Suchseite Bibliothek Schrift - Schrift +

C. M. Wieland's Werke.

Erster Band.

Leipzig.G. J. Göschen'sche Verlagshandlung.
1853.Buchdruckerei der J. G. Cotta'schen Buchhandlung in Stuttgart.

Die Abenteuer des Don Sylvio von Rosalva.

Erster Theil.

Inhalt

des ersten Theils.

Erstes Buch. Erstes Capitel.Charakter einer Art von Tanten1
Zweites Cap. Was für eine Erziehung Don Sylvio von seiner
Tante bekam . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5
Drittes Cap. Psychologische Betrachtungen . . . . . . . . 7
Viertes Cap. Wie Don Sylvio mit den Feen bekannt wird . . 10
Fünftes Cap. Seltsame Thorheit des Don Sylvio. Seine Liebe
zu einer idealischen Prinzessen . . . . . . . . . . . . . 15
Sechstes Cap. Abenteuer mit dem Laubfrosche. Warum Don
Sylvio nicht merkte, daß der Frosch keine Fee war . , . . 18
Siebentes Cap. Don Sylvio findet auf eine wunderbare Art
das Bildniß seiner geliebten Prinzessin . . . . . . . . . 22
Achtes Cap. Reflexionen des Autors und des Don Sylvio . . 26
Neuntes Cap. Folgen des Abenteuers mit dem Sommervogel.
Der Leser wird mit einer neuen Person bekannt gemacht ..  31
Zehntes Cap. Worin Feen, Salamander, Prinzessinnen und
grüne Zwerge auftreten . . . . . . . . . . . . . . . . . .39
Eilftes Cap. Ein Gespräch zwischen Pedrillo und seinem Herrn.
Zurüstungen zu der beschlossenen Wanderschaft . . . . . . 47
Zwölftes Cap. Unmaßgebliche Gedanken des Autors . . . . . 53
Zweites Buch. Erstes Capitel. Aufschlüsse über die Reisen
der Donna Mencia nach der Stadt . . . . . . . . . . . . . 60
Zweites Cap. Ein Gemälde in Ostadischem Geschmack . . . . 63
Drittes Cap. Gespräch zwischen der Tante und dem Neffen . 68
Viertes Cap. Muthmaßungen des Don Sylvio. Er verabredet
seine Entweichung mit dem Pedrillo . . . . . . . . . . . .74
Fünftes Cap. Ein Spaziergang. Klugheit des Don Sylvio . . 79
Sechstes Cap. Don Sylvio wird in die Gärten der Fee 
Radiante entzückt. Seltsame Verwechselung, welche daraus 
entsteht. Unangenehme Folgen derselben . . . . . . . . . .81
Siebentes Cap. Don Sylvio kommt wieder zu sich selbst. 
Unterredung mit Pedrillo. Wie geschickt dieser die 
vermeinte Fanferluche zu hintergehen weiß . . . . . . . . 86
Drittes Buch, Erstes Cap. Heimliche Flucht unsrer Abenteurer.
Wortstreit, der zwischen ihnen wegen eines Baumes
entsteht, den Pedrillo für einen Riesen ansieht . . . . . 96
Zweites Cap. Merkwürdiges Abenteuer mit dem Salamander und
dem Froschgraben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .103
Drittes Cap. Worin Pedrillo etwas unsanft aus dem Schlafe
geweckt wird . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .113
Viertes Cap. Was die Einbildung nicht thut! . . . . . . . 116
Fünftes Cap. Worin die Geschichte nach Rosalva zurückkehrt123
Sechstes Cap. Unterredung beim Frühstück. Eifersucht des Don
Sylvio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .129
Siebentes Cap. Abenteuer mit der Zigeunerin . . . . . . . 142
Achtes Cap. Don Sylvio ermüdet sich über dem Suchen des
blauen Schmetterlings und schläft nach einer starken 
Feldmahlzeit ein  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154
Neuntes Cap. Das artigste Abenteuer in diesem ganzen Buche158
Zehnten Cap. Wer die Dame gewesen, welche Pedrillo für eine
Fee angesehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167
Eilftes Cap. Eines von den gelehrtesten Capiteln in diesem
Werke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174
Zwölftes Cap. Ein weiblicher Dialog , , , , , . . . . . . 176
Viertes Buch. Erstes Cap. Worin der Autor eine tiefe Einsicht
in die Geheimnisse der Ontologie an den Tag legt . . . . .186
Zweites Cap. Ein Beispiel, daß ein Augenzeuge nicht allemal
so zuverlässig ist , als man zu glauben pflegt . . . . . .189
Drittes Cap, Worin Don Sylvio sehr zu seinem Vortheil 
erscheint . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207
Viertes Cap.Die Gesellschaft langt in einem Wirthshause an213
Fünftes Cap. Der Autor hofft, daß dieses Capitel keiner 
Kammerjungfer in die Hände fallen werde . . . . . . . . . 216
Sechstes Cap. Exempel eines merkwürdigen Verhörs . . . . .222
Siebentel Cap. Eine kleine Abschweifung nach Lirias, wobei
der Autor eine nicht unfeine Kenntniß des weiblichen 
Herzens sehen läßt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .233
Achtes Cap. Das höchst klägliche Abenteuer mit den 
Grasnymphen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238
Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245

Erstes Buch

Erstes Capitel

Charakter einer Art von Tanten.

In einem alten baufälligen Schlosse der spanischen Provinz Valencia lebte vor einigen Jahren ein Frauenzimmer von Stande, die zu derjenigen Zeit, da sie in der folgenden Geschichte ihre Rolle spielte, bereits über ein halbes Jahrhundert unter dem Namen Donna Mencia von Rosalva — sehr wenig Aufsehens in der Welt gemacht hatte.Die Dame hatte die Hoffnung, sich durch ihre persönlichen Annehmlichkeiten zu unterscheiden, schon seit dem Successionskriege aufgegeben, in dessen Zeiten sie zwar jung und nicht ungeneigt gewesen war, einen würdigen Liebhaber glücklich zu machen, aber immer so empfindliche Kränkungen von der Kaltsinnigkeit der Mannspersonen erfahren hatte, daß sie mehr als ein Mal in Versuchung gerathen war, in der Abgeschiedenheit einer Klosterzelle ein Herz, dessen die Welt sich so unwürdig bezeugte, dem Himmel aufzuopfern. Allein ihre Klugheit ließ sie jedesmal bemerken, daß dieses Mittel, wie alle diejenigen, welche der Unmuth einzugeben pflegt, ihre Absicht nur sehr unvollkommen erreichen und in der That die Undankbarkeit der Welt nur an ihr selbst bestrafen würde.Sie besann sich also glücklicher Weise eines andern, welches ihr nicht so viel kostete und weit geschickter war, die einzige Absicht zu befördern, die bei so bewandten Umständen ihrer würdig zu seyn schien. Sie wurde eine Spröde und nahm sich vor, ihre beleidigten Reizungen an allen den Unglückseligen zu rächen, welche sie als Wollen ansah, die den Glanz derselben aufgefangen und unkräftig gemacht hatten. Sie erklärte sich öffentlich für eine abgesagte Feindin der Schönheit und Liebe und warf sich hingegen zur Beschützerin aller dieser ehrwürdigen Vestalen auf, denen die Natur die Gabe der transitiven Keuschheit mitgetheilt hat, von Geschöpfen, deren bloßer Anblick hinlänglich wäre, den muthwilligsten Faun — weise zu machen.Donna Mencia ließ es nicht bei der bloßen Freundschaft bewenden, die der nähere Umgang, die Sympathie und die Aehnlichkeit ihres Schicksals zwischen ihr und einigen Frauenzimmern von dieser Classe stiftete, mit denen sie zu Valencia, wo sie erzogen worden war, nach und nach Bekanntschaft gemacht hatte. Sie richtete eine Art von Schwesterschaft mit ihnen auf, die in der schönen Welt eben das war, was (nach vieler Leute Meinung) die Mönchsorden in der politischen sind, ein Staat im Staate, dessen Interesse ist, dem andern allen möglichen Abbruch zu thun, und die sich den Namen der Antigrazien erwarb, indem sie mit dem ganzen Reich der Liebe in einer eben so offenbaren und unversöhnlichen Fehde stand, als die Malteserritter mit den Muselmanen.Um ihre Zusammenkünfte dem gemeinen Wesen so nützlich zu machen, als sie ihnen selbst angenehm waren, erwählten sie die Beförderung der Tugend und der guten Sitten unter ihrem Geschlechte zum Gegenstand ihrer großmüthigen Bemühungen: denn die klägliche Verderbniß desselben war, ihrem Urtheile nach, die wahre und einzige Quelle alles Unheils in der Welt. Sie legten zum Grund ihrer Sittenlehre, daß die Besitzerin eines angenehmen Gesichts unmöglich tugendhaft seyn könne; und nach diesem Grundsatze wurden alle ihre Urtheile über die Handlungen und den moralischen Werth einer jeden Person ihres Geschlechts bestimmt. Ein Frauenzimmer, welches gefiel, war in ihren Augen eine Unglückselige, ein verlornes Geschöpf, eine Pest der menschlichen Gesellschaft, ein Gefäss und Werkzeug der bösen Geister, eine Harpye, Hyäne, Sirene und Amphisbäne; und alles dieses und noch etwas Aergeres, jenachdem sie mehr oder weniger von dem anstehenden Gifte bei sich führte, welches, nach dem System dieser Sittenlehrerinnen, eben so tödtlich für die Tugend als schmeichelhaft für die Eigenliebe und verführerisch für die armen Mannsleute ist.In diesem strengen Charakter hatte sich Donna Menora bereits über fünfzehn Jahre der schönen Welt zu Valencia furchtbar gemacht, als Don Pedro von Rosalva, ihr Bruder, den Entschluß faßte, Madrid zu verlassen, wo er den Rest eines im Dienst des neuen Königs aufgewandten Vermögens verzehrt hatte, eine Pension nachzusuchen, die er nicht erhielt, und nun (da es zu spät war) nicht wenig bedauerte, daß er ihn nicht lieber angewendet hatte, ein kleines altes Schloß, zwei oder drei Stunden von Xelva, das einzige, was ihm von seinen Vorältern übrig war, in einen bewohnbaren Stand zu setzen.Er hatte von seiner vor Kurzem verstorbenen Gemahlin einen Sohn und eine Tochter, deren zartes Alter sowohl als die Regierung seines kleinen Hauswesens eine weibliche Aufsicht erforderte. Er übertrug dieses Amt seiner Schwester, welche leicht zu bewegen war, die Demüthigungen, die sie in Valencia erlitten hatte, gegen das Vergnügen zu vertauschen, die vornehmste Frau in einem Dorfe zu seyn. Eine Denkungsart, die sie vielleicht dem großen Julius Cäsar abgelernt haben mochte, der bei seinem Durchzug durch ein elendes Städtchen in den Pyrenäen seine Freunde versicherte, daß er lieber der Erste in diesem armseligen Städtchen, als der Zweite in Rom seyn möchte.Der Gram über fehlgeschlagene Hoffnungen ließ den guten Don Pedro die Annehmlichkeiten der Freiheit und des Landlebens, dessen wahre Vortheile ohnehin seinen Landsleuten noch unbekannt sind, nicht lange genießen. Er starb und hinterließ seinem Sohn, Don Sylvio, einen Stammbaum, der sich in den Zeiten des Gargaris und Habides verlor, ein verfallenes Schloß mit drei Thürmen, ein Paar Pachthöfe, und die Hoffnung, nach dem Tode der Donna Mencia eine Erbschaft von alten Juwelen, Brillen und Rosenkränzen, nebst einem ansehnlichen Vorrathe von Ritterbüchern und Romanen mit seiner Schwester zu theilen.Don Pedro starb desto ruhiger, da er seinen Sohn, ob er gleich das zehnte Iahr kaum erreicht hatte, in den Händen einer so weisen Dame ließ, als Donna Mencia in seinen Augen war. Denn ihre erstaunliche Belesenheit in Chroniken und Ritterbüchern, und die Beredsamkeit, womit sie ihre tiefen Einsichten in die Staatswissenschaft und Sittenlehre bei Tische und bei andern Gelegenheiten auszulegen pflegte, hatten ihm eine desto größere Meinung von ihrem Verstande beigebracht, je weniger seine eigene kriegerische Lebensart ihm Zeit gelassen hatte, eine mehrere Kenntniß von dem, was man die feinere Gelehrtheit heißt, zu erwerben, als etwa das Wenige seyn mochte, was ihm aus seinen Schuljahren in einem nicht allzugetreuen Gedächtniß übrig geblieben war.
—————

Zweites Capitel.

Was für eine Erziehung Don Salvio von seiner Tante bekam.

Donna Mencia betrog die Hoffnung nicht, welche sich ihr Bruder von ihrer Sorgfalt und Geschicklichkeit gemacht hatte. Denn, sobald der junge Sylvio von dem Pfarrer des Dorfes so viel Latein gelernt hatte, daß er die Verwandlungen des Ovidius verstehen, und von dem Barbier eines benachbarten Fleckens, dem Amphion der Gegend, so viel Musik, daß er etliche Duzend alte Balladen mit auf der Cither begleiten konnte, so nahm sie es auf sich selbst, ihn zu allen den übrigen Eigenschaften auszubilden, welche nach ihren Begriffen einen vollkommenen Edelmann ausmachten.Das Schlimmste war, daß sie diese Begriffe aus dem Don Palmerin von Oliva, dem Faramond, der Clelia, dem großen Cyrus und andern Büchern von dieser Classe geschöpft hatte, welche nebst den Abenteuern der zwölf Pairs von Frankreich und der Ritter von der runden Tafel den vornehmsten Theil ihres Bücherschatzes ausmachten. Ihrer Meinung nach lag in diesen Büchern der ganze Reichthum der erhabensten und nützlichsten Kenntniße verborgen. Sie glaubte also ihren Untergebenen nicht besser anweisen zu können, als wenn sie ihm die Begriffe und den Geschmack beizubringen suchte, den sie selbst aus so lautern Quellen geschöpft hatte; und die glücklichen Fähigkeiten des jungen Don Sylvio begünstigten ihre Ansichten so sehr, daß er, noch vor seinem fünfzehnten Jahre, zum wenigsten ebenso gelehrt als seine gnädige Tante war. Er besaß in diesem zarten Alter bereits eine so ausgebreitete Kenntniß von der Geschichte, der Naturkunde, der Theologie, der Metaphysik, der Sittenlehre, der Staats- und Kriegskunst, den Alterthümern und schönen Wissenschaften, als irgend einer von den gelehrtesten Helden des großen Cyrus; und er wußte mit so vieler Beredsamkeit über die subtilsten Fragen aus diesen Wissenschaften zu peroriren, daß die Bedienten des Hauses, der Pfarrer, der Schulmeister; der vorbesagte Barbier und andere distinguirte Personen, die den freien Zutritt im Hause hatten, sowohl die Wundergaben des jungen Herrn als die weise Erziehungskunst der gnädigen Frau nicht genug bewundern konnten.Was dieser letztern an ihrem Neffen am besten gefiel, war die außerordentliche Begierde, wovon er brannte, den erhabnen Mustern nachzuahmen, von deren großen Thaten und Heldentugenden er bis zur Bezaubrung entzückt war, und womit er seine Einbildungskraft so vertraut gemacht hatte, daß er sich endlich beredete, es würde ihm nicht mehr Mühe kosten, sie auszuüben, als er brauchte, sich eine Vorstellung davon zu machen. Donna Mencia zweifelte nicht, daß Don Sylvio mit so edeln Neigungen und einer so heroischen Denkungsart dereinst eine große Rolle in der Welt spielen und den Helden, welche sie am meisten bewunderte, an Ruhm und Glück eben so nahe kommen würde, als er ihnen an Schönheit und persönlichen Annehmlichkeiten ähnlich war.
—————

Drittes Capitel

Psychologische Betrachtungen.

Man wird sich um so weniger wundern, daß die Einbildungskraft des Don Sylvio von einer so wunderbaren Erziehung einen seltsamen Schwung bekommen mußte, wenn wir sagen, daß eine ungemeine Empfindlichkeit und, was unmittelbar damit verbunden ist, eine starke Anlage zur Zärtlichkeit unter die Gaben gehörte, womit ihn die Natur bis zum Uebermaß beschenke hatte.Junge Leute von dieser Art lieben überhaupt alle Vorstellungen, welche lebhafte Eindrücke auf ihr Herz machen und Leidenschaften erwecken, die, in einem leichten Schlummer liegend, bereit sind, von dem kleinsten Geräusch aufzufahren.Kommt dann noch hinzu, daß sie fern von der Welt, in einer ländlichen Einsamkeit und Einfalt, unter den natürlichen Vergnügungen des Landlebens und frei von den Arbeiten desselben erzogen werden: so erhalten wunderbare und leidenschaftliche Vorstellungen eine verdoppelte und desto stärkere Gewalt über ihr Herz, je geschäftiger die Einbildungskraft in solchen Umständen zu seyn pflegt, das Leere auszufüllen, welches die beständige Einförmigkeit der Gegenstände, die sich den Sinnen darstellen, in der Seele zurück läßt. Unvermerkt verwebt sich die Einbildung mit dem Gefühl, das Wunderbare mit dem Natürlichen, und das Falsche mir dem Wahren. Die Seele, die nach einem blinden Instinct Chimären eben so regelmäßig bearbeitet als Wahrheiten, bauet sich nach und nach aus Allein diesem ein Ganzes und gewöhnt sich an, es für wahr zu halten, weil sie Licht und Zusammenhang darin findet, und weil ihre Phantasie mit den Chimären, die den größten Theil davon ausmachen. ebenso bekannt ist, als ihre Sinne mit den wirklichen Gegenständen, von welchen sie ohne sonderliche Abwechslung immer umgeben sind.In diesem Falle befand sich der Jüngling, welcher der Held unserer Geschichte seyn wird. Die natürliche Lauterkeit seiner Seele war des Argwohns, ob er etwa betrogen werde, unfähig. Seine Einbildung faßte also die chimärischen Wesen, die ihr die Dichter und Romanschreiber vorstellten, eben so auf, wie seine Sinne die Eindrücke der natürlichen Dinge aufgefaßt hatten. Je angenehmer ihm das Wunderbare und Uebernatürliche war, desto leichter war er zu verführen, es für etwas Wirkliches zu halten; zumal da er in die Möglichkeit auch der unglaublichsten Dinge keinen Zweifel setzte. Denn für den Unwissenden ist Alles möglich. Solchergestalt schob sich die poetische und bezauberte Welt in seinem Kopf an die Stelle der wirklichen, und die Gestirne, die elementarischen Geister, die Zauberer und Feen waren in seinem System eben so gewiß die Beweger der Natur, als es die Schwere, die Anziehungskraft, die Elasticität, das elektrische Feuer und andere natürliche Ursachen in dem System eines heutigen Weltweisen sind.Die Natur selbst, deren anhaltende Beobachtung das sicherste Mittel gegen die Ausschweifungen der Schwärmerei ist, scheint auf der andern Seite durch die unmittelbaren Eindrücke, die ihr majestätisches Schauspiel auf unsere Seele macht, die erste Quelle derselben zu seyn.Das angenehme Grauen, das uns beim Eintritt in den dunkeln Labyrinth eines dichten Gehölzes befällt, beförderte ohne Zweifel den allgemeinen Glauben der ältesten Zeiten, daß die Wälder und Haine von Göttern bewohnt würden. Der süße Schauer, das Erstaunen, die gefühlte Erweiterung und Erhöhung unseres Wesens, die wir in einer heitern Nacht beim Anblick des gestirnten Himmels erfahren, begünstigte vermuthlich den Glauben, daß dieser schimmervolle, mit unzählbaren, nie erlöschenden Lampen erleuchtete Abgrund eine Wohnung unsterblicher Wesen sey.Aus dieser Quelle kommt es vermuthlich, daß die Landleute, denen ihre Arbeiten keine Zeit lassen, die verworrenen Eindrücke, welche die Natur auf sie macht, zu deutlicher Erkenntniß zu erhöhen, überhaupt abergläubischer als andere Leute sind. Daher die körperlichen Geister, womit sie die ganze Natur angefüllt sehen; daher die unsichtbaren Jagden in den Wäldern, die Feen, die des Nachts auf den Fluren im Kreise tanzen, die freundlichen und die boshaften Kobolde, der Alp, der die Mädchen drückt, die Berggeister, die Wassernixen, die Feuermänner und wer weiß wie viel andre Hirngespinnster, von denen sie so vieles zu erzählen wissen, und deren Wirklichkeit bei ihnen so ausgemacht ist, daß man sie nicht läugnen kann, ohne in den Augen der meisten von ihrer Classe entweder albern oder gottlos zu scheinen.Nehmen wir nun alle diese Umstände zusammen, welche sich vereinigten, der romanhaften Erziehung unsers jungen Ritters ihre volle Kraft zu geben, so werden wir nicht unbegreiflich finden, daß er nur noch wenige Schritte zu machen hatte, um auf so abenteuerliche Grillen zu gerathen, als seit den Zeiten seines Landsmannes, des Ritters von Mancha, jemals in ein schwindliges Gehirn gekommen seyn mögen.
—————

Viertes Capitel

Wie Don Sylvio mit den Feen bekannt wird.

Zum Unglück für seine Vernunft befanden sich unter den Büchern, womit eine große Kammer des Hauses angefüllt war, eine Menge Feenmährchen, wovon Don Pedro ein großer Liebhaber gewesen war, ob er gleich von seiner weisen Schwester wegen seines Geschmacks an solchen unnützen Possen, wie sie es nannte, nicht selten angefochten wurde. Denn in so großem Ansehen die Ritterbücher bei ihr standen, welche sie mit den Chroniken, Historien und Reisebeschreibungen in eine Classe setzte, so verächtlich waren ihr alle diese kleinen Spiele des Witzes, die bloß zur Unterhaltung der Kinder oder zum Zeitvertreib der Erwachsenen geschrieben werden und meistens durch nichts als die angenehme Art der Erzählung Personen von Geschmack sich empfehlen können.Don Pedro gestand ihr willig ein, daß es Schäkereien seyen; aber sie vertreiben mir, sagte er, doch manche langweilige Stunde: je schnakischer die Einfälle sind, die der närrische Kerl, der Autor, auf die Bahn bringt, desto mehr lach' ich, und das ist Alles, was ich dabei suche.Die weise Donna Mencia — welche, wie alle wunderliche Leute, nur ihre eigenen Grillen vernünftig fand — ließ sich zwar durch diese Antwort nicht befriedigen; allein die arabischen und persischen Erzählungen, die Novellen und die Feenmährchen blieben nichts desto weniger in ruhigem Besitz ihres Platzes in der Bibliothek, und da sie meistens nur in blaues Papier geheftet waren, so verbargen sie sich so bescheiden hinter die ehrwürdigen Folianten und Quartbände der Donna Mencia daß sie nach dem Tode des alten Ritters in Kurzem gänzlich vergessen wurden.Doch vermuthlich wollte die Fee, die sich in das Schicksal des jungen Sylvio mischte nicht zugeben, daß er seine Bestimmung verfehlen sollte. Denn, da er einst in Abwesenheit seiner Tante, deren Ernsthaftigkeit und ewige Sittenlehren ihm sehr beschwerlich zu werden anfingen, in der Bücherkammer herum stöberte, um sich etwas zur Zeitkürzung auszusuchen: so gerieth er, es sey nun von ungefähr oder durch den geheimen Antrieb der besagten Fee, auf ein starkes Heft von Feenmährchen. Er steckte es voller Freude zu sich und zog sich, so geschwind er konnte, in den Garten zurück, um den Werth seines Funds ungestört erkundigen zu können: denn es schwante ihm schon beim Anblick der Titel, daß es sehr angenehme Sachen seyn müßten.Die Kürze dieser Erzählungen war das Erste, wodurch sie ihm gefielen: so sehr war er der dicken Folianten müde, woraus er seiner Tante täglich etliche Stunden lang vorlesen mußte. Sobald er aber eine oder zwei davon durchlesen hatte, war nichts dem Vergnügen zu vergleichen, das er dabei empfand, und der Gierigkeit, womit er alle die übrigen verschlang.Ein gewisser Instinct, der auch die einfältigsten unter den jungen Leuten lehrt, was sie ihren Aufsehern sagen dürfen oder nicht, warnte ihn, seine liebe Tante nichts von der gemachten Entdeckung merken zu lassen. Allein der Zwang, den er sich hierüber anthun mußte, machte ihm die Feen nur desto lieber; und er würde die ganze Nacht durch gelesen haben, wenn man (wie Tasso ehemals in seiner Gefangenschaft wünschte) bei den Augen einer Katze lesen könnte. Denn die Vorsicht der Donna Mencia für seine Gesundheit —und für die Ersparung der Kerzen hatte ihm, schon von Langem her, die Mittel zu gelehrten Nachtwachen benommen.Dafür aber war er, sobald der Tag anbrach, schon wieder munter; er nahm sein Heft unter seinem Hauptkissen hervor, durchlas mit fliegenden Blicken ein Mährchen nach dem andern, und wie er mir der ganzen Sammlung fertig war, fing er wieder von vorn an, ohne es müde zu werden. So oft er konnte, begab er sich in den Garten oder in den angränzenden Wald, und nahm seine Mährchen mit. Die Lebhaftigkeit, womit seine Einbildungskraft sich derselben bemächtigte, war außerordentlich: er las nicht; er sah, er hörte, er fühlte. Eine schönere und wundervollere Natur, als die er bisher gekannt hatte, schien sich vor ihm aufzuthun, und die Vermischung des Wunderbaren mit der Einfalt der Natur, welche der Charakter der meisten Spielwerke von dieser Gattung ist, wurde für ihn ein untrügliches Kennzeichen ihrer Wahrheit.Dieser Punkt fand desto weniger Schwierigkeit bei ihm, da er durch seine bisherige Lebensart vollkommen dazu vorbereitet war. Denn seit dem Anfang seiner Studien, der mit Ovids Verwandlungen gemacht wurde, war ihm bisher kein einziges Buch in die Hand gekommen, das ihm richtigere Begriffe hatte geben können. Im Gegentheil hatten verschiedene Schriftsteller aus den Zeiten, da die pythagorisch-kabbalistische Philosophie durch ganz Europa in Ansehen stand, durch ihre systematischen Träumereien von planetarischen und elementarischen Geistern, von Beschwörungen, geheimnißvollen Zahlen und Talismanen und von jener vorgeblichen Weisheit, die ihren Besitzer zum Meister der ganzen Natur machen könne, ihn so sehr in seinen Einbildungen befestiget, daß selbst die wundervolle Haselnuß der Prinzessin Babiole und das Stück Leinwand von vierhundert Ellen, welches der Liebhaber der weißen Katze aus einem Hirsenkörnlein auspackte und sechsmal durch das feinste Nadelöhr zog, in seinen Augen nichts Unbegreifliches hatten.Es hinderte ihn also nichts, sich dem Vergnügen gänzlich zu überlassen, welches er aus den Feenmährchen schöpfte, von denen er nach und nach unter der Maculatur, die den Boden der Bücherkammer deckte, noch eine große Menge hervor zog, wovon immer eines abenteuerlicher als das andre war, und worin er eine Unterhaltung fand, die er um alle Lustbarkeiten der Welt nicht vertauscht hätte.Er konnte nicht so vorsichtig seyn, daß seine eben so strenge als scharfsichtige Aufseherin nicht endlich die Ursache seiner häufigen Spaziergänge in das Lustwäldchen entdeckt und ihm eine sehr scharfe, sehr gelehrte und sehr langweilige Strafpredigt deßwegen gehalten hätte. Allein das diente, wie es zu gehen pflegt, zu nichts Anderm, als daß Don Sylvio behutsamer wurde und sich besser in Acht nahm, seine Neigungen und angehenden Entwürfe vor ihr zu verbergen.Die Wahrheit zu sagen, er hatte sie jederzeit mehr gefürchtet als geliebt; allein seitdem sein Gehirn mit Florinen, Rosetten, Brillanten, Cristallinen und wer weiß wie vielen andern überirdischen und unnatürlich schönen Schönheiten angefüllt war, wurde er nicht selten versucht, die ehrliche alte Tante für eine Art von Carabosse anzusehen, deren tyrannische Oberherrschaft ihm von Tag zu Tag unerträglicher wurde.Sie mochte also sagen was sie wollte, die Bezauberungen, die Schlösser von Diamanten und Rubinen, die verwandelten oder in Thürme und unterirdische Paläste eingesperrten Prinzessinnen und die zärtlichen Liebhaber, die unter dem wunderthätigen Schutz einer guten Fee den Nachstellungen einer bösen glücklich entgingen, blieben im gänzlichen Besitz seiner Einbildungskraft; er las nichts Andres, er staunte und dichtete nichts Andres, er ging den ganzen Tag mit nichts Anderm um und träumte die ganze Nacht von nichts Anderm.
—————

Fünftes Capitel

Seltsame Thorheit des Don Sylvio. Seine Liebe zu einer idealischen Prinzessin.

In einer so seltsamen Gemüthsverfassung konnte nichts natürlicher seyn, als daß Don Sylvio endlich auf die Thorheit verfiel, sich eben solche Abenteuer zu wünschen, wie diejenigen, deren Erzählung ihm in den Mährchen so viel Vergnügen machte.In Kurzem ging er noch weiter; er bemühte sich, die Phantasien, womit sein Kopf angefüllt war, zu realisiren und sich, so gut er konnte, in die Feenwelt zu versetzen.Er gab deßwegen Allem, was um ihn war, Namen aus seinen Mährchen. Ein artiges Hündchen, das er hatte, mußte anstatt Amorett, wie es vorher hieß, Tintin heißen, weil das Hündchen der Prinzessin Merveilleuse so geheißen hatte; und er verstieß eine aschgraue Katze mit weißen Pfoten, die sein Günstling gewesen war, um einer ganz weißen willen, die zu Ehren der Prinzessin Weißkätzchen mit allen ersinnlichen Höflichkeiten überhäuft wurde.Alle Morgen und Abend ging er etliche gemalte Fensterscheiben in einer halb eingefallenen Galerie des Schlosses zu besichtigen, in der Hoffnung, gleich dem Prinzen Hökkerig Gemälde darauf zu finden, die ihm einigen Aufschluß über sein künftiges Schicksal geben würden; und er durchsuchte wohl zwanzig Mal alle Winkel des Schlosses vom Dach bis in den Keller, ob er nicht irgendwo einen bezauberten Schrank oder eine Falltreppe entdecken möchte, die in einen unterirdischen Palast führte. Er fand freilich nichts, und die Fensterscheiben wiesen ihm ein Mal wie das andre nichts als geharnischte Ritter, die mit eingelegten Lanzen wohl ein paar hundert Jahre schon auf einander zurannten; allein er wußte sich sehr gut deßwegen zu trösten. Er war noch nicht völlig achtzehn Jahr alt, und er hatte aus den meisten Mährchen gesehen, daß ein Prinz oder Ritter wenigstens achtzehn Jahre alt seyn muß, um Abenteuer zu haben.Inzwischen legte er in einer Ecke seines Gartens eine Art von Laube an, die dem Blumenschloß ähnlich seyn sollte, worin die Fee Immerschön die süßen Augenblike, die sie in den Armen ihres geliebten Schäfers genoß, vor ihrem Hofe zu verbergen pflegte. Er ließ etliche Linden, die er dazu bequem fand, so zurichten, daß ihre Stämme die Grundpfeiler, die untersten Aeste der Fußboden, und ihre Wipfel das Dach dieses seltsamen Lusthauses wurden; die Wände waren von Myrten mit Rosenhecken und Geißblatt durchwunden, und an der Hinterseite war eine Treppe von Wasen so gut angebracht, daß man sie nicht gewahr wurde.In diesem grünen Schlosse, wie Don Sylvio es zu nennen beliebte, hatte er ein kleines Cabinet angelegt, welches er, um ihm ein desto feenmäßigeres Ansehen zu geben, mit den schönsten Schmetterlingen austapezirte, die er auf seinen Spaziergängen in dem benachbarten Walde und an den Ufern des Quadalaviar, der nicht weit von seinem Garten vorbei floß, gefangen hatte.In diesem Cabinete brachte er oft halbe Nächte mit Träumereien über die wunderbaren Begebenheiten zu, die er sich wünschte, und die er in Kurzem zu erfahren hoffte. Unvermerkt schlief er über diesen phantastischen Betrachtungen ein, und günstige Träume setzten die Abenteuer fort, worin er wachend sich zu verirren angefangen hatte. Eine schöne Prinzessin, die er liebte, war gemeiniglich der Gegenstand davon; nur war das Beschwerliche dabei, daß er sie alle Mai in der Gewalt der Fee Fanferluche oder einer andern neidischen alten Hexe sah die seiner Liebe die verdrießlichsten Hindernisse in den Weg legte. Bald mußte er sich mit Drachen und fliegenden Katzen herumbalgen; bald fand er alle Zugänge zu dem Palaste, worin sie gefangen gehalten wurde, mit Distelköpfen besäet, welche sich in dem Augenblicke, da er sie berührte, in eben so viele Riesen verwandelten, die ihm den Weg mit großen stählernen Kolben streitig machten. Nun griff er sie zwar an, wie es einem tapfern Ritter zukommt, und hieb auf jeden Streich ein paar Duzend mitten von einander; aber kaum war er mit ihnen fertig und im Begriff, als Sieger in den Palast hinein zu gehen, so mußte er sehen, wie seine geliebte Prinzessin auf einem mit Fledermäusen bespannten Wagen durch den Schornstein davon geführt wurde. Ein ander Mal fand er sie auf einer Blumenbank an einer Quelle sitzend; er warf sich zu ihren Füßen, er sagte ihr die zärtlichsten Sachen vor, und sie schien ihn mit Vergnügen anzuhören: allein indem er sie umarmen wollte (denn man weiß, daß die Liebe in Träumen nicht alle Gradationen beobachtet, die einem Schäfer an den Ufern des Lignon vorgeschrieben sind), so sah er mit Entsetzen, daß er die Gestalt der dicken Maritorne, der Viehmagd des Hauses, an seinen Busen drückte, und erhielt von Lippen, die ihm einen Augenblick zuvor lauter Nektar und Ambrosia zu düften schienen, einen von Knoblauch und altem Ziegenkäse so stark durchwürzten Kuß, daß er vor Ekel und Abscheu des Todes hätte seyn mögen.So nichtig nun immer diese eingebildeten Unglücksfälle waren, so lebhaft war gleichwohl der Schmerz, den sie ihm verursachten. Er hielt diese Träume für böse Vorbedeutungen, und zweifelte nicht, daß er eine mächtige Feindin habe, die darauf beflissen sey, ihn in der Liebe unglücklich zu machen, die er bereits in einem hohen Grade für die bezaubernde Unbekannte empfand, welche er nach dem Schlusse des Schicksals zu lieben bestimmt war.
—————

Sechstes Cap

Abenteuer mit dem Laubfrosche. Warum Don Sylvio nicht merkte, daß der Frosch keine Fee war.

Der Gedanke, einen unsichtbaren Feind von solcher Wichtigkeit zu haben, beunruhigte unsern jungen Helden nicht wenig: jedoch, da er in seinen Mährchen noch keinen von Feen oder Zauberern verfolgten Prinzen gefunden hatte, der nicht von einer andern Fee beschützt worden wäre; so ermunterte ihn die Hoffnung wieder, daß er nicht der Erste seyn werde, an dem diese Regel eine Ausnahme leiden sollte.Weil es nun in der Feenwelt, eben so wie in unsrer Alltagswelt, der Gebrauch ist, daß man selten Jemanden Dienste zu leisten pflegt, von dem man nicht eben dergleichen oder noch größere zurück erwartet: so wünschte Don Sylvio nichts so sehnlich, als eine Gelegenheit zu bekommen, sich die Dankbarkeit irgend einer großmüthigen Fee verbinden zu können.Indem er einst in diesen Gedanken an einem Graben in seinem Garten vorbei ging, sah er auf der andern Seite einen Storch (einige Nachrichten sagen, wiewohl ohne genugsamen Grund, daß es eine Störchin gewesen) im Begriff, einen artigen Laubfrosch zu erhaschen, der unbesorgt quakend im Gras herum hüpfte.Don Sylvio würde auch aus bloßem Antrieb seines Herzens, welches sehr gütig und mitleidig war, nicht saumselig gewesen seyn, dem nothleidenden Frosche zu Hülfe zu kommen. Allein der Gedanke, daß es vielleicht eine Fee und wohl gar eben der wohlthätige Frosch seyn könnte, welcher der Prinzessin Moufette und ihrer Mutter so gute Dienste geleistet hatte, setzte ihm Flügel an; er sprang über den Graben und verjagte mit einem Stecken, den er eben in der Hand hatte, den langbeinigen Erbfeind der Frösche in eben dem Augenblicke, da er im Begriff war, den kleinen unschuldigen Quaker hinunter zu schlingen. Der Storch ließ seinen Raub fallen und entfloh, und das Fröschchen sprang in den Graben, ohne sich zu bekümmern, wem es seine Rettung zu danken habe.Don Sylvio blieb an dem Graben stehen und erwartete daß es in Gestalt einer schönen Nymphe oder doch mit seiner Rosenhaube auf dem Kopfe wieder hervor kommen werde, um sich für einen so wichtigen Dienst gar schön bei ihm zu bedanken. Er wartete über eine halbe Stunde; aber zu seiner nicht geringen Befremdung wollte weder Frosch noch Nymphe zum Vorschein kommen.Eine so ungewöhnliche Undankbarkeit an einer Fee war ihm unbegreiflich. Wenn es auch, dachte er, die kleine häßliche Magotine, die alte Ragotte oder die Fee Concombre selbst gewesen wäre, so sollte doch ein Dienst von dieser Art vermögend gewesen seyn, sie zu einiger Erkenntlichkeit zu bewegen. Könnte es aber nicht seyn, besann er sich einen Augenblick darauf, daß es ihr nicht erlaubt ist, mir jetzt in ihrer eigenen Gestalt zu erscheinen, oder daß sie es aus andern Ursachen auf eine Gelegenheit verschiebt, da sie mir ihre Dankbarkeit durch eine wirkliche Dienstleistung beweisen kann?Diese Vermuthung schien ihm, weil sie mit seinen grillenhaften Wünschen am besten übereinstimmte, bei mehrerm Nachdenken so wahrscheinlich, daß er voller Zufriedenheit in sein grünes Schloß zurück ging und keinen Augenblick länger zweifelte, daß diese Begebenheit in Kurzem irgend eine wichtige Veränderung in seinem Schicksale nach sich ziehen würde.Vermuthlich werden einige Leser sich wundern. wie es möglich sey, daß Don Sylvio albern genug habe seyn können, um aus dem widrigen Ausgange dieses Abenteuers nicht den Schluß zu ziehen, der am natürlichsten daraus folgte, nämlich daß der Frosch keine Fee gewesen sey. Allein sie werden uns erlauben, ihnen zu sagen, daß sie die Macht der Vorurtheile und vielleicht ihre eigene Erfahrung nicht genugsam in Erwägung ziehen. Nichts ist unter den Menschen gewöhnlicher als diese Art von Trugschlüssen; das Vorurtheil und die Leidenschaft macht keine andre.Ein alter Geck, der durch seine Freigebigkeit die Treue seiner Liebsten zu erkaufen denkt, schreibt die funkelnden Augen und die glühenden Wangen, womit sie ihn empfängt, der Freude zu, die ihr seine Ankunft verursacht, und bedenkt nicht, wie viel wahrscheinlicher es wäre, sie auf die Rechnung eines jüngern Buhlers zu setzen, der inzwischen in einem Schranke steckt und seines leichtgläubigen Unvermögens spottet.Ein Indier kauft seinem Bonzen Amulete ab, die wider alle Krankheiten dienen sollen; er wird krank, und die Amulete helfen nichts. Was schließt er daraus? Vielleicht daß seine Amulete keine Heilungskraft haben, und daß der Bonze ein Betrüger sey? Nichts weniger! Alles, was er daraus schließt; ist, daß er dem Götzen, dessen Bild er am Halse getragen, nicht Andacht genug bewiesen und dem Bonzen nicht Almosen genug gegeben habe.Keine Leute sehen mehr Verdienste an sich selbst, als diejenigen, an denen sonst Niemand keine sieht. Wer wollte ihnen auch zumuthen, die Verachtung, die sie für eine Wirkung des Neides halten, der weit natürlichern Ursache zuzuschreiben, daß Andre unmöglich so parteiisch für sie seyn können, als sie selbst?Dergleichen Beispiele ließen sich ins Unendliche häufen. Es ist wohl wahr, die Thorheit des Don Sylvio wird dadurch nicht kleiner; aber es ist auch zu seiner Entschuldigung genug, daß er wenigstens keine schlimmere Schlüsse macht als andre ehrliche Leute.
—————

Siebentes Capitel

Don Sylvio findet auf eine wunderbare Art das Bildniß seiner geliebten Prinzessin.

Einige Tage, nachdem sich das Abenteuer mit dem Laubfrosche zugetragen hatte, ging Don Sylvio mit dem Anbruch des Morgens in den Wald, um Schmetterlinge zu suchen, von denen ihm noch einige zur Ausschmückung seines Cabinets abgingen.Er hatte sich schon über eine Stunde weit von seinem Schloß entfernt, als er eines wunderschönen Sommervogels ansichtig wurde, der sich nur wenige Schritte von ihm auf eine Blume setzte. Seine Flügel waren lasurblau, mit einer Einfassung von Purpur verbrämt, die in der Sonne wie Gold glänzte. Don Sylvio glaubte ihn schon erhascht zu haben; aber der schöne Sommervogel schlüpfte unter seinem Strohhute weg und verbarg sich in das dichteste Gebüsche.O, rief Don Sylvio, ich muß dich haben, und wenn ich dich auch bis in das unterirdische Reich des Königs Hammel verfolgen müßte, wo es kleine Pastetchen regnet, und gebratne Feldhühner auf den Bäumen wachsen.Der Sommervogel, der sich auf den Vortheil seiner Flügel verließ, schien ihm eine so weite Reise ersparen zu wollen. Kaum hatte Sylvio ihn aus dem Gesichte verloren, so fand er ihn wieder ein paar Schritte vor sich auf einem Rosmarinstrauche sitzen. Er wollte ihn wieder haschen, aber es ging wie das erste Mal: der schöne Sommervogel schien seiner nur zu spotten; oft gaukelnde er in kleinen Kreisen um ihn herum, dann setzte er sich wieder, aber entwischte alle Mal, wenn er im Begriff war gefangen zu werden.Dieses Spiel dauert so lange, bis Don Sylvio endlich merkte, daß er in eine ihm ganz unbekannte Gegend verirrt war.Jetzt reuete es ihn, daß er sich einem Schmetterling zu Liebe so weit eingelassen hatte: allein, da es nun einmal geschehen war, so wollte er doch so viele Mühe nicht umsonst gehabt haben und ließ nicht nach, bis er endlich so glücklich war, den Sommervogel zu erhaschen, der ihm mehr Mühe gemacht hatte, als jemals eine Spröde, seitdem es Spröden gibt, ihrem Liebhaber gemacht haben mag.Seine Freude war ungemein, und in der That konnte man keinen schönern Sommervogel sehen. Er betrachtete ihn lange mit einem desto lebhaftern Vergnügen, jemehr er ihm Mühe gekostet hatte, und er war jetzt im Begriff, ihn in einen kleinen Käficht zu stecken, den er zu diesem Ende bei sich trug, als es ihn däuchte, der gefangene Schmetterling sehe ihn mit einer flehenden Miene und gesenkten Flügeln an. Er bildete sich sogar ein (denn was kosteten ihm Einbildungen?), daß er so laut geseufzt habe, als ein Sommervogel nur immer seufzen kann.Mehr brauchte es nicht, um ihn auf seine gewöhnliche Grille zu bringen, und es kam ihm ganz wahrscheinlich vor, daß es vielleicht eine Fee oder eine verwandelte Prinzessin seyn möchte. Denn, dachte er, ist die Prinzessin Trognon eine Heuschrecke gewesen, so kann eine andre eben so gut ein Sommervogel seyn. Er besann sich also keinen Augenblick, ihm die Freiheit wieder zu schenken, um die er ihn so beweglich zu bitten geschienen hatte.Der erledigte Sommervogel flatterte fröhlich davon; und Don Sylvio ging ihm nach, voll Erwartung, was daraus werden möchte, als er ein paar Schritte vor sich etwas im Grase blinken sah, welches seine Aufmerksamkeit an sich zog. Er hob es auf und fand, daß es eine Art von Kleinod war, mit ziemlich großen Brillanten besetzt und an eine Schnur der feinsten Perlen befestiget. Er betrachtete es auf allen Seiten: aber wie groß war sein Erstaunen, als er, von einem ungefähren Druck auf eine Feder, die er nicht bemerkt hatte, einen großen Türkis in der Mitte auf die Seite springen und ein kleines sehr künstlich auf Schmelz gemaltes Brustbild erscheinen sah, welches eine junge Schäferin von ungemeiner Schönheit vorstellte!Er stand etliche Augenblicke unbeweglich und wußte nicht, ob er seinen Augen trauen sollte. Er besah und befühlte es immer wieder von Neuem, um sich zu überzeugen, daß es keine Einbildung sey; und je mehr er es betrachtete, desto mehr beredete er sich, daß es das Bildniß einer Göttin oder doch zum wenigsten der allerschönsten Sterblichen sey, die jemals gewesen oder künftig seyn werde.Unsre schönen Leserinnen werden ihm dieses übereilte Urtheil desto eher zu gut halten, wenn sie bedenken, daß er von seiner Tante (die aus bekannten Ursachen sehr wenig Gesellschaft sah) in einer so strengen Einsamkeit erzogen worden war, daß er, außer ihrer eignen angenehmen Person, ihrer Kammerfrau Beatrix (der Wittwe eines Sennor Scudero, welche bereits fünf und dreißig Jahre eingestand), der dicken Maritorne und den Bauerweibern im Dorfe, in seinem Leben nichts gesehen hatte, was, auch nur im uneigentlichsten Verstande, zum schönen Geschlecht hätte gerechnet werden können. Denn seine Schwester, die in der That ein hübsches kleines Mädchen gewesen war, hatte sich schon in einem Alter von fünf Jahren verloren, und man vermuthete, daß sie von einer Zigeunerin gestohlen worden sey, welche jemand um dieselbe Zeit nicht weit vom Schlosse angetroffen haben wollte.Don Sylvio mußte also nothwendig von der Schönheit dieser Schäferin außerordentlich gerührt werden, da sie unter den Figuren, an die er seine Augen hatte gewöhnen müssen, nicht anders würde ausgesehen haben, als Latona unter den Einwohnern von Delos, da sie, schon halb in Frösche verwandelt, ihr am Ufer entgegen quakten. Kurz, es däuchte ihn unmöglich, daß Gracieuse, Bellebelle, die Schöne mit den goldnen Haaren oder Venus selbst so schön gewesen seyn könnten; und er wurde vom ersten Anblick an so verliebt in dieses Bildniß, als es jemals ein irrender Ritter oder ein arkadischer Schäfer in seine Dulcinea oder Amaryllis gewesen ist.Endlich, rief er in seiner Entzückung aus, endlich hab' ich sie gefunden, sie, die ich mit ahnender Sehnsucht überall suchte, die ich zu lieben bestimmt bin, und, o! daß keine zu kühne Hoffnung mich täuschte! sie, die mein glückliches Schicksal bestimmt hat, mich durch ihre Liebe den Göttern an Wonne gleich zu machen! O gütige Fee, die du meiner dich annimmst, wer du auch seyst, dir allein dank' ich dieses überraschende Glück! Wer anders als du legte in dieser öden Wildnis, die vielleicht vor mir von keines Menschen Fuß betreten wurde, dieses himmlische Bildniß in meinen Weg? O, vollende deine Wohlthat, zeige dich mir und laß zu deinen Füßen mich hören, wo ich sie finden kann, sie, deren Schattenbild schon genug ist, eine unauslöschliche Liebe in meiner Brust anzuzünden! Denn das schwöre ich bei allen Göttern, die der Liebe günstig sind, und wenn ich sie auch am Quecksilbersee mitten unter den Ungeheuern der Fee Lionne, im Ringe des Saturnus, ja selbst in der großen Aquavitflasche der Feen suchen müßte, bis ich sie gefunden habe, soll kein ruhiger Schlaf auf meine Augen sich senken!
—————

Achtens Capitel

Reflexionen des Autors und des Don Sylvio.

