna Felicia
oder Don Eugenio sich, so viel sie gewollt hätten, auf Terenzens
"wärst du ich — oder an meinem Platze" berufen mögen;
sie würden vermuthlich nicht halb so viel damit gewonnen
haben, als jetzt, da sich jedes wirklich an des andern Platze
befand: so groß ist der Unterschied zwischen der Wirkung, die
eine flüchtige Abstraction, oder die ein wahres Gefühl auf
uns macht. Es ist wahr, wenn sie einander hätten chicaniren
wollen oder von der unverschämten Art von Leuten gewesen
wären, die allein das Recht haben wollen, Schellen
an ihren Kappen zu tragen, so würden sie noch immer Stoff
genug gefunden haben, einander Händel zu machen. Aber
bei der guten Vernunft und gefälligen Gemüthsart, die sie
mit einander gemein hatten, brauchte nur das Hinderniß
aus dem Wege geräumt zu werden, das aus der Gleichgültigkeit
des einen Theils natürlicher Weise hätte entstehen
müssen. Wir wollen einmal setzen, Donna Felicia hätte die
Nachsicht ihres Bruders nicht für sich selbst nöthig gehabt,
wie viele Einwendungen hätte sie nicht gegen seine Liebe zu
einem Mädchen ohne Namen, ohne Vermögen, welches vielleicht
Ursache hatte über ihre Herkunft zu erröthen, und mit
der sich seine Bekanntschaft auf dem Theater angefangen hatte,
einwenden können? — Ich gestehe Ihnen Alles ein, würde
Don Eugenio geantwortet haben; alle diese Einwürfe, Alles,
was Sie und meine Freunde und die Welt nur immer dagegen
sagen können, hat mir meine eigene Vernunft tausendmal
vorgesagt; und so thöricht ich Ihnen scheinen mag, so
bin ich es doch nicht so sehr, um nicht ganz deutlich einzusehen,
daß Sie und meine Vernunft Recht haben. Aber was
vermag das Alles gegen die Stimme meines Herzens? gegen
einen unwiderstehlichen Zug, von dem ich nicht Meister bin,
noch zu seyn wünschen kann? Die Hälfte aller dieser Umstände
würde mehr als zulänglich seyn, eine gewöhnliche Leidenschaft
zu dämpfen. Aber die Gewalt der Sympathie, liebste Schwester —
man muß sie selbst erfahren haben, um zu wissen,
wie unmöglich es von dem ersten Augenblick an, da man sie
erfährt, ist, ihr zu widerstehen.Donna Felicia würde diesen Grund sehr geringhaltig gefunden
haben, wenn sie diese Sympathie, womit Don Eugenio
seine Thorheit oder Schwachheit — oder, wie es die
weisen Leute, die über solche Ausschweifungen hinweg sind,
nennen wollen — zu rechtfertigen vermeinte, nicht aus eigener
Erfahrung gekannt hätte. Und in der That hatte es ihr
kaum anders als ungereimt vorkommen können, daß eine
betrügliche, ungewisse und unerklärbare Empfindung, ein
ich weiß nicht was, das vielleicht nur ein Gespenst der
Einbildungskraft ist, für hinlänglich gehalten werden sollte,
die Stimme der Vernunft, der Klugheit und der Ehre zu überwiegen.
Allein zum Vortheil ihrer beiderseitigen Leidenschaft
befanden sie sich beide in dem nämlichen oder doch in einem
sehr ähnlichen Falle. Was Donna Felicia für Don Sylvio
empfand, erklärte ihr vollkommen, was Don Eugenio seine
Sympathie für Jacinten nannte; und Don Eugenio konnte
nicht so unbillig seyn, von seiner Schwester die Unterdrückung
einer Neigung zu verlangen, die er selbst für unwiderstehlich
erklärt hatte.Sie schenkten also einander die Einwürfe, die eines jeden
eigene Vernunft, so gut als des andern seine, gegen den
Entschluß ihres Herzens zu machen hatte, und richteten ihre
vereinigte Aufmerksamkeit bloß darauf, wie die Hindernisse,
die ihren Wünschen im Wege standen, am besten gehoben
werden könnten. Die Gefälligkeit, welche Felicia in diesem
Stücke für die Leidenschaft ihres Bruders zeigte, verdiente
alle nur ersinnliche Erkenntlichkeit auf seiner Seite; und da
in der That die überspannte Phantasie unsers Helden das
Einzige war, was ihn ihrer Liebe unwürdig machen konnte,
so schien Alles bloß darauf anzukommen, wie man es anzufangen
hätte, um sein Gehirn wieder in seine natürlichen
Falten zu legen.Die Nachrichten des Barbiers wurden hierbei zum Grunde
gelegt, und Don Eugenio urtheilte, daß es nicht sehr viel
Mühe kosten werde, einen jungen Menschen wieder zurecht
zu bringen, dessen Thorheit bloß in einer Art von Schwärmerei
bestand, die aus zufälligen Ursachen einen so seltsamen
Schwung genommen hatte. Ich habe bemerkt, sagte er zu
seiner Schwester, daß Sie ihm nichts weniger als gleichgültig
sind. Es ist wahr, Sie haben eine Rivalin; aber, da sie nur
ein Sommervogel ist und erst noch in eine eingebildete Prinzessin
verwandelt werden soll, so wird sie Ihnen den Sieg
nicht lange streitig machen. Lassen Sie uns anfangs so viele
Nachsicht gegen seine Thorheit brauchen, als nöthig ist, um
sein Vertrauen zu erwerben: die Natur und die Liebe werden
das Meiste dabei thun; die Einbildung wird nach und nach
der Empfindung Platz machen; und wenn diese einmal die
Oberhand hat, so wird es leicht seyn, ihm Vorurtheile und
irrige Begriffe zu benehmen, die keinen Fürsprecher mehr in
seinem Herzen haben.Donna Felicia war sehr erfreut, ihre eigenen Hoffnungen
von ihrem Bruder gerechtfertiget zu sehen, und unterließ nicht,
ihm ihre Dankbarkeit dadurch zu bezeigen, daß sie so viel
Gutes von seiner geliebten Jacinte sagte, als er nur immer
wünschen konnte. Sie versicherte ihn sogar, daß sie in ihrer
Person und Denkungsart allzu viel Edles habe, als daß das
Geheimniß ihrer Geburt sich anders als zu ihrem Vortheil
enthüllen könne; und Don Eugenio, dem dieser Gedanke
nichts Neues war, hatte ihn jederzeit dem Vortheil seines
Herzens zu günstig gefunden, um seinen Witz zu Einwürfen
dagegen zu mißbrauchen.Nachdem sie sich also über die Maßregeln, die sie zu Beförderung
ihrer Absichten mit Don Sylvio nehmen wollten,
verglichen und für gut befunden hatten, der schönen Jacinte
und dem Don Gabriel einen Theil des Geheimnisses
anzuvertrauen, so schieden sie so vergnügt von einander, als
sie es jemals gewesen waren, und begaben sich in den Saal,
um ihren Gästen bis zum Abendessen Gesellschaft zu
leisten.—————
Achtes Capitel:Streit zwischen der Liebe zum Bilde und der Liebe zum Original.Die Pracht des Speisesaals, worin man sich versammelte,
die Menge der Wachslichter, womit er erleuchtet war, die
Kostbarkeit des Tischgeräthes, die Niedlichkeit der Mahlzeit,
die Verschiedenheit der ausgesuchtesten Weine, Alles dieses
würde unsern Helden, der in einem Feenschlosse zu seyn
glaubte, auch in andern Umständen nicht in die geringste
Verwunderung gesetzt haben, ob es gleich das erste Mal
war, daß er eine solche Pracht außerhalb seiner Einbildung
sah. Nun aber, da Donna Felicia sich seiner ganzen Aufmerksamkeit
bemächtiget hatte, wäre er leicht zu bereden gewesen,
in einer Strohhütte, worin er sie gesehen hätte, sich
im Palast der Fee Lumineuse zu glauben.Die schöne Felicia konnte nicht die letzte Person seyn,
welche bemerkte, was in seinem Herzen vorging; und weil
sie sich ihres Sieges nicht genug versichern zu können glaubte,
so nahm sie sich vor, alle ihre Reizungen zu vereinigen, um
ihm eine schlaflose Nacht zu machen. Eine angenehme Symphonie,
die sich während der Tafel hören ließ, ohne daß man
sah woher (und wovon also Don Sylvio ohne Anstand den
Sylphen die Ehre gab, von denen die Feenpaläste bedient
zu werden pflegten), gab ihr Gelegenheit, nach Endigung der
Mahlzeit ihre eigene Geschicklichkeit hören zu lassen. Jacinte
glaubte sich übertroffen zu sehen und würde sich also niemals
haben einfallen lassen, Felicien das unbegränzte Lob streitig
zu machen, womit sie der bezauberte Sylvio überschüttete.
Aber Don Eugenio war zu eifersüchtig über die Lieblingstalente
seiner jungen Freundin, um seine Schwester in dem
ruhigen Besitz eines so großen und ungetheilten Beifalls zu
lassen. Er ließ also nicht ab, bis sie sich erbitten ließ, sich
mit der schönen Felicia in einen Wettstreit einzulassen, der
in einer Gesellschaft wie diese, nicht anders als das allgemeine
Vergnügen befördern könnte. Die beiden Damen schienen,
wider die Gewohnheit ihres Geschlechts, einander den Vorzug
mit einer so ungezwungenen Gutherzigkeit beizulegen,
daß man nicht wohl an ihrer Aufrichtigkeit zweifeln konnte.
Don Gabriel fand, daß es dem Paris leichter gewesen seyn
müsse, unter den drei Göttinnen einer den goldnen Apfel
zuzusprechen, als den Ausspruch zu thun, welche unter diesen
zwei liebenswürdigen Musen an Schönheit der Stimme und
des Gesangs, an Behendigkeit der Finger und an Geschicklichkeit,
sich aller Zauberkräfte der Harmonie nach ihrem Belieben
zu bedienen, einen Vorzug vor der andern habe; und
selbst die Liebhaber (so ausgemacht dieser Punkt bei jedem
war) gestanden, daß, wenn es ja möglich sey, eine von beiden
zu übertreffen, Felicia nur von Jacinten, und Jacinte nur
von Felicien übertroffen werden könne.Unsere kleine Gesellschaft hatte so wenig lange Weile bei
dieser Art von Unterhaltung, und die Damen waren so
gefällig, daß die anbrechende Morgendämmerung sie endlich
erinnern mußte, sich zur Ruhe zu begeben.Wir wissen nicht, ob außer Don Gabriel, der sich in
einem Alter von vierzig Jahren bereits über die bewölkte
und stürmische Gegend der Leidenschaften in die immer heitere
Höhe einer beinahe stoischen Seelenruhe empor gearbeitet
hatte, sich Jemand von den Uebrigen die guten Wünsche zu
Nutzen machen konnte, die sie einander deßwegen thaten.
Was wir gewiß wissen, ist, daß Don Sylvio sich noch niemals
in einem Zustande befunden hatte, der dem Schlaf
weniger günstig gewesen wäre. In der Entzückung, die ihn
noch immer gebunden hielt, merkte er nicht einmal, daß sich,
anstatt des guten ehrlichen Pedrillo, den er weder sah noch
vermißte, ein paar junge Edelknaben in seinem Vorzimmer
befanden, welche sich der Ehre anmaßten, ihn auszukleiden;
und er war es wirklich schon, eh' er sich besann, daß er nicht
ausgekleidet seyn wollte. Nachdem er nun die Knaben, die
er seiner Gewohnheit nach zu Sylphen erhob, entlassen hatte,
kleidete er sich wieder an, warf sich, der Morgenröthe gegenüber,
in einen weichen Lehnstuhl und überließ sich noch eine
geraume Zeit, mit einem Vergnügen, wovon nur Wenige sich
einen Begriff machen können, dem Anschauen des reizenden
Gegenstandes, der noch immer wie gegenwärtig vor seiner
bezauberten Seele schwebte.Allein endlich mußte er doch aus dieser wachenden Träumerei
erwachen, und nachdem er wieder zu sich selbst gekommen
war, fing er an sich zu befragen, was er von Allem dem,
was ihm in diesem Palast begegnet war, denken sollte. Er
glaubte sich's bewußt zu seyn, daß es weder ein Traum, noch
eine Erscheinung von derjenigen Art, wie er schon gehabt
hatte, gewesen sey. Aber, was er aus der Beherrscherin dieses
Palasts machen sollte, ob es eine Fee, eine Sterbliche, eine
Göttin oder wohl gar seine Prinzessin selbst sey, wie die
Aehnlichkeit, die sie mit dem verlornen Bildniß hatte, ihn
zu bereden schien, darüber konnte er sich nicht mit sich selbst
vergleichen. Zwar stimmte diese letzte Vermuthung so sehr
mit seinen Wünschen überein, daß er sich eine gute Weile
bemühte, sie wahrscheinlich zu finden; allein bei genauerer
Ueberlegung fand er sie mit Schwierigkeiten umgeben, welche
ihm sein Aberglaube für die Feerei unauflöslich machte.
Vielleicht ist sie eine Anverwandte meiner Prinzessin, dachte
er, oder in der nämlichen Constellation und unter den Einflüssen
der nämlichen Aspecten geboren; oder sie hat diese
Aehnlichkeit aus geheimen Ursachen nur angenommen; oder
es ist wohl gar nur ein süßer Irrthum meines Herzens,
welches, von irgend einem ähnlichen Zuge verführt, diejenige
zu sehen glaubt, die es überall zu sehen wünscht. Nach langem
Nachdenken schien ihm das Letztere das Wahrscheinlichste,
weil es mit der Treue, die er seiner Geliebten zu halten
entschlossen war, sich am besten zu vertragen schien. Auf
diese Art bewunderte er in Donna Felicia seine Prinzessin,
und er schloß sehr scharfsinnig, wie reizend, bezaubernd, überirdisch,
göttlich und, wofern es möglich wäre, mehr als
göttlich ihre Vollkommenheiten seyn müßten, da eine schwache
Aehnlichkeit mit ihr diese Fee schon so reizend in seinen Augen
machte.Um diesem Schlusse desto mehr Stärke zu geben, strengte
er die äußerte Macht seiner Phantasie an, sich die vermeinte
Prinzessen noch reizender, liebenswürdiger und vollkommener
einzubilden als Donna Felicia. Aber, es sey nun, daß die
Einbildungskraft nicht im Stande ist, etwas Vollkommneres
hervor zu bringen, als die Natur, oder daß ihm die Liebe
hierin einen ihrer gewöhnlichen Streiche spielte: gewiß ist,
das Bild der schönen Felicia stand jedesmal an der Stelle
der Prinzessin, und alles sein Bestreben, sich dieselbe unter
andern Zügen vorzustellen, war vergeblich.Dieser Umstand setzte ihn in keine geringe Verlegenheit.
Ohne sein eigenes Herz in Verdacht zu ziehen, fing er an,
über die Bezauberung, welche Felicia an seiner Seele auszuüben
schien, mißtrauisch zu werden. Er gerieth auf allerlei
seltsame Einfälle, die er wechselsweise bald verwarf, bald
wahrscheinlich fand; und nachdem er sich lange über die Maßregeln,
die er zu nehmen hätte, bedacht hatte, däuchte ihm
zuletzt das Sicherste zu seyn, sich so bald als möglich oder
wenigstens, sobald als er Ursache finden würde, seinen Argwohn
für gegründet zu halten, aus diesem gefährlichen Schlosse
zu entfernen.—————
Neuntes Capitel:Was für gefährliche Leute die Philosophen sind.Unter diesen einsamen Betrachtungen war es heller Tag
geworden. Don Sylvio begab sich, um seinen Gedanken desto
besser nachhängen zu können, in den Garten; und wir wissen
nicht, wohin sie ihn endlich geführt hätten, wenn Don Gabriel,
der die Morgenstunden gewöhnlicher Weise mit einem
Buche daselbst zubrachte, ihn nicht in den Gängen des Irrgartens
angetroffen hätte.Von ungefähr war das Buch, das Don Gabriel in der
Hand hatte, aus dem Fache der Naturwissenschaft; und dieß
führte sie unvermerkt in ein Gespräch, worin Don Sylvio
seine kabbalistischen Begriffe und Grundsätze mir so vieler
Scharfsichtigkeit und mit einer so lebhaften Beredsamkeit behauptete,
daß Don Gabriel die Schönheit seines Geistes und
die durchgängige Falschheit seiner Ideen gleich viel zu bewundern
Ursache fand.Man mußte so sehr Philosoph seyn, als es Don Gabriel
war, um die Hoffnung, über eine so tief eingewurzelte
Schwärmerei endlich Meister zu werden, nicht auf einmal
zu verlieren. Allein durch die Gefälligkeit, die er gegen die
Vorurtheile unseres Helden bewies, hoffte er mit gutem
Grunde, ihn, ohne seine Grundsätze geradezu zu bestreiten,
unvermerkt so weit zu bringen, daß er selbst an der Wahrheit
derselben zweifeln müßte.Unsere Leser und Leserinnen (denn ungeachtet des strengen
Verbots des Herrn Rousseau werden wir ganz gewiß auch
Leserinnen haben), unter denen schwerlich ein einziges nöthig
hat, von zoroastrischen, plotinischen, kabbalistischen, paracelsischen
und rosenkreuzerischen Irrthümern geheilt zu werden,
würden uns vermuthlich für die Mittheilung einer so tiefsinnigen
metaphysischen Unterredung wenig Dank wissen;
zumal da sie von sechs Uhr Morgens bis um die Zeit, da
die Gesellschaft sich in einem kleinen Gartensaale zum Frühstück
versammelte, fortgesetzt wurde. Wir begnügen uns also,
ihnen zu melden, daß Don Gabriel — mit aller nur ersinnlichen
Hochachtung, die er für die Weisen, welche alle Räder
der Körperwelt durch Geister treiben lassen, zu hegen vorgab —
so starke Einwürfe gegen diese wundervolle Naturlehre
vorbrachte, daß Don Sylvio, wo nicht völlig wankte, doch
ziemlich erschüttert wurde und (so vorsichtig auch der Philosoph
gewesen war, den Feen nicht zu nahe zu treten) nicht
wenig besorgt zu werden anfing, was aus allen seinen Mährchen
und aus seinen eigenen Abenteuern werden möchte,
wenn die Grundsätze des Don Gabriel sich wahr befinden
sollten.Nun half sich zwar Don Sylvio mit dem gewöhnlichen
Schlusse, den die Schwärmerei zu machen pflegt, wenn sie
von der gesunden Vernunft in die Enge getrieben wird: er
verwies sich selbst auf seine Erfahrungen und schloß, daß
Grundsätze, die seiner Erfahrung widersprächen, nothwendig
falsch seyn müßten. Allein es regte sich doch, wir wissen nicht
was, in seinem Kopfe, das ihn bei diesem Schlusse nicht so
ruhig seyn ließ, als man es bei einer geometrischen Demonstration
zu seyn pflegt; und da er ein großer Liebhaber von
, .
Speculationen dieser Gattung war, so willigte er mit Vergnügen
ein, das angefangene Gespräch zu einer andern gelegenen
Zeit im Büchersaale des Don Eugenio fortzusetzen.—————
Zehntes Capitel:Wie kräftig die Vorsätze sind, die man gegen die Liebe faßt.Don Sylvio hatte sich unter Anderm vorgenommen, den
Eindrücken männlich zu widerstehen, welche (wie er sich selbst zu
bereden suchte) die Aehnlichkeit der Donna Felicia mit seiner
Prinzessin auf sein herz machte. Dieser heldenmüthige Entschluß
gab ihm anfangs, wie er mit Don Gabriel zur Gesellschaft
kam, ein so gezwungenes und entlehntes Ansehen,
als nur immer ein Mittelding von einem Knaben und Jüngling
haben kann, der nur erst neulich der Schule entwischt
ist und jetzt zum ersten Mal in guter Gesellschaft erscheint.
Donna Felicia bemerkte es beim ersten Anblick, ohne daß sie
darauf Acht zu geben schien; sie errieth die Ursache davon
mit dieser außerordentlichen Scharfsinnigkeit, welche die Liebe
zu geben pflegt, und hoffte nicht ohne Ursache, daß ihre
Gegenwart den Streit zwischen seiner Einbildung und seinem
Herzen bald entscheiden werde.Die Moralisten haben's uns schon oft gesagt und werden's
noch oft genug sagen, daß es nur ein einziges bewährtes
Mittel gegen die Liebe gebe, nämlich, sobald man sich angeschossen
fühle, so schnell davon zu laufen, als nur immer
möglich sey. Dieses Mittel ist ohne Zweifel vortrefflich; wir
bedauern nur, daß es unsern moralischen Aerzten nicht auch
gefallen hat, das Geheimniß zu entdecken, wie man es dem
Patienten beibringen solle. Denn man will bemerkt haben,
daß ein Liebhaber natürlicher Weise eben so wenig fähig sey,
vor dem Gegenstande seiner Leidenschaft davon zu laufen,
als er es könnte, wenn er an Händen und Füßen gebunden
oder an allen Nerven gelähmt wäre; ja, man behauptet sogar,
vermöge einer unendlichen Menge Erfahrungen, worauf man
sich beruft, daß es in solchen Umständen nicht einmal möglich
sey, zu wünschen, daß man möchte fliehen können.Es ist wahr, Don Sylvio hatte eine Art von Entschluß
gefaßt, daß er, sobald es nöthig seyn sollte, fliehen wolle:
allein, wie man sieht, war dieser Entschluß nur bedingt, und
die Liebe blieb allezeit Richterin darüber, ob es nöthig sey
zu fliehen oder nicht; und überdieß war die schöne Felicia
nicht dabei, als er diesen Entschluß faßte.Die Gegenwart des geliebten Gegenstandes verbreitet eine
Art von magischer Kraft oder (um uns eines eben so unverständlichen
aber unsers philosophischen Jahrhunderts würdigern
Ausbruchs zu bedienen) eine Art von magnetischen
Ausflüssen rund um sich her; und kaum tritt der Liebhaber
in diesen elektrischen Wirbel ein, so fühlt er sich von einer
unwiderstehlichen Gewalt ergriffen, die ihn in einer Art von
Spiral-Linie so lange um denselben herumzieht, bis er —Wir überlassen es dem Scharfsinne des geneigten Lesers,
die Allegorie so weit zu treiben, als er will, oder als sie
gehen kann, und bemerken nur noch, daß diese anziehende
Kraft einer Geliebten — außer denen, die ihr mit den natürlichen
und künstlichen Magneten gemein sind — noch die
besondere Eigenschaft hat, alle Gedanken, Einbildungen, Erinnerungen
oder Entschließungen, die ihre Wirkung entkräften
könnten, auf einmal in der Seele des angezogenen Körpers
auszuwischen.Don Sylvio wurde in wenigen Minuten ein Beispiel
dieser physischen Wahrnehmung. Er hatte sich vorgenommen,
Donna Felicia gar nicht anzusehen; er konnte sich aber doch
nicht enthalten, sie ein wenig von der Seite anzuschielen.
Bald darauf wagte er einen directen Blick; aber so schüchtern,
als ob er besorgt hätte, sie möchte Basilisken in den Augen
haben. Dieser Versuch lief so glücklich ab, daß er kühner
wurde; und nun versuchte er es so lange, bis er gar nicht
mehr daran dachte, noch daran denken konnte, die Augen
wieder von ihr abzuzielen. Kurz, die besagte magnetische
Kraft that ihre Schuldigkeit so gut, daß er sich dem Anschauen
seiner Göttin wieder so gänzlich, so ruhig und mit solchem
Entzücken überließ, als ob nie eine Radiante. ein blauer
Sommervogel und eine bezauberte Prinzessin innerhalb der
kleinen Welt seines Hirnschädels existirt hätte.Die schöne Felicia befand sich, in Absicht ihres Herzens,
ungefähr in den nämlichen Umständen. Don Sylvio hatte
zum wenigsten eine eben so starke magnetische Kraft für sie;
als sie für ihn; ja, wenn wir dem großen Albertus und
andern Naturforschern (des guten alten blinden Tiresias nicht
zu gedenken, der, weil er wechselsweise Mann und Weib
gewesen war, aus Erfahrung von der Sache sprechen konnte)
wenn wir, sage ich, diesen Weisen glauben sollen, so mußte
die Anziehung, die sie selbst erfuhr, um ein gutes Theil
stärker seyn, ob sie gleich vermittelst einer gewissen vis
inertiae , womit die Natur oder die Erziehung ihr Geschlecht
zu begaben pflegt, die Wirkung derselben, nach Maßgabe der
Umstände, so viel es nöthig war, zu schwächen wußte. Diese
gegenseitige Anziehung beschleunigte natürlicher Weise die
wundervolle Concentration, die daraus zu erfolgen pflegt;
und indem beide zu gleicher Zeit anzogen und angezogen
wurden, so fand sich's, daß, ehe sie es selbst gewahr wurden,
ihre Seelen einander schon in allen Punkten berührten und
also nicht viel leichter wieder von einander zu scheiden waren,
als ein paar Thautropfen, die im Schoß einer halbgeöffneten
Rose zusammengeflossen sind.In einer so sympathetischen Gesellschaft, wie diese war,
konnte die Unterhaltung nicht lange bei gleichgültigen Gegenständen
verweilen. Das Gespräch lenkte sich unvermerkt auf
den sonderbaren Zufall, der unsern Helden und Don Eugenio
mit einander bekannt gemacht hatte; und die Art und Weise,
wie die liebenswürdige Jacinte in diese Begebenheit verwickelt
war, erweckte, wie billig, die Neugier derjenigen, die von
ihrer Geschichte noch nicht umständlich unterrichtet waren.
Selbst Don Sylvio, so gleichgültig ihn seine Leidenschaft für
die schöne Felicia gegen alle andere Reizungen machte, empfand
wider seinen Willen eine Are von Zuneigung für sie,
die er sich selbst nicht recht erklären konnte, und welche, ohne
die Unruhe, das Feuer und die Begierden der Liebe zu
haben, alle Zärtlichkeit derselben zu haben schien.Jacinte hatte keine Ursache, vor einer von den gegenwärtigen
Personen ein Geheimniß aus ihrer Geschichte zu
machen. Die Liebe des Don Eugenio zu ihr und vermuthlich
auch einige andere Hauptumstände ihres Lebens waren schon
bekannt, und wie groß auch die Achtung war, womit ihr
Donna Felicia begegnete, so besorgte sie doch, daß man Vorurtheile
gegen sie gefaßt haben könnte, welche sie desto mehr
zu vernichten begierig war, da sie einen so festen Entschluß,
als eine Verliebte nur immer fassen kann, gefaßt hatte,
ihrem Verständnisse mit Don Eugenio ein Ende zu machen.
Sie ließ sich also nicht lange nöthigen, den vereinigten Bitten
ihres Liebhabers und der übrigen Gesellschaft durch eine Erzählung
Genüge zu thun, auf welche Don Sylvio desto begieriger
war, da er nicht zweifelte, daß die Feen keinen
geringen Antheil daran haben würden.—————
Eilftes Capitel:Geschichte der Jacinte.Wenn es richtig ist, wie ich zu glauben geneigt bin (fing
die schöne Jacinte ihre Erzählung an), daß ein Frauenzimmer
desto schätzbarer ist, je weniger sie von sich zu reden gibt: so
bin ich unglücklich genug, daß ich in einem Alter, worin die
meisten kaum anfangen, unter den Flügeln einer zärtlichen
Mutter schüchtern hervorzuschleichen, eine Erzählung meiner
Begebenheiten zu machen habe; und ich würde in der That
untröstbar deßwegen seyn, wenn ich die Schuld davon mir
selbst beizumessen hätte.Alles, was ich Ihnen von meiner Abkunft sagen kann,
ist, daß ich nichts davon weiß. Ich erinnere mich zwar, wiewohl
nur ganz dunkel, der Zeit, da mich eine schon bejahrte
Zigeunerin, eben die, von welcher ich erzogen worden bin,
in ihre Gewalt bekam: ich war noch sehr klein, und mich
däucht, daß ich in einem großen Hause gelebt und etliche
Frauenspersonen und einen kleinen Bruder um mich gehabt
hatte, den ich sehr zärtlich liebte. Aber auch diese wenigen
Erinnerungen sind so schwach und erloschen, daß ich mir nicht
getraue, Sie zu versichern, daß es wirklich so gewesen sey.Die Zigeunerin, die sich für meine Großmutter ausgab,
ohne daß sich mein Herz jemals überreden lassen wollte, es
zu glauben, wandte allen nur möglichen Fleiß an, mich zu
den Absichten, die sie mit mir hatte, zu erziehen. Ich war
kaum sieben Jahr alt, da die gute Art, wie ich zu meiner
kleinen Biscayertrommel tanzte, die naiven Antworten, die
ich gab, und tausend kleine Gaukeleien, die ich zu machen
wußte, mir allenthalben, wo wir hinkamen, die Gunst der
Leute erwarben und meiner alten Pflegemutter eine Menge
Realen zufliegen machten. Dieser glückliche Fortgang munterte
sie auf, daß sie nichts ermangeln ließ, die Talente, welche
sie in mir zu finden glaubte, zu entwickeln. In meinem
zwölften Jahre spielte ich die Cither und die Theorbe, sang
eine unendliche Menge von Liedern und Romanzen und
prophezeite aus der Hand und aus dem Kaffeesatz so gut,
als irgend eine Zigeunerin in der Welt.Die Aufmerksamkeit, die ich ungeachtet meiner anscheinenden
Flatterhaftigkeit auf Alles hatte, was ich sah und
hörte, ließ mich einsmals, da wir an einem Feste zu Toledo
waren, bemerken, daß unter einem Haufen Zuschauer, die ich
nebst etlichen andern jungen Mädchen, zum Vortheil unsrer
Alten, durch Tänze und Balladen belustigen mußte, ein
paar Männer von ernsthaftem Ansehen standen, die mich
mit mitleidigen Augen anzusehen schienen. Wie Schade,
sagte einer, daß sie eine Zigeunerin ist! Wie bald wird
diese sich selbst noch unbewußte Anmuth die Beute der Verführung
werden! — Glauben Sie mir, versetzte der zweite,
sie hat mir eher die Miene, Andere zu verführen, als sich
verführen zu lassen. — Desto mehr ist sie zu bedauern, erwiederte
der erste; in ihrem Stand ist die Tugend, die in
jedem andern ein Verdienst ist, ein Fehler, der sie nur desto
unglücklicher machen würde. — Diese Reden, die ich, ohne
daß sie es merkten, auffaßte, machten einen tiefen Eindruck
auf mein Gemüth, und je weniger ich ihren Sinn verstehen
konnte, desto mehr bemühte ich mich, ihn auszugrübeln.Die alte Zigeunerin, die nur darauf dachte, wie sie mich
reizend machen wollte, hatte sich wenig bekümmert, mich die
Tugend kennen zu lehren; und wie hätte sie es sollen, da sie
selbst weder Begriff noch Gefühl davon hatte? Dem ungeachtet
war ich nicht gänzlich ohne sittliche Begriffe, Ein gewisser
Instinct, der sich durch meine Aufmerksamkeit auf die
Handlungen unsrer kleinen Gesellschaft und auf die Bewegungen
meines eigenen Herzens nach und nach entwickelte,
sagte mir, daß dieses oder jenes recht oder unrecht sey, ohne
daß ich eine andere Ursache hätte angeben können als meine
Empfindung. Die Romanzen und Mährchen, deren ich eine
große Menge auswendig wußte, waren eine andere Quelle,
woraus ich mir eine Art von Sittenlehre zog, die vielleicht
nicht die sicherste war; aber sie war doch immer besser, als gar
keine. Dieser Instinct, dieser verworrene Begriff von sittlicher
Schönheit und die obigen Reden der beiden Toledaner, die
mir immer wieder einfielen, flößten mir endlich einen lebhaften
Abscheu vor meinem Stand und der Lebensart, die wir führten,
ein, so unschuldig sie immer in gewissem Sinne genannt werden
konnte. Ich muß unglücklich seyn, sagte ich zu mir selber,
weil man mich bedauernswürdig findet; und bin ich es nicht,
da ich für einen elenden Gewinnst mich allenthalben zur
Schau aussetzen, mich von jedem unverschämten Auge begaffen
lassen und Leuten, die ich nicht kenne, zum Spielzeuge
dienen muß? Dieser Gedanke machte mich nach und nach
in meinen eigenen Augen so verächtlich, daß ich den Geschmack
an den kleinen Ergötzlichkeiten, aus denen bisher mein Leben
zusammen gewebt gewesen war, gänzlich verlor.Ich war eben in dieser Gemüthsverfassung, als uns einst
die Alte in ein schönes Schloß führte, wo sie durch die Talente
ihrer vorgeblichen Töchter (denn sie hatte unser fünf
der sechs, von denen die älteste kaum vierzehn Jahre alt
war) einige Ducaten zu erhaschen hoffte. Die Dame des
Schlosses war eine Wittwe von dreißig Jahren, die ihr vornehmstes
Geschäft daraus machte, eine sehr artige Tochter zu
erziehen, welche ungefähr in meinem Alter war. Diese
Dame schien von meiner Unschuld und von dem stillen
Kummer, der in meinen Augen schmachtete, gerührt zu werden.
Sie nahm mich bei Seite, that verschiedene Fragen an mich
und schien mit meinen Antworten vergnügt zu seyn. Zuletzt
fragte sie mich, ob ich nicht Lust hätte, bei ihr zu bleiben?
Ihr edles Ansehen und ihre leutselige Miene bezauberten
mich so sehr, daß sie meine Antwort in meinem Gesichte
lesen konnte, eh' ich Worte fand, ihr meine Freude darüber
auszudrücken. Sie wiederholte diesen Antrag gegen die alte
Zigeunerin und vergaß nichts, was sie hätte überreden können,
mich aufs beste bei ihr versorgt zu glauben. Aber die Alte,
welche ganz andere Absichten mit mir hatte, war unerbittlich.
Endlich sagte sie, daß ich ihr zu nützlich wäre, als daß sie
sich entschließen könnte, mich ohne einen beträchlichen Ersatz
von sich zu lassen. Zum Unglück war die großmüthige Dame
nicht reich genug, die ausschweifende Forderung der Alten zu
befriedigen, und diese bemerkte es kaum, so eilte sie, was
sie konnte, bis wir wieder aus dem Hause waren. Meine
Thränen rührten die gütige Dame so sehr, daß sie sich beinahe
entschlossen hätte, Gewalt zu brauchen; allein die Alte
berief sich auf ihre mütterlichen Rechte, die ich nicht leugnen
konnte, so wenig auch mein Herz sie bestätigte. Kurz, wir
mußten scheiden, und die Besorgniß, daß man uns nachsetzen
könnte, machte die Alte so behutsam, daß sie uns durch lauter
Wälder, Umwege und abgelegene Oerter führte, bis wir
endlich zu Sevilla anlangten. Ich war untröstbar. Die
Alte sah sich genöthigt, meinen Schmerz austoben zu lassen,
ehe sie es versuchen wollte, mir mein Schicksal in einem angenehmern
Lichte vorzustellen. Ich war zu jung und zu sehr
zur Fröhlichkeit geneigt, als daß die Traurigkeit, der ich mich
ohne Maß überlassen hatte, von langer Dauer hätte seyn
können. Unsere Ankunft zu Sevilla veränderte die Scene
unsrer Lebensart. Die Alte miethete in einer von den Vorstädten
ein großes Haus, räumte mir ein eigenes Zimmer
ein und verdoppelte die Freundlichkeit, mir der sie mir immer
begegnet war. Sie gab mir Lehrmeister, welche mich in
der Musik vollkommen machen sollten, und machte mir alle
Tage Geschenke von Bändern und andern Kleinigkeiten.Endlich, da sie mich eines Morgens aufgeräumter sah, als
gewöhnlich, hielt sie mir, nachdem sie sich den Weg zu meinem
Herzen durch Liebkosungen und Schmeicheleien eröffnet
zu haben glaubte, eine lange Rede, worin sie mir sagte: die
Zeit rücke nun herbei, da sie von ihren auf mich gewandten
Bemühungen und Kosten die Früchte zu sehen hoffte. Sie
erhob meine Reizungen und versicherte mich, daß die Glückseligkeit
meines Lebens bloß von dem klugen Gebrauch abhangen
werde, den ich davon zu machen lernen müßte. "Du
siehst an mir, mein Töchterchen, sagte sie, daß man alle
Tage älter wird; die Blüthe der Jugend ist die Zeit, die
man sich zu Nutze machen muß; wenn sie einmal versäumt
ist, so ist der Schaden unersetzlich. Ich kann dir keine Reichthümer
hinterlassen, deine Gestalt und deine Gaben sind
Alles, was du hast; aber sey unbesorgt, sie werden dich, wenn
du klug bist, in einen goldenen Regen setzen. " Nach dieser
viel versprechenden Vorrede fing sie einen Discurs uber die
Liebe an, wobei sie den Vortheil zu haben glaubte; mich desto
leichter zu überreden, je unerfahrener ich war. Sie erschöpfte ,
ihre Einbildungskraft, um die meinige zu erhitzen; aber ihre
Schildereien machten nicht den mindesten Eindruck auf mich.
Vermuthlich dachte sie, daß dieser Kaltsinn mehr meiner Unwissenheit
in solchen Dingen als einer wirklichen Unempfindlichkeit
zuzuschreiben sey. Sie glaubte, ein artiger junger
Lehrmeister würde geschickter seyn, als sie selbst, mir die neue
Kunst; wozu sie mich anführen wollte, angenehm zu machen;
und es währte nicht lange, so brachte sie einen jungen Edelmann
von Sevilla in mein Zimmer, der, wie er sagte, das
Vergnügen haben wollte, mit mir bekannt werden. Bald
darauf gab sie, ich weiß nicht was für Geschäfte, vor und
ließ uns allein. Der junge Herr fing die Unterredung mit
einigen Complimenten an, die er aus einem alten Ritterbuche
gelernt haben mochte; auf diese folgte eine überaus
feurige Liebeserklärung, und aus Besorgniß, ich möchte ihn
nicht recht verstanden haben, endigte er damit, daß er sich
einige kleine Freiheiten heraus nehmen wollte. Ich erschrak
anfangs und stieß ihn ziemlich unhöflich zurück: aber ein
Augenblick von Ueberlegung oder vielmehr der besagte Instinct,
der wenigstens bei mir (denn ich getraue mir nicht,
von mir auf unser ganzes Geschlecht zu schliessen) sehr oft
die Stelle der Ueberlegung vertritt, zeigte mir sogleich, daß
Ernst und Unwille mir hier wenig helfen würden. Ich sagte
ihm also mit einer angenommenen Munterkeit: Sie sind
allzu voreilig, mein Herr. Ich will nicht mit Ihnen darüber
streiten, ob es wahr ist, daß Sie mich lieben: es mag wahr
seyn oder nicht, so werden Sie wir eingestehen müssen, daß
es nun darauf ankommt, ob ich Sie wieder lieben will, und,
wenn ich auch wollte, ob ich es kann; denn das hängt nicht
allemal von unserer Willkür ab. Sie verlieben sich, wie es
scheint, sehr eilfertig, das ist Jhre Manier; ich bin um ein
Ziemliches langsamer, das ist die meinige. Meine Gunstbezeigungen
gehen mit meinem Herzen, und dieß ist nicht so
leicht zu gewinnen, als Sie denken; es ergibt sich, mit Ihrer
Erlaubniß, nicht auf die erste Aufforderung. Wenn Sie
mich aber so sehr lieben, als Sie mich bereden wollen, so
wird es Ihnen wenig kosten, so viel Gefälligkeit für mich zu
haben und in Geduld abzuwarten, wozu sich mein eigensinniges
Herz mit Zeit und Weile entschließen wird. Kommen
Sie, mein schöner Herr, fuhr ich fort, ich will Ihnen indessen
zu Linderung Ihrer Qual eine Romanze vorsingen,
von der Sie gewiß gestehen sollen, daß sie die schönste ist,
die Sie jemals gehört haben. Mit diesen Worten hüpfte
ich, ohne ihm Zeit zur Antwort zu lassen, zu meiner Theorbe,
leierte, indeß ich sie stimmte, ein Präludium und sang ihm
dann eine altfränkische Ballade von mehr als hundert und
fünfzig Stanzen vor, die eine so einschläfernde Melodie
hatte, daß selbst die Lebhaftigkeit eines Franzosen nicht zugereicht
hätte, dagegen auszuhalten. Mein junger Herr sah
mich mit einer Art von dummer Verwunderung an und
rief von Zeit zu Zeit gähnend: Schön! rührend! unvergleichlich!
Allein endlich kriegte er's doch genug; und wie er
sah, daß die Romanze kein Ende nehmen wollte, nahm
er seinen Hut, zog seinen Reverenz und entfernte sich,
mit der tröstenden Versicherung, daß er bald wieder
kommen wollte.Sie werden denken, daß ich bei diesem Anlaß keine
unfeine Anlage zur Coquetterie gezeigt habe; allein meine
Absicht ist, Ihnen die Wahrheit zu erzählen, sie mag zu
meinem Vortheile gereichen oder nicht.Bald darauf kam die Alte, und ich merkte aus ihren Reden,
der junge Herr sey nicht ganz vergnügt hinweg gegangen.
Sie war es hingegen desto mehr, da ich ihr erzählte, auf
was für eine Art ich seine kleine Lebhaftigkeit gedämpft hätte.
Sie lobte mich und hoffte, mit einer solchen Anlage noch
Freude an mir zu erleben. "Es ist eben nicht nöthig, sagte
sie mir, daß man Alle, die uns lieben, wieder liebe; im
Gegentheil, es ist nichts in der Welt, wovor eine junge
Person, die ihr Glück durch sich selbst machen muß, sich mehr
in Acht zu nehmen hat, als eine ernsthafte Leidenschaft.
Gefälligkeit, mein Töchterchen, ist Alles, was man von dir
verlangt. Indessen thust du wohl, daß du auf deine gleichgültigsten
Gunstbezeigungen einen hohen Preis setzest. Ein
Mädchen, wie du, ist so viel werth, als sie sich gelten macht.
Es ist jetzt deine Zeit, mein Kind, und man ist nicht immer
vierzehn Jahr alt. "
—In diesem Tone fuhr die Alte noch eine
gute Weile fort."Aus Euren Reden, unterbrach ich sie endlich, muß ich
schließen, Ihr meinet, ich sollte diesen jungen Menschen noch
öfter sehen?" —
"Warum nicht? versetzte sie, und noch zwanzig
andere dazu, die dir vielleicht besser gefallen werden.
Man sieht alle und weiset Niemand ab; man wählt sich
einen aus und zieht indessen die übrigen auf, bis die Reihe
an sie kommt."Anstatt diese Reden zu beantworten, brach ich in einen
Strom von Thränen aus. Ich sagte der Alten schluchzend,
daß ich keine Neigung zu einer solchen Lebensart hätte, und
machte ihr bittere Vorwürfe, daß sie mich nicht bei der guten
Dame gelassen, die mich hatte bei sich behalten wollen. Wenn
ich Euch zur Last bin, sagte ich — "O! das sollst du nicht,
unterbrach sie mich; du sollst mir und dir nützlich seyn." —
Aber wie soll das zugehen? fragte ich. Wir singen und tanzen
nicht mehr, weder in Häusern, noch auf Märkten, noch
an Festtagen; und wenn ich Euch sagen soll, wie ich denke;
so wollt' ich auch lieber sterben, als in dem Alter, worin ich
bin, länger herum ziehen und wie ein kleiner Affe die Leute
für Geld durch meine Sprunge belustigen. Ich würde mich
zu Tode schämen, und ich sag' Euch, es ist nichts in der
Welt, das ich nicht lieber — "Sey nur unbekümmert, fiel
mir die Alte ein, das sollst du auch nicht. Wie du noch ein
Kind warest, da war das Alles schön und gut; jetzt, da du
groß bist und wie ein junges Rosenknöspchen aufzugehen anfängst,
jetzt bist du zu etwas Besserm tauglich. Deine Jugend,
deine Gestalt und deine Gaben werden dir so viele Liebhaber
verschaffen, als du nur willst. "
— Ich will aber keine
Liebhaber, sag' ich Euch und will's Euch tausendmal hintereinander
sagen, wenn Ihr mir's dann glauben wollt.Die Antwort, die ich hierauf erhielt, veranlaßte einen
heftigen Wortwechsel zwischen uns. Die Alte verließ mich,
indem sie einige Drohungen murmelte, welche mich desto
mehr ängstigten, je weniger ich davon verstand; und in einer
Verwirrung, worin es unmöglich war zu denken, strengte
ich mich vergebens an, ein Mittel auszufinden, wie ich aus
der Gewalt des bösen alten Weibes entkommen wollte.—————
Zwölftes Capitel:Jacinte setzt ihre Geschichte fort.Meine ehemaligen Gespielen, die ich seit einiger Zeit
selten zu sehen bekam, hatten sich, wie ich in der Folge
merkte, gelehriger finden lassen, die Absichten der Alten zu
begünstigen. Man hatte bisher Sorge getragen, Alles, was
im Hause vorging, vor mir zu verhehlen; aber jetzt fand die
Alte für gut, den Vorhang aufzuziehen. Die armen Dirnen,
die von ihrer neuen Lebensart nur die angenehme Seite
sahen, schienen ganz davon bezaubert zu seyn; sie konnten
nicht Worte genug finden, mir ihre Glückseligkeit anzupreisen,
und die älteste hatte es schon so weit gebracht, daß sie
meine Sprödigkeit, wie sie es nannte, sehr beißend zu verspotten
wußte. Ich machte eine ziemlich alberne Figur unter
diesen Geschöpfen: aber meine Verwirrung nahm nicht wenig
zu, wie ich nach und nach eine Anzahl junger Mannspersonen
ankommen sah, die beim ersten Eintritt in ein abgelegenes
Zimmer, wo wir waren, so bekannt thaten, als ob
sie da zu Hause wären. Weil ihnen mein Gesicht neu war,
so hatte ich gleich den ganzen Schwarm um mich her, und
sie schienen es abgeredet zu haben, mich durch ausschweifende
Lobsprüche in Verlegenheit zu setzen. Die Alte merkte meine
Bestürzung. Sie nahm mich bei Seite und versicherte mich,
daß es Leute von Stande wären, welche ihr die Ehre erwiesen,
den Abend zuweilen bei ihr zuzubringen: es wären,
sagte sie, sehr wohlgesittete junge Herren, deren Absicht nicht
weiter als auf eine unschuldige Ergetzung gehe; ein aufgewecktes
Gespräch, ein Spiel, eine Collation und ein Tanz
sey Alles, was sie bei uns suchten; sie bezahlten dafür wie
Prinzen; und da ihr Haus eine Kaffeeschenke sey, so könne
es Niemand in der Welt übel finden, daß sie so gute Gesellschaft
bei sich sehe.Ich mußte mich hiermit befriedigen lassen; und in der
That führten sie sich bis zum Nachtessen so anständig auf,
daß die Furcht, die ich anfangs vor ihnen gehabt hatte, allmählig
meiner gewöhnlichen Munterkeit Platz machte. Ich
ließ mich nicht lange bitten, ihnen so viel Romanzen zu
singen, als sie nur wollten, und meine kleine Eitelkeit war
nicht ganz unempfindlich gegen die Schmeicheleien, die mir
vorgesagt wurden. Allein unter dem Nachtessen, und nachdem
ihnen der Wein zu Kopfe gestiegen war, fingen sie an,
sich für den Zwang, den sie sich bisher angethan hatten,
schadlos zu halten. Die unbesonnene Lebhaftigkeit meiner
ehemaligen Gespielen schien sie zu den Freiheiten aufzufordern,
die sie sich herausnahmen; unvermerkt verdrängte die
freche Ausgelassenheit eines Bacchanals die Stelle der anständigen
Fröhlichkeit.Ich würde vergebens Worte suchen, um Ihnen eine Beschreibung
von dem Zustande zu machen, worein ich durch das,
was ich sah und hörte, gesetzt wurde. Mein Erröthen, meine
Verwirrung zog mir Spöttereien zu, die ich nur mit Thränen
zu beantworten wußte. Ein paar Gecken von dieser
edeln Gesellschaft nahmen es auf sich, mich, wie sie sagten,
zahm zu machen, und ihre Nymphen, die man der Sprödigkeit
nicht beschuldigen konnte, munterten sie selbst dazu auf.
Ich wollte entfliehen; aber ein paar andere verrannten mir
die Thür: ich lief zu der Alten, warf mich zu ihren Füßen
und bat sie, mich zu retten; aber sie lachte über mich. Eine
solche Begegnung verwandelte meine Angst in Verzweiflung;
ich sprang auf, lief wie eine Unsinnige zum Tische, bemächtigte
mich eines Messers und drohte mich zu ermorden,
wenn Jemand sich unterstände, mich anzurühren. — O! dieß
fängt an tragisch zu werden, rief einer von unsern Gecken;
hat man jemals so was gesehen? Dieß ist noch mehr als
Lucretia: denn die wollte doch erst versuchen, ob es der Mühe
werth wäre, sich zu erstechen. — Dieser vermeinte witzige
Einfall zog eine unendliche Menge anderer nach sich, worin
immer einer den andern zu übertreffen suchte, und es erhob
sich ein großer Streit, wer, wie sie sagten, das Abenteuer
mit dem kleinen feuerspeienden Drachen bestehen sollte, bis
zuletzt einer den Vorschlag that, es durch Würfel auszumachen.Eine so niederträchtige Begegnung schmerzte mich so sehr,
daß ich ganz athemlos in einen Lehnstuhl sank und alle
Augenblicke dachte, das Herz würde mir zerbersten. Ich weiß
nicht, was in diesem Zustande aus mir geworden wäre, wenn
nicht einer aus der Gesellschaft, vor dem die übrigen eine
Art von Ehrerbietung zu haben schienen, und der diesen
ganzen Abend sehr aufmerksam auf mich gewesen war, sich
auf einmal zu meinem Beschützer aufgeworfen hätte. Er
sagte den übrigen mit einem Tone, der seine Wirkung that,
daß ich keine solche Begegnung verdiene. Zu gleicher Zeit
gab er der Alten einen Wink, mich wegzuführen, und sie
brachte mich in ein kleines Zimmer, wo ich mich auf ein
Ruhebette warf und durch einen Strom von Thränen mein
Herz leichter machte.Die Alte ließ mich hier über eine Stunde allein, und sobald
ich wieder zu mir selbst gekommen war, fing ich wieder
an auf meine Flucht zu denken. Alles, was mir vormals
unüberwindliche Hindernisse geschienen hatte, war jetzt nichts
in meinen Augen; die Frage, wohin ich fliehen, oder wie
ich ohne Geld, unter lauter unbekannten Leuten und so
jung, als ich war, fortkommen wollte? fielen mir nun gar
nicht ein. Wenn ich nur aus diesem hause wäre, dacht' ich,
so möchte der Himmel für das Uebrige sorgen. Meine Ungeduld
wurde so groß, daß ich keinen Augenblick länger
warten wollte, mein Vorhaben, was auch daraus entstehen
möchte, ins Werk zu setzen. Aber wie groß war mein Schmerz,
da ich die Thür verschlossen fand! Ich lief nach den Fenstern;
aber sie waren so hoch, daß ich sie nicht erreichen konnte, und
zum Ueberfluß mit eisernen Gittern verwahrt. Ich schrie
so laut, als ich konnte, damit man mich auf der Straße
hören möchte; aber das Zimmer war weit von der Straße
entfernt, und Niemand hörte mich. Ich warf mich wieder
auf mein Ruhebette, raufte mir die Haare aus, schrie und
winselte wie eine Unsinnige und klagte den Himmel an, daß
er mich mit einem Herzen, das für meine Umstände zu edel
war, die Tochter einer Zigeunerin hätte werden lassen, oder,
wenn ich es nicht sey, daß er mich in Umstände hätte gerathen
lassen, die mich so unerträglichen Beschimpfungen aussetzten.
O, gewiß bin ich für einen so schmählichen Stand nicht geboren,
dachte ich. Wenn es auch meine Gestalt und Farbe
nicht zu verrathen schienen, so sagt mir's mein Herz, daß ich
keine Enkelin dieser schändlichen Kupplerin bin, die mich,
der Himmel weiß, durch was für Mittel, in ihre Gewalt
bekommen hat. Ach! ich bin vielleicht von edeln Eltern
geboren, und die zärtliche Mutter, die mich gebar, beweint
vielleicht noch jetzt den Verlust einer Tochter, welche sie liebenswürdig
und glücklich zu machen hoffte!Meine erregte Phantasie setzte diesen Gedanken lange fort,
ob es gleich nicht das erste Mal war, daß er mir zu gleicher
Zeit meinen Zustand verhaßt machte und einen großen Muth
einflößte, mich durch meine Gesinnungen über ihn zu erheben.
Ich bestrebte mich, so tiefe Blicke in meine Kindheit zu thun,
als mir möglich war, um in den schwachen Spuren erloschener
Erinnerungen eine Bekräftigung meiner Wünsche zu finden;
und so eitel und ungewiß auch die Einbildungen waren,
womit ich mich selbst zu betrügen suchte, so dienten sie doch,
mich in dem Vorsatze zu bestärken, in was für Umstände ich
auch kommen möchte, meine Ehre eben so sorgfältig in Acht
zu nehmen, als ob das edelste Blut von Castilien in meinen
Adern flösse.Ich war noch in diese Gedanken vertieft, als die Alte
wieder kam und mir mit ungemeiner Freundlichkeit sagte,
daß ich mich fertig machen sollte, ihr in eine andere Wohnung
zu folgen, weil mir, dem Ansehen nach, die ihrige so
übel gefalle. Sie setzte hinzu, daß ich dort, anstatt von
Jemand abzuhangen, ganz allein zu befehlen haben würde;
und noch viel Andres, was mir eine große Meinung von dem
Glücke, das mir bevorstehe, geben sollte. Sie wollte mich
bereden, ihre Absicht sey diesen Abend nur gewesen, mich auf
eine Probe zu setzen; sie lobte mein Betragen und sagte,
daß ich demselben die glückliche Veränderung zu danken hätte,
worin ich noch in dieser Nacht mich sehen würde. Der junge
Edelmann fiel mir sogleich ein , der sich meiner angenommen
hatte: ich fragte die Alte; aber sie gab mir lauter unbestimmte
Antworten auf meine Fragen. Meine Begierde, aus einem
so schändlichen Hause zu kommen, verkleinerte die neuen Gefahren,
worein ich gerathen konnte, zu sehr, als daß eine
ungewisse Furcht den Abscheu vor einem Schicksale, das in
diesem Hause fast unvermeidlich schien, hätte überwiegen
können; und zudem, so hätte mir, da ich nun einmal in
ihren Händen war, die Weigerung, mit ihr zu gehen, wenig
helfen können. Ich ließ es mir also gefallen; sie putzte mich
so gut aus, als es in der Eile möglich war, warf einen
Schleier über mich und sich selbst und führte mich aus
dem Hause.Es war um Mitternacht, und der Mond schien unter einem
leichten Gewölke hervor. Nachdem wir einige kleine Gassen
durchkrochen hatten, fanden wir eine Kutsche, die auf uns
wartete. Wir stiegen ein, und ich war nicht wenig bestürzt,
wie ich eine von meinen vormaligen Gespielen zu uns
einsteigen sah, die (wir mir die Alte sagte) mein Aufwartemädchen
vorstellen sollte, bis ich ein andres hätte. Indeß war es
mir doch angenehm, daß sie Sorge getragen hatte, diejenige auszuwählen,,
die mir immer am wenigsten mißfiel. Wir wurden
eine ziemliche Zeit hin und wieder geführt, bis endlich unser
Wagen vor einem kleinen Hause still hielt, das kein sonderliches
Ansehen hatte. Die Thür öffnete sich, und wir wurden
von einer etwas bejahrten Frau empfangen, die uns mit
Lichtern entgegen kam. Sie war in schlechtes graues Zeug
gekleidet, hatte eine von den größten Brillen auf der Nase
und einen Rosenkranz an ihrem Gürtel, der ihr bis auf die
Füße herabhing. Dieser Aufzug und ein rundes, röthliches,
aus einer altmodischen Schleierhaube hervorguckendes Gesicht,
mit einem Paar kleinen Augen, die sie auf eine
andächtige Art im Kopf herum drehte, gab ihr so völlig das
Ansehen einer Beate, daß ich anfangs in ein Kloster zu
kommen meinte. Aber diese Vorstellung verlor sich bald, da
sie mich in ein Gemach von vier in einander gehenden
Zimmern führte, welches, wie sie sagte, meine künftige
Wohnung seyn sollte.Diese Zimmer waren immer eines prächtiger als das andere;
Tapeten, Spiegel, Porcellan, Gemälde, Schnitzwerk,
Vergoldungen, Alles war so schön, daß ich etliche Augenblicke
davon verblendet wurde. Die Alte, die mich bis hierher begleitet
hatte, wartete nicht, bis ich mich aus der ersten Bestürzung,
worin (die Wahrheit zu sagen) Furcht und Vergnügen
zu gleichen Theilen vermischt waren, erholen konnte.
Ich überlasse dich nun dir selbst, meine liebe Jacinte, sagte
sie zu mir, nachdem sie mich auf die Seite genommen hatte:
du bist liebenswürdig und hast dir in den Kopf gesetzt, auch
tugendhaft zu seyn. Der Einfall ist gut; wenn du dich dessen
zu bedienen wissen wirst; so kann dir deine Tugend hundertmal
so viel werth seyn, als mir deine Jugend und Schönheit.
— Mit diesen Worten verließ sie mich, ohne eine Antwort
zu erwarten. Die Beate folgte ihr, nachdem sie mir mit
einer tiefen Verbeugung eine gute Nacht gewünscht hatte.Sobald ich mich allein sah, fing ich an, diesem Abenteuer
nachzudenken. Ich fragte die kleine Estella, die bei mir geblieben
war, aus; und wiewohl sie mir nichts Anderes sagen
konnte, als daß der Marquis von Villa Hermosa (eben Derjenige,
der sich diesen Abend meiner angenommen hatte)
bald nach meiner Entfernung sich mit der Alten wegbegeben
habe, so schien es mir doch genug, mich in der Vermuthung
zu bestärken, daß ich von der alten Kupplerin an diesen junges
Herrn verhandelt worden sey. Ich brachte den Rest der
Nacht in einer unruhigen Verwirrung hin und wieder laufender
Gedanken auf einem Sopha zu. Ich stellte mir vor,
wie ich mich gegen den Marquis bezeigen wollte; meine Einbildung
malte mir eine Menge von Abenteuern vor, die ich in
alten Romanen gelesen hatte, und meine kleine Eitelkeit
fand sich durch den Gedanken geschmeichelt, daß ich vielleicht
selbst die Heldin eines Romans werden könnte. Ohne Zweifel,
dachte ich, liebt mich der Marquis; und wenn er mich
liebt, so bin ich wenigstens gewiß, daß er mir anständig
begegnen wird. Vielleicht denkt er, mich durch Geschenke,
Juwelen, reiche Kleider und eine wollüstige Lebensart zu
gewinnen; aber er wird es anders finden. Der bloße Gedanke;
daß es einen Preis in der Welt geben sollte, um welchen
Jacinte sich selbst zu verkaufen fähig wäre, empört mein
ganzes Wesen. Von dieser Seite habe ich nichts zu besorgen. —
Aber wie, wenn er liebenswürdig wäre? Wenn
mein eigenes Herz mich unvermerkt verführte? oder wenn
es wahr wäre, daß die Liebe nicht in unserer Gewalt ist? —
So ist es doch in meiner Gewalt, es ihm zu verbergen
und wenn er's auch zuletzt entdeckte, so werd' ich's ihm dennoch
weder eingestehen, noch seinen Anträgen Gehör geben,
bis ich entdeckt habe, wem ich mein Daseyn schuldig bin. O
ihr, deren Blut dieses Herz belebt, rief ich, wer ihr auch
seyn möget, mein Herz sagt mir, daß ihr eine Tochter zu
haben verdient, die ihr einst ohne Erröthen dafür erkennen
dürfet.Unter allen den Gedanken, welche diese Zeit über in meinem
Kopfe herum schwärmten, war dieser ohne Zweifel der beste;
er entsprang aus meinem Herzen; ich fühlte ein unbeschreibliches
Vergnügen, ihm nachzuhängen, und er schien mir
eine gewisse Stärke mitzutheilen, die mich über mein Alter
und die Niedrigkeit meiner Umstände erhob.In einer solchen Verfassung fand mich der Marquis, da
er mir bei seinem ersten Besuche seine Absichten eröffnete.
Ich hatte ihn des Abends zuvor anfangs gar nicht von den
Uebrigen unterschieden und hernach nur mit einem zerstreuten
Blick und in einer ängstlichen Unruhe, worin ich keiner
Aufmerksamkeit fähig war, angesehen. Jetzt, da ich ihn genauer
betrachtete, fand ich ihn vollkommen schön aber mein
Herz blieb gleichgültig und sagte mir kein Wörtchen zu seinem
Vortheil. Er schien sich so viel mit seiner Figur zu wissen,
daß es ihm gar nicht einfiel, man sollte ihm widerstehen
können. Ich will Ihre Geduld durch keine umständliche
Erzählung der Erklärungen, die er mir machte, und der
Antworten, die ich ihm gab, ermüden. Die Offenherzigkeit;
womit ich ihm meine Gleichgültigkeit gegen seine Reizungen
zu erkennen gab, und die stolze Bescheidenheit, womit ich
einen schönen Schmuck von Diamanten ausschlug, welche
(wie er sehr sinnreich sagte) nur dazu dienen sollten, von dem
Glanz meiner schönen Augen verdunkelt zu werden, schien
ihn ganz aus seiner Fassung zu bringen. Ich sagte ihm,
daß er mich durch nichts in der Welt verpflichten könne, als
wenn er mich einer Dame von seinen Verwandten oder
Freundinnen empfehlen wollte, um in ihre Dienste aufgenommen
zu werden. Er konnte eine so niederträchtige Bitte
mit dem Stolze, den er in meinen übrigen Gesinnungen
fand, nicht zusammen reimen; und nachdem er sich viele
vergebliche Mühe gegeben hatte, mich auf andere Gedanken
zu bringen, so verließ er mich endlich, in der Hoffnung
(wie er sagte), daß die Abgeneigtheit, die seine Figur das
Unglück habe mir einzuflößen, nicht unüberwindlich seyn
werde. Allein seine Hoffnung betrog ihn dießmal. Er fand
nach etlichen andern Besuchen, daß ich wirklich keine Seele
haben müsse. Ich bestand schlechterdings darauf, daß er mir
meine Freiheit wieder geben sollte. — Und was willst du
denn mit deiner Freiheit anfangen, kleine Närrin? sagte er.
— Gnädiger Herr, antwortete ich, es ist mir unmöglich,
Ihnen Hoffnungen zu machen, die mein Herz verleugnet. Ich
weiß es gewiß, daß ich Sie in acht Tagen oder in acht
Wochen, wenn Sie wollen eben so wenig lieben werde als
jetzt; darauf können Sie sich verlassen, und dieß ist Alles,
was Sie jemals von mir zu erwarten haben. — Ist dieß
Alles? erwiederte der Marquis höhnisch. Du bist sehr offenherzig,
Jacinte; ich kann mich wenigstens nicht beklagen,
daß du mich in Ungewißheit schmachten lässest. Eine Andere
an deinem Platze würde mich bereden, daß sie mich liebe,
wenn es auch nicht wahr wäre. Ich weiß nicht, was
eine Andere thäte, versetzte ich; aber dieß weiß ich,
daß ich hier nicht an meinem Platze bin, und daß ich
nicht begreife, was Sie mit mir wollen, nachdem ich
Ihnen gesagt habe, daß ich Sie niemals lieben werde. —
Höre, Jacinte, sagte mir der Marquis, es ist billig, daß ich
deine Aufrichtigkeit erwiedere. Ich habe dich in einem Hause
gefunden, wo man keine Spröden sucht, und wo du mir
nicht hättest übel nehmen können, wenn ich dir eben so begegnet
wäre, wie die jungen Leute, von deren ungestümem
Muthwillen ich dich befreite. Ich sah aber, daß es unbillig
wäre, dich mit deinen gefälligen Schwestern in eine Classe
zu setzen. Du gefielst mir, deine Unschuld nahm mich ein;
kurz, ich fand dich liebenswürdig und beschloß, dich unverzüglich
aus einem Hause wegzubringen, wo du noch viel
weniger an deinem Platze zu seyn schienest als hier. Ich
handelte dich deiner Mutter ab. — Was sagen Sie, gnädiger
Herr? rief ich. Sie haben mich abgehandelt? — Ja, antwortete
er, und theuer genug, daß du nicht verlangen kannst,
daß ich mein Geld umsonst ausgegeben haben soll. — Aber
wissen Sie auch, sagte ich, daß diese Alte, die sich für meine
Großmutter ausgibt, nichts weniger ist? — Und wer sind
denn deine Eltern? fragte der Marquis. — Dieß ist mehr,
als ich weiß, antwortete ich: vielleicht sind es rechtschaffene
Leute, vielleicht auch ist es mir besser, sie nicht zu kennen;
aber ich sage Ihnen, daß ich in der Ungewißheit, worin ich
hierüber bin, für das Sicherste halte, mir einzubilden, daß
ich vielleicht von gutem Hause sey; und so lächerlich Ihnen
diese Einbildung vorkommen mag, so vermag sie doch so viel
über mich, daß die glänzendsten Verheißungen und die grausamsten
Schrecknisse mich nicht von dem Entschluß abbringen
sollen, ein ehrliches Mädchen zu bleiben, wie ich bisher gewesen
bin, so gerecht auch immer das Vorurtheil ist, das meine
Umstände gegen mich erwecken. Die Alte hatte kein Recht, mich
Ihnen zu verkaufen, und es ist in Ihrer Gewalt, sie zur
Rückgabe eines so unerlaubten Gewinnstes zu nöthigen.Meinst du das? sagte der Marquis spottend. Ich sage dir
aber, ich, daß ich keine Lust dazu habe, und daß du, mit
Erlaubniß aller der schönen Einbildungen, die du dir in den
Kopf gesetzt hast, mein seyn sollst, du magst wollen oder nicht.
Siehst du, Jacinte, ich glaube nicht an die Tugend eines
Mädchens von fünfzehn Jahren; und du wirst doch nicht
unter unzähligen die erste Unerbittliche seyn, die ich gefunden
haben sollte; ich versichere dich, daß bessere, als du bist,
nicht halb so viel Umstände mit mir gemacht haben.Ich antwortete nur mit einem Strom von Thränen auf
diese Rede, und der Marquis schien verlegen zu seyn, was er
mit mir anfangen sollte. Ich warf mich zu seinen Füßen
und bat ihn aufs beweglichste, daß er mich in Freiheit setzen
und meinem Schicksale überlassen möchte. Meine Bitten
wirkten gerade das Widerspiel. Er hob mich in einer außerordentlichen
Bewegung auf, warf sich zu meinen Füßen nieder
und sagte mir Alles, was die heftigste Leidenschaft eingeben
kann. Ich glaube, daß etwas Ansteckendes in heftigen
Leidenschaften ist, und dasjenige, was die Zuschauer bei der
lebhaften und wahren Vorstellung einer Leidenschaft auf dem
Schauplatz erfahren, scheint eine Bestätigung meiner Meinung
zu seyn. Ich liebte den Marquis nicht; aber ich konnte mich
nicht erwehren, von der Heftigkeit seiner Liebe beunruhiget
zu werden. Er hatte sich meiner Hände bemächtigt und
fühlte vermuthlich, daß mein Puls hurtiger schlug; er sah
eine mehr als gewöhnliche Röthe auf meinen Wangen; und
da die Sinne mehr Antheil an seiner Liebe hatten als das
Herz, so glaubte er (wie es schien), dieß sey der Augenblick,
da er mich überraschen könnte.Es würde lächerlich seyn, wenn ich Sie überreden wollte,
daß ich keiner Schwachheit fähig sey. Die Tugend besteht,
meiner vielleicht unrichtigen Meinung nach, unter gewissen
Umständen weniger in einer völligen Unempfindlichkeit,
die niemals ein Verdienst ist, als in dem Sieg
einer stärkern Empfindung oder Leidenschaft über die Regungen
der Natur. Dem sey, wie ihm wolle, so erfreue ich
mich, Ihnen sagen zu können, daß der erste Versuch, den
der Marquis machte, von meiner Verwirrung Vortheil zu
ziehen, mir auf ein Mal am meine vorige Stärke wieder gab.
Ich riß mich von ihm los und sagte ihm, daß ich nichts
mehr von einer Liebe hören wolle, die ich in keinerlei Weise
aufzumuntern Willens sey. Ich drückte mich, um ihn desto
besser hiervon zu überzeugen, so stark aus, daß ihm endlich
die Geduld ausging. Er gerieth in einen heftigen Zorn,
beschuldigte mich, meine Sprödigkeit sey ein bloßer Kunstgriff,
wodurch ich ihn zu der Thorheit zu bringen hoffte,
mir seine Ehre aufzuopfern, und schwor, daß er mich, allen
meinen Ahnen zu Trotz, auf einem wohlfeilern Fuß haben
wollte, und wenn ich auch in gerader Linie von Jsis und
Osiris abstammte. Sein Zorn und seine Drohungen schreckten
mich so sehr, daß ich allen meinen Witz anstrengte, ihn
durch glimpfliche Worte wieder zu besänftigen; ich bediente
mich sogar einiger, die er ohne Zwang so auslegen konnte,
daß sie ihn von der Zeit günstigere Gesinnungen hoffen ließen.
Er schien sich nach und nach zufrieden zu geben und verließ
mich endlich mit dem Versprechen, daß, wofern ich nach drei
Tagen, die er mir zur Bedenkzeit gebe, auf meiner Abneigung
gegen ihn beharre, er sich meiner Entfernung nicht
länger widersetzen wollte. Er sagte mir dieß mit einer so
ungezwungenen Art, daß ich ihm glaubte.Ich brachte also den übrigen Abend ganz ruhig zu und
war nicht wenig über den Sieg vergnügt; den ich mir schmeichelte
über ihn erhalten zu haben, Ich nahm meine Theorbe,
sang, scherzte mit der kleinen Estella und legte mich ganz
ruhig schlafen. Ich war noch nicht eingeschlafen, und ein
Wachslicht brannte noch vor meinem Bette, als ich auf ein
Mal die Thur meines Schlafzimmers aufgehen hörte. Ich
würde sehr erschrocken seyn, wenn ich ein Gespenst vor mir
gesehen hätte; aber ich erschrak noch weit mehr, da ich sah,
daß es der Marquis war. Er hatte etwas so Wildes in seinen
Blicken und Geberden, daß ich vor Angst zitterte, als ich
ihn auf mich zugehen sah. Ich wollte geschwind aus dem
Bette springen, denn ich kleidete mich niemals völlig aus;
aber er hielt mich zurück und schwor, daß ich mich ergeben
müßte, es möchte auch kosten, was es wolle. Ich erhob ein
entsetzliches Geschrei und wehrte mich, ob er sich gleich bemühte,
mir den Mund zu verstopfen, mit einer solchen Wuth,
daß er sich genöthiget sah, einen Augenblick Athem zu schöpfen.
Ich fing von Neuem an zu schreien, und machte es laut
genug, daß Estella, die in dem vierten Zimmer von dem
meinigen schlief, davon erwachte und in einem Anzuge, der
von ihrem Schrecken zeugte, mir zu Hülfe eilte. Ihr Anblick
verdoppelte meinen Muth, so schwach auch der Beistand
war, den ich von ihr erwarten konnte; ich stieß den Marquis
mit einer solchen Stärke zurück, daß er über die kleine
Estella hinwegtaumelte und mit ihr zu Boden fiel.Dieser an sich selbst geringe Umstand schlug zu meinem
Glück aus. Ich muß die Folgen, die er hatte, Ihrer eigenen
Vermuthung überlassen. Genug, der Marquis, indem er
höflich genug war, das arme Mädchen aufzuheben, fand sie
in diesem Augenblicke so liebenswürdig, daß er plötzlich den
Entschluß faßte, sie zum Werkzeug seiner Rache an meiner
Undankbarkeit zu machen. Er entdeckte ihr sein Vorhaben;
sie floh in ihr Zimmer; er verfolgte sie; und diese unverhoffte
Veränderung der Scene gab mir Gelegenheit, mich
aus dem Hause wegzuschleichen, ohne von der alten Beate,
die mich in den Handen des Marquis glaubte, wahrgenommen
zu werden.Während wir die schöne Jacinte hier ein wenig Athem
schöpfen lassen wollen, erinnern wir uns, daß ein gewisser
Kunstrichter, der dieses Werkchen vor einigen Jahren mit
seiner Beurtheilung zu beehren würdigte, die Begebenheiten
dieser Jacinte sehr wenig interessant und den Ton ihrer
Erzählung so elend gefunden hat, daß seiner Meinung nach
die Lebensläufe in der Insel Felsenburg selbst besser erzählt
werden. Wir besorgen sehr, der flüchtige und halb geschlossene
Blick, womit unsere Leser über diese Erzählung gähnend hingeglitscht
sind, werde das strenge Urtheil des Kunstrichters schon
zu gut bestätiget haben, als daß es rathsam seyn könnte; etwas
zur Vertheidigung oder Entschuldigung der jungen Dame sagen zu
wollen. Wir schließen von der langen Weile, welche wir selbst, da
wir dieses Buch nach sieben Jahren wieder zu durchlesen uns
entschließen mußten, bei dieser Erzählung der Jacinte erfahren
haben, auf das, was Andern begegnen wird; und wir
hätten, wenn es thunlich gewesen wäre, sehr gewünscht, den
Begebenheiten der jungen Abenteurerin mehr Wunderbares
und ihrer Erzählung mehr Lebhaftigkeit und Geist mittheilen
zu können. Da dieß aber aus mehr als einer Ursache,
niht anging; so hoffen wir wenigstens dadurch einigen
Dank verdient zu haben, daß wir den geneigten Leser mit
der umständlichen Nachricht dessen, was ihr nach ihrer Flucht
aus dem Hause des Marquis bis zu ihrer Bekanntschaft mit
Don Eugenio begegnete, verschonen und uns begütigen, ihm
dafür in etlichen Zeilen zu sagen, was sie selbst auf eben so
viel Seiten sagt. Nämlich: das gute Mädchen erinnerte sich,
sobald sie auf freiem Felde war, der Dame von Calatrava.
Sie wanderte dahin; aber sie fand ihre Gönnerin nicht mehr.
Ohne Freunde, ohne Geld, ohne irgend einen anständigen
Ausweg, mußte sie endlich für das größte Glück halten, daß
der Zufall sie unverhofft eine Gesellschaft von Schauspielern
— in dieser Gesellschaft einen wahren Phönix, eine geistvolle
und tugendhafte Schauspielerin — in dieser Schauspielerin
eine sehr eifrige Freundin — durch diese Freundin in sich
selbst ein Talent für die Schaubühne — kraft dieses Talents
(und ihrer schönen Augen) allenthalben, wo sie hinkamen,
den vollkommensten Beifall — und endlich in dem edeln Don
Eugenio von Lirias einen Freund oder, wenn man will,
einen platonischen Liebhaber finden ließ, dem ihre Reizungen
weniger Leidenschaft, als ihre Tugend Ehrerbietung einflößte.Alles dieß war viel Glück; aber die schöne Jacinte verdiente
auch glücklich zu seyn. Die weltberühmte Pamela selbst
hätte sich in ihrer Lage nicht untadelhafter, nicht edelmüthiger
aufführen können, als sie. Insonderheit kann nichts erbaulicher
seyn, als die Freundschaft, welche zwischen ihr und Don
Eugenio Statt findet und sich auf eine Achtung gründet,
welche sie vorher für Niemand empfunden hat und für keinen
Andern jemals zu empfinden hofft. Die Welt, sagte sie,
welche immer urtheilt, ohne zu kennen oder sich die Mühe der
Untersuchung zu geben, hat mir künstliche Absichten beigemessen,
deren die Aufrichtigkeit meiner Seele nie fähig gewesen
ist. Allein ich habe mich damit beruhiget, daß Don
Eugenio mich besser kennt; und die Ausführung eines schon
lange festgesetzten Entschlusses wird, wie ich hoffe, in Kurzem
die Achtung, deren er mich nicht unwürdig gefunden hat, auch
mit den strengsten unter unsern Tadlern aussöhnen.—————
Dreizehntes Capitel:Don Eugenio setzt die Erzählung der Jacinte fort.Die liebenswürdige Jacinte schien, indem sie die letzten
Worte sagte, so gerührt zu werden, daß sie, wie sehr sie sich
auch bemühte, es zu verbergen, ein wenig inne halten mußte.
Erlauben Sie, schöne Jacinte, sagte Don Eugenio, ohne daß
er ihre Beunruhigung zu merken schien, daß ich Ihre Erzählung
fortsetze, da Sie nun auf denjenigen Theil Ihrer
Geschichte gekommen sind, wo sie mit der meinigen verwickelt
zu seyn anfängt.Es ist beinahe ein Jahr, fuhr er fort, daß ich mit Don
Gabriel nach Grenada reiste, um daselbst einige häusliche
Angelegenheiten in Ordnung zu bringen. Ich besuchte einsmals
die Komödie und sah Jacinten; sie gefiel mir und rührte
mich. Das Erste war eine natürliche Folge der Annehmlichkeiten
ihrer Person; denn wem gefiel sie nicht? Das Andere
schien mir eine eben so natürliche Wirkung der Rolle zu seyn,
die sie damals spielte. Der allgemeine Beifall, in dessen
Besitz sie war, und der ihre eigene Person mit denen, welche
sie annehmen mußte, zu vermengen schien, blendete mich
nicht; ich bemerkte, daß sie nur eine mittelmäßige Schauspielerin
war. Es ist wahr, in einigen Stellen, wo sie sehr
edle Gesinnungen oder wahre und ungekünstelte Gefühle der
Natur zu sagen hatte, wurde sie unverbesserlich; aber der
Dichter hatte dafür gesorgt, daß sie nur selten Anlaß bekam,
es zu seyn; und in allen übrigen glaubte ich zu bemerken,
daß sie sich zwingen müsse, Gesinnungen oder Gemüthsbewegungen
anzunehmen, die nicht ihre eigenen waren.Diese Beobachtung war ihr sehr vortheilhaft bei mir, und
ich glaubte in der That, daß sie mir denselben ganzen Abend
nie besser gefiel, als wenn sie, als Schauspielerin betrachtet,
am wenigsten hätte gefallen sollen. Ich ging aus der Komödie
und war betroffen, wie ich fand, daß mir das Bild dieses
jungen Mädchens überall folgte. Der rührende Klang ihrer
Stimme tönte noch immer in meinen Ohren, und alle Zerstreuungen
der Gesellschaft, wo ich den Abend zubrachte,
waren nicht zulänglich, diesen Eindrücken das Mindeste von
ihrer Lebhaftigkeit zu benehmen. Ich gab eine Zeit lang keine
Acht darauf und bemühte mich endlich, diese Vorstellungen
zu zerstreuen; aber sie kamen immer wieder, und ich hatte
ein paar Tage nöthig, bis sie andern Platz machten, mit
denen ich damals beschäftigt war.Nach einigen Tagen kam ich wieder in die Komödie und
erwartete vergeblich, daß Jacinte auftreten würde. Sie wurde
dießmal durch eine Andere ersetzt, die das Talent, sich in alle
mögliche Gestalten zu verwandeln (welches eigentlich den
guten Schauspieler macht), in einem weit höhern Grade besaß.
Aber sie mißfiel mir, ohne daß ich einen andern Grund hätte
angeben können, als weil sie nicht Jacinte war. Niemals
hatte ich so ungeduldig auf den legten Aufzug gewartet. Ich
erkundigte mich bei einem meiner Freunde nach Jacinten
und erfuhr von ihm den Charakter der Arsenia, die für ihre
Tante gehalten wurde, und die eingezogene Lebensart, die
sie führten. Diese Nachrichten vermehrten meine Neugier;
ich suchte ihre Bekanntschaft und fand, daß mir mein Freund
nicht zu viel Gutes von Arsenien gesagt hatte. Man ist so
wenig gewohnt, Tugend, Grundsätze und eble Gesinnungen
bei Schauspielerinnen zu suchen, daß man sich, wenn man
sie bei ihnen findet, nicht erwehren kann, diesen Charakter
eben so sehr für ein Werk ihrer Kunst zu halten, als die
übrigen, die ihnen von den Dichtern zu spielen auferlegt
werden. Ich beobachtete Arsenien eine geraume Zeit mit allem
Mißtrauen, welches ihr Stand nothwendig zu machen schien;
und sie gewann so viel dabei, als vielleicht Manche, die ein
großes Geräusch mit ihrer Tugend macht, dabei verlieren
würde. Urtheilen Sie selbst, ob ich weniger Aufmerksamkeit
auf Jacinten gehabt haben werde. Ihre Jugend schien sie
zwar von allem Verdacht loszusprechen, als ob Verstellung
und Kunst einen Antheil an der Unschuld haben könnte, die
aus ihrem ganzen Wesen zu athmen schien; es war unmöglich,
sie mit einem mißtrauischen Auge anzusehen: aber das
Vergnügen, welches ich darin fand, mich immer mehr in der
Vorstellung bestärkt zu sehen, die ich beim ersten Anblicke
von ihr gefaßt hatte, machte, daß sie mit einer Scharfsichtigkeit,
der nichts entging, beobachtet wurde. Eben diese Aufrichtigkeit
und Einfalt des Herzens, welche sie aller der
kleinen Kunstgriffe unfähig machte, wodurch die Schönen, aus
Eitelkeit oder andern Absichten, unsern Herzen nachzustellen
pflegen, ließ sie auch nicht bemerken, daß sie beobachtet werde.
Sie dachte eben so wenig daran, sich zu verbergen, als sich
zu zeigen. Sie gefiel, ohne gefallen zu wollen; und die Anmuth,
die ihre kleinsten Bewegungen anzüglich machte, war
eben so natürlich und ungeschminkt, als ihre Gesichtsfarbe.
Ihre Handlungen hatten nie mehr als eine Absicht und nie
eine andere, als die sie natürlich Weise haben sollten. Sie
schien nicht zu wissen, daß man die Augen — wie beseelt
auch die ihrigen von Natur waren — zu etwas Anderm, als
zum Sehen gebrauchen könne; sie lachte niemals, um ihre
schönen Zähne zu zeigen, und ließ oft in einer einzigen
Stunde zwanzig Gelegenheiten entgehen, wo eine Andere sich
das Vergnügen gemacht hätte, die Anwesenden von der
Schönheit eines wohlgestalteten Armes oder von der Artigkeit
eines kleinen Fußes zu überweisen. Ihre Gegenwart macht
es überflüssig, ein Gemälde fortzuführen, womit ich ohnehin
nie zufrieden seyn würde.Die Unschuld hat eine unendliche Menge Annehmlichkeiten,
die eben so wenig beschrieben, als von der Kunst nachgeahmt
werden können, und deren Eindruck desto gefährlicher ist, da
er so sanft und schuldlos zu seyn scheint, als sie selbst. Mein
Herz war schon völlig von ihr eingenommen, ehe ich daran
dachte, wie weit mich die Gesinnungen führen könnten, die
sie mir ohne ihr Zuthun einflößte. Unvermerkt ward ich es
gewohnt, sie alle Tage zu sehen; unvermerkt verlor alles
Andere, was mir sonst angenehm gewesen war, seinen Reiz
für mich; ihre bloße Gegenwart setzte mich in Entzücken, und
ohne sie machte mir Alles lange Weile. Ich entzog mich nach
und nach allen Gesellschaften, Lustbarkeiten und Zerstreuungen,
um des einzigen Vergnügens ungestört zu genießen, dessen
jetzt mein Herz fähig war. Jeder Augenblick, um welchen
irgend ein Zufall mich nöthigte, sie später als gewöhnlich zu
sehen, dehnte sich in eine tödtliche Länge aus; und ein ganzer
Abend, den ich in ihrer und Arseniens Gesellschaft zubrachte
(denn allein sah ich sie niemals), schien mir ein Augenblick,
wenn er vorüber war.Die Vorwürfe meiner Freunde nöthigten mich endlich,
ihnen von einer Neigung Rechenschaft zu geben, die alle andere
in meinem Herzen ausgelöscht zu haben schien; und die
kleinen Streitigkeiten, die wir darüber mit einander bekamen,
entdeckten mir, daß diese Neigung — anstatt (wie man für
recht und billig hielt) ein bloßer Zeitvertreib und flüchtige
Geschmack zu seyn — eine Leidenschaft war, die das Glück
oder Unglück meines Lebens entscheiden würde. Ich will Ihnen
durch keine umständliche Beschreibung Alles dessen, was,
von dieser Entdeckung an, in meinem Herzen vorging, beschwerlich
fallen. Diejenigen, welche glauben, daß man die
Liebe mit Erfolg bekämpfen könne, reden von einer Liebe, die
nur in sehr uneigentlichem Verstande so genannt zu werden
pflegt. Diese auflodernden Flammen, die bloß durch die Schönheit
oder ein beiderseitiges Bedürfniß entzündet und durch
die Begierden unterhalten werden; diese willkürlichen Verbindungen,
an denen das Herz keinen Antheil hat, die man
aus Eitelkeit, langer Weile, Vorwitz, Grillenhaftigkeit,
Gewohnheit oder Bequemlichkeit eingeht und wieder aufhebt,
wie und wann man will, und die man, so wenig sie auch
mit der wahren Liebe gemein haben, bloß darum Liebe nennt,
um ihnen einen ehrlichen Namen zu geben — diese mögen
wohl ohne große Mühe bekämpft und besiegt werden. Aber
über eine wahre Liebe, die sich auf ein zartes Verständniß
der Herzen gründet und mit gegenseitiger Hochachtung verbunden
ist, wurde noch nie ein Sieg erhalten, und die
Schwierigkeiten, die ihr in den Weg gelegt werden, dienen
zu nichts, als den ihrigen zu befördern. Ich machte mir
selbst alle nur ersinnliche Einwürfe; ich fühlte ihre ganze
Stärke; ich wußte nur gar zu wohl, daß man die Vorurtheile,
die meiner Liebe das Urtheil sprachen, nicht ungestraft
verachten könne. Aber was vermochten alle diese Betrachtungen
gegen eine Neigung, die für mein Herz die Quelle einer
innerlichen Glückseligkeit war, der ich alle Augenblicke bereit
war alles andere Glück aufzuopfern! Ein Opfer, wofür derjenige,
der wahrhaftig liebt, durch einen einzigen Blick, eine
einzige Thräne der Zärtlichkeit sich reichlich entschädiget glaubt.
Doch ich weiß eben so wohl, daß ich in dieser kleinen Gesellschaft
von Freunden keine Entschuldigung vonnöthen habe,
als daß diejenigen, die das Unglück haben, dieser Art von
Gesinnungen selbst unfähig zu seyn, keine Entschuldigung
gelten lassen.Ich entschloß mich also mit aller nur möglichen Unerschrockenheit,
in den Augen dieser letztern ein Thor zu seyn,
und richtete jetzt alle meine Bemühungen allein dahin, mich
einer Gegenliebe zu versichern, von welcher die Glückseligkeit
meines Lebens abhangen sollte. Mein Umgang mit Jacinten
dauerte bereits etliche Monate, und meine Absichten waren
bei mir selbst festgesetzt, ohne daß sie Ursache hatte, mich als
einen Liebhaber anzusehen. Mein Betragen war so zurückhaltend,
und die Zärtlichkeit, die ich für sie zeigte, derjenigen
so ähnlich, die ein Bruder für eine Schwester haben kann,
daß Arsenia endlich einen kleinen Argwohn über meine Absichten
bekam. Sie errieth zwar, daß ich das Vergnügen
haben wollte, einer gewissen Sympathie, die zwischen unsern
Herzen zu walten schien, Zeit zu lassen, sich in dem ihrigen
allmählich von selbst zu entwickeln; aber sie zweifelte zuweilen,
ob der Gebrauch, den ich einst davon machen würde, so unschuldig
seyn möchte, als sie es aus Liebe zu ihrer jungen
Freundin wünschte; Sie hatte zwar Ursache, sich zu meiner
Denkungsart und zu meinen Grundsätzen das Beste zu versehen;
aber auf der andern Seite setzten die Vorurtheile der
Welt oder vielleicht die Betrachtung meines eigenen Glücks
eine so weite Kluft zwischen uns, daß sie mir nicht Muth
oder Liebe genug zutrauen konnte, sie zu überspringen. Sie
wußte, daß die Welt weit geneigter seyn würde, mir eine
Verbindung, wobei nur Jacinte aufgeopfert würde, zu gut
zu halten, als eine solche, wodurch (nach den Maximen des
großen Haufens) meine eigene Ehre verdunkelt würde; und
was meine Denkungsart betraf, so kannte sie die Menschen
zu gut, als daß sie die Grundsätze eines jungen Mannes für
eine hinlängliche Gewähr gegen seine Leidenschaften hätte
halten sollen. Diese Betrachtungen, die sie mir in der Folge
selbst gestand, schienen ihr zwar nicht dringend genug, die
unschuldige Neigung, die durch fast unmerkliche Grade in
dem Herzen ihrer jungen Freundin sich entwickelte, durch
voreilige Besorgnisse zurück zu schrecken; aber sie verdoppelten
ihre Aufmerksamkeit auf mich und bewogen sie, mir (wiewohl
auf eine sehr feine Art) Gelegenheit zu machen, meine
Gesinnungen deutlicher zu verrathen.Unter einer Menge von jungen Leuten, die sich zu erklärten
Verehrern der liebenswürdigen Jacinte aufgeworfen hatten
und sich ihres vermeinten Rechts bedienten, sie hinter
der Scene mit ihrem Unsinne zu ermüden, waren verschiedene,
die ihre Absichten gern weiter getrieben hätten, wenn sie, solang
ich ihnen (ihrer Meinung nach) im Wege stand, sich
einigen Erfolg davon hätten versprechen können. So unangenehm
es mir war, daß ich Jacinten nicht von diesem ganzen
beschwerlichen Schwarme befreien konnte, so wenig hatte
ich Ursache zu besorgen, daß irgend einer von ihnen ihrem
Herzen gefährlich werden könnte. Es ist, dachte ich, eine
natürliche Unbequemlichkeit, der die Rose ausgesetzt ist, daß
sie allerlei Ungeziefer um sich her sumsen lassen muß; und
die Ehrfurcht, worin Jacinte diese Insecten zu erhalten weiß,
ist ihrem Charakter mehr rühmlich als nachtheilig. Allein
Don Fernand von Zamora, der um diese Zeit nach Grenada
kam und beim ersten Male, da er sie auf dem Theater sah,
eine heftige Leidenschaft nach seiner Art für sie faßte, ließ
mich nicht lange in dieser stolzen Ruhe. Ein Rival, der
die Schönheit eines Narcissus mit der frechen Ausgelassenheit
eines Satyrs verband, — der gewohnt war, seinen Leidenschaften
den Zügel zu verhängen und die unermeßlichen
Reichthümer, über die ihn der Tod seiner Eltern zum Herrn
gemacht hatte, bloß zu Befriedigung seiner Begierden zu
verschwenden, — ein solcher Rival, so wenig ich auch für
Jacintens Herz von ihm besorgte, war doch in verschiedenen
andern Rücksichten nicht als gleichgültig anzusehen. Er machte
seine erste Liebeserklärung mit Geschenken, die vielleicht manche
spröde und stolze Tugend in Versuchung hätten führen können.
Jacinte schickte sie zurück, ohne zu glauben, daß sie ihrer
Unschuld oder meiner Liebe ein beträchtliches Opfer gebracht
habe; allein sie konnte sich doch mit guter Art nicht erwehren,
Besuche von ihm anzunehmen und an den ausschweifenden
prächtigen Lustbarkeiten, die er ihr und seiner Eitelkeit zu
Ehren anstellte, mit Arsenien und andern von ihren theatralischen
Freundinnen Antheil zu nehmen. So schwer es meinem
Herzen wurde, so beschloß ich doch, sie in dieser Gefahr,
wenn es eine war, gänzlich dem ihrigen zu überlassen.Don Fernand, dem ganz Grenada sagen konnte, daß ich
sie niemals anders als in Arseniens oder anderer Gesellschaft
sah, konnte sich um so weniger bereden, daß ich sein Nebenbuhler
sey, da er durch die genaueste Beobachtung nichts in
meinem Betragen entdeckte, das mich dessen hätte verdächtig
machen können; und wenn er auch einigen Verdacht gehabt
hätte, so würde ihn dieß nur desto eifriger gemacht haben,
seine Anfälle auf ihr Herz zu verdoppeln. Allein weder seine
Schönheit, noch sein schimmernder Aufzug noch seine Feste,
noch die ungeheure Menge von Oden und Elegien — in denen
er über die kieselsteinerne Härte ihres Herzens klagte oder
sich wunderte, wie der warme Schnee ihres schönen Busens
so kalt seyn könne — waren vermögend, aus diesem kleinen
Felsenherzen ein einziges armes Fünkchen von Mitleiden heraus
zu schlagen, wie kläglich auch die ganze reimende Zunft
von Grenada auf seine Unkosten darum winseln mußte; und
Don Fernand fand endlich für gut, sein Herz, seine Geschenke
und seine Elegien einer andern Schauspielerin anzubieten,
welche, die Sprödigkeit (wie sie es nannte) ausgenommen,
in allen andern Stücken mit Jacinten in die Wette eiferte.So sehr ich nun Ursache hatte, mit dem Ausgange dieses
Abenteuers zufrieden zu seyn, so ungeduldig hatten mich die
Unbequemlichkeiten des theatralischen Lebens, denen ich Jacinten
bei dieser Gelegenheit ausgesezt sehen mußte, gemacht,
sie davon zu befreien. Ich glaubte nunmehr ihres Charakters
und Herzens so gewiß zu seyn, daß ich eine längere Beobachtung
für überflüssig hielt; und ich ging wirklich damit um,
mich Arsenien zu entdecken und die Mittel zur Ausführung
meines Entwurfs mit ihr abzureden; als eine aufzehrende
Krankheit, deren schneller Anwachs gar bald wenig Hoffnung
zu ihrer Genesung übrig ließ, diese edle Frau veranlaßte, mir
zuvor zu kommen. Sie bat sich eine Unterredung mit mir
aus, wovon, nach einer kurzen Erzählung ihrer eigenen
Schicksale, Jacinte der einzige Gegenstand war. — "Ich
liebe sie, sagte sie, als ob sie mein eigenes Kind wäre, und
die Umstände, worin ich sie verlassen muß, sind das Einzige,
was mir die Verlängerung eines Lebens angenehm gemacht
hätte, das mir durch eine lange Kette von Unglücksfällen und
einen Gram, den nur mein Tod enden kann, schon lange
zu einer beschwerlichen Bürde geworden ist. Meine Liebe zu
ihr ist desto unparteiischer, da sie sich allein auf die Eigenschaften
ihres Herzens gründet. Wie würdig ist sie eines
bessern Schicksals, und wie wenig Hoffnung darf ich mir machen,
daß ihr Glück jemals mit ihrem Werth übereinstimmen
werde! In ihren Umständen kann sie keine Lebensart erwählen,
die nicht ihre eigenen Gefahren hat. Jugend und Unschuld,
von so vielen Annehmlichkeiten begleitet, sind ohne
die Vortheile der Geburt oder des Glückes gefährliche Gaben
für unser Geschlecht. Eben diese Unschuld, eben diese Reizungen,
die an einer jungen Person von Stande oder an
einer reichen Erbin eine ehrerbietige Liebe oder doch wenigstens
rechtmäßige Absichten einflößen wurden, machen ein
Mädchen, das dem Glücke nichts zu danken hat, zu einem
bloßen Gegenstande von Begierden, die auf ihr Verderben
zielen; und eben derjenige, der sich nicht schämt, zu ihren
Füßen hingeworfen sie in der Sprache der Schwärmerei und
Anbetung für die Göttin seines Herzens zu erklären, würde
sich durch den bloßen Verdacht, daß er ehrliche Absichten auf
sie haben könnte, für beleidigt halten. Urtheilen Sie nun
selbst, Don Eugenio, ob ich über Jacintens Schicksal ruhig
seyn kann. Sie ist für die Umstände nicht gemacht, wozu ihr
Unglück sie verurtheilt hat; sie ist liebenswürdig und, wie
ich glaube, durch ihre Unschuld und sanfte Gemüthsart nur
desto fähiger, gerührt zu werden. Ich besorge nichts für sie
von allen diesen schimmernden Gecken, die um sie herum
flattern und gleich unfähig sind, Liebe zu empfinden und
einzuflößen. Aber wenn sie einen Mann findet, der mit
den Eigenschaften eines edeln Gemüths, mit tugendhaften
Gesinnungen und einer ehrerbietigen Zärtlichkeit sich ihre
Hochachtung erwirbt; der seine Begierden unter uneigennützigen
Empfindungen zu verbergen und die Liebe unter dem
Namen und in Gestalt der Freundschaft heimlich in ihr Herz
einzuführen weiß; der Geduld genug hat, den Zeitpunkt abzuwarten,
da sie durch das Vertrauen, das sie ihm schuldig
zu seyn glaubt, durch die Unschuld ihrer eigenen Empfindungen,
durch den zauberischen Reiz der Sympathie und gewisser
geheimer Triebe, die sie in der unerfahrnen Einfalt ihres
Herzens mit den zärtlichen Regungen desselben vermengt,
entwaffnet, unbesorgt und ganz in Liebe aufgelöst, als ein
williges Opfer seinen Begierden überliefert wird — ach, Don
Eugenio! — wie sehr besorge ich, daß sie diesen Mann schon
gesehen hat! — Vergeben Sie mir, mein edler Freund! Die
Umstände, worin Sie mich sehen, berechtigen mich, freimüthig
zu seyn: eine Person, die in Kurzem von den Menschen nichts
mehr zu fürchten noch zu hoffen hat, sieht durch alle die
Blendwerke durch, die unsere Urtheile zu bethören, zu
verfälschen oder zurückzuhalten pflegen, solange wir noch
selbst in die menschlichen Angelegenheiten verwickelt sind.
Sie werden nicht daran zweifeln, daß ich schon lange weiß,
daß Sie Jacinten lieben, und Sie müssen es so gut wissen
als ich, daß Sie Ihre Absichten auf das zärtlichste und beste aller
Herzen nur gar zu gut erreicht haben. Ich schätze Sie hoch, Don
Eugenio, und noch vor wenig Tagen würde ich es für beleidigend
gehalten haben, Ihnen das geringste Mißtrauen sehen zu lassen;
aber was wollen Sie, daß ich jetzt, da Jacintens Sicherheit
meine einzige Sorge ist, von Ihrer Neigung denken soll?"Hier fuhr die rechtschaffene Arsenia fort, mir ihre Besorgnisse
zu entdecken, und endigte ihre Rede endlich damit, daß
sie mich mit vielen Thränen beschwor, der Unschuld ihrer
jungen Freundin zu schonen. Sie sah mich so lebhaft gerührt,
daß sie unmöglich in die Wahrheit der Erklärungen,
die ich ihr hierauf gab, einen Zweifel setzen konnte. Ich
entdeckte ihr umständlich, was von dem ersten Augenblick
an, da ich Jacinten gesehen hatte, in meinem Herzen vorgegangen
war; wie sehr jederzeit das Verlangen, sie glücklich
zu sehen, die Begierde, mich selbst durch sie glücklich zu machen,
überwogen habe; und wie fest ich nunmehr entschlossen sey,
alle andere Betrachtungen, so wichtig sie immer an sich selbst
seyn möchten, unserer gemeinschaftlichen Glückseligkeit aufzuopfern.
Ich bat sie, Jacinten hierauf vorzubereiten und
alsdann zu gestatten, daß ich in ihrer Gegenwart mich gegen
sie erklären dürfte. Beides geschah, und die liebenswürdige
Jacinte machte sich kein Bedenken, mich sehen zu lassen, wie
gerührt sie davon war. — Diese Zeichen des vollkommenen
Vertrauens, das ich in Ihre Rechtschaffenheit setze, sagte sie,
indem sie mich mit thränenden Augen ansah, diese Thränen,
die ich mich nicht bemühe vor Ihnen zu verbergen, bin ich
Ihren allzu großmüthigen Gesinnungen schuldig. Aber dieß
ist auch Alles, was die unglückliche Jacinte thun kann, Ihnen
ihre Dankbarkeit zu zeigen. — Sie entdeckte mir hierauf mit
einer Offenherzigkeit, die sie noch tausendmal liebenswürdiger
in meinen Augen machte, die ganze Geschichte ihres Lebens.Urtheilen Sie jetzt selbst Don Eugenio, fuhr sie fort, wie
sie damit zu Ende war, ob ich nicht die unwürdigste Creatur
wäre, wenn ich das Uebermaß Ihrer Gütigkeit für mich mißbrauchen
wollte, solang ich nicht eine völlige Gewißheit
dessen habe, was vermuthlich eine bloße Eingebung meiner
Eitelkeit ist, wenn ich mir schmeichle, daß ich vielleicht weniger
Ursache habe, über meinen Ursprung zu erröthen, als
die Zigeunerin, die mich erzogen hat, mich bereden wollte.
— Arsenia vereinigte sich vergebens mit mir, sie zu überzeugen,
daß ihre Bedenklichkeit zu weit getrieben sey; sie
blieb unbeweglich bei ihrem Entschlusse, wenn sie Arsenien
verlieren sollte, sich in ein Kloster zu begeben; und Alles,
was ich endlich von ihr erhalten konnte, war, daß sie mir
die Wahl des Ortes überließ und feierlich versprach, sich ohne
meine Einstimmung durch keine Gelübde binden zu wollen.
Ich schrieb sogleich an einen Freund zu Sevilla, um Nachrichten
von der alten Zigeunerin einzuziehen, und vernahm,
daß die Aufmerksamkeit, die der Corregidor auf ihr Haus
zu wenden angefangen, sie vor Kurzem genöthigt habe, sich
durch eine schleunige Flucht in Sicherheit zu bringen. So
verdrießlich mir dieser Umstand war, so gab ich doch die
Hoffnung nicht auf, durch die Maßregeln, die ich deßwegen
nahm, die Alte noch endlich auszutreiben: eine Hoffnung,
welche jetzt eben so wichtig für mich war, als ob ich gewiß
gewesen wäre, daß die Nachricht von Jacintens Herkunft die
ich dadurch zu erhalten hoffte, meiner Liebe günstig seyn
müßte. Inzwischen nöthigten mich die Angelegenheiten meiner
Schwester, von Grenada nach Valencia zurückzukehren
und meine Geliebte bei einer Freundin zurückzulassen, von
der sie sich durch nichts als den Tod trennen lassen wollte,
und deren täglich abnehmendes Leben mir wenig Hoffnung
übrig ließ, sie jemals wieder zu sehen.—————
Vierzehntes Capitel:Beschluß der Geschichte der Jacinte. Eine Vermuthung des Don Sylvio.