Mancher denkt zu fischen und krebst, spricht der weise Sancho bei einer gewissen Gelegenheit zu seinem närrischen Herrn. Nichts geschieht öfter, als daß man etwas Andres sucht und etwas Andres findet. Saul suchte seines Vaters Enkelinnen und fand eine Krone; Don Sylvio suchte Sommervögel und fand ein schönes Mädchen oder doch ihr Bildniß.Nun war er verliebt, so verliebt, als man seyn kann, und einzig darauf bedacht, wie er auch das Urbild seines kleinen Gemäldes finden möchte. Denn ob er jetzt gleich wußte, wie seine Geliebte aussah, so wußte er doch weder, wer sie war, noch wo sie sich aufhielt.Es ist leicht zu errathen, was ein gewöhnlicher Mensch an seinem Platze gedacht oder gethan hätte; aber davon ist die Rede nicht; Don Sylvio dachte und that nichts wie gewöhnliche Menschen. Die Gedanken, die sich uns Andern am ersten darbieten, fielen ihm alle Mal am letzten und gemeiniglich gar nicht ein; und wenn ihm ein sonderbarer Zufall begegnete, so rieth er augenblicklich diejenige Ursache dazu, die es nach dem Laufe der Natur am wenigsten seyn konnte.Konnte das kleine Miniaturbildchen nicht eine bloße Phantasie des Malers gewesen seyn? Oder war es nicht eben so möglich, daß es eine Person vorstellte, die längst verstorben war, und konnte sich also Don Sylvio nicht in dem Falle des Prinzen Seif-el-Muluk in den persischen Erzählungen befinden, der sich, ein paar tausend Jahre zu spät, in eine Favoritin des Königs Salomo verliebte?Diese oder dergleichen Gedanken kamen unserm Helden gar nicht in den Sinn. Je mehr er der Begebenheit dieses Morgens nachdachte, desto mehr überzeugten ihn alle Umstände, daß es der Anfang eines so außerordentlichen Abenteuers sey, als vielleicht jemals einem jungen Prinzen oder Ritter begegnet seyn möchte.Allein was sollte er nun anfangen? Wo sollte er die schöne Schäferin suchen? Wen sollte er fragen? Der blaue Sommervogel, der ihm vermuthlich Nachricht von ihr hätte geben können, war verschwunden, und ohne eine nähere Anweisung auf Gerathewohl in diesem Walde fortzugehen, schien ihm desto gefährlicher, da eine von seinen unsichtbaren Feindinnen, von deren Bosheit er so viele Proben zu haben glaubte, ihn eben so leicht auf den unrechten, als sein gutes Glück auf den rechten Weg bringen konnte.Nach langem Nachdenken, welches durch die Betrachtung seines schönen Bildnisses oft unterbrochen wurde, däuchte ihn zuletzt das Sicherste, zu warten, bis er von dem blauen Sommervogel eine nähere Nachricht von seiner Geliebten erhalten haben würde. Denn es war nun etwas Ausgemachtes für ihn, daß es eine Fee gewesen sey; und da sie für die Freiheit, welche er ihr geschenkt, sich schon so erkenntlich zu beweisen angefangen, so zweifelte er nicht, daß sie fortfahren würde, ihn die Wirkungen ihrer Gunst verspüren zu lassen.Inzwischen hatte Tintin, sein Hündchen (der, die Sprache ausgenommen, dem Hündchen der Prinzessin Wunderschön weder an Artigkeit noch Verstand etwas nachgab), ihn im ganzen Walde aufgesucht, und die Freude war auf beiden Seiten sehr groß, da er seinen Herrn endlich gefunden hatte.In der That fing Don Sylvio an zu merken, daß es bald Mittagessenszeit seyn werde, und es war ihm überaus angenehm, einen Wegweiser bekommen zu haben, der ihn aus diesem Walde, worin er sich noch nie so weit vertieft hatte, wieder nach Hause führen konnte. Denn so bezaubert die Liebhaber in den neuen Zeiten immer seyn mögen, so ist doch (wie schon ein berühmter Schriftsteller vor uns angemerkt hat) die Mode, ganze Jahre ohne Essen und Trinken nur von der Liebe allein zu leben, heut zu Tage so sehr abgekommen, daß auch der allererhabenste und geistigste Verliebte in diesem Stück ein ausgemachter Epikurer ist. Eine Abänderung, welche wir unsers Orts um so weniger mißbilligen können, da wir glauben, daß sich das schöne Geschlecht nichts desto schlimmer dabei befinden könne.Don Sylvio ging also oder stolperte vielmehr mit dem Schatz, den er so unverhofft gefunden hatte, nach Hause; denn er beschaute ihn im Gehen so oft, daß er alle Augenblicke über einen Stock fiel oder an einen Baum anstieß.Unterwegs gerieth er im Nachsinnen über sein Abenteuer auf tausend wunderliche Gedanken. Es fiel ihm ein, ob dieses Gemälde nicht vielleicht die Fee selbst vorstelle, die ihm in Gestalt des blauen Sommervogels erschienen war? Vielleicht liebt sie mich, dachte er (denn es wäre doch nicht das erste Mal, daß ein Sterblicher diese Ehre gehabt hätte), und sie hat eine Probe machen wollen, was ihre wahre Gestalt für einen Eindruck auf mein Herz machen werde.Diese Einbildung gefiel ihm so wohl, daß er sie eine lange Weile fortsetzte; allein zulebt mußte sie doch wieder einer andern Platz machen, und so ging es in Einem fort, bis er zu Hause anlangte. Kurz, der blaue Sommervogel und die schöne Schäferin hatten seiner Phantasie einen so außerordentlichen Schwung gegeben, daß man sich nicht irren kann, wenn man sehr seltsame Wirkungen davon erwartet.Es möchte übrigens scheinen, als ob die Thorheit unsers jungen Ritters seit einiger Zeit so stark zugenommen habe, daß der verdächtige Zustand seines Gehirns seiner scharfsichtigen Tante unmöglich habe verborgen bleiben können, In der That wäre es auch nicht anders gewesen, wenn diese Dame Zeit und Muße gehabt hätte, ihren Neffen zu beobachten. Allein außer dem, daß sie ihn, seitdem er das siebzehnte Jahr zurückgelegt, aus der engern Aufsicht und der strengern Zucht freigelassen hatte, die sich für sein Alter nicht mehr schickten; so war sie seit einigen Wochen mit einer gewissen Sache beschäftigt, um derentwillen sie öfters abwesend zu seyn und in das benachbarte Städtchen zu fahren genöthigt war.Vermuthlich mußte diese Angelegenheit von nicht geringer Wichtigkeit für sie seyn: denn, wenn sie wieder zurückkam, schien sie wider ihre Gewohnheit so tiefsinnig und zerstreut; bekümmerte sich so wenig um die Geschäfte des Hauses, redete so viel mit sich selbst und so wenig in Gesellschaft und sagte, wenn sie mit den Bedienten zu reden hatte, so oft Eines für das Andere, daß außer ihrem Neffen Jedermann über eine so große Veränderung sich nicht genug verwundern konnte.Es ist leicht zu erachten, daß man über die Ursache derselben allerlei Vermuthungen anstellte; allein die Vorsichtigkeit der Donna Mencia und die Verschwiegenheit der Dame Beatrix hielten so gut aus, daß die Sache ein Geheimniß blieb: und das wollen wir sie auch so lange bleiben lassen, bis die Zeit, die endlich Alles offenbar macht, sie zu demjenigen Punkt der Reife gebracht haben wird, worin Geheimnisse von dieser Art sich insgemein selbst zu verrathen pflegen.
—————

Neuntes Capitel

Folgen des Abenteuers mit dem Sommervogel. Der Leser wird mit einer neuen Person bekannt.

Der getreue Tintin hatte seine Zeit so wohl genommen, daß er mit seinem Herrn eben anlangte, als es Zeit war, zu Tische zu gehen. Ein tiefes Stillschweigen herrschte über der Tafel, und Don Sylvio war, wie man leicht erachten kann, derjenige nicht, der es unterbrochen hatte. Er war zu sehr in seine eigenen Angelegenheiten vertieft, als daß er hätte bemerken können, wie sehr es seine gnädige Tante in die ihrigen war. Eben so wenig beobachtete er, daß sie sich ungewöhnlich herausgeputzt hatte, und daß sie von Zeit zu Zeit in einen gegen über stehenden Spiegel Gesichter machte, welche dem aufwartenden Pedrillo so sonderbar vorkamen, daß er sich in die Lippen beißen mußte, um nicht überlaut zu lachen.Nach dem Essen kündigte Donna Mencia ihrem Neffen an, daß sie in Geschäften genöthiget sey, in die Stadt zu fahren und darin über Nacht zu bleiben.Don Sylvio war zu höflich, einige Neugierde über die Natur dieser Geschäfte merken zu lassen, und er konnte es desto leichter seyn, da er in der That keine hatte. Sie schieden also sehr vergnügt von einander, und unser junger Ritter verschwand bald darauf, ohne daß Jemand im Hause gewahr wurde, wohin er ging.Da er gewohnt war, die Sieste in seinem grünen Schlosse zu halten, so vermißte man ihn nicht eher, als da es Abendessenszeit war. Man suchte ihn hierauf im Hause, im Garten, in den Feldern, im Wald, aber überall umsonst; man rief seinen Namen; aber da war kein Don Sylvio.Der vorgedachte Pedrillo, ein junger Bursche aus dem Dorfe, der ihm zur Aufwartung gegeben war, eine Küchenmagd, ein Stallknecht und die bereits erwähnte Maritorne machten in Abwesenheit der Donna Mencia und der Frau Beatrix, ihrer getreuen Duenna, die ganze Hausgenossenschaft aus. Diese vier guten Leute waren nicht wenig betrübt darüber, daß sie nicht wußten, was aus ihrem jungen Herrn geworden sey; denn sie liebten ihn wegen seines angenehmen und leutseligen Wesens recht herzlich. Nachdem sie ihn nun beim Mondscheine bis in die späte Nacht umsonst gesucht hatten, kamen sie endlich auf den Gedanken, daß er vielleicht zu seiner Tante gegangen sey; denn das Städtchen war kaum drei Stunden weit vom Schloß entfernt. Sie gingen also heim und legten sich schlafen.Allein Pedrillo, der zu oft um seinen Herrn war, als daß ihm seine Neigung zur Feerei unbekannt seyn konnte, kam bei näherm Nachdenken auf die Vermuthung, er könnte sich auf einem seiner gewohnten Spaziergänge im Walde vielleicht über irgend einem Abenteuer verirrt haben. Er stand also den folgenden Morgen früh auf und durchstöberte nochmals den ganzen Wald, ohne glücklicher zu seyn als den Abend zuvor. Er wollte eben wieder heimkehren, als er in einem Felsen, um welchen etliche Reihen von wilden Lorberbäumen im Cirkel standen, eine mit Geißblatt bewachsene Höhle gewahr ward.Pedrillo, dem es, ungeachtet seiner ziemlich schafmäßigen Miene, nicht an Witz fehlte, und der in den Ritterbüchern und Mährchen nicht weniger bewandert war als sein Herr, hielt diesen Ort für feenmäßig genug, daß er ihn vielleicht darin finden könnte. Er betrog sich nicht: denn, wie er an den Eingang der Grotte kam, sah er ihn auf einem Lager von Moos und Blumen ausgestreckt in tiefem Schlafe liegen; der kleine Tintin schlief zu seinen Füßen, neben ihm lag seine Cither, und an seinem Halse hing das Kleinod mit dem Bildnisse der schönen Schäferin.Dieses letztere zog sogleich Pedrillo's ganze Aufmerksamkeit auf sich. Er wurde von dem Glanz der Steine und Perlen, wovon dieses Halsgeschmeide schimmerte, nicht wenig geblendet; und ob er gleich kein großer Kenner von Juwelen war, so däuchte ihn doch, daß sie wenigstens zehen Dörfer, wie das seinige, werth seyn könnten. Er betrachtete sie lange und konnte nicht begreifen, woher Don Sylvio einen so kostbaren Schmuck bekommen haben möchte. Seine Neugierde ward endlich so dringend, daß er sich kaum enthalten konnt ihn aufzuwecken. Das that er nun zwar nicht: denn Pedrillo war ein so höflicher Bauerjunge, als irgend einer in Andalusien; aber er nahm doch die Cither und klimperte darauf, so laut er konnte, und endlich sang er gar dazu, ohne daß er seine Absicht erreichte.Nun, bei meiner Six! rief er endlich ganz ungeduldig aus, das geht nicht natürlich zu! wenn das nicht ein bezauberter Schlaf ist, so versteh' ich nichts davon. Vielleicht steckt die Zauberei in diesem Kleinod hier? Wenn das wäre, so ist es besser, ich nehm' es ihm vom Halse, oder ich zerbreche es gar, wenn's nöthig ist, als daß mein junger Herr hier ein paar tausend Jahre wie ein Murmelthier in Einem fort verschnarche.Indem er das sagte, langte er nach dem Kleinode, stieß aber von ungefähr mit dem Ellbogen an Don Sylvio an, der davon erwachte und, weil er die Augen noch nicht recht aufthun konnte, den Pedrillo nicht sogleich erkannte, sondern nur eine Menschenfigur sah, die ihm seine geliebte Schäferin rauben wollte.Er gerieth darüber in eine außerordentliche Wuth. Verfluchte Zauberin, rief er, ist es dir nicht genug, daß du diese unschuldige Prinzessin ihrer himmlischen Schönheit beraubt und in einen elenden Sommervogel verwandelt hast? Willst du mir das Einzige rauben, was mir das Uebermaß meines Unglücks noch erträglich machen kann? Aber wisse, vorher mußt du dieses Herz ausreizen, worin ihr Bildniß mit feurigen Zügen eingegraben ist.Ums Himmels willen, gnädiger Herr, rief Pedrillo, indem er an den Eingang der Grotte zurück sprang, was meinen Sie mit allem diesem seltsamen Zeuge? Ich bin weder ein Zauberer noch ein Schwarzkünstler, Gott sey Dank! ich bin Pedrillo, Euer Gnaden Diener, von altchristlichem Geschlecht, so gut als einer in unserm Kirchspiel; und es thut mir leid, nachdem ich Euer Gnaden in allen vier Enden der Welt gesucht habe, Sie in dieser verfluchten Grotte und in einem solchen Zustand anzutreffen. Was sagen Sie da von Zauberern und von dem Uebermaß der Sommervögel, die in Prinzessinnen verwandelt sind? Gott sey es geklagt, ich dachte gleich, daß es nichts Gutes bedeuten werde, wie ich Sie hier eingeschlafen fand.Bist du Pedrillo? versetzte Don Sylvio, der sich indeß die Augen gerieben hatte. Wenn du Pedrillo bist, wie deine Gestalt es allerdings zu bezeugen scheint, so bin ich schon zufrieden, und die Vorwürfe gehen dich nichts an, die ich dir machte, indem ich dich für einen Andern ansah. Aber was wolltet du mit diesem Bildniß anfangen?Mit was für einem Bildniß? fragte Pedrillo.Schurke, versetzte Don Sylvio: mit dem Bildniß, das du im Begriff warest mir zu entwenden, als ich von einer unsichtbaren Hand erweckt wurde, um einem so großen Unfalle zuvor zu kommen.Beim Element, Herr Don Sylvio, erwiederte Pedrillo, ich glaube, Sie träumen, wenn es nicht noch was Aergers ist. Wir suchten Sie gestern den ganzen Abend, bis um die Zeit, da, Gott sey bei uns! die Gespenster zu gehen pflegen; aber Alles umsonst. Diesen Morgen früh lief ich im ganzen Walde herum und klopfte an alle Büsche; endlich fand ich den jungen Herrn in dieser Höhle schlafen, und da sah ich dieß Kleinod, und weil Euer Gnaden gar fest schlief. so bildete ich mir ein, daß es vielleicht ein Telesman seyn könnte, wodurch Sie in dieser Höhle. in einem ewigen Schlafe bezaubert liegen müßten, bis Jemand käme, der den Telesman zerbräche, wie ich dergleichen Exempel viel in den großen dicken Büchern gelesen habe, die in der gnädigen Frau ihrer Bücherkammer stehen; und weil Sie mir nun lieb sind, gnädiger Herr, und mich dauerten, daß Sie wie Dämonion, den die Göttin Dina einsmals bezauberte, daß er hundert Jahre lang schlafen mußte, damit sie sich recht satt an ihm küssen konnte — die alte verliebte Hexe! — Sie wissen ja die Historie, Herr! Sie steht in einem alten Buche, das ich aus der Erbschaft meiner Großmutter für dreizehn Maravedi's annehmen mußte, ob es gleich keinen Deckel und kein Titelblatt mehr hatte; es waren die Menge gemalter Figuren darin, woran ich mich erlustigte, wie ich noch ein kleiner Junge war; und dann las mir meine Großmutter die Historien, die daneben standen; es ist mir, als ob ich sie noch vor mir sitzen sahe, die gute alte Frau, Gott tröste sie! Aber was wollt' ich sagen? — Ja, und sehn Sie, weil Sie mich nun halt dauerten, wollt' ich sagen, daß Sie so lange schlafen sollten, so wollte ich den Telesman zerbrechen: das ist das Ganze, sehen Sie, und ich denke; da ist nichts, worüber sich eins so erzürnen sollte.Don Sylvio, so gute Lust er auch hatte, böse zu seyn, konnte sich des Lachens nicht enthalten, da er den Pedrillo so reden hörte. Höre, Pedrillo, sagte er zu ihm, es ist mir schon genug, daß du es nicht übel gemeint hast; aber ich versichere dich, du warst im Begriff, mir einen sehr schlimmen Streich zu spielen. Es ist nur allzu gewiß, daß ich von demjenigen bezaubert bin, was du für einen Talisman angesehen hast; aber lieber wollt' ich das Leben verlieren als zugeben, daß diese Bezauberung aufgelöst würde. Ich habe diese Nacht Sachen von großer Wichtigkeit erfahren; aber frage mich nicht, was es sey! Du sollst alles wissen, sobald es Zeit ist; denn ich bin deiner Dienste benöthiget: mehr kann ich jetzt nicht sagen.Pedrillo verstand kein Wort von diesen Reden: aber das machte ihn eben desto neugieriger. Ich will auch nichts fragen, gestrenger Herr, sagte er, indem sie nach Hause gingen; Sie haben mir's verboten, und ich weiß den Gehorsam wohl, den ich Ihnen schuldig bin: denn erstlich, so sind Sie mein Junker, weil ich aus Ihrem Dorfe bin, und dann sind Sie mein Herr, weil ich in Ihrem Muß und Brot stehe; denn, obgleich die gnädige Frau die Haushaltung führt, so weiß ich doch wohl, aus wessen Beutel es geht. O, das versprech' ich Ihnen, wenn ich schon einfältig aussehe, so merk' ich doch wohl, wo der Hund begraben liegt. Ich will also nicht neugierig seyn und fragen, was das für Dinge sind, die ich nicht fragen darf, weil Euer Gnaden sie mir nicht sagen kann, obschon Sie wollten, wenn es Zeit wäre, daß ich sie wüßte. Sagten Sie nicht so, lieber Herr? Aber es ist doch was Seltsames, ich glaube bald, ich bin selbst bezaubert! Denn sonst verstand ich Alles, was Euer Gnaden sagte; aber, seitdem ich diesen Talisman angerührt habe, ist mir nicht anders, als ob Sie Calcutisch redeten. Ich will gleich des Todes seyn, wenn ich von Allem, was wir da mit einander gesprochen haben, ein Wort verstehe. Ich habe schon oft gehört, viel Wissen macht Kopfweh; aber, wenn einer wüßte, wo Euer Gnaden diese Nacht gewesen wäre, da wir Sie in der ganzen Welt suchten, so könnte einer vielleicht errathen — Mehr sag' ich nicht, Sie könnten sonst meinen, ich sey so vorwitzig und wolle Sie ausfragen, und Vorwitz ist mein Fehler nicht! Was mich nicht brennt, das blas' ich nicht. Zum Exempel, wenn ich vorwitzig wäre, so hätt' ich wohl erfahren können, warum die gnädige Frau seit acht Tagen so oft in die Stadt fahrt: denn unter uns, gnädiger Herr, Sie hätten mir's wohl nicht zugetraut, aber, ohne Ruhm zu melden, ich gelte was bei der Frau Beatrix! Sie hat es faustdicke hinter den Ohren, das versprech' ich Ihnen, wenn sie schon einen so großen Rosenkranz am Gürtel hängen hat, als ein Waldbruder, und so leise daher tritt, als ob sie auf Eiern gehe. Stille Wasser gründen tief, und es sind nicht alle Köche, die lange Messer tragen. Kurz und gut, gnädiger Herr, ich ging gestern bei ihrem Zimmer vorbei, und wie sie sah, daß ich 's war, denn die Thür war halb offen, so rief sie mir und bat mich, daß ich ihr das Halstuch heften möchte; und da weiß ich nicht, wie es kam, aber ich sollt' es auf dem Rücken heften, und da heftete ichs vorn und konnte nie fertig werden. Sie hatte ihren Spaß mit meiner Ungeschicklichkeit, und, Gott verzeih mir's! ich glaub' ich wäre noch dabei, wenn die gnädige Frau nicht geschellt hätte. Das erste Mal hörten wir nichts; aber sie schellte wieder, und das so stark, daß Frau Beatrix sagte: Ich muß gehen, Pedrillo, sonst werde ich gezankt wenn ich gewußt hätte, daß du so ungeschickt wärest, so hätte ich dich nicht gerufen: denn, siehst du, du machst schon so lange, und jetzt muß ich's doch selbst heften. Und da lief sie fort, gnädiger Herr, und, was ich sagen wollte — ja, da hätt' ich sie fragen können, warum die gnädige Frau so oft in die Stadt fährt, und zu wem? und dieses und jenes; aber (wie ich sagte) über dem Halstuch hatt' ich Alles rein vergessen. Sie sehen also, daß ich nicht neugierig bin: denn Fran Beatrix war bei guter Laune, und ich glaube, sie hätte mir Alles gesagt.In diesem Tone fuhr Pedrillo den ganzen Weg lang fort, ohne daß Don Sylvio Acht auf sein Geschwätz gab, so sehr war er in Gedanken vertieft. Allein, sobald sie zu Hause waren, erinnerte ihn sein Magen, daß er seit gestern Mittags gefastet hätte: denn (wie wir schon bemerkt haben) die Bezauberung erstrebte sich bei ihm niemals bis auf den Magen. Er ließ sich also einen Eierkuchen und ein gebacknes Huhn zum Frühstücke machen und aß mit so gutem Appetit, daß Pedrillo wieder Muth schöpfte und eine bessere Meinung von dem Verstande seines Herrn zu fassen anfing, als er diesen Morgen gehabt hatte, da er ihn von Verwandlungen, Prinzessinnen und bezauberten Sommervögeln reden hörte.
—————

Zehntes Capitel

Worin Feen, Salamander, Prinzessinnen und grüne Zwerge auftreten.

Sobald die größte Hitze vorbei war, begab sich Don Sylvio mit seinem getreuen Pedrillo in den Garten, setzte sich an dem schattenreichsten Ort desselben unter eine Laube von Jasmin; und nachdem er ihm ernstlich untersagt hatte, ihn in seiner Rede zu unterbrechen, wie es so ziemlich seine Gewohnheit war, so erzählte er ihm umständlich Alles, was ihm, von dem Abenteuer mit dem Laubfrosch an bis auf den Augenblick, da Pedrillo ihn in der Grotte schlafend gefunden hatte, begegnet war.Wir übergehen dasjenige, was unsern Lesern schon bekannt ist, und fangen seine Erzählung da an, wo die unsrige still gestanden, nämlich bei seiner Entfernung, welche seine Hausgenossen in so große Unruhe gesetzt hatte.Sobald meine Tante abgereist war, fuhr Don Sylvio fort, ging ich wieder in den Wald, um den Ort zu suchen, wo der blaue Sommervogel verschwunden war und mir an seiner Statt dieses Bildniß hinterlassen hatte, wovon nunmehr das Glück oder Unglück meines Lebens abhängt. Ich nahm den kleinen Tintin mit mir, weil ich hoffte, daß er den Weg, den wir mit einander gegangen, durch seinen Instinct leichter wieder aufspüren würde, als ich mich dessen erinnern könnte. Ich betrog mich nicht: ich erkannte den Ort; und nachdem ich ihn aufs sorgfältigste durchsucht hatte, in der Hoffnung, vielleicht etwas zu finden, das mir einiges Licht geben könnte, wem das Bildniß gehöre, fing ich an, allenthalben umher zu laufen, ob ich den blauen Sommervogel wieder entdecken möchte, den ich nach dem, was mir begegnet war, für keinen gewöhnlichen Schmetterling halten konnte. Wenn es, dachte ich, eine Fee ist, wie ich zu glauben Ursache habe, so läßt sie sich vielleicht durch die Unruhe, worin sie mich sieht, bewegen, mir wieder sichtbar zu werden und mir die Nachrichten zu geben, ohne welche ich nicht länger leben kann.Ich suchte also den ganzen Wald aus, ich fand Sommervögel genug, aber der blaue war nirgends auszuspüren. Die Nacht nahm überhand; Tintin war so müde, daß er nicht mehr laufen konnte. Ich war es nicht weniger als er, und da ich diese Grotte, wo du mich gefunden hast, gewahr wurde, so beschloß ich, die Nacht da zuzubringen. Ich machte mir ein Lager, und Tintin schlief neben mir ein, während daß ich den Gedanken nachhing, die meine Umstände mit sich brachten. Der Mond schien so anmuthig, daß er mich zu einem Spaziergang unter den Bäumen, die vor der Grotte standen, einzuladen schien.Ich war nicht lange auf und nieder gegangen, so sah ich einen plötzlichen Glanz, der die Bäume und Gesträuche weit umher vergüldete. Ich stutzte auf und erblickte eine feurige Kugel in der Luft, die weit höher als der Mond zu schweben schien und sich langsam gegen den Ort wo ich stand, herab senkte. Du kannst dir nicht vorstellen, Pedrillo, wie groß die Freude war, die ich über diesen Anblick empfand.Die Freude? unterbrach ihn Pedrillo: nun wahrhaftig, gestrenger Herr, Sie sind doch nicht wie andre Leute gemacht, ich würde über ein solches Wunderzeichen gleich zu Tod erschrocken seyn, und Sie konnten Sich gar freuen?Sagte ich dir nicht, daß ich keine Zwischenreden haben wollte? versetzte Don Sylvio. Wenn ich mich freue, so hatte ich eine sehr gute Ursache dazu: denn ich wußte wohl, daß es die Ankunft einer Fee bedeutete, und mein Herz weissagte mir, es werde diejenige seyn, die ich suchte. Meine Erwartung betrog mich nicht. Die feurige Kugel, die im Annähern immer größer wurde, zersprang nah über mir mit einem großen Knall, und an ihrer Statt sah ich eine wunderschöne Dame auf einem Wagen von Karfunkeln, der von zwei feuerfarbenen geflügelten Schlangen gezogen wurde. Um sie her flatterten auf einer kleinen silbernen Wolke eine Menge Salamander in Gestalt kleiner geflügelter Knaben von überirdischer Schönheit. Ihre Haare schienen gekräuselte Sonnenstrahlen, ihre Flügel Feuerflammen, ihr Leib weißer als der Schnee im Sonnenschein, und die Farben der Morgenröthe schimmerten um ihre Stirn und auf ihren Wangen. Demungeachtet wurden sie alle von dem Glanze der Fee verdunkelt, welcher so blendend war, daß mir das Gesicht davon vergangen wäre, wenn sie die Vorsicht nicht gebraucht hätte, mich mit ihrem Stabe zu berühren.Don Sylvio, sagte sie zu mir, ich bin die Fee Radiante, der du neulich in der Gestalt eines kleinen Frosches ein Leben gerettet hast, von welchem, so verächtlich es schien, dasjenige abhing, worin du mich jetzt siehest. Du weißt, daß wir alle hundert Jahre acht Tage lang die Gestalt irgend eines Vogels oder Thieres annehmen müssen, und daß wir in dieser Zeit den Gebrauch aller unserer Macht verlieren und allen Zufällen ausgesetzt sind, denen die thierische Natur unterworfen ist. Die acht Tage, in welchen ich genöthiget war, ein Laubfrosch zu seyn, waren bis auf etliche Stunden verstrichen: als das Vergnügen, mich bald wieder in meiner eigenen Gestalt zu sehen, mich so unvorsichtig machte, meinen Graben zu verlassen und mich der Gefahr auszusetzen, die wir ohne deine großmüthige Hülfe verderblich gewesen wäre. Der Schrecken, den ich in dem Schnabel des Storchs ausgestanden, hielt mich ab, dir sogleich für meine Errettung zu danken; und da ich in wenigen Stunden meine eigne Gestalt wieder erlangt hatte, nöthigten mich die Salamander, deren Königin ich bin, meine ersten Augenblicke ihren Angelegenheiten zu schenken. Allein, sobald ich wieder Zeit hatte, an die Meinigen zu denken, erinnerte ich mich, wie viel ich dir schuldig sey, und dachte auf Mittel, dir meine Dankbarkeit zu beweisen. Meine Bücher, die ich zu Rathe zog, belehrten mich, daß du vom Schicksal bestimmt seyest, eine gewisse Prinzessin zu lieben, aber daß deinem Glücke Schwierigkeiten entgegen ständen, die du ohne einen mächtigen Beistand schwerlich zu besiegen vermögend seyn würdest. Ich komme nun, dir diesen Beistand anzubieten. Deine Geliebte wird von der Fee Fanferluche verfolgt, weil sie sich nicht überwinden konnte, einen gewissen Zwerg zu heirathen, der ein Neffe dieser Fee ist und wegen seiner grünen Farbe der grüne Zwerg oder auch, weil er gemeiniglich auf einer Bremse zu reiten pflegt, der Bremsenreiter genannt wird. Weil die Prinzessin unbeweglich blieb, so ist sie vor Kurzem von dieser grausamen Fee in einen blauen Schmetterling mit purpurfarbnem Saum verwandelt worden, mit der Bedingung, daß diese Bezaubrung nicht eher aufhören solle, bis sie in diesem Zustand einen geliebten Liebhaber gefunden hätte, der ihr den Kopf und die Flügel abreißen würde. Unglücklicher Don Sylvio! der blaue Sommervogel, den du diesen Morgen fingest, war deine Prinzessin! Sie sah dich im Walde und liebte dich, sobald sie dich sah; sie floh nur vor dir, weil sie sehen wollte, ob du ihr nachgehen würdest, und sie ließ sich willig fangen, sobald sie versichert war, daß sie dir, selbst in Gestalt eines Sommervogels, nicht gleichgültig sey. Als sie sich in deiner Hand sah, bemühte sie sich dir zu sagen, wie angenehm ihr die Gefangenschaft sey; aber die grausame Fanferluche hatte ihr auch die Sprache geraubt, und sie konnte nichts hervorbringen als einen Seufzer, den du unglücklicher Weise für ein Zeichen hieltest, daß sie den Verlust ihrer Freiheit beklage. Dein mitleidiges Herz bewog dich, sie wieder fliegen zu lassen, sie flatterte traurig fort, würde aber vermuthlich bald wieder zurückgekehrt seyn, wenn sie nicht in eben demselben Augenblicke den grünen Zwerg wahrgenommen hätte, der auf seiner Bremse angeritten kam und die Zähne so abscheulich gegen sie blökte, daß sie sich vor Angst zehn tausend Flügel wünschte, um desto schneller entfliehen zu können. Zu ihrem Glücke war ich eben im Begriffe, dich aufzusuchen; ich sahe die Gefahr, worin die arme Prinzessin schwebte, und eilte ihr zu Hülfe, nachdem ich einem meiner Salamander befohlen hatte, das Bildniß der Prinzessin in deinen Weg zu legen. Ich setzte dem grünen Zwerge nach, welcher, zu schwach, sich mit mir in einen Kampf einzulassen, alle mögliche Gestalten annahm, um mir zu entwischen. Endlich verwandelte er sich in eine kleine Wolke; allein ich ward es sogleich gewahr und drückte ihn zwischen meinen Händen so fest zusammen, daß er in Tropfen zerfloß. Die Leute, die unten im Felde arbeiteten, sahen, daß es Blut regnete. und hielten es für eine böse Vorbedeutung. Der grüne Zwerg befand sich so übel in dieser Presse, daß er in seine eigene Gestalt zurück trat; allein er behielt sie nicht lange. Ich verwandelte ihn in einen elfenbeinernen Zahnstocher, mit der Bedingung, daß er seine natürliche Gestalt nicht eher wieder bekommen sollte, bis er gedient hätte, den hintersten Stockzahn eines achtzigjährigen Mädchens auszustochern, die noch eine unbefleckte Jungfer wäre.Beim Element, unterbrach ihn Pedrillo, ich bin der Fee Radamante ihr gehorsamer Diener; aber sie denkt nicht, was sie thut. Auf diese Art wird der arme grüne Zwerg ewig ein Zahnstocher bleiben: denn, sehen Sie, Herr Don Sylvio, ich will nicht Pedrillo heißen, wenn in der alten und in der neuen Welt eine achtzigjährige Jungfer zu finden ist, die noch Zähne auszustochern hat, oder ein achtzigjähriges Mädchen mit Zähnen, die noch eine Jungfer ist.Dafür laß den grunen Zwerg sorgen, versetzte Don Sylvio: wenigstens wird er lange genug suchen müssen, daß ich nichts von ihm zu besorgen habe. Aber sagte ich dir nicht schon zweimal, daß ich nicht unterbrochen seyn will? Wenn wir gute Freunde bleiben sollen, Herr Pedrillo, so laß mich's nicht zum dritten Mal sagen.Gut, gestrenger Herr, erwiederte Pedrillo, fahren Sie nur fort und erzürnen sich nicht; ich will so still seyn wie eine Maus. Sie wissen, ich bin kein Plauderer; aber, weil Sie von dem Zahnstocher und von der achtzigjährigen Jungfer —Zum Henker, rief Don Sylvio, du verfluchtes Plaudermaul! du fängst ja wieder von vorn an —Nein, Herr, sagte Pedrillo, ich wollte nur sagen, daß ich kein Wort mehr sagen will, und daß ich auch dießmal nichts gesagt hätte, wenn nicht der Zahnstocher —Ich wollte, schrie Don Sylvio, daß du selbst ein Zahnstocher wärest! So höre doch und schweige, oder das soll das letzte Wort seyn, das du jemals von mir gehört hast.Diese Drohung erschreckte den Pedrillo, der seinen jungen Herrn überaus lieb hatte; er legte die Hand auf den Mund, zum Zeichen, daß er nichts mehr sagen wolle, und Don Sylvio fuhr fort:Die Fee hielt ein wenig inne, nachdem sie ihre Erzählung geendigt hatte, und ich ergriff diesen Augenblick, mich ihr zu Füßen zu werfen und ihr meine Dankbarkeit in den lebhaftesten Ausdrücken zu bezeigen.Mächtige Fee, setzte ich hinzu, Sie haben so viel für mich gethan, vollenden Sie Jhr Werk! Haben Sie dem grünen Zwerg die Gestalt eines Zahnstochers geben können, was für Mühe wird es Ihnen kosten, meiner geliebten Prinzessin ihre eigene wieder zu geben?Es ist nicht in meiner Macht, erwiederte die Fee, einen Zauberknoten aufzulösen, den eine meiner Mitschwestern geknüpft hat. Dieses Abenteuer ist für dich aufgehoben. Versäume keine Zeit, Don Sylvio. Nimm deinen getreuen Pedrillo und den kleinen Tintin mit und suche den blauen Sommervogel so lange bis du ihn findest. Ich besorge sehr, daß die boshafte Fanferluche ihren Neffen an der Prinzessin und an dir selbst zu rächen suchen werde; aber laß dich durch keine Schwierigkeiten abschrecken und sey versichert, daß du meinen Beistand, wo er nöthig seyn wird, nie vergeblich anrufen sollst.Mit diesen Worten verschwand die Fee, der Wagen und die Salamander. Ich befand mich so abgemattet, daß ich in einen tiefen Schlaf fiel; und ich schliefe vielleicht noch, wenn du mich nicht aufgeweckt hättest.Du hast nun gehört, Pedrillo, was mir die Fee befohlen hat. Ich habe keine Zeit zu verlieren. Wir müssen uns auf den Weg machen, meine geliebte Prinzessin zu suchen, und ich hoffe, daß du dich nicht weigern wirst, mich zu begleiten.
—————

Elftes Capitel

Ein Gespräch zwischen Pedrillo und seinem Herrn. Zurüstungen zu der beschlossenen Wanderschaft.

Pedrillo hatte seinem Herrn mit großem Vergnügen zugehört, indem er die Geschichte von der Fee und von der Prinzessin und vom grünen Zwerg erzählte; denn er war ein ungemeiner Liebhaber von Mährchen und Wundergeschichten. Allein, da er hörte, daß Don Sylvio Ernst daraus machte, und daß es darum zu thun sey, in der Welt herum zu ziehen, um einen blauen Sommervogel aufzusuchen, so wollte ihm die Sache nicht recht einleuchten. Er kratzte hinter den Ohren, zuckte die Achseln und sagte endlich nach einigem Zaudern:Bei meinem Leben, Herr Don Sylvio, ich weiß nicht, was ich sagen soll; aber mir däucht, daß Sie das Alles eben so gut hätten träumen können, als etwas Anderes; und wenn ich nicht wüßte, daß Euer Gnaden das ehrlichste Gemüth auf der Welt sind, so möchte einer, Gott verzeih mir's, fast denken —Wie? fiel ihm Don Sylvio ein: zweifelst du etwa an der Wahrheit meiner Erzählung?Nein wahrhaftig, versetzte Pedrillo, daran zweifle ich im geringsten nicht; aber die feurige Kugel und der Frosch, der eine Fee ist, und der grüne Zwerg, der sich in die Prinzessin verliebte, und der Sommervogel, den Sie heirathen und in eine schöne Prinzessin verwandeln sollen, und der Zahnstocher — Wenn ich Ihnen die Wahrheit gestehen soll, gestrenger Herr (aber Sie müssen's mir nicht übel nehmen), sehn Sie, so glaub' ich, daß Ihnen das Alles nur im Traume so vorgekommen ist. Man traumt oft gar wunderliche Dinge: zum Exempel, mir träumte letzthin —Wahrhaftig, rief Don Sylvio, dem die Geduld ausging, ich habe jetzt nichts zu thun, als deine Träume anzuhören. Sage mir, du unvernünftiges Thier, wenn es ein Traum gewesen ist, daß ich die Fee Radiante gesehen habe, und daß sie mir gesagt hat, was ich thun soll, um meine unvergleichliche Prinzessin zu finden; ist es auch ein Traum, daß ich ihr Bildniß an meinem Halse trage?Mit diesen Worten nahm er das Kleinod, drückte die Feder und zeigte dem Pedrillo das kleine Bildniß, welches unter dem großen Türkis verborgen lag.Pedrillo machte ein Paar mächtig große Augen auf, indem er das Bild eines Frauenzimmers sah, das, wie ihn däuchte, tausendmal schöner war, als die Frau Beatrix selbst.O bei Sanct Velten, rief er, nun sag ' ich kein Wort mehr! So ist das die Prinzessin, die Ihnen die Fee Radicante versprochen hat, und die in einen blauen Schmetterling verwandelt ist? Nun muß ich's freilich wohl glauben, daß Alles die Wahrheit ist, was Sie mir erzählt haben; wahrhaftig, wenn ich sie nicht mit meinen eignen Augen sähe, ich hatt' es nicht geglaubt! Das ist wunderbar! Aber von wem könnten Sie's auch sonst haben, als von einer Fee? Denn ich wollte meinen Kopf wetten, daß der kleinste dieser Steine wohl zehn Bauerhöfe werth ist. Aber ich habe oft gelesen, daß solche Dinge den Feen keinen Heller kosten; bei ihnen sind die Diamanten so gemein wie die Gassensteine, und ich bin versichert, die Frau Rademante hat größere Edelsteine auf ihren Schuhen, als die Königin, welche Gott erhalten wolle! an ihrem Halsbande. Beim Element, solche Sachen find't man nicht im Schlaf! Euer Gnaden muß also wohl gewacht haben, und, haben Sie gewacht, so haben Sie's nicht träumen können, wie ich sagte, und so muß es ja wohl wahr seyn, daß die Prinzessin ein Sommervogel ist. Lassen Sie mich doch noch einmal sehen! — Meiner Treu, das ist doch hübsch! Wie freundlich sie einen ansieht! Wenn einer nicht wüßte, daß es nur gemalt wäre, so meinte man, es werde gleich den Mund aufthun und reden. Der Henker hole die verfluchten Unholden, die so unbarmherzig seyn konnten, ein so hübsches kleines Gesichtchen in ein Ungeziefer zu verwandeln! Wahrhaftig, Herr Bremsenreiter, solche schöne Prinzessinnen macht man nur für deines Gleichen! Daß dich die Pest! du Mistfinke du! Meinst du, weil sie so klein ist, daß ein Mückenflügel ihr ganzes Gesichtchen verdecken könnte, so sey sie nur gleich für einen krummbeinigen, buckligen, grünen Laubkäfer gewachsen, wie du bist?Dummer Junge, fiel ihm Sylvio ein: ich glaube, du bildest dir gar ein, die Prinzessin sey nicht größer, als sie in diesem Bildniß ist? Sie ist hier nur so klein gemalt, weil es die Kleinheit des Raums nicht anders zuließ; aber das verhindert nicht, daß sie nicht zum wenigsten so groß sey, als Diana oder die schöne Alie, welche gewiß nicht die kleinste gewesen seyn muß, da ein so großer Riese als Moulineau sie mit Gewalt zur Frau haben wollte. Und gesetzt auch, daß sie etwas kleiner wäre, so wäre sie dadurch nur den Grazien desto ähnlicher, welche von den Poeten und Malern kleiner vorgestellt werden, als andre Göttinnen, um die Anmuth und Lieblichkeit dadurch auszubrüten, um derentwillen sie die Ehre verdienen, die Gespielen und Aufwärterinnen der Göttin der Liebe zu seyn.Das ist auch nicht mehr als billig, versetzte Pedrillo: denn man sagt im Sprichwort, was klein ist, das ist artig; und wenn auch gleich die Prinzessin nicht größer wäre, als eine Pariser Puppe, so wollt' ich doch wetten, daß sie das drolligste kleine Ding ist, das man nur an einem Sommertag sehen mag.Pedrillo, mein Freund, fiel ihm Don Sylvio ein, wir verderben hier die Zeit mit unnützem Geschwätz, indessen meine Geliebte vielleicht in Gefahr ist —Bei meiner Treue, Herr, unterbrach ihn der voreilige Pedrillo, das wollt' ich eben sagen! Für eine so schöne Prinzessin könnte auch nichts verdrießlicher seyn, als daß sie keinen Augenblick sicher ist, wenn irgend eine verfluchte Dohle oder Krähe daher kommt und sie ihren Jungen zum Futter wegschnappt! Sapperment, sie würden sie gewiß so gut aufschnabeln, als ob sie nur ein gemeines Ungeziefer und nicht eine große Prinzessin wäre, wie ich nun selbst glaube daß sie ist; seitdem ich ihr Bildniß gesehen habe.Was du sagst, erwiederte Don Sylvio, macht mir keinen Kummer; ich verlasse mich darüber vollkommen auf den Schutz der Fee Radiante. Allein, wenn dieser Schutz mehr als hinlänglich ist, sie gegen alle Dohlen und Krähen der Welt sicher zu stellen, so ist er es doch nicht gegen die Nachstellungen der boshaften Fanferluche: denn du hast gehört, daß die Entzauberung des blauen Sommervogels für mich allein vorbehalten ist. Was meinst du, Pedrillo? wär' es nicht am besten, wenn wir uns jetzt gleich auf den Weg machten, da meine Tante nicht zu Hanse ist? Wir sind hier alle bei einander, ich, du und Tintin: wir wollen gehen und die Prinzessin suchen, sie mag auch seyn, wo sie will; für das Uebrige wird die Fee sorgen.Sie sind auch gar zu eilfertig, gnädiger Herr, erwiederte Pedrillo; Sie denken nicht daran, daß man auf Reisen allerhand Dinge braucht, mit denen man auf den Nothfall versehen seyn muß —Du weißt nicht, was du sagst, fiel ihm Don Sylvio ins Wort: wo hast du jemals gehört oder gelesen, daß ein Prinz oder Ritter, der unter dem Schulz der Feen in der Welt herum reist, eine solche Vorsicht gebraucht hätte? Sie haben allezeit schöne Kleider, feine Wäsche und Geld, so viel sie brauchen; sie übernachten insgemein in bezauberten Palästen, wo sie aufs beste bewirthet werden; und wenn es auch geschieht, daß sie sich in Wäldern und Einöden verirren, so steht doch, ehe sie sich 's versehen, eine Tafel vor ihnen, die von unsichtbaren Händen gedeckt und mit den niedlichsten Speisen besetzt wird, und sie schlafen in anmuthigen Grotten oder unter Lauben, die von den Nymphen gepflanzt worden, auf einem Lager von Blumen ein.Das ist Alles wohl hübsch und gut, sagte Pedrillo; aber, die Wahrheit zu sagen, gnädiger Herr, ich möchte mich nicht gar zu sehr darauf verlassen. Man hat unter den Feen seine Freunde und seine Feinde; und ich habe wohl eher von Prinzen und Prinzessinnen gelesen, die auf dergleichen Reisen mit guten Zahnen manchmal wenig zu beißen gehabt haben. Vorsicht schadet nie, pflegte meine Großmutter zu sagen; ein Sperling in der Hand ist besser, als ein Haselhuhn im Busche. Kurz, wenn ich Euer Gnaden gut zum Rathen bin, so will ich gehen und etwas Wäsche und kalte Küche und etliche Flaschen Wein in einen Zwerchsack zusammen packen; sorgen Sie indeß für einen guten Beutel voll Ducaten; und wenn das geschehen ist, so wollen wir uns immerhin, weil es nun einmal so seyn muß, auf den Weg machen, und gebe der Himmel, daß wir weder blaue noch grüne Zwerge antreffen, die uns unsre Prinzessin streitig machen!Don Sylvio, welcher, seine Grillen ausgenommen, der beste Mensch von der Welt war, ließ sich von Pedrillo überreden und ging mit ihm ins Schloß zurück, nachdem er aus Furcht, den Vorwitz seiner Leute zu erregen, das Kleinod mit dem Bildnisse der vermeinten Prinzessin in seine Tasche gesteckt hatte. Ungeachtet seines Vertrauens auf die Feen unterließ er doch nicht, indeß Pedrillo den Keller und die Speisekammer durchmusterte, etliche Ringe, die er von seinem Vater geerbt hatte, und seine ganze Baarschaft zu sich zu stecken, welche sich, die Wahrheit zu gestehen, nicht über zehn oder zwölf Pistolen belief, aber in seinen Augen eine Summe war, womit er sich unter dem Schutze der mächtigen Radiante bis zu den Gegenfüßlern zu reisen getraute. Er zog sein feinstes Hemde mit Spitzen an, ein Wamms von grünem Atlas, mit schmalen goldnen Spitzen besetzt und mit rosenfarbnem Taffet gefüttert, rosenfarbne Beinkleider und Strümpfe, und der Federbusch auf dem Hute war von eben dieser Farbe. In diesem Aufzuge, worin er es mit allen Narcissen und Hyacinthen der Dichter hätte aufnehmen können, wartete er mit Ungeduld auf seinen Reisegefährten, in der festen Entschließung, sich noch vor Wiederkunft seiner Tante heimlich davon zu machen.
—————

Zwölftes Capitel

Unmaßgebliche Gedanken des Autors.

Wenn wir diese Geschichte ein halb Duzend Jahrhunderte früher hätten schreiben können, so würde dieses Capitel überflüssig gewesen seyn. Es gibt Zeiten, wo dasjenige, was man Wunderdinge nennt, so alltäglich ist, daß die Leute nichts wunderlicher finden, als eine natürliche Begebenheit. Allein in den unsrigen scheint die entgegen gesetzte Denkungsart so sehr überhand genommen zu haben, daß wir kaum hoffen dürfen, unter allen, die diese Geschichte vielleicht lesen werden, auch nur einen Einzigen zu finden, den wir bereden könnten, daß in dem vorigen Capitel nichts erzählt worden sey, was nicht alle Tage geschehen könne. Seit der Erfindung der Vergrößerungsgläser haben die unsichtbaren Dinge ein böses Spiel, und man braucht nur ein Geist zu seyn, um alle Mühe von der Welt zu haben, die Leute von seinem Daseyn zu überzeugen. Kurz, wir möchten sagen, was wir wollten, so würde uns doch Niemand glauben, daß eine Fee Radiante in der Welt sey, oder daß der blaue Schmetterling wirklich eine Prinzessin, und ein Zahnstocher jemals ein grüner Zwerg gewesen sey.Bei solchen Umständen halten wir für das Beste, wenn wir frei gestehen, daß wir selbst von Allem, was Don Sylvio seinem getreuen Pedrillo erzählt hat, eben so wenig glauben, als von den Gesichten unsrer frommen Landsmännin, der Schwester Maria von Agreda, oder von den Erzählungen vom rothen Käppchen und irgend einem andern Mährchen, womit uns ehmals unsre geliebte Amme einzuschläfern pflegte.Demungeachtet nöthigt uns die Wahrhaftigkeit, deren wir uns im Laufe dieser Geschichte immer befleißigen werden, zu versichern, daß Don Sylvio in seiner ganzen Erzählung nichts gesagt habe, was nicht in gewissem Sinn eben so wirklich war, als es die meisten andern Geschichten aus der Geisterwelt sind.Um dieses scheinbare Paradoxon zu begreifen, müssen wir uns erinnern, daß es eine zweifache Art von Wirklichkeit gibt, welche in einzelnen Fällen nicht allemal so leicht zu unterscheiden ist, als manche Leute denken.So wie es nämlich, allen Egoisten zu Trotz, Dinge gibt, die wirklich außer uns sind, so gibt es andre, die bloß in unserm Gehirn existiren. Die erstern sind, wenn wir gleich nicht wissen, daß sie sind; die andern sind nur, insofern wir uns einbilden, daß sie seyen. Sie sind für sich selbst —nichts; aber sie machen auf denjenigen, der sie für wirklich hält, die nämlichen Eindrücke, als ob sie etwas wären; und ohne daß die Menschen sich deßwegen weniger dünken, sind sie die Triebfedern der meisten Handlungen des menschlichen Geschlechts, die Quelle unsrer Glückseligkeit und unsers Elends, unsrer schändlichsten Laster und unsrer glänzendsten Tugenden.Welche Fee oder welcher Zauberpalast ist chimärischer, als dieser Nachruhm, von dem doch die größten Männer gestanden haben, daß er der Endzweck ihrer schönsten Unternehmungen gewesen sey? Alexander, der den fabelhaften Zug des Bacchus nach Indien realisirte und sich in tausend freiwillige Gefahren stürzte, damit die Bürger von Athen (wie er selbst sagte) eine gute Meinung von ihm bekämen, sog einer eben so unwesentlichen Chimäre nach, als Don Sylvio, da er auszog, um den blauen Schmetterling zu entzaubern. In den Augen eines kalten Zuschauers der menschlichen Handlungen ist der erste ein so großer Thor als der andere; und dieser hat wenigstens den Vorzug, daß seine Chimäre keinen Schaden that, da die Chimäre des Eroberers von Asien eine halbe Welt erschütterte.Wir werden also (um von diesem kleinen Seitenwege sogleich wieder einzulenken und zur Hauptsache zu kommen) bei der Erzählung unsers jungen Ritters einen Unterschied machen müssen zwischen demjenigen, was ihm wirklich begegnet war, und zwischen dem, was seine Einbildungskraft hinzu gethan hatte. Wir haben ihn, wie man sich noch erinnern wird, nach dem Abenteuer mit dem Schmetterling und dem Bildniß in einem Zustande verlassen, worin seine Phantasie auf einen außerordentlichen Grad erhöht war. Die Lebhaftigkeit der Bilder, die sich ihm darstellten, nahm mit der Nacht desto mehr zu, je weniger sie von äußern Empfindungen geschwächt wurde; es brauchte nur noch einen Grad, um sie zu einer Art von Empfindung zu machen. In einer solchen Verfassung ward er eine feurige Kugel gewahr, die in der Luft daher schwebte und nach einer Weile nicht weit von ihm zersprang. Diese nicht ungewöhnliche Lufterscheinung, die ein Naturforscher mit beobachtenden Augen angesehen hätte, vollendete die Bezauberung eines Don Sylvio. Er erinnerte sich, in seinen Mährchen öfters solche flammende Kugeln gefunden zu haben, aus denen allemal eine Fee auf einem diamantenen Wagen, von sechs Schwanen oder vier und zwanzig Hämmeln mit goldnem Vließe gezogen, hervor kam. Nach seiner Weise war also diese natürliche Erscheinung der Anfang einer übernatürlichen; und mehr brauchte es nicht, um die Phantasiebilder, die schon geformt und zur Geburt zeitig in seinem Kopfe lagen, in eine Reihe von vermeinten Empfindungen zu verwandeln, die von einem Traume nur darin unterschieden waren, daß er dabei wachte und durch ihren Zusammenhang mit seinen vorhergehenden und nachfolgenden Vorstellungen desto stärker verführt wurde, sie für wirklich zu halten.Dieß ist, wenigstens nach unsrer geringen Meinung, die wahrscheinlichste Erklärung, die man von dergleichen Visionen geben kann. Indessen sind wir weit entfernt, sie Jemand aufdringen zu wollen. Don Sylvio befand sich allein, da ihm die Fee Radiante erschienen seyn soll; und man kann allen Zweiflern, Materialisten, Deisten und Pantheisten kühnlich Trotz bieten, jemals zu erweisen, daß die Fee Radiante oder ihre Erscheinung etwas schlechterdings Unmögliches sey. Wir können also unsere Erklärung für mehr nicht geben, als für eine bloße Vermuthung: und wenn die Liebhaber des Wunderbaren geneigter seyn sollten, hierüber dem Don Sylvio selbst zu glauben, welcher unstreitig ein Augenzeuge und außer allem Verdacht eines vorsetzlichen Betrugs ist; so haben wir nicht das Geringste dagegen einzuwenden.
—————

Zweites Buch.

Erstes Capitel

Aufschlüsse über die Reisen der Donna Mencia nach der Stadt.

Indessen Don Sylvio zu seiner abenteuerlichen Wanderschaft Anstalt machte, war Donna Mencia beschäftigt, ihn durch ein Mittel zurück zu halten, von welchem er sich eben so wenig träumen ließ, als sie von seiner Liebe zu einem bezauberten Schmetterling.Wir haben bereits gemeldet, daß sie seit einiger Zeit häufige Reisen in das benachbarte Städtchen that, um welche Don Sylvio sich zwar nicht bekümmerte, die aber in der That auf nichts Anderes abzielten, als ihm einen schlimmern Streich zu spielen, als er von der vereinigten Bosheit aller Fanferluchen und Carabossen der ganzen Welt nur immer hätte erwarten können.Man erinnert sich vielleicht noch, daß Donna Mencia, ungeachtet ihrer außerordentlichen Sprödigkeit, in ihrer ersten Jugend keine gänzliche Feindin der Liebe gewesen war; und wenn wir die Wahrheit unverblümt sagen sollen, so ist vielleicht niemals ein Frauenzimmer gewesen, dem die Tugend, wozu die Unbarmherzigkeit der Mannsleute sie verurtheilte, beschwerlicher gefallen wäre. Man will sogar wissen, daß, seitdem sie sich aus der großen Welt in eine Einsamkeit zurück gezogen, welche der erzwungenen Sprödigkeit nicht sehr günstig zu seyn pflegt, ihre Bedürfnisse mehr als einmal so dringend geworden, daß sie (wenn wir es anders ohne Beleidigung des Geschlechts, zu dem sie gehörte, sagen können) sogar einem gewissen Bedienten des Hauses Aufmunterungen gegeben, die vielleicht nicht ohne Erfolg geblieben wären, wenn die Reizungen der jungen Maritorne diesen plumpen Liebhaber nicht gegen alle Vorzüge eines hochadeligen Gerippes unempfindlich gemacht hätten.So wahrscheinlich auch diese Anekdote durch den Charakter der Donna Mencia, durch die schlimme Meinung, in welche sich die sogenannten Prüden bei der Welt gesetzt haben, und durch verschiedene Beispiele großer Damen (die man beim Brantome lesen kann, und für deren Wahrheit er stehen mag) gemacht werden könnte, so gestehen wir doch, daß wir, aus guten Gründen, ein starkes Mißtrauen in alle Anekdoten dieser Art setzen. Es ist zwar der kleinen Bosheit, die man dem menschlichen Herzen Schuld gibt, gemäß, diejenigen, die eines gewissen Grades von Schwachheit oder Thorheit überwiesen sind, eines jeden höhern Grades derselben fähig zu halten. Aber diese Art zu urtheilen ist nicht selten ungerecht, und was die arme Donna Mencia betrifft, so däucht uns, die unläugbaren Proben ihrer Schwachheit seyen noch immer groß genug, ohne daß man vonnöthen habe, sie durch nachtheilige Vermuthungen in eine Carricatur zu verwandeln.Um also den Leser nicht länger aufzuhalten, so ist es nur allzu gewiß, daß weder ihre Tugend, noch der gerechte Stolz auf ihre edle Geburt, noch sechzig Frühlinge, die sie bereits erlebt hatte, ihr zärtliches Herz gegen die Liebe zu schützen vermochten, die ein gewisser Procurator in Xelva so glücklich war ihr einzuflössen.Sie hatte ihn bei einer bejahrten Freundin kennen gelernt, bei der er in Geschäften öftere Besuche ablegte; und die Nachrichten, die sie von seinen Umständen einzog, schienen dem Anschlag überaus günstig zu seyn, den sie beim ersten Anblick auf seine Person gemacht hatte.Dieser würdige Mann nannte sich Rodrigo Sanchez und war (sein Talent für die Rabulisterei ausgenommen) durch seine körperlichen Vorzüge merkwürdiger, als durch die Annehmlichkeiten seines Geistes. Er war ein untersetzter Mann von mittlerer Größe, hatte breite Schultern, krause Haare, kleine funkelnde Augen, die von großen schwarzen Augenbraunen wie von einem dunkeln Gebüsche beschattet wurden, eine große Habichtsnase, Beine, die im Nothfall stark genug gewesen wären einen Atlas zu unterstützen, kurz, er hatte gerade den Zuschnitt, der (wie einige Beobachter wissen wollen) den Spröden von Profession gefährlich seyn soll. Man weiß nicht, daß sich Donna Mencia jemals über den Eindruck, den er mit dieser Figur auf sie gemacht, erklärt hätte. Aber nichts desto minder versichert unser Autor (der sich mit seinem Talent, in den Seelen zu lesen, nicht wenig zu wissen scheint), daß Rodrigo Sanchez mit dieser Figur die Ehre gehabt habe, beim ersten Anblick über die Abneigung zu siegen, welche sie jederzeit gegen den Ehestand hatte spüren lassen, und den Wunsch in ihr zu erregen, mit ihm in dieses Joch gespannt zu werden, ungeachtet er kaum vierzig Jahre zählte und noch ein Junggeselle war.Wenn die Augen dieses neuen Adonis nicht dankbar genug waren, in ihr eine Venus zu sehen, so hatte er doch, so bald er merkte, daß es um eine Heirath zu thun sey, einen Beweggrund, der auf Leute von seiner Art eben so kräftig zu wirken pflegt, als die persönlichen Reizungen auf Liebhaber von feinerm Metall.Der Herr Procurator hatte nämlich von einem ältern Bruder eine Nichte, Mergelina genannt, welche seit dem Tode ihrer Aeltern mit einem Vermögen von hundert tausend Thalern unter seiner Vormundschaft stand. So gleichgültig ihm seine Nichte für ihre eigne Person war, so zärtlich liebte er ihre Thaler; und er hatte schon lang umsonst auf ein gesetzmäßiges oder wenigstens nicht widergesetzliches Mittel gesonnen, sich, wo nicht des Ganzen, doch wenigstens eines ansehnlichen Theils desselben zu bemächtigen; als die Leidenschaft, die er das Glück hatte der Donna Mencia einzuflössen, ihm eine erwünschte Gelegenheit zu geben schien, diese Absicht zu erreichen. Seine Nichte, welche unstreitig ein reizendes Vermögen besaß, hatte bereits etliche Freier abgewiesen, weil sie nur bürgerlich waren: denn sie hatte sich's nun einmal in den Kopf gesetzt, entweder eine Dame zu werden oder als Jungfer zu sterben. Herr Rodrigo zweifelte also nicht, sie zu Allem zu bereden, was er nur wollte, insofern er ihr einen Edelmann zum Manne geben könnte; die Schwierigkeit war bloß, einen solchen zu finden, der so gefällig wäre, als es Herr Rodrigo haben wollte. Die Nachrichten, die er von der Freundin der Donna Mencia erhielt, machten ihm Hoffnung, daß sich Niemand zu seinen Absichten besser schicken könne, als Don Sylvio, welcher ihm als ein junger Edelmann beschrieben wurde, der ohne alle Erfahrung oder Kenntniß der Welt, ungemein großmüthig und dabei gewohnt sey, sich in Allem von seiner Base regieren zu lassen. Er beschloß also, sein Glück zu versuchen und von dem verliebten Anstoß der alten Mencia so viel Vortheil zu ziehen, als nur immer möglich seyn möchte. Freilich spielte er die Rolle eines seufzenden Schäfers so lächerlich, als man sich's vorstellen kann; allein er brachte doch Feuer genug darein, um eine so zärtliche Person, wie Donna Mencia war, zu überreden, daß er der verliebteste unter allen Menschen sey.Allein, sobald sich diese Dame ihres Sieges gewiß hielt, erinnerte sie sich dessen, was sie ihrer Tugend und ihrem Charakter schuldig war, und machte so viele Umstände, daß der Herr Procurator, welcher sich wenig auf die Kunst verstand, Spröde zahm zu machen, die Geduld zehnmal verloren hätte, wenn er durch keine stärkere Gewalt als die bejahrten Annehmlichkeiten seiner Grausamen zurück gehalten worden wäre. Das Beste für ihn war, daß es ihr selbst so viel Mühe kostete, die keusche Flamme, wovon sie brannte, zu verbergen, daß sie für gut befand, seine Probezeit um so mehr abzukürzen, da sie keine Ursache hatte, an der Stärke seiner Leidenschaft zu zweifeln. Sie willigte also endlich ein, den Herrn Rodrigo glücklich zu machen; die zweifache Heirath des Oheims mit der Tante und des Neffen mit der Nichte wurde beschlossen, und der Herr Procurator setzte einen Ehevertrag auf, worin die Vortheile der erstern nicht vergessen waren.Donna Mencia hatte ihren Neffen allzu wohl erzogen, als daß sie an seiner Einwilligung im geringsten hätte zweifeln sollen. Indessen macht ihr der Gedanke doch einige Mühe, daß diese doppelte Verbindung dem Adel ihres Geschlechts, auf den sie immer stolz gewesen war, in den Augen der Welt nicht wenig derogiren würde: und, so sehr auch die Heftigkeit ihrer Leidenschaft durch die blendenden Verdienste des Herrn Rodrigo Sanchez gerechtfertiget zu werden schien, so würde sie sich doch kaum haben entschließen können, derselben eine so große Bedenklichkeit aufzuopfern; wenn Herr Rodrigo, der ein starker Genealogist war, ihr nicht Hoffnung gemacht hätte, in Kurzem einen Stammbaum zu Stande zu bringen, in welchem er den Ursprung seiner Familie in gerader Linie von einem natürlichen Sohne des castilianischen Königs Sancho des Großen herleiten wollte.
—————

Zweites Capitel

Ein Gemälde in Ostadischem Geschmack.

Don Sylvio, der den Kopf von Schmetterlingen und grünen Zwergen voll hatte, ließ sich wenig davon träumen, daß seine gnädige Tante, während er auf Befreiung seiner geflügelten Prinzessin dachte, damit umging, ihn mit einem Bürgermädchen von Xelva zu verheirathen, und (wenn wir die Wahrheit sagen sollen) mit dem häßlichsten Dinge, das jemals geheirathet worden ist.Er war also nicht wenig bestürzt, da er sie, ehe noch Pedrillo mit den Zurüstungen zur Reise fertig war, in Gesellschaft eines Frauenzimmers und einer Mannspersonen die ihm gänzlich unbekannt waren, zurückkommen sah. Er erstaunte noch mehr, da er diese fremden Figuren in der Nähe betrachtete; und insonderheit kam ihm die junge Dame so außerordentlich vor, daß er sie Anfangs für eine angekleidete Meerkatze hielt. Pedrillo, der ihnen aus der Kutsche steigen half, hatte alle Mühe von der Welt, sich beim Anblick derselben des Lachens zu enthalten, und Don Sylvio, so höflich er sonst war, trat in der ersten Bestürzung ein paar Schritte zurück, ohne die Zufriedenheit zu bemerken, die sich bei seinem Anblick über ihr liebliches Gesicht ausbreitete.In der That hätte die weise Mencia, um eine Nichte zu haben, die ihren eignen Reizungen keinen Eintrag thäte, keine bequemere Person auswählen können als Donna Mergelina.Wir wollen einen Versuch wagen, ob wir die Einbildungskraft unsrer Leser in den Stand setzen können, sich einige Vorstellungen von ihr zu machen.Sie war vollkommen zwei Ellen und vier Daumen hoch, von einer Schulter zur andern beinahe eben so breit, und überhaupt so regelmäßig gebaut, daß ihr Kopf ungefähr den vierten Theil ihrer Höhe ausmachte, Hals, Brust und Unterleib aber sich so unmerklich in einander verloren, daß man unmöglich sehen konnte, wo eines anfing, und das andere aufhörte. Ungeachtet der außerordentlichen Länge ihres Kinns stellte ihr Gesicht doch ein ziemlich regelmäßiges Viereck vor; denn ihre Stirne war gerade um so viel zu niedrig, als ihr Kinn zu lang war. Ihre Augen waren so rund und ragten so weit aus dem Kopfe hervor, daß das Beiwort, welches Homer der Juno zu geben pflegt, ausdrücklich für Donna Mergelina gemacht zu seyn schien. Ihr Mund war von einer so geräumigen Weite, daß man den Schaumlöffel des Prinzen Tanzai ohne mindeste Gefahr ihrer breiten Zähne darin hatte hin und wieder schieben können: und wenn ihre Lippen jemals von einem Poeten zum Sitz der Grazien gemacht worden sind, so müssen wir gestehen, daß es ein Canapee war, worauf diese Göttinnen Platz genug gehabt hätten, sich im Nothfall noch mit etlichen jungen Liebesgöttern herum zu tummeln. Ihre Nase war in der That um etwas zu klein; denn man hatte Mühe, zwischen ihren dicken, hangenden Backen etwas Erhabenes zu entdecken, welches man endlich an den aufgestülpten Nüstern für eine Nase gelten lassen mußte: allein das war auch das Einzige an ihrer ganzen Person, woran sich die Natur zu karg bewiesen hatte. Zum Ersatz hatte sie hingegen einen überflüssig hohen Rücken, sehr lange Ohren und so breite Hände und Füße, als ob die Absicht der Natur gewesen wäre, daß sie, wie die Amphibien, im Wasser und auf dem Trocknen gleich bequem möchte leben können. Aber was selbst nach ihrer eigenen Absicht alle dieser Schönheiten verdunkeln sollte, war ein Busen, wie man (zumal in Spanien) wenige sieht; ein Busen von einem so unmäßigen Umfange, daß er für eine Statue der Venus sehr füglich das Modell zu einem ganz andern Theil hatte abgeben können. Sie schien sich auf diese Vollkommenheit so viel einzubilden, daß sie dieselbe mit einer Freigebigkeit auslegte, welche von strengen Sittenlehrern vielleicht ärgerlich hätte genannt werden können, wenn sie weniger widerlich gewesen wäre.Was die Farben betrifft, welche die Natur gebraucht hatte, ein solches Meisterstück auszumalen, so waren sie allerdings so gemischt, daß sie einem Vandyk zu schaffen gegeben hätten. Sie hatte weder blonde Haare wie Ceres, noch braune wie Venus, noch goldfarbene wie die Schöne mit den goldnen Haaren; die ihrigen waren feuerfarbig und dabei von Natur so geradlinig und kurz, daß sie die Kunst und Geduld einer Cypassis zu Schanden gemacht hätten. Ihre Augen waren hellgrau, Stirne und Wangen olivenfarbig und, wo es sich gehörte, mit braunroth getuscht; ihr Mund (weil wir uns doch nicht gern eines weniger anständigen, wiewohl eigentlichern Wortes bedienen möchten) spielte ein wenig auf Meergrün und verlor durch die Schwärze ihrer großen und ungleich gewachsenen Zähne nicht das Mindeste von seiner Anmuth; auch hatten ihre Arme und Hände eine so natürliche Lederfarbe, daß sie die Ausgabe völlig ersparen konnte, die andre Frauenzimmer auf hundslederne Handschuhe wenden müssen.Alles dieß nun, welches ohne Zweifel eine Art von Figuren ausmachte, die man selten anderswo als auf Kaminen zu sehen bekommt, war von einem Putz erhöht, der für den Geschmack der schönen Mergelina eine so gute Meinung erweckte, daß man sie nur anzusehen brauchte, um die ungemeine Harmonie des Leibes und der Seele in ihr zu bewundern, die nach den Grundsätzen des Pythagoras die höchste Schönheit ausmacht. Sie trug einen Rock von hochgelbem Atlas, mit Silber gestickt, ein Corset von grünem Taffet, himmelblaue Bänder, eine feuerfarbne Feder, carmesinrothe Schuhe mit Gold und rosenfarbne Strümpfe mit silbernen Zwickeln.Diese liebenswürdige Person hatte mit Hülfe des höflichen Don Sylvio kaum einen kleinen Saal erreicht, in welchem Donna Mencia ihre Besuche anzunehmen pflegte, als ihr Erstes war, zu einem Spiegel zu watscheln, um (wie sie sagte) die Unordnung zu verbessern, welche die Reise in ihrem Anzuge gemacht haben könnte. Man setzte sich hierauf, und während die Dame Beatrix mit einigen Erfrischungen erwartet wurde, schien jede Person in dieser kleinen Gesellschaft verlegen zu seyn, was sie mit sich selbst und mit den andern anfangen sollte. Donna Mergelina spielte mit ihrem Fächer oder gaffte in den Spiegel, dem sie sich gegenüber gesetzt hatte; Herr Rodrigo sah bald die jugendliche Mencia, bald seine Beine an; Don Sylvio machte große Augen und schien zerstreut; und die gute Tante hatte immer den Mund halb offen, ohne daß sie wußte, was sie sagen wollte.Herr Rodrigo war eben im Begriff, die Anmerkung zu machen, daß — es schönes Wetter sey, als die aufwartsame Beatrix hereintrat, um die Unterhaltung mit einem großen Korbe voll frischer und eingemachter Früchte zu beleben. Jetzt wurde der Gesellschaft auf einmal leicht ums Herz. Donna Mergelina hatte Anlaß, ihre gute Erziehung sehen zu lassen, indem sie mit vielen Complimenten und Verneigungen die Ungelegenheit bedauerte, die man sich ihrentwegen mache: Complimente und Grimassen, die von der höflichen Donna Mencia mit eben so vielen Gegencomplimenten und Gegengrimassen beantwortet wurden. Man machte hierauf die Beobachtung, daß die Erdbeeren sehr groß, und die Kirschen von vortrefflichem Geschmack seyen, man lobte die eingemachten Nüsse und Pfirsiche, und Donna Mencia nahm davon Anlaß zu einer gelehrten Abhandlung von der Kunst, Confituren zu machen, bei welcher der Herr Procurator so lange Weile hatte, daß er sich möglichst angelegen seyn ließ, den Gegenstand derselben aus dem Wege zu räumen, um das Gespräch auf einen Process lenken zu können, den er unter Händen hatte, und womit er, sobald er Gelegenheit bekam das Wort zu nehmen, die Damen auf eine sehr galante Art unterhielt.
—————

Drittes Capitel

Gespräch zwischen der Tante und dem Neffen.

Nach einiger Weile trat Frau Beatrix mit verschiedenen Weinen und abgezogenen Wassern wieder in den Saal; und während sie aus einen Wink ihrer Gebieterin, die Gäste mit ihrem geistreichen Gespräch unterhielt, zog sich Donna Mencia mit ihrem Neffen in ein anderes Zimmer zurück, um ihm zu erklären, was dieser Besuch zu bedeuten habe.Ihr seyd ja ganz außerordentlich geputzt, Don Sylvio, fing sie an; Ihr wußtet doch nicht, daß ich Gesellschaft mitbringen würde?Nein, gnädige Tante, erwiederte Don Sylvio erröthend und stotternd; aber — ich weiß nicht — ich vermuthe —Ihr bedürft gar keiner Entschuldigung deßwegen, versetzte Donna Mencia; Ihr hättet Euch zu keiner gelegnern Zeit putzen können, und ich bin geneigt, es einer Art von Ahnung zuzuschreiben.Hierauf nahm sie Platz, räusperte sich etliche Mal und eröffnete ihm endlich nach verschiedenen Vorreden, nicht ohne ein wenig zu erröthen, ihr gedoppeltes Vorhaben, ihn mit der schönen Mergelina zu vermählen und das Eigenthumsrecht über ihre eigene Person dem verdienstvollen Herrn Rodrigo Sanchez abzutreten. Sie unterließ nicht, ihm die großen Vortheile anzupreisen, die ihm aus dieser Vermählung zugehen wurden, und, ihren Reden nach, hatte er Ursache, sich ihr für eine so ausnehmende Probe ihrer Fürsorge für seine Glückseligkeit noch sehr verbunden zu achten.Allein Don Sylvio war weit entfernt, so gelehrig und dankbar zu seyn, als seine Tante vermuthet hatte. Das Erstaunen, das ihn beim Anfang ihrer Rede befiel, verwandelte sich beim Ende derselben in einen Unwillen, den er kaum zurückhalten konnte. Jedoch that er sich die äußerste Gewalt an, und nach einer ziemlich langen Pause sagte er endlich mit einer Miene, worin mehr Befremdung als Verdrießlichkeit herrschen sollte: Ich gestehe Ihnen, Frau Tante, daß ich nicht begreife, was Sie mit Allem diesem haben wollen. Ich bin kaum achtzehn Jahre alt; meine Geburt und die Erziehung, die Sie mir gegeben haben, bestimmen mich in Kurzem, diese müßige Landlebensart zu verlassen und auf dem Wege ritterlicher Abenteuer ein anständiges Glück zu suchen, Sie selbst haben mir diese Denkungsart eingeflöst; und nun wollen Sie mich plötzlich mit einem kleinen Bürgermädchen verheirathen, dessen Mißgestalt und persönliche Mängel fähig wären, auch den geldgierigsten Harpax abzuschrecken, und mit welchem ich lebenslänglich verurtheilt seyn würde, mich in dieses elende Dorf zu verbannen, um mein Unglück und meine Schande vor der ganzen Welt zu verbergen.Ihr vergesst, erwiederte Donna Mencia, die Ehrerbietung, die Ihr mir schuldig seyd, und ich gestehe Euch, daß ich mehr Gehorsam —Gehorsam? fiel ihr Don Sylvio hitzig ein; wenn Sie mich an ein Ungeheuer anfesseln wollen, dessen bloßen Anblick zu vermeiden ich bereit wäre in den offenen Rachen eines Löwen zu springen?Man weiß sehr wohl, erwiederte Donna Mencia mit einem höhnischen Nasenrümpfen, daß Ihr Euch außerordentlich viel mit Eurer Schönheit wißt; aber wir wollen uns in keinen Streit hierüber einlassen. Donna Mergelina verdient die Verachtung gar nicht, die Ihr für sie habt; sie ist eine liebenswürdige Person; und wenn sie es auch weniger wäre so ist eine Partie von hundert tausend Thalern wahrhaftig keine Sache, die ein kleiner Edelmann, der jährlich kaum hundert Pistolen werth ist, so trotzig ausschlagen kann.Es ist noch nicht so lange, gnädige Frau, antwortete Don Sylvio gelassener, daß Sie den Werth eines Edelmanns nicht nach seinen Einkünften abwogen: und wenn hundert tausend Thaler meine Augen nicht genug bezaubern können, um diese Person, die Sie Donna Mergelina nennen, liebenswürdig zu finden; so ist es (außer dem Himmel, dem ich mein Herz zu danken habe) Niemand Anderes als Donna Mencia, die mich den Reichthum verachten gelehrt hat, sobald er mit Niederträchtigkeit erkauft werden muß.Und worin besteht denn, erwiederte sie, das Niederträchtige, wenn Ihr Donna Mergelina heirathet? Sind gleich ihre Voreltern durch Unglücksfälle genöthigt worden, eine Abstammung zu verbergen, die vielleicht so edel ist, als eine im Königreich (ich weiß, was ich rede, Don Sylvio!), so hat doch das Glück, das ihnen seitdem desto günstiger gewesen ist, sie in den Stand gesetzt, ihre eigene Familie wieder empor zu heben und der unsrigen einen Glanz wieder zu geben, den eine schimpfliche Dürftigkeit auszulöschen bereit war.Unverschuldete Dürftigkeit ist nie schimpflich, versetzte Don Sylvio, indem sich seine Wangen mit einer edeln Röthe überzogen: überlassen Sie es mir, gnädige Frau, für den Glanz meines Namens zu sorgen; ich spüre Muth genug in mir, dem Unglück Trotz zu bieten, welches ihn zur Dunkelheit zu verurtheilen scheint. Donna Mergelina mag edel seyn, wenn Sie wollen; aber ich versichere Sie, wenn sie auch von dem großen Cid selbst abstammete und mir alle Goldgruben von Peru zur Mitgift brächte, so werde ich sie nicht heirathen.Du wirst sie nicht heirathen? rief Donna Mencia mit einem Tone, der sich für einen Untergebenen von zwölf Jahren besser geschickt hätte. Ich sage dir aber, daß du sie heirathen sollst, oder du sollst sehen, ob Donna Mencia das Ansehen zu behaupten weiß, das ihr die Natur und deines Vaters Willen über dich gegeben haben: du sollst sie heirathen, sag' ich, oder —Keine vergebliche Drohungen, unterbrach sie Don Sylvio mit einer Miene und einem Anstande, der sie ein wenig bestürzt machte; ich kenne den Umfang meiner Pflichten gegen Sie und die Gränzen Ihrer Rechte über mich. Heirathen Sie immer den Herrn Rodrigo Sanchez; ich werde mir nie einfallen lassen, es übel zu finden: aber erlauben Sie mir, in den Jahren, worin ich bin, eine Verbindung abzulehnen, die sich in keiner Betrachtung für mich schickt.Bei diesen Worten gerieth die alte Dame in Flammen. Ich verstehe dich, rief sie und klappte etliche Zähne zusammen, die noch, wie alte Denkmäler, hier und da aus ihrem weiten Mund hervorragten, ich sehe die ganze Bosheit des geheimen Vorwurfs, den Ihr wir machen wollt; aber ich verachte Euch und Alles, was Ihr sagen könnt. Wie? ein Knabe von Eurem Alter sollte besser wissen als ich, was sich schickt oder nicht schickt? —Doch, es ist unnöthig, daß ich mich ereifere. Wenn du noch zu unreif bist, den Werth meiner Fürsorge für dich zu schätzen, so werde ich doch nicht zugeben, daß deine Unbesonnenheit dich eines Glücks verlustig mache, welches Alles übertrifft, was du jemals erwarten konntest. Du machst den Versuch zu früh, ein Joch abzuschütteln, das ich leichter oder schwerer machen kann, jenachdem ich es nöthig finde; denn kurz und gut, mein Herr Neffe, Ihr steht unter mir, und ich werde mir Gehorsam zu verschaffen wissen.Ihre Ausführung, erwiederte Don Sylvio ganz ergrimmt, beweist, daß graue Haare nicht allezeit sichere Bürgen der Weisheit sind. Wissen Sie aber hiermit, daß ich weder alt noch jung genug bin, mich zum Opfer Ihrer lächerlichen Leidenschaft machen zu wollen. Ich entlasse Sie aller Pflicht, für mein Glück zu sorgen, und wenn ich Ihre mißgeschaffene Mergelina und die hundert tausend Thaler, womit sie meine Liebe bestechen will, verschmähe, so glauben Sie nur, daß ich meine Ursache habe (ich weiß auch, was ich rede, Donna Mencia!), und daß ich, unter dem Schutze, worin ich stehe, alle Drohungen verachten kann, womit Sie mich wie einen kleinen Züchtling zu schrecken denken.Mit diesen Worten eilte er aus dem Zimmer fort und begab sich in den Garten, wo er, vor Unwillen außer sich, hin und wieder lief und mit Ungeduld auf seinen getreuen Pedrillo wartete.
—————

Viertes Capitel

Muthmaßungen des Don Sylvio. Er verabredet seine Entweichung mit dem Pedrillo.

Pedrillo, der (wie alle schwatzhafte Leute) ebenso vorwitzig als plauderhaft war, hatte an einer kleinen Seitenthüre des Zimmers die ganze Unterredung angehört, die sein Herr mit Donna Mencia gepflogen hatte.Wie er nun sah, daß Don Sylvio im größten Zorn in den Garten lief, so schlich er ihm nach und traf ihn in einem Gange von Kastanienbäumen an, wo er, die Hände auf den Rücken gefaltet, mit großen Schritten hin und wieder ging und ziemlich laut mit sich selber redete. Er sah so wild aus, daß Pedrillo sich nicht getraute ihm näher zu kommen. Allein, sobald Don Sylvio seiner gewahr wurde, rief er ihm und sagte: ich sehe wohl, daß du dich vor meinen Vorwürfen fürchtest; denn, wenn deine unzeitigen Sorgen nicht gewesen wären, so wären wir jetzt schon weit von diesem verwünschten Haus entfernt, woraus wir nun, wie ich besorge, ohne den Beistand der mächtigen Radiante schwerlich entkommen werden. Aber besorge nichts, mein Freund; ich weiß, daß du keine böse Absicht hattest, und ich bin nicht so unbillig, daß ich dir Begegnisse zur Last legen sollte, an denen allein mein widriges Schicksal und die Bosheit der Zauberer, meiner Feinde, Schuld ist.Mit diesen Worten nahm er ihn bei der Hand, führte ihn in eine Laube, und nachdem er ihm befohlen hatte, sich auf allen Seiten umzusehen, ob sie auch allein wären, sagte er mit leiser Stimme zu ihm: Höre, Pedrillo, ich will dir meine innersten Gedanken entdecken. Ich bin vollkommen überzeugt, daß diese alte hagre Frau, die du mit den zwei Ungeheuern aus der Kutsche steigen sahst, nicht meine Tante Donna Mencia ist, ob ich gleich selbst beim ersten Anblick betrogen wurde, sie dafür zu halten. Ganz gewiß ist es die boshafte Fanferluche, die ihre Gestalt angenommen hat, um desto gewisser die Anschläge zu zerstören, welche die wohlthätige Radiante zu meinem Glück gemacht hat. Ich habe Merkmale, Pedrillo, die mir keinen Zweifel übrig lassen. Denn, so gut auch diese anmaßliche Donna Mencia sich zu verstellen wußte, so bemerkte ich doch in der Unterredung, die ich mit ihr hatte, etliche Mal etwas Grässliches in ihren Augen, das meine Tante niemals gehabt hat. Kurz, ich kann mich jetzt nicht umständlich heraus lassen, aber ich habe über diesen Punkt nicht den mindesten Zweifel. Fanferluche wird die Verwandlung des grünen Zwergs erfahren haben, und, um zu verhindern, daß ich mit Hülfe der mächtigen Radiante nicht dazu gelange, den blauen Sommervogel zu entzaubern, ist sie in Gestalt der Donna Mencia hierhergekommen, um mich zu einer Heirath zu nöthigen, die ich verabscheuen würde, wenn gleich diejenige, die sie mir zur Braut aufdringen will, eben so schön wäre, als sie abscheulich ist.Glauben Sie das, gnädiger Herr? antwortete Pedrillo, der ihm mit großer Aufmerksamkeit zugehört hatte. Wenn ich die Wahrheit gestehen soll, so dächte ich fast selbst, daß Sie's errathen haben könnten; denn ich merkte gleich, wie ich sie aussteigen sah, daß es nicht mit rechten Dingen zuging; und seitdem Sie mir Ihre Gedanken von der Sache gesagt haben, wollte ich fast wetten, daß Donna Schmergelina, oder wie sie heißt, des grünen Zwergs leibliche Schwester wäre, wenn sie nicht, Gott behüt' uns! noch was Aergers ist; denn ich will nicht ehrlich seyn, wenn ich in meinem Leben einen so häßlichen Wechselbalg gesehen habe. Jetzt reut es mich, daß ich ihr nicht gleich auf die Füße sah; aber das hab' ich doch gesehen, daß sie ganz grün im Gesicht und am Leibe war, und daß sie einen Buckel und ein Paar entsetzlich lange Ohren hat.Mit allen diesen Schönheiten, versetzte Don Sylvio, verlangt sie nichts Geringers, als daß ich sie heirathen soll.Ei warum nicht gar! rief Pedrillo, heirathen? Ein solches Mondkalb heirathen? Euer Gnaden müßte ja gar den Verstand verloren haben! Zum Henker! was bildet sich das Affengesicht ein? Das wäre wohl ewig Schade, wenn ein so hübscher junger Herr einer solchen Meerkuh in den Bratzen liegen sollte! Beim Element, da wird nichts draus, Jungfer Schmergelina! Laß dir nach Hause geigen, oder, wenn du ja geheirathet seynst willst, so laß dich den Zwerg Migonnet heirathen, der schickt sich besser für dich, hi, hi, hi, das würde mir ein Paar seyn, das zusammen taugte! Sapperment, wenn er ein Duzend Finken und Distelvögel auf der Nase sitzen hätte, wie die Historie sagt, so setzte sie ein halb Duzend Meerschweinchen auf ihren breiten Busen! Das würde gut lassen! Daß dich die Pest! Ia wohl! Man heirathet nur gleich solche Pfefferkuchengesichter! Ich habe zwar gehört, daß sie steinreich seyn soll; aber, wenn sie sich auch von Fuß auf übergülden ließe, so möcht' ich sie nicht, ob ich gleich nur ein armer Bursche bin. Weniger Geld, Jungfer Fanferlüschin, und mehr Schönheit, oder sucht Eure Heirather anderswo, wenn Ihr so gut seyn wollt!Don Sylvio mußte über den Eifer, womit Pedrillo alles das närrische Zeug vorbrachte, lachen, so wenig er auch Lust dazu hatte; da er's aber gar zu lange machte, so fiel er ihm endlich in die Rede und sagte: Mein lieber Pedrillo, die Sache ist ernsthafter, als du dir vielleicht einbildest; Fanferluche ist eine von den schlimmsten und rachgierigsten Feen, die jemals gewesen sind, und ihre Macht ist nicht gering. Wenn sie es ist, die diesen Abend in Gestalt meiner Tante hierher gekommen ist, mir diese ungeheure Mergelina aufzubringen —Sapperment! (unterbrach ihn Pedrillo, den diese Worte plötzlich auf einen andern Ton stimmten) wenn die gnädige Frau, Ihre Tante, nicht Ihre Tante, sondern die verfluchte Fanferlüsche ist, so helf' uns der Himmel! Denn wie wollen Sie, daß wir uns gegen Zauberer und Gespenster helfen sollen?Höre, Freund Pedrillo, sagte Don Sylvio, es ist kein ander Mittel übrig, als daß wir uns in dieser Nacht noch aus dem Hause machen.Diese Nacht noch? rief Pedrillo ganz erschrocken aus: o gnädiger Herr, bedenken Sie doch, was Sie sagen! Die Nacht ist ohnehin Niemands Freund, aber in solchen Umständen, sehen Sie, wollt' ich keinen Fuß aus dem Hause setzen, und wenn Sie wir auch so viel Quadrupel geben wollten, als ich Haare auf dem Kopfe habe. Ich will des Todes seyn, wenn wir nicht bei jedem Tritt auf ein paar tausend Gespenster, Drachen und Stachelschweine stoßen, die uns allenthalben den Paß verrennen. Ich bitte Sie, Herr Don Sylvio —Schweige mit deinen abgeschmackten Possen, sagte Don Sylvio: hab' ich nicht das Bildniß der Prinzessin, deren Anblick gewiß allein schon hinlänglich ist, alle Ungeheuer von Africa in Ehrfurcht zu halten? Und auf allen Fall hat uns ja die Fee Radiante ihren Schutz versprochen. Wir werden dem Ansehen nach eine schöne heitre Nacht haben, und wenn auch der Mond nicht schiene, so zweifle ich nicht, daß sie uns im Nothfall einen von ihren Salamandern schicken wird, um unsern Weg zu beleuchten und uns gegen alle Verfolgungen der Fanferluche sicher zu stellen. Mit einem Worte, Pedrillo, mein Freund, wenn du mich liebst, so sey mir zu meinem Vorhaben behülflich; denn, wenn wir diese Gelegenheit zur Flucht versäumen, so weiß der Himmel, ob wir sie jemals wieder finden werden. Sey versichert, daß ich nicht undankbar seyn werde. Ich verspreche nicht gern mehr, als ich halten kann; aber, wenn ich dereinst meine Prinzessin gefunden habe, so darfst du darauf zahlen, daß dein Glück gemacht seyn soll. Willst du mich aber nicht begleiten, so sey versichert, daß ich lieber allein gehen, ja lieber tausendmal den Tod leiden, als noch eine Nacht in diesem verwünschten Schlosse bleiben will.Pedrillo war ungeachtet seiner Furchtsamkeit der gutherzigste Narr von der Welt. Die Thränen kamen ihm in die Augen, da er seinen Herrn so reden hörte, und er entschloß sich endlich, allen Gespenstern, Fanferlüschen und Schmergelinen zu Trotz mit ihm davon zu gehen, in welcher Stunde der Nacht es ihm belieben werde.
—————

Fünftes Capitel

Ein Spaziergang. Klugheit des Don Sylvio.

Sie hatten ihre Abrede kaum genommen, als sich in einiger Entfernung die schmetternde Stimme der Donna Mencia hören ließ, welche ihre Gäste, um frische Luft zu schöpfen, in den Garten führte, der zwar aus Mangel der Unterhaltung wild genug aussah, aber seiner Anlage und Einrichtung nach überaus anmutig war. Pedrillo hatte kaum so viel Zeit, sich hinter etlichen Hecken in einen andern Gang zu schleichen, wo er unbemerkt aus dem Garten kommen konnte; Don Sylvio aber blieb auf seiner Bank sitzen, bis ihm die kleine Gesellschaft näher kam.Da es ihm, ungeachtet seiner Thorheiten, nicht an Vernunft fehlte, so begriff er bei der ersten Ueberlegung, daß er, um die vorhabende Entweichung besser zu verbergen, ein Betragen annehmen müsse, welches, ohne mit der Erklärung, die er seiner anmaßlichen Tante gegeben, einen allzu starken Absatz zu machen, doch Hoffnung fassen ließe, daß er nach und nach vielleicht gewonnen werden könnte.Er ging also der Gesellschaft mit langsamen Schritten und einem Gesicht entgegen, welches weder ganz bewölkt, noch ganz heiter war; er mischte sich mit einer guten Art in ihre Gespräche und verbarg, so gut er konnte, das innerliche Grauen, das ihm die Schwester des grünen Zwergs in desto höherm Grad verursachte, je mehr sie sich Mühe gab, ihm zu gefallen und ihn merken zu lassen, wie sehr er nach ihrem Geschmacke sey.Zu gutem Glück ersetzte die Eitelkeit der schönen Mergelina Alles, was eine Person von feiner Empfindung an seinem Betragen vermißt hätte, so reichlich, daß sie vollkommen mit ihm zufrieden schien, obgleich Alles, wozu er sich zwingen konnte, in den Gränzen der gleichgültigen Höflichkeit blieb, die man einem Gast und dem Geschlechte, wozu sie zu gehören schien, schuldig ist.Was seine Tante betrifft, so konnte wohl nichts überflüssiger seyn, als die Sorge, die er sich machte, daß sie sein Vorhaben argwöhnen möchte. Sie wußte, daß er weder Geld noch die mindeste Bekanntschaft in der ganzen Gegend hatte, und es fiel ihr also gar nicht als etwas Mögliches ein, daß er mit einer Flucht umgehen könnte, wozu ihm alle Mittel fehlten. Es ist wahr, der Ton, womit er sich unterstanden hatte sich ihr entgegen zu setzen, und besonders die letzten Worte, die ihm im Unwillen entgangen waren, hatten sie stutzen gemacht, und sie hatte sich vorgenommen, sich im Hause zu erkundigen, ob vielleicht in ihrer Abwesenheit etwas vorgegangen sey, das ihn zu einer so ungewöhnlichen Sprache veranlaßt haben könnte. Allein die Nothwendigkeit, ihrem geliebten Don Sylvio (denn zu Rosalva war Herr Rodrigo Sanchez so gut Don, als ein Gusman) Gesellschaft zu leisten, hatte ihr noch keine Zeit dazu gelassen, und da sie ihren Neffen jetzt so höflich gegen Donna Mergelina sah, so hoffte sie, er werde sich indeß eines Bessern besonnen haben, und hielt es für unnöthig, sich weiter um Ausdrücke zu bekümmern, die gar wohl bloße Eingebungen einer unbesonnenen Jugendhitze gewesen seyn könnten.
—————

Sechstes Capitel

Don Sylvio wird in die Gärten der Fee Radiante entzückt. Seltsame Verwechselung, welche darauf entsteht. Unangenehme Folgen derselben.