Vorbereitungen zu einem Intermezzo, wobei wenige Leute lange Weile
haben werden.So interessant vermuthlich die Liebesgeschichte des Don
Eugenio und der schönen Jacinte ihnen selbst und vielleicht
auch ihren unmittelbaren Zuhörern gewesen seyn mag, so wenig
können wir unsern Lesern übel nehmen, wenn sie das
Ende davon zu sehen wunschen. Es ist in der That für ehrliche
Leute, die bei kaltem Blute sind, kein langweiligeres
Geschöpf in der Welt, als ein Liebhaber, der die Geschichte
seines Herzens erzählt. Wir wollen uns also begnügen, ihnen
zu sagen, daß Jacinte das Wort wieder nahm und ihre
eigenen Begebenheiten von dem Tod ihrer Freundin an bis
zu dem Augenblick fortsetzte, da Don Eugenio und Don
Gabriel, von unserm Helden unterstüzt, sie den räuberischen
Händen des Don Fernand von Zamora entrissen. Sie ergänzte,
was ihr selbst bisher in diesen Begebenheiten unbegreiflich
gewesen war, aus dem Geständnisse, welches die
getreue Teresilla sich genöthiget gesehen hatte ihrer Gebieterin
von ihrem geheimen Briefwechsel mit Don Fernand und von
allen den kleinen Verräthereien zu machen, die sie seit geraumer
Zeit gespielt hatte. Denn unglücklicher Weise für
diese würdige Kammerjungfer hatte sich ein Briefchen des
Don Fernand, welches sie, anstatt es zu verbrennen, in ihrem
Unterröckchen wohl verwahrt zu haben glaubte, man weiß
nicht wie, in Pedrillo's Kammer aus ihrem Schubsacke verloren,
und (wie sich Alles zusammen schicken muß, wenn eine
Schelmerei zur Entdeckung reif ist) so war es dem Don
Eugenio in die Hände gefallen, da er, an dem nämlichen
Morgen, als unser Held das Wirthshaus so plötzlich verließ,
von ungefähr in diese Kammer trat.Sie erzählte also: wie Don Fernand von Zamora, anstatt
seine Absichten (wie er Miene gemacht hatte) aufzugeben,
Mittel gefunden, ihre Anwärterin auf seine Seite zu bringen;
was für Entwürfe er mit Teresillen gemacht, um auf
ihrer Reise nach Valencia sich ihrer Person zu bemächtigen;
auf welche Art er dieses Vorhaben ins Werk gerichtet; wie
sehr er sich bemüht, sie zu besänftigen und durch eine ehrerbietige
Zurückhaltung ihr eine bessere Meinung von seinen
Absichten beizubringen; und wie endlich der glückliche Umstand,
daß Don Eugenio, anstatt zu Valencia zu seyn (wie sie
selbst geglaubt hatte) , zu Lirias gewesen und, durch einen noch
glücklichern Zufall auf einem Spazierritte zwischen Jntella
und Lirias auf sie gestoßen, ihre Befreiung veranlagt habe.Die schöne Jacinte vergaß bei dieser Gelegenheit nicht,
unserm Helden von Neuem für die Großmuth zu danken, womit
er sich für sie und Don Eugenio gewagt hatte, und Don Sylvio
erwiederte diese Höflichkeit im Tone der Galanterie der Ritter
vom Gral und von der runden Tafel. Er bezeigte sich ihr
sehr verbunden, daß sie ihm erlaubt hatte, einen Zuhörer ihrer
Geschichte abzugeben, und versicherte sie, daß man sie nur zu
sehen und zu hören brauche, um überzeugt zu seyn, daß ihre
Abkunft, ungeachtet des geheimnißvollen Dunkels, womit sie
noch bedeckt sey, eben so erhaben und glänzend seyn müsse,
als ihre persönlichen Verdienste. Indessen konnte er doch
nicht umhin, seine Verwunderung darüber zu bezeigen, daß
in einer Geschichte, die ihm außerordentlich genug dazu schien,
die Feen nicht das Geringste zu thun gehabt haben sollten;
und er fragte sie ganz ernsthaft: woher es komme, daß sie
über diesen Punkt ein so genaues Stillschweigen beobachtet
habe, da es doch ganz und gar nicht begreiflich sey, daß Feen
und Zauberer an den Begebenheiten einer so vollkommnen
jungen Dame keinen Antheil gehabt haben sollten? Die
ernsthafte Miene, womit er diese Frage that, machte, daß
die beiden Damen, ungeachtet ihres Vorsatzes, alle mögliche
Achtung für seine Schwärmerei zu zeigen, sich des Lachens
nicht enthalten konnten. Wollten Sie denn, sagte Jacinte,
daß ich ein Feenmährchen aus meiner Geschichte gemacht
haben sollte? Warum ließen Sie mir nichts davon merken?
Wenn ich geglaubt hätte, sie Ihnen dadurch angenehm zu
machen, so wär' es mir ein Leichtes gewesen, die alte Zigeunerin
in eine Carabosse, die gute Dame zu Calatrava in eine
Lumineuse und den Don Fernand von Zamora, wo nicht zu
einem schelmischen Zwerge, doch wenigstens zu einem Sylphen
oder Salamander zu machen.Vergeben Sie mir, sagte Donna Felicia, meines Erachtens
würde Ihre Erzählung sehr dabei gewonnen haben.
Denken Sie einmal, wie frostig es klingen würde, wenn ein
7
Dichter sich begnügen wollte zu sagen: Daphnis oder Coridon
setzten sich in den Schatten und schöpften frische Luft; oder,
er löschte seinen Durst aus einer Quelle? Aber, sobald er
sagt: Freiwillige Blumen drangen auf Florens Befehl hervor,
dem schönen Seladon zum weichen Polster zu dienen, gaukelnde
Zephyrn fächelten ihm mit ihren Rosenflügeln Kühlung
und ambrosische Gerüche zu, und eine Nymphe, reizend wie
die junge Hebe, bot ihm freundlich lächelnd krystallenes Wasser
in einer Perlenmuschel dar — dann glauben wir erst, daß
der Dichter seine Schuldigkeit gethan und die Natur geschildert
habe, wie er soll.Vermuthlich, sagte Don Gabriel (welcher merkte, daß
unser Held ein wenig betroffen war und nicht wußte, wie er
die Scherze der beiden Damen aufnehmen sollte), ist die Absicht
der schönen Jacinte gewesen, uns nur einen summarischen
Begriff von ihren Abenteuern mitzutheilen. Die Feen
können dem ungeachtet, wie ich nicht zweifeln will, die geheimen
Triebfedern aller ihrer wundervollen Zufälle gewesen
seyn; und wenn ich bedenke —Vergeben Sie mir, Don Gabriel, fiel Jacinte ein, ich
schwöre Ihnen im ganzen Ernste, daß die Feen, soviel mir
bekannt ist, nicht die geringste Mühe mit mir gehabt haben.
Sie werden mich doch nicht bereden wollen, hoffe ich, daß
alle diese chimärischen Wesen, die in den Mährchen so viel
zu thun haben, jemals außer den Mährchen existirt haben?Ist es möglich, rief Don Sylvio, daß Sie hieran zweifeln
können? — Sehen Sie denn nicht, daß man allen historischen
Glauben aufgeben müßte —Erhitzen Sie sich nicht, mein lieber Don Sylvio, fiel ihm
Don Gabriel lächelnd ins Wort: Sie sehen ja, daß Jacinte
nur gescherzt hat; und wenn es auch ihr Ernst gewesen wäre,
so wollen wir sie bald auf andere Gedanke bringen. Sie
kennt vielleicht nur das Mährchen vom blauen Bart oder
vom rothen Mützchen und von der guten kleinen Maus:
sie würde ganz anders reden, wenn sie, zum Exempel, die
Geschichte des Prinzen Biribinker hören würde, die eine
unzweifelhafte Glaubwürdigkeit vor sich hat, da sie aus dem
sechsten Buche der unglaublichen Geschichten des berühmten
Paläphatus genommen ist.Ich gestehe Ihnen, sagte Don Sylvio, daß mir dieser
Prinz, dessen Sie erwähnen, gänzlich unbekannt ist, und
daß ich sehr begierig wäre, seine Geschichte zu wissen.Sie würden es noch viel mehr seyn, fuhr Don Gabriel
fort, wenn Sie sich zum voraus vorstellen könnten, wie außerordentlich
und interessant seine Begebenheiten sind. Ich glaube
nicht zu viel zu sagen, wenn ich Sie versichere, daß sie Alles übertreffen,
was man jemals in den Geschichten der Feen gesehen hat.Sie machen mich selbst begierig, sagte Don Eugenio:
die unglaublichen Geschichten eines Schriftstellers, der dem
Homer den Vorzug des Alterthums streitig macht, sind in
der That eine Gewähr, die Niemand sich einfallen lassen
wird, für unsicher zu halten; und wenn schon das sechste
Buch davon für die Welt längst verloren gegangen ist, so
folgt doch nicht daraus, daß Don Gabriel, dessen Stärke in
der geheimen Philosophie uns bekannt ist, nicht mehr davon
sollte wissen können, als Andere.Ich bin Ihrer Meinung, sagte Donna Felicia: ich wollte
wetten wenn dieses sechste Buch auch nie geschrieben worden
wäre, so würde die tiefe Wissenschaft des Don Gabriel
mehr als zulänglich seyn, uns die Geschichte des Prinzen
Biribinker von Wort zu Wort eben so zu erzählen, wie er
sie in diesem sechsten Buche gefunden hätte, wenn es geschrieben
worden wäre.Es beliebt Ihnen zu scherzen, Donna Felicia, versetzte
Don Gabriel ganz ernsthaft. Ich gestehe, daß die Geschichte
des Prinzen Biribinker bisher noch unbekannt gewesen ist;
aber das benimmt ihrer Wahrheit nichts; und Don Sylvio
soll, mit Euer Gnaden Erlaubniß, Richter darüber seyn, ob
etwas darin ist, das die Glaubwürdigkeit des Geschichtschreibers
verdächtig machen könnte.Wir wollen sehen, erwiederte Donna Felicia; denn ich hoffe
doch, Sie werden uns Uebrigen erlauben, Zuhörer abzugeben,
wenn wir uns gleich nicht anmaßen dürfen, Richter zn seyn.Da sich nun Jedermann begierig zeigte, eine Geschichte
zu wissen, von welcher schon der bloße Name Biribinker
sehr viel Merkwürdiges zu versprechen schien, so wurde die
Abrede genommen, daß man sich Abends nach der Sieste in
dem Myrtenwäldchen versammeln wollte, um sie anzuhören;
und weil die Sonne anfing beschwerlich zu werden, so begab
sich die Gesellschaft durch einen bedeckten grunen Gang in
das Wohnhaus zurück.Unser Held hatte, während Jacinte ihre Geschichte erzählte,
einen Einfall bekommen, den er dem Don Eugenio entdeckte,
sobald sie sich allein sahen. —Was würden Sie dazu sagen,
Don Eugenio, fing er an, wenn Jacinte meine Schwester
wäre? — Ihre Schwester? versetzte Don Eugenio. Haben
Sie denn eine Schwester verloren? — Ich hatte eine, antwortete
Don Sylvio, die sich in ihrem dritten Jahre verlor,
ohne daß man erfahren konnte, was aus ihr geworden sey.
— Himmel! rief Don Eugenio, wie glücklich wär' ich, wenn
Ihre Muthmaßung sich wahr befände! Und in der That,
nun wundert mich's erst, wie gewisse Gesichtszüge, welche
Jacinte mit Ihnen gemein hat, mich nicht selbst auf diesen
Gedanken gebracht haben. Aber erinnern Sie sich keiner
Umstände? Wissen Sie keine Merkmale, die unsere Vermuthung
zur Gewissheit leiten könnten?Wenn der Instinct nicht betrüglich wäre, antwortete Don
Sylvio, so würde ich geneigt seyn, die Anmuthung, die ich
beim ersten Anblick für sie empfand, für die Stimme des
Blutes zu halten. Aber ich besorge, Don Eugenio, daß ich
mir mit einer unzeitigen Hoffnung geschmeichelt habe. —
Und warum? fragte Don Eugenio ungeduldig. — Ich finde
einen Umland in Jacintens Geschichte, antwortete jener,
der mich in Verlegenheit setzt. Ich bitte Sie, erklären Sie
sich, rief Don Eugenio; ich bin auf der Folter, solange Sie
mich im Zweifel schweben lassen.Jacinte ist von einer Zigeunerin erzogen und, wie sie
vermuthet, ihren wirklichen Aeltern entwendet worden, fuhr
Don Sylvio fort; die Zeit und das Alter kommen überein;
meine Schwester hatte ungefähr drei Jahre, wie sie unsichtbar
wurde, und sie würde jetzt Jacintens Alter haben. Die Verschiedenheit
der Namen (denn meine Schwester hieß Seraphine)
thut nichts zur Sache, man konnte ihren Namen ändern;
aber der Umstand mit der Zigeunerin verderbt Alles. Man
vermuthete zwar in meinem Hause, daß meine Schwester von
einer Zigeunerin gestohlen worden sey, aber ohne genugsamen
Grund; denn ich habe eine Menge der wichtigsten Ursachen,
die mich überzeugen, daß es eine Fee gewesen ist.Hier war Don Eugenio im Begriff, die Geduld zu verlieren,
und er hatte alle nur ersinnliche Mühe, seine ersten
Bewegungen zurück zu halten. Wenn Sie keine andere Bedenklichkeit
haben, sagte er endlich, nachdem er sich wieder
gefaßt hatte, so haben wir nicht nöthig, uns hierüber zu
beunruhigen. Was hindert uns zu glauben, daß die Zigeunerin,
welche Jacinten raubte, und die Fee, die Ihre Schwester
unsichtbar gemacht hat, eine und ebendieselbe Person war?
Wir wollen uns nicht bei dem Namen aufhalten. Glauben
Sie mir, alle ihre Carabossen, Fanferluchen, Concombres
und Magotinen sind nicht mehr noch weniger Feen gewesen,
als diese Zigeunerin; und wer weiß, ob sich nicht am Ende
zeigen wird, daß die Feerei an Jacintens Geschichte mehr
Antheil hatte, als sie sich selbst einbildet?Don Sylvio fand diesen Gedanken sehr gut, und beide
strengten nunmehr allen ihren Witz an, sich in einer Einbildung
zu bestärken, die ihren Neigungen schmeichelte. Unser
Held zweifelte nicht, daß sich das Geheimniß in Kurzem, und
ehe man sich dessen versehen würde, durch die plötzliche Erscheinung
der Fee von selbst aufklären werde; und Don Eugenio
machte von Neuem Anstalten, die Zigeunerin, von welcher
er über die Genealogie seiner geliebten Jacinte mehr
Licht erwartete, als von allen Feen der ganzen Welt, herbei
zu schaffen, sie möchte sich auch verkrochen haben, wohin sie wollte.Während dieser Unterredung hatte sich Donna Felicia in
ihr Cabinet begeben, wo sie, indessen Laura mit Jacintens
Aufputz beschäftiget war, das Vergnügen hatte, ihren Gedanken
ungestört Gehör zu geben. Ohne Zweifel hatte sie
Ursache genug, mit den Vortheilen zufrieden zu seyn, die sie
bereits über unsern Helden erhalten hatte. Aber die Liebe
ist, wie man weiß, so furchtsam, daß sie sich oft am weitesten
von ihrem Glück entfernt zu seyn glaubt, wenn sie ihm am
nächsten ist. Donna Felicia befand sich dießmal in diesem
Fall, und die übertriebene Vorstellung, die sie sich von der
Schwierigkeit machte, den blauen Schmetterling aus dem
Herzen ihres Ueberwinders zu verdrängen, beredete sie, daß
es unumgänglich nothwendig sey, ihn mit stärkern Waffen zu
bekämpfen, als bisher. Insonderheit hielt sie es für sehr
nachtheilig, wenn sie ihm Zeit lassen würde, sich in Gegenverfassung
zu setzen. Ihrer Meinung nach konnte sein Herz
nicht anders als mit Sturm erobert werden, und eine jede
Minute, worin es nicht von ihren Blicken beschlossen wurde,
schien ihr die Lücken wieder zu ergänzen, die sie darin gemacht
haben könnten. Unter diesen Betrachtungen fiel ihr ein, ihn
zu ihrer Toilette rufen zu lassen; und nachdem sie diesen
Gedanken in weniger als einer Viertelstunde wohl zwanzigmal
gebilliget und wieder verworfen hatte, so behielt er doch
zuletzt die Oberhand, und Laura bekam einen Wink, ihm
(wiewohl nur in ihrem eigenen Namen) zu verstehen zu geben,
daß ihre Dame sichtbar sey.Wir hätten hier einen schönen Anlaß, unsere Geschicklichkeit
sowohl in Gemälden, die eine gewisse Zartheit des Pinsels
erfordern, als in Zergliederung der Empfindungen und Entwicklung
der geheimsten Triebfedern des menschlichen Herzens
zu zeigen, wenn wir uns in eine Beschreibung Alles dessen
einlassen wollten, was bei diesem Besuche, wobei Jacinte und
Laura gegenwärtig waren, vorgegangen. Allein, da unsere
Eitelkeit durch die Proben, die wir unsern Lesern bereits davon
gegeben zu haben glauben, schon hinlänglich befriediget
ist: so werden sie erlauben, daß wir, ohne unsere Bequemlichkeit
immer ihrem Vergnügen aufzuopfern, uns für dießmal
begnügen, ihnen zu sagen: daß die schöne Felicia ihre Absichten
vollkommen erreicht habe, oder (wenn dieser Ausdruck
zu unbestimmt scheinen möchte) daß alle die phantastischen
Entzückungen, worin die Feen und die Liebe zu einem chimärischen
Gegenstand unsern Helden von Zeit zu Zeit gesetzt
hatten, sich zu denjenigen, die er bei dieser Gelegenheit
erfuhr, gerade so verhielten, wie ein Schmetterling zu einer
reizenden Wittwe von achtzehn Jahren.Wenn Donna Felicia bei ihrer Toilette Anlaß gehabt
hatte, unserm Helden ihre materielle Schönheit in dem
mannigfaltigsten und vortheilhaftesten Lichte zu zeigen, so
unterließ sie nicht, über der Tafel seine Bezauberung durch
die intellectuellen Reizungen ihres Geistes (die unter dem
Flor der sichtbaren Schönheit so verführerisch sind) auf den
höchsten Grad zu treiben. Die Nachmittagshitze war dieses
Mal so erträglich, daß man über dem Vergnügen eines aufgeweckten
Umgangs die gewöhnliche Sieste vergaß; und Don
Sylvio, der lauter Auge, Ohr und Seele für seine Göttin
war, würde sogar das Mährchen vergessen haben, womit Don
Gabriel die Gesellschaft zu beschenken versprochen hatte, wenn
er, bei einem Spaziergange, den man des Abends in dem
Myrtenwäldchen machte, nicht von Jacinten daran erinnert
worden wäre. Weil die Absicht dabei war, eine Probe zu
machen, wie weit das Vorurtheil und die Einbildung bei unserm
Helden gehe, so hatte Don Gabriel die Uebrigen schon vorbereitet,
von seinem Mährchen den höchsten Grad des Abenteuerlichen
und Widersinnigen zu erwarten. Allein dieß machte sie nur
desto begieriger zu sehen, wie er sich aus der Sache ziehen würde.Jacinte hatte also kaum des Prinzen Biribinker erwähnt,
so vereinigte sich die ganze Gesellschaft, ihm anzuliegen, daß
er ihre Ungeduld nach der versprochenen Geschichte befriedigen
möchte. Don Sylvio selbst erwachte, sobald er hörte, daß
von einem Feenmährchen die Rede war, aus der süßen
Träumerei, in welche ihn die schöne Donna Felicia seit einer
geraumen Weile gesetzt hatte. So groß ist die Macht der
Gewohnheit! und so wenig kann der vollkommenste Gegenstand
von unserer Aufmerksamkeit Meister bleiben, sobald sich
uns ein anderer, wie klein und eitel er immer vergleichungsweise
seyn mag, darstellt, der einmal im Besitz ist, eine gewisse
Gewalt über unsere Einbildung oder unsere Sinne auszuüben!Nachdem sie also in einer mit Jasmin bewachsenen
Sommerlaube Platz genommen, fing Don Gabriel, nach einer
kurzen Vorrede zum Lobe des glaubwürdigen Geschichtschreibers
Paläphatus, diejenige Erzählung an, womit wir den geneigten
Leser in dem folgenden Buche zu unterhalten gedenken.Sechstes Buch.Erstes Capitel:Geschichte des Prinzen Biribinker.In einem Lande, dessen weder Strabo noch Martiniere
Erwähnung thut, lebte einst ein König, der den Geschichtschreibern
so wenig zu verdienen gab, daß sie aus Rachbegierde
mit einander einig wurden, ihm sogar die Ehre, da
gewesen zu seyn, bei der Nachwelt streitig zu machen. Allein
alle ihre boshaften Bemühungen haben nicht verhindern können.
daß sich nicht einige glaubwürdige Urkunden erhalten hätten, in
welchen man Alles findet, was sich ungefähr von ihm sagen ließ.Diesen Urkunden zufolge war er eine gute Art von einem
Könige, machte des Tages seine vier Mahlzeiten, hatte einen
guten Schlaf und liebte Ruhe und Frieden so sehr, daß es
bei hoher Strafe verboten war, die bloßen Namen Degen,
Flinte, Kanone und dergleichen in seiner Gegenwart zu
nennen. Das Merkwürdigste an seiner Person war ein Wanst
von einer so majestätischen Peripherie, daß ihm die größten
Monarchen seiner Zeit hierin den Vorzug lassen mußten. Ob
ihm der Beiname des Großen, den er bei seinen Lebzeiten
geführt haben soll, um dieses nämlichen Wanstes oder einer
andern geheimen Ursache willen gegeben worden, davon läßt
sich nichts Gewisses sagen: so viel aber ist ausgemacht, daß
in dem ganzen Umfange seines Reichs Niemand war, den
dieser Beiname einen einzigen Tropfen Bluts gekostet hätte;
und dieß ist mehr, als man von Alexander dem Großen,
Constantin dem Großen, Karl dem Großen, Otto dem Großen,
Ludwig dem Großen und zwanzig Anderen, welche auf Unkosten
des menschlichen Geschlechtes groß gewesen sind, sagen
kann. Wie es darum zu thun gewesen war, daß Seine
Majestät aus Liebe zu Dero Völkern und zu Erhaltung der
Thronfolge in Dero Familie sich vermählen sollte, so hatte
die Akademie der Wissenschaften nicht wenig zu thun, ein
genau bestimmtes Modell anzugeben, welchem eine Prinzessin
gleich seyn mußte, um sich möglicher Weise versprechen zu
können, daß sie die Hoffnung der Nation zu erfüllen fähig
seyn würde. Nach einer langen Reihe von akademischen
Sitzungen wurde endlich das verlangte Modell, und durch
eine große Menge von Gesandtschaften, die an alle Höfe von
Asien geschickt wurden, zuletzt auch die Prinzessin ausfindig
gemacht, die mit demselben übereinstimmte. Die Freude über
ihre Ankunft war außerordentlich, und das Beilager wurde
mit so großer Pracht vollzogen, daß wenigstens fünfzigtausend
Paare von den königlichen Unterthanen sich entschließen mußten,
unverheirathet zu bleiben, um Seiner Majestät die Unkosten
der Hochzeit bestreiten zu helfen. Der Präsident der Akademie,
der, ungeachtet er der schlechteste Geometer seiner Zeit war,
sich alle Ehre der obgedachten Erfindung beizulegen gewußt
hatte, glaubte mit gutem Grunde, daß nunmehr sein ganzes
Ansehen von der Fruchtbarkeit der Königin abhange; und
weil er in der Experimentalphysik ungleich stärker war, als
in der Geometrie, so fand er, man weiß nicht, was für ein
Mittel, die Berechnungen der Akademie wahr zu machen.
Kurz, die Königin gebar zu gehöriger Zeit den schönsten
Prinzen, der jemals gesehen worden ist, und der König hatte
eine so große Freude darüber, daß er den Präsidenten auf
der Stelle zu seinem ersten Wessir ernannte.Sobald der Prinz geboren war, versammelte man zwanzigtausend
junge Mädchen von ungemeiner Schönheit, die man
zum voraus aus allen Enden des Reichs zusammenberufen
hatte, um eine Säugamme für ihn auszuwählen. Der erste
Leibarzt hatte nicht nur verordnet, daß die Wahl auf die
Schönste fallen sollte, sondern er hatte sich auch, kraft seines
Amtes, ausbedungen, die Wahl in eigner Person vorzunehmen,
wiewohl er, seines blöden Gesichts wegen, eine
Brille dazu vonnöthen hatte. Dieser Brille ungeachtet hatte
der Herr Leibarzt, der ein Kenner war, viele Noth, aus
zwanzigtausend Schönen die Schönste auszusuchen; und der
Tag neigte sich bereits zum Ende, ehe er es so weit gebracht
hatte, die Candidatinnen von zwanzigtausend auf vierundzwanzig
zu bringen. Allein, da doch endlich eine Wahl getroffen
werden mußte, so war er eben im Begriff, unter den
vierundzwanzig einer großen Brunette den Vorzug zu geben,
weil sie unter allen den kleinsten Mund und den schönsten
Busen hatte —Eigenschaften, die, wie er versicherte, Galenus
und Avicenna schlechterdings von einer guten Amme fordern:
als man unvermuthet eine gewaltig große dicke Biene nebst
einer schwarzen Ziege ankommen sah, welche vor die Königin
gelassen zu werden begehrten.Frau Königin, sprach die Biene, ich höre, Sie suchen
eine Amme für Ihren schönen Prinzen. Wenn Sie das
Vertrauen zu mir haben wollten, mir vor diesen zweibeiniges
Creaturen den Vorzug zu geben, so sollte es Sie nicht reuen.
Ich will den Prinzen mit lauter Honig von Pomeranzenblüthen
säugen, und Sie sollen Ihre Lust daran sehen, wie
groß und fett er dabei werden soll. Sein Athem soll so
lieblich riechen wie Jasmin, sein Speichel soll süßer seyn
als Canariensect, und seine Windeln —Gestrenge Frau Königin, fiel ihr die Ziege ins Wort,
nehme Sie sich vor dieser Biene in Acht, ich will's Ihr als
eine gute Freundin gerathen haben. Wahr ist's, wenn Ihr
viel daran gelegen ist, daß ihr junges Herrchen süß werde,
so taugt sie dazu besser, als irgend eine Andere; aber es
lauert eine Schlange unter den Blumen. Sie wird ihn mit
einem Stachel begaben, der ihm viel Unglück zuziehen wird.
Ich bin nur eine schlechte Ziege; aber bei meinem Bart!
meine Milch wird dem Prinzchen weit besser zuschlagen, als
ihr Honig; und wenn er schon weder Nektar noch Ambrosia
machen wird, so versprech' ich Ihr dagegen, daß er der tapferste,
klügste und glücklichste unter allen Prinzen seyn soll,
die jemals Ziegenmilch getrunken haben.Jedermann verwunderte sich, da man die Ziege und die
dicke Biene so reden hörte. Allein die Königin merkte gleich,
daß es Feen seyn müßten, und das machte sie eine ziemliche
Weile unschlüssig, was sie thun sollte. Endlich erklärte sie
sich für die Biene; denn, weil sie ein wenig geizig war, so
dachte sie: Wenn die Biene Wort hält, so wird der Prinz
allenthalben so viel Süssigkeiten von sich geben, daß man das
Confect für die Tafel wird ersparen können.Die Ziege schien es sehr übel zu nehmen, daß sie abgewiesen
wurde, sie meckerte dreimal etwas Unverständliches in
ihren Bart hinein, und siehe, da erschien ein prächtig lackierter
und vergoldeter Wagen, von acht Phönixen gezogen; die
schwarze Ziege verschwand in dem nämlichen Augenblick, und
an ihrer Statt sahe man ein kleines altes Weibchen in dem
Wagen sitzen, die mit vielen Drohungen gegen die Königin
und den jungen Prinzen durch die Luft davon fuhr.Der Leibarzt war über eine so seltsame Wahl nicht wenig
mißvergnügt und wollte eben der Brunette mit dem schönen
Busen den Antrag machen, ob sie nicht Lust hätte, die Stelle
einer Hausmeisterin bei ihm einzunehmen; aber, da ihm, zum
Unglück, ein Herr vom Hofe zuvorgekommen war, so mußte
er sich gefallen lassen, mit einer von den übrigen neunzehn
tausend neun hundert und sechs und siebzig fürlieb zu nehmen;
denn die vier und zwanzig waren alle schon bestellt.Inzwischen machten die Drohungen der schwarzen Ziege
dem Könige so bange, daß er noch an dem nämlichen Abend
seinen Staatsrath versammelte, um sich zu berathen, was
bei so gefährlichen Umständen zu thun seyn möchte. Denn,
weil er gewohnt war, sich jede Nacht mit Mährchen einschläfern
zu lassen, so wußte er wohl, daß die Feen nicht für die
lange Weile zu drohen pflegen. Nachdem nun die weisen
Männer alle bei einander waren, und ein jeder seine Meinung
gesagt hatte, so fand sich's, daß sechs und dreißig Räthe
in großen vierecken Perrücken nicht weniger als sechs und
dreißig Vorschläge gethan hatten, wovon jeder wenigstens
mit sechs und dreißig Schwierigkeiten behaftet war. Man
stritt in mehr als sechs und dreißig Sessionen mit vieler
Lebhaftigkeit, und der Prinz wurde vermuthlich mannbar
geworden seyn, bevor man eines Schlusses hätte einig werden
können; wenn nicht der erste Hofnarr Seiner Majestät den
Einfall gehabt hätte, daß man eine Gesandtschaft an den
großen Zauberer Caramussal schicken sollte, der auf der Spitze
des Berges Atlas wohnte und von allen Orten her wie ein
Oralel um Rath gefragt wurde. Weil nun der Hofnarr das
Herz des Königs hatte und in der That für den besten
Kopf des ganzen Hofes gehalten wurde, so fiel ihm Jedermann
bei, und in wenig Tagen wurde eine Gesandtschaft abgeschickt,
welche (die Tagegelder zu ersparen) mit so großer Geschwindigkeit
reiste, daß sie in drei Monaten auf der Spitze des
Berges Atlas anlangte, wiewohl er beinahe zwei hundert
Meilen von der Hauptstadt entfernt war.Sie wurden sogleich vor den großen Caramussal gelassen,
der, in einem prächtigen Saal auf einem Throne von Ebenholz
sitzend, den ganzen Tag genug zu thun hatte, auf alle
die wunderlichen Fragen Antwort zu geben, die aus allen
Theilen der Welt an ihn gebracht wurden. Der erste Abgesandte,
nachdem er sich den Bart gestrichen und dreimal
geräuspert hatte, öffnete eben einen ziemlich großen Mund,
um eine schöne Anrede herzusagen, die ihm sein Secretair
aufgesetzt hatte, als ihn Caramussal unterbrach. — "Herr
Abgesandter, sagte er, ich schenke Ihnen Ihre Rede; Sie
können sie vielleicht bei einer andern Gelegenheit besser nützen;
denn ich habe selbst den ganzen Tag so viel zu reden, daß
mir keine Zeit zum Hören übrig bleibt; und zudem weiß
ich schon voraus, was Sie bei mir anzubringen haben.
Sagen Sie dem König, Ihrem Herrn, er habe sich an der
Fee Caprosine eine mächtige Feindin gemacht; indessen sey
es doch nicht unmöglich, den Zufällen, welche sie dem Prinzen
angedroht hat, auszuweichen, wenn man die gehörige Vorsicht
gebrauche, daß er vor seinem achtzehnten Jahre kein
Milchmädchen zu sehen bekomme. Weil es aber, aller Vorsicht
ungeachtet, eine sehr schwere, wo nicht unmögliche Sache
ist, seinem Schicksale zu entgehen, so sey mein Rath, daß
man, um auf alle Fälle gefaßt zu seyn, dem Prinzen den
Namen Biribinker gebe, dessen geheime Kräfte allein mächtig
genug sind, ihn aus allen den Abenteuern, die ihm zustoßen
könnten, glücklich heraus zu führen." — Mit diesem Bescheid
entließ Caramussal die Gesandtschaft, welche nach Verfluß
abermaliger drei Monate unter allgemeinem Zujauchzen des
Volks wieder in der Hauptstadt ihres Landes anlangte.Der König fand die Antwort des großen Caramussal so
ungereimt, daß er nicht wußte, ob er darüber lachen oder
ungehalten werden sollte. Bei meinem Bauch! rief er (denn
das war sein Schwur), ich glaube, der große Caramussal
treibt seinen gnädigen Spaß mit uns. — Biribinker! was
für ein verwünschter Name das ist! Hat man auch jemals
gehört, daß ein Königssohn Biribinker geheißen hätte? Ich
möchte doch wissen, was für eine geheime Kraft in diesem
vertrackten Namen stecken soll! Und, die Wahrheit zu sagen,
das Verbot, ihm vor seinem achtzehnten Jahre kein Milchmädchen
sehen zu lassen, ist nicht um ein Haar gescheidter.
Warum denn gerade kein Milchmädchen? Seit wann sind
die Milchmädchen gefährlicher, als andere Mädchen? Wenn
er noch gesagt hätte, keine Tänzerin oder kein Kammerfräulein
von der Königin, das wollt' ich noch gelten lassen;
denn (unter uns) ich wollte nicht gut dafür seyn, daß ich
nicht selbst gelegentlich eine kleine Anfechtung dieser Art
bekommen könnte. Indessen, weil es der große Caramussal
nun einmal so haben will, so mag denn der Prinz meinethalben
Biribinker heißen! Er wird wenigstens der Erste
dieses Namens seyn, und das gibt einem doch immer ein
gewisses Ansehen in der Geschichte; und was die Milchmädchen
betrifft, so will ich schon Anstalt machen, daß auf
fünfzig Meilen um meine Residenz weder Kuh noch Ziege,
Melkkübel noch Milchmädchen zu finden seyn soll.Der König, dessen geringste Sorge zu seyn pflegte, die
Folgen seiner Entschließung vorher zu überlegen, war eben
im Begriff, ein Edict deßhalb ergehen zu lassen, als ihm
sein Parlament durch eine zahlreiche Deputation vorstellen
ließ, daß es sehr hart, um nicht gar tyrannisch zu sagen,
herauskommen würde, wenn Seiner Majestät getreue Unterthanen
gezwungen werden sollten, ihren Kaffee künftig ohne
Milchrahm zu trinken. Und weil die vorläufige Nachricht
von diesem Edict wirklich schon ein großes Murren unter
s
dem Volk erregte: so mußten sich Seine Majestät endlich
entschließen, nach dem Beispiele so vieler anderer .würge in
den Feengeschichten, Dero Kronprinzen unter der Aufsicht
seiner Amme, der Biene, von sich zu entfernen und es der
Klugheit der letztern zu überlassen, wie sie ihn vor den Nachstellungen
der Fee Caprosine und vor den Milchmädchen sicher
stellen wollte.Die Biene brachte den kleinen Prinzen in einen Wald,
der wenigstens zweihundert Meilen im Umfang hatte und
so unbewohnt war, daß man in seinem ganzen Bezirke nicht
einen Maulwurf gefunden hätte. Sie baute durch ihre Kunst
einen unermeßlichen Bienenkorb von rothem Marmor und
legte um denselben einen Park von Pomeranzenbäumen an,
der sich über fünf und zwanzig Meilen in die Lange und
Breite erstreckte. Ein Schwarm von fünfmal hundert tausend
Bienen, deren Königin sie war, beschäftigte sich, für den
Prinzen und den Harem der Königin Honig zu machen;
und damit man seinetwegen vollkommen sicher seyn könnte,
so wurden rings um den Wald alle fünfhundert Schritte
Wespennester angelegt, welche Befehl hatten, die Gränzen
aufs schärfte zu bewachen.Indessen wuchs der Prinz heran und übertraf durch seine
Schönheit und wunderbare Eigenschaften Alles, was jemals
gesehen worden ist. Er spukte lauter Rosensyrup, er pißte
lauter Pomeranzenblüthwasser, und seine Windeln enthielten
die köstlichsten Sachen von der Welt. Sobald er zu reden
anfing, lallte er Epigrammen, und sein Witz wurde nach und
nach so stachlig, daß ihm keine Biene mehr gewachsen war,
obgleich die dümmste im ganzen Korbe zum wenigstens so
viel Witz hatte als ein Mitglied der deutschen Gesellschaft
zu ***.Allein kaum hatte er sein siebzehntes Jahr erreicht, so regte
sich ein gewisser Instinct bei ihm, der ihm sagte, daß er nicht
dazu gemacht sey, sein Leben in einem Bienenkorbe zuzubringen.
Die Fee Melisotte (so nannte sich seine Amme) wandte
zwar Alles an, ihren Zögling aufzumuntern und zu zerstreuen:
sie verschrieb ihm eine Anzahl sehr geschickter Katzen,
die ihm alle Abend ein französisches Concert oder eine Oper
von Lulli vormiauen mußten; er hatte ein Hündchen, das
auf dem Seile tanzte, und ein Duzend Papagaien und Elstern,
die nichts zu thun hatten, als ihm Mährchen zu erzählen,
und ihn mit ihren Einfällen zu unterhalten. Allein das
wollte Alles nicht helfen; Biribinker sann Tag und Nacht
auf nichts Anderes, als wie er aus seiner Gefangenschaft entwischen
möchte. Die größte Schwierigkeit setzten ihm die
verwünschten Wespen entgegen, die den Wald bewachten und
in der That Thierchen waren, die einem Hercules hätten
bang machen können. Denn sie waren so groß wie junge
Elephanten, und ihr Stachel hatte die Figur und beinahe
auch die Größe der Morgensterne, deren sich die alten
Schweizer zu Behauptung ihrer Freiheit bedienten. Da er
sich nun einsmals voller Verzweiflung über seine Gefangenschaft
unter einen Baum geworfen hatte, näherte sich ihm
eine Art von Hummel, welche, wie alle übrige männliche
Bewohner des Bienenstocks, die Größe eines halb gewachsenen
Bären hatte."Prinz Biribinker," sagte die Hummel, "wenn Sie lange
Weile haben, so versichere ich Sie, daß es mir noch schlimmer
geht. Die Fee Melisotte, unsere Königin, hat mir seit etlichen
Wochen die Ehre angethan, mich zu ihrem ersten Liebling zu
erkiesen; aber ich gestehe Ihnen, daß ich der Last meines
Amtes nicht gewachsen bin. Wenn Sie wollten, Prinz, so
wäre es Ihnen ein Leichtes, Sich selbst und mir die Freiheit
zu verschaffen." — Was ist denn zu thun? fragte der Prinz.
— "Ich bin nicht allezeit eine Hummel gewesen, antwortete
der mißvergnügte Liebling, und Sie allein sind im
Stande, mir meine erste Gestalt wieder zu geben. Setzen
Sie sich auf meinen Rücken. Es ist Abend; die Königin
ist in ihrer Zelle in Geschäften begriffen; ich will
mit Ihnen davon fliegen; aber Sie müssen mir versprechen,
daß Sie thun wollen, was ich von Ihnen
verlange."Der Prinz versprach es, setzte sich ohne Bedenken auf, und
die Hummel flog so schnell mit ihm davon, daß sie in sieben
Minuten aus dem Walde waren. — "Nunmehr," sprach die
Hummel, "sind Sie in Sicherheit. Die Macht des alten
Zauberers Padmanaba, der mich in diese Umstände gebracht
hat, erlaubt mir nicht weiter mit Ihnen zu gehen; aber
hören Sie, was ich Ihnen sagen werde! Wenn Sie auf
diesem Wege linker Hand fortgehen, so werden Sie endlich
auf eine große Ebene kommen, wo Sie eine Heerde himmelblauer
Ziegen sehen werden, die um eine kleine Hütte herum
weiden. Nehmen Sie sich ja in Acht, daß Sie nicht in die
Hütte hinein gehen, oder Sie sind verloren! Halten Sie
sich immer linker Hand und gehen fort, bis Sie endlich zu
einem verfallenen Palast kommen, dessen noch übrige Pracht
Ihnen beweisen wird, was er ehemals gewesen ist. Sie werden
durch etliche Höfe an eine große Treppe von weißem
Marmor gelangen, welche Sie in einen langen Gang führen
wird, wo Sie zu beiden Seiten eine Menge prächtiger und
hell erleuchteter Zimmer finden werden. Gehen Sie ja in
keines derselben hinein, sonst schließt es sich augenblicklich
von selbst wieder zu, und keine menschliche Gewalt kann Sie
wieder heraus bringen. Sie werden aber eines davon verschlossen
finden, und dieses wird sich öffnen, sobald sie den
Namen Biribinker aussprechen. In diesem Zimmer bringen
Sie die Nacht zu. Das ist Alles, was ich von Ihnen verlange.
Glückliche Reise, gnädiger Herr! und wenn Sie sich
bei meinem Rathe wohl befinden, so vergessen Sie nicht,
daß ein Dienst des andern werth ist. "Mit diesen Worten flog die Hummel davon und ließ
den Prinzen in keinem mittelmäßigen Erstaunen über Alles,
was sie ihm gesagt hatte. Voller Ungeduld nach den wundervollen
Begebenheiten, die ihm bevorstanden, ging er die
ganze Nacht durch; denn es war Mondschein und mitten im
Sommer. Des Morgens erblickte er die Wiese, die Hütte
und die himmelblauen Ziegen. Er erinnerte sich des Verbots
gar wohl, das die Hummel ihm so nachdrücklich eingeschärft
hatte; allein er fühlte beim Anblick der Ziegen und
der Hütte eine Art von Anziehung, der nicht zu widerstehen
war. Er ging also in die Hütte hinein, fand aber Niemand
darin, als ein junges Milchmädchen in einem schneeweißen
Leibchen und Unterrocke. Sie war eben im Begriff, etliche
Ziegen zu melken, die an einer diamantenen Krippe angebunden
standen. Der Melkkübel, den sie in ihrer schönen
Hand hielt, war aus einem einzigen Rubin gemacht, und
statt des Strohes war der Stall mit lauter Jasmin- und
Pomeranzenblüthen bestreut. Alles das war bewundernswürdig
genug; allein der Prinz bemerkte es kaum, so sehr hatte
ihn die Schönheit des Milchmädchens geblendet. In der
That, Venus in dem Augenblicke, da sie von den Zephyrn
ans Gestade von Paphos getragen wurde, oder die junge
Hebe, wenn sie halb aufgeschürzt den Göttern Nektar einschenkt,
waren weder schöner noch reizender als dieses Mädchen.
Ihre Wangen beschämten die frischesten Rosen, und die
Perlenschnuren, womit ihre Arme und die kleinen netten
Füßchen umwunden waren, schienen bloß da zu seyn, um die
blendende Weiße derselben zu erhöhen. Nichts konnte zierlicher
und reizender seyn, als ihre Gesichtszüge und ihr
Lächeln; über ihr ganzes Wesen war ein Ausdruck von
Zärtlichkeit und Unschuld verbreitet, und ihre kleinsten Bewegungen
hatten den namenlosen Reiz, dem die Herzen beim
ersten Anblick entgegen fliegen. Diese bezaubernde Person
schien auf eine eben so angenehme Art über den Prinzen
Biribinker betroffen, als er über sie; halb unschlüssig, ob sie
bleiben oder fliehen wollte, blieb sie stehen und betrachtete ihn
mit einem verschämten Blicke, worin Schüchternheit und
Vergnügen sich zu mischen schienen. Ja, ja, rief sie endlich
aus, indem sich der Prinz zu ihren Füßen warf, er ist es, er
ist es! —Wie? rief der entzückte Prinz, der aus diesen Worten
schloß, das sie ihn schon kenne, und daß er ihr nicht gleichgültig
sey; ist der allzu glückliche Biribinker —Götter! schrie das Milchmädchen, indem sie bestürzt
zurückbebte, was für einen verhaßten Namen hör' ich! Wie
sehr haben meine Augen und mein voreiliges Herz mich betrogen!
Fliehe, fliehe, unglückliche Galaktine! — Mit diesen
Worten floh sie wirklich so schnell aus der Hütte, als ob sie
der Wind davon führte.Der bestürzte Prinz, der den Abscheu nicht begreifen
konnte, in welchen sich die anfängliche Freundlichkeit des
schönen Milchmädchens so plötzlich bei Hörung seines Namens
verwandelte, lief ihr nach, so schnell als er konnte; allein
sie flog, daß ihre Fußsohlen kaum die Spitzen des Grases
berührten. Umsonst beflügelten die Schönheiten, die ihr stotterndes
Gewand jeden Augenblick entdeckte, die Begierden
und die Füße des nacheilenden Prinzen; er verlor sie in
einem dichten Gebüsche, wo er den ganzen Tag hin und wieder
lief und jedem Rascheln oder Flüstern, das er hörte,
nachging, ohne daß er die mindeste Spur von ihr finden konnte.Indessen war die Sonne untergegangen, und er befand
sich unvermerkt an der Pforte eines alten halb eingefallenen
Schlosses. Allenthalben ragten Mauerstücke von Marmor und
umgestürzte Säulen von den kostbarsten Edelsteinen aus dem
Gesträuch hervor, und er stieß sich alle Augenblicke an Trümmern,
wovon der schlechteste eine Insel auf dem festen Lande
werth war. Er merkte hieraus, daß er bei dem Palaste sey,
wovon ihm sein guter Freund Hummel gesprochen hatte, und
hoffte (wie die Verliebten hoffnungsvolle Leute zu seyn
pflegen), sein holdseliges Milchmädchen hier vielleicht wieder
zu finden. Er arbeitete sich durch drei Vorhöfe durch und
kam endlich an die Treppe von weißem Marmor. Zu beiden
Seiten stand auf jeder Stufe, deren wenigstens sechzig waren,
ein großer geflügelter Löwe, welcher bei jedem Athemzuge so
viel Feuer aus seinen Nasenlöchern schnaubte, daß es heller
als bei Tage davon wurde; aber es versengte ihm auch nicht
ein Haar, und die Löwen sahen ihn nicht so bald, so spannten
sie ihre Flügel aus und flogen mit großem Gebrülle
davon.Prinz Biribinker ging hinauf und kam in eine lange
Galerie, wo er die offnen Zimmer fand, vor welchen ihn
die Hummel gewarnt hatte. Jedes derselben führte in zwei
oder drei andere, und die Pracht, womit sie eingerichtet und
ausgeschmückt waren, übertraf Alles, was sich seine Einbildungskraft
vorstellen konnte, ungeachtet ihm die Feerei nichts
Neues war. Allein dießmal nahm er sich wohl in Acht, seiner
Neugier den Zügel zu lassen, und ging so lange fort,
bis er an eine verschlossene Thür von Ebenholz kam, in
welcher ein goldener Schlüssel steckte. Er versuchte lange vergeblich
ihn umzudrehen; aber, sobald er den Namen Biribinker
ausgesprochen hatte, sprang die Thür von selbst auf,
und er befand sich in einem großen Saale, dessen Wände ganz
mit krystallenen Spiegeln überzogen waren. Er wurde von
einem diamantenen Kronleuchter erhellt, an welchem in mehr
als fünf hundert Lampen lauter Zimmtöl brannte. In der
Mitte stand ein kleiner Tisch von Elfenbein mit smaragdenen
Füßen, für zwei Personen gedeckt, und zur Seite zwei
Schenktische von Lasurstein, die mit goldenen Tellern, Bechern,
Trinkschalen und anderm Tischgeräthe versehen waren.
Nachdem er Alles, was sich in diesem Saale seinen Augen
darbot, eine gute Weile mit Erstaunen betrachtet hatte, erblickte
er eine Thür, durch die er in verschiedene andre Zimmer
kam, wovon immer eines das andere an Pracht der
Auszierung überglänzte. Er besah Alles Stück für Stück
und wußte nicht, was er davon denken sollte. Die Zugänge
zu diesem Palast hatten ihm ein zerstörtes Schloß angekündiget;
das Inwendige schien keinen Zweifel übrig zu lassen
daß es bewohnt sey; und doch sah und hörte er keine lebendige
Seele. Er durchging alle diese Zimmer noch einmal, er
suchte überall und entdeckte endlich in dem letzten noch eine
kleine Tapetenthür. Er öffnete sie und befand sich in einem
Cabinet, worin die Feerei sich selbst übertroffen hatte. Ein
angenehmes Gemisch von Licht und Schatten erheiterte es,
ohne daß man die Quelle dieser zauberischen Dämmerung
entdecken konnte. Die Wände von polirtem schwarzem Granit
stellten, wie eben so viele Spiegel, verschiedene Scenen
von der Geschichte des Adonis und der Venus mit einer
Lebhaftigkeit vor, die der Natur gleich kam, ohne daß man
errathen konnte, durch was für eine Kunst diese lebenden
Bilder sich dem Stein einverleibet hatten. Liebliche Gerüche,
wie von Frühlingswinden aus frisch aufblühenden Blumenstücken
herbeigeweht, erfüllten das ganze Gemach, ohne daß
man sah, woher sie kamen; und eine stille Harmonie, wie
von einem Concerte, das aus tiefer Ferne gehört wird,
umschlich eben so unsichtbar das bezauberte Ohr und schmelzte
das herz in zärtliche Sehnsucht. Ein weichliches Ruhebett,
von welchem ein marmorner Liebesgott, der zu athmen schien,
den wallenden Vorhang halb hinwegzog, war das einzige
Geräth in diesem anmuthsvollen Ort und erweckte in dem
Herzen unsers Prinzen ein geheimes Verlangen nach etwas,
wovon er nur dunkle Begriffe hatte, ob ihm gleich die Tapeten,
die er sehr aufmerksam und nicht onne eine süße Unruhe
betrachtete, einiges Licht zu geben anfingen. In diesen Augenblicken
stellte sich ihm das Bild des schönen Milchmädchens
mit einer neuen Lebhaftigkeit dar; und nachdem er eine
Menge vergeblicher Klagen über ihren Verlust angestimmt
hatte, fing er von Neuem an zu suchen, bis er müde wurde.
Weil er nun dießmal nicht glücklicher war als vorher, so
begab er sich wieder in das Cabinet mit dem Ruhebette, zog
seine Kleider aus und war im Begriff, sich niederzulegen;
als eines der unvermeidlichsten Bedürfnisse der menschlichen
Natur ihn nöthigte, sich unter dem Bette umzusehen. Er
fand wirklich ein zierliches Gefäß von Krystall, an welchem
noch Merkmale zu sehen waren, daß es vor Zeiten zu einem
solchen Gebrauch gedient hatte. Der Prinz fing an es mit
Pomeranzenblüthwasser zu begießen, als er, o Wunder! das
krystallene Gefäß verschwinden und an dessen Statt — eine
junge Nymphe vor sich stehen sah, die so schön war, daß er in
einem wundervollen Gemisch von Schrecken und Freude auf
etliche Angenblicke das Bewußtseyn seiner selbst verlor. Die
Nymphe lachte ihn freundlich an, und ehe er sich noch
aus seiner Bestürzung erholen konnte, sagte sie zu ihm:
"Willkommen, Prinz Biribinker! —Lassen Sie sich's nicht verdrießen,
einer jungen Fee einen Dienst gethan zu haben,
die ein barbarischer Eifersüchtiger über zwei Jahrhunderte
lang zu einem Werkzeuge der niedrigsten Bedürfnisse gemißbraucht
hat. Reden Sie aufrichtig, Prinz! finden Sie nicht,
daß mich die Natur zu einem edlern Gebrauche bestimmt
hat?"Diese unerwartete Frage brachte den sittsamen Biribinker
ein wenig aus der Fassung. Es fehlte ihm, wie wir wissen,
nicht an Witz; er hatte dessen vielmehr unendlich viel: aber,
weil er zum wenigsten eben so viel Unbesonnenheit hatte, so
begegnete ihm nicht selten, daß er gerade in dem Augenblicke,
wo eine widrige Antwort das einzige Mittel, sich zu helfen,
gewesen wäre, etwas höchst Albernes sagte, So ging es ihm
dießmal, da er sich in dem Falle sah, der Fee auf eine
Frage, die ihm in ihrer beider Lage gar zu naiv vorkam,
auf der Stelle etwas Verbindliches zu antworten. Es ist ein
Glück für Sie, schönste Nymphe, antwortete er ihr, daß ich
die Absicht nicht haben konnte, Ihnen den seltsamen Dienst
zu leisten, den ich Ihnen unwissender Weise geleistet habe;
denn ich versichere Sie, daß ich sonst allzuwohl gewußt hätte,
was der Wohlstand —O, machen Sie nicht so viel Complimente, erwiederte die
Fee; in den Umständen, worin sich unsere Bekanntschaft anfängt,
sind sie sehr überflüssig. Ich habe Ihnen nichts Geringeres
als mich selbst zu danken; und da wir nicht länger
als diese Nacht beisammen bleiben werden, so müßte ich mir
Vorwürfe machen, wenn ich Ihnen Anlaß gäbe, die Zeit mit
Complimenten zu verderben. Ich weiß, daß Sie der Ruhe
bedürftig sind; Sie sind schon ausgekleidet, legen Sie sich
immer zu Bette. Es ist zwar das einzige, das in diesen
Gemächern ist, aber es steht ein Canapee im großen Saal, auf
dem ich die Nacht ganz bequem werde zubringen können.Madame, versetzte der Prinz, ohne daß er selbst recht
wußte, was er sagte, ich würde in diesem Augenblicke — der
Glücklichste unter allen Sterblichen seyn — wenn ich nicht —
der Unglücklichste wäre. Ich muß Ihnen gestehen, ich finde
— was ich nicht gesucht habe — indem ich suchte, was ich
verloren hatte; und wenn nicht der Schmerz — Sie gefunden
zu haben, die Freude meines Verlusts — Nein, die Freude,
wollt' ich sagen, Sie gefunden zu haben ——Ie nun, wahrhaftig, fiel ihm die Fee ins Wort, ich
glaube, Sie reden im Fieber? Was wollen Sie mit allem
dem Galimathias sagen? Kommen Sie, Prinz Biribinker,
gestehen Sie mir in guter Prosa, daß Sie in ein Milchmädchen
verliebt sind? —Sie rathen so glücklich, sagte der Prinz, daß ich Ihnen
gestehen muß —O, daraus haben Sie sich gar kein Bedenken zu machen,
fuhr die Fee fort; und in ein Milchmädchen, das Sie diesen
Morgen in einer schlechten Hütte angetroffen haben, in einem
Stalle, wie man sagen möchte?Aber, ich bitte Sie, woher ——"Und die auf einer Streu von Pomeranzenblüthen im
Begriff war, eine himmelblaue Ziege in einen Kübel von
Rubin zu melken, nicht wahr?"Wahrhaftig! rief der Prinz, für eine Person, die vor einer
Viertelstunde (nehmen Sie mir's nicht ungnädig) noch — ich
will nicht sagen was war, wissen Sie erstaunlich viel —"Und das Mädchen lief davon, sobald sie den Namen
Biribinker hörte?"Aber, ich bitte Sie, Madame, woher können Sie das
Alles wissen, da Sie doch, wie Sie sagen, schon zweihundert
Jahre in dem sonderbaren Stande gewesen sind, worin ich
die Ehre gehabt habe Sie so unverhofft kennen zu lernen?Nicht so unverhofft auf meiner Seite, als Sie sich einbilden,
antwortete die Fee. Aber heißen Sie Ihre Neugierde
noch einen Augenblick ruhen! Sie sind abgemattet und haben
den ganzen Tag nichts gegessen; kommen Sie mit mir in
den Saal, es ist schon für uns beide gedeckt, und ich hoffe,
Ihre Treue gegen Ihr schönes Milchmädchen werde Ihnen
doch erlauben, mir wenigstens bei Tische Gesellschaft zu
leisten. Biribinker merkte den geheimen Verweis sehr wohl,
der in diesen Worten lag; er that aber nicht so und begnügte
sich, mit einer tiefen Verbeugung ihr in den Speisesaal zu folgen.Sobald sie hineingekommen waren, ging die schöne Krystalline
(so hieß die Fee) zum Kamin und bemächtigte sich
eines kleinen Stabes von Ebenholz, an dessen beiden Enden
ein diamantener Talisman befestiget war. Nun hab' ich
nichts weiter zu besorgen, sagte sie. Sehen Sie sich, Prinz
Biribinker. Ich bin nun Meisterin von diesem Palast und
von vierzigtausend elementarischen Geistern, die der große
Zauberer, der ihn vor fünfhundert Jahren erbaute, zum
Dienste desselben bestimmt hat.Mit diesen Worten schlug sie dreimal an den Tisch, und
in drei Augenblicken sah Biribinker, daß er sich mit den
niedlichsten Speisen besetzte, und die Flaschen auf dem Schenktische
sich von selbst mit Wein anfüllten.Ich weiß, sagte die Fee zum Prinzen, Sie essen nichts
als Honig; kosten Sie einmal von diesem hier, und sagen
Sie mir Ihre Meinung von ihm! — Der Prinz aß davon
und schwor, daß es nichts Geringers als das Ambrosia der
Götter seyn könne. — Er wird, sagte sie, aus den reinstem
Düften der unverwelklichen Blumen bereitet, die in den
Gärten der Sylphen blühen. Und was sagen Sie zu diesem
Weine? fuhr sie fort, indem sie ihm eine volle Trinkschale
darbot. — Ich schwöre Ihnen, rief der entzückte Prinz, daß
die schöne Ariadne dem jungen Bacchus keinen bessern eingeschenkt
hat. — Er wird, versetzte sie, aus den Trauben
gepreßt, die in den Gärten der Sylphen wachsen, und dem
Gebrauche desselben haben diese schönen Geister die unsterbliche
Jugend zu danken, die in ihren Adern wallt.Die Fee sagte nichts davon, daß dieser Nektar noch eine
andere Eigenschaft hatte, die der Prinz bald genug zu erfahren
anfing. Je mehr er davon trank, je reizender fand
er seine schöne Gesellschafterin. Beim ersten Zuge bemerkte
er, daß sie sehr schönes blondes Haar hatte; beim andern
wurde er von der Zierlichkeit ihrer Arme gerührt; beim dritten
entdeckte er ein Grübchen in ihrem linken Backen; und beim
vierten entzückten ihn andere Reizungen, die unter dem
Nebel eines dünnen Flors seinen Augen nachstellten. Ein
so zauberischer Gegenstand und eine Trinkschale, die sich
immer wieder von selbst anfüllte, waren mehr, als nöthig
war, um seine Sinne in ein süßes Vergessen aller Milchmädchen
der ganzen Welt einzuwiegen. Was sollen wir
sagen? Biribinker war zu höflich, eine so schöne Fee auf dem
Canapee schlafen zu lassen, und die schöne Fee zu dankbar,
ihm in einem Hause, wo vierzigtausend Geister spukten, ihre
Gesellschaft abzuschlagen. Kurz, die Höflichkeit wurde auf
der einen und die Dankbarkeit auf der andern Seite so weit
getrieben als möglich, und Biribinker schien die günstige
Meinung, welche Krystalline beim ersten Anblick von ihm
gefaßt hatte, so gut zu rechtfertigen, daß sie sich, mit Hülfe
einer eben so guten Meinung von sich selbst, Hoffnung machen
konnte, alle ihre Leiden durch ihn geendiget zu sehen.Die Fee erwachte, wie die Geschichte sagt, zuerst und
konnte den Uebelstand nicht ertragen, einen so außerordentlichen
Prinzen an ihrer Seite schlafen zu sehen. Prinz
Biribinker, sagte sie, nachdem sie ihn endlich aufgerüttelt
hatte, ich habe Ihnen keine gemeine Verbindlichkeiten. Sie
haben mich von der unanständigsten Bezauberung, die jemals
eine Person meines Standes erlitten hat, befreit; Sie haben
mich an einem Eifersüchtigen gerochen; nun ist nur noch
Eins übrig, und Sie können sich auf die unbegränzte Dankbarkeit
der Fee Krystalline Rechnung machen.Und was ist denn noch übrig? fragte der Prinz, indem er
sich die Augen rieb.So hören Sie denn, antwortete die Fee. Dieser Palast
gehörte, wie ich Ihnen schon gesagt habe, einem Zauberer,
dem seine Wissenschaft eine fast unumschränkte Macht über
alle Elemente gab. Allein seine Macht über die Herzen war
desto eingeschränkter. Zum Unglück war er, trotz dem schneeweißen
Barte, der ihm bis an den Gürtel herabhing, eine
der zärtlichsten Seelen, die jemals gewesen sind. Er verliebte
sich in mich; und wiewohl er die Gabe nicht hatte, sich wieder
lieben zu machen, so besaß er doch Macht genug, um gefürchtet
zu werden. Bewundern Sie die Wunderlichkeit des
Schicksals, mein Prinz! Ich versagte ihm mein Herz, welches
zu gewinnen er sich alle nur ersinnliche Mühe gab, und
überließ ihm meine Person, die ihm zu nichts nütze war.
Vor langer Weile wurde er endlich eifersüchtig, aber so eifersüchtig,
daß es nicht auszustehen war. Er hatte die schönsten
Sylphen zu seiner Bedienung, und doch ärgerte er sich über
die unschuldigsten Freiheiten, die wir uns mit einander
nahmen. Er brauchte einen nur in meinem Zimmer oder
auf meinem Canapee anzutreffen, so war ich schon gewiß,
daß ich ihn nicht wieder zu sehen bekommen würde. Ich
verlangte, er sollte sich auf meine Tugend verlassen; aber
auch diese schien dem Ungläubigen keine hinlängliche Bürgschaft
gegen ein Schicksal, das er so wohl zu verdienen sich
bewußt war. Kurz, er schaffte alle Sylphen ab und nahm
zu unserer Bedienung lauter Gnomen an: kleine mißgeschaffene
Zwerge, bei deren bloßem Anblick ich vor Ekel hätte ohnmächtig
werden mögen. Allein, wie die Gewohnheit endlich
Alles erträglich macht, so versöhnte sie mich auch nach und
nach mit diesen Gnomen und machte, daß ich zuletzt possirlich
fand, was mir anfangs abscheulich vorgekommen war.
Es fand sich keiner unter allen, der nicht etwas Uebermäßiges
in seiner Bildung gehabt hätte. Der eine hatte einen Höcker
wie ein Kameel, der andere eine Nase, die ihm bis über
den Mund herabhing, der dritte Ohren wie eine Horneule,
und ein Maul, das ihm den Kopf in zwei Halbkugeln spaltete,
der vierte einen ungeheuren Wanst; kurz, eine sinesische
Einbildungskraft kann nichts Abenteuerlicheres erfinden, als
die Gesichter und Gestalten dieser Zwerge. Allein der alte
Padmanaba hatte nicht bemerkt, daß sich unter seinen Anfwärtern
einer befand, der in einem gewissen Sinne gefährlicher
seyn konnte, als der schönste aller Sylphen. Nicht als
ob er weniger häßlich gewesen wäre, als die übrigen; aber
durch ein seltsames Spiel der Natur war bei ihm ein Verdienst,
was bei andern zu nichts diente, als die Augen zu
beleidigen. Ich weiß nicht, ob Sie mich verstehen, Prinz
Biribinker?Sehr mittelmäßig, versetzte der Prinz; aber erzählen Sie
nur weiter, vielleicht werden Sie in der Folge deutlicher
werden.Es währte nicht lange, fuhr die schöne Krystalline fort,
so hatte Grigri (so nannte sich der Gnom) Ursache zu glauben,
daß er mir weniger mißfalle als seine Gesellen. Was
wollen Sie? Man geräth auf allerlei Einfälle. wenn man
lange Weile hat. —Grigri besaß eine außerordentliche Gabe,
mißvergnügten Damen die Zeit zu vertreiben — mit einem
Wort, er wußte meine müßigen Stunden (und ich hatte
deren in der That sehr viele) auf eine so angenehme Art
auszufüllen, daß man nicht zufriedener seyn kann, als ich
war. Padmanaba bemerkte endlich die ungewohnte Fröhlichkeit
die aus meinem Gesicht und aus meinem ganzen Wesen
hervorschimmerte. Er zweifelte nicht, daß sie eine andere
Ursache haben müßte, als das Vergnügen, das er mir selbst
machte; aber er konnte nicht gleich errathen, was es für eine
seyn möchte. Zu meinem Unglück war er ein großer Meister
in derjenigen Art von Schlußreden, die man Kettenschlüsse
nennt; und ein solcher Kettenschluß führte ihn endlich auf
eine Vermuthung, die ihm das ganze Geheimniß aufzuschließen
schien. Er beschloß, uns zu beobachten, und nahm
seine Zeit so wohl, daß er uns in eben diesem Cabinet überraschte.
Hätten Sie geglaubt, mein Prinz, daß man ein so
schlimmes Herz haben könnte, als der alte Zauberer bei dieser
Gelegenheit zeigte? Anstatt (wie es sich für einen Mann wie
er geziemte) sich leise wieder wegzuschleichen, erzürnte er sich
ohne Maß darüber, daß ich ein Mittel gefunden hatte, mir
die Zeit ohne ihn zu vertreiben. Er hätte sich immer erzürnen
mögen, daß er nicht Grigri war; aber was konnte
unbilliger seyn, als mich deßwegen zu strafen?In der That, sagte Biribinker, nichts unbilliger! denn
ich bin gewiß, wenn er nur in einem einzigen Stücke Grigri
gewesen wäre, so hätten Sie ihm, ungeachtet seines langen
weißen Bartes, den Vorzug vor einem kleinen häßlichen
Zwerge gegeben.Für einen so witzigen Kopf, als ein Zögling der Fee
Melisotte billig seyn sollte, geben Sie (erwiederte Krystalline)
so viele Blößen, daß man alle Augenblicke in Streit mit
Ihnen gerathen könnte. Was Sie zum Beispiel da sagten —
Doch wir haben keine Zeit, um Worte zu streiten. Hören
Sie also, wie es weiter ging. Padmanaba schüttelte die ganze
Wuth über uns aus, in welche ihn vermuthlich die Betrachtung,
wie wenig er Grigri war, gesetzt hatte. Ich schäme
mich, Ihnen die Complimente zu wiederholen, die er mir
bei dieser Gelegenheit machte. Kurz, er verwandelte mich —
Sie wissen wohl worein, und den armen Grigri in eine Hummel.In eine Hummel? rief Biribinker —Ia, und mit der Bedingung, fuhr Krystalline fort, daß
ich meine Gestalt nicht eher wieder bekommen sollte, bis ich
einem Prinzen Namens Biribinker —Verzeihen Sie meiner
Schamhaftigkeit, daß ich den Umstand nicht nenne, worin
ich zuerst das Vergnügen hatte, Sie kennen zu lernen; und,
in der That, so sehr zu Ihrem Vortheile —Sie erweisen mir allzuviel Ehre, fiel ihr Biribinker in
die Rede: wenn ich gewußt hatte, daß Ihr Herz für einen
so würdigen Gegenstand eingenommen wäre —Ich bitte Sie, sagte die Fee, gewöhnen Sie sich doch die
unzeitigen Complimente ab; Sie können nicht glauben, wie
gezwungen und wunderlich sie Ihnen lassen. Ich sage Ihnen,
daß ich die beste Meinung von Ihrer Bescheidenheit habe;
und ich denke, ich gebe Ihnen eine sehr starke Probe davon,
da ich mich so nahe bei Ihnen sicher glaube. Ich erinnere
mich zwar nicht allzu wohl, wie es zugegangen ist, daß wir
so vertraulich mit einander geworden sind; denn ich gestehe,
daß ich aus Vergnügen über unsere so lange gewünschte Zusammenkunft
ein paar Gläser mehr getrunken habe, als ich
sonst zu trinken pflege; aber ich hoffe doch, Sie werden sich
in den Schranken —In der That, schöne Krystalline, fiel ihr der Prinz ins
Wort, ich finde Ihr Gedächtniß so außerordentlich, als die
Tugend, worauf Sie wollten daß der alte Padmanaba sich
verlassen sollte. Aber sagen Sie mir doch, wenn Sie es nicht
auch vergessen haben, was wurde denn aus der Hummel?Sie erinnern mich eben recht daran, antwortete die Fee;
der arme Grigri! ich hatte ihn wirklich vergessen — Es thut
mir Leid, aber der grausame Padmanaba hat seine Befreiung
auf eine so ungereimte Bedingung gesetzt, daß ich nicht weiß,
wie ich sie Ihnen werde entdecken können.Und was kann denn das für eine Bedingung seyn? fragte
Biribinker.Ich begreife nicht, antwortete Krystalline, was Sie dem
alten Zauberer gethan haben können, daß er Sie in diese
Händel eingemischt hat; denn das ist gewiß, daß damals,
da alle diese Verwandlungen vorgingen, Ihre Elternmutter
nach nicht geboren war. Mit einem Wort, Grigri soll seine
vorige Gestalt nicht eher wieder bekommen, bis Sie — nein,
Prinz Biribinker! die Delicatesse meiner Empfindungen
erlaubt mir nicht, es Ihnen zu sagen, und ich begreife noch
weniger, wie ich fähig seyn würde, mich dazu zu verstehen;
denn Sie werden, denke ich, an der Röthe, womit der bloße
Gedanke daran mein Gesicht überzieht, schon errathen haben,
was es ist.Ich will selbst gleich zu einer dreifachen Hummel werden,
rief Biribinker, wenn ich errathe, was Sie haben wollen;
ich bitte Sie, machen Sie nicht so viel Umschweife; es ist
schon heller Tag, und ich kann mich nicht aufhalten —Wie? sagte die Fee, wird Ihnen die Zeit so lang bei
mir? Bin ich nicht fähig, Ihnen ein Milchmädchen nur für
etliche Stunden aus dem Sinne zn bringen? Sie sollten sich
wenigstens aus Eigennutz um meine Gunst bewerben; denn ich
kann mehr zu Ihrem Glücke beitragen, als Sie sich einbilden.So sagen Sie mir denn geschwinde, was ich zu thun
habe, erwiederte Biribinker.Welche Ungeduld! rief die Fee. Wissen Sie also, daß
der arme Grigri nicht eher wieder Grigri werden soll, bis
der Prinz Biribinker — Nun! so rathen Sie doch! — Aber
das versichere ich Ihnen, wenn es nicht um die Wiederherstellung
eines alten guten Freundes zu thun wäre, ich könnte
mich nimmermehr dazu verstehen, das Opfer der Rache zu
werden, welche Padmanaba durch Ihren Beistand an dem
armen Grigri nehmen will.Er will doch nicht, daß ich Ihnen das Leben nehmen soll?
sagte der Prinz.Ich muß gesehen, antwortete Krystalline, daß Sie heute
mit einem außerordentlich harten Kopfe aufgewacht sind!
Glauben Sie denn nicht, daß es etwas gibt, wogegen sogar
der Tod der Geliebten in den Augen eines recht begeisterten
Liebhabers das kleinere Uebel wäre?Ha, ha! Nun glaub' ich Euer Gnaden zu verstehen, sagte
Biribinker ganz kaltsinnig. In der That, Ihre Schamhaftigkeit
hätte nicht nöthig gehabt, sich so viel Bedenken zu
machen, die Sache gerade heraus zu sagen. Aber erlauben
Sie mir, Ihrem Gedächtniß ein wenig nachzuhelfen und
Sie zu erinnern —Ich glaube, Sie haben Zerstreuungen, unterbrach ihn die
Fee. — Indessen müssen Sie wissen, daß Padmanaba sehr
streng über dem Recht der Wiedervergeltung hält, und daß
Grigri nicht eher zu seiner ersten Gestalt gelangen kann,
bis Sie ihm alle die Beleidigungen wiedergeben, welche der
Zauberer von ihm empfangen zu haben glaubt.O Madame! rief der Prinz, indem er aus dem Ruhebette
sprang, ich bin des Herrn Padmanaba gehorsamer Diener:
aber, wenn es nur auf diesen kleinen Umstand ankommt, so
werden Sie unter den zehntausend Gnomen, die Ihnen zu
Diensten stehen, einen neuen Grigri suchen müssen, um den
alten Gecken an seinem wunderthätigen Nebenbuhler zu
rächen; denn daran wird Ihnen vermuthlich mehr gelegen
seyn, als daß Ihr kleiner Zwerg seine vorige Schönheit wieder
bekomme. Was mich betrifft, so denke ich, Sie könnten zufrieden
seyn, daß ich Ihnen die Ihrige wieder gegeben habe.
Ich sage das nicht, als ob ich mich durch die Gütigkeit, die
Sie für mich gehabt haben, nicht überflüssig für einen Dienst
belohnt hielte, der mir so wenig gekostet hat. Ich wollte Sie
nur erinnern, daß die Hauptsache doch immer in dem Umstande
liegt, daß Sie, anstatt ein krystallener Nachttopf zu
seyn, wieder die Fee Krystalline sind, und daß die Gewalt,
die Ihnen der Zauberstab des alten Padmanaba gibt, Sie
gar leicht wegen des Verlustes eines einzigen Verehrers sollte
trösten können.Ich hoffe doch nicht, versetzte Krystalline, daß Sie meine
Sorge für den armen Grigri irgend einer eigennützigen Absicht
beimessen? Sie müßten in der That weder die Feinheit
meiner Empfindungen, noch die Pflichten der Freundschaft
kennen, wenn Sie nicht begreifen könnten, daß man sich für
einen Freund beeifern kann, ohne einen andern Bewegungsgrund
zu haben, als das Beste dieses Freundes; und ich
müßte Sie bedauern —Madam, erwiederte Biribinker, der sich indessen angekleidet
hatte, ich bin von der Feinheit Ihrer Empfindungen
so überzeugt, als Sie es nur verlangen können; aber Sie
sehen, wie bequem dieser Morgen zu Fortsetzung meiner
Reise ist. Seyn Sie so gütig, Sie, deren Herz einer so
uneigennützigen Freundschaft fähig ist, und entdecken mir,
auf welchem Weg ich meine geliebte Galaktine wieder finden
kann: so will ich gegen alle Welt behaupten, daß Sie die
großmüthigste, die uneigennützigste und, wenn Sie wollen.
auch die sprödeste unter allen Feen des Erdkreises sind.Sie sollen befriediget werden, antwortete Krystalline: gehen
Sie und suchen ihr Milchmädchen, weil es doch ihr Schicksal
so haben will! Ich hätte vielleicht Ursache, mit Ihrer Aufführung
nicht allzusehr zufrieden zu seyn; aber ich sehe wohl,
daß man es mit Ihnen nicht so genau nehmen muß. Gehen
Sie, Prinz; Sie werden im Hof ein Maulthier antreffen,
welches so lange mit Ihnen davon trotten wird, bis Sie
Ihre Galaktine gefunden haben; und wofern Ihnen wider
Vermuthen etwas Unangenehmes zustoßen sollte, so werden
Sie in dieser Erbsenschote ein unfehlbares Mittel dagegen
finden.Wie froh bin ich, unterbrach Don Eugenio die Erzählung
seines Freundes, daß Sie Ihren Biribinker endlich aus dem
verwünschten Schlosse herausführen! Ich gestehe Ihnen, daß
ich diese Krystalline nicht einen Augenblick länger aushalten
könnte. Was für eine abgeschmackte Creatur! —Sagen Sie nur, sie ist eine Fee, versetzte Don Gabriel,
das ist Alles gesagt.Sie wollen vermuthlich, sagte Don Sylvio mit großem
Ernste, hiermit nicht zu verstehen geben, als ob es keine
hochachtungswürdige Feen gebe? denn es ist unleugbar, daß
es solche gibt. Indessen ist gewiß, daß vielleicht die meisten
irgend etwas Seltsames und Ungereimtes an sich haben, wodurch
sie sich von den Sterblichen unterscheiden wollen; wenn
anders der Fehler nicht an uns liegt, daß wir sie nach
Regeln beurtheilen, denen sie, als Wesen von einer andern
Classe, nicht unterworfen sind.Aber ihr Gewäsche, sagte Don Eugenio, die Delicatesse
ihrer Empfindungen, ihre Tugend! — Was sagen Sie dazu?Ich halte es für eine so kitzliche Sache, von Feen zu urtheilen,
daß ich lieber nichts davon sagen will, antwortete
Don Sylvio; und zwar bei dieser Gelegenheit um so mehr,
als in der That die Geschichte des Prinzen Biribinker in
allen Betrachtungen die außerordentlichste Feengeschichte ist,
die ich jemals gehört habe.Was den Charakter der Fee Krystalline betrifft, sagte
Don Gabriel, so gibt ihn der Geschichtschreiber für nichts
besser, als er ist; und ich glaube, daß man ihn tadelhaft
finden könnte, ohne der Ehrfurcht gegen die Fee zu nahe zu
treten. Im Uebrigen werden Sie doch gestehen, Don Eugenio,
daß dem Prinzen Biribinker das Gewäsche. welches Sie so
abgeschmackt finden, nicht halb so langweilig vorkommen
mußte, als es Ihnen in meinem Munde vorkam. Man
hört eine schöne Person allemal gern, wenn man sie sieht,
und wenn sie eine wohlklingende Stimme hat; sie überzeugt
und rührt, ohne daß man darauf Acht gibt, was sie
sagt, und sie würde gemeiniglich nicht viel dabei gewinnen,
wenn man darauf Acht gäbe.Wenn Sie unserem Geschlechte keine schönere Complimente
zu machen haben, sagte Donna Felicia, so thäten Sie besser,
Ihre Erzählung fortzusetzen, so langweilig sie immer seyn mag.Don Gabriel versprach sein Möglichstes zu thun, um sie
kurzweiliger zu machen, und fuhr also fort: Der Prinz
Biribinker steckte die Erbsenschote zu sich, bedankte sich gegen
die Fee für alle ihre Gütigkeiten und stieg in den Hof
herab. Sehen Sie hier, sagte Krystalline, die ihn begleitete,
sehen Sie hier ein Maultier, das vielleicht wenige
seines Gleichen hat. Es stammt in gerader Linie von dem
berühmten trojanischen Pferd und der Eselin des Silenus
ab. Von der väterlichen Seite hat es die Eigenschaft, daß
es von Holz ist und weder Futter, noch Streu, noch Striegel
nöthig hat; und von der mütterlichen, daß es eines überaus
sanften Trab geht und so geduldig ist, wie ein Schaf. Steigen
Sie auf und lassen es gehen, wohin es will; es wird Sie
zu ihrem geliebten Milchmädchen bringen; und wenn Sie
nicht so glücklich seyn werden, als Sie wünschen, so wird
nur die Schuld an Ihnen selber liegen.Der Prinz besah dieses außerordentliche Thier von allen
Seiten und hatte alle die Wunderdinge, die ihm in diesem
Schlosse begegnet waren, vonnöthen, um ihm so viel Gutes
zuzutrauen, als ihm die Fee nachgerühmt hatte. Während er
aufstieg, wollte ihm Krystalline noch eine Probe geben, daß sie nicht
zu viel von ihrer Macht gesagt hätte. Sie schlug mit ihrem
Stab dreimal in die Luft, und siehe! auf einmal erschienen
alle zehntausend Sylphen, welche ihr der Stab des Padmanaba
unterthänig machte; der Hof, die Treppe, die Galerie
und sogar die Dächer und die Luft wimmelten von geflügelten
Jünglingen, wovon der geringste den vaticanischen Apollo an
Schönheit übertraf. — Bei allen Feen, rief Biribinker, von
diesem Anblicke außer sich selbst gesetzt, was für einen glänzenden
Hof Sie haben! Lassen Sie den kleinen Grigri immer
eine Hummel bleiben, Madame, und halten Sie sich an diese
hier! Es müßte unglücklich seyn, wenn unter allen diesen
Liebesgöttern keiner fähig seyn sollte, Ihnen einen Gnomen
zu ersetzen, der, Ihrem eigenen Geständnisse nach, keinen
andern Vorzug vor seinen mitgeschaffen Gesellen hatte, als
daß er auf eine kurzweilige Art ungestaltet war. — Sie sehen
wenigstens, versetzte Krystalline, daß es mir nicht an Gesellschaft
fehlt, die mich wegen Ihrer Unbeständigkeit trösten
kann, wenn es mir jemals einfallen sollte, getröstet seyn zu
wollen.Mit diesen Worten wünschte sie ihm eine glückliche
Reise, und Biribinker trabte auf seinem hölzernen Maulthiere
davon, indem er Allem demjenigen nachdachte, was
ihm in diesem wundervollen Schlosse begegnet war.Zweites Capitel:Fortsetzung der Geschichte des Prinzen Biribinker.Ich will Ihnen, fuhr Don Gabriel in seiner Erzählung
fort, die mannigfaltigen Betrachtungen erlassen, welche Biribinker
unterwegs mit sich selbst anstellte, um Ihnen zu sagen,
daß er gegen Mittag, da die Hitze unerträglich zu werden
anfing, an dem Eingang eines Waldes abstieg, wo er sich
an den Rand eines kleinen Baches setzte, der von Bäumen
und Gebüschen umschattet war. Nicht lange, so erblickte er
eine Schäferin, die eine kleine Heerde rosenfarbner Ziegen
vor sich her trieb, um sie an dem Bache zu tränken, wo
Biribinker im Schatten lag.Denken Sie, Don Sylvio, wie groß sein Entzücken seyn
mußte, als er in dieser jungen Hirtin sein geliebtes Milchmädchen
erkannte! Sie kam ihm noch zehnmal schöner vor,
als da er sie das erste Mal gesehen hatte; aber, was ihn am
meisten erfreute, war, daß sie, anstatt vor ihm zu fliehen,
immer näher herbei kam und sich endlich nicht weit von ihm
ins Gras setzte. Der Prinz unterstand sich nicht, sie anzureden;
aber er sah sie mit so durchdringend feurigen Blicken
an, daß die Steine im Bache beinahe davon in Glas verwandelt
worden wären. Die schöne Schäferin, welche sehr
kalter Natur seyn mußte, um von so kräftigen Blicken nicht
geröstet zu werden, flocht indessen ganz gelassen einen
Blumenkranz und unterließ nicht, von Zeit zu Zeit einen
Seitenblick auf ihn zu werfen, worin er nichts weniger als
Unwillen zu entdecken vermeinte. Dieß machte ihn so kühn,
daß er näher zu ihr rückte, ohne daß sie es wahrnahm; denn
sie spielte eben mit einer kleinen Ziege, die statt der Haare
lauter Silberfäden hatte und mit Blumenkränzen und rosenfarbnen
Bändern aufs artigste geziert war. Seine Augen
sagten ihr aus diesem neuen Standpunkte nicht weniger
Schönes als zuvor; und die ihrigen antworteten von Zeit zu
Zeit so höflich, daß er sich endlich nicht länger halten konnte,
sich zu ihren Füßen zu werfen und ihr (nach seiner Gewohnheit)
in sehr poetischen Redensarten zu wiederholen, was er
vorher in einer weit verständlichern und überzeugendern
Sprache gesagt hatte. Nachdem seine zärtliche Elegie zu
Ende war, antwortete ihm die schöne Schäferin mit einem
Blicke, welcher kaltsinniger anfing als aufhörte: Ich weiß
nicht, ob ich Sie recht verstanden habe; wollten Sie mir alle
diese Weile her nicht sagen, daß Sie mich liebten? — Himmel,
daß ich Sie liebe! rief der entzückte Biribinker, sagen
Sie, daß ich Sie anbete, daß ich meine schmachtende Seele
zu Ihren Füßen aushauche. — Sehen Sie, antwortete die
Schäferin, ich bin nur ein ganz einfältiges Mädchen, ich
verlange nicht, daß Sie mich anbeten sollen, und Sie sollen
auch Ihre Seele nicht aushauchen, denn ich denke nicht daß
Sie deren zu viel haben: ich würde zufrieden seyn, wenn Sie
mich nur liebten. Aber ich gestehe Ihnen, daß ich schwerer
zu überzeugen bin, als die Fee, mit der Sie die vergangene
Nacht zugebracht haben. — Götter! rief der bestürzte Prinz,
was höre ich? Wie ist es möglich? — Wer kann Ihnen? —
Woher wissen Sie? — Ich weiß nicht, was ich sage — O!
unglückseliger Biribinker!Die schöne Schäferin that einen großen Schrei, eh' er
diesen fatalen Namen noch ganz ausgesprochen hatte. Ja
wohl, unglückseliger Biribinker, rief sie aus, indem sie sich
mit großer Hastigkeit vom Boden aufraffte: müssen Sie mein
Ohr schon wieder mit diesem schändlichen Namen beleidigen?
Sie zwingen mich, Sie zu hassen und zu fliehen, da ich —Hier wurde die erzürnte Galaktine plötzlich von einem
Anblick unterbrochen, der dem Prinzen und ihr selbst auf
einmal alle andere Gedanken benahm. Sie sahen einen Riesen
auf sie zukommen, der anstatt eines Kranzes ein paar
junge Eichbäume um den Kopf gebunden hatte und sich unterm
Gehen die Zähne mit einem Zaunpfahl aus stocherte.
Er ging gerade auf die Schäferin zu und donnerte sie mit
einer so entsetzlichen Stimme an, daß mehr als zweihundert
Dohlen, die ihre Nester in seinem krausen Barte hatten, mit
großem Gekrächz herausgeflogen kamen. Was hast du hier,
rief er, mit diesem kleinen Zwerge, Püppchen? Folge mir
augenblicklich, oder ich hacke dich zu kleinen Pastetchen: und
du, sagte er zum Prinzen, indem er ihn in einen großen
Sack steckte, herein in meinen Sack! — Nach diesem sehr
lakonischen Gruße schnürte er den Sack zu, nahm die Schäferin
auf den Arm und trabte davon.Biribinker glaubte in den leeren Raum gestürzt worden
zu seyn; denn er fiel und fiel immer fort, ohne daß es ein
Ende nehmen wollte. Endlich kam er doch auf den Boden,
stieß aber den Kopf so stark an einen Weberknopf an, daß er
etliche Minuten ganz betäubt da lag und die Hirnschale gebrochen
zu haben glaubte. Nach und nach erholte er sich
wieder, und nun besann er sich auf die Erbsenschote, die ihm
Krystalline gegeben hatte; er brach sie auf, fand aber nichts
als ein kleines Messer von Diamant mit einem Hefte von
einer Greifenklaue, kaum so groß, daß man es mit drei Fingern
fassen konnte. Ist das Alles, dachte er, was die Fee
Krystalline für mich thut? Was will sie, daß ich wie diesem
Spielzeuge machen soll? Es ist kaum groß genug, daß ich
mir die Kehle damit abschneiden könnte, und vielleicht ist
dieß auch ihre Meinung. Aber man muß doch alles
Andere vorher versuchen, ehe man sich die Kehle abschneidet.
Ich kann mit diesem Messerchen ein Loch in den Sack bohren,
ob es gleich Mühe kosten wird, und wenn ich schon einen
Sprung wagen muß, so will ich doch lieber Alles wagen, als
Gefahr laufen, daß dieser verfluchte Popanz kleine Bratwürste
für seine Popänzchen aus mir macht.In dieser großmüthigen Entschließung arbeitete der Prinz
Biribinker oder vielmehr das kleine Messer, worauf ein Talisman
eingegraben war, so nachdrücklich, daß er in kurzer Zeit eine
ziemliche Oeffnung in den Sack machte, ungeachtet die Fäden
des Gewebes so dick waren, wie Ankerseile. Er bemerkte, daß
die Reise durch einen Wald ging, und dachte seine Zeit so
in Acht zu nehmen, daß er, indem er sich aus dem Sack
herausstürzte, an dem Wipfel eines hohen Baumes sich
halten könnte. Diesen Anschlag setzte er ungesäumt ins
Werk, ohne daß es der Riese gewahr wurde; allein der Ast,
an dem er sich halten wollte, brach mit ihm, und der gute
Biribinker fiel in ein ziemlich tiefes marmornes Brunnenbecken
voll Wassers, welches zu allem Glück unter ihm lag.
Denn, was er für einen Wald angesehen hatte, war in der
That ein sehr schöner Park, der zu einem nicht weit davon
gelegenen Schlosse gehörte. Er dachte, indem er untertauchte,
zum wenigsten in das kaspische Meer gefallen zu seyn, oder,
besser zusagen, er dachte gar nichts, so betäubt von Schrecken
lag er da, und vermuthlich würde er in seinem Leben das
Trockne nicht wieder gesehen haben, wenn nicht eine Nymphe,
die sich eben in diesem Brunnen badete, zu seiner Rettung
herbeigeschwommen wäre. Die Gefahr, worin sie einen so
schönen jungen Menschen sah, machte sie vergessen, in was
für einem Zustande sie selbst war; und in der That hätte er
leicht ertrinken können, ehe sie ihre Kleider angezogen hätte.
Kurz, Biribinker fühlte, da er zu sich selbst kam, daß sein Gesicht
an dem schönsten Busen lag, der jemals die Stelle eines Kissens
vertreten hatte; und als er Augen aufthat, sah er sich am Rand
eines großen Brunnen in den Armen einer Nymphe, die ihm, in
dem ungekünstelten Aufzuge, worin er sie sah, beim ersten Anblick
so viel und noch mehr Leben wieder gab, als er nöthig hatte.Dieses Abenteuer setzte ihn in ein so angenehmes Erstaunen,
daß er kein Wort hervorbringen konnte. Allein die
Nymphe merkte kaum, daß er wieder lebte, so riß sie sich von
ihm los und sprang ins Wasser. Biribinker, der sich einbildete,
daß sie ihm entfliehen wolle, erhob ein so klägliches
Geschrei, als ein kleines Mädchen nur immer erheben kann,
wenn man ihm eine neu geschenkte Puppe wieder nehmen
will. Die schöne Nymphe war sehr weit von einem so grausamen
Vorhaben entfernt; denn in wenigen Augenblicken
sah er sie schon wieder mit einem Rücken, der die Lilien an
Glanz übertraf, aus dem Wasser hervorragen. Sie hob den
Kopf ein wenig empor; aber kaum erblickte sie den Prinzen,
so tauchte sie wieder unter und plätscherte unter dem Wasser
fort, bis sie an die andere Seite des Brunnens kam, wo
ihre Kleider lagen. Allein, da sie sah, daß ihr der Prinz
folgte, erhob sie sich mit halbem Leib, aber ganz in ihre
langen gelben Haare eingehüllt, die in dichten wallenden Locken
bis zu ihren Füßen herabflossen und seinen lüsternen Augen
den Anblick von Schönheiten entzogen, welche fähig waren,
einen Tithon zu verjüngen und einen Tizian zur Verzweiflung
zu treiben.Sie sind sehr unbescheiden, Prius Biribinker, sagte sie,
daß Sie sich in Augenblicken aufdringen, da man allein
seyn will.Vergeben Sie mir, schönste Nymphe, antwortete der Prinz,
wenn mir Ihre Bedenklichkeiten ein wenig unzeitig vorkommen;
nach dem Dienste, den Sie mir so großmüthig geleistet
haben, dächte ich —Man sehe doch, rief die Nymphe aus, was für einen
Uebermuth diese Mannsleute haben! Man untersteht sich
nicht, ihnen die mindeste kleine Höflichkeit zu erzeigen, ohne
daß sie ihre Glossen darüber machen; ein bloßes Werk der
Großmuth und des Mitleidens ist in ihren Augen schon eine
Aufmunterung, wodurch sie sich berechtigt halten, sich Freiheiten
mit uns heraus zu nehmen. Wie? weil ich gütig genug gewesen
bin, Ihnen das Leben zu retten, so glauben Sie vielleich —Sie sind sehr grausam, unterbrach sie der Prinz, daß Sie
einem unbescheidenen Uebermuthe beimessen, was eine
nothwendige Wirkung der Zauberei Ihrer Reizungen ist.
Wenn Sie mir das Leben wieder nehmen wollen, das Sie
mir retteten (denn wer kann Sie gesehen haben und die
Beraubung eines so entzückenden Anblicks ertragen?), so
tödten Sie mich wenigstens auf eine großmüthige Art; machen
Sie ein Denkmal Ihrer Alles bezwingenden Schönheit aus
mir und lassen mich hier in Ihrem Anschauen zum Marmorbilde
erstarren!Sie haben, wie ich höre, eine hübsche Belesenheit in den
Poeten, versetzte die Nymphe: wo nahmen Sie doch diese Anspielung
her? — War nicht einmal eine gewisse Medusa —
Sie haben Ihren Ovidius gelesen, dieß ist gewiß, und man
muß gestehen, daß Sie Ihrem Schulmeister Ehre machen!Grausame! rief Biribinker mit Ungeduld, was für ein
Belieben finden Sie daran, die Sprache meines Herzens,
welches keinen Ausdruck für seine Gefühle stark genug findet,
mit den Figuren eines schülerhaften Witzes zu verwechseln?
—Sie nehmen Ihre Zeit sehr übel, wenn Sie disputiren
wollen, fiel ihm die Nymphe ein: sehen Sie denn nicht, wie
viel Vortheile ich in dem Element, worin ich bin, über Sie
habe? Aber ich bitte Sie, gehen Sie hinter diese Myrtenhecken,
und erlauben Sie mir, daß ich mich ankleide, wenn
Sie so gut seyn wollen. — "Würde es aber nicht großmüthiger
von Ihnen seyn, wenn Sie mir erlaubten, daß ich Sie
ankleiden hälfe?" —Glauben Sie das? erwiederte die Nymphe:
ich danke Ihnen für Ihre Dienstfertigkeit; aber ich möchte Ihnen
nicht gern Mühe machen, und Sie sehen auch, daß ich
Leute genug habe, die dieser Arbeit besser gewohnt sind als Sie.
10Mie diesen Worten blies sie in ein kleines Ammonshorn,
das ihr an einer Schnur der größten und feinsten Perlen
am Halse hing, und in einem Augenblick erfüllte sich der
ganze Brunnen mit jungen Nymphen, die plätschernd aus dem
Wasser herauf fuhren und einen Kreis um ihre Gebieterin
machten. Biribinker konnte sich jetzt noch weniger entschließen,
auf die Seite zu gehen, als zuvor; aber die Nymphen
erblickten ihn kaum, so spritzten sie ihm eine solche Menge
Wassers ins Gesicht, daß er, aus Furcht, ein anderer Aktäon
zu werden, so eilfertig davon lief, als ob er schon Hirschläufte
hätte. Er fühlte sich alle Augenblicke an die Stirne; da er
aber weder Geweih noch Sprossen merkte, schlich er sich wieder
zurück, um hinter den Myrtenhecken der Ankleidung seiner
schönen Nymphe zuzusehen. Allein er kam schon zu spät;
die Nymphen waren wieder verschwunden, und indem er hinter
der Hecke hervor gehen wollte, fehlte es nicht viel, daß
er mit dem Kopf an die Stirne seiner Erretterin angeschlagen
hätte, die im Begriff war ihn auszusuchen. Er staunte
ungemein, da er sie sah. Wie? Madame, rief er aus, nennen
Sie das angekleidet seyn?Warum nicht? antwortete die Nymphe: sehen Sie denn
nicht, daß ich in einen siebenfachen Schleier von Leinewand
eingewickelt bin? — Das gesteh' ich, sagte der Prinz: wenn
dieß Leinewand ist, so möchte ich wohl die sehen, die Sie
gesponnen und gewebt haben! denn das feinste Spinnegewebe
ist Segeltuch gegen dieses. Ich hätte geschworen, daß es
Luft wäre. — Es ist die feinste Art von gewebtem Wasser,
versetzte sie, von einer Ari trocknem Wasser, welches von
Polypen gesponnen und von unsern Mädchen gewebt wird;
es ist die gewöhnliche Kleidung, die wir Ondinen zu tragen
pflegen. Was für eine andere wollen Sie daß wir haben
sollen, da wir uns weder vor Frost noch Hitze zu verwahren
brauchen? —Der himmel verhüte, sagte Biribinker, daß ich
Ihnen eine andere wünschte; aber mich däucht, wenn Sie es
nicht ungnädig nehmen wollen, Sie hätten vorhin nicht
nöthig gehabt, so viel Umstände zu machen, wie Sie aus
dem Bade steigen wollten. — Hören Sie, mein Herr, sagte
die Ondine mit einem kleinen spöttischen Nasenrümpfen, das
ihr sehr gut ließ, wenn ich Ihnen rathen dürfte, so gewöhnten
Sie sich das Moralisiren ab; denn es ist gerade das,
worauf Sie sich am wenigsten verstehen. Wissen Sie denn
nicht, daß der Gebrauch über das, was man anständig
nennt, entscheidet? Man sieht wohl, daß Sie die Welt nie
anders als in einem Bienenkorbe gesehen haben, und Sie
würden sehr wohl thun, wenn Sie, nach dem Rath des weisen
Avicenna, über nichts urtheilten, was Sie zum ersten
Male sehen. ... Aber lassen Sie uns von etwas Anderm
reden! Sie haben noch nicht zu Mittage gegessen, nicht wahr?
und so verliebt Sie immer (mit gewissen Ausnahmen) in Ihr
Milchmädchen seyn mögen, so weiß ich doch wohl, daß Sie
nicht gewohnt sind von Seufzern zu leben.Nach diesen Worten blies sie wieder in ihr kleines Ammoshorn,
und augenblicklich stiegen drei Ondinen aus dem
Brunnen hervor. Die erste brachte einen kleinen Tisch von
Bernstein, der von drei aus einem einzigen Amethyst geschnittenen
Grazien empor gehalten wurde; die andere breitete
eine Matte von den feinsten gespaltenen Binsen darüber
aus, und die dritte trug ein Körbchen auf dem Kopfe, woraus
sie etliche verhexte Muscheln auf den Tisch stellte. Man
sagt mir, Sie essen nichts als Honig, sprach die Ondine zu
Biribinkern; Sie sollen einen kosten, der nicht der schlimmste
ist, ob er gleich aus lauter Seegewächsen gezogen wird. —
Der Prinz versuchte ihn und fand ihn so köstlich, daß er
beinahe die Schale mit verschluckt hätte. Wie sie abgespeist
hatten, erschienen zwei andere Nixen mit einem kleinen
Schenktische von Saphir, der mit einer Menge Trinkschalen
besetzt war. Sie waren alle aus gediegenem Wasser geschnitzt;
hart wie Diamant, durchsichtig wie Krystall und dem Ansehen
nach mit lauter Brunnenwasser angefüllt. Aber, wie
Biribinker davon kostete, fand sich's, daß die besten persischen
Weine Wasser dagegen waren. Gestehen Sie, sagte die
Ondine, daß Sie hier nicht schlimmer sind, als bei der Fee
Krystalline, bei der Sie die vergangene Nacht zugebracht
haben?Sie sind allzubescheiden, schönste Ondine, antwortete der
Prinz, daß Sie sich mit einer Fee vergleichen, die in allen
Stücken so weit unter Ihnen ist.Wieder übel geschlossen! erwiederte sie: ich sagte das nicht
aus Bescheidenheit, sondern nur, um zu hören, was Sie mir
darauf antworten würden.Aber ich bitte Sie, meine Göttin, sagte der Prinz, wie
geht es zu, daß Sie so gute Nachrichten von mir haben?
Sobald Sie mich sehen, nennen Sie mich bei meinem Namen.
— Sie sehen daraus, antwortete die Ondine, daß ich
eine so gute Kennerin bin, als die Fee Krystalline. — "Sie
wissen, daß ich in einem Bienenkorb erzogen worden bin"
— Das riecht man Ihnen auf zwanzig Schritte weit an —
"Daß ich ein Milchmädchen liebe" — O ja! — wie man
noch nie geliebt hat, und daß Sie noch verliebter sind, seitdem
sie eine Schäferin geworden ist; und wer weiß, wie weit
Sie Ihr Glück getrieben hätten, wenn nicht der Riese Karakuliamborix
dazwischen gekommen wäre! Aber haben Sie
keinen Kummer; Sie sollen sie wieder sehen und so glücklich
seyn, als man im Besitz eines Milchmädchens nur immer
seyn kann.O! rief Biribinker (bei dem die Getränke der Ondine
mächtig zu wirken anfingen), kann man etwas Andres zu sehen
oder zu besitzen wünschen, nachdem man Sie gesehen
hat, göttliche Ondine? Ich erinnere mich nicht mehr, daß ich
vorher Augen hatte, und der Augenblick, da ich Sie zum
ersten Male sah, ist der Anfang meines Daseyns. Ich kenne
und wünsche mir keine andere Glückseligkeit, als zu Ihren
Füßen von dem Feuer verzehrt zu werden, das Ihr erster
Blick in meiner Brust entzündet hat.Prinz Biribinker, antwortete die Ondine, Sie haben einen
schlimmen Lehrmeister in der Redekunst gehabt. Ich hätte
gedacht, die Fee Krystalline sollte Ihnen die lächerliche Meinung
benommen haben, daß man uns Unsinn vorsagen müsse,
um uns die Heftigkeit seiner Leidenschaft zu beweisen. Ich
wette, was Sie wollen, es ist nicht wahr, daß Sie zu meinen
Füßen verzehrt zu werden wünschen: glauben Sie mir, ich
weiß besser, was Sie wünschen, und Sie würden mehr dabei
gewinnen, wenn Sie natürlich mit mir reden wollten. Die
schwülstige Sprache, die Sie sich angewöhnt haben, ist vielleicht
gut, Milchmädchen zu rühren; aber lassen Sie sich
ein für alle Mal sagen, daß man uns nicht nach einerlei Methode
behandeln muß. Ein Frauenzimmer, das den Averroes
so lange studirt hat, wie ich, wird durch keine poetische Blümchen
gewonnen; man muß uns überzeugen können, wenn
man uns rühren will, und die Macht der Wahrheit ist das
Einzige, was uns nöthigen kann, uns zu ergeben.Biribinker war es zu sehr gewohnt, von den Damen,
denen er in die Hände fiel, gehofmeistert zu werden, als daß
er sich durch einen Verweis hätte kleinmütig machen lassen
sollen, der ihm die Mittel zeigte, wodurch man bei den
Schülerinnen des Averroes glücklich werden kann; und in der
That fühlte er, daß es ihm weit weniger Mühe kosten werde,
sie durch die Energie der Wahrheit, als durch spitzfindige und
schwülstige Liebeserklärungen zu überwältigen. Die Reizungen
der Ondinen übertreffen, nach dem vollgültigen Zeugnisse des
Grafen von Gabalis, Alles, was den Besitz der schönsten
unter den Töchtern der Menschen begehrenswürdig macht.
Kurz, Biribinker wurde nach und nach so natürlich und überzeugend,
als sie es nur verlangen konnte; und ob sie gleich
eine genaue Beobachterin dessen war, was man Gradationen
nennt, so wußte sie doch die Zeit so gut einzutheilen, daß
es eben Nacht wurde, wie der Prinz die Ueberzeugung bis
zu derjenigen Evidenz trieb, die keinen Zweifel übrig läßt.
Die Geschichte sagt weiter nichts von dem, was zwischen ihnen
vorgegangen, als daß sich Biribinker des Morgens, da er
erwachte, zu seinem nicht geringen Erstaunen auf eben dem
Ruhebette, in eben dem Zimmer, in eben dem Palast und
in eben dem Zustande befunden habe, worin er des Morgens
zuvor gewesen war.Die schöne Ondine, welche, man weiß nicht warum, sich
nicht sehr weit von ihm befand, merkte kaum, daß er erwacht
war, als sie ihn — mit einer Anmuth, die ihn vor etlichen
Stunden eben so sehr entzückt hatte, als sie ihn jetzt gleichgültig
ließ, also anredete: Das Schicksal, mein lieber Biribinker,
hat Sie dazu ausersehen, sich unglückliche Feen verbindlich
zu machen. Da ich das Vergnügen habe, eine davon zu
seyn, so ist es billig, daß ich Ihnen berichte, wer ich bin,
und wie viel ich Ihnen zu danken habe. Wissen Sie also
daß ich eine von denjenigen Feen bin, die man Ondinen
nennt, weil sie das Element des Wassers bewohnen, aus
dessen subtilsten Atomen ihr Wesen zusammengesetzt ist. Man
nannte mich Mirabella, und der Stand einer Fee mit dem
Rang, den mir meine Geburt unter den Ondinen gab, hätte
mich glücklich machen können, wenn irgend etwas fähig wäre,
uns gegen die Einflüsse eines feindseligen Gestirns zu schützen.