Unsre kleine Gesellschaft oder doch wenigstens die Damen, welche die Seele davon ausmachten, fanden den Spaziergang so angenehm, daß sie sich von der Nacht überschleichen ließen, ohne es gewahr zu werden.In der That war es eine Nacht, welche dazu gemacht schien, die Liebe zu begünstigen; eine so angenehme und heitre Nacht, daß die keusche Luna keine schönere gewählt haben konnte, den schönen Endymion einzuschläfern, oder die Göttin der Liebe, ihren Adonis glücklich zu machen.Die tugendhafte und zärtliche Mencia hatte von der Weisheit ihres Liebhabers eine so große Meinung gefaßt, daß sie unvermerkt in einer dicht bewachsenen Laube mit ihm zurück blieb, ungeachtet es ziemlich dunkel darin war; und die nicht weniger zärtliche Mergelina drückte ihrem Begleiter die Hand mit einem Nachdrucke, der geschickter war, die Stärke ihrer Leidenschaft als die Leichtigkeit ihrer Hand zu beweisen, in der Absicht, ihn aus einer Träumerei zu erwecken, worin er sich seit einer geraumen Weile verloren hatte.Noch ungleich lebhafter, als die übrige Gesellschaft, von den Schönheiten der schlummernden Natur gerührt, die im dämmernden Mondschein, wie in einem Nachtgewand von durchsichtigem Flor, in nachlässiger Anmuth ausgestreckt zu liegen schien, hatte der entzückte Don Sylvio vergessen, wo er war, und wen er neben sich hatte. Er bildete sich ein, in die bezauberten Gärten der Fee Radiante versetzt zu seyn; er glaubte unter gewölbten Gängen von ätherischem Jasmin und niemals welkenden Rosen zu wandeln; die Sterne däuchten ihn lauter Salamander und Salamandrinnen, die sich auf dem Azur des Himmels mit Tanzen belustigten; und die Frösche, die sich in einem benachbarten Graben hören ließen, waren in seinen Ohren eben so viel entzückende Stimmen, die den Ruhm seiner unvergleichlichen Prinzessin und das Glück seiner Liebe besangen. Kurz, er war so sehr außer sich selbst, daß er in dem Augenblicke, da ihn die schöne Mergelina die Schwere ihrer Hand fühlen ließ. sich einbildete, seine geliebte Prinzessin an seiner Seite zu sehen."Wie? rief er ganz entzückt aus, darf ich meinen Augen glauben? Götter! ist es ein Traum, womit mein sehnsuchtsvolles Herz mich täuscht, oder seh' ich Sie wirklich, schönste Prinzessin, und hat endlich die Stärke meiner Leidenschaft die Macht einer verhaßten Zauberei überwältigt und Ihnen die himmlische Gestalt wieder gegeben, deren blendender Glanz die abwesende Sonne ersetzt und einen neuen reizendern Tag über die verschönerte Natur ausbreitet?"In diesem Tone der erhabensten Schwärmerei fuhr er eine gute Weile fort, der erstaunten Mergelina Dinge vorzusagen, von denen sie nicht das Mindeste verstand, ohne darum weniger Gefallen daran zu finden. Sie merkte doch wenigstens aus dem Ton und der Lebhaftigkeit, womit er sie sagte, daß die Rede von sehr feurigen Empfindungen war: und da sie die Sprache der feinen Welt nur aus Ritterbüchern und schwülstigen Romanen kannte und überdieß von der Erziehung des Don Sylvio bereits die günstigsten Vorurtheile bekommen hatte, so beredete sie sich leicht, daß dieses die feine Art sey, wie Leute von Stand und Lebensart ihre Liebe zu erklären pflegten. Denn der Gedanke, daß er ihrer vielleicht nur spotten wolle (so wahrscheinlich er auch einer dritten Person geschienen hätte), war natürlicher Weise der letzte von allen, der einem Frauenzimmer von ihrer Gattung einfallen konnte. Sie hörte ihm also ohne Unterbrechung mit desto mehr Vergnügen zu, da sie hoffte, daß die schönen Sachen, die er ihr vorsagte, und die sie ihm in der That gern erlassen hätte, am Ende doch zu Erläuterungen führen würden, wovon sie aus dem geheimen Umgange mit einem jungen Krämer in ihrer Nachbarschaft, einem sehr antiplatonischen Gesellen, gewisse Begriffe erhalten hatte, und welche allerdings mit der Fassung, worin sie sich befand, besser übereinstimmten, als die erhabensten Liebeserklärungen. Um inzwischen doch nicht ganz unthätig zu seyn und diese erwünschten Augenblicke, so viel an ihr war, zu beschleunigen lehnte sie sich mit einer zärtlichen Art an ihn, drückte seine Hand an ihren emporsteigenden Busen und drehte ihre gläsernen Augäpfel so schnell im Kopf herum, daß sie elektrisch wurden und wie die Augen einer Katze im Dunkeln zu leuchten anfingen.Allein es sey nun, daß die Einbildungskraft unsers Helden durch die ungeheure Menge von Galimathias, womit er seine vermeinte Prinzessin bewillkommt hatte, erschöpft war, oder daß keine Verblendung, Schwärmerei oder Bezaubrung stark genug seyn konnte, gegen das nähere Anschauen der Donna Mergelina auszuhalten: so warf er kaum, indem sie aus dem Gebüsche hervor kamen und eine lichte Stelle betraten, einen Blick auf seine Gefährtin, als er mir einem großen Schrei und einem nicht geringern Entsetzen von ihr zurückbebte, als dasjenige war, womit die Prinzessin Laidronette, anstatt eines Gemahls, den sie sich schöner als den Liebesgott eingebildet hatte, den scheußlichen grünen Serpentin in ihre Arme verwickelt fand.Himmel, was seh' ich! rief er ganz bestürzt aus; was für eine entsetzliche Verwandlung! Ha! verfluchte Fanferluche, haben die Verfolgungen, die ich bereits von dir erleiden mußte, deinen ungerechten Haß noch nicht befriedigen können? Was hab' ich dir gethan, daß du in dem Augenblicke, da ich meine geliebte Prinzessin zu umarmen glaube, diese abscheuliche Zwergin an ihre Stelle schiebst, in deren ekelhafter Umhalsung ich, ohne das wohlthätige Licht der keuschen Göttin, vielleicht selber zum Ungeheuer geworden oder wie vom Anblick der Medusa zum Stein erstarrt wäre? Aber glaube nicht, daß ich eine solche Beleidigung ungerochen lassen werde! Rede, du kleine unausgeschaffene Mißgeburt, wo ist meine Prinzessin? Dein Leben hängt an deiner Antwort. Ich kenne die lächerlichen Ansprüche, die du an mein Herz machst; aber wisse, daß du trotz aller Fanferluchen und grünen Zwergen, unter meinen Füßen wie ein Wurm zermalmet werden sollst, wofern du sie nicht in diesem Augenblick wieder in meine Arme lieferst!Wer bei diesen Reden aus den Wolken fiel, war die arme Mergelina. Der grimmige Ton, womit er sie ausstieß, und die drohenden Geberden, womit sie begleitet waren, erschreckten sie so heftig, daß sie ein fürchterliches Geschrei erhob, auf welches Donna Mencia und der edle Rodrigo nicht ermangelten, so schleunig herbei zu eilen, als es die Unterredung erlaubte, worin sie begriffen waren.Man kann leicht erachten, wie sehr sie über dasjenige erstaunten, was sie sahen und hörten. Der Zustand, worin sie den ergrimmten Don Sylvio antrafen, und die Erzählung, die ihnen die beleidigte Schöne nicht ohne große Thränengüsse von Allem demjenigen machte, was vorgegangen war, brachten sie allerseits auf den Schluß, daß er verrückt seyn müsse; und die Reden, womit er in der Hitze seines Affects gegen sie alle fortfuhr, waren nichts weniger als geschickt; sie auf bessere Gedanken zu bringen.Inzwischen liefen auf den Lärm, den diese Scene machte, auch die Bedienten des Hauses herbei; und das Ende davon war, daß Don Sylvio, ungeachtet seines tapfern Widerstandes, an Händen und Füßen gebunden in sein Zimmer getragen wurde.Man kleidete ihn aus, brachte ihn zu Bette und bestellte den getreuen Pedrillo, auf ihn Acht zu haben, indessen Donna Mencia in ihrer kleinen Hausapotheke beschäftigt war, ein niederschlagendes Pulver für ihn zurechte zu machen, und die schnellfüßige Maritorne abgeschickt wurde, den Barbier zu holen, der ihm eine Ader öffnen sollte.
—————

Siebentes Capitel

Don Sylvio kommt wieder zu sich selbst. Unterredung mit Pedrillo. Wie geschickt dieser die vermeinte Fanferluche zu hintergehen weiß.

So heftig die Anstösse waren, mit denen Don Sylvio zuweilen befallen wurde, so schnell pflegten sie vorüber zu gehen, wenn sie ihren nächsten Grund in demjenigen Theile der Seele hatten, welchem der göttliche Plato seinen Sitz zwischen der Brust und dem Zwerchfell angewiesen hat.Er befand sich kaum etliche Minuten alleine so erholte er sich wieder und verwunderte sich nicht wenig, sich auf seinem Zimmer und in seinem Bette zu sehen.Endlich erblickte er in einem Winkel den Pedrillo, der auf die erste Bewegung, die er an seinem Herrn bemerkte, sich verkrochen hatte, aus Besorgniß, er möchte wieder einen Anstoß von Raserei bekommen.Bist du hier, mein guter Pedrillo? rief ihm Don Sylvio mit einem sanften Ton der Stimme zu, indem er ihm die Hand entgegen bot: ich dachte schon, du hättest mich auch verlassen; aber du hast ein gutes Herz, und es soll dich nicht gereuen, daß du so viel Ergebenheit gegen mich zeigst.Pedrillo weinte vor Freuden, da er seinen jungen Herrn, den er für rasend gehalten hatte, so gelassen und vernünftig reden hörte, und bezeugte ihm seine Freude in den lebhaftesten Ausdrücken, die er in der Eile finden konnte.Ich begreife weder was du mir da sagst, antwortete Don Sylvio, noch was mit mir vorgegangen ist. Es sind noch nicht sechs Minuten, so befand ich mich in den Gärten der Königin der Salamander. Kannst du mir nicht sagen, wie ich hierher gekommen bin, und wer mir Hände und Füße so gebunden hat?Gott steh' uns bei! rief Pedrillo halb erschrocken. Was sagen Sie da von Salamandern und von der Königin, die Sie gewiß so wenig gesehen haben, als ich meine Ureltermutter? Wissen Sie denn nicht, was Ihnen begegnet ist? Aber sie sind auch mit Euer Gnaden so umgegangen, daß es kein Wunder ist, wenn Sie eine Ohnmacht gekriegt haben. Ich war eben im Begriff, meinen Zwerchsack heimlich aus dem Hause zu tragen, als ich den Lärm im Garten hörte; ich warf ihn geschwind hinter ein Gebüsch und lief, was ich laufen konnte, um zu sehen was es wäre; denn es däuchte mich, daß ich Euer Gnaden schreien hörte; aber ich kam schon zu spät. Das verfluchte Volk schrie aus einem Halse, Sie wären, mit Erlaubniß zu sagen, im Kopfe verrückt oder gar toll sie fielen über Euer Gnaden her und banden Sie, ohne daß ich es verwehren konnte, Daß sie die Pest! Jetzt seh' ich wohl, daß Alles nur erlogen war, und daß Euer Gnaden so gut bei Ihren vier Sinnen sind, als ich und ein anderer guter Christ.Höre, Pedrillo, erwiederte Don Sylvio — aber löse mir zuerst diese Bande auf, ich kann es nicht länger so ausstehen — wenn ich diesen Abend eine starke Vermuthung hatte, daß unter der Ankunft dieser Alten, die sich für meine Tante ausgibt, ein Geheimniß verborgen liege, so weiß ich jetzt gewiß, was ich von der Sache denken soll. Es sind mir erstaunliche Dinge begegnet, seitdem du mich im Garten verlassen hast; aber es läßt sich jetzt nicht einmal davon flüstern. Wir sind hier nicht sicher, und der Himmel weiß, was uns noch bevorsteht, wenn wir uns nicht durch eine schleunige Flucht zu retten suchen.Aber wie wird das möglich seyn? antwortete Pedrillo: sie sind noch Alle auf, und die gnädige Frau — die alte Hexe wollt' ich sagen — wird alle Augenblicke kommen, um Ihnen, wie sie sagte, ein Terpentinpulver einzugeben.Du willst vielleicht ein Temperirpulver sagen?Es mag heißen wie es will, fuhr Pedrillo fort, wenn ich Euer Gnaden rathen darf, so werden Sie kein Narr seyn und es hinunter schlucken. Bösen Leuten ist nie viel Gutes zuzutrauen; sie könnte Ihnen eben so gut Rattenpulver oder geschabte Nägel als gepülverte Krebsaugen eingeben.Das hab' ich wohl am wenigsten zu besorgen, erwiederte Don Sylvio; ich könnte eher vermuthen, daß sie mir einen Liebestrank beibringen möchte, um mich gegen diese häßliche Zwergin zu entzünden, die, ich weiß selbst nicht, ob ihre Tochter oder Nichte ist. Aber ich bitte dich, Pedrillo mein Freund, denke ein Mittel aus, wie ich diese Nacht noch entrinnen kann, ohne weder die Alte noch die Junge wieder zu Gesichte zu kriegen; denn ich versichere dich, der Streich, den sie mir gespielt haben, geht mir so tief zu Gemüthe, daß ich bei ihrem Anblick unmöglich gelassen bleiben könnte.Wissen Sie was? sagte Pedrillo, nachdem er sich eine Weile besonnen hatte: die Frau Fee Rademante könnte uns hier am besten aus der Noth helfen. Wenn sie so sehr Jhre gute Freundin ist, als sie vorgibt, warum kommt sie nicht und befreit uns aus den Klauen dieser alten Kupplerin? Wenigstens könnte sie uns doch einen Luftwagen oder das Hütchen des Prinzen Kobold oder so was schicken, daß wir desto eher davon kämen. Aber so machen es diese großen Herren und Damen! Solang' ihr nichts verlangt, versprechen sie euch goldne Berge; aber verlasse sich einer drauf! wenn man sie am nöthigsten hat, da ist Niemand zu Hause. Ich wette gleich was man will, wenn wir in Skorpione oder Lindwürmer verwandelt seyn werden, so wird sie gleich da seyn und ihr Mitleiden mit uns bezeigen und die Schuld auf das Schicksal oder auf die Constipation der Sterne schieben.Rede nicht so unvernünftig, fiel ihm Don Sylvio ein: meinst du, die Feen haben sonst nichts zu thun, als da zu stehen und zu lauern, bis es dir einfällt, daß sie uns aufwarten sollen? Wenn wir uns selbst nicht mehr helfen können, so bin ich gewiß, Radiante wird mir ihren Beistand nicht versagen. Inzwischen müssen wir das Unsrige thun und auf Mittel denken —Gut, gut, unterbrach ihn Pedrillo; ich höre die alte Gabelreiterin auf der Treppe; jetzt ist guter Rath theuer! — Hum! mir fällt was ein, legen Sie sich auf die Seite und stellen sich, als ob Sie schliefen. — So! — schnarchen Sie ein wenig; für das Uebrige lassen Sie mich sorgen.Er hatte kaum das letzte Wort gesagt, so trat Donna Mencia mit ihrem Pulver und einem Glas Wasser in der Hand ins Zimmer. Wie steht es um Don Sylvio? fragte sie den Pedrillo, der ihr auf den Zehen entgegen ging; ich dachte nicht so lange auszubleiben, aber es ist mir —Reden Sie nicht so laut, flüsterte ihr Pedrillo zu: mein junger Herr ist schon eine gute Weile eingeschlafen und Sie wissen ja, daß man einen schlafenden Löwen nicht aufwecken soll. Die Ruhe thut ihm jetzt besser als alle Pulver und Latwergen der ganzen Welt,Hat er keinen neuen Anstoß gehabt, seitdem du allein bei ihm bist? fragte die alte Dame.Nein, gnädige Frau Fanferlüschin, antwortete Pedrillo, indem er ihr bald auf die Stirne, bald auf die Füße sah, er hatte —Was sagst du da? unterbrach ihn Donna Mencia. Wie nanntest du mich, du alberner Kerl? Was soll das bedeuten?O, ich bitte Euer Gnaden tausend Mal um Verzeihung, erwiederte Pedrillo zitternd: es ist mir so entfahren, ohne daß ich daran dachte; man kann ja leicht Eins für das Andre sagen. Ich wollte nur sagen, daß es am besten wäre wenn Euer Gnaden meinen jungen Herrn schlafen ließen. Denn es ist noch keine halbe Viertelstunde, da rief er: Pedrillo! — Gnädiger Herr, sagte ich, wollen Sie etwas? — Höre, Pedrillo, sagte er, ich weiß nicht, wie mir ist, sagte er, aber ich bin so matt, als ob wir alle Glieder entwei geschlagen wären; aber ich denke, wenn ich nur schlafen könnte, so würde mir bald besser werden, sagte er; und damit legte er sich auf die Seite und schlief ein. Hören Sie ihn nicht schnarchen?Er schläft, sagte Donna Mencia, nachdem sie ein wenig hinter den Vorhang geguckt hatte: es ist mir lieb, daß er wieder so ruhig ist. Weck' ihn ja nicht auf: wenn er aber von selbst erwacht, so gib ihm dieses Pulver ein; es wird ihm gewiß wohl bekommen. Indessen kommt der Barbier, der ihm eine Ader öffnen soll; denn man kann nicht vorsichtig genug seyn. Er ist vermuthlich nur aus Mattigkeit eingeschlafen, und das Fieber kommt vielleicht nur desto heftiger wieder, wenn er aufwacht.Ich glaube, sagte Pedrillo, Euer Gnaden kann sich deßhalb ganz ruhig schlafen legen; ich hoffe, das Aergste ist vorbei, Indessen will ich schon auf ihn Acht haben; aber aufwecken lass' ich ihn nicht, und wenn der Barbier von Bagdad in eigener Person käme. Er kann mir wachen helfen; und wenn mein junger Herr allenfalls wieder rappelköpfisch werden wollte, so ist es immer besser, es seyen unser Zwei, die ihn hüten, als Einer.Donna Mencia bezeigte sich hiermit zufrieden und verließ das Zimmer ihres Neffen, um ihre Gäste, die an seinem Unfall nicht wenig Antheil genommen hatten, durch die Nachricht von seiner Besserung zu beruhigen.Was für eine Angst du mir eingejagt hast! sagte Don Sylvio, als sie wieder allein waren: wann wirst du doch einmal über deine verwünschte Zunge Meister werden? Konnte auch etwas unbesonnener und dummer seyn, als ihr ins Gesicht zu sagen, daß du sie für die Fee Fanferluche ansähest?Erzürnen Sie sich nur nicht, gnädiger Herr, antwortete Pedrillo: Sie werden doch selbst gestehen müssen, daß ich meinen Fehler augenblicklich wieder gut gemacht habe; und dieß ist eben die Kunst. Es kann der klügsten Gans ein Ei entfallen — ich will sagen, es verspricht sich wohl der Pfarrer auf der Kanzel — aber, wie ich die gnädige Frau oft bei Tische sagen hörte, der beste General sey derjenige, der am meisten Fehler macht — nicht doch! der am besten — der seine Fehler — ich kann jetzt nicht daran kommen, aber es war doch etwas von Fehlern, und es schickte sich recht gut hierher —Ich glaube du redst im Schlaf, unterbrach ihn Don Sylvio: was für verworrenes Zeug plaudert du wieder daher, ohne dich zu bekümmern, daß ich jetzt wichtigere Dinge zu thun habe, als deinen Albernheiten zuzuhören? Geh und schleiche dich, indeß ich mich ankleide, leise hinunter, um zu sehen, ob sie sich schlafen legen; wir müssen, wo möglich, noch vorher zu entrinnen suchen, ehe der Barbier kommt, sonst werden wir aufgehalten, und dann ist Alles verloren.Das ist eben die Sache, versetzte Pedrillo: Maritorne ist schon über eine Stunde weg, und wenn sie ihn zu Hause angetroffen hat, so sind wir keinen Augenblick vor seiner Ankunft sicher.Wir wollen das Beste hoffen, sagte der junge Ritter, der schon beinahe angezogen war: geh und thue, was ich dir befohlen habe, und wenn du merkst, daß Alles im Hause still ist, so schleiche durch die kleine Nebentreppe in den Garten und erwarte mich beim grünen Schlosse, wo es am leichtesten ist über die Gartenmauer zu steigen; denn sie ist dort ziemlich eingefallen.Wo haben Sie denn, fragte Pedrillo, Ihren Schlüssel? — Aber ja, jetzt besinn' ich mich, sie nahmen im Garten alles Eisenwerk weg, das sie bei Euer Gnaden fanden, Degen, Messer, Schlüssel, sogar Ihren Flaschenzieher, aus Furcht, Euer Gnaden möchte ihnen oder sich selbst damit Schaden thun.Gut, gut, sagte Don Sylvio, geh und erwarte mich beim grünen Schlosse, wir haben keinen Augenblick zu verlieren.Pedrillo gehorchte, und nach einer kleinen Viertelstunde sah ihn Don Sylvio, dessen Zimmer gegen den Garten lag, einen langen Gang von Pomeranzenbäumen einschlagen, der zum grunen Schlosse führte. Er war eben im Begriff, ihm zu folgen, als er gewahr wurde, daß er keinen Degen hatte. Ohne Degen auf Abenteuer auszugehen, däuchte ihm eine Unanständigkeit, die nicht zu entschuldigen wäre. Ob ich gleich hoffen darf, dachte er, daß wir die Fee Radiante im Fall der Noth einen diamantenen geben würde, so würde es doch das Ansehen einer Zagheit haben, wenn ich kein andres Gewehr führen wollte, als ein bezaubertes. Endlich besann er sich eines alten Reitersäbels, der, unter andern Alterthümern, nicht weit von seinem Zimmer in einer Plunderkammer lag und das Ansehen hatte, seit den Zeiten König Ferdinands des Katholischen wenig Dienste gethan zu haben. Die Schwere dieses ehrwürdigen Seitengewehrs machte ihm die Nothwendigkeit, sich dessen zu bedienen, sehr unangenehm; allein, da er sich nicht anders zu helfen wußte, so bewaffnete er sich damit, mit dem Vorsatz, es bei der ersten Gelegenheit gegen ein bequemeres zu vertauschen.Die allgemeine Stille, die im Hause herrschte, versicherte ihn, daß Jedermann schon zu Bette gegangen sey. Er schlich sich also ganz getrost in den Garten, wo dem Pedrillo jeder Augenblick von Verzug eine Stunde däuchte; so sehr besorgte er, daß ihre Flucht von der zurückkommenden Maritorne allzufrüh entdeckt werden möchte. Dieser Umstand, und die Furcht vor demjenigen, was er in solchem Falle von der Rache der Fee Fanferluche zu erwarten haben würde, hatte alle andre Furcht bei ihm verdrängt.Allein das gute Glück unsers jungen Ritters sorgte auch für diese Schwierigkeit. Maritorne, die sich entweder vor Gespenstern fürchtete oder ihre Person bei Nacht nicht allein wagen wollte, hatte ihrem Liebhaber, dem Hausknecht, die Erlaubniß gegeben, sie zu begleiten. Unterwegs hatte sich dieß zärtliche Paar von den Annehmlichkeiten dieser verführerischen Nacht verleiten lassen, sich in einem kleinen Gebüsche niederzusetzen. Was sollen wir sagen? — Die Gelegenheit war günstig, der Liebhaber ungestüm, die Schöne schwach; kurz, die allzu gefällige Maritorne vergaß, daß sie den Barbier holen sollte; und als sie sich dessen wieder erinnerte, war der Anbruch des Tages schon so nahe, daß sie besser zu thun glaubte, ihn vollends zu erwarten, als den guten Barbier vielleicht aus einem angenehmen Morgentraum aufzuwecken.
—————

Drittes Buch.

Erstes Capitel

Heimliche Flucht unsrer Abenteurer. Wortstreit, der zwischen ihnen wegen eines Baumes entsteht, den Pedrillo für einen Riesen ansieht.

Es war ungefähr eine halbe Stunde nach Mitternacht, als Don Sylvio unter vielen andächtigen Seufzern an die Gebieterin seines Herzens in Gesellschaft des getreuen und wohl bepackten Pedrillo seine abenteuerliche Wanderschaft antrat. Der kleine Tintin, der nach dem Befehl der Fee mit von der Partie war, hüpfte munter vor ihnen her und führte sie, es sey nun aus bloßem Instinct oder durch den geheimen Antrieb irgend einer Fee, den nämlichen Weg, auf welchem Don Sylvio das Bildniß seiner Prinzessin gefunden hatte. Pedrillo machte zwar viele Einwendungen dagegen und stellte vor, daß sie längs des linken Ufers des Guadalaviar, der sich an dem Walde hinabzog, einen bequemern Weg haben würden. Allein Don Sylvio blieb dabei, daß er keinen andern Wegweiser haben wolle als Tintin, von welchem er zu vermuthen anfing, daß er vielleicht wohl selbst eine Art von Fee oder wenigstens von vernünftigen Thieren seyn könnte. Pedrillo mußte sich also ergeben, so sehr er sich fürchtete, bei nächtlicher Weile durch einen Wald zu reisen, wo seine Einbildung Alles, was er sah, in Gespenster verwandelte. Das Schlimmste war, daß sich, nachdem sie kaum eine Stunde lang gewandert waren, der Himmel mit Wolken zu bedenken anfing, welche ihnen kaum so viel Heiterkeit übrig ließen, daß sie einen Weg in dem Gehölze finden konnten, ob es gleich keines von den dichtesten war.Dieser Umstand ermangelte nicht, das schwache Gehirn des armen Pedrillo vollends in Verwirrung zu setzen. Es fielen ihm auf einmal alle Gespensterhistorien ein, die er von seiner Kindheit an gehört hatte; er glaubte alle Augenblicke etwas Verdächtiges zu sehen und zitterte bei dem mindesten Geräusche so laut, daß sein Herr endlich Mitleiden mit ihm zu haben anfing.Du schnatterst ja, als ob du das Fieber hättest, sagte endlich Don Sylvio, der schon lange gemerkt hatte, wo es ihm fehlte.Ums Himmels willen, gnädiger Herr, stotterte Pedrillo und faßte ihn dabei beim Rocke, sehen Sie nichts?Ich sehe Bäume, so gut als man sie im Dunkeln sehen kann, versetzte jener."Gott steh' uns bei! sehen Sie denn den gräulichen Riesen nicht, der dort auf einmal aus dem Boden hervorkommt, dort linker Hand? Er wird immer größer und größer und streckt, däucht mich, wohl hundert Arme gegen uns aus! Sehen Sie ihn? Er kommt immer näher!"Ich glaube, du bist nicht klug, Pedrillo; thu die Augen besser auf und schäme dich, daß du einen Baum für einen Riesen ansiehest."Gott gebe nur, daß es nicht noch etwas Aergeres als ein Riese ist! Ein Baum, sagen Sie? Wo hat denn ein Baum Arme und Füße?"Ich sage dir, alberner Tropf, daß es ein Baum ist; was du für Arme ansiehst, sind seine Aeste; er scheint immer größer zu werden, weil der Grund, worauf wir gehen, etwas erhaben ist, und er kommt uns immer näher, weil wir auf ihn zugehen. Wenn du so furchtsam bist, daß du Eichbäume für Riesen ansiehst, so möcht' ich wohl wissen, wofür du die wirklichen Riesen halten wirst, die uns vielleicht noch aufstoßen werden? Was mich betrifft, so schwör' ich dir, daß alle Bäume in diesem Walde zu Riesen werden könnten, ohne daß ich sie fürchten würde.Ich bitte Sie, lieber gnädiger Herr, versetzte Pedrillo, reden Sie nicht so laut! Die Haare stehen mir zu Berge, wenn ich Euer Gnaden so reden höre, Die Riesen könnten Sie beim Worte nehmen; glauben Sie mir, gnädiger Herr, ein einziger würde Ihnen so viel zu thun geben, daß Sie auf Ihr Leben lang genug hätten! Ich bitte Sie ums Himmels willen, gehen Sie ihm aus dem Wege und thun ihm nichts! Es dauerte mich nur mein junges Blut; der Popanz würde keinen Unterschied machen, ich müßte für Ihren Frevel büßen, so unschuldig ich immer bin.Das dachte ich wohl, antwortete Don Sylvio lachend, daß es dir um deine eigene Haut wäre: aber besorge nichts! die Fee Radiante hat dich ja ausdrücklich zu meinem Gefährten ernannt, und du stehst also unter ihrem Schutze so gut als ich selbst. Ich sag' es dir noch ein Mal, wenn aus jedem Baum in diesem Wald ein Riese würde, und aus jedem Blatt ein junger Feldteufel hervorkröche, so hätten wir doch nichts zu besorgen. Aber siehst du denn nicht, daß dein Riese nichts mehr und nichts weniger ist, als was ich dir sagte? Wir sind nun ganz nahe bei ihm; und wenn du noch nicht glauben willst, daß es ein Baum ist, ein Eichbaum, sag' ich dir, ein eichener Eichbaum, so gut als es jemals einer gewesen ist, so will ich zur Probe einen Ast davon abhauen.Ach, mein lieber gnädiger Herr, rief Pedrillo, indem er ihm den Arm zurückhielt, thun Sie es ja nicht, ich bitte Sie! ums Himmels willen, lassen Sie's bleiben und machen nicht sich und mich durch Ihre Tollkühnheit unglücklich. Es mag nun jetzt eine Eiche oder eine Linde seyn, so hab' ich doch mit meinen Augen gesehen, daß es ein ungeheurer Riese war. — Ich will just nicht sagen ein Riese — Gott weiß, was es gewesen seyn mag! aber ich weiß doch, was ich gesehen habe. Der Böse, Gott sey bei uns! ist ein Tausendkünstler, und er kann eben so gut —Weißt du wohl, Pedrillo, fiel ihm Don Sylvio ins Wort. daß ich deiner blödsinnigen Einfälle müde bin? Ich glaube, zum Henker! du willst einen Don Quixote aus mir machen und mich bereden, Windmühlen für Riesen anzusehen? Da siehe, wie viel ich mir aus deinem Riesen mache? Mit diesen Worten zog er seinen Säbel und hieb auf einen Zug einen ziemlichen Ast herunter.Pedrillo erschrak anfangs so sehr über diese verwegene That, daß er beinahe umgesunken wäre; da er aber sah, daß sie keine schlimme Folgen hatte, so faßte er wieder Muth. Ich hätte nicht gemeint, sagte er zu unserm Helden, daß Sie so viel Herz hätten, Herr Don Sylvio; ich glaube, verzeih mir's Gott, Sie wären tollkühn genug, mit dem Teufel und seiner Großmutter anzubinden. Aber wir wollen nicht zu früh Triumph singen, Sehn Sie einmal, ob nicht Blut aus dem Ast heraus fließt.Da sieh selbst, sagte Don Sylvio, indem er ihm den Ast darbot, und gesteh, daß du der albernste dumme Junge bist, den ich jemals gesehen habe. Woher nimmst du doch das altvettelische Zeug, das du sagst?Was ich da sagte, gnädiger Herr, ist, meiner Six, nicht so einfältig, als Sie denken: ich habe dergleichen Dinge mehr gelesen, und was einmal geschehen ist, kann ein ander Mal wieder geschehen. Zum Exempel, ich besinne mich jetzt gleich eines gewissen trojanischen Prinzen — ich weiß selbst nicht mehr Corridor oder Isidor, aber es dort sich so was in seinem Namen, der von einem muhammedanischen Zauberer in einen Cypressenbaum verwandelt worden war, und da ihn der Papst Aeneas Sylvius, ich weiß nicht mehr warum, wollte umhauen lassen, da floß bei jedem Hiebe Blut heraus, frisches Blut, so roth, als man es nur sehen wollte. Die Leute erschraken entsetzlich, wie Sie sich einbilden können; allein Papst Aeneas, der gleich merkte, daß ein Geheimniß darunter stecken müsse, befahl, man sollte nur fortfahren zu hauen; und was meinen Sie wohl, was da geschah? Man hörte eine Stimme aus dem Baum, eine überaus klägliche Stimme, welche sagte, daß sie die Seele des Isidorus sey, oder wie er hieß, und wie es ihr ergangen, und wie sie von dem ungläubigen Zauberer in diesen Baum verwandelt worden sey, ohne daß sie vorher habe beichten oder sich vorbereiten können; und bat alle christliche Herzen, die gegenwärtig waren, so flehentlich, daß Jedermann die hellen Zähren weinen mußte, daß sie doch zur Linderung ihrer Pein etliche Duzend Ave für sie beten möchten.Das muß ich gestehn, sagte Don Sylvio, nachdem Pedrillo mit seiner Erzählung zu Ende war, daß du eine erstaunliche Belesenheit hast, Pedrillo; und was die Gabe der Erzählung betrifft, so will ich mein Schloß und alles Meinige verloren haben, wenn zu Salamanca oder auf irgend einer andern Universität von Spanien ein Baccalaureus ist, der es mit dir aufnehmen dürfte. Ich biete ihnen allen Trotz, daß sie einen trojanischen Prinzen mit dem Papst Aeneas Sylvius oder Pius Il. zusammen bringen, wie du gethan hast; es müßte denn in der Hölle seyn, wohin gewiß Aeneas Sylvius nicht gekommen ist; denn er war einer von den frömmsten und gelehrtesten Päpsten, die jemals der Kirche vorgestanden haben.Es beliebt Euer Gnaden so zu sagen, erwiederte Pedrillo: aber es mag nun Ihr Ernst seyn oder nicht, so versichere ich Sie, daß ich mir in diesem Stücke, wenn ich schon nicht gestudirt bin, vor Keinem fürchte, er mag seyn, wer er will, und wenn er auch ein dreifacher Bacularius oder gar ein Doctor in allen sieben Facultäten wäre. Ich war noch nicht acht Jahre alt, so wußte ich schon alle Historien des Ovidius Nasus und alle Fabeln in Florians Chronik auswendig; gelt, das hätten Euer Gnaden nicht hinter mir gesucht? Aber ich hatte ein Gedächtniß, wie ein Elephant, und unser alter Pfarrer (tröst' ihn Gott!) sagte meiner Großmutter oft, wenn man mich studiren ließe, so könnte ich noch wohl einmal, ob Gott wollte, Bischof oder gar Generalvicarius werden. Wer weiß auch, was geschehen wäre, wenn der gnädige Herr, Euer Gnaden Herr Vater, mich nicht ins Schloß genommen hätte, da mich meine Großmutter eben zu ihrem Bruder thun wollte, der damals Küster in einem Dorfe unweit Toledo war und, wie die Leute sagten, sehr viel beim Erzbischof galt. Sie müssen aber nicht meinen, als ob ich damit sagen wollte, daß ich bei diesem Tausche verloren habe. Es ist überall gut Brod essen. Euer Gnaden weiß, daß ich Ihnen, so zu sagen, von Ihrer Kindheit an treulich und redlich gedient habe; und ich bin gewiß, daß Sie mein Glück machen werden, wenn wir einmal, Gott gebe nur bald! unsre Prinzessin gefunden haben. Denn ob Euer Gnaden schon ein so edler Edelmann ist, als einer in der Christenheit, so bin ich doch gewiß, daß Sie Ihr Wort eben so ehrlich halten werden, als wenn Sie nur ein Bauer wären.Auf diese Art fuhr der ehrliche Pedrillo noch eine gute Weile fort zu plaudern, ohne daß sein Herr, der in ganz andern Gedanken vertieft war, die geringste Acht darauf gab. Pedrillo schwatzte, wie die Kinder im Finstern zu singen pflegen: denn er fürchtete sich noch immer so sehr, daß er schwitzte, und es war kein Heiliger im Kalender, dem er nicht bei sich selbst ein Gelübde that, wenn er ihn lebendigen Leibes und unbeschädigt das Tageslicht wieder sehen lassen würde.
—————

Zweites Capitel

Merkwürdiges Abenteuer mit dem Salamander und dem Froschgraben.

Inzwischen hatten sich unsre Wanderer ungeachtet der immer zunehmenden Dunkelheit doch so weit aus dem Walde herausgearbeitet, daß sie eine offene Stelle gewahr wurden, deren Anblick ein rechter Anstrich für den armen Pedrillo war. Er lenkte sogleich dahin ein, und seine Freude vermehrte sich nicht wenig, da er in einiger Entfernung ein Licht erblickte, welches er für ein Zeichen hielt, daß ein Wirthshaus oder Pachthof in der Gegend sey, wo sie den Anbruch des Tages erwarten könnten.Allein seine Freude verwandelte sich bald wieder in Furcht und Grauen, da er sah, daß dieses Licht plötzlich näher kam und um ein Merkliches größer wurde. Don Sylvio hingegen wurde es kaum gewahr, als er voller Freuden ausrief: Siehst du nun, Pedrillo, daß ich mir keine vergebliche Hoffnung machte, da ich mich auf den Beistand der großen Radiante verließ?Was soll ich denn sehen, gnädiger Herr? fragte Pedrillo.Du mußt blinder als Tiresias seyn, daß du so fragen kannst. Siehst du denn den Salamander nicht, der in der ganzen schimmernden Pracht eines Bewohners des reinsten Feuerkreises auf uns zueilt?Einen Salamander? rief Pedrillo: wo ist er denn? ich bitte Sie; denn ich sehe nichts als einen feurigen Mann, der vermuthlich bei seinen Lebzeiten in dieser Gegend einen Malstein verrückt haben wird und jetzt zur Strafe feurig umgehen muß.Dummkopf, versetzte Don Sylvio ein wenig entrüstet: können denn deine abergläubischen Augen allenthalben nichts Anderes sehen, als die Hirngespinnste, welche die alte Hure, deine Großmutter, von ihrer Eltermutter geerbt und dir in dein dummes Hirn gesetzt hat? Eben das, was du für einen feurigen Mann ansiehst, ist ein Salamander, sag' ich dir, und einer der schönsten, die den Thron der großen Radiante umglänzen. Siehst du nicht, wie seine Haarlocken gleich gekräuselten Sonnenstrahlen um seinen morgenröthlichen Nacken wallen? Siehst du nicht seine Augen wie zwei Morgensterne blitzen? Siehst du die lazurnen, mit Licht durchwebten Flügel nicht, mit denen er, wie ein Unsterblicher, in majestätischem Fluge den Aether theilt?Sapperment! Herr Don Sylvio, schrie Pedrillo, indem er sich mit der Faust vor die Stirne schlug, entweder bin ich ein Narr, oder Sie sind nicht recht klug! Ich will geprellt werden, wenn ich von Allem, was mir Euer Gnaden da vorsagt, etwas Anderes sehe, als einen kleinen Feuerklumpen, der in der Luft schwebt und bald näher kommt, bald wieder zurückweicht, und dergleichen ich schon oft gesehen habe. Sie können es heißen, wie Sie wollen; aber ich habe mein Tage gehört, daß es feurige Männer —Pedrillo, mein Freund, unterbrach ihn Don Sylvio, wenn ich nicht mit deiner Einfalt Mitleiden hätte, so hätte ich gute Lust, dir dein unverschämtes Maul zu stopfen, daß du ein Andenken davon behieltest. Ich dächte doch wahrhaftig, Sennor Pedrillo sollte mir zutrauen, ich müsse wissen, was ein Salamander ist, da ich ihrer mehr als zehen tausend im Gefolge der Fee Radiante gesehen habe! Es ist ein Salamander, sag ' ich dir nochmal, der vermuthlich etwas bei mir auszurichten hat, der vielleicht auch nur abgeschickt ist, uns den Weg zu zeigen. Es sey nun das Eine oder das Andere; so wollen wir ihm nachgehen; das Uebrige wird sich bald von selbst geben.So mag es denn ein Salamander seyn, weil Sie's so haben wollen, erwiederte Pedrillo: Euer Gnaden müssen sich besser auf solche hohe Dinge verstehen, als unser einer. Sie sind vielleicht an einem Sonntag auf die Welt gekommen; denn man sagt, die Sonntagskinder könnten bei hellem Mittage Geister sehen.Was du da sagst, versetzte Don Sylvio, ist so unrichtig nicht. Es kann eine Gabe seyn, womit mich eine Fee bei meiner Geburt beschenkt hat, daß die elementarischen Geister, die sonst ihrer Natur nach von irdischen Augen nicht gesehen werden können, für mich nicht unsichtbar sind.Wenn aber das wäre, sagte Pedrillo, so müßt' ich jetzt gar nichts sehen. Ihrer Beschreibung nach ist dieser Salamander so schön wie ein Cherubin; warum mißgönnt er mir denn das Vergnügen, ihn in seiner eigenen Gestalt zu sehen, und warum zeigt er sich mir lieber in der fürchterlichen Gestalt eines feurigen Mannes?Daran hat deine verdorbene Einbildungskraft Schuld, erwiederte Don Sylvio. Wenn du die feurigen Männer nicht schon im Kopfe hättest, so würden du ohne Zweifel eben das sehen, was ich sehe; es geht dir jetzt mit dem Salamander, der unser Führer geworden ist, wie es dir vorhin mit der Eiche ging, die du für einen Riesen ansahest —Sachte, sachte, Herr Don Sylvio, fiel ihm Pedrillo ein, wir wollen diese Saite nicht mehr berühren; zu geschehenen Dingen muß man das Beste reden. Ich dächte, eine Höflichkeit wäre gleichwohl der andern werth, und wenn ich Ihren Salamander gelten lasse, so könnten Sie meine Riesen wohl auch in ihrem Werthe beruhen lassen. Wer weiß ohnedem, ob sie nicht näher mit einander verwandt sind, als man sich einbildet? Die Wahrheit zu sagen, der Grund, auf den uns Ihr Salamander geführt hat, fängt an ziemlich seicht zu werden: ich besorge immer, er wird es uns nicht besser machen, als ein gemeiner Feuermann; denn diese boshaften Schelme haben keine größere Freude, als wenn sie arme Wandersleute zum Besten haben und in einen Morast oder Froschgraben hinein führen können.Pedrillo hatte kaum das letzte Wort ausgesprochen, als Don Sylvio, der immer voraus ging und dem vermeinten Salamander mit starken Schritten folgte, aus einmal bis an die Knie in einen Graben sank. Pedrillo wollte ihm, sobald er ihn plätschern hörte, zu Hülfe kommen, that es aber mit so weniger Behutsamkeit, daß es ihm noch ärger ging, als seinem Herrn; denn er fiel, so lang er war, in den dicken Schlamm hinein. Das jämmerliche Geschrei, das er anfing, machte unsern Helden besorgen, er möchte ein Bein verstaucht oder gar gebrochen haben. Was ist dir begegnet, mein guter Pedrillo, daß du so kläglich thust? rief er ihm zu, indem er sich selbst aus dem Morast heraus arbeitete, so gut es die Länge und Schwere seines Seitengewehrs zuließ.Wo sind Sie denn, mein lieber Herr? rief Pedrillo ängstlich. Haben Sie noch ihre eigene Gestalt, oder sind wir schon in Frösche verwandelt? Daß es Gort erbarme! mich däucht, ich höre mich selbst schon quaken, wenn es nicht der Schrecken ist, der mich gar närrisch macht. Da haben wir's nun! Sagte ich nicht vorher, es werde so gehen, und werden Sie so gut seyn und mich ein ander Mal auch etwas gelten lassen? Wo ist nun der Salamander mit seinen goldfarbnen Flügeln und lazurnen Haarlocken, und mit seinen Morgensternen in den Augen? Zum Guckuck ist er und bekümmert sich den Henker darum, wie wir wieder aus dem Quark herauskommen.Das Uebel ist nicht halb so groß, als du es machst, sagte Don Sylvio; und es mag seyn, wie es will, so hat der Salamander keine Schuld. Warum sahen wir nicht besser vor uns bin? denn er machte uns helle genug. Und wenn er verschwunden ist, so ist gewiß nichts Anderes als dein ungewaschenes Maul —O, sagen Sie das nicht, rief Pedrillo, der indessen aus dem Schlamm hervorgekrochen war: sapperment! ich denke, es ist gewaschen genug, und mehr, als mir lieb ist! Ich fiel der Länge nach hinein und kriegte gleich ein Maul voll, das gewiß nicht nach Muskaten schmeckte, das versichre ich Sie.Genug hiervon, sagte Don Sylvio: auf einer Reise, wie die unsrige, muß man sich Alles gefallen lassen. Wenn ich dir aber die Wahrheit sagen soll, so fang' ich bald selbst an Zweifel zu bekommen. Ob ich gleich noch immer darauf schwören wollte, daß ich einen Salamander gesehen habe, so ist es doch nicht unmöglich, daß unsere Feinde, weil sie keine offenbare Gewalt gegen uns gebrauchen dürfen, eine List versucht haben, uns von der Fortsezung unserer Unternehmung abzuschreiben.Wenn ich reden dürfte, sprach Pedrillo, so weiß ich wohl, was ich sagen möchte."Und was wolltest du denn sagen?"Das unsre Feinde vielleicht nicht so gar Unrecht haben."Wie so, wenn ich bitten darf, Herr Pedrillo?"Weil es mich däucht, daß wir nicht recht klug sind, bei Nacht und Nebel so durch Dick und Dünn herum zu ziehen und die Köpfe an den Bäumen zu zerstoßen und in Sümpfe und Froschgräben hinein zu fallen; und warum? um vor einem kleinen Sack mit hunderttausend Thalern davon zu laufen, den wir heirathen könnten, ohne daß es uns einen Heller kostete.Der Froschgraben hat, wie ich sehe, eine merkliche Veränderung in deiner Denkungsart hervorgebracht, erwiederte Don Sylvio: aber, ehe wir uns tiefer in die Materie einlassen, möchtest du nicht so gut seyn und mir ein Paar Strümpfe aus dem Zwerchsacke suchen? denn die meinigen sind so naß und übel zugerichtet, daß es nicht ärger seyn könnte.Euer Gnaden, antwortete Pedrillo, kann doch immer noch besser mit dem Salamander zufrieden seyn, als ich; denn ich bin vom Kopf bis auf den Füßen so besalbt, daß ich einen ganzen langen Tag brauchen werde, bis ich wieder trocken bin. Mich däucht, ich sehe hier eine kleine Anhöhe, wo wir uns ein wenig setzen und umkleiden können. Sehen Sie nun, fuhr er fort, indem er seinen Zwerchsack aufschnürte, ob meine Vorsorge vergeblich gewesen ist? Wir sässen jetzt schön, wenn wir warten müßten, bis uns die Fee Rademante andre Wäsche brächte! — Aber wieder auf unser a propos zu kommen, ich denke, wir haben uns nun genug abgekühlt, daß wir mit kaltem Blute von der Sache reden können. Wie wär' es, gnädiger Herr Don Sylvio, wenn wir hier warteten, bis es Tag wird, und dann allgemach wieder zurückkehrten, wo wir hergekommen sind? Mich däucht, wir haben etwas angefangen, wovon wir kein Ende sehen werden. Meiner Six! ich wollte lieber eine Stecknadel in einem Heustock suchen, als einen Schmetterling in der weiten Welt; und dann noch alle das Ungemach, dem man sich dabei aussetzt, die Dornritzen, die Beulen am Kopfe, die zerstoßnen Schienbeine, die Riesen, die Salamander, die Froschgräben — und Alles dieß um der schönen Augen eines Schmetterlings willen! Beim Velten, das ist ja Alles, was man leiden könnte, wenn es um die schöne Hekuba aus Griechenland zu thun wäre! Freilich ist der Schmetterling eine geborne Prinzessin; aber sehen Sie, gnädiger Herr, wenn ich reden soll, wie mir's ums Herz ist, denn ich bin immer ein guter, offenherziger Narr gewesen, es ist hier ein Aber, das uns das ganze Spiel verderbt. Ein Schmetterling, der eine Prinzessin ist, ist freilich ein vornehmer Schmetterling; aber, zum Henker, eine Prinzessin, die nur ein Schmetterling ist, ist noch weniger als eine Prinzessin in einem Puppenspiele. Denn, wenn die Prinzessin Takamahaka oder Rossabarba mit dem spitzen Kinn, mit ihrer Krone von Flittergold und mit ihrer langen Schleppe von falschem Silbermohr abgetrippelt ist, so finden Sie doch Lolottchen hinter der Scene, die, wenn's drum und dran kommt, wohl so gut ist, als manche Prinzessin, und nicht so viel Umstände macht; das werden Sie mir nicht leugnen können? Und sehen Sie, gnädiger Herr, was ich sagen wollte —Sa, sa, Pedrillo, das geht ja unvergleichlich; rief Don Sylvio, du sprichst ja wie ein Cicero; fahre nur fort, denn ich möchte doch gern sehen, was endlich herauskommen wird, wenn du fertig bist.Das werden Euer Gnaden bald sehen, antwortete Pedrillo: ich merke wohl, daß Sie meiner spotten wollen, aber es hat doch wohl eher ein Esel einem Propheten einen guten Rath gegeben. Kinder und Narren sagen die Wahrheit; und das Lange und Kurze von der Sache ist, daß der "hab' ich" immer besser gewesen ist, als der "hätt' ich;" vom Wünschen, sagt man im Sprüchwort, ist noch Keiner satt geworden. Die Frau Rademante hat freilich viel versprochen; aber Versprechen ist Eins, und Halten ist ein Andres; und wenn man's zuletzt beim Lichte besteht, so däucht mich, es komme gerade so heraus, als wenn mir Jemand einen Schatz schenkte, den ich aber erst noch erheben soll, ohne daß ich weiß, wo? Wie wär' es, wenn wir uns an das hielten, was wir schon haben? Donna Schmergelina ist ein junges Frauenzimmer, das mit Allem dem auch nicht zu verachten ist; hundert tausend Thaler sind meiner Six ein hübsches Geld, gnädiger Herr; und wenn's zuletzt auch etliche tausend weniger wären, so ist es doch vielleicht mehr, als das Fürstenthum werth ist, das Ihnen Ihre Prinzessin zubringen würde. Zudem so hat der Letzte auch noch nicht geschossen; wer weiß, was Donna Schmergelina ist, wenn man genau nachsieht; sie ist wenigstens immer eine Nichte der Fee Fanferlüsch, und Fanferlüsch mag im Uebrigen so dürr und so schlimm seyn, als sie will, so ist sie doch eine Fee so gut, als eine andre, und kann, wenn sie will, mit einem einzigen Schlag ihrer Zauberruthe alle Ziegel auf Euer Gnaden Schloß in Rubinen verwandeln.Das ist Alles wohl gut, erwiederte Don Sylvio; aber du hast wir doch selbst gestanden, daß Donna Mergelina so häßlich sey, daß man sie unmöglich lieben könne. —Je nun, versetzte Pedrillo, was das anbetrifft, so muß ich bekennen, die Schönste ist sie eben nicht; aber, wenn Euer Gnaden darauf Acht gegeben haben, so hat sie doch so was in ihrem Gesichte —Ja wohl, Finnen und Pockengruben, so viel du willst, unterbrach ihn Don Sylvio."Und was thut das zur Sache, gnädiger Herr? Schönheit ist eine vergängliche Blume; Schönheit vergeht, Tugend besteht; das unansehnliche Veilchen hat einen bessern Geruch, als die prächtige aber stinkende Sammetblume. Und mit Allem dem ist sie doch auch so häßlich nicht, als Euer Gnaden sie machen! Ich gestehe, sie ist, was man sagen möcht, ziemlich bucklig, und beim ersten Anblick dächte man, sie hätte rothe Haare; aber, wenn Sie sie von einer gewissen Seite betrachten, so fallen sie eher ins Rosenfarbne, und es läßt ihr in der That nicht übel. Kurz und gut, wenn ich an Euer Gnaden Platz wäre, so machte ich's wie der Einäugige; um hundert tausend harte Thaler kann man schon ein Auge zumachen. Bei Nacht sind alle Kühe schwarz; Geld im Beutel, alles Andre ist eitel! Geld ist der Meister! Geld regiert die Welt; kein Geld, kein Schweizer; dabei bleib' ich, und wenn alle sieben und siebzig Weise aus Morgenland mir das Gegentheil beweisen wollten.Don Sylvio, der überhaupt die beste Seele von der Welt und diesen Morgen bei ungewöhnlich guter Laune war, belustigte sich so sehr an den Reden seines schwatzhaften und naseweisen Dieners, daß er ihn immerfort reden ließ, ohne ihn zu unterbrechen. Pedrillo fuhr also fort, die Vortheile nach einander herzurechnen, welche die Vermählung mit der Nichte der Fee Fanferluche seinem jungen Herrn verschaffen würde. Er baute auf Unkosten der hundert tausend Thaler und der Ziegelsteine, welche die Fee in Rubinen verwandeln sollte, die schönsten Schlösser, die jemals in Spanien gebaut worden sind, und erhitzte über diesen Vorstellungen seine Einbildung so stark, daß es eine ziemliche Weile währte, bis er merkte, daß Don Sylvio indessen sanft und ruhig eingeschlafen war. Weil er nun nicht Philosoph genug war, um mit sich allein zu reden, so schwieg er endlich; und nachdem er etliche Züge aus einer Flasche Wein gethan hatte machte er sich ein Lager zurechte und folgte dem Beispiel seines Herrn.
—————

Drittes Capitel

Worin Pedrillo etwas unsanft aus dem Schlafe geweckt wird.