Das meinige verurtheilte mich, von einem alten Zauberer
geliebt zu werden, dem seine tiefe Wissenschaft eine unbegränzte
Gewalt über die elementarischen Geister gab. Allein
bei Allem dem war er der unangenehmste Mensch von der
Welt, und ohne die Freundschaft eines Salamanders, der
ein Günstling des alten Padmanaba war —Wie? rief der Prinz, Padmanaba, sagen Sie? der Mann
mit dem schneeweißen, ellenlangen Barte, der arme von
langer Weile geplagte Mädchen in Nachtgeschirre und kurzweilige
Gnomen in Hummeln verwandelt?Eben dieser, versetzte Mirabella, war es, der sich Rechte
über mich anmaßte, ohne zu den Pflichten, die von diesen
Rechten unzertrennlich sind, die mindeste Tauglichkeit zu
haben. Eine meiner Vorgängerinnen, die er in den Armen
eines häßlichen Gnomen überraschte, hatte ihn so mißtrauisch
gemacht, daß er auf seinen eigenen Schatten eifersüchtig
war. Er hatte alle Gnomen abgeschafft und dafür lauter
Salamander angenommen, deren feurige Natur, wie er
dachte, geschickter war, Schrecken als Liebe einzuflößen. Sie
erinnern sich ohne Zweifel aus Ihrem Ovidius an die schöne
Semele, die in der Umarmung eines Salamanders zu Asche
wurde. Aber der gute Alte vergaß mit aller seiner Vorsichtigkeit,
daß die wässerige Natur der Ondinen sie vor einer
solchen Gefahr vollkommen sichert und das gedämpfte Feuer
der Salamander zu einer sanften Hitze mäßiget, die der Liebe
nicht wenig günstig ist. Padmanaba verließ sich so völlig auf
seinen Günstling, daß er uns alle Freiheit ließ, die wir nur
wünschen konnten. Sie bilden sich vielleicht ein, Prinz Biribinker,
daß wir uns diese Gelegenheit nach der Weise materieller
Liebhaber zu Nutze gemacht hätten; aber Sie irren
sich. Flox, so hieß mein Freund, der Salamander, war zu
gleicher Zeit der zärtlichste und der geistigste Liebhaber von
der Welt. Er merkte gleich, daß mein Herz nur durch den
Kopf gewonnen werden könne, und trieb seine Gefälligkeit
gegen meine Delicatesse so weit, daß er gar nicht einmal zu
bemerken schien, daß ich (wie Sie sehen) eine ziemlich feine
Haut, eine nicht ganz gleichgültige Figur und ein Paar
niedliche kleine Füßchen hatte, mit denen ich im Nothfall so
fertig zu reden wußte, als Andere mit den Augen. Mit
einem Worte, er ging mit mir um, als ob ich lauter Geist
gewesen wäre. Anstatt wie andere Liebhaber mit mir zu
tändeln, analysirte er mir die geheinmisvollen Schriften des
Averroes. Wir sprachen ganze Tage lang von unsern Empfindungen;
und ob es gleich im Grunde immer eben dieselbigen
waren, so wußten wir ihnen doch so vielerlei Wendungen
zu geben, daß wir immer etwas Neues zu sagen schienen,
wenn wir in der That immer einerlei sagten. Sie sehen,
mein Prinz, daß nichts unschuldiger seyn konnte, als unsere
Freundschaft oder, wenn Sie es so nennen wollen, unsere
Liebe. Und doch konnte uns weder die Lauterkeit unserer
Absichten, noch die Vorsicht einer jungen Gnomide (die in
meinen Diensten und in der That ein dummes kleines Ding
war) vor den boshaften Beobachtungen so vieler Augen, welche
der Neid auf uns offen hielt, sicher stellen. Verschiedene
Salamander, von den Vorzügen beleidigt, die ich meinem
Freund vor ihnen gab, unterstanden sich, über unsern Umgang
gewisse Glossen zu machen, die sich (ihrem Vorgeben
nach) auf gewisse Vertraulichkeiten gründeten, die sie zwischen
uns wahrgenommen haben wollten. Der eine bemerkte, daß
ich außerordentlich munter sey, und daß ein gewisses Feuer
in meinen Augen blitze, welches lange Zeit darin erloschen
gewesen war, Ein anderer konnte nicht begreifen, daß meine
Leidenschaft für die Philosophie groß genug seyn könne, um
mir sogar in meinem Schlafzimmer Unterricht darin geben
zu lassen. Ein dritter wollte eine gewisse Sympathie unserer
Knie unb Ellenbogen, und ein vierter ich weiß nicht was
für ein geheimes Verständniß zwischen unsern Füßen entdeckt
haben. Sie sehen, mein Prinz, daß, wenn auch in einer
von den Zerstreuungen, denen metaphysische Seelen am
häufigsten unterworfen sind, etwas dergleichen vorgegangen
wäre, man doch die Bosheit und materielle Denkungsart
unserer Feinde haben mußte, um solche Kleinigkeiten zum
Nachtheil einer Tugend auszudeuten, die sich jederzeit durch
die strengsten Grundsätze und die schärfste Sittenkritik in
einem unbestrittenen Ansehen erhalten hatte.Inzwischen wurde das Gemurmel unserer Mißgünstigsten
so laut, daß es endlich auch vor den alten Padmanaba kam,
der nur allzu geneigt war, dergleichen Eingebungen ein aufmerksames
Ohr zu leihen. Er wurde desto stärker dadurch
aufgebracht, je größer die Meinung gewesen war, die er von
meiner Tugend oder wenigstens von der Kälte meines Blutes
gefaßt hatte. Man machte einen Anschlag, uns zu überraschen,
und es gelang endlich unsern Feinden, uns in einer
von den obgedachten Zerstreuungen anzutreffen, die zum
Unglück so stark war, daß sie das Aergste, was unsere Feinde
davon denken konnten, zu rechtfertigen schien. Die donnernde
Stimme des furchtbaren Padmanaba weckte mich aus einer
von diesen ekstatischen Abwesenheiten des Geistes, denen sogar
der weise Sokrates unterworfen gewesen seyn soll.Stellen Sie sich vor, ob es mir angenehm seyn konnte,
mich von so vielen Augen beleuchtet zu sehen. Indeß verließ
mich doch die Gegenwart des Geistes nicht ganz; ich hat
meinen alten Gemahl, mich nicht eher zu verurtheilen, bis
er meine Rechtfertigung gehört hätte, und war im Begriff,
ihm aus dem siebenten Kapitel der Metaphysik des Averroes
zu beweisen, wie betrüglich das Zeugniß der Sinne sey, als
er mich mit diesen Worten unterbrach: Ich habe dich zu sehr
geliebt, Undankbare, als daß ich fähig wäre, die Rache an
dir zu nehmen, die meine beleidigte Ehre fordert. Deine
Strafe soll nichts Andres als eine Probe der Tugend seyn,
an welche du noch Ansprüche zu machen verwegen genug bist.
Ich verbanne dich (fuhr er fort, indem er mich mit seinem
Stabe berührte) in die Bezirke des Parks, der dieses Schloß
umgibt: behalte deine Gestalt und die Vorrechte deines Feenstandes;
aber verliere beides und verwandle dich in das
häßlichste Krokodil, so oft du mit Jemand, wer er auch sey,
in eine Zerstreuung fällst, wie diejenige, worin ich dich hier
gefunden habe. Wie sehr bedaure ich, daß es nicht in meiner
Gewalt ist, diese Bezauberung unauflöslich zu machen! Aber
die Zukunft wird, wie ich besorge, einen Prinzen hervorbringen,
dessen wunderbares Gestirn aller meiner Macht Trotz
bietet. Alles, was ich thun kann, ist, die Auflösung meiner
Bezauberungen an die talismanische Kraft eines so seltsamen
Namens zu binden, daß er vielleicht in vielen Jahrtausenden
in keiner Sprache des Erdbodens wird gehört werden.Nachdem Padmanaba diese geheimnisvollen Worte gesprochen
hatte, wurde ich durch eine unsichtbare Gewalt in den Brunnen
versetzt, wo Sie mich zuerst gesehen haben; und bald
darauf erfuhr ich, daß der Alte aus Verdruß über meine
vermeinte Untreue das Schloß verlassen habe, ohne daß man
wisse, was aus ihm oder meinem geliebten Salamander
geworden sey. Ich war untröstbar über den Verlust des
letztern und machte meinen Nymphen etliche Tage lang so
abscheuliche Gesichter, daß einige davon in Zuckungen fielen,
und andere vor Angst auf der Stelle niederkamen. Allein,
wie kein heftiger Schmerz langwierig seyn kann, so währte
auch der meinige nur so lange, bis ich mich erinnerte, daß
mir Padmanaba doch ein Mittel gelassen hatte, die Ehre
meiner Tugend zu retten. Was soll ich Ihnen sagen, Prinz
Biribinker? Mehr als zwanzig tausend Prinzen und Ritter
haben seit mehr als einem Jahrhundert das Abenteuer vergeblich
unternommen, das Sie allein fähig waren zu Stande
zu bringen. Von was für Klagen, was für Verwünschungen
erschallte nicht dieser Wald, wenn diese Unglücklichen statt
einer reizenden Fee plötzlich ein ungeheures Krokodil — Der
Abscheu, den eine so demüthigende Erinnerung mir verursacht,
läßt mich nicht weiter reden! Es ist wahr, diese häßliche
Verwandlung hörte sogleich wieder auf; aber jeder neue
Versuch, den sie machen wollten, die Bezauberung aufzulösen,
hatte jedes Mal den nämlichen Erfolg. Dieser Brunnen,
welcher ehemals die gewöhnliche Größe hatte, ist allein durch
ihre Thränen so groß und tief geworden, daß er (wie Sie
gesehen haben) einem kleinen See ähnlich sieht; und Viele,
welche sich aus Verzweiflung hinein stürzten, würden einen
feuchten Tod darin gefunden haben, wenn meine Nymphen
sie nicht aufgefangen und wieder mit dem Leben ausgesöhnt
hätten. Sie allein, glücklicher Biribinker, waren mächtig
genug, eine Bezauberung zu vernichten, die mich in die
traurige Nothwendigkeit setzte, so viele Tausende zu Zeugen
meines Unglücks zu machen.In die Nothwendigkeit, sagen Sie? versetzte der Prinz:
verzeihen Sie mir, wenn ich Ihnen gestehe, daß dieß ein
Punkt ist, wovon ich mir keine rechte Vorstellung machen
kann. Wozu hatten Sie alle diese Zeugen nöthig? Mich
däucht, die Ehre Ihrer Tugend (wie Sie es nennen) wäre
am besten gerechtfertigt worden, wenn Sie sich nie in den
Fall gesetzt hätten, ein Krokodil zu werden.So schließen Sie und Jhres Gleichen, erwiederte Mirabella
in einem dogmatischen Tone, der unsern Prinzen in
Erstaunen setzte. Sagen Sie mir einmal, was für Ehre kann
eine erzwungene Tugend machen? Welches Frauenzimmer
ist nicht fähig, ihren Begierden Gewalt anzuthun, wenn sie
zu gleicher Zeit die Unmöglichkeit, sie zu befriedigen, und
eine schimpfliche Strafe vor Augen sieht? Aber der Liebe zur
Tugend die Furcht der Schande, ja in gewissem Sinne die
Tugend selbst aufzuopfern, dieß ist ein Grad von moralischem
Heldenmuth, dessen nur die edelsten Seelen fähig sind.Erklären Sie mir doch das deutlicher, sagte Biribinker:
ich bin sonst eben nicht der Dümmste, aber ich will gehangen
seyn, wenn ich ein Wort von Allem. was Sie da sagten,
verstanden habe.Unsere Tugend, erwiederte die Ondine, ist nur alsdann
ein Verdienst, wenn es in unserer Willkür steht, ob wir
sie behalten oder verlieren wollen. Lucretia würde nie als
ein Muster der Keuschheit aufgestellt worden seyn, wenn sie
den jungen Tarquinius in die Unmöglichkeit gesetzt hätte,
einen Versuch auf ihre Ehre zu machen. Eine alltägliche
Tugend würde ihr Schlafzimmer verriegelt haben; die erhabene
Lucretia ließ es offen. Sie that noch mehr, sie ergab
sich sogar, um Gelegenheit zu bekommen, durch das große
Opfer, das sie der beleidigten Tugend brachte, der Welt zu
zeigen, daß der kleinste Flecken, der ihren Glanz verdunkelt,
mit Blut ausgelöscht zu werden verdient.Sie sehen aus diesem Beispiel, mein Prinz, wie weit die
geläuterte transcendentale Denkart großer Seelen über die
gemeinen Begriffe des moralischen Pöbels erhaben ist. Um
eine Bezauberung aufzulösen, die meiner Tugend ihren größten
Werth, die Freiwilligkeit und das Vergnügen der besiegten
Schwierigkeit, raubte, mußte ich mich so oft in den Fall
setzen, sie zu beleidigen, bis ich denjenigen gefunden hatte,
der mich von jener Strafe befreien konnte, wovon die bloße
Vorstellung meiner edeln Denkungsart unerträglich war. Nun
verstehen Sie mich doch, hoffe ich?Unvergleichlich, rief Biribinker; Sie erklären sich immer
dunkler! Aber das muß ich gestehen, daß Sie — wenn Sie
es nicht übel nehmen wollen — die allersonderbarste Precieuse
sind, die man vielleicht jemals in der Welt gesehen hat.Was sagen Sie? versetzte die schöne Ondine sehr lebhaft:
wie? eine Precieuse? —Ich? eine Precieuse, sagen Sie? Wahrhaftig,
Sie kennen mich sehr schlecht, oder Sie müssen in
ihrem Leben keine Precieuse gesehen haben. Was finden Sie
Geziertes oder Gekünsteltes an meiner Person, an meinen
Manieren, an meiner Kleidung, an meiner Art mich auszudrücken?
Was ist Gezwungenes — Mit einem Worte,
wollen Sie, daß ich Ihnen eine unwidersprechliche Probe gebe,
daß ich keine Precieuse bin?Biribinker erschrak über diesen unverhofften Antrag so
sehr, daß er drei Schritte zurückfuhr. O Madame, erwiederte
er, ich glaube Alles, was Sie wollen! Ich brauche keine
Probe, und ich sehe auch nicht, wie Ihre Tugend — Meine
Tugend? rief die Fee; eben meine Tugend fordert von mir,
Sie zu überzeugen, daß ich keine Precieuse bin. —Wenn Sie keine Precieuse sind, antwortete Biribinker, so
schwör' ich Ihnen, daß ich kein Salamander bin, und daß
meine Natur —Fi, sagte die Ondine, schämen Sie sich nicht, vor einem
Frauenzimmer so unanständig zu reden? — Was bilden Sie
sich ein? Wer fordert denn etwas von Ihrer Natur? oder
was geht mich Ihre Natur an? Lassen Sie sich sagen, daß
Sie ein Mensch ohne Delicatesse sind, der weder die Ohren
noch die Wangen einer Dame zu schonen weiß. Wissen Sie
denn nicht, daß es ein Verbrechen ist, ein Frauenzimmer
um einer Kleinigkeit willen erröthen zu machen? Unsere
Tugend —Madame, fiel ihr Biribinker in die Rede, ich bitte Sie,
nennen Sie mir dieses Wort niche mehr! Wenn Sie nur
wüßten, wie es Ihren schönen Mund verzerrt! Und erlauben
Sie mir, Ihnen mit aller Delicatesse, deren ich fähig bin,
zu sagen, daß ich zufrieden bin, ein Abenteuer zu Stande
gebracht zu haben, woran zwanzig tausend tapfere Helden zu
kurz gefallen sind. Was noch mehr zu thun seyn mag, überlasse
ich den Salamandern, Sylphen, Gnomen, Faunen
und Tritonen, welche nunmehr ein offenes Feld haben, eine
so derbe Tugend wie die Ihrige bei Athem zu erhalten.
Alles, warum ich Sie bitte, ist — Ihr Schutz und meine
Entlassung.Was Ihre Entlassung betrifft, antwortete die schöne Mirabella,
die können Sie sich selbst geben, denn Sie wissen,
daß ich Sie nicht gerufen habe. Wenn Sie aber meinen
Schutz verlangen, so kann ich Ihnen nicht bergen, daß Ihr
Glück von Ihrer eigenen Aufführung abhängt. Wenn Sie
so fortfahren, so wird der Schutz aller Feen der ganzen Welt
an Ihnen verloren seyn. Hat man jemals einen Liebhaber
gesehen, wie Sie sind? Sie ziehen den ganzen Tag in der
Welt herum, Ihre Geliebte zu suchen, und bringen die ganze
Nacht in den Armen einer Andern zu. Den folgenden Morgen
geht Ihre Liebe wieder an, und den Abend darauf Ihre
Untreue. Was wollen Sie daß aus einer solchen Aufführung
endlich werden soll? Ihre Schäferin müßte außerordentlich
geduldig seyn, wenn sie sich diese neue Art zu lieben gefallen
lassen wollte. — Wahrhaftig! rief der Prinz, es steht Ihnen
recht wohl an, mir Vorwürfe von dieser Art zu machen!
Ich mag nicht reden — Aber glauben Sie mir, Ihr Moralisiren
fängt mir an beschwerlich zu werden, so eine große
Meisterin Sie immer darin seyn mögen. Sagen Sie mir
lieber, wie ich meine geliebte Galaktine aus den Händen
des verfluchten Riesen befreien kann, der sie gestern davon
führte.Bekümmern Sie sich nicht um den Riesen, sagte die Fee:
ein Nebenbuhler, der sich die Zähne mit einem Zaunpfahl
ausstochert, ist nicht halb so fürchterlich, als Sie sich einbilden;
und ich kenne einen gewissen Gnomen, der Ihnen,
so klein er ist, mehr Eintrag thun könnte, als Karakuliamborix,
wenn er auch noch etliche hundert Ellen länger wäre,
als er ist. Kurz, sorgen Sie für nichts, als wie Sie Ihre
Schäferin wieder besänftigen wollen; das Uebrige wird sich
von selbst geben: und sollten Sie ja in Umstände kommen,
wo Sie meiner Hülfe benöthiget wären, so zerbrechen Sie
nur dieses Pfauenei, das ich Ihnen gebe; es wird Ihnen,
auf mein Wort, keine geringere Dienste thun, als die Erbsenschote
der Fee Krystalline.Kaum hatte Mirabella das letzte Wort ausgesprochen,
so verschwand Sie mit dem Cabinet und dem Palast, und
Biribinker befand sich, ohne zu wissen, wie es zuging, an
dem nämlichen Orte, wo ihn der Riese Karakuliamborix bei
seiner Schäferin überfallen hatte. Man kann nicht erstaunter
seyn, als er es über die seltsamen Dinge war, die ihm
seit seiner Flucht aus dem großen Bienenkorbe begegnet waren.
Er rieb sich die Augen, knipp sich in die Arme, zog sich der
der Nase und hätte gern gefragt, ob er oder ein Anderer der
Prinz Biribinker sey, wenn er Jemand hätte fragen können.
Je mehr er nachdachte, desto wahrscheinlicher kam es ihm vor,
daß Alles nur ein Traum gewesen sey; und er fing schon
an sich in dieser Meinung zu bestärken, als er eine Jägerin
aus dem Gebüsch hervorkommen sah, die an Gestalt und
Anstand nichts Geringeres als Diana selbst zu seyn schien.
Ihr grünes Gewand, mit goldenen Bienen durchwirkt, war
bis an die Knie aufgeschürzt und unter ihrem Busen ihm
einem Gürtel von Diamanten gebunden; ein Theil ihrer
schönen Haare war mit einer Perlenschnur in einen Knoten
geknüpft, der Rest flatterte in kleinen Locken um ihre weißen
Schultern. In der Hand trug sie einen Jagdspiess, und ein
goldner Köcher hing auf ihrem Rücken. Dießmal, dachte
Biribinker, weiß ich es doch gewiß, daß ich nicht träume;
und indem er das dachte, kam ihm die Jägerin so nahe, daß
er seine geliebte Galaktine in ihr erkannte. Noch niemals
war sie ihm so bezaubernd vorgekommen, als in diesem Aufzuge,
der ihr das Ansehen einer Göttin gab. Auf einmal
waren die Krystallinen und Mirabellen, die ihn vor Kurzem
so sehr bezaubert hatten, gänzlich aus seiner Erinnerung
ausgelöscht, und indem er sich zu den Füßen seiner
Geliebten warf, bezeigte er sein Vergnügen, sie wiedergefunden
zu haben, in so lebhaften Ausdrücken, daß es
der getreueste unter allen Liebhabern nicht besser hätte machen
können.Allein die schöne Galaktine wußte mehr von seinen Begebenheiten,
als er sich einbildete. Wie? sagte sie, indem
sie ihr anmuthiges Gesicht mit einem Unwillen, der ihm nur
neue Reizungen gab, von ihm wegwandte; unterstehst du
dich noch vor meine Augen zu kommen, nachdem du dich
durch wiederholte Beleidigungen der Gnade verlustig gemacht
hast, die ich dir schon einmal wiederfahren ließ ?Göttliche Galaktine, antwortete ihr Biribinker auf seinen
Knieen, zürnen Sie nicht mit mir! wenden Sie Jhre Augen
nicht so von mir ab, wenn Sie nicht wollen, daß ich auf der
Stelle zn Ihren Füßen sterben soll !Weg mit diesem Unsinn, sagte die schöne Jägerin, den
du gewohnt bist an eine Jede zu verschwenden, die dir in
den Weg kommt! Du hast mich nie geliebt, Wankelmüthiger.
Wer Alle liebt, liebt Keine.Niemals, rief Biribinker mit thränenden Augen, niemals
hab' ich eine Andere geliebt als Sie; und das ist so
wahr, daß ich darauf schwören wollte, daß Alles nur ein
Traum war, was mir in einem gewissen Schlosse begegnet
ist. Wenigstens versichere ich Sie, daß die Zerstreuungen,
die Sie mir so übel auslegen, ein bloßes Spiel
der Sinne waren, woran mein Herz nicht den geringsten
Antheil hatte.Eine feine Distinction, erwiederte die Jägerin. Zerstreuungen
nennen Sie das? Ich sage Ihnen, daß ich keinen
Liebhaber verlange, der solchen Zerstreuungen unterworfen
ist. Ich habe die Philosophie des Averroes nie studirt, und
ich bin eine so materielle Creatur, daß ich nicht begreifen
kann, wie das Herz meines Liebhabers unschuldig seyn kann,
wenn mir seine Sinne untreu sind.Vergeben Sie mir nur noch dieses einzige Mal, sagte
Biribinker schluchzend. — Ich, Ihnen vergeben? unterbrach
ihn die schöne Galaktine; und warum sollt' ich Ihnen vergeben?
Sehen Sie mich an; ist man vielleicht mit einem
Gesichte, wie das meinige, zum Vergeben genöthigt? Oder
meinen Sie, daß ich, um Liebhaber zu haben (wenn ich
ihrer haben will), so geduldig seyn müsse, als Sie mich gerne
finden möchten? Glauben Sie mir, es liegt nur an mir,
unter zwanzig Andern zu wählen, die den Werth eines
Herzens, das Sie so muthwillig von sich werfen, besser zu
schätzen wissen.Diese Worte, ob sie gleich mit einem Blicke begleitet
waren, der ihre Strenge zum wenigsten um die Hälfte milderte,
brachten den armen Biribinker vollends zur Verzweiflung.
Was hör' ich, rief er, Grausame? So wollen Sie
denn meinen Tod? Können meine Thränen Sie nicht erweichen?
— Nein, bei allen Göttern! eh' ich zugeben werde,
daß ein Anderer als Biribinker —O verhaßtestes unter allen Ungeheuern, rief die ergrimmte
Galaktine, lässest du mich noch einmal diesen abscheulichen
Namen hören, der mir schon zmeimal die Seele durchbohrt
hat? Flieh' auf ewig aus meinen Augen oder erwarte das
Aergste von dem immerwährenden Hasse, den ich dir und
deinem unglückseligen Namen geschworen habe!Biribinker zitterte an allen Nerven, wie er seine Schöne
auf einmal in eine so heftige Wuth ausbrechen sah; er versuchte
im Uebermaß seines Schmerzes den Namen Biribinker
und denjenigen, der ihm denselben gegeben hatte;
und er würde vielleicht (denn für gewiß will ich es eben
nicht sagen) mit dem Kopfe wider die nächste Eiche angerannt
seyn, wenn er nicht in eben dem Augenblicke sechs
wilde Männer erblickt hätte, die in vollem Lauf aus dem
Wald hervorstürmten und vor seinen Augen sich der schönen
Jägerin bemächtigten. Diese Wilden hatten eine mehr als
menschliche Statur; um das Haupt und die Lenden waren sie
mit Eichenzweigen bekränzt, auf der linken Schulter trugen
sie eine stählerne Keule, und Biribinker fand sie in diesem
Aufzuge so fürchterlich, daß er, seiner angebornen Tapferkeit
ungeachtet, allen Muth verlor, seine Geliebte aus ihren Händen
zu retten. In dieser dringenden Noth erinnerte er sich
an das Pfauenei, das ihm die Fee Mirabella gegeben hatte;
er zerbrach es mit bebender Hand und erstaunte, wie man
denken kann, so sehr als jemals, da er eine unendliche
Menge von kleinen Nymphen, Tritonen und Delphinen herauswimmeln
sah, die sich augenblicklich in Lebensgröße ausdehnten
und aus ihren Wasserkrügen und Nasenlöchern eine so
ungeheure Menge Wassers ausgossen, daß in weniger als
einer Minute ein See um ihn her entstand, der den ganzen
Horizont erfüllte. Er selbst befand sich auf dem Rücken eines
Delphins, der so sanft mit ihm davon schwamm, daß er keine
Bewegung spürte, und die Nymphen und Tritonen bemühten
sich, um ihn her plätschernd, ihm durch Musik aus ihren
Hörnern und allerlei muthwillige Spiele eine Lust zu machen.
Aber Biribinker sah nur nach dem Orte, wo er seine geliebte
Galaktine den Wilden hatte überlassen müssen, und da er,
soweit sein schärfster Blick reichte, um und um nichts als
Wasser sah, betrübte er sich so herzlich, daß er sich etlichemal
in die See stürzen wollte. Er würde es auch gewiß gethan
haben, wenn er nicht besorgt hätte, einer von den Nymphen,
die um seinen Delphin schwammen, in die Arme zu fallen,
welches ihn (wie er sehr weislich dafür hielt) leicht in eine
Versuchung hätte setzen können, worin die ewige Treue, die
er seiner Schönen nunmehr angelobt hatte, in Gefahr gekommen
wäre. Er trieb dießmal die Vorsicht so weit, daß
er sich ein seidenes Schnupftuch um die Augen band, aus
Furcht, von den Schönheiten zu sehr gerührt zu werden, die
durch tausend verführerische Bewegungen seinen Augen nachstellten.Auf diese Weise war er ohne den geringsten widrigen Zufall
schon ein paar Stunden fortgeschwommen, als er es endlich
wagte, das Schnupftuch ein wenig wegzuschieben, um
zu sehen, wo er wäre. Er fand zu seiner großen Beruhigung,
daß die Nymphen verschwunden waren; hingegen gewahrte
er in der Ferne etwas, das wie der Rücken eines großen
Gebirges über die Wellen hervorragte; er merkte auch, daß
die See außerordentlich ungestüm wurde, und bald darauf
erhob sich ein so entsetzlicher Sturmwind mit so gewaltigen
Regengüssen, daß es nicht anders war, als ob ein ganzer
Ocean aus der Luft herabstürzte.Der Urheber dieses Unwesens war ein Wallfisch, aber ein
Wallfisch, dergleichen man nicht alle Tage sieht; denn diejenigen,
die man an den grönländischen Küsten zu fangen
pflegt, waren in Vergleichung mit ihm nicht viel größer, als
die winzigen Thierchen, die man durch Vergrößerungsgläser
bei vielen Tausenden in einem Tropfen Wasser herumschwimmen
zu sehen glaubt. So oft er schnaubte, welches gemeiniglich
alle Stunden einmal geschah, so entstand ein kleiner
Sturmwind, und die Wasserströme, die er aus seinen Nasenlöchern
ausspritzte, verursachten Platzregen und Wolkenbrüche
auf fünfzig Meilen in die Runde. Die Bewegung des
Meers war so heftig, daß Biribinker sich nicht länger auf
seinem Delphin erhalten konnte, sondern sich den Wellen überlassen
mußte, die ihn wie einen Ball herumschleuderten, bis
er zuletzt von der Luft, die der Wallfisch einathmete, wie von
einem Wirbelwind ergriffen und durch eines von den Nasenlöchern
des Ungeheuers hinabgezogen wurde. Er fiel etliche
Minuten lang in einem fort, ohne daß er in der Betäubung
wußte, wie ihm geschah; endlich aber merkte er, daß er in
ein großes Gewässer fiel, womit eine Höhle im Bauche
des Wallfisches angefüllt war. Es war ein kleiner See, der
etwa fünf bis sechs deutsche Meilen im Umkreis hatte; und
vermuthlich würde Biribinker das Ende aller seiner Abenteuer
darin gefunden haben, wenn er nicht zu gutem Glück
sich so nah am Ufer einer Insel oder Halbinsel gesehen hätte,
daß er kaum zweihundert Schritte zn schwimmen hatte, um
auf dem Trocknen zu seyn.Die Noth, die Erfinderin aller Künste, lehrte ihn dießmal
schwimmen, ob es gleich das erste Mal in seinem Leben war.
Er kam glücklich ans Ufer; und nachdem er sich auf einem
Felsen, der zwar wie andere Felsen von Stein, aber so weich
wie ein Polster war, zurecht gesetzt hatte, erquickte er sich,
während seine Kleider an der Sonne trockneten, an den
lieblichen Gerüchen, die ihm ein kühler Landwind aus einem
Walde von Zimmtstauden entgegen wehte. Weil er aber
begierig war, das Land in Augenschein zu nehmen und sich
zu erkundigen, ob und von wem es bewohnt sey, so stieg er,
sobald er sich in etwas erholt hatte, von seinem Felsen herab
und strich eine halbe Stunde lang im Walde herum, bis er
endlich in einen großen Lustgarten kam, worin alle mögliche
Bäume, Stauden, Gewächse, Blumen und Kräuter des
ganzen Erdbodens in der anmuthigeren Unordnung durch
einander geworfen waren. Die Kunst war in der Anlegung
desselben so versteckt, daß Alles ein bloßes Spiel der Natur
zu seyn schien. Hier und da sah er Nymphen von blendender
Schönheit unter Gebüschen oder in Grotten liegen und
kleine Bäche aus ihren Urnen gießen, die den Garten durchschlängelten,
an vielen Orten in allerlei Figuren in die Höhe
spielten, an andern Wasserfälle machten oder in marmorne
Becken sich sammelten. Diese Brunnen wimmelten von allen
Arten von Fischen, welche, wider die Gewohnheit der Geschöpfe
von ihrer Gattung, so lieblich sangen, daß Biribinker
ganz davon bezaubert wurde. Insonderheit bewunderte er
einen gewissen Karpfen, der die schönste Discantstimme von
der Welt hatte und einen Triller schlug, der einem Caffarello
Ehre gemacht hätte. Der Prinz hörte ihm eine geraume
Weile mit größtem Vergnügen zu: da ihn aber alle diese
Wunderdinge nur desto begieriger machten, zu erfahren, wem
diese bezauberte Insel gehöre, und ob er sich wirklich, wie er
glaubte, in der unterirdischen Welt befinde, so that er deßwegen
verschiedene Fragen an die besagten Fische; denn er
dachte, weil sie so schön sängen, so würden sie vermuthlich
auch reden können. Allein die Fische sangen immer fort,
ohne ihm zu antworten oder Acht darauf zu geben, was er sagte.Er gab es also endlich auf und ging immer weiter fort,
bis er in einen großen Gemüsegarten kam, der mit allen Arten
von Salat, Wurzeln, Schoten- und Rankengewächsen besetzt
war, welche dem Ansehen nach ohne Pflege, wiewohl so schön,
als nur möglich ist, in regellosem Ueberflusse hervor wuchsen.
Indem er sich nun, so gut er konnte, einen Weg durch diese
Wildnis machte, stieß er von ungefähr mit dem rechten Fuß
an einen großen Kürbis, der so ziemlich dem Wanst eines
sinesischen Mandarins gleich sah, und den er unter seinen
breiten Blättern nicht gleich wahrgenommen hatte.Herr Biribinker, rief ihm der Kürbis zu, ein ander Mal
seyen Sie so gut und schauen ein wenig unter Ihre Füße,
eh Sie einem ehrlichen Kürbis auf den Nabel treten.Ich bitte sehr um Vergebung, Herr Kürbis, sagte Biribinker;
es geschah in der That nicht aus Vorsatz, und ich
würde mich gewiß besser vorgesehen haben, wenn ich hätte vermuthen
können, daß die Kürbisse in dieser Insel so wichtige
Personen sind, als ich nun sehe. Indeß bin ich erfreut,
daß mir dieser kleine Zufall das Vergnügen verschafft hat,
mit Ihnen Bekanntschaft zu machen; denn ich hoffe, Sie
werden mir die Gefälligkeit nicht versagen, mich zu belehren,
wo ich bin, und was ich von Allem, was ich hier sehe und
höre, denken soll.Prinz Biribinker, antwortete der Kürbis, Ihre Gegenwart
ist mir allzu angenehm, als daß ich mir nicht das größte
Vergnügen daraus machen sollte, Ihnen alle die kleinen
Dienste zu leisten, die von mir abhangen. Sie befinden sich
im Bauch eines Wallfisches, und diese Insel —Im Bauch eines Wallfisches, rief Biribinker. indem er
ihn unterbrach — das übertrifft noch Alles, was mir bisher
begegnet ist! Nun schwör' ich Ihnen, Herr Kürbis, daß ich
mich in meinem Leben über nichts mehr wundern will.
Wahrhaftig! wenn es im Bauch eines Wallfisches Lust und
Wasser, Inseln und Lustgärten, ja, wie ich merke, Sonne,
Mond und Sterne gibt; wenn die Felsen darin so weich wie
Polster sind, die Fische singen, und die Kürbisse reden —Was diesen Punkt betrifft, unterbrach ihn der Kürbis
gleichfalls, so belieben Sie sich sagen zu lassen, daß ich hierin
einen Vorzug vor allen andern Kürbissen, Gurken und Melonen
in diesem Garten habe; Sie hätten hundert andere
mit Füßen treten können, ohne nur einen Ton von ihnen
heraus zu bringen.Ich bitte Sie nochmals um Vergebung, erwiederte der
Prinz.Das haben Sie gar nicht nöthig, sagte der Kürbis; ich
versichere Sie, es wäre mir leid, wenn es mir nicht begegnet
wäre; ich warte hier schon lange auf Ihre Ankunft, und die
Zeit wurde mir endlich so lang, daß ich schon zu verzweifeln
anfing, diese glückliche Begebenheit jemals zu erleben. Glauben
Sie mir, für einen, der nicht dazu geboren ist, ist es
eine verdrießliche Sache, hundert Jahre lang ein Kürbis zu
seyn, zumal wenn man den Umgang liebt und guter Gesellschaft
gewohnt ist. Aber die Zeit ist nun gekommen, da
Sie mich an dem verfluchten Padmanaba rächen werden.Was sagen Sie mir von Padmanaba? rief Biribinker:
meinen Sie den Zauberer, der die schöne Krystalline in einen
Nachttopf verwandelte und die noch schönere Mirabella verurtheilte,
ein Krokodil zu werden, so oft sie ihre Tugend auf
die Probe setzen wollte?Diese Frage, erwiederte der Kürbis, versichert mich, daß
ich mich nicht betrogen habe, da ich Sie für den Prinzen
Biribinker hielt: ich sehe daraus, daß die Hälfte der Bezauberungen
des alten Gecken schon vernichtet sind, und daß der
Augenblick meiner Befreiung da ist.Haben Sie sich also auch über ihn zu beklagen? fragte
Biribinker.Nehmen Sie mir nicht übel, antwortete der Kürbis, wenn
mich diese Frage zu lachen macht; und in der That lachte er
so laut, daß er wegen seines kurzen Athems, der eine Folge seines
gewaltigen Wanstes war, eine gute Weile keuchen und husten
mußte, bis er wieder reden konnte. Merken Sie denn nicht,
fuhr er fort, daß ich etwas Bessers seyn muß, als ich aussehe?
Hat Ihnen die schöne Mirabella nicht von einem gewissen Salamander
gesagt, der das Glück hatte, in gewissen Umständen
von dem alten Padmanaba überrascht zu werden?Ia wohl, sagte Biribinker: sie sprach mir von einem gewissen
geistigen Liebhaber, der ihre Seele mit den Geheinmissen
der Philosophie des Averroes unterhielt, damit sie die kleinen
Experimente nicht beobachten möchte, die er indessen —Sachte, sachte, rief der Kürbis; ich sehe, daß Sie mehr
von mir wissen, als Sie allenfalls vonnöthen gehabt hätten:
ich bin dieser Salamander, dieser Flox, der (wie ich sagte,
und wie Sie schon wußten) so glücklich war, die schöne Mirabella
wegen der frostigen Nächte zu entschädigen, die sie mit
dem alten Zauberer zuzubringen genöthiget war. Die vorerwähnte
Scene, wobei er die Thorheit hatte einen ungebetenen
Zuschauer abzugeben, setzte ihn in eine Art von
Verzweiflung, ohne ihn von der Liebeskrankheit zu heilen,
womit er lächerlicher Weise behaftet war. Sein Palast, ja ein
jeder anderer Aufenthalt, den er, in welchem Element er
gewollt hätte, wählen konnte, wurde ihm verhaßt; er traute
weder Sterblichen noch Unsterblichen mehr; Gnomen und
Sylphen, Tritonen und Salamander waren ihm alle gleich
verdächtig; und er hielt sich nirgends sicher als in einer
gänzlichen und unzugangbaren Einsamkeit. Nach vielen andern
dern Projecten, die er eben so bald verwarf, als er sie machte,
fiel ihm endlich ein, sich in den Bauch dieses Wallfisches
zurück zu ziehen, wo ihn, dacht' er, gewiß Niemand suchen
würde. Er ließ sich durch eine Anzahl Salamander einen
Palast darin erbauen, und damit sie ihn nicht verrathen
könnten, so verwandelte er sie, nebst mir, in eben so viele
Kürbisse, mit der Bedingung, es so lange zu bleiben, bis
der Prinz Biribinker uns unsere erste Gestalt wieder geben
würde. Ich war der einzige von allen, dem er den Gebrauch
der Vernunft und der Sprache ließ, wovon die erste (wie er
glaubte) mir zu nichts nützen könnte, als mich durch die Erinnerungen
meiner verlornen Glückseligkeit zu peinigen, und
die andere zu nichts, als zu manchem eiteln Ach! und O!
oder Gesprächen, worin ich die Mühe haben mußte mir die
Antworten selbst zu geben. Allein in diesem Stücke betrog
sich der weise Mann ein wenig. Denn, so ungünstig auch
immer die Figur und Organisation eines Kürbisses zu Beobachtungen
seyn mag, so geschickt ist sie hingegen zu transcendentalen
Betrachtungen; und mit Allem dem entdeckt man
doch in hundert Iahren nach und nach Eines oder das Andere,
was entweder unsere schon gefaßten Hypothesen bestätiget
oder uns auf die Spur einer neuen bringt. Kurz, ich bin
der kleinen Angelegenheiten des Herrn Padmanaba so unkundig
nicht, als er vielleicht denkt, und ich hoffe Ihnen Anleitung
zu geben, wodurch Sie in den Stand gesetzt werden
sollen, alle seine Vorsicht zu vereiteln.Ich würde Ihnen sehr dafür verbunden seyn, erwiederte
der Prinz. Ich weiß nicht, was für einen sonderbaren Beruf
ich in mir spüre, dem alten Padmanaba Streiche zu spielen:
vermuthlich ist es der Einfluß meines Gestirns, der mich
dazu hinreißt; denn ich wirkte nicht, daß er mich jemals in
seinem Leben persönlich beleidiget haben sollte.Ist es nicht Beleidigung genug, sagte der Kürbis, daß er
Ursache ist, daß Ihnen der große Caramussal, der auf der
Spitze des Berges Atlas wohnt, den Namen Biribinker gegeben
hat? einen Namen, der Ihnen bei Ihrem geliebten
Milchmädchen schon zweimal so fatal gewesen ist?So ist also der alte Padmanaba Schuld daran, daß ich
Biribinker heiße? fragte der Prinz voller Verwunderung.
Erklären Sie mir doch ein wenig, wie diese Dinge zusammen
hängen; denn ich gestehe Ihnen, daß ich mir den Kopf schon
oft vergeblich zerbrochen habe, um hinter das Geheimniß
meines Namens zu kommen, welchem ich, wie es scheint,
alle meine seltsamen Begebenheiten zu danken habe. Insonderheit
möchte ich doch wissen, wie es zugeht, daß Iedermann,
wo ich hinkomme, bis auf die Kürbisse, mich gleich bei meinem
Namen nennt und von allen Umständen meiner Geschichte
so gut benachrichtiget ist, als ob sie mir an der
Stirne geschrieben ständen.Es ist mir noch nicht erlaubt, antwortete der Kürbis,
Ihre Neugier über diesen Punkt zu befriedigen; genug, daß
es nur von Ihnen abhängt, sich vielleicht noch diesen Abend
ins Klare zu setzen. Die größte Schwierigkeit ist nun einmal
überstanden; Padmanaba dachte wohl nicht, daß Sie
ihn im Bauche seines Wallfisches finden würden.Ich bekenne Ihnen aufrichtig, unterbrach ihn Biribinker,
daß ich noch weniger daran dachte; und Sie werden gestehen
müssen, daß er wenigstens Alles gethan hat, was möglich
war, um seinem Schicksale zu entgehen. —Aber Sie erwähnten
eines Palasts, den sich Ihr Alter von Salamandern in
dieser Insel habe bauen lassen: ich denke, wir sind hier in
den Gärten, die dazu gehören; warum sehe ich denn nirgends
einen Palast?Die Ursache ist ganz natürlich, antwortete der Kürbis:
Sie würden ihn unfehlbar sehen, wenn er nicht unsichtbar wäre.Unsichtbar? rief Biribinker: so wird er doch nicht auch
unfühlbar seyn, hoffe ich?Das nicht, antwortete Flox: aber, da er aus gediegenen
Flammen erbaut ist —Sie sagen mir von einem seltsamen Palast, unterbrach
ihn Biribinker abermals; wenn er aus Flammen erbaut ist,
wie kann er denn unsichtbar seyn?Darin besteht eben das Wunderbare von der Sache, antwortete
der Kürbis: es mag nun möglich oder unmöglich
seyn, so ist es nicht anders. Sie können den Palast nicht
sehen, wenigstens in dem Stande, worin Sie jetzt sind; aber
gehen Sie nur ungefähr zweihundert Schritte gerade fort,
so wird die Hitze, die Sie empfinden werden, Sie bald genug
überzeugen, daß ich Ihnen die Wahrheit sage.Die außerordentlichen Dinge, welche Biribinker bereits im
Bauche des Wallfisches gesehen hatte (und was kann man
auch im Bauch eines Wallfisches Anderes erwarten, als außerordentliche
Dinge?), hätten ihn billig geneigt machen sollen,
Alles glaubwürdig zu finden, was man ihm sagte; demungeachtet
war er dießmal so eigensinnig, daß er nur sich selbst
glauben wollte. Er ging also auf den unsichtbaren Palast zu;
aber kaum war er hundert Schritte fortgegangen, so spürte
er bereits einen merklichen Grad von Hitze, die ihm, mit
einem gewissen unsichtbaren Glanze, wovon ihm die Augen
übergingen, entgegen kam. Die Wärme und der Glanz
nahmen immer zu, je weiter er fortging, bis beide in Kurzem
so durchdringend wurden, daß es nicht länger auszustehen
war. Er ging also wieder zurück und suchte seinen Freund,
den Kürbis, der ihm, sobald er ihn wieder kommen hörte,
entgegen rief: Nun, Prinz Biribinker, werden Sie künftig
glauben, wenn ich Ihnen etwas sage? Wenigstens begreifen
Sie doch, hoffe ich, daß nichts natürlicher seyn kann, als
daß ein Palast von gediegenen Flammen vor Hitze unzugangbar
und vor lauter Glanz und Schimmer unsichtbar ist.Ich begreife es in der That viel besser, antwortete Biribinker,
als wie ich hineinkommen werde; denn das sag' ich
Ihnen, ich spüre eine unwiderstehliche Begierde in mir, in
diesen Palast hineinzugehen; und wenn es mir auch das Leben
kosten sollte, so kann ich —So viel soll es Ihnen nicht kosten, fiel ihm der Kürbis
in die Rede. Wenn Sie sich gefallen lassen wollen, zu thun,
was ich Ihnen sage, so wird Ihnen der Palast sichtbar werden,
und Sie werden eben so sicher hinein gehen können, als
ob es eine Strohhütte wäre. Sie brauchen nur ein ganz
leichtes Mittel dazu, das Ihnen nicht mehr kosten wird
als einen einzigen Sprung.Halten Sie mich nicht lange mit Räthseln auf, Herr
Kürbis, sagte Biribinker: was ist zu thun? Es mag nun etwas
Leichtes oder Schweres seyn, so sehen Sie mich bereit
Alles zu wagen, um in ein Schloß zu kommen, worin mir,
wenn mich meine Ahnung nicht betrügt, das angenehmste
unter allen meinen Abenteuern bevorsteht.Ungefähr sechzig Schritte hinter jenen Granatbäumen,
versetzte der Kürbis, werden Sie in einem kleinen Labyrinthe
von Jasmin und Rosenhecken einen Brunnen finden, der
sich von einem andern Brunnen durch nichts unterscheidet,
als daß er statt Wassers mit Feuer angefüllt ist. Gehen Sie,
Prinz, baden Sie sich in diesem Brunnen, und in einer
Viertelstunde ungefähr kommen Sie wieder und sagen mir,
wie Ihnen das Bad zugeschlagen hat.Sonst nichts als dieß? sagte Biribinker mit einer Miene,
die mehr verdrießlich als höhnisch war: ich glaube Sie sind
nicht klug, Herr Kürbis! — Ich soll mich in einem feurigen
Brunnen baden und hernach wieder kommen und Ihnen
sagen, wie mir das Bad bekommen ist? Hat man auch jemals
so was Tolles gehört!Ereifern Sie sich nur nicht so, versetzte der Kürbis; es
steht ja bei Ihnen, ob Sie in den unsichtbaren Palast kommen
wollen oder nicht; und wenn Sie sich nicht so entschlossen
erklärt hätten, wie Sie gethan haben, so wäre mir's in
der That nie eingefallen, Ihnen einen solchen Antrag zu
machen.Kürbis, mein guter Freund, erwiederte Biribinker, ich
merke, daß Sie sich ein wenig lustig mit mir machen wollen,
aber ich muß Ihnen sagen, daß ich jetzt nicht in der Laune
bin, Spaß zu verstehen. Ich verlange nicht als eine abgeschiedene
Seele in den Palast zu kommen.Das sollen Sie auch nicht, sagte der Kürbis. Das feurige
Bad, das ich Ihnen vorschlage, ist nicht so gefährlich, als
Sie sich's einbilden: Padmanaba selbst bediene sich desselben
alle drei Tage; sonst würde er eben so wenig in einem Palast
von gediegenem Feuer wohnen können, als Sie. Denn, ob
er gleich (außer dem großen Caramussal, der auf der Spitze
des Berges Atlas wohnt) der größte Zauberer in der ganzen
Welt ist, so ist er doch von eben so irdischer Natur und Abkunft,
als Sie. Ia, er würde ohne den Gebrauch dieses
Brunnens, der eines der größten Geheimnisse seiner Kunst
ist, nicht einmal der kleinen Glückseligkeit fähig seyn, die er
jetzt bei der schönen Salamandrin, die er in seinem Palast
eingeschlossen hält, genießt oder doch zu genießen glaubt;
wenn anders der Gebrauch, den ein Tithon von seiner Aurora
zu machen fähig ist, ein Genuß genannt zu werden verdient.Er hat also eine schöne Salamandrin bei sich? fragte
Biribinker.Warum nicht? antwortete der Kürbis: meinen Sie, daß
man sich umsonst und um nichts in den Bauch eines Wallfisches
verschließt?Ist sie sehr schön? fuhr Biribinker fort.Sie müssen wohl nie eine Salamandrin gesehen haben,
erwiederte der Kürbis, weil Sie das fragen können. Wissen
Sie denn nicht, daß die schönste Sterbliche gegen die geringste
von unsern Schönen nicht besser als wie ein Affenweibchen
aussehen würde? Es ist wahr, ich kenne eine Ondine, die
vielleicht der schönsten Salamandrin den Vorzug streitig
machen könnte; allein es ist unter allen Ondinen nur eine
Mirabella —O, was das betrifft, unterbrach ihn Biribinker, wenn
die Salamandrin des alten Padmanaba nicht schöner als
Mirabella ist, so hätten Sie nicht nöthig gehabt, die sterblichen
Schönen so weit unter sie herunter zu setzen. Ich
gestehe, daß sie reizend ist; aber ich kenne ein gewisses Milchmädchen —In welches Sie so verliebt sind (fiel ihm der Kürbis
höhnisch in die Rede), daß Sie der schönen Mirabella beim
ersten Anblick schworen, sie nie gesehen zu haben. Die
Wirkung zeugt am besten von der Ursache, und wenn man
Ihre Leidenschaft nach diesem Grundsatze beurtheilen wollte —O wahrhaftig! rief Biribinker ungeduldig, ich bin, glaube
ich, nur hierher gekommen, um einen Kürbis vernünfteln
zu hören. Sagen Sie mir lieber, wie ich in den unsichtbaren
Palast kommen kann; denn ich sterbe vor Ungeduld,
wenn es nicht geschieht. Ist denn kein andres Mittel, als
das verwünschte feurige Bad, worin Sie mich gern zu einer
Carbonade gemacht sehen möchten?Sie sind wunderlich, mit Erlaubniß, antwortete der
Kürbis; ich sagte Ihnen ja schon, daß mir selbst Alles daran
gelegen ist, daß Sie in den unsichtbaren Palast kommen, wo,
allen Umwanden nach, eines der außerordentlichsten Abenteuer
auf Sie wartet. Meinen Sie denn, daß ich zu meinem
Spaß ein Kürbis bin, und daß ich mich nicht je eher je lieber
von diesem verfluchten unbequemen Wanste befreit sehen
möchte, der sich so übel für einen so speculativen Geist schickt,
als ich bin? Ich sage Ihnen noch einmal, Sie haben kein
anderes Mittel, in den Palast zu kommen, ohne von der
Glut desselben verzehrt zu werden, als das feurige Bad,
welches ich Ihnen vorschlug. Ehe Sie vor Ungeduld sterben,
wie Sie sagen, könnten Sie es ja ein paar Minuten versuchen;
kommen Sie auch darin um (wofür ich Ihnen doch
gut stehe) , so ist es nur eine Todesart für die andere, und
das kommt zuletzt auf Eines hinaus.Gut, sagte Biribinker, wir wollen sehen, was zu thun
seyn wird! Vielleicht sollt' ich nicht so viel Zutrauen in Sie
setzen, als ich thue; allein der Zug meines Schicksals ist
stärker, als meine Vernunft: ich will gehen, und wenn Sie
binnen einer Viertelstunde nichts von mir hören, so ergeben
Sie sich nur geduldig darein, ein Kürbis zu bleiben, bis
Padmanaba von sich selbst entweder verliebt oder eifersüchtig
zu seyn aufhört.Mit diesen Worten machte er dem Kürbis sein Compliment
und ging auf den Labyrinth zu, wo der feurige Brunnen
seyn sollte. Er fand ein großes rundes Becken, mit breiten
Steinen von Diamant ausgemauert und mit einem Feuer
angefüllt, welches, ohne von irgend einer sichtbaren Materie
genährt zu werden, in schlängelnden Blitzen emporloderte
und unschädlich die dichten Büsche von Rosen leckte, die rings
umher über den Brunnen sich wölbten. Unzählige Farben
spielten mit der anmuthigsten Abwechslung in diesen wundervollen
Flammen, und statt des Rauchs ergoß sich ein lauer
unsichtbarer Dampf von den lieblichsten Gerüchen umher.Biribinker betrachtete dieses Wunder eine geraume Zeit
mit einer Unschlüssigkeit, die einem Feenhelden wenig Ehre
macht; und er würde vielleicht noch immer am Rande des
Brunnens stehen, wenn ihn nicht, da er sich's am wenigsten
versah, eine unsichtbare Gewalt mitten in die Flammen geworfen
hätte. Er erschrak so sehr, daß er vor Angst nicht
schreien konnte: aber, da er spürte, daß ihm dieses Feuer
kein Haar versengte und, anstatt ihm nur den geringsten
Schmerz zu verursachen, sein ganzes Wesen mit einer wollüstigen
Wärme durchdrang, so faßte er sich bald wieder, und
in Kurzem gefiel es ihm so wohl darin, daß er in den feurigen
Wellen herumplätscherte, wie ein Fisch in frischem
Wasser. Vielleicht würde er weit länger als die vorgeschriebene
Zeit in einem so angenehmen Bade zugebracht haben,
wenn ihn nicht die immer zunehmende Hitze zuletzt herausgetrieben
hätte. Er sprang also wieder heraus; aber wie
sehr erstaunte er, da er sich nicht nur so leicht und unkörperlich
fühlte, daß er wie ein Zephyr über dem Boden hinschwebte,
sondern auf einmal einen Palast erblickte, dessen Glanz und
Schönheit Alles übertraf, was ein menschliches Auge jemals
gesehen hat!Er stand eine gute Weile wie außer sich selbst, und sein
erster Gedanke, da er wieder denken konnte, war an die
Schöne, die ein so herrlicher Palast in sich schließen müsse;
denn, da Diamanten und Rubinen ihm nur Gassensteine
gegen die Materialien däuchten, woraus dieses Schloß erbaut
war, so zweifelte er nicht, daß die schöne Salamandrin sich
gegen die Schönen die er bisher gekannt hatte, zum wenigsten
eben so verhalten würde, wie dieser Palast gegen die
gewöhnlichen Feenschlösser, die man prächtig genug gebaut
zu haben glaubt, wenn man die Mauern von Diamanten
oder Smaragden aufführt, das Dach mit Rubinen deckt, den
Fußboden mit Perlen einlegt, und was dergleichen mehr ist,
welches doch Alles in Vergleichung mit diesem feurigen Palast
nichts Besseres als eine elende Hütte vorgestellt hätte.Unter diesen Gedanken näherte er sich demselben unvermerkt
und war schon durch den ersten Hof, dessen glänzende
Pforte sich von selbst vor ihm aufthat, hineingegangen, als
ihm einfiel, daß ihm der Kürbis ausdrücklich gesagt hatte;
er sollte nach dem Bad im feurigen Brunnen wieder zu ihm
kommen. Vermuthlich, dachte er, hat er mir Nachrichten zu
geben, ohne die es gefährlich seyn könnte, sich in ein solches
Schloß zu wagen; und da ich mich bisher bei seinen Anweisungen
so wohl befunden habe, so wurde es weder klug noch
dankbar seyn, wenn ich mir einbilden wollte, daß ich seiner
nicht mehr vonnöthen hätte. Man sehe doch, wie seltsam es
kommen kann! Wer hätte jemals gedacht, daß ein Kürbis
der Rathgeber eines Prinzen seyn würde!Biribinker schlich sich also, nicht ohne Furcht, entdeckt zu
werden, zu seinem Kürbis zurück. — Ha! rief ihm dieser auf
zwanzig Schritte entgegen, ich sehe, daß Ihnen das Bad
unvergleichlich wohl zugeschlagen hat! Sie sind ja zum Bezaubern!
Ich schwöre Ihnen bei der Tugend meiner geliebten
Mirabella, daß keine Salamandrin ist, die Ihnen, so wie
Sie jetzt aussehen, nur eine Minute widerstehen könnte.
Aber was wird aus Ihrer Treue gegen das Milchmädchen werden?Herr Kürbis, sagte Biribinker, lassen Sie sich mit aller
der Achtung, die ich Ihnen übrigens schuldig bin, sagen, daß
Sie besser gethan hätten, mich in den Umständen, worein
mich Ihr Bad gesetzt hat, mit dergleichen unzeitigen Erinnerungen
zu verschonen.Ich bitte um Verzeihung, antwortete der Kürbis; ich
wollte nur so viel sagen —Gut, gut, unterbrach ihn der Prinz, ich weiß wohl, was
Sie sagen wollen, und ich antworte Ihnen darauf: daß ich,
ohne ihre Warnungen, die ein beleidigendes Mißtrauen in
meine Standhaftigkeit setzen, durch die bloße Erinnerung
an mein himmlisches Milchmädchen gegen die vereinigten
Reizungen aller Ihrer feurigen Schönen so sicher zu seyn
glaube, als ich es mitten unter den häßlichsten Gnomiden
seyn könnte.Es wird sich zeigen, sagte der Kürbis, ob Sie diese edeln
Gesinnungen zu behaupten wissen werden. Ich habe eine so
gute Meinung von Ihnen, als man nach Allem, was in
einem gewissen Schlosse vorgegangen ist, nur immer haben
kann; aber bei Allem dem kann ich doch nicht leugnen, daß
ich Ihre Treue in keiner kleinen Gefahr sehe, wenn Sie in
den Palast hinein gehen. Es steht noch bei Ihnen, ob Sie
es wagen wollen oder nicht; bedenken Sie sich wohl, oder —Mein lieber Herr Kürbis, unterbrach ihn Biribinker, ich
sehe, daß Sie eine eben so verzweifelte Wuth zum Raisonniren
haben, als die tugendhafte und precieuse Mirabella, Ihre
Geliebte. Warum haben Sie denn verlangt, daß ich in dem
feurigen Brunnen baden sollte, wenn ich nicht in den Palast
hinein gehen darf? Noch einmal, mein Freund, sorgen Sie
nicht für meine Treue und sagen Sie mir lieber, wie ich
mich zu verhalten habe, wenn ich in den Palast komme?Sie haben hierzu wenig Unterricht nöthig, antwortete der
Kürbis, denn Sie werden nirgends Widerstand finden; alle
Thüren werden sich Ihnen von selbst eröffnen; und wenn
Sie ja etwas zu besorgen haben, so muß es nur (wie ich
schon gesagt, und wie Sie sich so ungern sagen lassen) von
Ihrem eigenen Herzen seyn."Aber was für eine Miene, denken Sie, daß mir der
alte Padmanaba machen werde?"So viel ich an der Bewegung der Gestirne merke, erwiederte
der Kürbis, so ist es bereits um Mitternacht, um
welche Zeit der Alte in tiefem Schlafe zu liegen pflegt. Allein,
gesetzt auch, daß er aufwachen sollte, so haben Sie von seinem
Zorne nichts zu besorgen; alle seine Macht vermag nichts
gegen die Zauberkraft Ihres Namens, und, nach den Vortheilen,
die Sie bisher über ihn erhalten haben, zu urtheilen,
können Sie allerdings hoffen, auch dießmal nicht weniger
glücklich zu seyn.Es mag gehen, wie es will, versetzte Biribinker, so bin
ich entschlossen, das Abenteuer mit dem unsichtbaren Schlosse
zu bestehen; denn es ließe sich doch sonst keine vernünftige
Ursache angeben, warum ich in des Wallfisches Bauch gekommen
seyn sollte. Gute Nacht, Herr Kürbis. bis wir uns
wieder sehen!Viel Glücks, tapferer und liebenswürdiger Biribinker, rief
ihm der wortreiche Kürbis nach; fahre wohl, du Blume und
Zierde aller Feenritter! und möge das Abenteuer, dem du so
muthig entgegen gehst, einen Ausgang gewinnen, dergleichen
noch kein Mährchen gehabt hat, seitdem es Feen und Ammen
in der Welt gibt! Gehe, weiser Königssohn, wohin dich
dein Schicksal zieht! Aber hüte dich, die Warnungen eines
Kürbisses zu verachten, der dein guter Freund ist und vielleicht
tiefere Blicke in die Zukunft thut, als irgend ein
Kalendermacher in der Christenheit!Der Kürbis merkte nicht, indem er diese schöne Abschiedsrede
hielt, daß der Prinz schon durch den ersten Schloßhof
gegangen war, ehe er noch zu reden aufgehört hatte. Biribinker
war jetzt ganz und gar von dem Abenteuer eingenommen,
das er vor sich hatte, und seine Einbildungskraft, die
in dem feurigen Bad einen außerordentlichen Schwung erhalten
hatte, stellte ihm die schöne Salamandrin, die er bald
zu sehen hoffte, mit so unwiderstehlichen Reizungen vor, daß
er sich des Wunsches nicht enthalten konnte, seinem Milchmädchen
nur dieses einzige Mal noch ungetreu seyn zu können.
Unter diesen Gedanken kam er durch den zweiten Hof in ein
Vorhaus, aus welchem ihm ein großes Getümmel entgegen
schallte. Er lauschte ein wenig und vernahm, daß es eine
Menge von krächzenden Weiberstimmen war, die in einem
heftigen Wortwechsel begriffen schienen. So neugierig, als er
von Kindheit auf gewesen war, konnte er sich nicht enthalten,
zu sehen, wem diese anmuthigen Stimmen zugehörten. Er
öffnete die Thür eines großen und prächtigen Saals und
entsetzte sich nicht wenig, da er ihn mit fünfzig oder sechzig
der allerhäßlichsten kleinen Zwerginnen angefüllt sah, die nur
immer die burleske Einbildung eines Callot oder Hogarth zu
ersinnen fähig wäre.Der arme Biribinker glaubte beim ersten Anblick, daß er
zu einem Hexensabbat gekommen sey, und würde unfehlbar
vor Abscheu in Ohnmacht gefallen seyn, wenn er nicht zu
gleicher Zeit vor Lachen über so possirliche Figuren hätte
bersten mögen. Diese schönen Nymphen, die in der That
nichts Geringeres als junge Gnomiden waren, von denen die
jüngste kaum achtzig Jahre haben mochte, wurden seiner kaum
gewahr, so eilten sie alle, so schnell als es ihre krummen
Beine zuließen, auf ihn zu. Sie kommen eben recht, Prinz
Biribinker, rief ihm eine von den häßlichsten entgegen, einen
Streit zu entscheiden, worüber wir einander beinahe in die
Haare gekommen wären. — Sie zanken sich doch nicht, hoffe
ich, welche unter Ihnen die Schönste sey? sagte Biribinker. —
Und warum nicht? erwiederte die Gnomide: Sie haben es
ersten Streichs errathen. Aber denken Sie nur, mein schöner
Prinz, nachdem ich es bereits schon dahin gebracht hatte, daß
mir alle übrige den Vorzug eingestehen, so unterfängt sich
dieses Fratzengesicht, diese kleine Pagode hier, mir den goldnen
Apfel noch streitig zu machen. — O! mein angenehmster
junger Prinz, schrie die Angeklagte, indem sie ihn in die
Waden knipp, welches vermuthlich ihrer Absicht nach eine
Liebkosung seyn sollte, ich darf es kühnlich auf Ihr Urtheil
ankommen lassen! Sehen Sie uns beide nur recht an,
betrachten sie uns Stück für Stück und thun sie dann den
Ausspruch nach Ihrem Gewissen — wofern ich mir zu viel
schmeicheln würde, wenn ich sagte, nach Ihrem Herzen.Begreifen Sie, Prinz Biribinker, sagte die erste, wie
man die Unverschämtheit so weit treiben kann? Fürs Erste,
so ist sie kaum um die Breite eines Daumens kleiner als
ich, und Sie werden gestehen, daß dieß keinen Unterschied
macht. Was ihren Höcker betrifft, so hoffe ich, der meinige
darf sich noch immer neben dem ihren sehen lassen; und meine
Füße sind, wie Sie sehen, immer so breit und wohl um zwei
starke Zoll länger, als die ihrigen. Ich weiß wohl, daß sie
sich sehr viel auf den Umfang und die Schwärze ihres Busens
zu gut thut: aber Sie werden doch bekennen müssen, fuhr
sie fort, indem sie ihr Halstuch abnahm, daß der meinige,
wo nicht völlig so ansehnlich, doch ungleich schlapper und
schwärzer ist, als der ihrige.Mag er doch! rief die andere, einen so kleinen Vorzug
kann ich dir leicht eingestehen, da ich in allen andern Stücken
den Vortheil über dich habe. Sie lachen, mein lieber Prinz
Biribinker; und es kann in der That nichts lächerlicher seyn,
als die Eitelkeit dieser Meerkatze. Ich schäme mich, daß ich
genöthigt seyn soll, mich selbst zu loben; aber sehen Sie
einmal, um wie viel meine Beine die ihrigen an Krümme
und Dicke übertreffen! Müßte man nicht blind seyn, um zu
leugnen, daß meine Augen viel kleiner und matter, und
meine Backen um die Hälfte aufgedunsener sind, als die
ihrigen, und daß meine Unterlippe viel weiter herunterhängt?
Nichts von der ungleich größern Länge meiner Ohren zu
gedenken, und daß ich wenigstens fünf oder sechs Warzen
mehr im Gesichte habe, als sie, und daß die Haare an den
meinigen länger sind. — Wir wollen auf einen Augenblick
das Alles bei Seite setzen, um nur von der Nase zu sprechen.
Es ist wahr, die ihrige ist eine von den größten, die man
sehen mag, und man könnte in Versuchung gerathen, sie
eine der schönsten zu nennen, wenn man die meinige nicht
gesehen hat. Aber ich denke doch, sie haben keinen Maßstab
vonnöthen, um zu finden, daß die meinige wenigstens einer
halben Spanne lang weiter über den Mund herab hängt,
als die ihrige. Die Bescheidenheit erlaubt mir nicht, setzte
sie mit einem zärtlichen Blick hinzu, von andern Schönheiten
zu reden, die nur einem glücklichen Liebhaber sichtbar werden
dürfen; aber Sie können versichert seyn, daß ich in diesem
Stücke nicht weniger Ursache habe, mich der Freigebigkeit
der Natur zu berühmen, und ich hoffe —Mademoiselle, rief Biribinker, sobald er vor Lachen reden
konnte: ich unterstehe mich nicht, mich für einen Kenner auszugeben;
aber in der That, es kann Ihrer Freundin nicht
Ernst seyn, wenn sie sich, was die Schönheit betrifft, mit
Ihnen in einen Wettstreit einlassen will; der Vorzug, den Sie
in diesem Stücke haben, ist augenscheinlich, und es ist unmöglich,
daß der gute Geschmack der Herren Gnomen Ihnen hierüber
nicht vollkommene Gerechtigkeit widerfahren lassen sollte.Die erste Gnomide schien durch diese Entscheidung nicht
wenig beleidiget zu seyn; allein Biribinker, der vor Ungeduld
brannte, die schöne Salamandrin zu sehen, bekümmerte sich
wenig um Alles, was sie zwischen ihren langen Zähnen murmelte,
und zog sich eilfertig wieder zurück, nachdem er der
ganzen liebreizenden Gesellschaft eine gute Nacht gewünscht
hatte. Statt der Antwort schickten sie ihm ein lautes Gelächter
nach, um dessen Bedeutung er sich wenig bekümmerte,
da er jetzt den Palast vor sich stehen sah, dessen unbegreifliche
Schönheit seine ganze Aufmerksamkeit auf sich zog. Nachdem
er ihn eine geraume Weile voller Bewunderung betrachtet
hatte, sah er, daß die beiden Flügel der Pforte sich aufthaten.
Er konnte dies nicht anders als für ein Zeichen ansehen, daß
seine Unternehmung mit dem glücklichsten Ausgange bekrönt
werden würde. Er ging also mit hoffnungsvollem Muth
hinein und befand sich, nachdem er eine Treppe hinaufgestiegen
war, in einem großen Vorsaal, aus welchem er in
eine Reihe von Zimmern kam, von deren Schimmer er,
ungeachtet der Veränderung, die das Feuerbad in seiner
Natur hervorgebracht hatte, fast verblendet wurde.Allein, so mannigfaltig und außerordentlich alle die schönen
Dinge waren, die von allen Seiten seinen Augen entgegenstrahlten,
so vergaß er doch alles Andere über den Bildnissen
einer unvergleichlich schönen jungen Salamandrin, womit
alle diese Zimmer behangen waren. Er zweifelte nicht, daß
es die Geliebte des alten Padmanaba seyn werde; und diese
Copien, worin sie in allen nur ersinnlichen Stellungen, Anzügen
und Gesichtspunkten, bald wachend, bald schlafend,
bald als Diana, bald als Venus, Hebe, Flora oder eine
andere Göttin, vorgestellt war, gaben ihm eine solche Idee
von dem Urbilde, daß er bei der bloßen Erwartung seiner
bevorstehenden Glückseligkeit vor Entzücken und Wonne hätte
zerfließen mögen. Insbesondere konnte er nicht satt werden,
eine große Tafel anzuschauen, worin sie in einem Bade von
Flammen saß, von Liebesgöttern bedient, die durch das
Anschauen ihrer überirdischen Schönheit außer sich selbst gesetzt
schienen. Biribinker wußte nicht, ob er die Schönheit des
Gegenstandes oder die Kunst der Malerei am meisten bewundern
sollte, und mußte sich selbst gestehen, daß Correggio
und Tizian gegen die Salamandrischen Maler nur Sudler
seyen. Der Eindruck, den dieses Gemälde auf ihn machte,
war so lebhaft, daß er mit äußerster Ungeduld diejenige zu
sehen wünschte, die in einem leblosen Nachbilde schon so unwiderstehliche
Begierden einflößte. Er durchsuchte also eine
Menge von Zimmern, ohne daß er Iemand fand; er durchsuchte
den ganzen Palast von oben bis unten und wiederholte
es zwei- oder dreimal; aber da war keine Seele zu
hören noch zu sehen.Sein Erstaunen und seine Ungeduld waren nun aufs
äußerste gestiegen, als er einer halb geöffneten Thür gewahr
wurde, die in den außerordentlichsten Lustgarten führte, der
ihm jemals vorgekommen war. Alle Bäume, Gewächse und
Blumen, Hecken, Lauben und Springbrunnen in diesem Garten
waren von lauter Feuer; jedes brannte in seiner natürlichen
Farbe, mit einem eben so anmuthigen als durchdringenden
Glanz, und die Wirkung, die das Ganze machte, übertraf
in der That Alles, was sich die Einbildungskraft Prächtiges
vorstellen kann. .Biribinker warf nur einen flüchtigen Blick auf dieses majestätische
Schauspiel; denn er wurde am Ende des Gartens einen
Pavillon gewahr, in welchem er seine schöne Salamandrin zu finden
hoffte. Er flog dahin, und die Thür öffnete sich abermal von
selbst, um ihn durch einen großen Saal in ein Cabinet einzulassen,
wo er Niemand sah als einen Greis von majestätischem
Ansehen, mit einem langen schneeweißen Barte, der
auf einem Ruhebett in tiefem Schlafe zu liegen schien. Er
zweifelte nicht, daß es der alte Padmanaba sey; und ob er
gleich versichert war, daß er keine Gewaltthätigkeit von ihm
zu besorgen hätte, so konnte er sich doch nicht erwehren, ein
wenig zu zittern, da er sich mit den Absichten, die er hatte,
so nahe bei diesem Zauberer und an einem Orte sah, wo
Alles demselben zu Gebote stand. Doch der Gedanke, daß
ihn das Schicksal nun einmal dazu ausersehen habe, die Bezauberung
dieses Alten zu zerstören, und das Verlangen, die
schöne Salamandrin zu sehen, gaben ihm in wenig Augenblicken
seinen ganzen Muth wieder.Er war im Begriff, sich dem Ruhebette zu nähern, um
sich eines Säbels zu bemächtigen, der neben dem Alten auf
einem Kissen lag, als er merkte, daß er mit dem Fuß an
etwas stieß, ob er gleich nicht sah, was es seyn könnte. Er
stutzte, und da er die Hände zu Hülfe nahm, so fühlte er
den artigsten kleinen Fuß, der je gewesen ist, auf einem Polster
ausgestreckt. Eine so unverhoffte Entdeckung machte ihn
neugierig, das Bein kennen zu lernen, dem ein so artiger
Fuß zugehörte; denn Biribinker schloß in diesem Falle, wie
Durandus à. s. Porciano selbst geschlossen haben würde,
nämlich, daß, wo man einen Fuß finde, man nach dem ordentlichen
Laufe der Natur berechtiget sey ein Bein zu erwarten.
Er setzte also seine Beobachtungen fort und entdeckte endlich
von Schönheit zu Schönheit in der unsichtbaren Figur, die
er vor sich hatte, ein junges Frauenzimmer, das in einen
tiefen Schlaf versenkt zu seyn schien und (nach dem Zeugnisse
des einzigen Sinnes, der ihm ihr Daseyn verrathen
hatte, zu urtheilen) von einer so vollkommenen Schönheit
war, daß sie nichts Geringeres als entweder die Göttin der
Liebe oder die schöne Salamandrin selbst seyn konnte. In
dem nämlichen Augenblicke, da er diese Entdeckung machte,
ließ sich eine muntere Symphonie von allen möglichen Instrumenten
hören, ohne daß man weder Instrumente noch Musikanten
sah.Biribinker erschrak und bebte von der schönen Unsichtbaren
zurück; denn sein erster Gedanke war, daß dieses Getöse den
schlafenden Zauberer aufwecken würde; aber er entsetzte sich
noch weit mehr, da er sah, daß Padmanaba verschwunden war.Dieser Zauberer war alt genug, um klug zu seyn. Er
wußte schon lange, wie gefährlich ihm Biribinker einst seyn
würde, und die Furcht vor einem Prinzen, der dazu geboren
war, seine Bezauberungen aufzulösen, war der stärkste Beweggrund
gewesen, warum er seine Residenz in des Wallfisches
Bauch aufgeschlagen hatte. Allein auch in dieser Freistatt
hielt er sich und seine schöne Salamandrin, die nun der einzige
Gegenstand seiner Sorgen war, nicht für sicher genug;
und da ihm eine geheime Ahnung vorher sagte, daß ihn
Biribinker bis in des Wallfisches Bauch verfolgen würde,
so glaubte er nicht genug Vorsicht gebrauchen zu können, um
das Unglück zu verhüten, womit ihn die Erscheinung eines
so furchtbaren Gegners bedrohte. In dieser Absicht hatte er
seine Geliebte mit einem geheimnißvollen Talisman bewaffnet,
der die gedoppelte Eigenschaft hatte, sie allen andern
Augen als den seinigen unsichtbar zu machen und, sobald
er berührt wurde, eine zauberische Musik hervorzubringen.
Käme auch Biribinker (dachte der alte Padmanaba), aller
Schwierigkeiten ungeachtet, in den Bauch des Wallfisches,
ja selbst in den unsichtbaren Palast, so würde ihm doch die
schöne Salamandrin unsichtbar seyn, und entdeckte er sie auch,
trotz ihrer Unsichtbarkeit, so würde doch, sobald er den Talisman
berührte, das musikalische Getöse sein Daseyn verrathen
und den mißbeliebigen Folgen dieser Entdeckung
zuvorkommen. Diese Vorsicht war desto nöthiger, da der
gute Alte seit mehreren Jahren mit einer Art von Schlafsucht
behaftet war, die ihn nöthigte, alle Tage wenigstens
sechzehn Stunden von vier und zwanzig zu verschlafen. Das
geringe Zutrauen, das ihm seine vorige Liebste zu ihrem
ganzen Geschlecht übrig gelassen hatte, bewog ihn, die schöne
Salamandrin während der ganzen Zeit seines Schlummers
in einen bezauberten Schlaf zu versenken, aus welchem Niemand
als er sie erwecken konnte. Der einzige Biribinker
würde unter gewissen Umständen und Bedingungen die nämliche
Macht gehabt haben, und Padmanaba (so wollt' es das
Schicksal!) würde in eben demselben Augenblicke die seinige
(wenigstens über die schöne Salamandrin) gänzlich verloren
haben: und da Alles dieses, während der Alte schlief, gar
leicht hätte geschehen können; so hatte er den Talisman,
der ihn erwecken sollte, so weislich angebracht, daß
Biribinker (insofern man ihm auch nur eine mittelmäßige
Neugierde zutrauen konnte) ihn nothwendig finden
mußte.Hier konnte Don Sylvio sich nicht enthalten, Don Gabriel
in seiner Erzählung zu unterbrechen, indem er ihn ersuchte,
sich über den Umstand mit dem Talisman etwas deutlicher
zu erklären. Ich finde Sie, wider Ihre Gewohnheit, eine
Weile her etwas dunkel (setzte er hinzu), und ich gestehe
Ihnen, daß ich von Allem. was Sie bei Gelegenheit der Erwachung
des alten Padmanaba sagten, kaum die Hälfte versanden
habe. — Die ganze Gesellschaft, selbst die schöne
Jacinte nicht ausgenommen, lächelte über diese Anmerkung,
und Don Gabriel wußte sich nicht anders zu helfen, als daß
die Dunkelheit, worüber Don Sylvio sich beklagte, in der
Sache selbst liege und daß überhaupt keine Feengeschichten
gefunden würden, welche durchaus so deutlich und begreiflich
wären, als es zu wünschen sey. Weil nun Don Sylvio sich
mit dieser Entschuldigung zu begnügen schien, so fuhr Don
Gabriel in seiner Erzählung also fort:Kaum hatte Biribinker — in dem nämlichen Augenblicke,
da er entdeckte, daß der schöne Fuß (der zu diesem Abenteuer
Anlaß gegeben) einem eben so schönen jungen Frauenzimmer
zugehöre — den fatalen Talisman berührt, so fing (wie schon
gemeldet worden) der Talisman zu musiciren an, und Padmanaba
erwachte. Er warf, wie leicht zu erachten ist, keine
sehr freundliche Blicke auf unsern Prinzen; allein, da er mit
Gewalt nichts gegen ihn vermochte, so blieb ihm nichts übrig,
als sich auf der Stelle unsichtbar zu machen und mit aller
nur möglichen Eilfertigkeit auf die Verhinderung des Vorhabens
bedacht zu seyn, welches er, ohne in einem übertriebenen
Grad argwöhnisch zu seyn, bei Biribinkern voraus setzen
konnte.Inzwischen hatte sich dieser Prinz, dem es bei Gelegenheit
nicht an Muth fehlte, wieder aus der ersten Bestürzung
erholt, worein ihn das unsichtbare Concert und die Verschwindung
des Padmanaba gesetzt hatten. So gefährlich es ihm
schien, in einem solchen Orte gar zu neugierig zu seyn, so
wollte er doch wissen, was aus dem alten Zauberer geworden
sey. Er suchte ihn also im Garten sowohl, als in allen Zimmern
und Winkeln des Schlosses, nachdem er die Vorsicht
gebraucht hatte, sich vorher mit dem Säbel zu bewaffnen,
welchen Padmanaba zurück gelassen, und auf dessen beiden
Seiten er so viel talismanische Figuren eingegraben fand,
daß er sich mit diesem Gewehr vor dem Zauberer Merlin selbst
nicht gefürchtet hätte. Da er aber weder den Alten noch Jemand
Anderes finden konnte, so zweifelte er nun nicht länger,
daß Padmanaba entflohen sey und ihm seinen Palast und
seine Schöne zur Beute überlassen habe.In diesen Gedanken kehrte er triumphirend zurück, legte
seinen Säbel neben das Ruhebette und sich selbst zu den
Füßen der liebenswürdigen Unsichtbaren, die er zu seiner
unbeschreiblichen Freude noch immer schlafend fand, ungeachtet
die Musik des berührten Talismans mit der angenehmsten
Abwechslung von Allegro und Andante immer fortdauerte.
Man weiß nicht, ob es den zauberischen Einflüssen eines von
diesen Andante's (welches in der That nicht zärtlicher hätte
seyn können, wenn es von Jomelli selbst gewesen wäre) oder
einem Zweifel, der (wie es zu gehen pflegt) bei ihm entstand,
ob er auch dem Zeugniß eines einzigen Sinnes glauben
dürfte, und ob nicht diese unvergleichliche Schöne, die er auf
dem Sopha gefunden zu haben glaubte, ein bloßes Blendwerk
seyn möchte, dergleichen in bezauberten Palästen nicht
ungewöhnlich sind — man weiß nicht, sagte ich, ob es der
einen oder der andern von diesen Ursachen zuzuschreiben war,
daß Biribinker durch neue Beobachtungen sich der Wahrheit
einer so außerordentlichen Erscheinung zu versichern anfing.
In Kurzem fügte er auch noch Versuche hinzu; und Beides
sowohl, als die heftigsten Symptome einer Leidenschaft, die
in Kurzem bis zum höchsten Grade der Schwärmerei und
des Taumels stieg, ließen ihm endlich keinen Zweifel mehr,
daß er wirklich die schöne Salamandrin in seinen Armen
habe, deren sichtbare Gestalt ihn in den Zimmern des Palasts
so sehr entzückt hatte. Dieser Gedanke und das bezaubernde
Colorit, womit sein Gedächtniß die Unvollkommenheit
des fünften Sinnes ergänzte, dessen er sich allein bedienen
konnte, setzte ihn zu sehr außer sich selbst, als daß er sich in
diesen Augenblicken seines geliebten Milchmädchens, seiner Entschließungen
und der Warnungen des Kürbisses hätte erinnern
können. Kurz, er wurde immer kühner, und die zunehmende
Dunkelheit des Zimmers, die er für eine Aufmunterung
seiner Unternehmungen hielt, mit der Musik des Talismans,
welche immer zärtlicher wurde, war in der That nicht
geschickt, seine Entzückung auf einen mäßigern Grad herab
zu stimmen.Es findet sich hier eine abermalige kleine Lücke im Original
dieser merkwürdigen Geschichte, deren Ausfüllung wir
den Bentleyen und Burmannen unserer Zeit überlassen, ohne
uns mit Vermuthungen über den Inhalt derselben aufzuhalten.
Biribinker, fährt die Geschichte fort, erwachte eben aus
einer Betäubung, — welche den Anhängern des Fohi in
Indien so angenehm zu seyn scheint, daß sie in eine immerwährende
Dauer derselbigen den höchsten Grad der Glückseligkeit
setzen — als er gewahr wurde, daß die schöne Unsichtbare
seine Liebkosungen mit ungemeiner Lebhaftigkeit erwiederte.
Er schloß hieraus, daß sie erwacht seyn müsse, und
unterließ nicht, ihr in der schwülstigen Sprache, die er sich
im Bienenstock der Fee Melisotte angewöhnt hatte, alle die
zärtlichen Sachen zu sagen, welche Krystalline und Mirabella
in ähnlichen Umständen von ihm gehört hatten. Die Unsichtbare
beantwortete diese Erklärungen, Lobsprüche, Ausrufungen
und Betheurungen mit Seufzern, Verkleinerung
ihrer Reizungen und Zweifeln an seiner Beständigkeit, die
ein weniger entzückter Liebhaber als Biribinker unzeitig und
im Mund einer so liebenswürdigen Person unnatürlich hätte
finden können. Aber er begnügte sich, ihre Zweifel dadurch
zu zerstreuen, daß er die Beweise seiner Zärtlichkeit verdoppelte.
Sie gab ihm alle Aufmerksamkeit, die er nur immer
wünschen konnte, ohne desto besser überzeugt zu seyn. —
Haben Sie nicht, sagte sie ihm, Mirabellen und Krystallinen
eben so geliebt wie mich? Haben Sie nicht einer jeden von
ihnen eben so viel Zärtliches vorgesagt, eben so viel Betheurungen
gemacht, eben so viele Beweise gegeben, ohne daß
weder die eine noch die andere, wie reizend sie Ihnen auch
in der ersten Betäubung Ihrer Sinne vorkamen, fähig war,
über das Milchmädchen, das Sie sich in den Kopf gesetzt
haben, nur einen einzigen Tag lang die Oberhand zu behalten?
Ach, Biribinker! das Schicksal meiner Vorgängerinnen
sagt mir nur allzudeutlich, was das meinige seyn wird
und wie können Sie verlangen, daß ich bei der traurigen
Gewißheit, Sie in wenigen Stunden wieder zu verlieren,
gleichgültig bleiben soll? — Biribinker antwortete ihr hierauf
mit den lebhaftesten und feierlichsten Versicherungen einer
ewigen und eben so unbegränzten Liebe, als es ihre Reizungen
seyen. Er behauptete, daß sie sich selbst beleidige, indem
sie sich mit den beiden Feen vergleiche, welche nie liebenswürdig
genug gewesen seyen, ihm etwas mehr als einen
flüchtigen Geschmack beizubringen; und er schwor ihr bei allen
Liebesgöttern, daß von dem Augenblick an da er so glücklich
gewesen sey, ihr Bild im großen Saale zu erblicken, sein
Milchmädchen selbst nicht mehr Gewalt über sein Herz behalten
habe, als ein jedes andere Milchmädchen in der Welt.
— Diese Versicherungen beruhigten die schöne Unsichtbare
nur schwach, bud Biribinker sah sich genöthigt, alle seine
Figuren zu erschöpfen, um die Hartnäckigkeit ihres Unglaubens
zu überwinden. O! rief er, schönste Unsichtbare, warum
kann ich nicht den ganzen Erdkreis und alle vier Elemente
mit ihren Bewohnern auf einmal zu Zeugen der unveränderlichen
Treue machen, die ich Ihnen schwöre!Wir alle sind Zeugen, rief eine Menge von weiblichen
und männlichen Stimmen, die ihm von Personen, die um
ihn herum standen, in die Ohren schallten.Biribinker, der wohl nicht vermuthet hatte, daß man
ihn so schnell beim Worte nehmen würde, fuhr mit einiger
Bestürzung auf, um zu sehen, woher diese Stimmen kämen;
aber, o Himmel! welche Zunge könnte beredt genug seyn,
sein Entsetzen über den Anblick auszudrücken, welchen die
plötzliche Erleuchtung des Zimmers seinen weit offenen Augen
darstellte? Er sah — o Wunder! o Abenteuer! o schreckenvoller
Anblick! — er sah sich in eben dem Cabinet, welches
schon zweimal ein Zeuge seiner treulosen Unbeständigkeit gewesen
war; anstatt der schönen Salamandrin fand er sich in
die Arme der mißgeschaffnen Gnomide verwickelt, welcher er
vor etlichen Stunden den Preis zuerkannt hatte; und (was
seine Beschämung und seinen Schmerz hätte tödtlich machen
mögen) er sah sich um und um von allen denjenigen umgeben,
die er sich am wenigsten zu Zuschauern wünschen
konnte; und sie waren grausam genug, in eben dem Augenblicke,
da er sich mit grauenvollem Schaudern aus den Bratzen
der ekelhaften Zwergin losreißen wollte, in ein so lautes
Gelächter auszubrechen, daß der ganze Palast davon widerhallte.
Zur Rechten des Ruhebettes sah er (o! wie gern
hätte er sich in diesem Augenblicke blind und unsichtbar zu
seyn gewünscht!) die Fee Krystalline, welche den kleinen Grigri
an der Hand hatte; zur Linken die schöne Mirabella mit
ihrem geliebten Flox, der in der That als Salamander eine
bessere Miene hatte, als in der Gestalt eines dicken Kürbisses.
Aber, was die Qual des unglücklichen Biribinker auf den
äußersten Grad vermehrte, war der Anblick der Fee Caprosine
mit dem lieblichen Milchmädchen und des alten Padmanaba
mit der schönen Salamandrin an der Hand, welche beiderseits
auf einer goldfarbigen Wolke, von kleinen Sylphen getragen,
mit höhnischem Lächeln auf ihn hinunter sahen.Glück zu! Prinz Biribinker, sagte die Fee Krystalline: in
der That, nun vergeb' ich Ihnen, daß Sie so ungeduldig
von mir wegeilten; wer einer solchen Eroberung zueilt, kann
sich nicht genug beschleunigen.Sie erinnern sich noch wohl, Prinz Biribinker, nahm
jetzt Grigri das Wort, daß ich eben keine Ursache habe, mich
Ihnen verpflichtet zu glauben; denn, wenn es an Ihnen gelegen
hätte, so möchte ich wohl ewig eine Hummel geblieben
seyn: aber es wäre zu grausam, Ihrer in den Umständen,
worin Sie sind, noch zu spotten. Sehen Sie selbige als
eine Strafe an, die Sie in mehr als einer Betrachtung
wohl verdient haben.Wenn auch die Schöne, bei der wir Sie auf eine so unvermuthete
Art überraschen, Ihrer nicht von allen Seiten so
würdig wäre, fuhr Mirabella mit einer boshaften Miene
fort, so haben Sie wenigstens den Vortheil, daß sie keine
Precieuse ist.Was mich betrifft, setzte der gewesene Kürbis hinzu, so
könnte ich zwar bedauern, daß ich meine wieder erlangte Gestalt
und den Besitz der schönen Mirabella Ihrem Unglück
zu danken habe: allein, nachdem ich, als Kürbis, großmüthig
genug gewesen war, Sie vor den Folgen einer neuen Untreue
zu warnen, so werden Sie mir es nicht verdenken können,
wenn ich mich, als Salamander, erfreue, daß Sie meine
Warnungen verachtet haben.Siehe, unglücklicher aber mit Recht bestrafter Biribinker,
meckerte jetzt die Fee Caprosine, wie schlecht dich Caramussal
gegen meinen Zorn geschützt hat. Siehe hier die liebenswürdige
Prinzessin Galaktine, die du als Milchmädchen liebtest,
und deren Besitz ein allzugünstiges Schicksal, alles meines
Hasses ungeachtet, dir zugedacht hatte, wenn du durch eine
dreimal wiederholte Untreue dich ihrer nicht selbst unwürdig
gemacht hättest!Wenn Mitleiden dir helfen könnte, armer Prinz, sagte
das schöne Milchmädchen, so würdest du, so wenig du es
auch von mir verdient haben magst, weniger unglücklich seyn!
Denn ich sehe wohl, daß deine Strafe härter ist, als dein
Verbrechen, und daß die Feen und Zauberer wenigstens eben
so viel Schuld an deinem Unfall haben, als du selbst.Bei diesen Worten schaute der allzu unglückliche Biribinker
auf, heftete einen Blick voll unbeschreiblicher Empfindungen
auf sein geliebtes Milchmädchen und sank mit einem Seufzer,
worin er seine Seele auszuhauchen schien, wieder zurück,
ohne das Vermögen zu haben, nur ein Wort hervorzubringen.Lerne, rief ihm der alte Padmanaba von der andern
Seite zu, lerne, bewundernswürdiger Biribinker, seltnes
Muster der Weisheit und Beständigkeit, daß der alte Padmanaba
nicht alt genug ist, deine Verwegenheit unbestraft
zu lassen: und möge deine Geschichte, in immerwährender
Zeitfolge von einer Amme der andern überliefert, der späten
Nachwelt zum Beispiel dienen, wie gefährlich es ist, den
großen Caramussal um sein Schicksal zu befragen und vor
seinem achtzehnten Jahre ein Milchmädchen zu sehen!Kaum hatte Padmanaba den Mund wieder zugemacht,
so hörte man auf einmal ein fürchterliches Donnern, mit
Sturmwind und Blitzen begleitet, wodurch der ganze Palast,
wie in einem Erdbeben erschüttert, und die ganze Gesellschaft,
den einzigen verzweiflungsvollen Biribinker ausgenommen,
in Furcht und Schrecken gesetzt wurde! Denn selbst der alte
Padmanaba merkte, daß dieses Ungewitter von einer Macht
herkomme, die der seinigen überlegen war.Auf einmal flog die Decke des Zimmers und das ganze
Dach des Palastes hinweg, und man sah unter Donnern und
Blitzen den großen Caramussal, auf einem Hippogryphen sitzend,
herab steigen und zwischen der Fee Caprosine und dem alten
Padmanaba seinen Platz auf einer Wolke nehmen. Der Prinz
Biribinker ist genug gestraft, rief Caramussal mit majestätischer
Stimme; das Schicksal ist befriediget, und ich nehme ihn in
meinen Schutz. Verschwinde, nichtswürdiger Wechselbalg,
fuhr er fort, indem er die Gnomide mit seinem Stabe berührte;
und Sie, Prinz Biribinker, wählen Sie unter diesen
vier Schönen, welche Sie wollen, die Salamandrin, die
Sylphide, die Ondine oder die Sterbliche: diejenige, welche
Ihr Herz wählen wird, soll Ihre Gemahlin seyn und Sie
von der Unbeständigkeit heilen, die bisher, wie man gestehen
muß, Ihr Fehler gewesen ist.Padmanaba würde, vor Verdruß über eine so unerwartete
Entwicklung, gern mit den Zähnen geknirscht haben, wenn
er Zähne gehabt hätte. Was die Schönen betrifft, so hatten
sie alle die Augen mit Erwartung auf den Prinzen geheftet;
und besonders sah man der jungen Salamandrin, die noch
kein Wort gesprochen hatte, ganz deutlich an, daß sie lieber
gesehen hätte, wenn der alte Padmanaba, anstatt die Gnomide
an ihren Platz zu schieben, ihr erlaubt hätte, ihre eigene
Stelle selbst zu vertreten.Aber Biribinker, der in diesem Augenblick von dem tiefsten
Grade der Scham und der Verzweiflung auf die höchste
Stufe der Glückseligkeit versetzt wurde, bedachte sich nicht,
welche er wählen wollte. Obgleich die elementarischen Damen
sein Milchmädchen an Schönheit weit hinter sich zurück ließen,
so konnten doch alle ihre Reizungen in der Gegenwart seiner
geliebten Galaktine nicht mehr als einen flüchtigen Blick von
ihm erhalten. Er warf sich vor ihr nieder und bat mit
Ausdrücken einer so aufrichtigen Reue und einer so wahren
Liebe um die Vergebung seiner Schuld, daß sie nicht so unbarmherzig
seyn konnte, ihm nicht wenigstens die Hoffnung,
daß sie sich noch erbitten lassen werde, zu erlauben.Caramussal, dem er sich gleichfalls zu Füßen warf, hob
ihn auf, nahm ihn bei der Hand und führte ihn der Prinzessin
Galaktine zu. — Empfangen Sie hier, liebenswürdige
Prinzessin, den Prinzen Cacamiello von meiner Hand! denn
dieses ist nunmehr sein Name, da die Absichten, warum ich
ihm den andern geben ließ, erfüllt sind. Biribinker und
Milchmädchen sind nicht mehr! und nachdem beide dem Eigensinn
ihres Gestirns genug gethan und der Feerei ihre Gebühr
bezahlt haben, so bleibt mir nichts übrig, als den Prinzen
Cacamiello seinen königlichen Eltern zurück zu geben und durch
ein ewiges Band mit der Prinzessin Galaktine zu vereinigen.
Ihr, schöne Feen, fuhr er fort, indem er sich zu Krystallinen
und Mirabellen wandte, habt, wie ich hoffe, Ursache mit mir
vergnügt zu seyn, da ihr durch meine Veranstaltung eure
Gewalt und eure Liebhaber wieder erhalten habt. Weil es
aber unbillig wäre, daß ich allein leer ausginge, so entlade
ich hier den alten Padmanaba aller seiner Sorgen, indem
ich die schöne Salamandrin, die bei ihm nichts zu thun hat,
als unsichtbar zu seyn und zu schlafen, zur Belohnung meiner
Mühe für mich selbst behalte.Mit diesen Worten schlug der große Caramussal mit seinem
Stabe dreimal in die Luft, und auf einmal befand er
sich mit dem Prinzen und der Prinzessin im Cabinet des
Königs mit dem großen Wanste, der nicht wenig erfreut
war, seinen Sohn und Erben so groß und schön, mit einer
so hübschen Prinzessin und mit einem so schönen Namen
wieder zu sehen. Bald darauf wurde das Beilager mit großer
Feierlichkeit und Pracht vollzogen; das neue Ehepaar liebte
sich, solange als es konnte, und zeugete Söhne und Töchter;
und nachdem endlich König Wanst in die neunzehnte Welt
abgereist war, regierte König Cacamiello so weislich an seiner
Statt, daß die Unterthanen keinen Unterschied spürten. Er
machte seinen Freund Flox, zur Belohnung der guten
Dienste, die er ihm als Kürbis geleistet hatte, zu seinem
ersten Wessir; und die schöne Mirabella nebst der Fee Krystalline
unterliefen niemals bei Hofe zu erscheinen, so oft
die Königin in die Wochen kam. Sie brachten jedesmal den
kleinen Grigri mit, welcher, ungeachtet seiner Häßlichkeit,
bei den meisten Hofdamen einen Beifall erhielt, der ihren
Liebhabern nicht ganz gleichgültig war. Das muß man gestehen,
sagten sie alle aus einem Munde, daß Grigri mit aller
seiner Häßlichkeit der kurzweiligste Gesellschafter von der
Welt ist!Und hier endet sich die eben so lehrreiche als wahrhafte
Geschichte des Prinzen Biribinker (setzte Don Gabriel lächelnd
hinzu), mit welcher ich meinen Zweck vollkommen erreicht
habe, wenn sie Ihnen keine lange Weile gemacht und die
schöne Jacinte von ihrem Vorurtheile gegen die Feerei zurückgebracht
haben kann.
—————Drittes Capitel:Anmerkungen über die vorstehende Geschichte.Wofern das Ihre Absicht gewesen ist, Don Gabriel, sagte
Jacinte, so bedaure ich, daß Sie solche so wenig erreicht haben,
als nur möglich ist. Wenn ich Ihnen die Wahrheit sagen
soll, so halte ich es für unmöglich, das Abenteuerliche und
Ungereimte weiter zu treiben; und Don Sylvio müßte gar
zu gläubig seyn, wenn er nicht schon lange gesehen hätte,
daß Ihre Absicht ist, die Feen um allen ihren Credit bei
ihm zu bringen.Sie urtheilen sehr streng, versetzte Don Eugenio: es ist
wahr, daß die Natur in dieser ganzen Geschichte vom Anfang
bis zum Ende auf den Kopf gestellt ist; daß die Charakter
eben so abgeschmackt, als die Begebenheiten unglaublich sind,
und daß, wenn man die einen und die andern nach den Gesetzen
der Vernunft, der Wahrscheinlichkeit und der Sittlichkeit
beurtheilen wollte, nichts Widersinnigeres erdacht werden
kann. Allein das wäre nicht billiger, als wenn man das
Klima von Siberien nach dem Klima von Valencia oder die
Höflichkeit der Sineser nach der unsrigen beurtheilen wollte.
Das Land der Feerei liegt außerhalb der Gränzen der Natur
und wird nach seinen eigenen Gesetzen oder, richtiger zu
sagen (wie gewisse Republiken, die ich nicht nennen will),
nach gar keinen Gesetzen regiert. Man kann ein Feenmährchen
nur nach andern Feenmährchen beurtheilen, und aus diesem
Gesichtspunkte finde ich den Biribinker nicht nur so wahrscheinlich
und lehrreich, sondern in allen Betrachtungen interessanter
(die vier Facardins vielleicht allein ausgenommen),
als irgend ein anderes Mährchen in der Welt.Ich möchte doch wissen, was Sie Lehrreiches in diesem
Mährchen finden, fragte Jacinte.Moralisten von Profession, erwiederte Don Eugenio, Leute,
die im Stande sind, ein ganzes System von Sittenlehre aus
einer Elegie des Tibullus auszuziehen, würden ohne Zweifel
geschickter seyn als ich, diese Frage zu beantworten. Aber,
damit ich meinen Satz nicht gänzlich unerwiesen lasse, wird
nicht in dieser Geschichte die Ausschweifung und das Laster
durchgängig bestraft? Wird nicht die Unschuld in der Person
des Milchmädchens am Ende belohnt? Und ist nicht das
Ganze eine überzeugende Betätigung der moralischen Maxime:
daß der Vorwitz über unser künftiges Schicksal, in der Absicht,
uns demselben zu entziehen, thöricht und gefährlich sey?
Hätte der König mit dem majestätischen Wanste den großen
Caramussal unbefragt gelassen, so würde man nie gewußt
haben, daß es dem Prinzen gefährlich sey, vor seinem achtzehnten
Jahre ein Milchmädchen zu sehen, und so würde er
auch den Namen Biribinker nie bekommen haben. Er würde,
wie andere Prinzen, am Hofe seines Vaters aufgewachsen
seyn; und wenn es Zeit gewesen wäre, ihn zu vermählen,
so wurde man durch Gesandte um die Prinzessin Galaktine
haben werben lassen, und Alles wäre den natürlichen Gang
gegangen. Der Vorwitz des Königs und das fatale Orakel
des großen Caramussal war ganz allein an allem Unheil Schuld.
Die Mittel, wodurch man ihn vor dem Milchmädchen verwahren
wollte, dienten zu nichts, als sie desto geschwinder
zusammen zu bringen; und der Name Biribinker, der ihm
freilich aus allen seinen Abenteuern heraushalf, würde das
nicht nöthig gehabt haben, weil der Prinz nie in diese Abenteuer
verwickelt worden wäre, wenn er nicht Biribinker
geheißen hätte.Sie haben hierin vollkommen Recht, sagte Donna Felicia:
aber eben darin besteht das Lustige von der ganzen Komödie;
oder vielmehr, wenn man diesen einzigen Umstand wegthäte,
so würde die ganze Geschichte des Prinzen Biribinker, anstatt
eines der possirlichsten Feenmährchen, eine Alltagshistorie
seyn, die aufs höchste gut genug gewesen wäre, einen Artikel
in den Zeitungen oder Kalendern seiner Zeit auszufüllen.
Und das wäre doch wohl Schade gewesen! Kurz, ungereimt
oder nicht, ich nehme den Prinzen Biribinker in meinen
Schutz, und wenn ich die Ehre hätte, Hut und Degen zu
tragen, so wollte ich gegen Alle und Jede behaupten, daß die
Liebe des Prinzen Biribinker, die Tugend der Dame Krystalline,
die Delicatesse der schönen Mirabella mit ihrer Kleidung
von trocknem Wasser und ihren Zerstreuungen, der Riese Karakuliamborix,
der sich die Zähne mit einem Zaunpfahle ausstochert,
das mit Nymphen und Tritonen gefüllte Pfauenei, der Wallfisch,
die Seen, Inseln und bezauberten Schlösser, die er im
Leibe hat, der Palast von gediegenem Feuer und der redende
Kürbis, der sich auf den Lauf der Sterne versteht, mit allen
andern wundervollen und unerwarteten Dingen, wovon es
in diesem Mährchen wimmelt, Alles hübsch unter einander
gemischt, das allerdrolligste Zeug ausmachen, das ich in meinem
Leben gehört habe.Sie haben den Karpfen vergessen, der so schöne Opernarien
singt, sagte Jacinte, das Hündchen, das auf dem Seile tanzt,
und die feurigen Blicke, womit Biribinker die Steine am
Bache, wo sein Mädchen saß, in Glas verwandelte.Erlauben Sie mir noch hinzuzusetzen, sagte Don Gabriel,
daß man schwerlich ein Mährchen finden wird, wo die
kostbarsten Materialien so sehr verschwendet wären. Ich bin
gewiß, daß man in keiner Raritätenkammer von Europa einen
Melkkübel von Rubin antreffen wird; und ich kenne keine
bezauberte Gärten, worin sogar die Brunnen mit diamantenen
Quaderstücken gepflastert wären.Don Sylvio hatte bisher so ausgesehen, als ob er dem,
was gesprochen wurde, sehr aufmerksam zuhöre. Als aber
alle ihre Meinung gesagt hatten, und er merkte, daß
man nun auf seine Entscheidung warte, so sagte er ganz
ernsthaft: Ich muß gestehen, daß ich gewünscht hätte, der
Prinz Biribinker wäre entweder seinem Milchmädchen (die
in der That eine sehr liebenswürdige Person ist) getreuer
gewesen, oder er möchte für seine Ausschweifungen schärfer
gestraft worden seyn; aber (diesen einzigen Umstand und den
Charakter sowohl als die Aufführung einiger anderen Personen,
die Niemand billigen wird, ausgenommen) sehe ich nicht, was
in der ganzen Geschichte dieses Prinzen Ungereimtes, geschweige
denn Unnatürliches und Unmögliches seyn sollte.Wie, Don Sylvio? sagte Jacinte: Sie finden alle diese
Wunderdinge, den Riesen, der sich den Zahn mit einem Zaunpfahl
ausstochert, den Wallfisch, der auf fünfzig Meilen in
die Runde Wolkenbrüche aus seinen Nasenlöchern spritzt; die
weichen Felsen, die singenden Fische und die redenden Kürbisse
natürlich und möglich?Ohne Zweifel, schöne Jacinte; gab Don Sylvio zur Antwort;
wenn wir anders nicht den unendlich kleinen Theil
der Natur, den wir vor Augen haben, oder das, was wir
alle Tage sich zutragen sehen, zum Maßstabe dessen, was der
Natur möglich ist, machen wollen. Es ist wahr, Karakuliamborix
ist in Vergleichung mit einem gewöhnlichen Menschen
ein Ungeheuer; aber er wird selbst zum Pygmäen, wenn wir
ihn mit den Einwohnern des Saturnus vergleichen, die nach
dem Bericht eines großen Sternkundigen mit Meilenstäben
ausgemessen werden müssen. Warum sollte es nicht einen
Wallfisch geben können, welcher groß genug wäre, um Seen
und Inseln in sich zu halten, da es kleine Wasserthiere gibt,
gegen welche ein grönländischer Wallfisch zum wenigsten so
groß ist, als jener gegen diese?Was den Wallfisch betrifft, unterbrach ihn Don Gabriel,
so kann seine Möglichkeit keine Frage seyn, weil es allen
Umständen nach der nämliche ist, von welchem Lucian in seinen
wahrhaften Geschichten eine umständliche Beschreibung
macht, und worin er selbst ein großes Land entdeckt hat, welches
damals von fünf oder sechs verschiedenen Nationen
bewohnt war, die immer gegen einander zu Felde lagen und
vermuthlich, als Padmanaba sich einen Palast in dem Bauche
dieses Wallfisches bauen ließ, einander schon aufgerieben hatten.