Der gute Pedrillo schnarchte noch, als Don Sylvio plötzlich aus einem Traum auffuhr, der seinen Schlummer auf eine sehr unangenehme Art unterbrochen hatte. Verdammter Zwerg, rief er, indem er den Pedrillo bei der Gurgel faßte, gib mir mein Bildniß wieder, oder du bist des Todes!He! Hülfe, Hülfe, Mörder, Feuer, Hülfe! schrie Pedrillo und schlug mit Händen und Füßen um sich, indem er, ohne zu wissen, wie ihm geschah, so unfreundlich aus dem Schlaf erweckt wurde.Meine Prinzessin her, rief Don Sylvio nochmals, oder —Je zum Henker, schrie Pedrillo, indem er sich von ihm losriß, sind Sie's, Herr? Reitet Sie denn der Teufel, daß Sie mich mit aller Gewalt erdrosseln wollen? Pestilenz! man ist ja seines Lebens nicht bei Euer Gnaden sicher!Wie? was ist das? rief Don Sylvio ganz bestürzt, bist du es, Pedrillo?"Je zum Wetter! wer soll ich sonst seyn? Ich meine doch wohl, daß ich Pedrillo seyn muß, wenn mich meine Mutter nicht mit einem Andern verwechselt hat. Aber ist denn das Manier, einen so im Schlafe zu überfallen? Sackerlot! wenn's so gilt, so bedank' ich mich für die Commission, Euer Gnaden die Schmetterlingsprinzessin suchen zu helfen."Ich weiß nicht, wo ich bin, oder was ich sagen soll, erwiederte Don Sylvio: das seh' ich nun mit meinen Augen, daß du Pedrillo bist, aber —"O großen Dank, gestrenger Herr Ritter Don Sylvio von Rosalva, Ihr Diener! Beim Element! das ist sehr gnädig, daß Sie mir's endlich ganz lassen, daß ich meiner Mutter Sohn bin! Aber meinen Sie, es sey damit gleich ausgerichtet? Meine Seele, Euer Gnaden hätte mir den Hals umgedreht haben können, eh' ich gewußt hätte, wie mir geschähe. Da sehn Sie nur her, wie Sie mit mir umgegangen sind! Potz Herrich! wenn Sie's Ihren guten Freunden nicht besser machen — Aber ich will gleich wetten, da wird wieder ein Zwerg oder Salamander dahinter stecken!"Gib dich nur zufrieden, lieber Pedrillo, antwortete Don Sylvio; du kannst ja selbst denken, daß meine Absicht nicht war, dir was Leide zu thun, und ich schwöre dir's der dem Leben meiner Prinzessin, ich begreife noch nicht, wie es zugegangen, daß der verwünschte grüne Zwerg, den ich schon in meiner Gewalt hatte, mir wieder entwischt ist und dich an seine Stelle geschoben hat."Dacht' ich's nicht? Da haben wir's! der grüne Zwerg! Sagt' ich's nicht vorher, wir würden kaum den Fuß zum Hause hinaus gesetzt haben, so würde der Diebshenker uns alle Drachen, Riesen, Zwerge und Rohrdommeln der ganzen Welt auf den Hals hetzen? Ich bin Euer Gnaden gut dafür, bei Tage wird uns nichts dergleichen begegnen. Aber hab' ich Sie recht verstanden, gnäd'ger Herr? Sagten Sie nicht was vom grünen Zwerge? Ich dachte, er sey in einen Zahnstocher verwandelt worden? — Es scheint, mit Erlaubniß der Frau Salamanderkönigin, daß sie eben keine Sklavin ihrer Worte ist. Gott verzeih' mirs, man soll nichts Böses von seinem Nächsten denken — aber, beim Velten! Herr, wenn sie Sie nicht für einen Narren hat, so will ich gelogen haben!"Rede nicht so ungebührlich von einer so großen Fee, sagte Don Sylvio sehr ernsthaft, es wird dich noch gereuen; ich sag' es dir zum letzten Male, daß ich die ungezogene Frechheit deines Mauls nicht länger dulden werde. Höre nur erst, was mir begegnet ist, und dann rede! Mußt du denn immer urtheilen, eh du einmal weißt, wovon die Rede ist?Ich glaubte nicht, daß ich mich so sehr verfehlt hatte, antwortete Pedrillo ganz kaltsinnig: ich habe doch so viel Vernunft, daß ich weiß, daß Holzäpfel keine Quitten sind. Ich lasse mir eben auch nicht Alles weiß machen, und ich bin, mit Euer Gnaden Erlaubniß, nicht so dumm, als ich aussehe. Es sind noch nicht fünf Minuten, so wollten Sie mich erwürgen, weil Sie mich für den grünen Zwerg ansahen. Nun sag' ich so: entweder ist der grüne Zwerg ein Zahnstocher, oder er ist keiner; ist er keiner, so hat die Fee — ich will nicht sagen was; ist er aber einer, zum Henker, seit wann seh' ich denn einem Zahnstocher gleich? Dieß ist ein Schluß, hoffe ich, woran nichts auszusetzen ist; ich möchte wohl sehen, was Euer Gnaden darauf antworten könnte.Zum Henker, sagte Don Sylvio lächelnd, gibst du dich auch damit ab, Dilemmen zu machen? Wenn du so fortfährst, so wird ja zuletzt nicht mehr mit dir auszukommen seyn. Aber höre nur erst, sag' ich dir, und laß mich allein reden, bis ich fertig bin; hernach wollen wir sehen, was für Schlüsse wir darüber zu machen haben.
—————

Viertes Capitel

Was die Einbildung nicht thut.

Nachdem Pedrillo versprochen hatte, daß er seine Zunge im Zügel halten wollte, fing Don Sylvio seine Erzählung also an: Du warest kaum neben mir eingeschlafen —Holla, gnädiger Herr, fiel ihm Pedrillo ein, mit Erlaubniß, woher konnten Sie das wissen? denn Sie schliefen ja schon lange, da ich noch wachte.Du hältst dein Versprechen unvergleichlich, sagte Don Sylvio: willst du so gut seyn und mich ohne Unterbrechung reden lassen? Ich würde bis Morgen nicht fertig, wenn ich bei jedem Wort auf deine unverschämten Fragen antworten müßte. Ich sage dir; daß ich wachte, und das soll dir genug seyn. — Indem ich nun Allem dem, was uns begegnet ist, nachdachte, sah ich eine Sylphide vor mir stehen —Eine Sylphide? rief Pedrillo und hielt schnell wieder inne, indem er seinem Herrn steif ins Gesicht sah.Ja, eine Sylphide, fuhr unser Held ganz gelassen fort, und die schönste Sylphide, die jemals von einem Sterblichen gesehen worden ist. Don Sylvio, sagte sie zu mir, ich weiß, wen Sie suchen; kommen Sie mit mir, ich will Sie zu Ihrer Geliebten bringen! Ich bin schon lange Ihre gute Freundin; aber Sie sollen doch diese Gefälligkeit nicht ganz umsonst empfangen. — O, rief ich, indem ich mich zu ihren Füßen warf, befehlen Sie nur, schönste Sylphide, es ist nichts in der Welt, das ich nicht thun will, Ihnen meine Dankbarkeit zu bezeigen, wenn Sie Ihr Versprechen halten. — Dasjenige, was ich von Ihnen dafür verlange, erwiederte die Sylphide, ist eine Kleinigkeit. Kommen Sie nur, Sie sollen erst die Prinzessin sehen; über das Andre werden wir bald einig seyn. — Hierauf nahm sie eine Rose von ihrem schönen Busen und warf sie auf den Boden; augenblicklich verwandelte sich die Rose in einen Muschelwagen von Rubin, der mit zwölf Paradiesvögeln bespannt war, von einer Schönheit, dergleichen noch nicht gesehen worden ist. Ich setzte mich neben ihr ein, und in wenig Minuten stiegen wir in dem anmuthigsten Ort ab, den sich die Einbildungskraft nur immer vorstellen kann. Ich würde nicht fertig werden, wenn ich dir eine Beschreibung davon machen wollte.O gnädiger Herr, sagte Pedrillo das thut nichts; wenn die Beschreibung lang ist, desto besser; ich wollte Ihnen den ganzen Tag ungegessen zuhören, ich höre Sie gar zu gern erzählen.Stelle dir, fuhr Don Sylvio fort, eine unermessliche Ebene vor, in welcher die Zauberkunst irgend einer Fee alle die Annehmlichkeiten vereinigt hatte, welche die Dichter von Tibur und Tarent, von dem thessalischen Tempe und von den Hainen von Daphne rühmen; anmuthige Gebüsche, schlängelnde Silberbäche, blühende Auen, Lustgänge von Citronenbäumen, kleine Seen, mit Myrten eingefaßt, Lauben von Jasmin und vielfarbigen Rosen — kurz, Alles, was man sich von einem Orte vorstellen kann, der dem Vergnügen und der Liebe geheiligt ist. Schaaren von jungen Nymphen in leichtem Gewande flatterten unter den Myrten umher oder tanzten mit Liebesgöttern auf den Fluren oder badeten in stillen Grotten.Das muß ich gestehen, Herr Don Sylvio, fiel Pedrillo ein, daß Euer Gnaden unter einem glücklichen Zeichen geboren ist! Sapperment! es leben die Sylphiden! Das ist etwas Anderes, als diese vertrackten Salamander, die zu nichts gut sind, als uns in einen Froschgraben hinein zu führen! Aber warum haben Sie mich denn nicht auch mitgenommen? Wenn es um ein angenehmes Abenteuer zu thun ist, da denkt Niemand an Pedrillo!Höre nur weiter, fuhr Don Sylvio fort: man muß keinen Menschen vor seinem Ende glücklich preisen, sagte Solon, der Weise; und es scheint nicht anders, als ob ich dazu bestimmt sey, eine Erfahrung nach der andern von dieser traurigen Wahrheit zu machen. Indem ich an diesem anmuthsvollen Orte mich umsah, erblickte ich eine Nymphe unter eine Laube sitzend, die mit einem Sommervogel spielte, der an einem goldnen Faden um sie her flatterte. Himmel! wie ward mir, da ich sah, daß es meine geliebte Prinzessin war! da ich ihn für eben den blauen Sommervogel erkannte, den wir suchen! Bist du der junge Ritter, sagte die Nymphe zu mir, der unter dem Schutze der Fee Radiante das Abenteuer unternommen hat, den blauen Sommervogel zu entzaubern? — Ich bin es, schönste Nymphe, antwortete ich, und bereit, Ihnen mein Leben selbst — O, so viel verlang' ich nicht, fiel sie mir ins Wort: wenn du mir beweisen kannst; daß du Don Sylvio von Rosalva bist, so ist der Sommervogel dein. — Sagen Sie nur, womit ich es Ihnen beweisen soll, erwiederte ich; ich weiß zu gewiß, daß ichs bin, als daß ich vor irgend einer Probe mich scheuen sollte. — Zeige mir nur das Bildniß der Prinzessin, antwortete sie; du mußt es haben, wenn du Don Sylvio bist, ich verlange keinen andern Beweis. — O Pedrillo, ich Unglückseliger! Wo war die Fee, meine Beschützerin, in diesem fatalen Augenblicke? Ich gab ihr das Bildniß. Aber kaum hatte sie es in der Hand, so sah ich — Himmel! werd' ich es aussprechen können? mit Entsetzen sah ich anstatt der schönen Nymphe den grünen Zwerg vor mir stehen. Das kleine bucklige Ungeheuer war vor Freude ganz ausgelassen, sprang in die Höhe, drehte das Bildniß in der Hand herum, blökte die Zähne gegen mich und sagte endlich mit spöttischem Gelächter zu mir: Nun hab' ich, was ich wollte! Wisse, du unmächtiger Nebenbuhler, daß Niemand als der Besitzer dieses Bildnisses im Stande ist, dem blauen Sommervogel seine eigene Gestalt wieder zu geben. Nun sind beide in meinen Händen, und du hast nichts mehr zu hoffen. Geh', dank es meiner Entzückung, daß ich dir das Leben schenke; aber merke, was ich dir jetzt sage: Ich werde dich auf's genaueste beobachten, und wenn ich dich nur über einem Gedanken an meine Geliebte ertappe, so bist du des Todes!Du kannst dir die Wuth vorstellen, Pedrillo, worein mich diese Reden und der Anblick des häßlichen Gnomen mit dem Bildniß meiner Prinzessin in seinen Klauen setzen mußten; ich fiel über ihn her und rang mit ihm, fest entschlossen, entweder mein Leben zu lassen oder mein Bildniß wieder zu haben.Der Vorsatz war gut und löblich, sagte Pedrillo: aber warum mußt' ich mit ins Spiel gemischt werden; und zwar nicht eher, als bis es ums Erdrosseln zu thun war?Eben das ist es, erwiederte unser Held, was ich selbst nicht begreife: ich rang, wie gesagt, mit dem Zwerg, und in eben dem Augenblicke, da ich im Begriff war, ihn zu erwürgen, zeigten mir dein Geschrei und meine Augen, daß du es warst, der unter meinen Händen zappelte. Der Zwerg war verschwunden und ich befand mich an dem nämlichen Orte, wo mich die Sylphide abgeholt hatte.Und wo blieb denn die Sylphide? fragte Pedrillo."Sobald wir an dem Orte anlangten, wo sie mich absteigen hieß, muß sie verschwunden seyn; denn ich sah weder sie noch ihren Wagen mehr."Das ist eine verzweifelte Historie, sagte Pedrillo: meiner Six, sie fing sich so schön an! es ist Jammerschade, daß sie nicht besser aufhörte. Aber — wenn einem einfältigen Kerl eine Frage erlaubt ist: Sie glauben also, gnädiger Herr; daß Ihnen das Alles wirklich begegnet ist?Daran ist wohl kein Zweifel, antwortete Don Sylvio: ich wachte ja, da es mir begegnete; ich sah mit meinen Augen, ich hörte mit meinen Ohren, ich hatte den Gebrauch aller meiner Sinne; ich muß also gewacht haben, und wenn das ist —Ja, ja, das ist eben noch die Frage! versetzte Pedrillo: ich will es just nicht für gewiß sagen, aber — wenn Euer Gnaden gleich die Wunderlichkeit an sich hat und nicht leiden kann, daß man sage, Sie träumen, wie andere ehrliche Leute; so weiß ich doch wohl —gesagt will ich's nicht haben, aber ich denke meinen Theil!"Du denkst, es sey nur ein Traum gewesen, Pedrillo? Wollte der Himmel, daß es so wäre! Aber —"Sehn Sie, gnädiger Herr, fuhr Pedrillo fort, es ist in Allem ein Unterschied zu machen. Wie Sie die Erscheinung von der Fee Rademante hatten, da dacht' ich auch, es hab' Ihnen nur so geträumt, bis sie mir das reiche Kleinod und das Bildniß zeigten, das sie Ihnen gegeben hatte; da konnt' ich freilich nichts mehr dagegen einwenden. Was die Augen sehen, glaubt das Herz. Wenn Sie mir nur eine Feder von einem dieser Paradiesvögel, die Euer Gnaden gezogen haben, aufweisen könnten, so ließe sich noch von der Sache reden: aber, bei Sanct Velten! was braucht es da Langes und Breites? Da hängt ja das Kleinod an Ihrem Halse, das Ihnen der Zwerg gestohlen haben soll. — Suchen Sie nur unter Ihrem Wamms, Sie werden die Prinzessin gewiß noch am alten Orte finden.O Wunder! rief Don Sylvio, da er es wirklich auf seiner Brust fand, wo er es zu tragen pflegte: du hast Recht; Pedrillo! Dank sey der hülfreichen Radiante! hier ist es —Ich glaube, lieber Herr, sagte Pedrillo, dießmal thun Sie der Fee zu viel Ehre an, und ich wette, was Sie wollen (ob ich gleich nichts habe), der grüne Zwerg hat den blauen Schmetterling und Jhr Bildniß so wenig gesehen, als ich den Pabst. Hier haben Sie geschlafen und da ist Ihnen das Alles im Traume vorgekommen, und da sind Sie zuletzt davon erwacht, und da haben Sie mich beim Kopfe gekriegt — Sapperment! Sie hätten das nur auch träumen können, wie das Uebrige! Ein ander Mal, wenn wir wieder schlafen wollen, werde ich so gut seyn und mich fünfzig oder sechzig Schritte von Euer Gnaden wegmachen. Ich habe keine Lust, wachend dafür zu büßen, wenn Ihnen ein Zwerg im Traume was zu heiß gekocht hat.Es fehlte zwar noch viel, daß Don Sylvio den Gedanken seines Gefährten über dieses Abenteuer Beifall gab; allein Pedrillo, der dießmal seine Stärke fühlte, ließ nicht ab, bis er es so weit brachte, daß sein Herr es selbst unwahrscheinlich fand, daß der grüne Zwerg in so kurzer Zeit seiner Zahnstocherschaft entledigt worden seyn könnte; und sie wurden endlich beide des Schlusses einig, daß Alles zusammen nur ein Blendwerk gewesen sey, welches Don Sylvio, ohne sich lange zu bedenken, auf die Rechnung der Fee Carabosse schob, die (wie er den Pedrillo versicherte) eine vertraute Freundin der Fanferluche und des grünen Zwergs sey und, da sie ihm auf keine andere Art beikommen könne, sich eine boshafte Freude daraus mache, ihn wenigstens in Verwirrung zu setzen und ihm seine Reise beschwerlich zu machen.Pedrillo ließ sich mit dieser Auskunft befriedigen und sie setzten mit diesen Gesprächen ihren Weg fort, bis die zunehmende Sonnenhitze sie nöthigte, tiefer im Walde Schatten zu suchen.
—————

Fünftes Capitel

Worin die Geschichte nach Rosalva zurückkehrt.

Der wahrhafte Urheber dieser merkwürdigen und kurzweiligen Geschichte findet hier nöthig, den Lauf seiner Erzählung einen Augenblick zu unterbrechen, um dem Leser zu berichten, was indessen in dem Schlosse zu Rosalva vorgegangen.Die arme Maritorne, die wir nebst ihrem getreuen Pyramus, auf dem Wege nach dem Barbier unter dem Schutze der Nymphen und Waldgötter haben einschlafen lassen, erwachte mit Anbruch des Morgens nicht so bald, als sie sich erinnerte, daß sie abgeschickt worden war, Meister Blas, den Barbier, abzuholen. Sie besann sich, was sie sagen wollte; wenn man sie um die Ursache ihres langen Außenbleibens fragen würde; und da ihr nichts einfallen wollte, so fing sie an, sich ihre schönen goldfarbnen Haare auszuraufen und ein so klägliches Geschrei zu erheben, daß ihr Liebhaber davon erwachte und nach der Ursache ihrer Verzweiflung fragte. Hast du nichts als das, mein Schnäuzchen? rief er, als sie ihm ihr Anliegen eröffnet hatte; da will ich bald Rath geschafft haben. Ich kenne Meister Blasen sehr wohl: er ist in ein gewisses junges Mädchen verliebt, das eine Viertelstunde weit von seinem Flecken in einem Pachthofe wohnt; denn sie ist des Pächters leibliche Tochter. Und weil er, wie alle Leute sagen, eine gute Cyther schlägt, so vergeht keine Nacht, daß er nicht bis Morgens um zwei unter ihrem Kammerfenster sitzt und klimpert und singt, bis ihm die Finger und das Maul abfallen möchten. Du darfst also diesen Morgen nur zu ihm gehen und sagen, du seyest in der Nacht schon da gewesen und habest ihn nicht angetroffen; hernach bring' ihn mit und sage der gnädigen Frau, du habest gewartet, bis er nach Hause gekommen sey, oder so was; sie wird nicht so genau nachfragen. Aber das sag' ich dir, Maritorne, mein Täubchen! schäkre mir nicht mit ihm, siehst du? Meister Blas ist ein loser Kauz, der sich gern zutäppisch macht, und das will ich nicht haben, hörst du's? Sapperment, ich verstehe keinen Spaß, was das anbetrifft.Maritorne, welche nun wieder vollkommen getröstet war, sparte nichts, ihren Liebhaber über diesen Punkt zu beruhigen. Allein aus Besorgniß, die aufgehende Sonne zur Zeugin ihres Glücks zu machen, fand das getreue Paar endlich für rathsam, sich von einander zu trennen. Maritorne eilte zu dem Barbier und Jago schlich in größter Stille seinem Stalle zu, wo er auf halb verfaultem Stroh und einem Paar alten Mauleseldecken, neben zwei oder drei Gespenstern von ehmaligen Pferden, in Ermanglung eines bessern sein Lager zu haben pflegte.Es war ungefähr Morgens um sechs Uhr, als Donna Mencia erwachte. Das Verlangen nach dem glücklichen Zeitpunkte, von welchem sie, kraft der hohen Meinung, die sie von ihren Reizungen hatte, sich eine angenehmere Art zu erwachen versprach, erinnerte sie an den Anstoß, den ihr Neffe gestern gehabt hatte, und der ihre Sehnsucht mit höchst beschwerlichen Verzögerungen bedräute. Sie stand auf, warf einen Schlafrock um sich und lief gerade nach seinem Zimmer, um zu sehen, wie er die Nacht zugebracht hätte. Sie riß (wie man denken kann) ein paar große Augen auf, da sie weder von dem Herrn noch von dem Diener die geringste Spur antraf. Nachdem sie ihn allenthalben, wo er zu suchen war, vergeblich gesucht hatte, rief sie das ganze Haus zusammen und setzte Jedermann durch die Nachricht, daß der junge Herr und Pedrillo unsichtbar geworden seyen, in die äußerste Bestürzung. Diejenigen allein, welche jemals geliebt haben, wie Donna Mergelina liebte, können sich den Schmerz vorstellen, der bei einer so unverhofften Zeitung ihre zärtliche Brust zerriß. Sie würde, die gute Seele! ohnmächtig hingesunken seyn, wenn ihr nicht der Arm ihres besorgten Oheims und das englische Salz der präsumtiven Tante noch in Zeiten zu Hülfe gekommen wären. Man hörte eine gute Weile nichts als Jammern und Wehklagen: allein Frau Beatrix, die schon seit geraumer Zeit sehr ernsthafte Absichten auf Pedrillo hatte und sich schmeichelte, keinen kleinen Antheil an seinem Herzen zu haben, wollte nichts davon hören, daß sie entlaufen seyn sollten. Sie werden, sagte sie, irgendwo im Garten oder im grünen Lusthause seyn, wo Don Sylvio den Morgen öfters zuzubringen pflegt.Auf dieses Signal lief Jedermann in den Garten; man vertheilte sich auf alle Seiten, man durchsuchte alle Stauden und Hecken, und da man Niemand fand, so fing man wieder von vorn an. Maritorne, die inzwischen auch angelangt war, mischte sich nebst dem Barbier so herzhaft unter die Suchenden, als ob nichts vorgefallen wäre; denn sie hatte die Vorsicht gebraucht und, ungeachtet des Verbots ihres Liebhabers, sich des Barbiers durch einige kleine Gefälligkeiten versichert, wodurch sie den Vortheil, ungezankt durchzuwischen, nicht zu theuer zu erkaufen glaubte. Es fehlte also nicht an Suchern, aber man fand darum nichts mehr; und nachdem man sowohl den Garten als den Park und einen Theil des angrenzenden Holzes bis gegen den Mittag durchsucht hatte, so sah man sich endlich gezwungen, unverrichteter Dinge in das Schloß zurückzukehren, wo Donna Mencia alle Anwesende in einen großen Saal zusammenberief, um sich über einen so unvermutheten und höchst betrübten Vorfall zu berathschlagen. Man warf tausenderlei Fragen mit ein Mal auf; eine jede Person hatte ihre besondern Vermuthungen und Vorschläge, und weil alle zugleich redeten, so wurde der Lärm so groß, daß Niemand sein eigenes Wort hören konnte: bis endlich das Ansehen des Herrn Rodrigo, wiewohl nicht ohne Mühe, so viel vermochte, daß, nach vorhergehendem allgemeinem Stillschweigen, eine Person nach der andern ihre Meinung sagen sollte. Alle nur ersinnliche Möglichkeiten wurden erschöpft, und insonderheit thaten Herr Rodrigo, der ein starker Dialektikus war und eine treffliche Baßstimme hatte, und Meister Blas, der Barbier, der wegen der Geläufigkeit seiner Zunge Obermeister seiner ganzen Zunft zu seyn verdiente, sich so sehr hervor, daß die Session sich über zwei Stunden nach Mittag hinauszog. Allein, wie es darum zu thun war, daß die Stimmen gesammelt, und der Schluß angezeigt werden sollte, gab es wieder einen neuen Tumult; ein Jedes behauptete seine Meinung, und erst, nachdem sich die Dame Beatrix und der Barbier alle nur ersinnliche Mühe gegeben hatten, die Ruhe wieder herzustellen, wurde man endlich des Resultats einig, "daß man nicht begreifen könne, wo sie hingekommen seyn möchten." Weil nun die Glocke eben zwei schlug, und Jedermann hungerte, so wurde einhellig für gut befunden, "daß man vorerst zu Mittag essen, hernach aber in einer zweiten Session untersuchen wolle, was nunmehr in der Sache zu thun seyn möchte."Der spanische Autor, der im Gefolg eines bekannten Ministers seiner Nation sich einige Jahre in Deutschland aufgehalten, nimmt sich die Freiheit, bei dieser Gelegenheit sich über gewisse kleine deutsche Republiken lustig zu machen, von denen er beobachtet haben will, daß die Berathschlagung im Saale der Donna Mencia eine natürliche Copie der Art und Weise sey, wie man in selbigen die öffentlichen Angelegenheiten zu behandeln pflege. Man muß gestehen, daß die Anekdoten, die er davon beibringt, nicht sehr geschickt sind, die republicanische Verfassung anzupreisen. Allein von einem Spanier, dessen ganze Freiheit darin besteht, daß er das Recht hat, mit zwei oder drei Brillen auf der Nase und mit verschränkten Beinen vor seinem Hause zu sitzen, sich die Zähne auszustochern und so viel Grillen zu fangen, als ihm beliebt, ist freilich nicht zu erwarten, daß er die Gebrechen der politischen Freiheit im gehörigen Verhältniß mit ihren Vortheilen betrachte. Und wie sollte er, der von der vermeinten Erhabenheit seiner Nation und von der Größe seines Königs verblendet ist, die Beobachtung machen können, daß oft mehr Geschicklichkeit erfordert wird, die verwickelten Triebräder eines kleinen Staats von freien Menschen zu regieren, als einer halben Welt von Sklaven zu befehlen? Man weiß, wie weit auch in diesem Stücke die Vorurtheile gehen; und wenn Don Ramiro von Z** uns andern kleinern Republicanern in der Berathschlagung zu Rosalva einen Spiegel vorzuhalten meine, so können wir ihm vielleicht Beispiele aus der Geschichte großer Monarchien entgegen halten, wo nach einer Menge von geheimen Conferenzen zuletzt doch der Einfluß eines Kammermädchens, eines Musico oder Hofnarren die vereinigte Weisheit von einem paar Duzend spanischen Mänteln und langen Perrücken überwogen hat.Dem sey indessen, wie ihm wolle, so wird hoffentlich Niemand dem Herausgeber übel ausdeuten, daß der patriotische Geist, wovon er beseelt ist, ihm nicht erlaubt hat, eine Stelle zu übersetzen, welche von den Neidern der republicanischen Glückseligkeit nicht wenig hätte gemißbraucht werden können. Die Rücksicht auf unser Vaterland ist eine Pflicht, die sich bis auf unsre kleinsten Handlungen erstreckt; und wenn nur derjenige den Namen eines guten Bürgers verdient, der mit dem gegenwärtigen Zustande des gemeinen Wesens zufrieden ist; so wird man den Abscheu nicht tadeln können, welchen man in kleinen Freistaaten gegen Alles, was nur von fern die Miene einer politischen Satire hat; mit so großem Rechte zu bezeigen gewohnt ist. Fern sey es also von uns, die stolze Ruhe und den süßen Schlummer, worin unser Vaterland liegt, nur einen Augenblick zu unterbrechen! Don Ramiro mag beobachtet haben, was er will, wir hüllen uns in unsern Patriotismus ein, beißen die Zähne zusammen und sind zufrieden.
—————

Sechstes Capitel

Unterredung beim Frühstück. Eifersucht des Don Sylvio.

Wir haben unsere Abenteurer — denen die kluge Langsamkeit, die bei den Berathschlagungen zu Rosalva präsidirte, sehr wohl zu Statten kam — in einem Gehölze verlassen, wohin sie sich vor der Sonne zurükgezogen hatten. Sie waren noch nicht lange unter den Bäumen fortgegangen, als Pedrillo seinem Herrn vorstellte, wie, nach der Meinung des Asklepiades und anderer berühmter Naturkündiger, zu glücklicher Fortsetzung einer Reise nichts dienlicher sey, als des Morgens — ein gutes Frühstück zu sich zu nehmen. Weil nun Don Sylvio nichts Erhebliches dagegen einzuwenden hatte, so suchte Pedrillo einen bequemen Platz, wo sie sich setzen konnten, packte seinen Zwerchsack aus und brachte eine große Pastete zum Vorschein, welche Frau Beatrix zu einem ganz andern Gebrauche von Xelva mitgebracht hatte.Gelt, gnädiger Herr, sagte Pedrillo, ich seh' es Ihnen an, Sie wundern sich, wie ich zu dieser Pastete gekommen bin? — Die arme Frau Beatrix! Sie wird ein Paar mächtig große Augen machen, wenn sie sehen wird, daß der Vogel ausgeflogen ist. Aber da sehn sie doch, was es ist, wenn man sich mit den Leuten zu begehen weiß; wenn ich nicht etwas bei Frau Beatrix gälte, so könnten wir jetzt mit einem Stück Brod und einer Hand voll Haselnüsse vorlieb nehmen.Sie hat dir doch die Pastete nicht selbst gegeben? sagte Don Sylvio."Das eben nicht; aber, wie sie gestern Abend in das Proviantgewölbe ging, winkte sie mir, daß ich mit ihr gehen sollte, und da schwatzten wir eine Weile zusammen, und da wollt' ich ihr, mit allem Respect vor Euer Gnaden, einen Kuß stehlen (denn das hab' ich von unserm alten Pfarrer selbst gehört, daß ein Kuß in Ehren keine Sünde ist), aber sie drehte den Kopf so geschwinde zurück, daß ich ihren Mund um ein paar Handbreiten verfehlte; aber meiner Six! ich verlor nichts dabei; ich kam gerade auf ein Fleckchen, wo ihr Halstuch ein wenig offen war, und ich versichere Euer Gnaden, es war weicher als Pflaum und so weiß wie Marzipan. Freilich schmählte sie mich tüchtig aus, wie Sie leicht denken können; sie gab mir, glaub' ich, gar eine kleine Ohrfeige oder so was; aber ich besänftigte sie bald wieder, und da gab sie mir zum Zeichen ihrer Versöhnlichkeit dieses Stück eingemachten Cedrat, und da schäkerten wir noch eine gute Weile mit einander; denn Gelegenheit macht Diebe, und Frau Beatrix ist nicht halb so spröde, als sie aussieht. Wenn sie schon nicht dergleichen thut, so hat sie's doch gern, wenn man ein wenig mit ihr haseliert, das kann mir Euer Gnaden auf mein Wort glauben. Bei dieser Gelegenheit zeigte sie mir die Pastete und andere Sachen, die sie für unsere Gäste von Xelva mitgebracht hatte, und da warf ich gleich ein Aug' auf die Pastete; aber, wie ich zu ihr gekommen bin, das hätten Sie mir gewiß nicht zugetraut. Sehen Sie, Herr Don Sylvio, ich bin gewiß ein ehrlicher Kauz; aber dumm bin ich nicht, und Euer Gnaden zu Liebe wollt' ich, Gott verzeih mir's! dem Papst zu Rom seine Pantoffeln stehlen, wenn es seyn müßte.Und wie hast du es denn gemacht? fragte Don Sylvio; denn sie wird doch den Schlüssel zum Gewölbe abgezogen und zu sich genommen haben.Das ist es eben, sagte Pedrillo; aber man findet für Alles Rath, nur für den Tod nicht. Wie Alles im Hause schlief, schlich ich mich an ihre Kammer, legte das Ohr ans Schlüsselloch und lauschte, und wie ich hörte, daß sie schnarchte, so machte ich die Thüre ganz leise auf und schlich auf den Zehen an ihr Bette; aber es war so dunkel in der Kammer, wie in einer Kuh. Da tappte ich so lange herum, bis ich den Bund Schlüssel fand, den sie immer an ihrem Gürtel zu tragen pflegt; da nahm ich die Schlüssel und schlich so sachte davon, wie die Katze aus dem Taubenschlage. Nun wissen Sie das ganze Geheimniß, denn, wie ich einmal die Schlüssel hatte, so war die Pastete mein. Sapperment, ich sackte ein, daß es eine Lust war! Und damit Sie sehen, daß ich nichts vergessen habe (fuhr er fort, indem er eine Flasche aus dem Zwerchsack hervorzog), so kosten Sie einmal diesen Alicantenwein, und wenn er nicht so gut ist, daß er einem bis in die Fingerspitzen wohl thut, so will ich meiner Lebtage mit den Gänsen trinken!Hier machte Pedrillo eine starke Pause; aber seine Kinnbacken arbeiteten nichts desto weniger, ob er gleich zu reden aufhörte, und er hielt sich so wohl, daß die Pastete in kurzer Frist um ein gutes Drittel leichter wurde. Er vergaß nicht, auch der Flasche auf Gesundheit der Frau Beatrix fleißig zuzusprechen, und wurde nach und nach so lustig, daß er zu pfeifen und zu singen anfing. Heisa! rief er, indem er die Flasche in die Höhe hielt, es leben die Feen und die bezauberten Prinzessinnen! Beim Element! es ist ein wahrer Spaß, auf der Feerei herum zu wandern; aber es gehört ein wohlgespickter Zwerchsack dazu, das muß wahr bleiben! — Nun wie? gnädiger Herr, was fehlt Ihnen? Sie sind ja gar nicht aufgeräumt? Sie essen und trinken ja nichts? Was soll das seyn? Heysa! der Henker hole die Grillen! Lustig, weil wir ledig sind! wer weiß, wenn es uns wieder so wohl wird; es wird immer Zeit zum Kopfhängen seyn, wenn der Vadus mecus und die Flaschen leer sind.Mein guter Pedrillo, sagte Don Sylvio, sey du immer lustig, so gut du kannst, und gib auf mich nicht Acht; ich gönne dir deinen fröhlichen Muth von Herzen: du würdest nicht so fröhlich seyn, wenn du an meiner Stelle wärest. "Und warum das, gnädiger Herr? was ist Ihnen denn schon wieder über die Leber gekrochen?"Ach! Pedrillo, versetzte der junge Ritter, wie sollt' ich vergessen können, wie weit ich noch vom Ziele meiner Wünsche entfernt bin, und was für Hindernisse, ach vielleicht unübersteigliche Hindernisse! ich noch vor mir finden werde? Ich versichere dich, wenn die Versprechungen der Fee Radiante mir nicht den Muth erhielten, die Gedanken, die mich in diesem Augenblike quälen, wären fähig, mich zur Verzweiflung zu treiben.Da sey Gott vor und unsre liebe Frau von Guadeloupe! rief Pedrillo. Sie machen einem ja recht bange. Aber, wenn es denn doch nur Gedanken sind, so jagte ich sie fort, wenn ich Euer Gnaden wäre. Zum Henker, das heißt ja sich selber quälen. Sehen Sie, gnädiger Herr, wenn ich gesund bin, und mir nichts weh thut, und ich zu essen und zu trinken habe, so bin ich lustig, wie der Vogel auf dem Zweige, und bekümmere mich nicht eine hohle Nuß darum, ob es morgen Regen oder schön Wetter geben wird.Sag mir einmal, erwiederte Don Sylvio mit einem tiefen Seufzer, wie kann ich aufgeräumt, ja, wie kann ich nur ruhig seyn, solange meine geliebte Prinzessin in der Gestalt eines Sommervogels herum irret; in einer Gestalt, die vielleicht unter allen möglichen für meine Liebe die gefährlichste ist!"Gefährlich, sagen Sie, gnädiger Herr? das begreif' ich nicht, was an einem Sommervogel Gefährliches seyn kann; denn Sie sagten ja, daß sie von den Krähen und Dohlen nichts zu besorgen habe."Die Fee schmeichelte mir zwar, fuhr Don Sylvio fort, daß die Prinzessin mich liebe; aber wer versichert mich, daß eine Neigung, die gewissermaßen die Frucht eines einzigen flüchtigen Augenblicks war, gegen die Nachstellungen aushalten werde, die ihrem Herzen —Je, zum Deixel, unterbrach ihn Pedrillo, reden Sie im Schlafe; gnädiger Herr? Die Gestalt eines Sommervogels soll eine gefährliche Gestalt seyn, und Sie fürchten sich vor den Nachstellungen, womit man, solange sie ein Schmetterling ist, ihrem Herzen nachstellen wird! — Hab' ich in meinem Leben so was gehört? — Es scheint, meiner Six, wohl, daß verliebt und nicht gescheidt seyn ein Ding ist. — Eifersüchtig! Sie müßten also auf die Sommervögel eifersüchtig seyn, die ihr in dieser Gestalt zu nahe kommen könnten? Verzweifelt! was das für ein schnakischer Einfall ist! Hi, hi, hi! Auf einen Sommervogel eifersüchtig! hi, hi! Das kommt ja gerade so heraus, als wenn Sie zum Voraus auf einen Floh eifersüchtig seyn wollten, der sich die Freiheit nehmen könnte, an ihrem Unterröckchen hinauf zu hüpfen, wenn sie wieder eine Prinzessin ist.Höre, Pedrillo, mein Freund, versetzte Don Sylvio sehr ernsthaft, ich merke schon lange, daß du gern den Spaßvogel machst; aber laß dir einmal für allemal gesagt seyn, daß nichts unerträglicher in der Welt ist, als Leute, die zur Unzeit spaßhaft sind. Sage mir einmal, hast du die Geschichte des Blätterprinzen oder des Prinzen von der Insel des ewigen Frühlings gelesen?Des Blätterprinzen? Nein wahrlich, gnädiger Herr, antwortete Pedrillo, den kenn' ich nicht; das ist das erste Mal, daß ich seinen Namen höre.Du kennst also, fuhr Don Sylvio fort, die Insel der Papillons auch nicht? —"Die Insel der Papillons? Das ist ja so viel, als wenn einer sagte, die Insel der Sommervögel?"Gewissermaßen, antwortete Don Sylvio. Du mußt also wissen, daß diese Papillons eine Art von geflügelten Genien sind, an Gestalt und Schönheit den Liebesgöttern oder kleinen Sylphen ähnlich und von ungemein verliebter Natur; aber so flüchtig und unbeständig, daß sie immer von einem Gegenstande zum andern flattern. Kaum hat ein solcher Pavillon einer Schönen eine ewige Treue geschworen, so eilt er schon, um einer andern zu sagen, daß er noch nichts geliebt habe als sie; kurz, der nämliche Tag, ja oft die nämliche Stunde sieht ihre Flammen entglimmen, brennen und erlöschen, und ihre Liebe ist nicht so bald glücklich, so ist sie nicht mehr."Das ist mir eine närrische Art zu lieben! Sie können also reden, diese Papillons?"Ich sage dir ja, daß es keine gemeine Papillons, sondern eine Art von Sylphen sind, welche, nach dem Bericht eines gewissen arabischen Naturkündigers, aus der verstohlnen Liebe einer gewissen Sylphide zu einem jungen Faun entsprungen seyn sollen. Die überirdische Schönheit, die immerwährende Jugend und die ätherische Behendigkeit, womit sie begabt sind, haben sie von mütterlicher Seite her, so wie sie von der väterlichen ihre Art zu lieben, ihre Verwegenheit und ihren Unbestand geerbt haben.Ha, ha! Nun besinn' ich mich, rief Pedrillo, gut, gut! Nun weiß ich, was Euer Gnaden meinen thut! Ich habe ja in dem großen Gemälde, das in der gnädigen Frau ihrem Cabinet hängt, solche geflügelte Bübchen, wer weiß wie oft, gesehen! Sie kennen es ja; es stellt die Liebe des Florus und der Zephyra —"Umgekehrt, Herr Pedrillo, du willst sagen, des Zephyrus und der Flora."Ja, ja, so wollt' ich's eben sagen, des Florus und der schönen Zephyra vor. Sie ist in der That schön, meiner Six! Ich hatte nie das Herz, es recht anzuschauen; denn unser Herr Pfarrer sagt, es sey Sünde, wenn man so was anschaue. — Aber ich weiß doch wohl, was ich weiß! Der hat gut sagen, der allein reden darf! Unter uns, gnädiger Herr, der gute Herr Pfarrer ist eben auch nicht von Stahl und Eisen; er thäte vielleicht nicht übel, wenn er sich selber ein wenig bei der Nase nehmen wollte. Sollten Sie wohl errathen, bei wem ich ihn neulich von ungefähr (denn, gewiß! mit Willen geschah es nicht) antraf? — Bei der dicken Maritorne! — Er betete gewiß das Pater nicht mit ihr, das können Sie mir glauben! Ich mag nicht reden! Wenn es weiter käme, so könnte sich einer die Zunge verbrennen, daß einer wünschte, er hätte keine Augen im Kopfe gehabt — Ich will nur so viel sagen, gnädiger Herr, Sie dürfen mir gewiß glauben, daß es wahr ist; aber das sag' ich, ich gesteh' Ihnen kein Wort ein, wenn es weiter käme; nein, hol' mich Gott! nicht auf der Folter! Meiner Six, es ist nicht gut, wenn man von solchen Herren zu viel weiß; Sie verstehen mich wohl —Genug hiervon, sagte Don Sylvio erröthend, ich will nichts weiter wissen — Aber was wolltest du von dem Gemälde sagen?"Ja, von dem Gemälde, wenn ich mich's jetzt noch besinnen kann — Ha! nun fällt mir's ein! Ich sagte, und ich will nicht ehrlich seyn, wenn's nicht wahr ist! ich getraute mir nie, daß ich's recht angesehen hätte. — Es ist so vorgestellt, als ob sie bade, und da kann Euer Gnaden leicht denken, weil sie halter meint, daß sie allein sey, und es mitten im Sommer ist —kurz und gut, sie hat, mit Gunst zu sagen, keinen Lappen am Leibe, nicht einmal eine Bad-ehre; und da ist ihr Liebhaber, der Florus, auf einer Wolle vorgestellt und sieht so ernsthaft auf sie herab, als ob er sie mit den Augen aufessen wolle, und da flattern eine ganze Menge von diesen kleinen Bübchen mit Schmetterlingsflügeln um ihn her und werfen einander mit Rosen."Gut, gut, sagte Don Sylvio: du mußt aber wissen, daß diese Papillons durch die Gewalt einer Bezauberung, welche Amor, dessen Unwillen sie sich zugezogen, auf sie legte, ihre Gestalt verlieren, sobald sie sich über die Insel erheben, wo sie geboren werden. Kurz, sie werden Schmetterlinge oder scheinen es doch zu seyn, da ihnen von ihrer eigenthümlichen Gestalt nichts mehr als die Flügel übrig bleiben. In dieser Gestalt mischen sie sich unter die wahren Schmetterlinge und bedienen sich ohne Scheu der Vorrechte, die eine Vestalin selbst sich kein Bedenken machen würde diesen kleinen unschuldigen Thierchen zuzulassen; und ihre unwiderstehliche Neigung zu Liebesstreichen hat sie, selbst in dieser Gestalt, schon öfters gefährlicher gemacht, als man denken sollte. Denn, da sie reden können —Reden? fiel ihm Pedrillo ein. Je, das muß ja überaus schnakisch heraus kommen, wenn's wahr ist, beim Velten! Ein redender Schmetterling! Ich möchte nur einen einzigen haben, der reden könnte; ich versichere Sie, ich wollte in vier Wochen so viel Geld mit ihm gewinnen, daß ich mir ein kleines Königreich dafür kaufen könnte. Aber nun merk' ich endlich, warum Euer Gnaden nicht recht wohl bei der Sache ist. Sie haben wahrlich so unrecht nicht! Ein Papillon, der reden kann, der ein Sylphe ist und, eh man sich's versieht, sich in einen schönen krauslockigen Buben verwandelt, potz Wetter; das ist kein Spaß nicht! Es ist doch immer eine Möglichkeit, daß die Prinzessin in Bekanntschaft mit einem von diesen bunten Teufelchen kommen könnte; und dann setzen sie sich mit einander auf einen Strauch und schwatzten eins, solang der Tag wäre; und dann gibt eine Rede die andere, sagte das Bauermädchen, und dann rückt man unvermerkt immer näher und näher zusammen, und dann — Sie verstehen mich, ich will nicht sagen, was weiter geschehen könnte. Aber wir sind alle Menschen, und es käme nur darauf an, daß das arme Ding einen Augenblick vergässe, das sie Euer Gnaden Liebste ist, so würden wir ein schönes Spiel sehen.Wenn ich nicht wüßte, rief Don Sylvio entrüstet, daß du selbst nicht weißt, was du plauderst, du solltest mir die tolle Frechheit, womit du dich erkühnst, die Tugend meiner unvergleichlichen Prinzessin anzuschmitzen, mit jedem Tropfen deines dummen Ochsenbluts bezahlen.Ich bitte Euer Gnaden tausendmal um Verzeihung, sagte Pedrillo, indem er etliche Schritte zurück sprang; ich will gehangen seyn, wenn ich es so böse gemeint habe, als Sie es aufnehmen; Sie erzürnen sich aber auch gleich, wenn ich nur ein Wörtchen sage. Man kann doch einen Pelz nicht waschen, ohne ihn naß zu machen, sapperment! Entweder Sie sind eifersüchtig oder nicht; sind Sie's, so müssen Sie doch eine Ursache dazu haben, und wenn Sie keine Ursache haben, je, zum Geier, was machen Sie mit der Eifersucht?Wenn ich eifersüchtig bin, wie du es nennst, versetzte Don Sylvio, so bin ich es bloß über ihr Herz; nicht als ob ich besorgte, daß sie fähig wäre, einen Schritt zu thun, der ihre Tugend verdächtig machen könnte. Sie ist für mich bestimmt, dafür hab' ich das Wort der Fee Radiante und die Prinzessin weiß es, daß sie die Meinige werden soll. Ich bin also ihrer Person gewiß und ich würde mich selbst verachten, wenn nur der Schatten eines Argwohns gegen ihre Ehre in meine Seele kommen könnte. Unsere Person ist allezeit in unserer Gewalt; aber unsere Empfindungen sind es nicht: ein Andrer könnte ihr Herz besitzen, indem ich nichts als der Besitzer ihrer Schönheit wäre.Ich will nicht ehrlich seyn, Herr Don Sylvio, fiel ihm Pedrillo ein, wenn ich verstehe, was Euer Gnaden damit meint! Beim Element! wenn ich die Person habe, so hab' ich ja auch das Herz der Person, und wenn ich das Herz habe, so hab' ich auch die Person, der es angehört, das geht ja nie ohne einander. Sehen Sie, ich verstehe mich nichts auf Ihre Destillationen; aber ich sage so viel: wenn ich eine Frau hätte, die mich nicht von Herzen lieb hätte, so würde mir die Stirne verzweifelt jucken, wenn sie gleich die Tugend selbst wäre. Wer einmal das Herz eines Weibsbilds hat, sehen Sie — Sachte! was für ein Geräusch war das? Hörten Sie nichts, gnädiger Herr?Nein; was hörtest du denn?"Es war ein Geräusch dort von jener Seite her, aus dem Gebüsche."Es ist vielleicht ein Vogel gewesen."Der Himmel gebe nur, daß es kein Raubvogel sey, gnädiger Herr! — Jetzt ist es wieder ganz stille — Und, was wollt' ich sagen? Wir sprachen von Ihrer Eifersucht; ja, und da sagt' ich — Es rauscht schon wieder — Heiliger Schutzengel! was kommt da? — Gott sey bei uns! — eine Zwergin! eine Unholdin!"Still, du feige Memme, lispelte ihm Don Sylvio zu, der jetzt sah, was den guten Pedrillo in einen so großen Schreien setzte; es ist, wie ich sehe, eine Fee.Eine Fee, sagen Sie? Ja, von den Feen, die auf der Gabel zum Schornstein hinaus fahren! Meiner Treu! sie sieht einer Hexe ähnlicher, als eine Taube ihrem Tauber.Halt' ein mit dergleichen Reden, Pedrillo; es ist möglich, daß es eine von meinen guten Freundinnen ist! Die schönsten Feen pflegen zuweilen in Gestalt häßlicher alter Weiber zu erschienen, um zu sehen, wie man ihnen in dieser Gestalt begegnet.Ha! nun seh ' ich erst, was es ist, rief Pedrillo; ha, ha, hi, eine Zigeunerin ist es, gnädiger Herr. Sehen Sie sie nur recht an, es ist eine Zigeunerin, das ist keine Frage. Sie kommt eben recht, sie soll uns unser gutes Glück sagen.Nimm dich in Acht, Pedrillo, flüsterte Don Sylvio, es ist eine Fee, sag' ich dir; wenigstens ist es doch möglich, daß es eine ist und in solchen Sachen ist's immer besser, man geht den sichersten Weg; sie mag nun seyn, was sie will, so wollen wir ihr doch als einer Fee begegnen, so wagen wir nichts dabei.Unter diesen Reden näherte sich ihnen die vermeinte Fee, welche in der That weder mehr noch weniger als eine alte bucklige Zigeunerin war, die nicht ohne Ursache in dieser Gegend herum spuckte und zum wenigsten eben so betroffen war, als unser Wanderer, da sie eines jungen Menschen von so edlem Ansehen, als Don Sylvio, in diesem Gehölz und in einem solchen Aufzug ansichtig wurde.
—————

Siebentes Capitel

Abenteuer mit der Zigeunerin.