Das Einzige, was die Sache unglaublich machen könnte,
ist der Umstand, daß Biribinker Sonne, Mond und Sterne
darin gesehen haben soll.Ich glaube nicht, sagte Don Sylvio, daß das so viel sagen
will, als ob eine wirkliche Sonne und wirkliche Sterne
ihren Lauf in des Wallfisches Bauch gehalten hätten, sondern
nur, daß es dem Prinzen so däuchte, welches Padmanaba
durch seine Kunst leicht zuwege bringen konnte. Diese Sonne
und diese Sterne konnten zum Beispiel eben so viele Salamander
seyn, welche Padmanaba nöthigte, in gewissen angewiesenen
Entfernungen und Kreisen zu leuchten und ihren
Lauf zu halten; und ich vermuthe aus allen Umständen, daß
es wirklich so gewesen ist.Ich möchte wohl wissen, sagte Jacinte, was Don Sylvio
unmöglich heißt? Denn, so wie er die Gränzen der Möglichkeit
ausdehnt; sollte, däucht mich, Alles möglich seyn, was
man sich in der Schwärmerei eines hitzigen Fiebers einbilden
kann. Wenn es gediegenes Feuer und trockenes Wasser
gibt, warum sollte es nicht auch bleiernes Gold und einen
viereckigen Cirkel geben können?Vergeben Sie mir, Jacinte, versetzte Don Sylvio, das
schließt nicht so gut, wie Sie zu glauben scheinen. Die Ründe
gehört zum Wesen des Cirkels, und es ist also an sich selbst
unmöglich, sich einen viereckigen Cirkel einzubilden, Aber
woher läßt sich erweisen, daß die Flüssigkeit eine wesentliche
Eigenschaft des Wassers und des Feuers sey? Sehen wir
nicht im Winter Eis, welches nichts Anderes als festes oder
gediegenes Wasser ist? Warum sollte die Macht oder die
Kunst der elementarischen Geister nicht auch trocknes Wasser
oder festes Feuer hervorbringen können? Mich däucht (fuhr
er fort) , die wahre Ouelle der irrigen Urtheile die man über
Alles, was man wunderbare Begebenheiten nennt, zu fällen
pflegt, entpringe aus der falschen Einbildung, als ob Alles
unmöglich sey, was sich nicht aus körperlichen und in die
Sinne fallenden Ursachen erklären läßt; gleich als ob die
Kräfte der Geister, von welchen die körperlichen Dinge bloß
todte und grobe Werkzeuge sind, nicht nothwendiger Weise
die mechanischen und geborgten Kräfte eben dieser Werkzeuge
unendlich übersteigen müßten. In dieser Betrachtung glaube
ich allerdings, daß unzählige Dinge möglich sind, die wir
aus keinem bessern Grunde für unmöglich halten, als weil
sie unserer Unwissenheit unbegreiflich vorkommen; worin wir
ungefähr eben so weise sind, als ein Wilder, der die bezaubernde
Modulation, die ein Meister aus einer Querflöte
hervorbringt, für unmöglich halten wollte, weil er selbst aus
seinem Schilfrohr nur heisere und einförmige Töne erzwingen
kann. Ich finde also in der Geschichte des Prinzen
Biribinker nichts Unmögliches, und (die Glaubwürdigkeit des
Geschichtschreibers vorausgesezt) sehe ich nicht, warum sie nicht
von einem Ende zum andern eben so gut wahr seyn und eben
so viel Glauben verdienen sollte, als irgend eine andere Geschichte.Jetzt haben Sie den rechten Punkt berührt, sagte Don
Gabriel; auf die Glaubwürdigkeit der Zeugen kommt Alles
an. Denn, ob wir gleich allen den Wunderdingen, womit
die Geschichtschreiber und die Dichter die Welt angefüllt
haben, oder doch dem größten Theil davon eine bedingte
Möglichkeit einräumen können: so sind sie doch darum nichts
desto weniger bloße Chimären, solange nicht bis zur Ueberzeugung
der Vernunft erwiesen werden kann, daß sie wirklich
existiren oder existirt haben. Und da gestehe ich Ihnen, daß
es sehr schlecht um die historische Wahrheit der Feen- und
Geistergeschichten steht, wenn sie keine bessere Gewähr ihrer
Wahrheit aufzuweisen haben als Biribinkern.Warum dieß? fragte Don Sylvio.Weil diese ganze Geschichte von meiner eigenen Erfindung
ist, antwortete Don Gabriel. .Von Ihrer Erfindung? rief jener etwas betroffen aus.
O Don Gabriel, dieß hätte ich Ihnen nicht zugetraut! Sie
nannten uns ja einen Geschichtschreiber, woraus sie hergenommen
seyn sollte?Vergeben Sie mir, Don Sylvio, erwiederte der Andere,
es ist nicht anders, als wie ich sage. Ich wollte einen
Versuch machen, wie weit Ihre Vorurtheile für die Feerei gehen
könnten; ich strengte (nehmen Sie mir's nicht übel auf) allen
Aberwitz, dessen ich fähig bin, an, um eine so widersinnige
und ungereimte Wundergeschichte zu erdenken, als man nur
jemals gehört haben möchte, und so entstand der Prinz Biribinker.
Aber ich gestehe Ihnen freilich, daß es mir nicht
möglich war, etwas Ungereimtes zu ersinnen, das nicht in
allen Feenmährchen seines Gleichen hat, und ich hätte voraus
sehen sollen, daß diese Analogie Sie verführen würde. Glauben
Sie mir, Don Sylvio, die Urheber der Feenmährchen und
der meisten Wundergeschichten haben so wenig im Sinne,
klugen Leuten etwas weiß zu machen, als ich es haben konnte.
Ihre Absicht ist die Einbildungskraft zu belustigen; und ich
gestehe Ihnen, daß ich selbst ein größerer Liebhaber von
Mährchen, als von metaphysischen Systemen bin. Ich kenne
unter den Alten und Neuern Leute von großen Fähigkeiten
und selbst Leute von Ansehen, die sich in müßigen Stunden
damit abgegeben haben, Mährchen zu schreiben, und viele
größere Männer, als ich bin, und die einen ernsthaftern
Character behaupteten, als ich jemals zu behaupten verlange,
welche diese Spielwerke allen andern Werken des Witzes vorzogen.
— Wer liebt nicht, zum Beispiele, den Orlando des
Ariost, der doch in der That nichts Anderes als ein Gewebe
von Feenmährchen ist? Ich könnte noch vieles zu Gunsten
derselben sagen, wenn es jetzt darum zu thun wäre, ihnen
eine Lobrede zu halten. Aber bei dem Allen bleiben Mährchen
doch immer — Mährchen, und so viel Vergnügen uns unter
den Händen eines Dichters, der damit umzugehen weiß, die
Salamander und Sylphiden, die Feen und Kabbalisten machen
können, so bleiben sie nichts desto weniger chimärische Wesen,
für deren Wirklichkeit man nicht einen einzigen bessern
Grund hat, als ich für meinen Biribinker anzuführen im
Stande wäre.Sie scheinen nicht zu bedenken, sagte Don Sylvio, daß
Sie die Feen und elementarischen Geister, nebst der Kabbala
oder geheimen Philosophie, die den Weisen die Macht gibt,
sich diese Geister unterwürfig zu machen, — nicht leugnen
können, ohne den Grund aller historischen Wahrheit umzustoßen.
Denn wie durchgängig und übereinstimmend
ist nicht das Zeugniß der ganzen Geschichte zu ihrem Vortheile?Sie haben vermuthlich die Nachrichten von dem Grafen
von Gabalis gelesen, erwiederte Don Gabriel, worin dieses
Argument auf den höchsten Grad der Stärke getrieben ist,
die es haben kann. Aber Alles was man damit beweisen
kann, ist weder mehr noch minder, als daß die Geschichte
mit Fabeln und Unwahrheiten untermischt ist; ein großes
Uebel, welches dem schwachen Verstand oder dem bösen Willen
oder wenigstens der Eitelkeit der Geschichtschreiber zu Schulden
liegt und in meinen Augen die wahre Quelle so vieler schädlichen
Irrthümer ist, womit wir die verschiedenen Gesellschaften
der Menschen behaftet sehen. Glauben Sie, zum
Beispiele, daß Biribinker nur um den vierten Theil eines
Grans glaubwürdiger wäre, wenn er von Wort zu Wort
von dem Geschichtschreiber Paläphatus erzählt würde? Woher
könnten wir wissen, ob ein Autor, der vor dreitausend Iahren
gelebt hat, und dessen Geschichte und Charakter uns gänzlich
unbekannt sind, den Willen gehabt habe, uns die Wahrheit
zu sagen? Und gesetzt, er hatte ihn, konnte er nicht selbst
leichtgläubig seyn? Konnte er nicht aus unlautern Quellen
geschöpft haben? Konnte er nicht durch vorgefaßte Meinungen
oder falsche Nachrichten hintergangen worden seyn? Und gesetzt,
dieß Alles fände nicht bei ihm Statt: kann nicht in
einer Zeitfolge von zwei und dreitausend Iahren seine Geschichte
unter den Händen der Abschreiber verändert, verfälscht und
mit untergeschobenen Zusätzen vermehrt worden seyn? Solange
wir nicht im Stande sind, von jedem besondern Abenteuer
des Biribinker und, so zu reden, von Zeile zu Zeile zu beweisen,
daß keiner von allen diesen möglichen Fällen dabei
Platz finde, so würde Livius selbst kein hinlänglicher Gewährsmann
für die Wahrheit dieser anmaßlichen Geschichte seyn.
Ich gestehe Ihnen, das Zeugniß eines Xenophon oder Tacitus
oder gar eines solchen Zweiflers, wie Sextus Empirikus,
würde dem Daseyn der Elementargeister und eines jeden
andern Dinges, das nicht innerhalb des bekannten Cirkels
der allgemeinen Erfahrung liegt, sehr zu Statten kommen;
allein, zum Unglück für das Wunderbare, können sie sich
keiner so vollgültigen Zeugen rühmen. Aber auch zugegeben,
daß sich unter der unendlichen Menge von Wunderdingen
dieser Art, die seit dem Anbeginn der Welt bei allen Völkern
des Erdbodens erzählt und geglaubt worden sind, einige
wenige fänden, die ein unverwerfliches Ansehen für sich
hätten: so würde dieses weder die übrigen glaubwürdiger
machen, noch den allgemeinen Grundsatz entkräften können:
"daß Alles und Jedes, was keine Uebereinstimmung mit
dem ordentlichen Laufe der Natur, insofern sie unter unsern
Sinnen liegt, oder mit demjenigen hat, was der größte
Theil des menschlichen Geschlechts alle Tage erfährt, eben
deßwegen die allerstärkste und gewisser Maßen eine unendliche
Präsumtion der Unwahrheit wider sich hat" — ein Grundsatz,
den das allgemeine Gefühl des menschlichen Geschlechts rechtfertiget,
ob er gleich der ganzen Feerei mit allen ihren Zubehören
auf einmal das Leben abspricht.Die Damen hatten sich zurückgezogen, sobald sie sahen,
daß die Unterredung einen scientifischen Schwung nehmen
würde. Don Sylvio ergab sich nicht so leicht, als sein Gegner
erwartet haben mochte. Er bediente sich aller Vortheile. die
ihm die scheinbare Verwandtschaft dieser Materie mit andern,
wo Don Gabriel, nach Husarenart, nur fliehend fechten
konnte, zu geben schien. Allein, nachdem er sich durch die
überwiegende Geschicklichkeit seines Gegners aus allen seinen
Schlupfwinkeln herausgetrieben sah, so blieb ihm endlich
nichts übrig, als sich gleichfalls auf die Erfahrung zu berufen,
durch welche ihn jener zu überweisen gedacht hatte. Doch er
fand bald, daß er wenig gewinnen würde, einen Philosophen,
wie Don Gabriel, mit seinen eigenen Waffen anzugreifen;
man bewies ihm, daß besondere und außerordentliche Erfahrungen,
sobald sie der Analogie der allgemeinen Erfahrung
widersprechen, allezeit verdächtig sind; und daß zu einer Evidenz,
der sich die Vernunft ergeben müßte, ein so scharfer
Beweis erfordert würde, daß unter zehntausend solchen außerordentlichen
Erfahrungen kaum eine zu finden sey, die bei
genauer Untersuchung nur so viel Wahrscheinlichkeit übrig
behalte, als zu einer starken Präsumtion erfordert werde. Er
nahm zu Erläuterung seiner Lehrsätze die Visionen der
Schwester Maria von Agreda zum Beispiel und vertiefte
sich unbemerkt in Speculationen, die der Uebersetzer für die
meisten Leser dieses Buchs zu tiefsinnig gehalten und um so
lieber weggelassen hat, als aus dem Vorberichte, der dem
spanischen Manuscript vorangesetzt ist, erhellet, daß der
ehrwürdige Dominicanermönch, dem selbiges zur Censur
gegeben worden, von diesem Discurse den unschuldigen
Anlaß genommen, den Druck des ganzen Werkes zu untersagen.Dem sey, wie ihm wolle, so fand Don Eugenio selbst für
gut, die Fortsetzung dieser allzu metaphysischen Untersuchungen
zu hemmen. Ich glaube kaum, sagte er, daß es zum Beweis,
wie leicht uns in diesem Stütze unsere vorgefaßten
Meinungen oder eine allzu wirksame Phantasie hintergehen
können, etwas Andres braucht, als sich auf unsers jungen
Freundes eigene Erfahrung zu berufen. Ich wette, was man
will, Don Sylvio, Sie glaubten beim Eintritt in diese
Gärten und beim Anblick dieses Pavillons in einen Feensitz
gekommen zu seyn; und doch ist nichts gewisser, als daß Sie
in eben diesem Lirias sind, welches mein Großvater Gil-Blas
von Santillana der dankbaren Großmuth des Don Alfonso
von Leyva zu danken hatte, und welches seitdem theils von
ihm selbst, theils von meinem Vater Don Felix von Lirias
erweitert und verschönert worden ist Sie scheinen noch so
wenig von der wirklichen Welt gesehen zu haben, daß die
Aehnlichkeiten, die Sie zwischen den Gärten und Gebäuden
zu Lirias mit denen, womit Ihre Einbildungskraft in den
Mährchen bekannt wurde, gefunden haben, Sie leicht verführen
konnten, dasjenige, was von ganz alltäglichen Menschenhänden
gemacht ist, für ein Werk der Geister und der
Feerei zu halten. Gestehen Sie, Don Sylvio, daß Sie bei
Erblickung meiner Schwester keinen Augenblick anstanden,
sie für eine Fee zu halten; und doch kann Ihnen mein
Pfarrer mit dem Taufregister beweisen, daß sie eine Sterbliche
ist und von guten alten Christen abstammt, die niemals
der Magie verdächtig gewesen sind; eine Enkelin der
liebenswürdigen Dorothea von Jutella, welche bestimmt war,
meinem Großvater den Verlust seiner geliebten Antonia zu
ersetzen, und mit welcher sie in der That eine so große
Aehnlichkeit hat, daß man das Bildniß der einen für der
andern ihres hält.Dieses einzige Argument ad hominem wirkte mehr als
alle subtile Schlußreden des Don Gabriel. Don Sylvio
hatte außer einem Compliment, welches er bei diesem Anlasse
den Reizungen der Donna Felicia machte, so wenig
Gründliches darauf zu antworten, daß er allmählich still
wurde und, wie es schien, in Gedanken verfiel, die seinen
Kopf merklich verdüsterten. Zu gutem Glück war es eben
Zeit, in ein Schauspiel zu gehen, welches Don Eugenio
durch eine herumwandernde kleine Schauspielergesellschaft veranstaltet
hatte. Diese angenehme Zerstreuung und die Gegenwart
der Donna Felicia stellten nach und nach die gute Laune
unsers Helden wieder her. Die aufmunternde Freundlichkeit
oder sollen wir die Zärtlichkeit sagen, die in Feliciens ganzem
Betragen gegen ihn herrschte, machte ihn gar bald lebhaft,
gesprächig und begierig zu gefallen; und der Ton der scherzenden
Fröhlichkeit, in welchen sie über dem Nachtessen die
ganze Gesellschaft stimmte, wirkte zuletzt so mächtig auf ihn,
daß er unvermerkt die Rolle vergaß, die er zu spielen übernommen
hatte und sich über den Prinzen Biribinker und
seine Feen so lustig machte, als ob er nie Feen geglaubt und
keinen Sommervogel geliebt hätte.—————
Siebentes Buch.Elftes Capitel:Merkwürdige Entdeckung, Sonderbare Verschwiegenheit des Pedrillo.Der spanische Autor fängt dieses Buch mit einer Art von
Entschuldigung an, die er an diejenigen von seinen Lesern
richtet, welche (wie er sagt) einen kleinen Unwillen darüber
bezeigt haben, daß seit dem Augenblick, da Donna Felicia
und Don Sylvio sich in dem Pavillon zu Lirias so unverhofft
zusammen gefunden, der gute Pedrillo bisher so gänzlich
bei Seite gesetzt worden, daß man ihn auch nicht ein
einziges Mal habe auftreten lassen, um die Gesellschaft und
den geneigten Leser mit seinen Einfällen zu belustigen.Wir halten es (sagt unser Autor) für keinen kleinen Fehler
eines Schauspiels, wenn der Dichter, der es übernommen
hat, die Charakter, Leidenschaften, Tugenden oder Thorheiten
seiner Personen durch das Labyrinth verwickelter Zufälle zu
dem vorgesetzten Ziele fortzuführen, anstatt seine ganze Aufmerksamkeit
mit ihnen allein zu beschäftigen, sich alle Augenblicke
an die Zuschauer erinnert, für die er arbeitet, ja wohl
gar durch ein ad spectatores, welches er bald dieser bald
jener handelnden Person in den Mund legt, der schlechten
Anlegung seines Plans oder einer hinkenden Entwickelung nachzuhelfen
genöthigt ist. Unsers Bedünkens hat es mit einer
Geschichte wie diese die nämliche Bewandtniß. Wäre Pedrillo,
wie die lustigen Personen in Komödien, nur da, die
Seiten der Leser zu erschüttern; dann könnte man uns billig
einen Vorwurf machen, daß wir vielleicht mehr als eine Gelegenheit
entgehen lassen, wo wir seine Bestimmung zum
Zeitvertreibe seiner Gönner hätten erfüllen können. Allein
Pedrillo hat (wie man längst bemerkt haben sollte) eine weit
wichtigere Rolle zu spielen: und wenn auch bei seiner Ernährung
in diese Geschichte unsere Absicht mit auf die Belustigung
des Lesers gegangen ist; so ist doch gewiß, daß dieß
nur ein Nebenzweck war, der, wie man weiß, dem Hauptzweck
allemal Platz machen muß, wenn nicht Raum genug für beide
da ist. Pedrillo kommt also oder geht, plaudert oder schweigt, ist
geschäftig oder müßig oder gar unsichtbar, jenachdem es die
Natur seines Dienstes oder sein Verhältniß gegen seinen
Herrn mit sich bringt. Da er ihn auf seiner wundervollen
Wanderschaft begleitete, hatte er das Recht zu plaudern, wie
und was er wollte, solange Don Sylvio keine bessere Gesellschaft
hatte; hingegen tritt er ab und zieht sich in die
Bedientenstube oder in das Zimmer der schönen Laura
zurück; sobald sein Herr bessere Gesellschaft hat. Es ist wahr,
man könnte uns das Beispiel des Sancho Pansa anführen,
welcher in dem Schlosse des Herzogs, wo sein Herr (trotz seinen
Feinden, den Zauberern und Mohren) so wohl aufgenommen
wurde, allezeit mit von der Gesellschaft war, allenthalben
freien Zufritt und sogar die Ehre hatte, die Frau Herzogin
mehr als einmal unter vier Augen zu sprechen. Allein man
muß sich erinnern, daß es dort darum zu thun war, mit der
feierlichen Narrheit des Ritters und der schalkhaften Dummheit
des Stallmeisters sich lustig zu machen; da hingegen in
dem Schlosse zu Lirias Alles angewandt wird, unsern Helden von
der Bezauberung seines Gehirns je eher je lieber zu befreien,
ohne daß man sich das Mindeste darum bekümmert, ob unsere
werthen Leser, die ihn vielleicht lieber närrisch sehen würden,
dabei verlieren oder nicht.Damit man uns indessen den Vorwurf nicht machen könne,
als ob wir den guten Pedrillo, sobald wir seiner nicht mehr
nöthig gehabt, undankbarer Weise weggeworfen hätten, so
haben wir einen Theil dieses Capitels dazu bestimmt, seinen
besagten Gönnern eine kurze Nachricht zu geben, wie er seit
seiner Ankunft in Lirias seine Zeit zugebracht.Man erinnert sich vermuthlich noch, daß die angenehme
Laura schon damals, da sie ihm in Gestalt einer Sylphide
zum ersten Mal erschien, sein Herz mit sich hinweg nahm,
ohne daß er selbst begreifen konnte, wie es zuging. Man
muß gestehen, für einen Liebhaber, der sich in der ersten
Wärme einer angehenden Leidenschaft befindet, war die Zerstreuung
ziemlich stark, wozu ihn noch an dem nämlichen
Abend die Dame Teresilla verleitete. Allein in diesem
Stücke war Pedrillo ein zweiter Biribinker. Wenn er gleich
seiner ersten Liebe nur gerade so oft untreu ward, als er Anlaß
dazu hatte, so schien es doch, als ob jede neue Untreue
seine Neigung nur desto stärker anfache; und er brauchte die
wahre Beherrscherin seines Herzens nur wieder zu sehen,
um auf einmal zu vergessen, daß ihm eine andere hatte gefallen
können. Bei so bewandten Umständen wird sich Niemand
wundern, daß es wenig Mühe kostete, ihn einen oder
zwei Tage von seinem Herrn entfernt zu halten. Laura,
welche hierzu den ausdrücklichen Befehl ihrer Gebieterin
hatte, fand die Vollziehung desselben desto leichter, da Pedrillo
von dem Vergnügen, sie zu sehen und mit ihr zu
schäckern (wie er es nannte), so berauscht war, daß er vielleicht
in einer noch längern Zeit nicht an Don Sylvio gedacht
hätte, wenn die Sylphide nicht selbst die erste gewesen wäre,
ihn daran zu erinnern.Die zärtliche Neigung, welche Pedrillo so glücklich gewesen
war dieser jungen Nymphe einzuflößen, bewog sie, den
Gelegenheiten nicht auszuweichen, wo sie mit ihm allein seyn
konnte, ohne Aufsehen zu machen oder vermißt zu werden;
und so geschah es, daß sie an dem andern Tage seit seiner
Ankunft, zu eben der Zeit, da die Herrschaft in einem
Saale des Garten-Pavillons sich mit Gesprächen unterhielt,
und der größte Theil des Hauses des nachmittäglichen Schlummers
pflegte, beide, ohne sich bestellt zu haben und also von
ungefähr oder durch eine Wirkung der magnetischen Kräfte,
deren wir an einem andern Orte Erwähnung gethan haben,
in einer dicht verwachsenen Laube des Labyrinths zusammen
kamen. Die beiderseitige Absicht war, die Sieste hier zu
machen; da sie aber einander eben so unverhofft antrafen,
als Dido und der trojanische Held in der berühmten Höhle, so
war nichts natürlicher, als daß sie, anstatt zu schlafen, sich
zusammen setzten und mit einander schwatzten. Die Hitze
wirkt nicht auf alle Leute gleich; und wenn schon die Naturkündiger
beweisen, daß ein großer Grad derselben die Lebensgeister
zerstreue und die Fibern anspanne, so war doch Pedrillo
noch nie in einer Verfassung gewesen, die ihn zu einem gefährlichern
Liebhaber hätte machen können als damals. Laura
ward es bald gewahr; und da sie, wider die Gewohnheit der
spanischen Kammermädchen, weder galant war noch die Spröde
machte, so sah sie sich endlich genöthiget, ihm zu verstehen zu
geben, daß ein Liebhaber sie durch nichts als durch seine
Bescheidenheit von der Wahrheit seiner Liebe überzeugen
könne. Die Furcht, sie erzürnt zu haben, that bei dem
guten Pedrillo, was nach dem System der Naturkündiger die
Hitze hätte thun sollen; er ward auf einmal so schüchtern
und demüthig, als der demüthigste von den Verehrern der
Königin der Krystallinseln im Ah! quel Conte! und versprach
ihr, wenn sie ihn nur nicht gar aus ihrer Gegenwart verbannen
wollte, so zahm und unschuldig zu seyn als ein
Lamm. Unter dieser Bedingung willigte die schöne Laura
ein, ihn bei sich zu behalten, und damit sie seine Aufmerksamkeit
auf ihre Reizungen ein wenig zerstreuen möchte, vermochte
sie ihn nach und nach durch Frag' und Antwort zu
einer umständlichen Erzählung Alles dessen, was ihm von der
Geschichte seines jungen Herrn bekannt war. Sie erfuhr
also den Umstand mit dem Bildniß der bezauberten Prinzessin
und ersah aus der Beschreibung desselben, daß es
eben dasjenige Halsgeschmeide war, welches ihre Dame vor
etlichen Tagen auf einer Spazierreise nach ihrem kleinen
Arkadien verloren hatte. Sie entdeckte dieses dem Pedrillo,
und, auf die fernere Nachricht, auf was für eine Weise
Don Sylvio desselben beraubt worden war, machte sie sich in
Gesellschaft ihres neuen Freundes unverzüglich auf, es wieder
herbei zu schaffen. Sie zweifelten nicht, daß es sich in den
Händen einer von den Bauerdirnen befinden würde, die auf
den Schloßgütern arbeiteten; und ihre Vermuthung traf
richtig ein. Das Kleinod wurde gegen ein Geschenk von
etlichen Maravedi's ausgeliefert und noch an dem nämlichen
Abend der Donna Felicia eingehändiget, welche über die
Nachrichten und Erläuterungen, die ihr Laura aus Pedrillo's
Munde darüber gab, noch mehr Vergnügen empfand, als
über das Geschmeide selbst, ob es gleich von Werthe war.
Sie glaubte nunmehr den Talisman in Händen zu haben,
durch welchen die Entzauberung ihres geliebten Don Sylvio
vollends zu Stande gebracht werden könnte, und setzte sich
vor, den Gebrauch, den sie davon machen wollte, nicht länger
als bis auf den folgenden Morgen zu verschieben.Inzwischen wurde dem Pedrillo durch seine gebietende
Dame Laura aufs nachdrücklichste eingeschärft, seinem Herrn
nichts von diesem Geheinmisse zu sagen; und Pedrillo konnte
es folglich kaum erwarten, bis er eine Gelegenheit erschleichen
würde, die alte Beobachtung zu rechtfertigen: daß kein gewisseres
Mittel ist, die Leute zu etwas anzuspornen, als
wenn man's ihnen verbeut. Diese Gelegenheit zeigte sich
gleich des folgenden Tages. Der Herr und der Diener waren
beide verliebt und schliefen folglich beide sehr wenig. Pedrillo
wurde gewahr, daß Don Sylvio mit anbrechendem Morgen
in den Alleen des Gartens tiefsinnig hin und wieder ging;
und weil Laura, die sonst genau auf ihn Acht gab, damals
vermuthlich noch in angenehmen Morgenträumen lag, so
schlich er sich ganz leise aus dem Zimmerchen, das man ihm
unter dem Dreh eingeräumt hatte, herab und suchte seinen
Herrn auf.Don Sylvio hatte einen guten Theil der Nacht mit Betrachtungen
zugebracht, welche den Feen nicht sehr günstig
waren. Die Wahrheit zu sagen, seit dem kleinen Betruge,
den ihm Don Gabriel nut dem Mährchen vom Prinzen Biribinker
spielte, hatte sein Glande an diese Damen und ihre
Geschichtschreiber keine geringe Erschütterung erlitten. Die
Geschichte des Herrn Biribinker kam ihm jetzt selbst so abgeschmackt
vor, daß er nicht begreifen konnte, wie er den Betrug
nicht augenblicklich gemerkt habe. Er fand endlich, die
wahre Ursache davon könne schwerlich eine andere seyn, als
die Aehnlichkeit dieses Mährchens mit allen andern und
das Vorurtheil, daß er einmal für die Wahrheit der letztern
gefaßt hatte. Er konnte sich selbst nicht länger verbergen,
daß, wenn auch die Ungereimtheiten im Biribinker um etwas
weiter getrieben wären als in andern Mährchen, dennoch
die Aehnlichkeit noch groß genug sey, um ihm (zumal in
Betrachtung Alles dessen, was Don Gabriel und Don Eugenio
dagegen eingewandt hatten) alle Mährchen ohne Ausnahme
verdächtig zu machen. Unter dergleichen Betrachtungen
war er endlich eingeschlafen, und nach einem Schlummer
von drei Stunden, in welchem er an einem fort von Donna
,
Felicia geträumt hatte, war er wieder aufgestanden, um bei
einem einsamen Spaziergang in der Kühle des Morgens
seine Betrachtungen über eine für ihn so wichtige Sache mit
desto besserm Erfolge fortsetzen zu können.Es währte eine grausame Zeit, bis ihn Pedrillo fand;
denn er hatte sich, indessen daß sich dieser ankleidete und
herunter stieg, in den Alleen des Labyrinths vertieft, welches
wegen seiner Größe und der Mannigfaltigkeit der Gänge,
Sommerlauben, kleinen Lustwäldchen, Cascaden, griechischen
Tempel, Pagoden, Bildsäulen und hundert Dingen, die geschickt
waren, ihm ein romantisches Ansehen zu geben, den
angenehmsten Ort von der Welt ausmachte. Unser Held —
der nicht länger zweifeln konnte, daß Alles dieses, so sehr es
einer bezauberten Gegend gleich sah, ein Werk der Kunst
sey, die, von einer dichterischen Einbildungskraft geleitet,
aus der geschickten Verbindung der verschiedenen Schönheiten
der Natur und der nachahmenden Künste ein so angenehmes
Ganzes hervor zu bringen gewußt habe — kam beim ersten
Eintritt in diesen anmuthsvollen Hain auf den Gedanken:
daß die Phantasie vielleicht die einzige und wahre Mutter
des Wunderbaren sey, welches er bisher, aus Unerfahrenheit,
für einen Theil der Natur selbst gehalten. Er hatte diesem
Gedanken schon eine ziemliche Weile mit dem Vergnügen,
womit lebhafte Geister eine neue Entdeckung zu verfolgen
pflegen, nachgehangen, als er auf einmal den Pedrillo ansichtig
wurde, der hinter einem Gebüsche von wildem Lorbeer,
das sich um die Ruinen eines kleinen Tempels herum zog,
mit großer Freude auf ihn zugelaufen kam. — Je, guten
Morgen, Herr Don Sylvio, schrie ihm dieser entgegen, sobald
er ihn erblickte, leben Sie auch noch? Sapperment! gnädiger
Herr, man kriegt Sie ja den ganzen Tag nicht einen Augenblick
zu sehen! Wenn ich nicht von der Jungfer Laura gehört
hätte, daß Sie noch da wären, ich hätte, verzeih mir's Gott,
denken mögen, die Feen hätten Euer Gnaden durch die Luft
davon geführt. — Ich habe weit mehr Ursache, mich über
dich zu beschweren, versetzte Don Sylvio lachend: du mußt
sehr von deiner Sylphide bezaubert seyn, weil ich dich seit
dem Augenblick. da du bei Ankunft der Donna Felicia aus
dem Saale weggingst, nicht wieder zu sehen bekommen habe. —
Gnädiger Herr, antwortete Pedrillo, ich glaube, Sie irren
sich nicht um die Hälfte, wenn Sie denken, daß ich bezaubert
bin: man sagt, die Bezauberten essen und trinken nichts,
ohne daß sie um ein Quentchen magerer werden, als sie
gewesen sind; ich will gleich gehangen seyn (aber verstehen Sie
mich recht, nur an meines Mädchens Hals, meine ich), wenn
ich seit vorgestern so viel gegessen habe, als eine Fliege auf
ihren Flügeln wegtragen könnte. Sehen Sie, wenn wir bei
Tische sitzen, so sitze ich allemal der Jungfer Laura gegenüber,
und da gaffe ich sie halt eines Gaffens an, und da gibt es
alle Augenblicke etwas Anderes, und da sehe ich ihr zu, wie
ihr das Essen so wohl ansteht, und gucke ihr in ihr kleines
Maul; denn sie hat ein Maul voll Zähne, daß es eine Lust
ist, so weiß und gleich gesetzt wie eine Schnur Perlen, und
—was ich sagte, da neckt sie mich alle Augenblicke oder winkt
mir oder tritt mich mit dem Fuß oder macht etwas an ihrem
Halstuche zurechte; und mit all dem Spaße vergäß' ich, meiner
Six, Essen und Trinken, wenn sie wir nicht zuweilen selbst
einen Bissen ins Maul steckte. Und doch bin ich, wie Euer
Gnaden sieht, so frisch und stark, als ob ich mit dem Bel zu
Babel in die Wette fräße. Das macht die gute Gesellschaft!
Beim Velten! Man sieht Euer Gnaden auch keinen Mangel
an: Sie selen so frisch und rotbackig, wie ein Bräutigam;
und doch wollt' ich wetten, daß Euer Gnaden heute Nacht
nicht viel geschlafen hat.Das macht, wie du sagst, die gute Gesellschaft, erwiederte
Don Sylvio: aber wie gefällt es dir denn in diesem Schlosse,
Pedrillo? Wollen wir uns nicht bald wieder auf den Weg
machen?Auf den Weg machen? rief Pedrillo, indem er einen
Sprung zurück that und seinem Herrn mit einer schelmischen
Miene ins Gesicht sah; beim Element! wir wollen erst recht
ankommen, ehe wir wieder ans Weggehen denken. Wir haben
nicht so sehr zu eilen, gnädiger Herr! man trifft nicht
hinter allen Zäunen ein Quartier an wie dieses; und hernach,
wenn mir's Euer Gnaden nicht übel nehmen will, die
Feen mögen sagen, was sie wollen, so denk' ich halt, es ist
doch immer besser unter Christenmenschen zu leben, als unter
solchem Zaubervolk, unter Kobolden und Geistern, wo
man nie gewiß weiß, wen man vor sich hat. Die Dame Laura
gefiel mir gleich das erste Mal, ob ich sie schon für ein Sylphenmädchen
ansah, ich kann Ihnen nicht sagen wie wohl;
aber, seitdem ich weiß, daß sie eine gute Christin ist und
Fleisch und Blut hat, wie andere ehrliche Leute, und daß sie
weder Sylphin noch Gnomin, sondern Jungfer Laura, der
gnädigen Frau Donna Felicia von Cardena ihr Kammermädchen
ist, seitdem ist sie mir noch tausendmal lieber. Mit
einem Wort, Herr Don Sylvio, ich hoffe, daß es Euer
Gnaden nicht Ernst war, dieses Schloß schon wieder zu verlassen,
wo es uns so wohl geht, daß wir es nicht besser wünschen
könnten. Wenn es schon weder von Sapphir noch
Diamantsteinen gebaut ist, so ist es doch (wie mir Laura versichert
hat) eines von den schönsten in der ganzen Gegend,
und mir däucht, ich wollte mir mein Leben lang kein schöners
wünschen, wenn ich an Euer Gnaden Platze wäre. Ich weiß
schon, was ich weiß, ob ich schon nicht dergleichen thue; aber
man findet manchmal mehr, als man sucht, und ein Feldhuhn
läßt sich wohl gegen einen Fasan vertauschen. Ich will
nichts gesagt haben, aber denken Sie an mich, gnädiger Herr,
ob wir nicht zwei oder drei Hochzeiten erleben, ehe wir aus
diesem Schlosse kommen; ich bitte Euer Gnaden Sich seiner
Zeit daran zu erinnern, daß ich's vorher gesagt habe.Ich möchte doch wohl wissen, sagte Don Sylvio, was das
für Geheimnisse sind, die dich, wie es scheint, so stark drücken,
daß du es kaum erwarten kannst, bis du dich ihrer erlediget
hast?Wenn mich Euer Gnaden für einen solchen Schwätzer ansehen,
erwiederte Pedrillo, so hätte ich gute Lust, daß ich
meinen Kopf auch aufsetzte und Ihnen fein hübsch nichts
sagte. Sie könnten sich leicht einbilden, als ob ich nichts
bei mir behalten könnte; und hernach hab' ich noch meine
besondern Ursachen; und ich denke, Jungfer Laura hatte die
ihrigen auch, da sie mir so scharf verbot, daß ich Ihnen nichts
davon sagen sollte, daß die Prinzessin —Sapperment! Schier
wäre mir's entwischt! aber ich ertappte mich selbst noch zu
rechter Zeit. — Nur noch eine kleine Geduld, gnädiger Herr!
Die Birnen fallen von sich selbst, wenn sie reif sind; es werden,
eh' es lange währen wird, seltsame Dinge an den Tag
kommen. — Aber das muß ich gestehen, gnädiger Herr, daß
Sie in einem glückseligen Zeichen geboren sind! Sapperment!
es leben die Feen und die bezauberten Schmetterlinge! Denn
das ist nun einmal richtig, wenn wir nicht Narren gewesen
wären und den blauen Schmetterling gesucht hätten —Mehr
sag' ich nicht! Genug, daß ich weiß, was ich weiß, und daß
Ener Gnaden sehen, daß ich schweigen kann. Gelt? wenn ich
ein solcher Plauderer wäre, wie Sie immer sagen, so hätt'
ich es sauber bei mir behalten können, daß wir das Bild
zusammt der Prinzessin gefunden haben?Was sagst du? unterbrach ihn Don Sylvio; du hast das
Bildniß meiner Prinzessin gefunden? Wo ist es, wo ist es?Ich bitte Euer Gnaden um Vergebung, antwortete Pedrillo
mit der größten Gleichmüthigkeit von der Welt; ich
habe kein Bildniß, und ich sagte auch nicht, daß ich das
Bildniß Ihrer Prinzessin gefunden habe, und ich würde auch
lügen, wenn ich das sagte —Was plauderst du denn von einem Bild und von einer
Prinzessin, die man gefunden habe? sagte Don Sylvio.Sie haben mich nicht recht verstanden, gnädiger Herr,
erwiederte Pedrillo; das sagt' ich gewiß nicht! denn das ist
eben das Geheimniß, sehen Sie; und weil ich nun einmal
versprochen habe, daß ich nichts verrathen wollte, so soll es
auch nicht aus meinem Munde kommen, und wenn Sie mir
goldene Berge versprächen. Ich bitte Sie, gnädiger Herr,
fragen Sie mich nicht; der Teufel ist ein Schelm. es könnte
einem unversehens ein Wort entwischen — Kurz und gut,
Herr Don Sylvio, ich sage so viel, wenn wir gewußt hätten,
was ich jetzt weiß, so hätte uns die Fee Rademante die
Mühe, dem blauen Schmetterlinge durch Dick und Dünn nachzulaufen,
und eine gute Tracht Schläge, die wir um seinetwillen
bekommen haben, ersparen und uns fein sauber zu
Hause lassen können. — Aber bin ich nicht ein Narr? Dann
hätten wir unsere Prinzessin nicht gefunden — das ist auch
wahr; und man mag sagen, was man will, wenn sie gleich
nur eine — Sachte! da war mir's beim Element! schon wieder
auf der Zunge —Was denn, du abgeschmackter Dummkopf? rief Don Sylvio
ungeduldig. Entweder schweige gar oder rede, daß man
begreifen kann, was du willst.Sey ich ein Esel, Herr Don Sylvio, wenn ich selbst etwas
davon begreife. Wenn man die Sache auf der einen Seite
ansieht, so meinte man, die Fee habe Sie nur zum Besten
gehabt; und doch ist es auf der andern Seite richtig, daß sie
ihr Wort gehalten hat: das Bildniß ist da, das hat seine
Richtigkeit, und die Prinzessin ist auch da, ob sie gleich eigentlich
zu reden, weder ein blauer Schmetterling, noch, was
man sagen möchte, eine Prinzessin ist. Der Henker mag
dieß verworrene Zeug aus einander lesen! Denn etwas muß
man doch seyn, und wenn das Bildniß — Ich weiß selbst
nicht, was ich sagen wollte, der Kopf wird mir ganz warm
davon, wenn ich unsern Begebenheiten nachsinne. Daß Feerei
darin ist, das lass' ich mir nicht ausreden! denn man
kann es, meiner Six, mit Händen greifen, daß sich das Alles
nicht von ungefähr so wunderlich zusammenfügen konnte. —
Aber wenn ich recht sehe, so kommt dort die Prinzessin —
Donna Felicia wollt' ich sagen! Sapperment! sie kommt eben
recht; wenn sie nur eine Minute später gekommen wäre, so
hätt' ich, glaub' ich selbst, mit all dem Plaudern zuletzt das
ganze Geheimniß ausgeplaudert.Mit diesen Worten entfernte er sich von Don Sylvio,
welcher, sobald er seine Schöne, erblickte, auf einmal der
Neugierde vergaß, die der geheimnißvolle Pedrillo in ihm
erregt hatte, und mit schnellen Schritten einen andern Gang
einschlug, wo er ihr zu begegnen hoffte.—————
Zweites Capitel:Anfang der Entwicklung,Wenn Verliebte einander ausweichen, so geschieht es gemeiniglich,
um eifriger gesucht und eher gefunden zu werden.
Donna Felicia hatte, sobald sie unsern Helden erblickte, einen
entgegengesetzten Weg genommen, aber doch nicht, ohne sich
nicht als einmal umzusehen, und sobald sie sah, daß er sie
suchte, lenkte sie unvermerkt in einen Gang ein, wo er sie
finden mußte. Beide schienen sich zu wandern, einander so
früh im Garten anzutreffen; aber Donna Felicia war nicht
so aufrichtig, die wahre Ursache davon zu gestehen, als Don
Sylvio. Sie schützte die Annehmlichkeit des Morgens vor,
da hingegen dieser ganz offenherzig bekannte, daß er sich um
keiner andern Ursache willen so früh in den Garten begeben
habe, als seinen Gedanken desto freier nachzuhängen. Ein
viel bedeutender Blick, den er bei diesen Worten auf sie heftete,
und ein übel verhehlter Seufzer ergänzten und bestimmten,
was darin undeutlich war; aber Donna Felicia, die es
nichts desto besser verstand oder doch nicht so thun wollte,
lenkte die Unterredung auf die Feen, indem sie ihn fragte,
ob ihm die Geschichte des gestrigen Abends nicht im Traume
vorgekommen sey? Ich für meine Person gestehe Ihnen, sagte
sie, daß ich die ganze Nacht durch in des Wallfisches Bauche
herumgewandert bin; und wenn Sie neugierig sind, mehr
davon zu wissen, so kann ich Ihnen vielleicht Nachrichten
geben, die Ihnen nicht gleichgültig seyn werden.Don Sylvio antwortete ihr hierauf mit dem ganzen Ernst
eines Liebhabers von siebzehn Jahren, daß, da er, seitdem
er sie zum ersten Male gesehen, wachend nichts Anderes sehe,
als sie, seine Seele sich im Traume noch weniger mit einem
andern Gegenstande beschäftigen könne. Er gestand auch,
daß das, was in ihm vorgehe, seitdem er sie kenne, ihn beinahe
gänzlich überzeuge, daß es keine andere Bezauberung
gebe, als die Liebe. O! warum kann ich keine Worte finden,
rief er, Ihnen eine Beschreibung davon zu machen! Sie haben
mir ein neues Wesen gegeben. Ihre Gegenwart verbreitet
einen Glanz um mich her, der die ganze Natur in
meinen Augen schöner und rührender macht; ich glaube in
einer andern Welt zu seyn; Alles, was ich sehe, scheint mir
einen Wiederschein Ihrer Reizungen entgegen zu werfen
die leblosesten Dinge scheinen beseelt und athmen den Geist
der Liebe aus; selbst abwesend bleibt eine Spur an jedem
Orte, wo ich Sie gesehen habe, zurück, und ich glaube
es zu fühlen, daß Sie auch unsichtbar noch immer gegenwärtig
sind.Don, Sylvio, unterbrach ihn Felicia mit einem zärtlichen
Blicke, der sich unter einem scherzhaften Lächeln zu verbergen
suchte; nöthigen Sie mich nicht Ihnen zu sagen, daß Sie
in den Poeten wenigstens so belesen sind, als der Prinz —O, nennen Sie ihn nicht, Donna Felicia! rief Don Sylvio —
den diese Worte, so wenig sie böse gemeint waren,
so sehr bewegten, daß ihm die Thränen in die Augen traten
— beleidigen Sie die Aufrichtigkeit meiner Seele nicht durch
eine Vergleichung, die ich so wenig verdiene! Ich sage Ihnen
nichts, als was ich erfahre, und ich wünschte, es Ihnen in
einer Sprache sagen zu können, die nicht so weit unter der
Wahrheit meiner Empfindungen wäre. Was ich empfinde
seitdem ich Sie sehe, ist unendlich weit von den Schwärmereien
einer erhitzten Phantasie unterschieden. Ihr erster
Anblick hat das ganze Feuer meiner Einbildungskraft ausgelöscht;
ich erinnere mich meines vorhergehenden Lebens nur
wie eines eiteln Traumes; von dem glücklichen Augenblicke,
da ich Sie zum ersten Male sah, fängt sich mein wahres
Daseyn an, und, o, möchte es — Hier hielt der allzu schüchterne
Jüngling inne und ließ einen Blick, der bis in die
Seele der schönen Felicia drang, vollenden, was er nicht
kühn genug gewesen war auszusprechen.Vielleicht könnt' ich, erwiederte Donna Felicia, Sie mit
gutem Grunde beschuldigen, daß Sie nicht so ganz aufrichtig
gegen mich sind, als Sie mich bereden wollen; aber ich will Ihnen
keinen Vorwurf machen, und ich bin auch nicht dazu berechtiget.
Sie haben mir die Ehre angethan, Don Sylvio, mich für eine Fee
zu halten; erlauben Sie mir, Ihnen eine Probe zu geben, daß
ich Ihrer Radiante wenigstens in einem Stücke gleiche: sehen
Sie hier das Bildniß Ihrer Geliebten, das Sie verloren
haben; mir Vergnügen stell' ich es seinem rechtmäßigen
Eigenthümer wieder zu. Mit diesen Worten gab sie ihm
die Perlenschnur mit dem Bildniß und ergetzte sich nicht
wenig an der Bestürzung, in welche sie ihn durch ein so unerwartetes
Geschenk setzte. Er nahm es mit zitternder Hand,
er sah es an, dann betrachtete er Donna Felicia, sah das
Bildniß wieder an und rief endlich aus: Woher auch dieses
Bildniß sey, oder wen es vorstelle, so sagt mir mein Auge,
daß es das Ihrige ist, und mein Herz, daß es alle die Gewalt,
die es über mich hatte, allein von dieser wunderbaren
Aehnlichkeit mit Ihnen entpfangen hat. Ich erhielt es nicht
aus den Händen einer Fee, wie Sie sagten; ich fand es in
dem Walde, der an den Park von Rosalva gränzt. Dieser
Umstand, und daß es, nachdem es mir geraubt worden,
wieder in Ihre Hände gekommen ist, scheint ein Geheimniß
zu verbergen. Erklären Sie mir es, schönste Felicia: es ist
ganz gewiß Ihr eigenes Bildniß; sobald ich es sah, bemeisterte
es sich meiner ganzen Seele; ich fühlte es an der
unaussprechlichen Liebe, die es wie einflöste, daß es diejenige
vorstellte, die mich allein glücklich machen kann; mein
Herz erkannte den Gegenwand aller seiner Wünsche darin.
Aber, o, wie unendlich lebhafter war diese Empfindung, da
ich das Urbild erblickte! — Nehmen Sie sich in Acht, sagte
Donna Felicia lächelnd; Ihr Herz könnte Ihnen einen kleinen
Streich gespielt haben: ich versichere Sie, daß dieses Bildniß,
ungeachtet der Aehnlichkeit, die Sie zu sehen glauben,
nicht das meinige ist.Sie waren unter diesen Gesprächen immer fortgegangen
und befanden sich, indem Felicia dieß sagte, bei dem Pavillon.
Sie bemerkte die Verlegenheit, in welche ihre Versicherung
den guten Don Sylvio setzte, ob er gleich immerfort
behauptete, daß er in diesem Bildniß, es möchte nun auch
vorstellen sollen, wen es wollte, Niemand als sie selbst geliebt
habe. Er schrieb es der Wirkung einer geheimen Vorempfindung
zu, ob er gleich gestand, daß ihm die Umstände,
worin er es bekommen habe, noch immer ein Räthsel seyen.Donna Felicia konnte nicht so grausam seyn, ihn länger
in einer Verwirrung zu lassen, die zu nichts hätte dienen
können, als ihre Eitelkeit zu vergnügen. Sie führte ihn
also durch den Saal des Pavillons in ein Cabinet; bei dessen
Oeffnung ihm sogleich zwei große Bildnisse in Lebensgröße
in die Augen fielen, welche neben einander hingen und einander
so vollkommen ähnlich waren, daß man sie durch nichts
Anderes unterscheiden konnte, als eine kleine Verschiedenheit
des Colorits, die nur dem schärfsten Kenner merklich seyn
konnte. Eines von diesen Bildnissen ist das meinige, sagte
sie; rathen Sie, Don Sylvio, welches von beiden. — Beide
sind's, rief Don Sylvio, denn es däucht mich augenscheinlich,
daß dieses hier eine Copie von jenen ist. — Sie irren
sich, Don Sylvio, erwiederte Felicia; dieses hier, welches
Sie für das meinige ansehen, ist wenigstens sechzig Jahre
älter. Es stellt meine Großmutter Donna Dorothea von
Jutella vor, wie sie in einem Alter von sechzehn Jahren aussah.
Hier, fuhr sie fort, indem sie ihm ein kleines Miniaturgemälde
wies, das unter dem großen Portrait hing, sehen
Sie ein anderes, das ungefähr um die nämliche Zeit von ihr
gemacht wurde; es ist dem größern vollkommen ähnlich, und
nach diesem wurde das kleine Bildniß gemalt, das die Gelegenheit
zu einer so seltsamen Intrigue gegeben hat. Die
außerordentliche Aehnlichkeit, die mein Vater zwischen mir
und Donna Dorothea fand, bewog ihn, mich, da ich sechzehn
Jahr alt war, in der nämlichen Kleidung und Stellung abmalen
zu lassen; und Jedermann sagte, daß mein Bild mir
eben so vollkommen gleiche als meiner Großmutter. Mein
Großvater, der seine Gemahlin außerordentlich liebte, ließ
das kleine Gemälde machen, das in Ihre Hände gekommen
ist, und pflegte es, nach der Mode seiner Zeit, an einer goldnen
Kette zu tragen. Er hinterließ es meiner Mutter, und
da es von dieser auf mich kam, so hing ich es an diese Perlenschnur
und trug es so lange als ein Halsgeschmeide, bis
ich es vor etlichen Tagen in dem namlichen Walde verlor,
wo Sie es bald darauf gefunden haben müssen. Dieß ist die
Entwicklung des ganzen Knotens, und nun (setzte sie lächelnd
hinzu) überlasse ich Ihnen, da die Großmutter und die
Enkelin gleich viel Recht an Ihre Neigung hat, für welche
von beiden Sie sich erklären wollen.Don Sylvio war vor Freude über eine so glückliche Entwicklung
außer sich. Er warf sich zu ihren Füßen und sagte
ihr, in der rührenden Unordnung, welche die wahre Beredsamkeit
der Liebe ist, Sachen, die unsern werthen Lesern
eben so thöricht vorkommen würden, als sie der selbst gerührten
Donna Felicia angenehm waren. In der Verfassung,
worin ihr eigenes Herz war, hört man einem Liebhaber, wie
Don Sylvio, so gern zu, daß es eine ziemliche Weile währte,
bis sie sich besann, daß sie seiner Entzückung ein wenig Einhalt
thun müßte. Sie bat ihn also aufzustehen und ihr in
den Saal zu folgen, wo sie ihre Unterredung bequemer fortsetzen
könnten.Don Sylvio erzählte ihr jetzt sein ganzes Feenmährchen,
die Geschichte des Sommervogels und die Erscheinung der
Fee Radiante; und er gestand desto williger, daß seine mit
Feenwundern angefüllte Einbildungskraft einen großen Antheil
an diesem vermeinten Gesichte gehabt habe, da ihm
Donna Felicia sehr gern erlaubte, die andere Hälfte auf die
Rechnung einer geheimen Divination oder Vorwissenschaft
seiner Seele zu schreiben, der es ahnete, daß er in Kurzem
das Urbild dieses geliebten Schattenbildes finden würde.