Sobald die Zigeunerin näher gekommen war, stand Don Sylvio vor ihr auf, grüßte sie sehr höflich und fragte: ob er etwas zu ihren Diensten thun könne?Heilige Barbara! rief sie aus; was macht ein so schöner junger Herr in diesem Walde? Habt Ihr Euch etwa verirrt, oder sucht Ihr vielleicht —He! Frau Zigeunerin, unterbrach sie Pedrillo nicht so vorwitzig! Haben wir Euch doch auch nicht gefragt, was Ihr sucht! — Wer sagt Euch —Schweig, ungezogener Tölpel, rief Don Sylvio, indem er einen zürnenden Blick auf ihn warf. — In der That, meine liebe alte Mutter, Ihr könntet Euch wundern, was ich hier mache, wenn Ihr nicht, wie es scheint, schon vorher wüßtet, was ich suche.Hey da! Großmutter (sagte Pedrillo, dem der Alicantenwein ein wenig in den Kopf gestiegen war), Ihr könnt ja wahrsagen, nicht so? Seht ihm einmal in die Hand und sagt mir, ob er eine glückliche Physonomie habe?Ich brauche seine Hand nicht dazu, erwiederte die Alte, das seh' ich ihm an den Augen an. Gelt, junger Herr mit dem glatten Jungfergesichtchen, so jung Ihr seyd, so wißt Ihr doch schon, was die Liebe ist? hi, hi, hi, Ihr werdet roth! hab' ich's errathen?Zum Henker, sagte Pedrillo, das seht Ihr ihm an den Augen an, Mütterchen? So seht Ihr gewiß auch, daß die Prinzessin, die er liebt, ein Sommervogel ist, he?Ein Sommervogel? rief die Zigeunerin aus, hi, hi, hi! Ein guter Einfall! Ich glaub' es bei meiner Redlichkeit! daß sie ein Sommervogel ist — Ist er schon flicke, junger Herr, hat er schon Federn? hi, hi! Ich verstehe mich auch ein wenig auf diese Art von Sommervögeln, ich; ich weiß die Zeit, da ich zu Sevilla ihrer eine hübsche Anzahl in meinem Käficht hatte, das könnt Ihr mir glauben! Aber es scheint, er ist Euch ausgeflogen, weil Ihr ihn sucht?Es däucht mich fast, alte Mutter, sagte Pedrillo, Ihr wißt mehr von der Sache, als wir selbst. Aber ich bitte Euch, weil Ihr in seinen Augen so viel gesehen habt, so werdet Ihr in seiner Hand noch mehr sehen, das hab' ich mein Tage gehört. Jhre Hand, gnädiger Herr, wenn Sie so gut seyn wollen! Seht einmal, Mütterchen, was sagt Ihr zu diesen Ligamenten.Meiner Treu! rief die Zigeunerin, eine feine weiße Hand! Höret, mein schöner Herr, wenn Ihr einen blanken Thaler in diese schöne Hand legt, so will ich Euch wahrsagen, daß es eine Lust seyn soll.Einen Thaler? sagte Pedrillo. Potz Herrich, Gevatterin! ich glaube, du hast noch nicht ausgeschlafen. Einen ganzen Thaler! Wenn du noch einen Real gesagt hättest, das ließe sich endlich wagen; denn wir haben's eben nicht so nöthig, daß du uns wahrsagest, verstehst du mich; wir wissen doch schon, was wir wissen.Das ist noch die Frage, antwortete die Alte: wer weiß was geschehen kann! Es ist noch nicht aller Tage Abend, und so viel ich merke —Hier ist der Thaler, meine gute Mutter, sagte Don Sylvio: kehret Euch nicht an das alberne Geschwätze dieses Burschen hier! Er ist eine gute Art von einem Jungen, aber er weiß oft selbst nicht, was er sagt; man muß ihm nichts übel nehmen,Junger Herr, antwortete die Zigeunerin, Ihr habt so gute Manieren, daß ich Euch wohl mehr zu Gefallen thun wollte, als das, was ich noch wäre, was ich vor Zeiten war. Bei St. Jago! ich hatte auch meine Zeit, das könnt Ihr mir glauben! Man wird von langem Leben alt, wie Ihr seht; aber ich erinnere mich der Zeit noch wohl, da ich die artige Zigeunerin hieß, und da sich die jungen Herren von Toledo um die Ehre rauften, mir Ständchen zu bringen; ich machte meiner Treu! eine Theurung in den Saiten, so viele Guitarren und Lauten wurden mir zu Liebe zersprengt! Da regnete es Sonette! — und Pistolen auch, das versichre ich Euch!Gut, gut, sagte Pedrillo ungeduldig: wir bekümmern uns viel um die Ständchen, die man Euch vor hundert Jahren gebracht hat, als der Teufel noch ein kleiner Junge war, und Ihr Eure Zähne noch im Maule hattet. Zur Sache, wenn ich bitten darf! Ihr habt nun unsern Thaler, wir wollen jetzt auch von Eurer Waare haben. — Ihre Hand, gnädiger Herr!"Nur noch einen einzigen kleinen Thaler, mein schöner junger Herr, so will ich Euch wahrsagen, daß Ihr's nicht besser wünschen sollt."Hier ist er, sagte Don Sylvio, indem er ihr, so sehr auch Pedrillo murrte, den Thaler auf seiner Hand darbot."Eine hübsche Hand, wie ich sagte, eine feine glückliche Hand, junger Herr. Hi, hi, hi, sagt' ichs nicht? Du bist verliebt, Schätzchen, gelt? Das gute Kind! Du brauchst nicht roth zu werden, du hast das rechte Alter dazu; ach, es ist eine so hübsche Sache um die Liebe! Wie? lass' einmal sehen! In ein artiges kleines Mädchen bist du verliebt, in ein wunderartiges kleines Mädchen —"Getroffen, mein Seel! rief Pedrillo: in der That wunderartig und kleiner als eine Puppe."Noch ein junges Mädchen, sehr jung, ein wenig flatterhaft —Flatterhaft in der That, sagte Pedrillo, denn sie flattert über Stauden und Hecken, daß ihr der Henker nicht nachkommen kann —"Das wird sich Alles schon geben! Man wird alle Tage um einen älter. Sie liebt dich doch, nicht wahr?"Das ist es eben, fuhr der geschwätzige Pedrillo heraus, was wir gerne wissen möchten; denn wir haben so einen gewissen kleinen Argwohn, eine gewisse Suspection —Schweig' rief Don Sylvio: kannst du denn dein Maul nicht einen Augenblick halten?Daß sie einen Andern liebt? fuhr die Zigeunerin fort; das kleine schelmische Ding! einen Andern — das ist verzweifelt! Aber so sind die jungen Mädchen! wer ihnen Tändeleien und Liebkosungen vorsagt, verderbt seine Zeit gewiß bei ihnen nicht. Ja wohl! sie liebt einen Andern! Ich wette gleich, daß es einer von diesen kleinen süßen Herrchen ist, von diesen Papillons, die um alle hübsche Blumen herumflattern und auf keiner sitzen bleiben —Holla, Frau Zigeunerin, rief Pedrillo, da er sah, daß Don Sylvio bei diesen Worten so blaß wie eine Leiche ward: Ihr sagt mehr, als wir wissen wollen.Ich habe genug, sagte Don Sylvio, indem er seine Hand zurückzog: laß mich gehen, mein Unglück ist gewiß; sie hat es sogar in meiner Hand gelesen!Was hat das auf sich? unterbrach ihn Pedrillo wenn man es nur nicht an Ihrer Stirne liest. Hei da, Großmutter, wir wollen von was Anderem reden. Was sagt Ihr zu meiner Hand? Da sind zwei Realen, ich denke, dafür sollte sich schon was Hübsches sehen lassen.Bei meiner Treu, rief die Alte, nachdem sie ihm einen Augenblick in die Hand geguckt hatte, in was für einem Zeichen sind diese jungen Leute geboren? Ihr seyd ja so verliebt, wie die Meerschweinchen! Ei! da sind gleich fünf oder sechs Weiber an einem Stängel —"Fünf oder sechs Weiber? Ihr seyd nicht klug. Mädchen, wollt Ihr sagen: was wollt Ihr, daß ich mit so vielen Weibern anfangen soll?"Sie werden gewiß nicht abstehen, auf mein Wort, versetzte die Alte: was du nicht brauchst, ist gut für andre Leute. Du wirst dir doch nicht einbilden, daß du eine hübsche Fran für dich allein haben wollest? — Meiner Treu! ich sehe hier eine, die mir die Miene hat, als ob sie dir gute Freunde machen werde."Wie? was? Ihr setzt die Person, die ich jetzt im Sinne habe, in meiner Hand?"Ohne Zweifel."Das wollen wir doch sehen! Ist sie groß oder klein, alt oder jung, fett oder mager? Antworte mir einmal auf das, mein gutes Mütterchen!"Sie ist weder zu groß noch zu klein, weder zu alt noch zu jung und, was man sagen möchte, eher fett als mager; nicht wahr, es ist so?"Pestilenz! wie macht Jhr's denn, daß Ihr Alles das in meiner Hand sehen könnt? Seht Ihr denn auch die großen schwarzen Augen, die sie im Kopfe hat?"In der That, ein Paar hübsche schwarze Augen, ein Paar freundliche einladende Augen, das gesteh' ich! Schwarze Augen, schwarzes Haar und ein hübscher Mund voll perlenfarbner Zähne läßt gut zusammen."Beim Element! Ihr kennt sie ja so gut, als ich selbst. Aber weiter: einen Busen, he?"O! das versteht sich, wenn anders der Schneider —"Wie? der Schneider, sagt Ihr? Wahrhaftig, da kommt Ihr mir recht! Beim Element! es schneidert sich nichts, das könnt Ihr mir wieder nachsagen! Was das betrifft, so darf sie sich neben einer Infantin sehen lassen, sie mag seyn, wer sie will, das versprech ich Euch! — Und was sagt Ihr zu ihren Füßchen? Sind sie nicht niedlich? gelt? Und ein Paar Waden! — Ihr werdet sie vor dem Rocke nicht recht sehen können — aber Ihr könnt mir's sicher glauben, daß man sie nicht schöner drechseln könnte."In der That, du hast Recht, es ist ein hübsches, rundes, drolliges Ding; aber desto schlimmer für dich, mein Sohn!"Warum desto schlimmer?"O! das ist keine Frage! Du wirst es erfahren, denk' an mich, du wirst es erfahren, was es auf sich hat, eine hübsche Frau zu haben! Sie wird dir was aufsetzen, denk' an mich! sie wird dir was aufsetzen! mehr will ich nicht sagen.Ei, potz Gift! rief Pedrillo, ich denke, das ist genug gesagt. Sie wird mir was aufsetzen! Ihr wollt sagen, sie werde mir Hörner aufsetzen?Ich will eben nicht sagen Hörner, aber doch so was —so was — das die Stirne jucken macht, so — eine Art von Sprossen wenigstens. Kurz und gut, wenn du ein eigenes Haus kriegst, so lass' auf mein Wort die Thüren so doch machen, als du kannst; in dergleichen Umständen kann man nie zu vorsichtig seyn. — Aber ich verderbe hier meine Zeit; ich denke, ihr habt für euer Geld so viel gehört, daß ihr zufrieden seyn könnt; ich habe Geschäfte. Lebt wohl, meine Kinder, bis wir uns wieder sehen.Mit diesen Worten ging die Zigeunerin ihres Weges und ließ den guten Pedrillo in keiner geringen Verlegenheit, was er von ihr denken sollte. Zum Henker, rief er, indem er nach seinem Herrn lief, der sich in großem Unmuth unter einen Baum geworfen hatte. — wenn diese alte bucklige Hexe keine Fee ist, wie Euer Gnaden sagte, so red't der böse Feind leibhaftig aus ihr. Das ist einmal gewiß, daß es mit ihrer Wahrsagerei nicht natürlich zugeht. Wie konnte sie wissen, daß Sie in eine Prinzessin verliebt sind, und daß die Prinzessin ein Papillon ist? Und hat sie mir nicht die Frau Beatrix so natürlich beschrieben, als ob sie die Mutter wäre, die sie geboren hat? Und doch ist gewiß, daß sie uns heute zum ersten Mal sieht. Was sagen Sie hierzu, gnädiger Herr? Ich für meine Person gestehe, daß ich mich eher zum Gimpel sinnen würde, eh' ich aus all diesem verfluchten Zeuge klug werden könnte.Don Sylvio, der in tiefen Gedanken da gelegen und auf die Reden seines Reisegefährten keine Acht gegeben hatte, wachte jetzt auf einmal auf. Höre, Pedrillo, sagte er, ich will dir meine Gedanken von dieser Begebenheit sagen und bin gewiß, daß ich mich nicht betrüge. Aber wo ist die Zigeunerin hingekommen?"Verschwunden ist sie, gnädiger Herr, ich weiß selbst nicht wie! Ich guckte nur einen Augenblick auf die Seite, und, wie ich wieder herüber sah, weg war sie!"Ich gestehe dir, fuhr Don Sylvio fort, daß ich nicht gleich im Stande war, mich zu fassen, da sie mir die Untreue der Prinzessin anzukündigen schien. Anfangs nicht; denn du hattest es ihr aus Unbedachtsamkeit auf die Zunge gelegt; aber der Umstand, daß es ein Papillon sey, dem ich aufgeopfert werde, war eine zu starke Bestätigung meiner vorigen Besorgnisse, als daß ich hätte gelassen bleiben können. Allein, seitdem ich Allem, was sie sagte (denn ich erinnere mich noch eines jeden Worts), und dem Ton und der Miene, womit sie es sagte, besser nachgedacht habe, bin ich überzeugt, daß der verstellte Salamander, die Sylphide, mit der ich diesen Morgen reiste, und diese Zigeunerin eine und ebendieselbe Person sind, und daß alle diese Erscheinungen nichts als boshafte Kunstgriffe sind, wodurch meine Feinde mich von der Vollendung meines Vorhabens abzuschrecken suchen. Mit einem Wort, ich zweifle keinen Augenblick daran, daß diese Zigeunerin nichts Geringers als die Fee Carabosse selbst war. So viel ist gewiß, daß sie vollkommen die Gestalt hatte, welche die Geschichte dieser Fee beilegt; denn sie war klein, bucklig, schielend, triefaugig und ganz schwarzgelb im Gesicht. Dem sey, wie ihm wolle, ich bin fest entschlossen, mich durch alle diese Kunstgriffe nicht irre machen zu lassen. Nein, meine theure Prinzessin (fuhr er mit erhöhtem Ton der Stimme fort, indem er ihr Bildniß ansah und an seinen Mund drückte), nichts ist vermögend, die reine und unsterbliche Flamme zu ersticken, die deine göttliche Schönheit in meiner Brust entzündet hat! Auch kaltsinnig, auch unbeständig, auch ungetreu würde ich dich nicht weniger lieben. Aber verflucht sey der Gedanke, der dich mir ungetreu vorstellen will, nachdem die gütige Fee, die uns beschützt, mich deiner Zärtlichkeit versichert hat! Ach! vielleicht liegst du in diesem Augenblicke, fern von mir, in einer Einöde, wohin dein Schmerz oder das Verhängniß dich getrieben hat, im Schoß einer aufblühenden Rose verborgen und bethauest ihre duftende Brust mit deinen Thränen und jammerst, daß ich dich verlassen habe! — Himmel! ich sollte dich verlassen können? Nein, du süße Beherrscherin meiner Seele, der Tod selbst, in der furchtbarsten Gestalt, die ihm die Grausamkeit unserer Feinde geben kann, soll nicht verhindern, daß mein Schatten, von seiner unsterblichen Liebe beseelt, dich überall suche, dir überall nachfolge und, die Götter um ihre Sphären nicht beneidend, in deiner Brust sein besseres Elysium suche.Don Sylvio brachte diese pathetische Rede mit so vieler Lebhaftigkeit, mit einem so zärtlichen Tone der Stimme und mit so rührenden Bewegungen vor, daß dem armen Pedrillo, der mit offnem Maul und Augen zuhörte, die Thränen über die Backen herabrollten, ohne daß er wußte, wie ihm geschah.Bei meiner Treu, Herr Don Sylvio, rief er aus und wischte sich die Augen mit der Hand, Sie haben eine außerordentliche Gabe, einen weichherzig zu machen. Wie machen Sie's doch, daß Ihnen alle diese schönen Sachen einfallen, die Sie da sagten? Pestilenz! wenn Euer Gnaden ein Pfarrer wäre und auf der Kanzel so predigte, das setzte Zähren ab! Meiner Six, es gäbe ein Gewässer, daß man mit Nachen in der Kirche fahren müßte! Ich wollte was drum geben, wenn ich Alles hätte behalten können: aber ich habe mir doch die aufblühenden Rosen und den duftenden Schoß der Thränen und den unsterblichen Schatten gemerkt; und hernach brachten Sie auch den Ahasverus drein und etwas von der Liebe und von der heiligen Elisabeth — Sterb' ich, wenn ich begreife, wie Sie das Alles so haben zusammen bringen können! Aber, auf die Hauptsache zu kommen —Gut, gut, unterbrach ihn Don Sylvio, die Hauptsache ist, daß wir den blauen Sommervogel suchen müssen! Packe deine Sachen wieder zusammen und laß uns weiter gehen. Aber ich sehe hier mehr als einen Fußweg durch's Gehölze — wo ist Tintin? — Mich däucht, ich habe ihn schon etliche Stunden nicht gesehen.Die Frage war ein Donnerschlag für den Pedrillo, der sich jetzt plötzlich erinnerte, daß er den armen Tintin seit dem Abenteuer mit dem Froschgraben gänzlich aus der Acht gelassen hatte. Allein, da ihm zugleich beifiel, daß ihm sein Herr eine solche Nachlässigkeit nicht vergeben würde, so versicherte er ihn, daß er nicht weit gegangen seyn könne. Ich habe ihn diese ganze Nacht auf dem Arme getragen, setzte er hinzu, denn er war so müde, das arme kleine Ding! daß er sich nicht mehr rühren konnte, und er war diesen Morgen noch da, als die Zigeunerin kam; ich will ihn rufen, er wird sich nicht weit verlaufen haben.Pedrillo rief also, was er rufen konnte, und sein Herr half ihm rufen und suchen. Aber sie waren nicht glücklicher als die Argonauten, da sie den schönen Hylas suchten, den die Nymphen geraubt und in ihre Grotten unter die Wellen hinab gezückt hatten; die Suchenden durchstrichen den Hain und das Ufer und riefen: Hylas, Hylas! daß der Hain und die Ufer ertönten; umsonst, Hylas lag indessen in den Armen der schönsten Nymphe und hörte ihr Rufen nicht. So ging es auch hier, mit dem einzigen Unterschiede, daß Tintin in diesem Augenblike, anstatt am Busen einer schönen Nymphe zu ruhen, in den ledernen Armen der schwarzgelben Zigeunerin lag, welche ihn, bald nachdem sie von unsern Reisenden Abschied genommen, halb todt vor Mattigkeit auf der Spur seines Herrn gefunden und, weil er überaus klein und artig war, mit sich genommen hatte.Don Sylvio wurde über diesen neuen Unfall äußerst betrübt, und es fehlte wenig, so hätte er dießmal den Muth gänzlich sinken lassen. Pedrillo hatte keine Mühe, ihn zu bereden, daß Tintin von der Fee Carabosse gestohlen worden sey, aber eine desto größere, ihn von hundert tollen Entschließungen abzubringen, auf die er in seiner Verzweiflung verfiel.Vielleicht wäre dieß der Augenblick gewesen, da er seinem Herrn den Antrag hätte machen können, wieder umzukehren; allein seit der Conversation, die er mit der kalten Pastete und der Flasche Alicantenwein gehalten hatte, war wieder eine kleine Veränderung in seiner Denkungsart vorgegangen, und er dachte jetzt so wenig ans Wiederkehren, daß es ihm leid gewesen wäre, wenn Don Sylvio selbst davon angefangen hätte. Die Wahrheit zu sagen, so kam bei dem guten Pedrillo Alles auf die Umstände des gegenwärtigen Augenblicks an. Er dachte anders bei Nacht und anders an einem schönen Sommertage, anders in einem Wald, anders auf freiem Felde, anders in einem Froschgraben und anders nach einem guten Frühstücke. Pedrillo war in diesem Stück ein zweiter Seneca, und der ganze Unterschied zwischen ihm und einem Philosophen lag bloß darin, daß er sich keine Mühe gab, seine Widersprüche in einen Zusammenhang zu raisonniren. Er strengte also seine Beredsamkeit an, um seinen Herrn zu überreden, daß noch nichts verloren sey. Tintin wird sich wieder finden, eh wir's denken, sagte er, lassen wir nur die Frau Rademante dafür sorgen! Wer weiß, was sie für Absichten dabei hat, daß er weg ist! Man muß das Beste hoffen, gnädiger Herr, das Böse kommt von sich selbst. Einmal, die Fee, wenn sie Jhre gute Freundin ist, muß als eine brave Frau ihr Wort halten, wir müssen über lang oder kurz unsere Prinzessin haben, und damit Punctum!Dieser kräftige Zuspruch beruhigte das Gemüth unsers bekümmerten Helden wieder in etwas; und weil eine angenehme Luft, die von der Seeseite her den Wald durchstrich, die Wärme ziemlich mäßigte, so beschlossen sie, ihren Weg noch eine Zeit lang unter den Bäumen fortzusetzen.
—————

Achtes Capitel

Don Sylvio ermüdet sich über dem Suchen des blauen Schmetterlings und und schläft nach einer starken Feldmahlzeit ein.

Da die Absicht des Don Sylvio bei dieser wundervollen Wanderschaft ganz allein war, den blauen Sommervogel aufzusuchen, so kann man leicht denken, daß beinahe jeder Schmetterling, der ihm in den Weg kam, seine Aufmerksamkeit an sich zog,Dießmal schien es, nach Pedrillo's Beobachtung, nicht anders, als ob die Fanferluchen und Carabossen recht mit Fleiß alle Sommervögel der ganzen Welt zusammen getrieben hätten, um sie in diesem Gehölze herum zu sprengen! Aus jedem Busche flatterten ihrer ein halb Duzend hervor, und unser Ritter, der alle Augenblicke seine Prinzessin zu sehen glaubte, setzte sich in den Kopf, daß er nicht ruhen wollte, bis er sie erhascht hätte, Pedrillo mochte fluchen, wie er wollte, es half Alles nichts, er mußte seinem Herrn Gesellschaft leisten.Allein, nachdem sie ein paar Stunden lang wie die Unsinnigen hin und wieder gelaufen und so müde waren, daß sie sich kaum auf den Beinen halten konnten, so fand es sich, daß die verwünschten Schmetterlinge sie nur zum Besten gehabt hatten. Es waren ihrer so viele gewesen, daß man eine Sammlung in ein Cabinet davon hätte machen können; gelbe, rothe, weißgraue, feuerfarbne, aurorafarbne, bunte, getüpfelte, gestrichelte, pfauenaugige, kurz, Schmetterlinge von allen Farben und Arten. nur kein redender und keine Prinzessin.Herr Don Sylvio, rief endlich Pedrillo keuchend, indem er unter einen Baum hinsank, ich kann nicht mehr. Ich wollte, daß die Pestilenz unter alle Schmetterlinge käme, unsre Prinzessin ausgenommen; so hätten wir doch noch Hoffnung, sie zu finden. Denn das sag' ich rund heraus, wenn sich die Frau Rademante unser nicht besser annimmt als bisher, so geb' ich das Suchen auf.Pedrillo, mein Freund, antwortete Don Sylvio mit erstickter Stimme, ich bin so matt, daß ich mich nicht mehr rühren kann. Sieh doch, ich bitte dich, ob du nicht einen bequemen Platz zum Ausruhen findest; und wenn ich wieder reden kann, so will ich dir meine Gedanken sagen.Gehen Sie nur noch etliche Duzend Schritte weiter, sagte Pedrillo, wenn Sie anders noch so weit gehen können: ich sehe dort einen schönen grünen Platz, der gegen das Feld hinaus offen ist, dort hinter den Olivenbäumen; mich däucht, das sollte kein unfeiner Platz seyn.In der That fanden sie ihn, da sie hinzu kamen, noch anmuthiger, als er von fern geschienen hatte; denn es zog sich ein hohes Gebüsche von gelben und weißen Rosen auf der einen Seite um ihn her und machte eine Art von natürlicher Laube; und wo er offen war, hatte man eine Aussicht auf die schönsten Wiesen, von hundert schlängelnden Bächen durchschnitten, deren Rand, zu beiden Seiten mit fruchtbaren Bäumen besetzt, dem entzückten Auge das Gemälde eines Paradieses darstellte.Was für ein angenehmer Ruheplatz! rief Don Sylvio, dem dieser Anblick wieder den Muth erhöhte. Sollte man nicht denken, daß ihn irgend eine Nymphe oder Fee in diesem Augenblicke für uns habe entstehen lassen? Aber ich bitte dich, hole mir eine Flasche Wasser aus der Quelle, die dort zwischen den Rosensträuchen fließt; ich bin ganz leck vor Durst und Mattigkeit. Indem er das sagte, warf er sich auf den Rasen hin, der so weich und zart war, wie ein sammtnes Polster.Pedrillo kam in der Minute mit seiner Flasche zurück. Munter, munter, Herr Don Sylvio! rief er ihm zu; hier ist Wassers die Fülle, und was noch mehr ist, hier sind noch ein paar Flaschen Wein von Malaga in meinem Zwerchsacke, die uns jetzt desto besser schmecken werden, weil wir sie so sauer verdienen mußten. Hei sa! auf Gesundheit unsrer Prinzessin! Was noch nichts ist, kann etwas werden. Nur gutes Muths, gnädiger Herr! es ist noch nichts verspielt. Wir sind ja noch keinen Tag auf der Reise, und es wäre vielleicht besser, wenn wir nicht so gar nöthig thäten. Man weiß ja, beim Velten! wie die Weibsleute sind: ich wette, wenn wir ganz ruhig unsre Straße zögen, uns Essen und Trinken schmecken ließen und thäten, als ob uns nicht viel daran gelegen wäre, sie käme wohl von sich selbst und ließe sich so willig haschen, als jene Schäferin, die vor einem Hirten, den sie liebte, fliehen wollte und in eine Grotte lief. Zum Henker! wer hat mehr dabei zu gewinnen, als sie? Meinen Euer Gnaden, daß sie lieber ein armer blauer Schmetterling ist, als eine Prinzessin und Ihre Gemahlin? Das soll sie einem Andern weiß machen! Es ist also, wie Sie sehen, noch nichts versäumt. Wir wollen es den verdammten Carabossen zum Possen thun und lustig seyn. Auf, gnädiger Herr! Essen und Trinken hält Leib und Seele zusammen; greifen Sie zu! Wer weiß, ob wir nicht morgen mit unsrer Prinzessin in einem Schlosse von Alabaster aus lauter Regenbogenschüsseln zu Mittag essen!Dieser schöne Zuspruch des Pedrillo wurde durch sein Beispiel und den Appetit unsers Helden so nachdrücklich unterstützt, daß er (wenn uns dieser Jansenistische Ausdruck erlaubt ist) eine unwiderstehliche Wirkung thun mußte.Don Sylvio erfuhr bei dieser Gelegenheit, wie richtig die Anmerkung des weisen Zoroaster ist, welcher in einem seiner verloren gegangenen Bücher versichert, daß ein Pfund weißes Brot, eine kalte Pastete und eine Flasche Wein von Malaga bei einer Person, die guten Appetit und lange nichts gegessen hat, ein bewährtes Mittel gegen allen Kummer sey. Sein Muth nahm in dem nämlichen Verhältnisse zu, in welchem die Pastete und die Flasche abnahmen; die fröhlichen Geister des Weins zerstreuten in kurzer Zeit die schwarzen Dünste, womit sein Gehirn umzogen war, und allmählich nahmen angenehme Bilder, lächelnde Aussichten und süße Träumereien ihre Stelle ein; bis endlich der Gott des Schlafs, ohne ein Körnchen Mohnsamen dazu nöthig zu haben, seiner aufgelösten Sinne sich bemächtigte und, indem er ihn sanft betäubt ins Gras hinstreckte, den Zephyren Befehle hinterließ, ihn von Zeit zu Zeit mit vertropfenden Rosen zu bestreuen.Pedrillo folgte in wenigen Augenblicken dem Beispiele seines Herrn, nachdem er die Vorsicht gebraucht hatte, sich und seinen vielgeliebten Zwerchsack zwanzig oder dreißig Schritte weit von ihm weg hinter ein Gebüsch in Sicherheit zu bringen.Unsere Leser befinden sich vermuthlich durch die narkotische Kraft unsrer Erzählung in den nämlichen Umständen; und damit sie, wenn sie Lust haben, unsern Schläfern Gesellschaft leisten können, so wollen wir hier eine kleine Pause machen.
—————

Neuntes Capitel

Das artigste Abenteuer in diesem ganzen Buche.

Pedrillo hatte ungefähr zwei oder drei Stunden geschlafen, als er wieder aufwachte. Weil er sich nun wieder vollkommen munter befand, so stand er auf und schlich aus seinem Busch hervor, um nach seinem Herrn zu sehen. Aber wie groß war sein Erstaunen über den Anblick, der sich ihm darstellte, da er näher hinzu kam! Eine spröde Schäferin, die in einer Sommerlaube schlummernd, von den Freuden geträumt hat, welche sie wachend verachtet, kann nicht bestürzter seyn, wenn sie, plötzlich auffahrend, sich in die Arme eines kühnen Liebhabers verwickelt fühlt; als es Pedrillo war, da er zweier junger Frauenzimmer gewahr ward, welche, halb vom Rosengebüsche versteckt, neben seinem Herrn standen und ihn aufmerksam zu betrachten schienen.Beide waren wie Schäferinnen gekleidet, beide schienen nicht viel über sechzehn Jahre alt zu seyn, und beide däuchten ihm so schön, daß er eine gute Weile zweifelte, ob sie nicht zu den Nymphen und Sylphiden gehörten, die seinem Herrn so gern im Schlafe zu erscheinen pflegten. Träume ich etwan auch, dachte er bei sich selbst, und bilde mir's nur so ein, daß ich wache, oder sehe ich mit meinen leiblichen Augen? Halt' einmal, wir wollen bald dahinter kommen; ich will mich in die Arme und in die Waden zwicken. — Gut, gut, ich bin's selbst, das hat seine Richtigkeit! — Dieß sind ja meine Augen! Und ich mag sie reiben, wie ich will, so zeigen sie mir doch immer diese zwei schönen Creaturen, wenn es anders Creaturen sind: aber ich glaube gänzlich, es sind Feen, und von den schönsten Feen, die man nur immer an einem Sommertage sehen kann.Damit fing er von Neuem an, mit weit offnen Augen und gähnendem Munde zu gaffen, als ob er es nicht satt werden könnte; und je mehr er sie betrachtete, desto mehr versicherte er sich, daß er in seinem Leben nichts so Schönes gesehen habe.Eine von beiden war etwas größer und schlanker, als die andere, und nicht über siebzehn oder achtzehn Jahre alt; sie war ganz weiß gekleidet, und hatte anstatt der natürlichen Blumen kleine Sträußchen von Edelsteinen im Haar und vor dem Busen stecken, deren funkelnder Schimmer von dem Glanze ihrer schönen Augen eben so sehr, als die Weiße ihres Anzugs von dem blendenden Alabaster ihres Nackens und ihrer Arme übertroffen wurde.Pedrillo, von so viel Schimmer ganz geblendet, zweifelte keinen Augenblick, daß es die Fee Radiante selbst sey, und wurde noch mehr in diesem Gedanken bestärkt, da er in einiger Entfernung ein paar Edelknaben sah, die so schön waren und so sehr von Silber schimmerten, daß er sie für nichts Geringers, als ein paar Salamander halten konnte. In diesem Augenblick verschwanden alle die kleinen Zweifel, die ihm von Zeit zu Zeit über die Wirklichkeit dieser Fee und der ganzen Geschichte, die davon abhing, aufgestiegen waren. Nun war in seinen Augen nichts gewisser, als daß der blaue Sommervogel eine Prinzessin war; und die Erscheinung der Fee, von der (wie er nun gänzlich glaubte) die Entwicklung dieses Romans abhing, versicherte ihn vollkommen, daß sein junger Herr in kurzer Zeit über alle Zwerge und Zwerginnen siegen und der glücklichste Prinz von der Welt werden würde.In diesen hoffnungvollen Gedanken schlich er, wiewohl zitternd und den Athem zurückhaltend, näher hinzu; und da er merkte, daß sie mit einander sprachen, so blieb er ganz nahe im Gebüsche stehen und lauschte mir gerechtem Ohr, einem jungen Faun nicht, unähnlich, der ein paar Nymphen belauscht, die mit einander abreden, wo sie diese Nacht sich baden wollen.Gestehen Sie (hörte er die Kleinere sagen, eine lebhafte reife Brunette von zwanzig Jahren, bei deren Anblick ihm das Herz pochte, wie es in seinem Leben noch nie gepocht hatte), gestehen Sie, daß Sie diesen liebenswürdigen jungen Menschen nicht ohne Bewegung ansehen. Wie schön er da liegt! Was für Locken, was für ein reizendes Gesicht! lauter Lilien und Rosen! Ich will nicht ehrlich seyn, wenn Endymion so schön war, als dieser bezaubernde Schläfer. Sehen Sie doch, gnädige Frau! spüren Sie nicht einen kleinen Beruf in sich, seine Diana zu werden?Närrisches Mädchen, versetzte die vermeinte Fee, was du für Einfälle hast! — Und doch muß ich dir gestehen, Laura — in der That, er ist schön. Aber, wenn er aufwachte? —Das Sicherste ist, wir gehen wieder.Da haben Euer Gnaden Recht, erwiederte die Kleinere mit einer boshaften Miene: was machen wir auch hier? Er kann alle Augenblicke aufwachen; und was wird er denken, wenn er sieht, daß wir so vor ihm da stehen und ihn angaffen, als ob wir noch nie einen rothbackigen Jungen gesehen hätten?Aber, versetzte die Fee, ich möchte doch wissen, wer er ist! — Seiner Gestalt und seinem Anzuge nach scheint er nichts Gemeines zu seyn.O! das versprech' ich Ihnen, sagte die Nymphe, eine Karmeliternonne, die ihn an unserm Platz in diesem Rosengebüsche angetroffen hätte, würde ihn zum wenigsten für einen kleinen Johann Baptist oder gar für einen Engel angesehen haben."Aber wer mag er denn seyn? Ich kenne in unsrer ganzen Gegend —"Das glaub' ich wohl, fiel die Andere ein: es ist kaum drei Wochen, daß Euer Gnaden in dieser Gegend sich aufhalten, und Ihre Antipathie gegen die gewöhnlichen landadeligen Figuren hat Ihnen noch nicht erlaubt, Bekanntschaften zu machen. Sie haben ja außer dem Licentiaten Don Gabriel, den Sie schon zu Valencia kannten; und Ihrem Bruder mit keiner Seele Umgang gehabt, als mit den Nachtigallen in Ihrem Park und den Lämmern auf Ihrer Schäferei."Rede nicht so laut, ich besorge alle Augenblicke, daß er aufwachen möchte; ich wollte um Alles in der Welt nicht, daß er uns sähe. Aber sage mir, Laura, begreifst du, was einen jungen Menschen, der dem Ansehen nach von Stande zu seyn scheint, so allein hierher gebracht haben kann?"Er ist nicht so allein, als Sie denken, meine schönen Damen, rief Pedrillo, der sich nicht länger mehr halten konnte, da er merkte, daß die Fee eine gnädige Frau, und die Nymphe eine Art von Kammermädchen war.Der kleine Schrecken, den diese Stimme unsern Schönen einjagte, weil sie nicht gleich sahen, woher sie kam, verschwand augenblicklich, wie sie den Pedrillo ansichtig wurden, der, ungeachtet seines nicht sehr schimmernden Aufzugs, ein junger Bursche von einer glücklichen Physiognomie und von einer Figur war, die auch einem sprödern Mädchen, als die schöne Laura zu seyn schien, Anfechtungen hatte machen können.Ich sehe wohl, fuhr er fort, daß Sie gerne wissen möchten, was für eine Gattung von Vögeln mein junger Herr ist, den Sie hier schlafend angetroffen haben. Wenn Sie mir versprechen, daß Sie reinen Mund halten wollen — denn es ist uns viel daran gelegen, daß eine gewisse alte Tante, die wir haben, nichts davon erfahre, wo wir hingekommen sind; es steckt ein Geheimniß darunter, verstehn Sie mich? Aber ich denke, so hübschen jungen Damen kann ich es wohl sagen; denn Sie sehen mir, beim Velten! weder Nichten noch Basen von der Fee Fanferlüsch gleich.Erklärt Euch ein wenig deutlicher, mein Freund, sagte Laura mit einem Blicke, den Pedrillo nicht auf die Erde fallen ließ; aber macht es kurz, wir möchten sonst Euren Herrn vom Schlaf erwecken.O! darüber machen Sie sich keine Sorgen, antwortete Pedrillo. Er hat die ganze verwichene Nacht kein Auge zugethan, und wenn er einmal ins Schlafen kommt, so könnte der Himmel einfallen, eh' er aufwachen würde Er ist vor Mattigkeit eingeschlafen; denn wir haben seit gestern Nachts um zwölf Uhr wenigstens vier und zwanzig Meilen gemacht.Vier und zwanzig Meilen! und zu Fuß, wie es scheint? sagte Laura, als ob sie sich sehr wunderte.Es geht gar schnell, meine schöne Jungfer, wenn man auf der Feerei reist, antwortete Pedrillo: man kommt da aus dem Lande, man weiß selbst nicht wie, und hat oft ein paar tausend Meilen gemacht, wenn Sie geschworen hätten, daß wir nicht vom Flecke gekommen wären.Das gesteh' ich! sagte Laura: aber was nennt Ihr denn auf der Feerei reisen, wenn man fragen darf?Sapperment! gnädiges Fräulein, erwiederte Pedrillo, das ist eine Frage, die sich nicht in einem Augenblicke beantworten läßt. Aber, um es kurz und gut zu geben, so suchen wir, unter uns gesagt, eine Prinzessin oder, eigentlich zu reden, einen Schmetterling, in den mein Herr verliebt ist; und wenn wir ihn gefunden haben, so soll ihn mein Herr in eine Prinzessin verwandeln und heirathen: das ist das Ganze, sehn Sie! Aber ich bitte Sie, halten Sie reinen Mund; wir müssen uns vor gewissen Zwergen in Acht nehmen, die einen Anspruch auf unsre Prinzessin machen und uns, wenn sie von unserm Vorhaben Wind bekämen, den ganzen Spaß verderben könnten.Was halten Euer Gnaden von unserm Fund? sagte Laura seitwärts zu der schönen Dame: haben Sie in Ihrem Leben jemals so reden gehört? Man könnte sich's ja nicht närrischer träumen lassen!Aber wer ist denn dein Herr? fragte die Dame.O! was das anbetrifft, antwortete Pedrillo, er ist der beste, freundlichste, freigebigste, gutherzigste, gelehrteste und tapferste junge Edelmann in ganz Spanien, das können mir Euer Gnaden wieder nachsagen! Denn ich muß es doch wohl wissen, weil wir mit einander aufgewachsen sind; er ist mein Milchbruder. —Gut, gut, fiel ihm die Dame ein, ich frage bloß nach seinem Namen; wie heißt er?Don Sylvio von Rosalva heißt er, sprach Pedrillo; sein Schloß ist nur drei kleine Stunden von Xelva, herwärts. Don Sylvio, wie gesagt: sein Vater hieß Don Pedro von Rosalva; er war mein Taufpathe, gnädiges Fräulein, und deßwegen wurde ich Pedro getauft; aber, wie ich klein war, nannten sie mich Pedrillo, und nun heiß' ich eben noch Pedrillo, und werde wohl Pedrillo seyn und bleiben, solang es Gott gefällt; es wäre denn, daß mein gnädiger Herr seine Prinzessin bald fände, denn da wollt' ich Keinem dafür gut sein, daß ich nicht ein Marquisat oder eine von den Grafschaften davon tragen könnte, die sie meinem Herrn zum Brautschatze mitbringen wird.Pedrillo sagte Alles dieses mit solchem Ernst und mit einer so aufrichtigen Miene, daß unsre Schönen keinen Augenblick länger zweifelten, daß es mit diesen Leutchen nicht richtig stehen müsse. Hier ist ja noch mehr als Don Quixote, sagte die Zofe zu ihrer Gebieterin: wenn der Herr in einen Schmetterling verliebt ist, und der Diener auf Marquisate Staat macht, so können wir noch Freude an ihnen erleben. — Aber, guter Freund, Ihr sagtet uns von einem Schmetterling, in den Euer Herr verliebt sey, und den er in eine Prinzessin verwandeln soll: Ihr wolltet vermuthlich sagen, daß er in eine Prinzessin verliebt sey, die von einem Zauberer in einen Schmetterling verwandelt worden?Getroffen! rief Pedrillo, das ist eben die Sache, und jetzt soll sie wieder in eine Prinzessin paraphrasirt werden. Aber, wenn ich Ihnen die Wahrheit sagen soll, so däucht mich unter uns, die Fee Rademante, die meinem gnädigen Herrn ihre Production versprochen hat, läßt sich die Sache nicht so angelegen seyn, als sie wohl könnte, und ich besorge eben immer, es möchte am Ende noch auf ein Lami hinausgehen.Was ist denn das für eine Fee? fragte die Zofe: Rademante, sagt Ihr?O! sie mag heißen wie sie will, unterbrach sie die andre Dame mit einer Miene, die in einem minder anmuthigen Gesichte verdrießlich ausgesehen hätte: wir haben keine Zeit, uns um Feen und Schmetterlinge zu bekümmern; es wird Nacht seyn, ehe wir zu Lirias sind. Was wird mein Bruder von unserm Außenbleiben denken?Mit diesen Worten entfernte sie sich, nachdem sie noch einen Blick auf den schönen Schläfer geworfen hatte; einen Blick, der sich, wenn sie allein gewesen wäre, vielleicht in einen Kuß verwandelt hätte; wenigstens war dieß eine Anmerkung, welche die schlaue Laura ganz in der Stille bei sich selbst machte.Pedrillo hielt es für seine Schuldigkeit, diese schönen Damen bis an den Weg zu begleiten, wo ihre Maulthiere unter der Aufsicht der beiden Edelknaben geblieben waren; allein, die Wahrheit zu sagen, sein Herz hatte mehr Antheil an diesem Umstand, als seine Höflichkeit. Die kleine Laura hatte in wenig Augenblicken eine Veränderung in ihm gewirkt, woran die gute Dame Beatrix schon etliche Jahre mit wenig Erfolg gearbeitet hatte. Kurz, er war so verliebt, als es jemals ein Pedrillo gewesen ist. Es däuchte ihn, er hätte seiner schönen Unbekannten noch wer weiß wie viel zu sagen; aber das Herz war ihm so voll, daß er kein Wort herausbringen konnte, und sie waren schon eine gute Weile unsichtbar geworden, da er noch immer wie an den Boden gefesselt stand und mit unverwandtem Blicke nach der Gegend hinsah, wo er sie aus den Augen verloren hatte.
—————

Zehntes Capitel

Wer die Dame gewesen, welche Pedrillo für eine Fee angesehen.

Pedrillo, den wir von nun an oder, eigentlicher zu reden, von dem Augenblick an, da ihn die reizende Laura zum ersten Mal angelächelt hatte, als einen Menschen betrachten müssen, von dem ohne Unbilligkeit nicht gefordert werden kann, daß er diejenige Gegenwart des Geistes zeigen soll, wodurch einer, der bei sich selbst ist, sich von einem, der außer sich ist, zu unterscheiden pflegt; Pedrillo, sag' ich, hatte die beiden Damen, die ihm in dem vorigen Capitel erschienen, schon eine geraume Zeit aus dem Gesichte verloren, eh' es ihm einfiel, daß er nicht übel gethan hätte, sich zu erkundigen, wie sie hießen, oder wo man sie erfragen könnte?Weil es aber eben so wenig billig wäre, wenn unsre Leser, die vermuthlich nicht verliebt sind, diese Zerstreuung des verliebten Pedrillo entgelten müßten: so halten wir und verbunden, ihnen — ohne die geheimnißvolle Zurückhaltung, womit die Romanendichter uns zuweilen etliche Capitel lang im Zweifel lassen, wer diese oder jene Person sey, mit der sie uns in irgend einem Wirthshause oder auf der Landkutsche zusammengebracht haben — jedoch im größten Vertrauen (denn in der That darf Don Sylvio noch nichts davon wissen) zu entdecken, wer diese Damen waren, und was für ein Zufall sie an den Ort gebracht, wo sie (zum Unglück für die Ruhe ihres Herzens) den schönen Sylvio schlafend und seinen getreuen Begleiter wachend kennen lernten.Diejenige, welche Pedrillo ihrer Gestalt und ihrer Juwelen wegen für eine Fee angesehen hatte, nannte sich Donna Felicia von Cardena und befand sich in einem Alter von achtzehn Jahren, die Wittwe von Don Miguel von Cardena der die Gefälligkeit gehabt hatte; ungefähr zwei Jahre nach ihrer Vermählung im siebzigstem seines Alters zu sterben und sie als Erbin unermesslicher Reichthümer zu hinterlassen, mit deren Erwerbung er beinahe sein ganzes Leben in Mexico zugebracht hatte.Sie wohnte seit ihrer Vermählung zu Valencia, einer Stadt, die ihrer Schönheit und angenehmen Lage wegen von den Spaniern vorzugsweise die Schöne genannt wird. Allein, sobald Donna Felicia durch den Tod ihres Alten Meisterin von sich selber wurde, entschloß sie sich, aufs Land zu ziehen, wo sie einem gewissen romanhaften Schwung ihrer Phantasie und ihres Herzens sich ungehindert überlassen konnte.Die Dichter hatten in ihrem Gehirn ungefähr den nämlichen Unfug angerichtet, wie die Feenmährchen im Kopf unsers Helden. Wenn dieser seine Einbildungskraft von Verwandlungen, Zaubereien, Prinzessinnen, Popanzen und Zwergen voll hatte, so war die ihrige mit poetischen Gemälden, arkadischen Schäfereien und zärtlichen Liebesbegegnissen angefüllt. Sie hatte sich den frostigen Armen so eines unpoetischen Liebhabers, als ein Ehemann von siebzig Jahren ist, aus keiner andern Absicht überlassen, als weil die Reichthümer, über welche sie in Kurzem zu gebieten hoffte, sie in den Stand setzen würden, alle die angenehmen Entwürfe auszuführen, die sie sich von einer freien und glücklichen Lebensart, nach den poetischen Begriffen, machte.Bei einer nicht gemeinen Schönheit besaß Donna Felicia alle die Annehmlichkeiten, welche den Mangel der Schönheit ersetzen und die Schönheit selbst unwiderstehlich machen. Sie spielte die Laute in der äußersten Vollkommenheit und begleitete sie mit einem Gesange, der desto bezaubernder war, da schon der Ton ihrer Rede etwas Rührendes und Musikalisches hatte, welches, nach dem Urtheil des guten Königs Lear, ein vortreffliches Ding an einem Frauenzimmer ist. Sie zeichnete, sie malte in Pastell, und damit ihr keine von den Gaben der Musen fehlen möchte, so machte sie auch Sonette, Idyllen und kleine Sinngedichte, welche nach dem Urtheil ihrer Liebhaber Alles übertrafen, was die Sappho's, die Corinnen und die neun Musen selbst jemals in dieser Art hervorgebracht hatten.Man kann sich vorstellen, was für eine Revolution der Tod ihres Gemahls in der schönen Welt zu Valencia machen mußte. Alle Damen zitterten für die Treue ihrer Liebhaber, alle junge Herren rüsteten sich auf eine so glänzende Eroberung; die Poeten machten ganze Wagen voll Stanzen und Elegien im Vorrath, welche sie bei den Liebhabern der schönen Wittwe in billigem Preise anzubringen hofften; kurz, alle Welt war in Bewegung, diejenige allein ausgenommen, die das Ziel so vieler Anstalten und Absichten war. Jhre Trauerzeit und der Winter waren kaum vorbei, so verließ sie die Stadt, ohne sich zu bekümmern, in was für trostlose Umstände ein so grausamer Entschluß ihre Anbeter setzen werde, und begab sich mit ihrem Bruder nach Lirias, einem schönen Gute, welches er in einer der anmuthigsten Gegenden besaß, die man auf dem Erdboden findet.Sie erwählte sich diesen Aufenthalt, theils, weil sie ihren Bruder sehr zärtlich liebte, theils des Wohlstands wegen. Denn, ob sie gleich selbst ein prächtiges Landgut besaß, welches Don Miguel auf ihr Verlangen in der Nachbarschaft von Xelva gekauft hatte; so hielt sie es doch für anständiger, unter den Augen eines Bruders zu leben, zumal da sie keine nähere Verwandte übrig hatte, und Don Eugenio von Lirias in dem allgemeinen Rufe stand, ein sehr verdienstvoller junger Edelmann zu seyn.Donna Felicia hatte auf ihrem eigenen Gute eine Art von Schäferei angelegt, aus welcher sie nach und nach ein anderes Arkadien zu machen gedachte. Sie setzte sich vor, von Zeit zu Zeit einen kleinen Absprung dahin zu machen, und sie war eben im Begriff, in Gesellschaft ihrer Vertrauten von einer solchen Spazierreise nach Lirias zurück zu kehren, als sie des Rosengebüsches ansichtig wurde, unter welchem Don Sylvio eingeschlafen war. Der Ort däuchte sie so anmuthig, daß sie abstieg, um etliche Rosen zu brechen, von denen sie (wie alle poetische Seelen) eine große Liebhaberin war; und dieß war der Anlaß, wobei sie auf eine so unvermuthete Art durch den Anblick unsers schlummernden Feenritters überrascht wurde.So poetisch, mystisch oder magisch das Wort Sympathie in den Ohren vieler unserer heutigen Weisen klingen mag, so kennen wir doch kein andres Wort, um eine gewisse Art von Zuneigung zu bezeichnen, die wir (die sämmtlichen Kinder von Adam und Even nämlich) zuweilen beim ersten Anblick für unbekannte Personen empfinden, und die sowohl in ihrer Quelle, als in ihren Wirkungen von allen andern Arten der Zuneigung, Freundschaft oder Liebe nicht wenig verschieden ist.Zum Beispiel: Es waren wohl mehr als fünfzig der liebenswürdigsten jungen Herren in Valencia, die sich alle nur ersinnliche Mühe gaben, das Herz der schönen Felicia zu rühren, ohne daß sie es so weit bringen konnten, daß sie einem unter ihnen den Vorzug vor den Reichthümern des alten Don Miguel gegeben hatte. Einige von ihren Verehrern hatten wirklich Verdienste. Donna Felicia ließ ihnen hierüber vollkommene Gerechtigkeit widerfahren. Sie schätzte sie hoch, fand Vergnügen an ihrem Umgang, beehrte sie mit ihrer Freundschaft und würde vielleicht (man merke, mit Erlaubniß, dieses Vielleicht) unter gewissen Umständen, in einem gewissen Zeichen des Mondes, wenn ein gewisser Wind gegangen wäre, an einem gewissen Orte, zu einer gewissen Stunde und in gewissen Dispositionen — sogar fähig gewesen seyn, für irgend einen unter ihnen eine kleine Schwachheit zu haben; denn (mit Erlaubniß unsrer schönen Landsmänninnen) es gibt nach der Meinung des weisen Avicenna, welcher auch der ehrwürdige Pater Escobar in seiner Moraltheologie beipflichtet, gewisse Augenblicke, wo ein glücklicher Zufall der Tugend ungemein zu Statten kommt. Allein es gelang keinem einzigen unter ihnen (und würde auch nach einer längern Reihe von Jahren, als die Seladons in der Asträa zu den Füßen ihrer unempfindlichen Göttinnen verseufzen, keinem unter ihnen gelungen seyn) ihr diese außerordentliche unerklärbare Empfindung beizubringen, welche Don Sylvio, ohne sein Zuthun, ohne darum zu wissen, schlafend und beim ersten Anblick in ihr erregte. Eine Empfindung, die ihr in dem zehnten Theil eines Augenblicks mehr sagte, als ihr Herz ihr in ihrem ganzen Leben für alle ihre Bewunderer gesagt hatte. Kurz, eine Empfindung, die ihr — wenn der ekstatische Zustand, worin sie sich damals befand, einige Aufmerksamkeit auf sich selbst erlaubte — ganz deutlich zu verstehen gegeben hätte, daß sie fähig wäre, diesem unbekannten jungen Schläfer alle die Reichthümer mit Freuden aufzuopfern, denen sie vor wenigen Jahren die liebenswürdigste Jugend von Valencia aufgeopfert hatte.Was die eigentliche Ursache einer so seltsamen Erscheinung und aller übrigen sey, wodurch sich die sympathetische Liebe von allen andern Arten der Liebe unterscheidet, würde eine Untersuchung seyn, die uns zu weit von unsrer Erzählung entfernte, und wir überlassen es unsern Lesern, sich hierüber diejenige Hypothese auszuwählen, die ihnen die aufwändigste ist. Es mag nun seyn, daß die Seelen solcher sympathetischen Geschöpfe in einem vorherigen Zustande sich schon gekannt und geliebt haben; oder daß es eine natürliche Verwandtschaft unter Seelen, oder (wie es ein englischer Dichter nennt) Schwesterseelen gibt; oder daß ihre Genii in einem besondern Einverständniß mit einander stehen; oder daß eine musikalische Gleichstimmung ihrer Fibern und Fibrillen auf eine mechanische Art diese Wirkung hervorbringt: genug, daß diese Sympathie sich eben so gewiß in der Natur befindet, als die Schwere, die Anziehung, die Elasticität oder die magnetischen Kräfte; und daß man es, Alles wohl überlegt, der schönen Donna Felicia eben so wenig übel nehmen kann, daß sie, von der Zaubergewalt dieses geheimnisvollen Zugs bezwungen, sich nicht erwehren konnte, für unsern Helden etwas zu empfinden, das sie noch nie empfunden hatte, als man es einem gewissen Regulo Vasconi übel auslegen konnte, daß er, nach Scaligers Bericht, das Wasser nicht zurückhalten konnte, sobald er eine Sackpfeife hörte.Wir haben uns dieses nicht allzu edeln Gleichnisses (ungeachtet wir besorgen mußten, die Delikatesse unsrer werthen Leserinnen dadurch zu beleidigen) mit gutem Vorbedacht bedient, weil, im Fall die künftigen Commentatoren dieser Geschichte so vorwitzig seyn sollten, unsre eigne Meinung von der Sympathie erforschen zu wollen, es dazu dienen kann, ihnen einiges Licht hierüber zu geben. Und nunmehr kehren wir, ohne uns länger mit solchen Subtilitäten aufzuhalten, zu unsern beiden Schönen zurück, welche wir, wie man sich vielleicht noch erinnert, auf dem Rückwege nach Lirias verlassen haben.
—————

Elftes Capitel

Eines von den gelehrtesten Capiteln in diesem Werke.

Der Geschmack in der Liebe ist so verschieden, daß wir nicht dafür stehen können, ob sich nicht Leser finden werden, die sich für die Dame Laura — ob sie gleich nur eine Schöne von der zweiten Classe, oder um uns gelehrt auszudrücken, eine Dea minorum Gentium ist — vielleicht stärker interessiren, als für ihre Gebieterin. Sollte es solche Liebhaber geben, so werden sie vermuthlich nicht wohl auf uns zu sprechen seyn, daß wir ihnen nicht auch einen Auszug der Geschichte der schönen Laura mitheilen. Allein wir ersuchen sie, sich zu erinnern, daß wir bereits so viel von diesem jungen Frauenzimmer gesagt haben, als man nöthig hatte, um zu sehen, daß sie eine artige, hübsche, witzige und ziemlich lebhafte kleine Person war; und dieses ist, däucht uns, das Merkwürdigste, was wir von ihr sagen konnten. Denn, was ihre Geschichte betrifft, so war sie ein Kammermädchen; und die Geschichte der Kammermädchen ist, wie man weiß, wenigstens nach dem ordentlichen Laufe der Natur, in der ganzen Welt eine und eben dieselbe.Der berühmte Pater Sanchez merkt in seinem eben so keuschen als lehrreichen Buche de Matrimonio an, daß eine angehende Liebe anders bei einer jungen Wittwe und anders bei einem jungen Mädchen operire. Die erste, sagt er, wird davon munter, aufgeweckt, muthwillig; da man hingegen an der andern ein in sich selbst hinein gezogenes Staunen und eine stille Schwermuth bemerkt, welche (setzt dieser scharfsinnige Erforscher der weiblichen Geheimnisse hinzu) die Wirkung des geheimen innerlichen Abscheues ist, den die Seele vor der Gefahr empfindet, aus dem glorreichen Stande der Engel herab zu stürzen und in eine grobe materielle Leidenschaft zu sinken, die in ihren Folgen endlich zu dieser unanständigen Verkörperung führt, wodurch die Welt mit Sündern bevölkert wird.Wir haben eine zu tiefe Ehrfurcht für die heilige Inquisition, als daß wir uns unterstehen sollten, einen so großen Mann auch nur des kleinsten Jrrthums zu beschuldigen. Wir wollen also lieber sagen, die Natur habe sehr Unrecht gethan, daß sie — ohne die geringste Achtung für die Autorität eines Mannes, der so viel neue Sünden erfunden hat — in der schönen Felicia und ihrer Vertrauten gerade das Widerspiel von seiner Beobachtung zu wirken sich erkühnte. Denn, so widersinnig es immer scheinen mag, so gewiß ist es, und so wenig können wir leugnen, daß auf der Reise nach Lirias, wovon jetzt die Rede ist, die junge Wittwe staunend und stillschweigend, und das Mädchen (ungeachtet der Gefahr, vor welcher ihrer jungfräulichen Seele hätte schaudern sollen) so fröhlich und bei so guter Laune war, daß der schwermüthigste Weiberfeind in ihrer Gesellschaft aufgeräumt hätte werden müssen.Sie hatten bereits ein ziemliches Stück Weges zurückgelegt, ohne daß Donna Felicia, so begierig auch die muntre Laura auf ein Signal wartete, ihren Einfällen Luft zu machen, nur einen einzigen Laut von sich gegeben hätte; es wäre denn, daß man einen Seufzer hierher rechnen wollte, der ihr ungefähr entwischte, eigentlich zu reden aber nur ein Fragment von einem Seufzer war, indem sie ihn eben noch früh genug ertappt hatte, um zwei Drittel davon in ihren verschwiegenen Busen zurück zu drücken.Endlich konnte es Laura, die für ein Kammermädchen außerordentlich lange geschwiegen hatte, nicht länger aushalten. Sie machte den Anfang mit einer Frage, die wieder eine andere nach sich zog; und so erhob sich nach und nach zwischen ihr und ihrer Gebieterin oder Freundin (denn sie war in der That beides) eine Unterredung, welche wir (kraft eines Vorrechts, dessen die Geschichtschreiber sich von jeher angemaßet haben) unsern Lesern von Wort zu Wort getreulich mittheilen wollen, ohne sie mit Entdeckung der Quelle, woher wir sie geschöpft haben, unnöthiger Weise aufzuhalten.
—————

Zwölftes Capitel

Ein weiblicher Dialog.

Sie sind ungewöhnlich tiefsinnig, gnädige Frau."Tiefsinnig?"Wenn Sie es nicht ungnädig nehmen wollen; und beinahe schwermüthig, wenn sich ein so verdrießliches Wort für ein Gesicht schickte, worin selbst der Unmuth reizend ist."Ich weiß nicht, was du damit sagen willst; mich däucht, ich bin so aufgeräumt, als ich es diesen ganzen Tag gewesen bin."Nicht ganz so aufgeräumt, gnädige Frau."Warum sollt' ich's denn nicht seyn, wenn man fragen darf?"Das weiß ich nicht; aber mich däucht, ich hörte eben jetzt einen kleinen Seufzer —"Einen Seufzer?"Es war in der That nur ein Seufzerchen; so eine Art von Seufzern, wie ein Mädchen von vierzehn Jahren seufzt, wenn sich ein feiner junger Liebhaber um ihre ältere Schwester bewirbt."Du hast unverschämte Gleichnisse, Mädchen; du verwandelst einen armen unschuldigen Athemzug in einen Seufzer, um einen Einfall anzubringen, auf den du dich seit einer ganzen Viertelstunde besonnen hast."Ich danke Ihro Gnaden für das Compliment, das Sie meinem Witze machen. Aber, weil Sie weder tiefsinnig aussehen, noch geseufzt haben wollen, ob sich gleich noch Manches dagegen einwenden ließe, so wollen wir von etwas Anderm reden, wenn es Ihnen gefällig ist."Ich bin diesen Abend nicht sehr zum Plaudern aufgelegt."Es war ein recht angenehmer Ort, wo Ihre Gnaden diese Rosen brachen, welche, die Wahrheit zu sagen (denn ich bin kein Poet), bereits an Ihrem Busen zu verwelken anfangen; — es war ein recht angenehmer Ort."Das war er."Ein recht poetischer Ort, in der That, und ich hoffe, es hat Ihro Gnaden nicht gereut, daß sie da abgestiegen sind — ungeachtet des kleinen Endymion, den wir da schlafend gefunden haben. Gestehen Sie, gnädige Frau, daß man in Valencia nichts so Schönes sieht."Du sprichst mit einer Lebhaftigkeit von ihm, die mich beinahe glauben macht, daß du verliebt seyst."Vielleicht könnten Ihre Gnaden das eher von mir glauben, wenn ich nichts von ihm sagte."Ich verstehe dich: du magst dir aber einbilden, was du willst, so kann ich doch nicht sagen, daß er mir so übernatürlich schön vorgekommen sey, als du ihn machst."Uebernatürlich schön? das wollt' ich auch wohl nicht sagen, denn ich verstehe mich nicht viel auf übernatürliche Sachen; aber das werden Sie doch zugeben, daß er schöner ist, als dieser Don Alexis, der in Valencia eine so wichtige Person vorstellt, daß die Damen nicht warten können, bis er sich ihnen anträgt, und daß (Donna Felicia von Cardena ausgenommen) keine ist, die nicht dafür angesehen seyn wollte, ihn wenigstens ein paar Tage gehabt zu haben."Schöner als Don Alexis sagt nicht so viel als du meinst. Ich habe ihn nie für etwas Anderes gehalten, als für einen abgeschmackten kleinen Gecken, dessen größtes Verdienst ist, daß er weiche Hände und weiße Zähne hat, und daß er uns, mit aller nur möglichen Einbildung von sich selbst, eine ungeheure Menge plattes Zeug vorzuschnarren weiß."Auch weiß ich selbst nicht, warum mir gerade Don Alexis in den Sinn kam; denn, in der That, ich habe nie begreifen können, was die Damen an ihm sehen. Er mag sich in Acht nehmen! Wenn unser Don Sylvio in Valencia auftreten sollte, so wird ihm nicht einmal so viel Verdienst übrig bleiben, als es bedarf, ein armes zärtliches Kammermädchenherz zu verführen."Ich weiß nicht, mit was für Augen du diesen Don Sylvio, wie du ihn nennst, angesehen haben mußt: ich gesteh' es, er kam mir liebenswürdig vor; aber so sehr schön, als du sagst —"Ihre Gnaden haben das rechte Wort gebraucht; liebenswürdig, das ist das Wort, das wollt' ich eben sagen; denn in der That, was seine Schönheit betrifft, daran ließe sich vielleicht Manches aussetzen. Blondes Haar —"Kastanienbraun, willst du sagen —"Nun ja, kastanienbraun; aber, weil er eine so überaus feine Farbe hat, eine frauenzimmermäßige Farbe, möchte man sagen, so würde blondes Haar, däucht mich —Und mich däucht, die Natur habe das besser gewußt, als du; sein Haar steht wirklich sehr gut zu seiner Gesichtsfarbe."Aber ich denke, er sollte doch mehr Männliches in seinem Gesichte haben. Ich stehe Ihnen dafür, wenn man ihn in ein Mädchen verkleidete, Donna Lenora von Zuniga selbst, die gewiß eine Kennerin von Mannspersonen ist, würde betrogen werden."Gut, er ist kein Hercules, das ist ausgemacht; aber, ungeachtet der vollkommenen Feinheit und Regelmäßigkeit seiner Züge, finde ich doch, daß er etwas Großes und Heroisches in seiner Bildung hat, das du nothwendig bemerkt haben solltest, da du ihn, wie es scheint, so genau betrachtet hast."In der That scheint es, daß ihn Ihre Gnaden in einem einzigen Augenblick richtiger betrachtet haben, als ich in einer Viertelstunde. Aber was sagen Sie zu seinem Munde? Ich gestehe, er ist schön, aber doch ein wenig zu klein, däucht mich —"Ich möchte doch wissen, warum du affectirst, gerade das an ihm zu tadeln, was wirklich schön an ihm ist!"Ich bitte Ihre Gnaden um Vergebung! Ich sage nur, wie es mir vorkommt; und wenn ich nicht besorgte, Ihnen zu mißfallen —"Mir zu mißfallen? Ich glaube, du bist nicht klug, Mädchen. Aber, wenn ich die Wahrheit sagen soll, so bin ich selbst nicht viel klüger, daß ich deinen tollen Einfällen so viel Gehör gebe. Was kümmert's uns, ob Don Sylvio schön ist; oder wie schön er ist?"Das ist auch wahr! Genug, daß er liebenswürdig ist; das ist doch immer der Punkt, worauf Alles ankommt. Mich däucht, ich habe irgendwo gelesen, daß uns nichts so schön vorkommt, als was wir lieben."So müßtest du sehr in diesen Unbekannten verliebt seyn; denn, wenn man dich hört, so ist der vatikanische Apollo von keiner untadeligern Schönheit als Don Sylvio."Don Sylvio hat wenigstens den Vorzug vor jenem, daß er Athem holt; und das ist nach meiner geringen Einsicht ein großer Vorzug."Wir wollen einmal aufhören zu tändeln. Sage mir, liebe Laura, erinnerst du dich noch, was dieser Pedrillo, oder wie er sich nannte, uns von ihm sagte?"Wenn man dem Burschen glauben dürfte, so wäre unser Unbekannter von gutem Hause, ein Sohn von Don Pedro von Rosalva, von dem ich Ihro Gnaden Herrn Vater öfters als von einem wackern Officier sprechen hörte. Aber, wenn ich meine wahre Meinung sagen soll, so glaube ich, Herr Pedrillo könnte mehr gesagt haben, als er jemals wird beweisen können."Nun ja, das Ansehen kann betrügen, denn das ist vollkommen auf seiner Seite; aber deine Ursachen, wenn ich bitten darf?"Wenn wir dem Pedrillo, der mir die Miene eines schnakischen Gesellen hat, glauben sollen, so müssen wir auch glauben, daß Don Sylvio in einen Schmetterling verliebt ist; daß er der Himmel weiß was für einen Zwerg zum Nebenbuhler hat und eine gewisse Fee zur Beschützerin, durch deren Beistand der Schmetterling in eine Prinzessin verwandelt werden soll, und so weiter. Dieß ist nun Alles toll genug, däucht mich. Aber das Aergste ist, daß der Bauerjunge alles dieß abgeschmackte Zeug mit einer so verwünschten ehrlichen Schafsmiene vorbrachte, mit einem so trostlosen Ton der Aufrichtigkeit, daß er uns keine Hoffnung übrig ließ, er möchte es nur zum Spaß gesagt haben. Das ist verzweifelt!"Ich gestehe dir, Laura, und warum sollt' ich dir ein Geheimniß daraus machen? ich interessire mich für diesen jungen Menschen. Er müßte verrückt seyn, wenn Pedrillo die Wahrheit gesagt hätte."Und Pedrillo müßte noch verrückter seyn, gnädige Frau; denn man kann nicht gelassener von den alltäglichsten Dingen reden, als er von Sommervögeln, Zwergen, Feen, Prinzessinnen und Markisaten spricht."Es ist etwas Unbegreifliches in Allem diesem. Aber so viel läßt sich doch aus dem verworrenen Geschwätze des Dieners errathen, daß sich Don Sylvio um einer Liebesangelegenheit willen von Hause weggestohlen hat. Der Bursche erwähnte einer alten Tante, die vermuthlich seiner Liebe Hindernisse in den Weg legt; vielleicht ist er darüber närrisch geworden. Eine heftige Leidenschaft kann durch einen unvorsichtigen Widerstand zu seltsamen Ausbrüchen getrieben werden."Dieß ist gewiß; zumal da ohnehin nichts leichter seyn soll, als daß Liebe und Vernunft Händel mit einander kriegen. Aber, wenn wir nicht voraussetzen, daß Pedrillo eben so verliebt und eben so toll ist als sein Herr, so haben wir mit unsrer Hypothese nichts gewonnen. Ich habe einen wunderlichen Einfall, gnädige Frau; aber er kann doch immer gut seyn, bis wir einen bessern finden. Es ist ein so schwermüthger Gedanke, wenn man sich einen so liebenswürdigen jungen Menschen verrückt vorstellen soll. In der That, es wäre ein Gedanke, der des Seufzers wohl werth wäre, der Ihro Gnaden jetzt entgangen ist. — Dießmal wenigstens gestehen Sie nur, daß Sie geseufzt haben; es war einer von den Seufzern, die sich nicht verläugnen lassen; ich sah ihm von seiner Empfängnis an zu, wie er sich aus Ihrem schönen Busen allgemach empor arbeitete, bis zu dem Augenblick, da er zwischen Ihren halb geöffneten Lippen hervor, in Gestalt eines kleinen Amors davon flog."Närrisches Ding! — Aber was war denn das für ein Einfall, den du mir sagen wolltest?"Ich bilde mir ein, Don Sylvio könnte, mit Erlaubniß, ein wenig närrisch seyn, ohne daß er gerade das seyn müßte, was man verrückt heißt; kurz, er könnte mit einer Art von Narrheit oder Schwärmerei, oder wie man's nennen will, behaftet seyn, die ihn nichts desto unwürdiger machte, einer jeden Dame, die ihn unter einem so anmuthigen Rosengebüsche schlafen gesehen hätte, liebenswürdig vorzukommen."Ich merke, Mädchen, du hast dir in den Kopf gesetzt, daß ich nothwendig in ihn verliebt seyn müsse; — aber darüber wollen wir jetzt nicht zanken. Und worin soll denn diese Schwärmerei bestehen?"Mich däucht, er könnte eine Art von einem jungen Don Quixote seyn, der (nach Pedrillo's Ausdruck) auf der Feerei, wie der Ritter von Mancha auf der irrenden Ritterschaft, herum zöge. Wär' es denn so etwas Unbegreifliches, daß ein junger Mensch von lebhafter Gemüthsart, der die Welt nie gesehen hat und in seinem Dorfe nichts fand, das der Zärtlichkeit seines Geschmacks hätte Genüge thun können, durch das Lesen der Feenmährchen auf den wunderlichen Einfall gerathen wäre, die Feen und die bezauberten Paläste mit allen ihren Drachen, Zwergen, Popanzen und blauen Centauren für wirkliche Dinge zu halten?"Es wäre eine seltsame Art von Schwärmerei, und doch, däucht mich, ich begreife, daß sie möglich seyn könnte. Aber was sollen wir in diesem Falle aus seiner Liebe zu der Prinzessin machen, die in einen Sommervogel verwandelt ist?"Ich wette gleich, was man will, gnädige Frau, diese Prinzessin ist weder mehr noch weniger als ein hübsches Bauermädchen, das ihm in die Augen gestochen hat. Seine bezauberte Phantasie hat sie zuerst zu einer Prinzessin erhöht und endlich, mit Hülfe eines gelben Zwerges oder einer buckligen Magotine, in einen Papillon verwandelt; und es wird sonst nichts nöthig seyn, als daß er eine junge Dame zu sehen bekommt, die seiner lebhaften Einbildungskraft genug thut, so wird seine Geliebte, ohne Zauberstab und Talisman, in einem Augenblick wieder ihre erste Gestalt bekommen und (mit Pedrillo zu reden) zwar nicht in eine Prinzessin, aber doch in ein Bauermädchen zurück metaphrasirt werden."Ich gestehe dir, Laura, daß meine Neugierde rege gemacht ist. Es reuet mich jetzt, daß ich nicht wartete, bis er erwachte."Weil er nur wenige Meilen von uns wohnt, so wird es nicht schwer seyn, Nachrichten einzuziehen, die uns aus dem Wunder helfen können. Und wer weiß, ob die Kobolde, die sich mit seinem Schicksal abgeben, ihm nicht ebenso gut nach Lirias führen können, als sie uns heute in dieses Rosengebüsche geführt haben, welches, so wahr ich ein Mädchen bin, der Laube der Feenkönigin so ähnlich sah, als ich in meinem Leben etwas gesehen habe.Unter diesen Reden waren sie unvermerkt in dem innern Schloßhofe zu Lirias angelangt, wo wir die Freiheit nehmen wollen, uns von ihnen zu beurlauben, um zu sehen, was indessen aus dem Helden unsrer Geschichte geworden ist, den wir, so angenehm uns auch die Gesellschaft der Donna Felicia seyn mag, ohne strafwürdige Nachlässigkeit nicht länger aus den Augen lassen können.
—————

Viertes Buch.

Elftes Capitel

Worin der Autor eine tiese Einsicht in die Geheimnisse der Ontologie an den Tag legt.

Wenn jemals ein Mensch sich in einer seltsamen Verfassung befunden hat, so war es Pedrillo, nachdem er die schönen Geschöpfe, mir denen wir ihn im vorigen Buche zusammengebracht, aus dem Gesichte verloren hatte. Die Verwirrung, die diese Erscheinung in seinem Kopf und in seinem Herzen zurückließ, war so groß, daß uns die bloße Bemühung, eine Beschreibung davon zu machen, beinahe in eine eben so große Verwirrung setzt. Ob er gewacht oder geträumt habe, ob es Feen oder Sterbliche gewesen, ob sie verschwunden oder davon geflogen seyen, das waren Fragen, die er sich immer weniger beantworten konnte, je öfter er sie sich machte. Nachsinnen ist in der That nicht Jedermanns Sache. Pedrillo wußte so wenig damit umzugehen, daß er sich endlich in seinen eigenen Gedanken wie in einem Netze gefangen sah, worin er sich immer desto mehr verwickelte, je mehr er sich bemühte, loszukommen; kurz, nachdem er eine gute Viertelstunde lang mit sich selbst gestritten hatte, so hörte er endlich damit auf, daß er im ganzen Ernst an seinem eignen Daseyn zu zweifeln anfing.Unter allen Zweifeln, denen die arme blödsinnige Vernunft des Menschen ausgesetzt ist, wird man vielleicht keinen finden, der sich weniger in der Länge aushalten läßt, als dieser; auch war es dem guten Pedrillo nicht anders dabei zu Muthe, als ob er mit der Geschwindigkeit einer Drille oder eines Windmühlenrades um seine eigene Achse herumgetrieben würde.Vielleicht möchte man denken, wenn er ein Cartesianer gewesen wäre, so hätte er sich durch das berühmte cogito, ergo sum, gar leicht aus seinem Zweifel heraushelfen können. Allein in den Umständen, worin der arme Junge war, hätte vielleicht Cartesius selbst sein Latein dabei verloren; denn er dachte wirklich gar nichts. Wenn er in einem solchen Zustande ja noch fähig gewesen wäre, einen Syllogismus zu machen, so würde doch der cartesianische Grundsatz zu nichts Anderm gedient haben, als ihn aus den Zweifeln an seinem Daseyn in die Gewißheit, daß er nicht sey, zu stürzen, welches in der That nicht viel besser gewesen wäre, als aus dem Regen unter die Traufe zu kommen.Man muß gestehen, daß der schlichte natürliche Menschenverstand, Vernunftinstinkt, Wahrheitssinn, oder wie man es sonst nennen will (denn über Worte werden wir niemals Streit anfangen), seinem Besitzer zuweilen weit nützlicher ist, als die subtilste Vernunft. Wäre Pedrillo ein Metaphysiker gewesen, so würde er gewiß bei dem Zweifel an seinem Daseyn nicht still gestanden seyn: er würde so lange nachgegrübelt, respectirt, distinguirt, combinirt, analysirt und abstrahirt haben, bis er sich selbst und vermuthlich auch allen andern Dingen die Wirklichkeit, ja wohl gar die Möglichkeit völlig weggeläugnet hätte; und wer weiß, ob er endlich nicht der Stifter einer neuen philosophischen Secte geworden wäre, von der sich nicht ohne Grund vermuthen läßt, daß sie, wegen ihrer besondern Bequemlichkeit, die schwersten physischen und moralischen Aufgaben ohne die geringste Mühe aufzulösen, alle andere Secten der Dualismen, Materialisten, Pantheisten, Idealismen, Egoisten, Platoniker, Aristoteliker, Stoiker, Epikurer, Nominalisten, Realisten, Occamisten, Abalardisten, Averroisten, Paracelsisten, Rosenkreuzer, Cartesianer, Spinozisten, Wolfianer und Crusianer in kurzer Zeit verschlungen hätte.Wir können nicht ohne Grauen und Erschütterung daran denken, was für verderbliche Folgen eine solche Philosophie in dem System der menschlichen Gesellschaft hätte nach sich ziehen können, da es in der That unmöglich scheint, daß der Grundsaz der Nichtexistenz mit irgend einer bekannten Religion oder mit den eingeführtes Gesetzen und Gewohnheiten irgend einer policirten Nation in einen erträglichen Zusammenhang sollte gebracht werden können. Denn mit welchem Schein Rechtens könnte man von einem Menschen, der nicht ist, Steuern, Zehnten, Opfer oder Jura stolae eintreiben? oder wie wäre es möglich, denjenigen eines Verbrechens zu überweisen, der dem Richter durch eine lange Demonstration geometrischer Methode beweisen würde, daß er zu der Zeit, da er dieses oder jenes gethan haben solle, gar nicht einmal existirt habe?Allein zum größten Glücke für die öffentliche Ruhe hatte Pedrillo nicht den geringsten Ansatz zur speculativen Philosophie; und anstalt über seinen beschwerlichen Zustand lange zu vernünfteln, ließ er sich nichts angelegener seyn, als wie er sich bald davon befreien wolle. Sein Herr, dachte er, der in dieser Sache desto unparteiischer sey, da er diese ganze Zeit über geschlafen habe, werde ihm am besten aus dem Wunder helfen können.Ob und wie fern Pedrillo hierin richtig gedacht habe oder nicht, wollen wir dahin gestellt seyn lassen, indem uns eine nähere Untersuchung davon unfehlbar in den berühmten Streit über den Intellectum agentem und patientem verwickeln könnte, wozu wir uns dießmal um so weniger aufgelegt finden, als wirklich der tiefsinnige Inhalt dieses Capitels unser Gehirn so sehr abgemattet hat, daß wir uns genöthiget sehen, mit Erlaubniß des günstigen Lesers eine Pause zu machen.
—————

Zweites Capitel

Ein Beispiel, daß ein Augenzeuge nicht allemal so zuverläßig ist, als man zu glauben pflegt.