Wenn die Feen auch nur Geschöpfe unserer Einbildungskraft
sind, sagte er, so werde ich sie doch immer als meine größten
Wohlthäterinnen ansehen, da ich ohne sie noch immer in der
Einsamkeit von Rosalva schmachtete und vielleicht auf ewig
der Glückseligkeit entbehrt hätte, diejenige zu finden, die
mein verlangendes Herz, seitdem es sich selbst fühlt, zu
suchen schien,Er fuhr nunmehr fort, mit der völligen Begeisterung
eines wahrhaft eingenommenen Liebhabers der aufmerksamen
Felicia seine Empfindungen abzuschildern; und diese junge
Dame fand sich unvermerkt so sehr davon gerührt, daß sie,
ihres anfangs gefaßten Vorsatzes uneingedenk, sich nicht enthalten
konnte, ihm zu erzählen: wie sie ihn in der Rosenlaube
schlafend gefunden und von diesem Augenblick an sich
nicht habe erwehren können, an diesem Unbekannten einen
Antheil zu nehmen, der ihr die Gesinnungen, die ihr Bildniß
und sie selbst ihm eingeflößt, desto angenehmer mache. Dieses
Geständnis setzte unsern Helden in eine Entzückung, welche
er eine geraume Zeit durch nichts Anderes ausdrücken konnte,
als daß er sich zu ihren Füßen warf und ihre schönen Hände,
eine nach der andern, mit Küssen überdeckte, in welchen er
seine Seele hätte aushauchen mögen. Für eine zärtliche
Schöne von Feliciens Alter ist vielleicht nichts gefährlicher,
als der Anblick der Glückseligkeit, womit ihre ersten Gunstbezeugungen
ihren Liebhaber berauschen; und man muß gestehen,
die Gefahr ist nichts desto kleiner, wenn dieser
Liebhaber so jung, so schön und so feurig ist, als es Don
Sylvio war.Aus dieser Betrachtung, hoffen wir, werde man es der
liebenswürdigen Felicia zu gut halten, daß sie vielleicht zu
viel Nachsicht mit ihrem ekstatischen Anbeter trug. In dieser
süßen Trunkenheit der Seele, da sie, ganz in Liebe und
Wonne aufgelöst, die lebhaftesten Ausdrücke ihrer Empfindung
noch zu schwach findet, kann man ohne Unbilligkeit
nicht fordern, daß sie geschickt seyn soll, sich völlig in dem
Gleichgewichte zu erhalten, welches uns die Weisheit der
Moralisten vorschreibt. Diese erhabenen Leute fordern freilich
mit Recht, daß man nicht zu viel thun solle; aber die Frage
ist, was in dem Falle, wovon wir reden, zu viel sey? —
und durch was für, bisher noch unbekannte, Mittel möglich
sey, Weisheit und Liebe in so genauen Parallellinien fortlaufen
zu machen, daß sich diese niemals von jener entfernen
könne?Für ein paar junge Leute, wie Don Sylvio und die
schöne Felicia in der vorbemeldeten Verfassung ihres Herzens
waren, ist die Zeit keine Folge von Augenblicken, sondern
ein einziger unbeweglicher Augenblick, welcher ganze Jahre
unbemerkt verschlingen würde, wenn sie nicht von äußerlichen
Ursachen oder der Erschöpfung ihrer eigenen Lebensgeister aus
einer so zauberischen Entzückung aufgeweckt würden. Sie
befanden sich noch so wenig in dem letztern Falle, daß sie sehr
erstaunt waren, von der Dame Laura zu vernehmen, daß
es schon Zeit zum Frühstücken sey. Dieser Anzeige zufolge
wurde beliebt, daß sich Don Sylvio auf eine kleine Weile
beurlauben sollte; und so wenig hatte ihn das Anschauen
seiner geliebten Felicia in vier ganzen Stunden sättigen
können, daß es ihm fast unmöglich schien, sich nur auf etliche
Augenblicke davon loszureißen.Eine Weile darauf fand sich die ganze kleine Gesellschaft
beim Theetische der Donna Felicia zusammen. Don Eugenio
und Don Gabriel bewunderten die sichtbare Verwandlung
nicht wenig, die mit unserm Helden vorgegangen war. Der
erste hatte sich schon mit einer ganzen Rüstung von Gründen
gewaffnet, um die Feen aus ihren Verschanzungen in seinem
Gehirn herauszutreiben; allein er fand zu nicht geringer
Beschämung seiner Philosophie gar bald, daß alle Arbeit schon
verrichtet war, und mußte sich selbst gestehen, daß ein Paar
schöne Augen in etlichen Minuten stärker überzeugen und
schneller bekehren, als die Akademie, das Lyceum und die
Stoa mit vereinigten Kräften kaum in eben so viel Jahren
zu thun vermöchten.—————
Drittes Capitel:Abermalige Entdeckungen.Die Gesellschafl hatte sich nach genommenem Frühstück in
den Büchersaal begeben, wo Don Gabriel sich eben beschäftigte,
seinem jungen Freund und den Damen verschiedene
physische Exrperimente vorzuzeigen, als man eine Art von
Kutsche über den Schloßhof rollen hörte, welche die Aufmerksamkeit
der Schüler unsers Philosophen unterbrach. Man
denke, wie angenehm die Bestürzung des Don Sylvio war,
da er nach einer kleinen Weile seine geliebte Tante Donna
Mencia aus dem Wagen steigen sah.Damit einem künftigen Kunstrichter, welcher sich vielleicht
die rühmliche Mühe geben wird, dieses unser Werk gegen
den tadelsüchtigen Zahn des Zoilus und seiner Brüder —
nämlich aller und jeder, welche sich, zu empfindlicher Kränkung
unserer gerechten väterlichen Liebe zu diesem Kinde unsers
Witzes, unterfangen mögen, die Mängel und Gebrechen desselben
boshafter Weise aufzudecken — zu schieben, — damit,
sagen wir, diesem gelehrten und vortrefflichen Manne (dem
wir hiermit für seine großmüthige Bemühung zum voraus
öffentlichen Dank erstatten) wenigstens die Arbeit erspart
werde (denn er wird ohnedieß genug zu thun finden), uns
gegen den Vorwurf zu vertheidigen, als ob wir, wider alle
Wahrscheinlichkeit, die weise und ehrwürdige Donna Mencia
wie einen Deum ex machina in einer mit zwei ausgemergelten
Dorfkleppern bespannten Kalesche nach Lirias geschleppt hätten,
ohne eine bessere Ursache davon anzugeben, als weil wir
ihrer daselbst vonnöthen haben: so sehen wir uns genöthigt,
dem geneigten Leser, ehe wir weiter gehen, zu sagen, daß
diese unerwartete Erscheinung in der That nicht auf unsern
Antrieb, sondern auf Veranlassung des berühmten Barbiers
bewerkstelligt worden, der in dieser Geschichte schon mehr als
einmal aufgetreten ist. Dieser hatte bei einem abermaligen
Besuche, den er Tages zuvor seinem Patienten zu Lirias
machte, die Ankunft des Don Sylvio und durch die Waschhaftigkeit
des verschwiegenen Pedrillo verschiedene kleine Umstände
erfahren, die ihn auf die Vermuthung brachten, daß
ein Geheimniß hinter der Sache stecke. Mit diesen Neuigkeiten
war Meister Blas spornstreichs nach Rosalva gerannt,
wo man bereits Anstalt machte, unsern Helden in allen benachbarten
Orten aufsuchen zu lassen. Donna Mencia war
dadurch in keine mittelmäßige Unruhe gesetzt worden: denn,
da die Verbindung ihres Neffen mit der schönen Mergelina
eine Clausel war, ohne welche die ihrige mit dem Herrn
Rodrigo Sanchez von sich selbst zerfiel, so konnte sie unmöglich
gleichgültig bleiben, als ihr Meister Blas mit einer geheimnisvollen
Miene in die Ohren zischelte, daß, soviel er aus
allen Umständen abnehmen könne, Don Sylvio nicht umsonst
zu Lirias seyn müsse. Kurz, sie hatte die Sache wichtig
genug gefunden, ihn in eigener Person zu reclamiren; und
wenn man noch die tiefe Verachtung dazu nimmt, die ihr
das graue Alterthum ihres eigenen Hauses gegen den neuen
Adel einflößte, so wird man sich vorstellen können, daß die
Miene, die sie beim Eintritt in das Schloß zu Lirias machte,
keine von den angenehmsten war. Allein, wie sie vollends eine
für ihren Neffen so gefährliche Gesellschaft sah, als Donna
Felicia und Jacinte nach ihren bekannten Grundsätzen waren,
so stieg ihr Unmuth auf einen Grad, der ihrem Gesichte
(welches ohnehin geschickter war, die Strenge der Tugend
als ihre Schönheit auszudrücken) ein so furienmäßiges Ansehen
gab, daß ihr zu ihrer hagern Gestalt nur noch etliche
Schlangen um den Kopf und eine Fackel in der Hand fehlten,
um eine von den grinsenden Grazien der Hölle vorzustellen.
Allein, da sie, aller dieser Annehmlichkeiten ungeachtet, die
Tante des Don Sylvio war, so wurde sie auf eine so ehrerbietige
und verbindliche Art empfangen, daß sie sich genöthigt
sah, das Fürchterliche und Drohende, womit sie ihr
Angesicht bewaffnet hatte, um etliche Grade zu mildern; ja,
die feine Gestalt des Don Eugenio besänftigte sie endlich so
sehr, daß die beiden Damen, die sich auf den ersten Blick.
den sie ihnen verlieh, gegen das andere Ende des Saals
zurückgezogen hatten, wieder Muth faßten und sich allmählich
dem Sopha, wo Donica Mencia auf Bitten des Don Eugenio
sich niedergelassen, näherten; doch nicht ohne die Vorsicht,
daß sie ihre Plätze nahe genug bei der Thür nahmen, um
im Nothfall sich durch eine schleunige Flucht retten zu können.
Donna Mencia eröffnete nach einer kurzen Vorrede die Ursache,
warum sie da sey, und bezeigte keine kleine Verwunderung,
was die Ursache seyn könne, daß sie ihren Neffen
zu Lirias finde. Don Eugenio antwortete ihr, daß er dieses
Vergnügen einem bloßen Zufalle schuldig sey, und erzählte
hierauf, mit Auslassung einiger Nebenumstände, die Begebenheit,
wobei ihm der tapfere Beistand des Don Sylvio
den wichtigsten Dienst geleistet hatte. Donna Mencia bezeigte
ihre Zufriedenheit darüber, daß sich ihr Neffe bei einer so
schönen Gelegenheit des ritterlichen Blutes, das in seinen
Adern floß, würdig bewiesen, in solchen Ausdrücken, daß
Jacinte sich aufgemuntert fand, ihren Antheil zum Lob unsers
Helden beizutragen.Die erhabene Mencia ließ sich jetzt zum ersten Mal herab,
dieses kleine Geschöpf mit einem zerstreuten Blick anzusehen.
Wir haben schon bemerkt, daß Jacinte weder die Größe,
noch die Regelmäßigkeit der Züge, noch die vollkommene
Feinheit der Gesichtsfarbe hatte, die zu einem gerechten Anspruch
an das Prädicat der Schönheit gehören; die ungemeine
Anmuth ihrer Bildung und ihrer ganzen Person war
Alles, was sie beim ersten Anblies gefällig machte: und da
Donna Mencia, was die Annehmlichkeit betrifft, vollkommen
mit sich selbst zufrieden war und über das noch den Vorzug
einer majestätischen Größe vor ihr hatte, so machte dieß
Alles zusammengenommen, daß Jacinte Gnade vor ihren Augen
fand. Nach und nach beehrte sie dieselbe sogar mit einer
Art von Aufmerksamkeit und machte so eben die Anmerkung,
daß sie noch Niemand gesehen habe, der sie so lebhaft an ihre
verstorbene Schwägerin, Donna Jsidora, erinnere, wie dieses
junge Frauenzimmer, als Don Sylvio (der sich nicht getraut
hatte, ihr gleich unter die Augen zu kommen) mit Don
Gabriel in das Zimmer trat. Das Lob, welches er kurz zuvor
erhalten hatte, die gute Art, womit er sie begrüßte, und
vielleicht auch die Figur seines Begleiters (die eine von denen
war, womit man wenig Mühe hatte sich ein günstiges Auge
von ihr zu erwerben) thaten eine so gute Wirkung, daß Don
Sylvio besser empfangen wurde, als er gehofft hatte. Don
Gabriel kannte den Charakter der Dame von Langem her;
und da er boshaft genug war, ihr die schönsten Dinge von
der Welt in der Modesprache der Zeiten Karls des Zweiten
vorzusagen, so sah er sich, zu großer Belustigung der übrigen
Gesellschaft, unvermerkt mit der kurzweiligen Rolle eines
erklärten Verehrers und Günstlings beladen. Jedermann
trug das Seinige bei, sie durch schwülstige Lobsprüche und
Complimente im Geschmack des Amadis de Gaule zu unterhalten;
die Herren hatten für Niemand Augen als für sie,
und die jungen Damen affectirten ein so schüchternes
und kindisches Wesen, daß sie aufgemuntert wurde, sich
selbst um zwanzig Jahre jünger anzusehen. Sie that
es auch und wurde wirklich nach und nach so munter,
so gesprächig und so tändelnd, daß es — kaum auszuhalten
war.Man hatte diese Komödie bereits eine gute Weile gespielt,
und die nochmalige Anmerkung welche Donna Mencia über
die Aehnlichkeit der Jacinte mit Donna Isidora von Rosalva
machte, hatte sie in eine umständliche Erzählung ihrer eigenen
jugendlichen Begebenheiten verwickelt; als man plötzlich
ein großes Geschrei und Getümmel hörte, das sich die Treppe
heraufzuziehen schien. Man unterschied gar bald die Stimme
des Pedrillo, und einen Augenblick darauf zeigte er sich persönlich,
oder vielmehr er stürmte ohne die geringste Achtung
für die hohen Herrschaften in das Zimmer hinein und schrie:
Freude über Freude, gnädiger Herr, Tintin ist gefunden,
Tintin ist wieder da! — Meiner Six, ich kannte die verfluchte
Carabosse beim ersten Anblick auf fünfzig Schritte!
aber sie will ihn nicht hergeben; sie hat ihn nicht gestohlen,
sagt sie, und hängt mir noch lose Reden an; — ich möchte
sie vor einer so ehrbaren Gesellschaft nicht wiederholen: aber
Sapperment, ich blieb ihr nichts schuldig! Wurst wider
Wurst! Ich wusch ihr das Maul, wie sich's gehörte. Die
alte Vettel! sie hat ihn nicht gestohlen, sagt sie; sie will ihn
Niemand als Euer Gnaden selbst in die Hände geben, sagt
sie; sie will für den T**, daß man sie selbst vor den gnädigen
Herrn Don Eugenio lassen soll. Und da sagt' ich: Es
ist Gesellschaft da, man hat keine Zeit, sich von dir in die
Hände gucken zu lassen, sagt' ich, man weiß schon Alles,
was man wissen soll; gib du nur den kleinen Tintin her
und packe dich, oder beim Sapperment! sagt' ich, ich will dir
alle die Maulschellen und Stöße und Fußtritte dreifach wieder
geben, die ich vorgestern auf deine oder deiner Gevatterin,
der alten Fanferlüschin, ihre Anstiftung gekriegt habe,
sagt' ich. Aber es half Alles nichts; und sie würde mit Gewalt
in das Zimmer hineingedrungen seyn, wenn ich sie nicht
beim Flügel gekriegt und über sechs oder acht Stufen die
Treppe hinuntergeschmissen hätte.Wovon ist denn die Rede, mein Freund? fragte Don
Eugenio. Wer ist die alte Frau? Sagte sie denn nicht,
was sie anzubringen habe? — Gnädiger Herr, antwortete
Pedrillo, wer sie ist, das wird sie selbst am besten sagen
können: mein gnädiger Herr Don Sylvio behauptete für den
Deixel, daß es die Fee Carabosse sey; aber, wenn ich die
Wahrheit sagen soll, so glaube ich, daß sie, mit Respect vor
Euer Gnaden zu sagen, eine Zigeunerin ist.Don Eugenio hörte kaum das letzte Wort, als er hastig
von seinem Sitz auffuhr und zum Zimmer hinaus eilte. Die
Zigeunerin konnte vielleicht diejenige seyn, die er suchte,
und zu gutem Glück betrog er sich dießmal nicht in seiner
Hoffnung.Die vermeinte Carabosse, welche unsern Helden des Morgens
nach seiner Entweichung im Walde angetroffen hatte,
war eben diese Zigeunerin, welche wir eine Hauptperson in
der Geschichte der Jacinte haben vorstellen sehen. Der Leser
erinnert sich vielleicht noch, daß der unbescheidene Vorwitz
des Corregidor von Sevilla diese würdige alte Dame genöthigt
hatte, sich so weit als möglich von dieser Hauptstadt zu entfernen.
Zum Unglück waren ihr Name, ihre Person und
ihre Verdienste in jeder andern Provinz von Spanien so
rühmlich bekannt, daß sie nicht wußte, wohin sie fliehen sollte,
um nicht dem nämlichen Schicksal, dem sie entgehen wollte,
in die Hände zu laufen. In dieser Noth fiel ihr Jacinte
ein, von der sie durch eine von ihren alten Freundinnen erfahren
hatte, daß sie auf dem Theater zu Grenada im Besitz
der allgemeinen Bewunderung sey. Sie machte sich so unkenntlich,
als sie konnte, und kam an dem nämlichen Tage
in Grenada an, da Jacinte abgereiset war. Sie erfuhr von
einer Schauspielerin Alles und einen guten Theil mehr als
das, was man von des Don Eugenio Neigung und Absichten
für diese Schauspielerin wußte. Diese Nachricht zeigte ihr
ein Mittel, sich durch den Dienst, den sie im Stande war
diesem jungen Cavalier zu leisten, einen Beschüzer und eine
sichere Zuflucht zu verschaffen. Sie eilte also, so sehr sie
konnte, um noch vor Jacinten zu Valencia anzukommen;
und sie war eben auf dieser Reise begriffen, als sie von ungefähr
mit unserm Abenteurer zusammen kam. Einige Meilen
über Xelva traf sie durch einen ähnlichen Zufall in dem
Wirthshause, wo sie übernachtete, einen Verwalter des Don
Eugenio an, der im Begriff war, von einem Gute, welches
sein Herr in der Nähe von Valencia hatte, nach Lirias abzugehen.
Von diesem erfuhr sie, daß sie nichts zu thun
hätte, als wieder umzukehren, wenn sie seinen Herrn sprechen
wollte; und da sie ihm Sachen von der äußersten Wichtigkeit
zu entdecken haben wollte, so war der Verwalter so
höflich, ihr seine Gesellschaft anzubieten. Sie kam also zu
Lirias an, und das Schicksal wollte, daß es gerade zu einer
solchen Zeit geschah, da die Anwesenheit der Donna Mencia
ihre Entdeckungen gültig machen konnte.Don Eugenio kam in wenigen Augenblicken mit der Zigeunerin
zurück. Hier bringe ich Ihnen, sagte er zu Donna
Mencia, eine Frau, die sich dafür ausgibt, daß sie Euer
Gnaden eine verlorne Nichte wieder zustellen könne. Die liebenswürdige
Jacinte that vor Bestürzung einen Schrei, wie
sie ihrer Pflegemutter ansichtig wurde, und diese fiel, sobald
sie Donna Mencia erblickte, zu ihren Füßen und bat um
Verzeihung einer großen Uebelthat, deren sie sich gegen diese
Dame schuldig bekannte. Sie erzählte hierauf mit allen Umständen
des Orts und der Zeit, auf was für eine Weise es
ihr geglückt sey, ihre Nichte Donna Serafina als ein dreijähriges
Kind wegzustehlen; daß das junge Frauenzimmer, welches
sie so glücklich sey unter dem Namen Jacinte in dieser
Gesellschaft wieder zu finden, eben diese Donna Serafina sey,
und daß sie zu dessen vollgültigem Beweise eine kleine goldne
Kette mit einem Kreuz aufbewahrt habe, welches die kleine
Serafina damals am Halse getragen.Man kann sich die Gemüthsbewegungen, die eine so
glückliche Entdeckung in unserer Gesellschaft erregen mußte;
leichter vorstellen, als sie sich beschreiben lassen. Don Eugenio,
der vor Freude außer sich war, würde der Zigeunerin gern
allen Beweis ihrer Aussage geschenkt haben. Aber Donna
Mencia war nicht so voreilig. Sie examinirte die Zigeunerin
über die kleinsten Umstände der Entführung mit der
schärfsten Genauigkeit, und als sie durch ihre Antworten völlig
befriediget war, betrachtete sie auch die Halskette, die sie
für eben diejenige erkannte, womit sie selbst der kleinen Serafina
ein Geschenk gemacht hatte, als sie von dem alten
Don Pedro ihrer Aufsicht übergeben wurde. Kurz, nach einer
Untersuchung, die über eine halbe Stunde dauerte, wurde
Jacinte für Donna Serafina von Rosalva erkannt, bud in
dieser Qualität von ihrer Tante und von unserm Helden mit
so vieler Zärtlichkeit umarmt, als jede dieser beiden Personen
fähig war. Diese Entdeckung verbreitete eine außerordentliche
Freude durch das ganze Haus; und Don Eugenio, welcher
die seinige über die ganze Natur hätte ausgießen mögen,
ertheilte sogleich Befehl, noch diesen Tag und etliche folgende
durch alle nur ersinnliche Freudenbezeugungen zu Festtagen
zu machen.—————
Viertes Capitel:Beschluß dieser Geschichte.Wir haben nunmehr, geneigter Leser, die Geschichte unseres
Helden bis zu einem Zeitpunkte fortgeführt, wo sie
aufhört wunderbar zu seyn, oder, welches eben so viel ist,
wo sie in den ordentlichen und allgemeinen Weg der menschlichen
Begebenheiten einzuschlagen anfängt und also aufhört,
zu den Absichten geschickt zu seyn, welche wir uns in diesem
Werke vorgelebt haben. Don Sylvio, der nunmehr keine
andere Feen erkennt, als seine angebetete Felicia, und keine
andere Bezauberung, als die aus ihren Augen entspringt,
ist auf dem Wege, glücklich, seines Glückes würdig und
wenn er anders (wie wir hoffen) lange genug lebt, mit der
Zeit auch sogar weise zu werden. Wir könnten ihn also in
so angenehmen Umständen mit bestem Fug seiner Liebe und
seinem glücklichen Gestirn überlassen, wenn wir nicht vermuthlich
einige Leser oder Leserinnen hätten, die zu träge
sind, sich die gänzliche Entwicklung dieser wundervollen Geschichte,
so leicht sie auch zu errathen ist, ohne unser Zuthun
selbst vorzustellen. Diesen melden wir also, daß noch an eben
diesem Tage Don Sylvio seiner gnädigen Tante sowohl von
den Verdiensten, welche sich Don Eugenio um seine wiedergefundene
Schwester gemacht, und von ihrer gegenseitigen
Neigung, als von dem wunderbaren Anfang und glücklichen
Fortgang seiner eigenen Leidenschaft für die schöne Felicia
von Cardena umständliche Nachricht gab. Es kostete wenig
Mühe, die Einwilligung dieser Dame (bei welcher der Stolz
über eine gewisse andere Leidenschaft ordentlicher Weise die
Oberhand hatte) zu der doppelten Verbindung, die ihr von
Don Eugenio und von ihrem Neffen vorgeschlagen wurde,
zu erhalten. Sie erröthete nun vor sich selbst, daß hundert
tausend Thaler sie fähig gemacht hatten, einen Procurator
von Xelva und seine mitgeborne Nichte einer Verbindung
mit ihrer Familie würdig zu achten: und da sie eine gute
Rechnerin war, so fand sie, daß mit vierzig tausend Thalern
jährlicher Einkünfte, welche Donna Felicia ihrem geliebten
Don Sylvio zubrachte, der Glanz ihres Hauses viel besser
wieder hergestellt werden könne. Diese Ueberzeugung wurde
nicht wenig durch einen Artikel der Ehestiftung ihres Neffen
befördert, worin ihr. solange sie lebte, eine jährliche Pension
von sechs tausend Thalern angewiesen wurde; ein kleines
Einkommen, mit dessen Hülfe sie im Fall der Noth den
Abgang des Herrn Rodrigo Sanchez würdig ersetzen zu
können hoffte.So große Ursache man auch hatte zu glauben, daß unser
Held von den Wirkungen, welche die Feerei auf sein Gehirn
gemacht, völlig hergestellt sey, so nöthig fand man, den leeren
Raum, den die Verbannung der Feen darin gelassen, nunmehr
mit den Ideen wirklicher Dinge anzufüllen. Er entschloß
sich also, durch Reisen in dem vornehmsten Theile von
Europa sich des Besitzes der schönen Felicia würdiger zu
machen. Don Eugenio trieb die Freundschaft so weit, sich
zu seinem Begleiter und Führer anzubieten; und unsre beiden
Schönen waren großmüthig genug, in eine Trennung von
zwei Jahren einzuwilligen, welche ihnen in einem Kloster zu
Valencia, das sie indeß zu ihrem Aufenthalt erwählten,
durch häufige Briefe von ihren Liebhabern versüßt wurden.
Diese zwei Jahre gingen endlich vorüber, und Don Eugenio
und Don Gabriel brachten ihren Freund in einer Vollkommenheit
zurück, die ihn für eine jede andere Person als seine
Felicia unkennbar gemacht hätte; denn sie schien nichts weniger
als erkannt, da sie nun diese glücklichen Fähigkeiten
entwickelt und ausgebildet sah, die ihr gleich anfangs Alles,
was nur liebenswürdig heißt, von ihm versprochen hatten.Diese liebenswürdige junge Wittwe und ihre Freundin
Donna Serafina, welche sich gleichfalls in dem Umgange mit
Felicien und andern Personen von Verdiensten zu der vollkommenen
Liebenswürdigkeit ausgebildet hatte, deren sie fähig
war, willigten nun mit Vergnügen ein, ihre sehnsuchtsvollen
Liebhaber glücklich zu machen; und der ehrliche Pedrillo, der
von seiner Wanderschaft aus fremden Ländern eben so aufgeweckt,
sinnreich und spaßhaft, aber um ein gutes Theil höflicher
und artiger zurück gekommen war, erhielt zur Belohnung
der Leiden, welche er um seines Herrn Willen auf
der ehemaligen Wanderschaft nach dem bezauberten Schmetterling
ausgestanden, und zur Vergeltung der getreuen Dienste,
die er ihm auf seinen Reisen durch Europa geleistet, die
schöne und kluge Laura, mit der Stelle eines Haushofmeisters,
die er vermuthlich noch jetzt, da wir dieses schreiben, in der
liebenswürdigsten und glücklichsten Familie von ganz Spanien
bekleidet.—————
Anmerkungen.Buch 5.Cap. 1.S. 2. Z. 12, Prinz Kobold — Der Prinz Kobold oder le Prince
Lutin ist der Held des letzten Mährchens im ersten Theile der Contes de
Mad. d'Aulnoy. Sein eigentlicher Name ist Leander. Er ist der Nebenbuhler
eines sehr kleinen, sehr dicken, sehr buckligen und sehr übel gezogenen Prinzen,
Namens Furibond, und hat, neben tausend andern schönen Eigenschaften,
die Gabe, sich unsichtbar zu machen, sobald er ein kleines rothes Hütchen mit
zwei Pfauenfedern aufsetzt, womit ihn die Fee Gentille beschenkt hat. W.S. 2. Z. 13, Fee Mustache — Der Pantoffel der Fee Mustache
hatte die Kraft, denjenigen, dem er an die Nase gehalten wurde, in einen
tiefen Schlaf zu versenken. Die schöne und tugendhafte Neadarne machte
die Probe davon an dem Genius Jonquitle, da sie sich endlich genöthigt
sah, so schwer es auch ihrem Herzen fiel, sich von ihm loszureißen. S. Crebillons
Ecumoire, Tom. Il p 274, W.S. 2. Z. 13. Gyges — Der Ring des Gyges hatte die nämliche talismanische
Kraft, unsichbar zu machen, welche Ariost dem Ringe des Brunel
und Mad. D. dem Hütchen des Prinzen Kobold zuschreibt. Cicero erzählt
das Mährchen von diesem Ringe, nach dem Plato. im neunten Capitel des
ersten Buches von den Pflichten. W.
S.2. Z. 14. Fee Trusio — Die königliche Fee Trusio spielt ihre Person
in dem Mährchen vom Orangenbaum und der Biene im zweiten Theile der
Contes de Mad. d'Aulnoy WS 4. Z. 16. Dispensatorium — Gesetzliche Vorschrift für die
Apotheker über die Zubereitung der Arzneien.S. 5. Z. 13. Der komische Roman von Scarron, übers. Breslau
1794. 3 Thle., Gil Blas von le Sage, übers von Mytius. Berl. 1785.
6 Thle., der Findling, Tom zones von Fielding, übers. von Bode, Leipzig
1788, Candide oder die beste Welt, von Voltaire, übers von Mytius, Berl.
1788; Gargantua und Pantagruel von Rabelais, wovon unser Fischart 1552
eine freie deutsche Umarbeitung versuchte, wovon wieder eine Umarbeitung
erschien unter dem Titel: Gargantua und Pamagruel nach Rabelais und
Fischart, umgearbeitet von Doctor Eckstein (Christ. Friedr. Sander) Hamb.
1785-87. 3 Thle. 8.S. 6 Z. 3. Schul-Chrien — Eine besondere Art von Abhandlungen,
zu denen für den Jdeengang eine bestimmte Vorschrift festgesetzt war. Die
berühmteste Art ist die aphthonianische, die aus 8 Theilen bestehen muß:
1) Satz und Lob des Autors, der ihn hat, 2) Umschreibung, 3) Beweis,
4) Gegensatz, 5) Gleichniß, 6) Beispiel, 7) Zeugniß und 8) Beschluß.S. 6. Z. 14. Lancellot Gobbo — Name eines Clowns (einer Art
von Hanswurst oder Kasperle) in dem Shakspeariscben Lustspiele, die zwei
edeln Veroneser. W.Cap. 2.S 8. Z. 12. Gänsemädchen — Was in der zu Nürnberg herausgekommenen
deutschen Uebersezung des sogenannten Cabinets der Feen ein
Gänsemädchen ist, ist im Original eine Dindonnière oder ein Truthühnermädchen.
Sie war eigentlich die Tochter der Königin des Landes der Freude,
welche das Unglück gehabt hatte, in die Gewalt des bösen Königs des Landes
der Thränen zu fallen. Der böse König sperrte sie in einen Thurm, wo es ihr
ohne den Beistand der guten kleinen Maus sehr übel ergangen wäre. In diesem
Thurme kam die Königin mit der Prinzessin Joliette nieder, welche ihr aber
durch die böse Fee Concaline entführt und, da sie sich endlich den schlimmen
Begegnungen der Fee durch die Flucht entzogen hatte, von dem Sohne des
bösen Königes, einem sehr garstigen jungen Herrn, zu einem Hühnermädchen
bestellt wurde. Der Prinz verliebte sich nach und nach sehr heftig in sein
Hühnermädchen; aber das Mädchen wollte nichts von ihm sehen noch hören.
"Nun begab sich's einsmals (sagt Mad. d'Aulnoy), daß der Sohn des bösen
Königs voller Unwillen gegen Jolietten sich unter einen Baum warf, wo er
denn so sehr anfing zu weinen, so sehr, daß er heulte wie ein Kalb. Sein
Herr Vater hörte es; er steckte den Kopf zum Fenster hinaus und fragte ihn:
Was hast du da, daß du so heulest? Was für eine dumme Aufführung ist
das? Der Prinz antwortete schluchzend: Ich weine, weil mich unser Hühnermädchen
nicht lieben will. Wie, rief der König, sie will dich nicht lieben?
Das wollen wir wohl sehen! Sie soll dich lieben, oder sie soll sterbent!" u. s. w.
S. Die gute kleine Maus im zweiten Theile der Contes de Mas. de
d'Aulnoy, W.Cap. 3.S. 16. Z. 24. Daß es keine Einbildung ist — Diese Empfindung,
welche, wie wir hoffen, von Kennern des Herzens der Natur sehr gemäß
befunden werden wird, ist deßwegen zu bemerken, weil sie die erste Vorbereitung
zur Entwickelung, nämlich zur Entzauberung unsers Helden ist. W.Cap. 5.S. 27. Z. 13. Lumineuse — Name einer sehr liebenswürdigen Fee
in L'heureuse peine, einem Mährchen der Mad. de Murat. Eine andere
gleiches Namens ist diejenige, welche sich die Mühe gibt, die Erziehung des
berühmten Prinzen Angola zu vollenden. W.S. 30, Z. 25. Lethe — Die Seelen in Elysium würden nicht vollkommen
glücklich seyn, glaubten die griechischen Dichter, wenn das Andenken
alles in ihrem irdischen Leben ausgestandenen Ungemachs ihre Ruhe
stören könnte. Sie dichteten also, daß jede Seele, ehe sie in Elysium
übergehe, aus dem Flusse Lethe ein gänzliches Vergessen ihres vorigen Zustandes
trinke. Die guten Dichter dachten nicht daran, daß diese Seelen
mit eben diesem Zuge auch das Vergessen ihrer selbst einsogen und folglich
aufhörten, die nämlichen Personen zu seyn, welches eben so viel ist, als
gar nicht mehr zu seyn. W.Cap. 7.S. 35. Z. 14. Tu si hic — sentias — Nichts ist uns leichter" —sagt
der junge Charinus beim Terenz zu seinem Hofmeister Byrrhia, der ihn ermahnt,
sich seine hoffnungslose Liebe zu der schönen Philumena aus dem
Sinne zu schlagen — "Nichts ist uns leichter, als kranken Leuten einen Rath
zu geben, wenn wir selbst gesund sind. An meinem Platze würdest du ganz
anders denken." Andria, Act. II, Sc. I. W.Cap. 9.S. 49. Z. 2. 3. Zoroastrischen — rosenkreuzerischen Irrthümern
— Man hat diese Stelle als einen Wink von Wieland zu betrachten,
daß sein Absehen bei diesem Roman etwas weiter ging, als auf
die Feenmährchen. Ironisch stellt er hier mehrere religiöse und philosophische
Systeme mit den Ansichten seines Heiden in Parallele, und es ist nicht zu
leugnen, daß durch diese der ganze Roman gar sehr gewinnt. — Von Zoroaster
und seiner Geisterlehre ist berets in den Anmerkungen zum ersten
Bande das Nöthige beigebracht. — Plotinos (geb. zu Lykopolis in Aegypten
205 n. Chr. Geb., gest. 270), ein Geist allerdings von vieler Tiefe, aber
weniger Klarheit, war der Hauptbegründer der neu-platonischen Philosophie,
die auch auf das Christenthum einen wesentlichen Einfluß gehabt hat. Plotinos
erforderte zur Philosophie — Ekstase; nur eine Speculation, welcher
durch diese Offenbarungen geworden waren, konnte nach seiner Meinung
zum Ziele führen. Solchen Offenbarungen verdanken wir die weiter ausgebildete
platonische Ideenlehre (vergl. Briefe von Verstorbenen, Anm. z.
4. Brf. Bd. 26), zu deren Erkenntniß man nur durch Anschauen gelangen
könne. Von dem großen Problem der Philosophie über das Princip der
Erkenntniß war nicht mehr die Rede, ein inneres Gefühl, mystische Anschauung,
inneres Licht traten als Kriterien der Wahrheit und Gewißheit
hervor. Die Anhänger Plotins, besonders Jamblichus aus Cölesyrien und
Proklus aus Constantinopel, begnügten sich an diesen Offenbarungen allen
noch nicht, sondern setzten noch andere hinzu, wozu ihnen das Ueberspringen
der Natur die bequemste Gelegenheit darbot. Die Phantasie bemächigte sich
des Gebiets der Forschung, und dadurch bildete sich eine neue Dämonenlehre,
wozu die Grundzüge aus dem Orient und Platon entlehnt sind. Auch Plotinos
hatte ja seinen eigenen Dämon gehabt, mittelst dessen er zukünftige
Dinge vorhergesagt, Krankheiten geheilt hatte. Durch Zurückziehung von
aller Sinnenwelt, hieß es, konnte er zum unmittelbaren Anschauen der Gottheit
gelangen und dadurch die Herrschaft über die Dämonen erhalten. Sein
Schüler Porphyrius redet daher von einer Theosophie und verstand darunter
die reinste Erkenntniß der Dinge und die höchste Glückseligkeit, die aus dem
unmittelbaren Anschauen Gottes entsteht, wozu man bloß durch die größte
Reinigkeit und Enthaltsamkeit gelangen könne, worauf man durch Hülfe
der Gottheit wunderthätig wirke. Seit Jamblichus sah man die Theosophie
für den Zweck der ganzen platonischen Philosophie an, strebte nach vertrautem
Umgang mit Gott und den Geistern und durch sie zu der Kunst zu
weissagen unb Wunder zu thun. Auch nicht ein einziger Schüler des Jamblichus
wird genannt, der nicht wenigstens ein Wunder verrichtet hätte. — —
Die Kabbala der Juden hat Verwandtschaft mit diesen Systemen. Simon
Ben Jochai (vergl. die 2. Anm. zu dem 2. Buch der Natur der Dinge Bd. 25),
dessen Phantasie auch gern das Sinnliche überflog, um bei der Wonne einer
übersinnlichen Welt anzulangen, ist der Urheber derselben, und das nach
seinem Tode gesammelte Werk Sepher Sohar als die Urquelle alles Kabbalismus
zu betrachten. Man theilt die Kabbala ein in die reale und symbolische.
Die letzte hat es bloß mit geheimnißvollen Bedeutungen von
Buchstaben zu thun; die erste ist entweder theoretisch oder praktisch. Die
theoretische, eine Offenbarung des geheimen Sinnes des heiligen Buches,
enthält ein System von Metaphysik, Physik und Geisterlehre; die praktische
eine Anleitung, Wunder zu thun durch künstliche Anwendung der göttlichen
Namen und heiligen Sprüche. (Vergl. die 5. Anm. zum 2. Buch der Natur
der Dinge. Bd. 25.) — Der Arzt Philippus Aureolus Theophrastus Paracelsus
Bombastus von Hohenheim (geb. 1483) brachte die neuplatonische und
kabbalistische Mystik in Verbindung mit Medicin und Chemie. "Die Behauptung
eines innern Lichts, sagt Tennemann, einer Emanation aus
Gott, die allgemeine Harmonie aller Dinge, der Einfluß der Gestirne auf
die sublunarischen Dinge, das Leben der ganzen Natur, die Lehre von den
Elementen als Geistern, denen die sichtbaren Körper zur Hülle dienen, sind
die allgemeinen Ideen, die er auf mannigfaltige Art, oft in unverständlichen
Worten kunstlos vorträgt. Eigenthümlich aber ist ihm die gedichtete Harmonie
zwischen Seele, Geist, Leib —Quecksilber, Schwefel, Salz —Wasser,
Luft, Erde und sein Archäus. " Seine Schwärmerei fand nicht wenig
Anhänger, und besonders pflegte und verbreitete sie die Rosenkreuzergesellschaft,
welche wahrscheinlich aus einer satirischen Dichtung des Theologen Valentin
Andreä entstanden ist. Der eifrigste und gelehrteste Vertheidiger derselben ist
Robert Fludd" (gest. 1635).Cap. 10.S. 52. Z. 25. Albert der Große — Dominicaner, Bischof zu Regensburg,
ein berühmter Physiker des 13. Jahrhunderts, der zugleich für einen
großen Zauberer und Besitzer des Steins der Weisen galt. Von Allem
*d. i. der astralische Leib des Menschen, der Vicemensch, das himmlische Vorbild des
irdischen Menschen, welches geistige Princip alle Veränderungen im Körper bewirkt, weßhalb sich
der Arzt mit ihm befreunden müsse, wenn er heilsame Wirkungen hervorbringen wolle.
diesem aber ist hier nicht die Rede, sondern schalkhaft zielt Wieland auf
gewisse Mittheilungen demelben, die (wenn auch das Buch de secretis mulierum
nicht von ihm ist) doch in dem Commentar zu dem Magister sententiarum
einen Eingeweihten verrathen. Seine Vertheidiger sagen, er habe
dieß Alles im Beichtstuhl erfahren.S. 52. Z. 26. Tiresias, f. die Anmerkungen zu Don Sylvio von Rosalva
Bd. 1. .S. 53. Z. 3. Vis inertiae — Die Kraft, wodurch ein Körper demjenigen
widersteht, der den nämlichen Raum, in welchem er sich befindet, einnehmen
will. W.Cap. 11.S. 55. Z. 25. Theorbe, ein der Laute ähnliches Instrument.Cap. 12.S. 79. Z. 17. uns entschließen mußten — Dieß wurde im Jahr
1772 geschrieben. W. — Das Weitere sehe man in der künftigen Fortsetzung
der Kritik der Zeit über Wielands Werke.S. 80. Z. 18, Pamela — Roman von Richardson, welchem berühmten
Charakterzeichner man vorwirft, daß er die Charaktere seiner Tugendheldinnen
zu übermenschlich halte.Cap. 13.S. 88. Z. 26. Narcissus — Ein Jüngling von vorzüglicher Schönheit,
der, da er seine Gestalt in einer Quelle sah, sich in sich selbst verliebte.
Sein Name ist zum Sprüchwort geworden.Cap. 14.S. 96. Z. 27. Ritter vom Gral. — Der Graal, — welches Wort
zusammengezogen ist aus Saing- real oder Sang royal — wurde die Schüssel
genannt, aus welcher Christus bei Einsetzung des Abendmahls mit seinen
Jüngern gespeist, und worin Joseph von Arimathia nachmals das Blut
des Heilands aufgefangen haben sollte. Die Pfleger des Graals und ihre
geheimnißvolle Gesellschaft waren einer der Stoffe für die romantische Poesie
des Mittelalters, so wie die Ritter von der runden Talel. Die Ritter der
Tafelrunde gehören in den Sagenkreis des fabelhaften britischen Königs
Artus. Durch provenzalische Dichter wurden beide Sagenkreise, von denen
an einem andern Orte weiter gehandelt werden soll, in einander gemischt.S. 99. Z. 11. Palàphatus — Palåphatus soll ein Athener gewesen
seyn und noch vor Homer gelebt haben. Ihm oder doch einem sehr alten
Verfasser gleiches Namens schrieb man das Buch πεςι απιδτων, von unglaublichen
Dingen, zu, welches sich in Gale's Sammlung der Opusculorum
Mythologicorum befindet. Nach der Anzeige des Suidas hat dieses Werk
aus fünf Büchern bestanden, wovon sich aber nur das erste erhalten hat,
Sein Zweck war eigentlich, den historischen, physischen und moralischen Sinn
in den alten Fabeln und Gönnermährchen auszuspüren; und man glaubte,
er sey darin so glücklich gewesen, daß es zum Sprüchwort wurde, denjenigen,
welcher ungereimten und unglaublichen Dingen einen Anstrich von Wahrscheinlichkeit
zu geben wußte, einen neuen Paläphatus zu nennen, sagt der
gelehrte Ausleger Homers Eustathius ad Odyss. XIX. p 688. W.Buch 6.Cap. 1.S. 106. Z 4 Strabo und Martiniere — Der erste der ausführlichste
Erstbeschreiber des Alterthums, der zweite der Verfasser eines großen
geographischen Wörterbuchs in der neuern Zeit.Cap. 2.S. 144. Z. 10. Tithon — Der Gemahl oder Geliebte der Aurora, die
ihm die Unsterblichkeit wohl, aber nicht unsterbliche —Jugend erbeten hatte,
weßhalb sich die ewig jugendliche Göttin bald an der Seite eines immer
mehr verschrumpfenden Greises sah, der ihr weder zum Gemahl noch Geliebten
sehr wünschenswerth schien.S. 144. Z. 10. Tizian — Berühmt wegen feiner Carnation, besonders
in seinem Meisterstück, der Venus.S 146 Z. 9. Aktåon — wurde, weil er die keuscheste der Göttinnen
des Olymps im Bade belauscht hatte, von ihr in einen Hirsch verwandelt
und von seinen eigenen Hunden zerrissen.S. 147. Z. 2. Ondinen — "Wissen Sie also, sagte der Graf von
Gabalis, daß das Meer und die Flüsse eben so wohl als die Luft von
Elementargeistern bewohnt sind. Die Alten haben dieses Wasservolk Ondinen
und Nymphen genannt. Das männliche Geschlecht ist nicht zahlreich unter ihnen;
hingegen sind die Weiber in desto größerer Anzahl; ihre Schönheit ist ungemein,
und die Töchter der Menschen kommen in keine Vergleichung mit
ihnen." Villars Entret. sur les sciences secrettes, Tom. I. p. 27. edit.
de 1742. W.S, 150. Z. 14. Averroes — Unter diesem Namen ist bei den Christen
der berühmte saracenische Philosoph, Arzt und Ausleger des Aristoteles,
Abu Walid Muhammed Ibn Ahmed Ibn Muhammed Ibn Roshd, bekannt,
welcher im sechsten Jahrhundert der Hedschra unter den Arabern in
Spanien und Africa blühete. W.S. 152. Z. 13. Semele —— zu Asche wurde — So wenigstens
versteht der Graf von Gabalis die mythologische Erzählung von der schönen
Semele, welche von den Blitzen Jupiters, ihres Liebhabers, verzehrt wurde,
weil sie die Thorheit gehabt hatte, ihn beim Styr schwören zu lassen, daß
er ihr einmal in der ganzen feierlichen Herrlichkeit erscheinen wolle, in welcher
er seiner lieben Gemahlin Juno beizuwohnen pflegte. W.S. 154. Z. 25. Der weise Sokrates — Ein Beispiel davon erzählt
Plato im Gastmahle. Sokrates, welcher unter den Eingeladenen war,
blieb so lange aus, daß man endlich nach ihm schickte. Man fand ihn mitten
auf der Straße in einer Art von Verzückung stehen, in welche ihn irgend
eine Betrachtung, die ihm unterwegs aufgestoßen war, gesetzt, und über
welcher er vergessen hatte, wo er war, und wohin er gehen wollte. W.S. 157. Z. 26. Lucretia. Die Ondine philosophirt über den Selbstmord
dieser berühmten Römerin ungefähr wie de l'Jsle. "Man ist, sagt
dieser, über den moralischen Werth dieses Selbstmordes lange verschiedner
Meinung gewesen; was mich betrifft, so scheint mir, daß die römische Heldin,
die sich ersticht, nicht um der Unenthaltsamkeit des Sextus zu entgehen,
sondern um sich für die Theilnehmung an derselben zu strafen, trotz des
hinreißenden Gemäldes, das Livius von ihr entwirft, keine große Bewunderung
des Philosophen verdient. Ein Mann, mit einer Frau allein, ist
nicht im Stande 0e zu schänden, und so hätte Lucretia lieber darauf denken
sollen, sich zu vertheidigen, als sich zu tödten. Die Drehung, einen ermordeten
Sklaven zu ihr ins Bett zu legen, konnte zwar ihre Schamhaftigkeit
schrecken, durfte aber ihre Tugend nicht vernichten: früh oder spät hätte gewiß
die Stimme der Wahrheit sich hören lassen (?), und Rom hätte zwischen
der Asche einer Römerin und dem Leben eines Königssohnes gerichtet. Ja,
hätte der Bösewicht auch Geschicklichkeit genug besessen, die Augen seiner
Mitbürger auf immer zu blenden, hatte denn nicht Lucretia zur Schutzwehr
zwischen ihm und ihr, Gott und die Unsterblichkeit?" — Die Entscheidung
bleibt billig Jedem überlassen.S. 190. Z. 28. Durandus à S. Porciano —Ein berühmter Scholastiker
des vierzehnten Jahrhunderts und wegen seiner ungemeinen Fertigkeit,
die spitzfindigsten und räthselhaftesten Fragen, welche die Schulweisen
damals (wie es in diesem Jahrzehend des achtzehnten Jahrhunderts wieder
Mode geworden ist) einander auszugeben pflegten, auszulösen, Doctor resolutissimus
genannt. Seine übermäßige Spitzfindigkeit schien den nüchternen
Leuten seiner Zeit einen kleinen Geschmack von Heterodoxie mit sich zu führen;
und daher wurde ihm diese Grabschrift gemacht: | Dorus Durandus jacet hic sub marmore duro.
An sit salvandus ego nescio nec quoque euro. W. | S. 203. Z. 21. Die neunzehnte Welt — Ist, nach dem Bericht
des Wessirs Moslem in Ah quel Conte von Crebillon dem Jüngern, eine
Welt, wohin sich die Genien, Zauberer (und warum nicht auch die Könige
in den Feenmährchen?) zurückziehen, wenn sie müde sind, auf dieser unsrer
Welt (man weiß noch nicht, die wie vielte sie ist) lange Weile gehabt zu
haben. W.Cap. 3.S. 207. Z. 26. Die Brunnen mit diamantenen Quaderstücken
gepflastert — Die Verschwendung kostbarer Materialien war,
was der berühmte Schach-Barham an einem Mährchen am meisten liebte.
Je ne me rappelle pas, sagt er von dem politischen und astronomischen Mährchen,
welches ihm Moslem erzählt, qu'il y en ait beaucoup, où l'or et les
pierreries soient aussi liberalement employés. D'un seul article six mille
lustres de Diamant! Cela est d'une beauté d'une grandeur, d'une magnificence
inconcevables. "Was mich betrifft (setzt seine Hoheit hinzu), sobald
ich in einem Mährchen viel Edelsteine sehe, und wenn es auch nur falsche
wären, so interessirt es mich unendlich; und, ernsthaft von der Sache zu
reden, ich wüßte nichts Anderes, das mich bis auf einen gewissen Grad rührte.
Vergiß es nicht, Wessir! Ein wenig Truthähne (weil sie, man sage, was
man will, ihren Werth haben), viel Diamanten, und laß die Kunstrichter
sagen, was sie wollen!" W.S. 208. Z. 24. Pygmåen — Seit Homer den Streit dieser kleinen
Menschen mit den Kranichen erzählt hat, haben Dichter und —Philosophen
gewetteifert, uns Nachrichten von ihnen zu geben. Einige geben ihnen nur
einen Fuß Höhe, und Plinkus berichtet, daß ihre Häuser aus — Eierschalen
erbaut seyen.
S.208. Z. 25. Einwohner des Saturnus — S. den Kosmotheoros
(Weltbeschauer) des Huygens, und Voltaire's Mikromegas, W.S. 213. Z. 14. Graf von Gabalis — Vergl. die Anm. zu Melinde
Bd. 25.S. 216. Z. 23. Gil-Blas von Santillana —Bezieht sich auf
den bekannten komischen Roman dieses Namens von le Sage.Buch 7.Cap. 1.S 222. Z. 28. Dido und der trojanische Held — Aeneas. S.
Virgils Aeneis Ges. 4. B. 165.Cap. 2.S. 241. Z. 6. Akademie hieß der Ort, wo Platon, Lyceum der, wo
Aristoteles, Stoa (Halle) der, wo Zenon ihre Philosophie vortrugen, weßhalb
die Secte Platons auch die akademische, die Zenons die stoische genannt
werden.Cap. 3.S. 241. Z. 22. Zoilus — Einer der alexandrinischen Kritiker, welcher
ungefähr 270 Jahre v. Chr. lebte, ist hauptsächlich durch seine bittern und schmähsüchtigen
Kritiken über die Gedichte Homers, die ihm den Beinamen Homers-Geißel
zuzogen, berüchtigt worden. Dem Fürsten der Philosophen,
Platon, erging es bei ihm nicht besser. Sein Name gilt daher für jeden
schmähsüchtigen, giftigen Tadler.S. 242. Z. 9. Wie einen Deum er machina — Statt aller der Zufälligkeiten,
auf die im natürlichen Laufe einer Begebenheit von dem Dichter
nicht gerechnet werden dürfte, und zu denen unsere mittelmäßigen Romanschreiber
und Schauspieldichter doch immer ihre Zuflucht nehmen, hatten
die mittelmäßigen Dichter der Alten immer eine Gottheit zur Hand, die
ihnen bei der Entwickelung aus der Noth helfen mußte; sie lösten also, nur
auf eine andre Weise, ebenfalls durch ein Wunder auf, wo es ihnen an
Geschick mangelte, es natürlich zu bewirken. Diese Gottheit, welche für
verlegne Dichter den Nothhelfer machen mußte, ist zum Sprüchwort geworden:
denn, wo plötzlich und völlig unerwartet, ohne daß man möglicher
Weise darauf hätte rechnen können, Jemand dem Andern zu Hülfe und
Rettung erscheint, da sagt man, er sey gekommen wie deus ex machina
(der Gott aus der Maschine). Dieß ist die alte Theatergottheit, welche,
wenn sie erscheinen sollte, an Seilen in einer Maschine, einer Art von
Gondel, herabgelassen wurde.—————
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