Pedrillo weckte also seinen schlafenden Herrn, aber unglücklicher Weise in einem Augenblicke, da er in dem angenehmsten Traume begriffen war, den sich ein platonischer Liebhaber — wie der Liebhaber eines Schmetterlings unstreitig ist — nur immer wünschen konnte.Unglückseliger! rief der erwachende Don Sylvio, aus was für einem Traume weckst du mich?Beim Element, Herr Don Sylvio, schrie Pedrillo, es ist jetzt die Frage nicht von Träumen; es sind ganz andere Dinge auf dem Tapet. Aber ich bitte Sie, mein liebster Herr, wenn Sie anders noch ein Fünkchen christlicher Liebe für den armen Pedrillo haben, so sagen Sie mir vor allen Dingen, ob ich wirklich Pedrillo bin oder nicht? Denn, meiner Six! es ist nicht Alles, wie es seyn sollte. — Ich will mich prellen lassen, wenn ich meiner leiblichen Mutter auf ihr bloßes Wort glaubte, daß ich meines Vaters Sohn sey.Was für eine Tollheit kommt dich an? fragte Don Sylvio, den diese Reden in Verwunderung setzten: was für Ursachen hast du zu denken, daß du ein Anderer seyest. als du selbst?Sagen Sie mir nur erst, ob ich wirklich ich bin, erwiederte Pedrillo; die Ursachen werden seiner Zeit schon nachkommen, wir wollen erst den Hauptpunkt ausmachen! Seyn Sie so gut und antworten mir nur indirecte auf meine Frage; denn Sie werden sehen, daß mehr daran liegt, als Sie sich jetzt einbilden.Alberner Junge, sagte Don Sylvio lächelnd, du bist zwanzig Jahre lang immer Pedrillo gewesen, warum solltest du es nicht noch seyn?Sehn Sie mich recht an, gnädiger Herr, betrachten Sie mich von vorn und hinten und sagen mir die Wahrheit, so wahr Sie ein Edelmann sind.So wahr ich ein Edelmann bin, antwortete Don Sylvio, du bist Pedrillo, oder du bist ein Esel; eins von beiden ist gewiß.Ein Esel? — Hier sind meine Ohren, gnädiger Herr; es stecken, denk' ich, unter mancher Doctormütze längere; und wenn ich so gewiß Pedrillo bin, als ich kein Doctor — kein Esel wollt' ich sagen, bin, so geht Alles wie es gehen soll. Die Wahrheit zu sagen, ich hatte selbst so eine Ahnung, so eine Art von Reprehension, daß es nicht wohl anders seyn könne, als wie Sie sagen; aber, wenn einem solche seltsame Dinge begegnen wie mir, so wär' es kein Wunder, wenn einer endlich seinen eigenen Namen darüber vergäße.Und was ist dir denn begegnet? fragte Don Sylvio. Mach' es kurz, wenn ich bitten darf.Gnädiger Herr, antwortete Pedrillo, das läßt sich nicht in einem Augenblicke sagen. Ein weiser Mann, sagt das Sprüchwort, kann in einem Athemzuge mehr fragen, als ein Narr in einem ganzen Tage beantworten kann. Wenn Sie mir Zeit lassen wollen, so will ich Ihnen Alles haarklein erzählen; denn, meiner Six, es ist mir, ich sehe sie noch vor mir, mit ihren großen braunen Augen und mit der allerliebsten schelmischen Miene, womit sie mich seitwärts anlachte, wie sie wieder aufsitzen wollte. Sterb' ich, wenn mir nicht war, als ob sie mein Herz an einem Bindfaden hinter sich her zöge! Euer Gnaden werden über mich lachen; aber ich will nicht ehrlich seyn, wenn ich den Maulesel, auf dem sie saß, nicht mit neidischen Augen ansah.Mißbrauche meine Geduld nicht länger, sagte Don Sylvio, der von allem diesem Gewäsche nichts begriff: erzähle mir ordentlich und von Anfang an, was dir begegnet ist, seitdem ich eingeschlafen bin.Gut, gnädiger Herr, das will ich auch, wenn Sie nur Geduld haben können; denn, wie ich sagte, ich habe so viel zu erzählen, daß ich nicht weiß, wo ich anfangen soll, ob ich gleich so voll davon bin, daß ich Alles auf einmal heraus platzen möchte. Aber, weil Sie verlangen, daß ich die Sache von Anfang erzählen soll: so wissen Sie also, gnädiger Herr; daß Sie noch nicht lange eingeschlafen waren, als mich ein oder zwei Mal ein so entsetzliches Gähnen ankam, daß ich dachte, ich würde den ganzen Abend nicht damit fertig werden. Ich merkte daraus, daß sich der Schlaf auch bei mir anmelden wolle; aber, weil ich mir vorgesetzt hatte, bei Euer Gnaden zu wachen, so wehrte ich mich, so gut ich konnte, und that, um mich munter zu erhalten, noch zwei oder drei Züge aus der Flasche; vielleicht mochten es ihrer vier gewesen seyn, ich kann es so eigentlich nicht sagen. Kurz, die Flasche wurde endlich leer, ohne daß ich muntrer wurde; die Augenlieder fielen mir alle Augenblicke zu, und dann gähnte ich wieder, und so capitulirten wir so lange mit einander, der Schlaf und ich —O wahrhaftig, rief Don Sylvio, wenn du so erzählen willst, so wird dein und mein Leben nicht zureichen, bis du fertig bist. Du hast geschlafen, gut, und da bist du wieder aufgewacht; oder sind dir die wunderbaren Dinge im Schlafe begegnet, die du mir erzählen wolltest?Im Schlafe? Nein, wahrlich, gnädiger Herr, damals, wie ich die Erscheinung hatte, war ich schon wieder aufgewacht, wie ich Euer Gnaden gesagt haben würde, wenn Sie mich nur hätten fortreden lassen. Denn, wenn ich die Sache der Ordnung nach sagen soll, so muß doch Eins auf das Andre folgen.Ohne Zweifel; aber mußt du deßwegen alle diese nichts bedeutenden Umstände mit dazu nehmen, wodurch deine Erzählung so schleppend und einschläfernd wird, als ein altes Kunkelstuben-Mährchen? Du hast geschlafen und bist wieder aufgewacht, das ist das ganze Geheimniß; und das hättest du mit drei Worten sagen können. Nun weiter!Ja freilich, zum Henker, nun weiter! Wenn Sie mich alle Augenblicke aus dem Concepte bringen, da soll ich's gleich wieder finden. — Wo blieb ich? — Ja, bei meinem Einschlafen —Du bist ja schon wieder aufgewacht.Man muß doch vorher einschlafen, ehe man wieder aufwachen wachen kann! Aber, weil Sie's so haben wollen, so sey es drum! Ich wachte also wieder auf, wie Sie sagten, und, die Wahrheit zu gestehen, ich würde vielleicht noch schlafen, wenn mich nicht eine gewisse Nothwendigkeit — ein gewisses — ich weiß nicht, wie ich's sagen soll, daß es nicht gar zu unhöflich herauskomme, aber dem Gelehrten, sagt das Sprichwort, ist gut predigen — kurz, eine gewisse Angelegenheit, die man durch keinen Procurator verrichten kann — Sie verstehen mich? —"Unvergleichlich, Pedrillo, mache nur, daß du bald wieder davon kommst."Ein jedes Ding will seine Zeit haben, sagt Salomon. Kurz und gut, es war ein Geschäft, das der Corregidor von Xelva und Seine Majestät der König selbst gerade auf die nämliche Art verrichten muß, wie der ärmste Bauerjunge. Und in der That, ich habe schon oft gedacht, wenn große Herren und Damen der Sache nachdenken wollten — und es brauchte eben nicht viel Kopfbrechens — es könnte ihnen ein gut Theil von der hohen Einbildung benehmen, als ob sie wer weiß wie viel besser seyen, als wir andre gemeine Leute; wenn sie, zum Exempel, dächten — ich will es aus Respect vor Euer Gnaden nicht heraus sagen, aber es ist doch gewiß, daß sie weder Bisam noch Ambra machen; und wenn man's beim Lichte besieht —Pedrillo, Pedrillo, rief Don Sylvio lachend, wenn du ins Moralisiren hineinkommst, so kannst du das Ende nicht wieder finden. Ueberhüpfe immer die erbaulichen Sachen, die dir bei Gelegenheit, daß du deine Nothdurft verrichtet hast, beigefallen sind.Ha, nun haben's Euer Gnaden selbst gesagt; das war in der That nicht verblümt gegeben! Ich hatte mich nimmermehr unterstanden, die Sache so deutsch herauszusagen; aber, da es nun einmal heraus ist, so will ich jetzt ohne weitere Präscription oder Circumherumschweifung sagen, daß, nachdem ich die Natur erleichtert hatte, welches, im Vorbeigehen zu sagen, hinter einem dichten Gebüsche, fünfzig oder sechzig Schritte weit von dem Orte, wo Euer Gnaden schliefen, geschah —Pedrillo, mein Freund, unterbrach ihn Don Sylvio, ich sehe, daß du in der Laune bist, mich zur Verzweiflung zu treiben. Aber fahre immer fort, weil es nun einmal mein Schicksal ist, daß ich durch die Geduld, die ich mit deiner mörderischen Waschhaftigkeit haben muß, zum Märtyrer werden soll — Ich will aushalten, solang es die Natur ausstehen kann.Gnädiger Herr, antwortete Pedrillo, es sollte mir von Herzen leid thun, wenn ich Euer Gnaden Geduld mißbrauchte; aber Sie sehen ja selbst, wie es geht, ein Wort gibt das andre; und zu dem, so durfte ich den bewußten Umstand um des folgenden willen nicht vorbei lassen, weil Sie daraus ersehen können, daß ich gewiß wach und bei völligem Gebrauch meiner Sinne war. Aber wir wollen uns um deßwillen nicht entzweien; denn, weil ich jetzt zur Hauptsache komme, so will ich schon desto kürzer seyn."Vortrefflich, Pedrillo nur keine weitere Entschuldigungen!"Wissen Sie also, lieber gnädiger Herr, als ich wieder hinter meinem Busche hervorkam und gehen wollte und sehen, was Euer Gnaden machte, da sah ich —Rathen Sie einmal, gnädiger Herr, was ich gesehen habe!"Da sahst du in einen Bach, und da sahst du den albernsten, dümmsten, unverschämtesten, langweiligsten, abgeschmacktesten Schurken von einem Esel, der seit Bileams Zeiten jemals den Mund aufgethan hat, nicht wahr?"Sie haben es nicht getroffen, gnädiger Herr; aber ich will gehangen seyn, wenn Sie's nicht errathen, sobald ich's Ihnen sage — Eine Fee sah ich, eine Fee, aber die schönste feenmäßigste Fee, die man nur an einem Sommertage sehen mag, und die gewiß, wenn es nicht die Frau Rademante selbst war, schöner und glänzender als alle Bellinen, Charmanten, Amaranten und Rademanten zusammengenommen war."Eine Fee, sagst du? Und woher wußtest du, daß es eine Fee war?"Woher ich's wußte? Sapperment, glauben Sie denn, daß ich gar nichts wisse? Ich sollte schon so lang in Euer Gnaden Diensten seyn und nicht wissen, was eine Fee ist? Wenn es keine Fee war, so sagen Sie, Pedrillo sey ein Stockfisch, und lassen Sie mich wässern und bläuen wie einen Stockfisch, bis es genug ist. Ich sage Ihnen, gnädiger Herr, ihr Gesicht glänzte, als ob es aus einem einzigen Karfunkelsteine geschnitten wäre — Es wurde auf drei oder vier Meilen um sie herum so heiter, als ob ein halb Duzend Sonnen am Himmel ständen — Wenn das keine Fee war, so können Sie ohne Bedenken alle Ihre Feenmährchen ins Feuer werfen und sagen, daß nie eine Fee gewesen ist, noch seyn wird, solange man Suppen mit Löffeln gegessen hat, und, wenn's Gott gefällt, noch künftig essen wird bis zum lieben jüngsten Tag!"Gut, gut! und wo sahst du denn die Fee, und was machte sie?"Was sie machte? Nichts! Aber sie schaute Euer Gnaden an; nein, das können Sie sich nicht vorstellen; nicht anders, als ob das Sehen gleich verboten werden sollte; sie stand ganz hart an Euer Gnaden und bückte sich ein wenig und sah Sie immer wieder an, daß es eine rechte Lust war, ihr zuzusehen."War sie allein?"O, das ist eben der Hauptumstand! Wenn sie allein gewesen wäre, so würd' ich nicht so viel Wesens von ihr machen; aber sie hatte eine andere kleine Fee oder Nymphe oder Sylphenmädchen, oder wie man's heißen will, bei sich, das allerdrolligste, holdseligste kleine Ding, das einer mit Augen sehen mag."Wie sah sie denn aus? Beschreibe sie mir einmal, ob ich vielleicht errathen kann, wer es war.""Wie gesagt, Herr, ein liebliches kleines Ding, pechschwarze Haare —"Ich frage, wie die Fee aussah, rief Don Sylvio."Was ich sage, gnädiger Herr, wunderartig, nicht zu fett und nicht zu mager, aber frisch und saftig, wie eine Morgenrose; ein Gesicht wie Milch und Blut, und einen Hals und Arme — Ich kann's Euer Gnaden nicht beschreiben, wie mir dabei zu Muthe war; aber das schwör' ich Ihnen zu, Frau Beatrix ist nur eine Meerkatze gegen sie; ich schämte mich recht, daß ich so dumm gewesen war und mit einer solchen alten abgestandenen Mumie gelöffelt hatte; aber ohne Wissen, ohne Sünde; wenn ich diese hätte voraus sehen können —"Ich will, daß du mir von der Fee reden sollst, und du redest mir immer nur von ihrem Mädchen!"Potz Herrich! von was sollt' ich sonst auch reden, gnädiger Herr? Sie ließ mir keine Zeit, die Andre recht anzusehen. Sie hätten sie nur sehen sollen! Sapperment, ich hätte den ganzen langen Tag da stehen und sie angaffen können, ohne daß ich's müde geworden wäre."Nun, gut denn! aber die Fee —"Die Fee? Ja, was die Fee anbelangt, die stand eben da, wie ich sagte, und schaute Euer Gnaden an. Ich kann eben nicht viel von ihr sagen, denn, wie gesagt, das kleine Ding war immer in Bewegung, und ich sah alle Augenblicke wieder etwas an ihr, das mich aus dem Concepte brachte. Ich sagte Ihnen ja gleich anfangs, daß es eine überaus schöne Fee war; ich denke, die Diamanten und Karfunkelsteine, die sie an sich hängen hatte, waren wohl zwei oder drei Königreiche werth, und sie gaben einen Glanz von sich, daß man sie nicht lang ansehen konnte; aber die Kleinere —"Gut, gut! Sprachen sie denn nichts mit einander? Hörtest du nichts? Was sagte die Fee?"Was sie sagte? O! sie sagte recht hübsche Sachen, das versichere ich Sie; ich lauschte wie ein Habicht, und ich habe mir Alles von Wort zu Wort gemerkt. Sapperment, sagte sie, das ist doch ein feiner junger Herr! — Gelt, gnädige Frau? sagte die andre: ich will kein ehrliches Mädchen seyn, wenn wir in Valencia etwas Hübscheres gesehen haben; ich wette, was man will, sagte sie, wenn es nicht ein Sylphe ist, so ist es gar ein Waldgott. — Aber wer mag es denn wohl seyn? sagte die Fee. — Gnädige Frau, sagte die Kleine, er muß durch Hexerei hierher gekommen seyn; denn wir kennen doch alle Mannsleute auf zehn Meilen in der Runde, und ein so hübscher Junggeselle ist, bei meiner Six, keine Sache, die lange verborgen bleiben kann —Mit einem Wort, ich darf Ihnen nicht Alles wieder sagen, was sie von Euer Gnaden sagten; denn der Hochmuth ist eine von den sieben Todsünden, und ich wollte nicht ein Kaiserthum drum nehmen und es auf meinem Gewissen haben, wenn Euer Gnaden nur eine Stunde länger im Fegfeuer sitzen müßte, als es Gott und unsrer lieben Frau gefallen wird.Aber, wenn sie Alles das gesagt haben, mein guter Pedrillo, was du da erzählst, so sind es eher ein paar Landsteicherinnen gewesen, als Feen. — Wann haben jemals Feen in einem so pöbelhaften Tone gesprochen?"Ich muß bekennen, gnädiger Herr, daß ich selbst einen kleinen Scrupel darüber bekam; und das machte mich auch so beherzt, daß ich näher zu ihnen ging und mit ihnen redte. Aber, wie ich dem kleinen Mädchen wieder in die Augen sah, und wie ich die Juwelen ansah, womit die Andre über und über behangen war — ja, und das hätt' ich schier vergessen, sie hatten auch ein paar Salamander bei sich, die wie die helle Sonne glänzten und bei den Maulthieren standen, auf denen die beiden Feen gekommen waren."Salamander, sagst du?"Ja, gnädiger Herr, Salamander, leibhafte Salamander! Und wie die beiden Damen sich wieder auf ihre Maulthiere gesetzt hatten, so flogen sie alle mit einander durch die Luft davon, daß ich in einem Augenblicke so wenig von ihnen sah, als ob sie nie da gewesen wären.Pedrillo, mein Freund, rief Don Sylvio aus, entweder du willst mir die Ehre anthun, deinen Spaß mit mir zu treiben, oder die Dünste des Malaga hatten deine Augen bezaubert, wie du diese Dinge sahst. Seitdem es Feen gegeben hat, hat man noch keine auf Maulthieren reiten sehen! Wenn du noch gesagt hättest, sie seyen in einem goldnen oder elfenbeinernen Wagen mit geflügelten Maulthieren davon gefahren, das ginge noch an. Aber, daß eine Fee nicht anders reisen soll, als eine jede ehrliche Pachtersfrau, das mache einem Andern weiß oder bekenne, daß du nichts davon verstehst. Deine Fee ist aufs höchste ein Frauenzimmer, die ein Landgut in dieser Gegend hat; die Nymphe, die dir so wohl gefiel, war ihr Kammermädchen, und was du für Salamander angesehen hast, das werden ein paar Erdensöhne von kleinen Jungen gewesen seyn, die gewiß sehr verlegen seyn würden, wenn sie, wie die wahren Salamander, auf einem Sonnenstrahl in sechs oder sieben Minuten von einem Ende der Welt zum andern reiten müßten.Gnädiger Herr, antwortete Pedrillo, ich hätte doch gedacht, daß ich ein besseres Zutrauen von Euer Gnaden verdient hätte, als daß Sie glauben sollten, ich wolle Ihnen was weiß machen. Wenn die Salamander, die ich bei den Maulthieren stehen sah, keine Salamander waren, so ist das ihre Sache und nicht die meinige; was geht das mich an? oder warum soll ich subligirt seyn, zu wissen, ob sie dieß oder jenes sind? So viel können Sie mir glauben, daß der Irrwisch, den Sie vergangene Nacht für einen Salamander ansahen, nicht des zehnten Theils so viel Salamander war, als diese da; ich will zu einem Kohlhaupte werden, wenn er etwas Besseres in Vergleichung mit ihnen war, als ein Schwefelhölzchen gegen ein Windlicht. Und was die Fee anbelangt, so sollen mir weder Artischokeles noch Pluto ausreden, daß sie nichts Bessers und nichts Schlechters als die Fee Rademante gewesen ist, wenn es nicht gar Ihre Prinzessin selbst war; denn in der That, sie hatte viel Aehnlichkeit mit dem kleinen Bildnisse, das Ihnen die Fee gegeben hat."Du faselst, mein lieber Pedrillo."Mein Six! gnädiger Herr, es ist, wie ich sage! Weisen Sie mir doch einmal die Prinzessin, wenn Sie so gut seyn wollen — Pestilenz! es ist nicht anders, als ob es an ihr herunter geschnitten wäre! Die Größe ausgenommen (denn in der That könnte sie dieses ganze Bildchen auf den Nagel ihres Daumens setzen), wollt' ich schwören, daß sie es selber wäre.Höre, Pedrillo, sagte Don Sylvio, wenn es nicht der ganze Inhalt deiner albernen Erzählung schon klar genug machte, so würde dieser einzige Umstand ein genugsamer Beweis seyn, daß du geträumt haben mußt. Ich bin so gewiß, als ich's von meinem eignen Daseyn bin, daß dieses Bildniß Niemand in der Welt ähnlich sieht, als meiner Prinzessin! Nun ist unleugbar, daß meine Prinzessin nicht eher aufhören kann, ein Schmetterling zu seyn, bis ich sie gefunden und ihr Kopf und Flügel ausgerissen habe: folglich ist es die Unmöglichkeit selbst, daß die Person, die du gesehen zu haben glaubst, meiner Prinzessin gleich sehe. Das ist eine Demonstration, die so gut ist, als die beste im Euklides.Ich verstehe mich nichts auf Remonstrationen, Herr Don Sylvio, erwiederte Pedrillo; aber, was ich gesehen habe, das hab' ich gesehen, und Sie können mir nicht verargen, daß ich meinen Augen mehr glaube, als Ihren Schlüssen. Wenn ich eine Zwiebel vor mir habe, und es ständen alle Baccularien und Licentiaten von Salamanca, ja alle Patriarchen, Herarchen und Monarchen der ganzen Christenheit da und bewiesen mir, daß es eine Schöpskeule sey, so würde ich doch glauben, daß eine Zwiebel eine Zwiebel ist. Und warum das? Weil meine Augen meine Augen sind, und weil Niemand in der Welt besser wissen kann, als ich selbst, ob ich sehe, was ich sehe. Kurz und gut, Euer Gnaden kann hiervon glauben, was Ihnen beliebt, es wird sich seiner Zeit schon ausweisen, wer Recht hat, das ist mein Trost! Denn die Fee, sie mag auch seyn, wer sie will, wird es, denk' ich, bei diesem ersten Besuche nicht bewenden lassen. Sie machte mir, beim Velten! eine Miene, als ob sie nicht viel Gutes im Sinne habe, und es däuchte mich, sie hörte es gar nicht gern, daß Euer Gnaden in einen bezauberten Sommervogel verliebt sind."Hast du ihr denn das gesagt, Pedrillo?"Wenn ich es nicht hätte sagen sollen, antwortete Pedrillo ein wenig erschrocken, so bitte ich Euer Gnaden tausendmal um Vergebung! Ich weiß selbst nicht, wie mir geschah, aber die kleine Hexe, ihr Mädchen, machte mich so treuherzig, daß sie mir immer Eins nach dem Andern herauslockte; ich muß bezaubert gewesen seyn; und zu dem, dacht' ich, wenn sie eine Fee ist, so weiß sie das Alles ohnehin, und es würde sie nur ungehalten machen, wenn ich auf ihre Fragen nicht die rechten Antworten gäbe."Sie fragte dich also aus, und du sagtest ihr Alles?"Ja, gnädiger Herr, aber nur überhaupt und so verblümt, daß sie nichts davon hätte verstehen können, wenn sie keine Fee gewesen wäre. Aber, wie ich sagte, die Kleine sah mir aus, als ob sie alles schon vorher besser wisse, als ich selbst; ich wollte gleich wetten, sie fragte mich nur, um zu sehen, was ich ihr antworten würde."Und was sagte denn diejenige dazu, die du für die Fee ansahst?"Nichts Sonderliches; denn sie eilte gar gewaltig fort. Wir müssen gehen, sagte sie und machte ein ziemlich verdrießliches Gesicht dazu: was wird mein Bruder denken, wenn wir so spät nach Hause kommen?O Himmel! rief hier Don Sylvio aus und wurde so blaß, wie ein weißes Tuch: jetzt geht mir auf einmal ein schreckenvolles Licht auf. Wie, wenn es die Schwester des grünen Zwergs —Potz Gift! gnädiger Herr, schrie Pedrillo, was Sie da für einen Einfall haben! Der Himmel gebe, daß Sie's nicht errathen haben mögen! Aber jetzt erinnern Sie mich wieder dran, sie hatte in der That einen grünen Unterrock und eine grüne Weste an, mit Gold gestickt. Mein Seel! was ich für ein Dummkopf bin! Ich dachte an nichts Böses! Aber das verzweifelte kleine Mädchen —Je mehr ich alle Umstände deiner Erzählung überlege, fuhr Don Sylvio fort, desto mehr find' ich mich in meiner Vermuthung bestärkt. Es ist nichts gewisser, als daß es diese verhaßte Donna Mergelina war —Aber die Fee war so schön, wie ein Frühlingstag, und Donna Schmergelina ist, mit allem Respect vor Euer Gnaden, der garstigste Sausödel, den ich in meinem Leben gesehen habe. Wie reimt sich das?"Die Fee, ihre Tante, hat Macht genug, ihr was für eine Gestalt sie will zu geben; und es ist gewiß nicht ohne Ursache, daß sie, wie du behauptest, eine Aehnlichkeit mit meiner geliebten Prinzessin hatte."Die hatte sie, gnädiger Herr. Aber, beim Element! wenn sie nur wählen kann, was für eine Gestalt sie annehmen will, so war sie eine große Närrin, daß sie sich Ihnen nicht lieber gleich anfangs in einer schönen zeigte. Sapperment! sie muß gewaltig in ihren Buckel und in ihren breiten Busen verliebt seyn!Das Alles hat seine Ursachen, erwiederte Don Sylvio. Meinst du, diese Zwergin, so abscheulich sie ist, schmeichle sich nicht, eine der liebenswürdigsten Personen ihres Geschlechts zu seyn? Oder glaubst du, sie würde meiner Prinzessin nur den kleinsten Vorzug vor ihr eingestehen? Die Eigenliebe ist die größte unter allen Feen; sie braucht weder Zauberstab noch Talismane, um die seltsamsten Verwandlungen zu machen. Wenn ich mich dessen, was mir in den Gärten der Fee Radiante begegnet ist, und des neuerlichen Abenteuers mit der Sylphide erinnere, so besorge ich sehr —Wohl denn, gnädiger Herr, fiel ihm Pedrillo wieder ein; wenn die schöne Dame, die Euer Gnaden so aufmerksam betrachtete, Donna Schmergelina ist, so kann ich nichts dazu, ich muß es geschehen lassen; aber für die Kleine will ich gebeten haben! Ich weiß nicht, wie es kommt, aber mein Herz sagt mir, die Gestalt, die sie hatte, war ihre eigene; ich will mir die Ohren abschneiden lassen, wenn Sie in der ganzen weiten Welt ein Paar Augen oder eine Nase oder ein kleines Schnäuzchen finden, die ihr besser ließen, als ihre eigenen. Mit einem Wort, ich lass' ihr nichts geschehen: und wenn Euer Gnaden sie ja in etwas verwandeln will, so müßt' es in einen Pomeranzenbaum seyn; aber mit der Bedingung, daß ich in eine Biene transferirt werde, und daß, außer mir, alle andre Bienen Hummeln, Wespen, Hornissen, Fliegen und Mücken auf zweihundert quadrate Cubikmeilen in die Runde von ihr verbannt seyn sollen.Heida, Pedrillo, rief Don Sylvio, du bekommst ja ganz poetische Einfälle! Was die Liebe nicht thut! Wenn du so fortmachst, so werden wir noch zuletzt ganze Bände voll zärtlicher Elegien und Sonette von deiner Handarbeit zu sehen bekommen. Aber, mein guter Freund, schmeichle dir nicht zu viel! Es wäre nicht das erste Mal, daß der grüne Zwerg die Gestalt einer schönen jungen Nymphe angenommen hätte; du sollten dich noch wohl erinnern, was mir diesen Morgen begegnet ist. Das Einzige, was mich noch etwas Bessers hoffen heißt, ist, daß sie mir das Bildniß meiner Prinzessin gelassen haben.Und wenn man recht nachsieht, so wird Euer Gnaden das wohl wieder einem gewissen Pedrillo zu danken haben! Versichert, sie waren Euer Gnaden schon nahe genug auf dem Leibe, und wer weiß, was hätte geschehen können, wenn ich nicht in Zeiten dazu gekommen wäre! In der That machte mir die kleine Spitzbübin eine Miene, wie eine kleine Spitzbübin, und zischelte der andern, was weiß ich was, in die Ohren und wies immer mit dem Finger auf Euer Gnaden; aber, wie gesagt, ich verrückte ihnen das Concept, wie ich hinter meinem Busche hervorkam. Wahrhaftig, meine guten Damen, Pedrillo ist ein feinerer Kauz, als ihr euch einbildet! Er schneuzt sich nicht am Aermel, das könnt ihr versichert seyn!Gut, gut, sagte Don Sylvio, indem er aufstand und sich wieder reisefertig machte: für dieß Mal sind wir noch glücklich genug davon gekommen. Aber wir wollen uns nicht länger hier aufhalten; der Abend ist überaus anmuthig, und wir können noch ein paar Stunden reisen, eh' es Nacht wird. Es wird sich vielleicht in Kurzem aufklären, was die Erscheinung, die du gesehen, zu bedeuten hatte.Pedrillo, der bekanntermaßen immer das letzte Wort haben mußte, nahm von dem unschuldigen Worte Bedeuten Anlaß, das Gespräch unvermerkt auf die fruchtbare Materie von Vorbedeutungen, Ahnungen und Anzeichen zu lenken, und begabte seinen Herrn, während sie ihren Weg fortsetzten, mit einer sehr umständlichen Erzählung aller Histörchen dieser Art, die seit undenklichen Zeiten den Tanten und Großmüttern in seiner Freundschaft, vermöge einer ununterbrochenen Ueberlieferung von Großmutter zu Großmutter, begegnet seyn sollten. Er merkte nicht, daß Don Sylvio, der mit ganz andern Betrachtungen beschäftigt war, nicht die geringste Aufmerksamkeit auf seine Erzählung hatte; und wenn er's auch gemerkt hätte, so würde er vielleicht nichts desto weniger fortgemacht haben. Denn Denken und Reden war bei dem guten Pedrillo einerlei. und wenn er nur ungehindert plaudern durfte, so bekümmerte er sich wenig darum, ob man ihm zuhörte oder nicht; eine Bescheidenheit, die ihm mit einem gewissen Versemann von unsrer Bekanntschaft gemein war. Dieser Günstling des Phöbus Apollo besuchte seine Freunde nie, ohne ein paar starke Hefte von seiner Arbeit zu sich zu stecken, die er sobald er sich gesetzt hatte, vorzulesen anfing. Sein Zuhörer hatte inzwischen vollkommene Freiheit, zu gähnen, einzuschlafen, ja, so laut zu schnarchen, als er nur wollte; seine Begeisterung erlaubte ihm nicht, darauf Acht zu geben, und wenn der Zuhörer nach einem Schlafe von zwei oder drei Stunden nur früh genug erwachte, um den Schluß des Gedichts zu hören und den Beifall zu bekräftigen, den der Versemann sich selbst gab, so fiel es diesem gar nicht ein, zu zweifeln, daß er seinem Freunde die angenehmste Zeitkürzung von der Welt gemacht habe.
—————

Drittes Capitel

Worin Don Sylvio sehr zu seinem Vortheil erscheint.

Unsre Wanderer waren ungefähr eine halbe Stunde fortgegangen, als etliche Pistolenschüsse und zu gleicher Zeit ein ängstliches Geschrei aus dem benachbarten Gebüsch in ihre Ohren drangen.Das ist eine Stimme, die um Hülfe ruft, sagte Don Sylvio; wir müssen sehen, was es ist.Pedrillo, der bei Nacht und in den Gespensterstunden die feigeste Memme von der Welt war, hatte hingegen Herz wie ein junger Stier aus Andalusien, wenn es darum zu thun war, sich mit Leuten von Fleisch und Blut bei Tageslicht herumzubalgen. Er machte also nicht die geringste Schwierigkeit, seinem Herrn zu folgen; und sie waren kaum fünfzig oder sechzig Schritte, dem Getümmel nach, ins Gebüsch hineingegangen, als ihnen auf einem ziemlich großen Platze drei junge Männer zu Pferd in die Augen fielen, die mit der äußersten Wuth von ihrer sieben angefallen wurden, von denen vier gleichfalls beritten waren. Don Sylvio flog, ohne sich einen Augenblick zu besinnen, den Schwächern zu Hülfe, unter denen er einen schönen jungen Ritter erblickte, der sich ganz allein gegen drei von seinen Gegnern mit der Tapferkeit eines echten Spaniers, der für seine Dame ficht, vertheidigte. Einen Augenblick später würde sein Beistand zu spät gekommen seyn; denn einer von den Gegnern des jungen Ritters war im Begriff, einen Streich auf ihn zu führen, der dem Gefecht auf einmal ein Ende gemacht hätte, wenn Don Sylvio sich nicht in eben dem Augenblicke dazwischen geworfen und den Streich mit seinem Schlachtschwert aufgefaßt hätte, welches in der That der mörderischen Durindana des großen Orlando weit ähnlicher sah, als einem heutigen Stutzerdegen.Während Don Sylvio, so ungeübt er auch in solchen blutigen Geschäften war, die Feinde durch seine Erscheinung, durch seinen Muth und durch die gewaltigen Streiche, die er auf sie führte, in kein gemeines Erstaunen setzte, blieb Pedrillo seines Orts auch nicht müßig. Er hatte zwar kein andres Gewehr als einen dicken knotigen Stecken von Schwarzdorn: allein er wußte sich dessen mit so vielem Nachdruck und mit solcher Behendigkeit zu bedienen, daß er in wenigen Augenblicken zwei der streitbarsten Feinde unter seine Füße brachte. Kurz, unsre Abenteurer arbeiteten mit so gutem Erfolg, daß sich der Sieg für ihre Partei erklärte, und die Feinde gezwungen wurden mit Zurücklassung zweier stark Verwundeter, ihre Sicherheit in der Flucht zu suchen.Sobald das Gefecht geendigt war, sah sich Don Sylvio nach dem jungen Ritter um, der ihn beim ersten Anblick so sehr interessirt hatte, um ihm seine Freude über den glücklichen Ausgang dieses gefährlichen Abenteuers zu bezeigen. Aber dieser hatte jetzt nichts Angelegeneres, als einer jungen Dame zuzueilen, welche, nicht weit von dem Kampfplatz, ohnmächtig in den Armen ihrer Kammerfrau lag. Man hatte große Mühe, sie wieder zu sich selbst zu bringen, und die Art, wie der junge Ritter sich dabei bezeigte, ließ es zweifelhaft, ob sie seine Schwester oder seine Geliebte sey. Sobald sie den Gebrauch ihrer Sinne wieder hatte, sagte er zu ihr: Liebste Jacinte, wenn Ihnen Ihre Befreiung angenehm, und das Leben eines Freundes, der nur für Sie zu leben wünscht, nicht gleichgültig ist, so sehen Sie hier den liebenswürdigen jungen Mann, dessen Großmuth und Tapferkeit ich beides zu danken habe.Don Sylvio näherte sich bei diesen Worten mit dem edeln und anmuthsvollen Anstande, womit ihn die Natur oder ich weiß nicht was für eine Fee bei seiner Geburt begabt hatte; und nachdem er die junge Dame durch eine tiefe Verbeugung gegrüßt hatte, bezeigte er ihr seine Freude über ihre Befreiung in den lebhaftesten Ausdrücken. Es ist wahr, sein Compliment hatte, seiner Gewohnheit nach, einen ziemlich schwülstigen und romanhaften Schwung; allein die Gemüthsbewegung, worin diese beiden Personen waren, verhinderte sie, es zu bemerken. Die junge Dame war noch zu schwach und erschrocken, um ihm ihre Dankbarkeit anders als durch Geberden zu erkennen zu geben: aber Don Eugenio (so hieß der junge Cavalier) und Don Gabriel, sein Freund, der unserm Helden nicht weniger für sein Leben verbunden war, bezeigten ihm die ihrige in desto lebhafteren Ausdrücken; und nachdem sie von Don Sylvio vernommen hatten, daß er unbeschädiget davon gekommen sey, sagte Don Gabriel zu der schönen Jacinte: Unser Beschüzer ist in allen Stücken so sehr einem Schutzengel ähnlich, daß es kein Wunder ist, daß er auch so unverwundbar als ein Engel ist.Don Sylvio betrachtete indessen die junge Dame mit einer Aufmerksamkeit und mit einer gewissen innerlichen Regung, die ihn selbst befremdete, da er geglaubt hatte, daß kein Frauenzimmer in der Welt reizend genug seyn könne, den geringsten Eindruck auf ein Herz zu machen, in welchem das Bildniß seiner Prinzessin herrschte. Die Gestalt dieser jungen Person, die nicht über sechzehn Jahre zu haben schien, hatte zwar beim ersten Anblick nichts Blendendes; aber diesen zauberischen Reiz, der sich nicht beschreiben läßt und nach dem Urtheil der Kenner noch etwas Schöneres als die Schönheit selbst ist, konnte man in keinem höhern Grad besitzen. Es war unmöglich, ihr nicht beim ersten Blicke gewogen zu werden; eine so anziehende Anmuth war über ihre ganze Person ausgebreitet. Ihr gleichgültigster Blick hatte etwas Rührendes, ihr gewöhnlicher Ton der Stimme war Musik, und der Kummer selbst konnte das reizende Lächeln nicht auslöschen, das ihren angenehmen Mund umfloß.Don Sylvio schien die Wirkung dieser verführerischen Reizungen etliche Augenblike lang so stark zu erfahren, daß Don Eugenio dadurch hätte beunruhiget werden können, wenn nicht die Wunden, die er und sein Freund im Gefechte bekommen und in der ersten Hitze nicht geachtet hatten, stark genug zu bluten angefangen hatten, daß sie nöthig fanden, sich auf der Stelle verbinden zu lassen. Jacinte, die kein Auge von Don Eugenio verwandte, sah kaum das Blut ihres Freundes fließen, als sie mit einem ängstlichen Schrei in eine abermalige Ohnmacht sank.Dieser Zufall gab unserm Helden Gelegenheit, sich in dem Gedanken zu bestärken, daß diese beiden Personen nichts Anderes als ein paar Verliebte seyn könnten, und er zweifelte nunmehr nicht daran, daß die junge Dame eine Prinzessin sey, die ein verhaßter Nebenbuhler mir Hülfe irgend eines Zauberers ihrem beglaubigten Liebhaber habe entziehen wollen. Diese Vorstellung verdoppelte natürlicher Weise den Antheil, den er bereits an ihrem Schicksale zu nehmen angefangen hatte.Die Wunde des Don Eugenio war keine von den gefährlichen, und die Ohnmacht der schönen Jacinte so unschädlich, als alle Ohnmachten junger Mädchen zu seyn pflegen, sie mögen nun ihren Grund in einem Uebermaß von Schmerz oder Vergnügen haben. Nachdem man also die junge Dame durch englisches Salz wieder hergestellt und die beiden Ritter verbunden hatte, so gut es in der Eile möglich war; so wurde beschlossen, weil die Nacht herein brach, und Donna Jacinta der Ruhe benöthiget war, in dem nächsten Wirthshause, das man antreffen würde, still zu halten. Unser Held erbot sich, sie um mehrerer Sicherheit willen zu begleiten, und Don Eugenio nahm sein Erbieten desto williger an, da er sehr begierig war zu wissen, wer der eben so liebenswürdige als sonderbare Unbekannte seyn möchte, dem er so unverhoffter Weise sein Leben und seine Geliebte schuldig geworden war. Nach einigen hin und wieder gewechselten Complimenten setzte sich also Don Eugenio zu der jungen Dame in den Wagen und überließ unserm Ritter das Reitpferd. Pedrillo, der indeß über Alles, was er sah, große Augen gemacht hatte und sich nicht wenig auf die verbindlichen Sachen einbildete, die ihm Don Gabriel und der Kammerdiener von seiner Tapferkeit sagten, ließ sich, wiewohl nicht ohne viele Mühe, bereden, seinen Platz neben der Dame Teresilla zu nehmen, einer jungen Person von fünf und dreißig Jahren, welche so schön mit Roth und Weiß bemalt war und die Jugend ihres Gesichts durch die sittsame Enthüllung eines nicht unfeinen Halses so geschickt zu bestätigen wußte, daß Pedrillo in kurzer Zeit stark genug davon überzeugt wurde, um im Nothfalle sein Sylphenmädchen dran zu setzen, daß sie nicht über zwanzig Jahre habe.
—————

Viertes Capitel

Die Gesellschaft langt in einem Wirthshause an.

Weil die Reise ziemlich langsam ging, so war es beinahe zehn Uhr, als sie in einem Wirthshause anlangten, wo sie außer einer Anzahl leerer Gemächer nicht die geringste Bequemlichkeit antrafen.Es war ein Vortheil für unsere Gesellschaft, daß die Hauptpersonen mehr der Ruhe als des Essens benöthigt waren; denn der Wirth hatte, nach der Gewohnheit aller seines Gleichen, für Alles, was man verlangte, eine Entschuldigung fertig: das Wildpret war gestern ausgegangen, frisches Fleisch sollte er morgen bekommen, seine Tauben hätte der Stoßvogel geholt, und erst diese Nacht hatte ein kleiner Teufel von einem Marder seinen ganzen Hühnerstall entvölkert. Allein bis morgen Mittag hoffte er so vornehme Gäste besser zu bedienen; denn sein Wirthshaus hatte das Glück, häufig von großen Herren besucht zu werden, und nur erst vorgestern hatten sie den Grafen von Leyva und Montags zuvor die verwittwete Herzogin von Medina-Sidonia mit einem großen Gefolge von Damen und Cavalliers gehabt.In diesem Tone würde es noch lange fortgegangen seyn, wenn ihm Jemand hätte zuhören wollen. Allein, da die Dame Teresilla, der Kammerdiener und Pedrillo mit ihren Herrschaften, und diese mit sich selbst zu thun hatten, mußte er sich's gefallen lassen, mitten in dem Mittagsessen der Herzogin von Medina-Sidonia, welches er ihren Ohren auftrug, abzubrechen, und so zog er sich endlich mit vielen Verbeugungen in den Stall zurück, um dafür zu sorgen, daß die Pferde und Maulthiere eben so gut bedient werden möchten — als ihre Herren.Donna Jacinta, die sich nicht allzu wohl befand, beurlaubte sich von ihren Beschützern, nachdem sie ihnen, besonders unserm Helden, für die Großmuth, womit sie ihr Leben für sie gewagt, auf eine sehr einnehmende Art gedankt hatte.Don Sylvio begleitete den Don Eugenio und seinen Freund in ihr Zimmer, um der Verbindung ihrer Wunden beizuwohnen, und bediente sich des Vorwands, daß die Ruhe das beste Heilmittel für sie seyn werde, um ihnen bald darauf eine gute Nacht zu wünschen.Diese beiden jungen Herren, und besonders Don Gabriel, hatten sich, soviel es der Wohlstand erlaubte, bemüht ihn zu Entdeckung seines Namens und Standes zu veranlassen, ohne etwas Anderes als abgebrochene und geheimnißvolle Aeußerungen von ihm zu erhalten, wodurch sie ziemlich in dem Gedanken bestätiget wurden, daß er eine Art von Abenteurer seyn könnte. Auf der andern Seite hingegen wurden sie durch seine Schönheit, das edle Ansehen seiner Person, seine Tapferkeit und die Höflichkeit seines Betragens desto stärker zu seinem Vortheil eingenommen, da es leicht zu bemerken war, daß er alle diese Vorzüge der Natur allein zu danken hatte. Denn, ob er gleich diejenige Art von Höflichkeit besaß, die von dem conventionellen Wohlstand unabhängig ist und daher bei allen Völkern dafür erkannt wird, weil sie bloß in dem Ausdruck einer leutseligen Gemüthsart und in der Verbindung einer gewissen Achtung gegen uns selbst mit derjenigen, die wir Andern schuldig sind, besteht: so fehlte es doch seinen Manieren gänzlich an dem Tone, der damals unter der guten Gesellschaft in den vornehmsten Städten von Spanien herrschte. Eben dieses fiel auch in seiner Kleidung und in seinem Putz in die Augen; insonderheit machte das große Schlachtschwert, das an seiner Seite hing, mit seinem übrigen Ansehen einen so lächerlichen Abstich, daß man nicht wußte, was man davon denken sollte.Indessen nun, daß die beiden Ritter ihre Neugier auf den folgenden Tag vertrösteten, erfreute sich Don Sylvio seines Orts nicht wenig, daß er glücklich genug gewesen war, einer von den liebenswürdigsten Prinzessinnen in der Welt und einem jungen Prinzen oder Ritter, der ihrer vollkommen würdig zu seyn schien, Dienste zu leisten: und da er nicht zweifelte, daß sich irgend eine große Fee ihres Schicksals annehme, so hoffte er, diese neue Bekanntschaft könnte vielleicht in der Folge einen günstigen Einfluß in seine eigenen Angelegenheiten haben.Diese lagen ihm zu nah am Herzen, als daß er sich lange mit andern Betrachtungen hätte beschäftigen können. Das Bild seiner geliebten Prinzessin, ihre klägliche Verwandlung, die Nachstellungen der Fee Fanferluche, kurz Alles, was ihm seit einigen Tagen begegnet war, bemächtigte sich also wieder seiner ganzen Einbildungskraft; und nachdem er sich ein paar schlaflose Stunden lang seinen gewöhnlichen Träumereien überlassen und das Schicksal seiner unglücklichen Prinzessin und sein eigenes aufs wehmüthigste beklagt hatte, schlummerte er endlich in den frohen Aussichten ein, die eine geheime Ahnung ihm näher vorstellte, als er's zu glauben Ursache hatte.
—————

Fünftes Capitel

Der Autor hofft, daß dieses Capitel keiner Kammerjungfer in die Hände fallen werde.

Indessen, daß wir die Prinzessinnen und Helden zu Bette gebracht haben, — wo wir sie, solang es ihnen gefällt, ruhig schlafen lassen wollen — hatte Pedrillo (der, wie wir schon bemerkt haben, jederzeit von dem gegenwärtigen Augenblick abhing) der Begierde nicht widerstehen können, mit der schönen Teresilla sich etwas genauer bekannt zu machen. Zu gutem Glücke war Niemand, der ihm den Vortheil eines Tête à Tête hätte streitig machen wollen; denn der Kammerdiener, der durch einen Streifschuß und zwei oder drei kleine Hiebe im Gefecht verwundet worden war, hatte sich bereits zur Ruhe begeben, und der Kutscher war kein Mann, der sich hätte unterstehen dürfen, seine Augen bis zu einer Kammerjungfer zu erheben.Pedrillo machte sich also die Gelegenheit zu Nutze und unterhielt die Dame Teresilla, während eine dicke schmutzige Galizierin in der Küche mit Zubereitung eines wohl bezwiebelten Hasenpfeffers von einer alten Hauskatze beschäftigt war.Die Annehmlichkeiten ihres Umgangs verdoppelten den Eindruck, den die Rosen und Lilien ihres verjüngten Gesichts auf einen ehrlichen Bauerkerl machen konnten, der sie für natürlich hielt; und nachdem sie, der großen Hitze wegen, sich zuletzt gar ihres Halstuches entlediget hatte, so stieg seine Leidenschaft (mit Ueberhüpfung aller Grade, wodurch eine platonische Liebe unvermerkt fortzuschleichen pflegt) auf einmal so hoch, daß die schöne Teresilla, wie groß auch immer ihr Vertrauen auf die Stärke ihrer Tugend seyn mochte, gar bald Ursache bekam, sich in einiger Gefahr zu glauben.Dem ungeachtet ist gewiß, daß sie, es sey nun aus guter Meinung von ihrem Gesellschafter oder aus jugendlicher Unerfahrenheit oder aus irgend einer besondern Absicht, sich so mit ihm betrug, als ob sie nicht das Geringste von ihm zu befürchten hätte. Das Letztere läßt sich um so eher vermuthen, weil sie den Vortheil kaum bemerkte, den ihr die Schwachheit des armen Pedrillo zu geben schien, als sie die ganze Macht ihrer Reizungen und ihrer Beredsamkeit anwandte, um den Namen und die Angelegenheiten seines Herrn von ihm herauszulocken.Allein Pedrillo, der eine ähnliche Beobachtung gemacht haben mochte, hatte sich vorgenommen, ihr sein Geheimniß so theuer zu verkaufen, als es nur immer möglich seyn möchte. Er drang also darauf, daß sie ihm zuerst die Geschichte der Donna Jacinta entdecken müßte, ehe er nur in Versuchung kommen könne, das ausdrückliche und scharfe Verbot seines Herrn so leichtsinniger Weise zu übertreten.Die schöne und, wie wir vielleicht bald hinzu setzen müssen, die zärtliche Teresilla, welche merkte, daß sie mit einem Menschen zu thun hatte, bei dem durch allzu große Strenge nichts auszurichten war, trug nicht das geringste Bedenken, seine Neugier durch eine weitläufige Erzählung zu befriedigen, welche, die Hauptumstände ausgenommen, so apokryphisch seyn mochte, als gemeiniglich die Erzählungen sind, worein der große Haufe der Kammermädchen die Anekdoten ihrer gebietenden Frauen einzukleiden pflegt. Pedrillo erfuhr also, daß Donna Jacinta weder mehr noch weniger Donna sey, als irgend eine, die ihre Wäsche an einem Zaun aufhängt; daß ihr Gesicht und ihre kleine Person ihren Adel, ihr Vermögen und alle ihre Rechte und Ansprüche in sich fasse; und daß man sogar vermuthe, daß sie ein Findelkind sey, dem seine Mutter nicht habe sagen können, wem es sein Daseyn zu danken habe. Sie habe seit einiger Zeit auf dem Theater zu Grenada ziemlich viel Aufsehens gemacht und nicht weniger Liebhaber gehabt, als alle Mannsleute, welche sie gesehen hätten, unter denen sich aber keiner mehr Mühe gegeben habe, ihr Herz zu erobern, als Don Fernand von Zamora, ein sehr reicher junger Cavalier, der einen ungeheuren Aufwand um ihrentwillen gemacht habe, ohne daß er, soviel man wisse, jemals das Mindeste von ihr habe erhalten können. Kurz, unter so Vielen, die um sie geseufzet hätten, sey Don Eugenio von Lirias der Einzige, dessen eben so tugendhafte als heftige Leidenschaft sie, wo nicht aufzumuntern, doch wenigstens zu dulden geschienen habe. Allein, wer die Donna Jacinta kenne, sey so blöde nicht, sich durch diesen Schein einer strengen Tugend hintergehen zu lassen. Es sey eine ausgemachte Sache, daß sie den Don Eugenio bis zur Ausschweifung liebe, und daß sie nicht lange grausam gegen ihn geblieben seyn würde, wenn sie nicht im Sinne gehabt hätte, ihn so weit zu bringen, daß er endlich die Thorheit beginge, sie gar zu heirathen. In dieser Absicht habe sie ihn wirklich überredet, sie vom Theater wegzunehmen und auf einige Zeit in einem Kloster zu Valencia zu versorgen, bis sie unter einem andern Namen nach und nach in der Welt hätte erscheinen sollen. Allein zum Unglück sey dieses Vorhaben (die Dame Teresilla hätte, wenn sie gewollt, gar wohl sagen können von wem, denn sie war es selbst) dem Don Fernand etliche Wochen vor der Ausführung verrathen worden. Dieser habe die Verzweiflung über seine unglückliche Leidenschaft und andere Ursachen zum Vorwand genommen, sich von Grenada wegzubegeben, damit er indessen Anstalten machen könnte, sie seinem glücklichern Nebenbuhler zu entreißen. Er müsse, wie der Ausgang gezeigt, sogar den Tag gewußt haben, wann Jacinta nach Valencia abgehen würde; kurz, er habe seine Maßregeln so gut genommen, daß er sie eine Stunde von Montesa überrascht und in seine Gewalt bekommen habe. Seine Absicht sey vermuthlich gewesen, sie auf eines seiner Güter in Aragon zu führen; allein das gute Glück ihrer Dame habe gewollt, daß sie unterwegs auf Don Eugenio, den man zu Valencia zu seyn geglaubt habe, gestoßen seyen, da er in Begleitung seines Freundes Don Gabriel. dem Ansehen nach, einen bloßen Spazierritt gethan und vermuthlich nichts weniger besorgt habe, als seine Geliebte in den Händen eines Nebenbuhlers anzutreffen. Da sie nun einander sogleich erkannt, habe Don Eugenio, ungeachtet der Ueberlegenheit seiner Gegner, sich entschlossen gezeigt, lieber das Leben als seine geliebte Jacinte zu verlieren, würde aber vermuthlich beide zugleich verloren haben, wenn ihm nicht ein glückliches Ungefahr in der Person des unbekannten jungen Ritters und des tapfern Pedrillo einen Beistand zugeschickt hätte, durch den sich der Sieg in etlichen Augenblicken für ihn erklärt habe.Nachdem die gefällige Teresilla mit ihrer Erzählung fertig war, forderte sie, wie billig, eine gleiche Gefälligkeit von ihrem Gesellschafter; aber Pedrillo hatte schon wieder andere Schwierigkeiten in Bereitschaft. Er verschanzte sich hinter der Wichtigkeit seines Geheimnisses, der Treue, die er seinem Herrn schuldig sey, seinem gegebenen Wort und der Gefahr, in die er sich durch eine solche Verrätherei stürzen würde; kurz, sie verlor alle ihre Wohlredenheit und sogar einige kleine Gunstbezeigungen an ihm, welche, so unerheblich sie auch an sich selbst waren, doch ihrer Meinung nach mehr als hinreichend hätten seyn sollen, ihn zu der lebhaftesten Erkenntlichkeit zu bewegen. Pedrillo bewies ihr mit seiner gewöhnlichen Bündigkeit, daß ein Geheimniß von dieser Art sich nur einer Person anvertrauen lasse, für die man gar nichts Geheimes habe; und er ging endlich so weit, auf die Gefälligkeit, die sie von ihm forderte, einen Preis zu setzen, welchen sie, ohne eben eine Lucretia zu seyn, übermäßig finden konnte.Cicero, dem alle Welt eingestehen muß, daß er ein unvergleichlicher Redner, ein großer Staatsmann, ein mittelmäßiger Philosoph, ein gleichgültiger Poet und ein sehr kleiner General war, sagt an einem Orte seiner eben so angenehmen als lehrreichen Schriften: daß die Begierde nach Erkenntniß der stärkste unter allen natürlichen Trieben des Menschen sey. — "Der Trieb zum Wissen (sagt er) scheint so wesentlich in uns zu seyn, daß wir zu Allem, was unsere Kenntnisse erweitert, ohne Hoffnung oder Absicht eines besondern Vortheils, von der Natur selbst dahin gerissen werden;" und, nachdem er einige Beispiele davon gegeben, setzt er hinzu: "Homer scheine dieß sehr wohl eingesehen zu haben, da er von den Sirenen dichte, daß die zauberische Kraft ihres Gesanges nicht sowohl in der Annehmlichkeit ihrer Stimme oder der ungewöhnlichen Lieblichkeit der Melodie bestanden habe, als in der Versicherung, daß sie Alles wüßten, was auf dem ganzen Erdboden geschehe, und in dem Versprechen, ihre Zuhörer gelehrter wieder zu entlassen, als sie gekommen seyen. Kein geringerer Reiz, glaubt er, hätte einen so großen Mann als Ulysses so sehr dahin reißen können, daß, ohne die kluge Veranstaltung, welche die Fee Circe deßwegen gemacht, selbst die Gewißheit eines unvermeidlichen Untergangs nicht vermögend gewesen wäre, ihn von den fatalen Klippen dieser Zauberinnen zurück zu halten."Die junge und tugendhafte Teresilla gibt uns ein merkwürdiges Beispiel, wie richtig diese Beobachtung des angezogenen römischen Schriftstellers ist. Der Preis, den der eigennützige Pedrillo auf die Entdeckung seines Geheimnisses setzte', machte sie allerdings stutzen; sie ermangelte nicht, ihre Bedenklichkeiten den seinigen entgegen zu setzen, und wandte Alles an, um ihn zu einem billigen Nachlaß zu bereden. Aber, da er hartnäckig darauf bestand, daß sich seine Geschichte nirgends als in seiner Kammer erzählen lasse: so sah sie sich endlich genöthiget, alle ihre kleinen Scrupel der Begierde nach einer Erweiterung ihrer Kenntnisse aufzuopfern, deren Wichtigkeit sie nach der Größe des Preises abmaß. Sie versprach also, jedoch unter der ausdrücklichen Bedingung, daß er eine so ausnehmende Probe ihres Zutrauens nicht mißbrauchen wollte, ihn, sobald das ganze Haus in Ruhe seyn würde, in seiner Kammer zu besuchen. Pedrillo, der gegen die Billigkeit ihrer Bedingung nichts einwenden konnte, versprach ihr Alles, was sie wollte, und beide hielten ihr Wort so gewissenhaft, wie man sich's einbilden kann.
—————

Sechstes Capitel

Exempel eines merkwürdigen Verhörs.

Don Sylvio hatte nach einer langen Folge wachender Träume endlich ein paar Stunden geschlummert, als er, wie die Geschichte meldet, von den Flöhen aufgeweckt wurde, wovon es in diesem Wirthshause wimmelte. Der günstige Leser wird so höflich seyn und die Anführung dieses Umstandes als einen abermaligen Beweis der Genauigkeit ansehen, womit wir die Pflichten der historischen Treue zu beobachten beflissen sind, da es uns, wenn wir bloß für die Ehre unsers Witzes hätten sorgen wollen, ein Leichtes gewesen wäre, unsern Helden durch irgend eine edle oder wunderbare Veranlassung aufzuwecken.Indem er nun beschäftigt war, sich vor diesen beschwerlichen Geschöpfen einige Sicherheit zu verschaffen, däuchte ihm, in dem nächsten Gemache, das nur durch eine Bretterwand von dem seinigen abgesondert war, eine flüsternde Stimme zu hören, deren Ton etwas Weibliches zu haben schien. Er hielt sein Ohr so nahe an die Wand, als möglich war, und glaubte ganz deutlich diese Worte zu hören: Unter keiner andern Bedingung, als wenn Er mich das Bildniß der Prinzessin sehen läßt. — Aber wie soll das möglich seyn? hörte er eine andere Stimme antworten. Wenn ich's auch wagen wollte, in sein Zimmer zu schleichen und es, während er schläft, wegzunehmen, so ist es doch unmöglich, weil er es immer am Halse zu tragen pflegt; er würde erwachen, und dann möchte uns der Himmel gnädig seyn! — O, keine Ausflüchte! sagte die weibliche Stimme; wahrhaftig, ich hätte nicht geglaubt — Aber das sag' ich Ihm, ich will das Bildniß haben, oder bild' Er sich nicht ein, daß ich —Hier wurde die Stimme etwas leiser, oder vielmehr Don Sylvio, der bereits zu viel gehört hatte, konnte nicht so viel Gelassenheit behalten, sie länger zu behorchen. Wie? rief er und sank vor Bestürzung zitternd auf sein Kissen zurück, ein heimlicher Anschlag wider mich? wider das, was mir theurer als mein Leben ist? O Radiante, jetzt ist es Zeit, daß du mir deinen Beistand leistest, sonst bin ich verloren.Don Sylvio rief dieß so laut, daß Pedrillo und die wissensbegierige Teresilla nicht rathsam fanden, ihre Unterredung fortzusetzen; und da sie bald darauf zwei oder drei Mal Pedrillo rufen hörten, glaubte die junge Dame, sie wäre ihrer Tugend schuldig, sich so behend als nur möglich aus einem Gemach hinweg zu schleichen, wo sie um die halbe Welt nicht von einer dritten Person hätte angetroffen werden mögen. Allein sie konnte doch nicht schnell genug seyn, daß Don Sylvio, in dem Augenblicke, da er eine kleine Tapetenthür, die aus seinem Zimmer in Pedrillo's Kammer ging, eröffnete, nicht bei dem trüben Scheine, den die Morgendämmerung durch ein kleines, mit Spinneweben überhangenes Fenster warf, eine weibliche Gestalt erblickt hätte, die in eben demselben Augenblick aus der andern Thür entschlüpfte. Zum Glück für die Dame Teresilla vermehrte dieser Umstand seine Bestürzung so sehr, daß er lange genug starr und sprachlos am Boden angefroren, stand, um ihr Zeit zu lassen, sich wieder auf den Fußspitzen in das Zimmer ihres Fräuleins zu schleichen.Der subtilste Dialectiker, der sich in Pedrillo's Umständen befunden hätte, würde vermuthlich sehr verlegen gewesen seyn, sich mit guter Art aus einer so schlüpfrigen Lage heraus zu helfen. Alle seine Schlüsse in Festino und Barocco würden ihm nicht halb so gute Dienste geleistet haben, als dem schlauen Pedrillo der bloße Instinct, dessen Eingebung er sich in diesem kritischen Augenblick blindlings überließ.Sind Sie's, gnädiger Herr? rief er, als ob er nur eben aus einem tiefen Schlaf erwache: was ist Ihnen begegnet, daß Sie sich schon so früh aufgemacht haben?Kleide dich unverzüglich an und folge mir in mein Zimmer, antwortete Don Sylvio mit einem Tone, der den armen Pedrillo vom Wirbel bis zu den Füßen zittern machte, und schloß zu gleicher Zeit die äußerste Thür der Kammer zu, welche Teresilla halb offen gelassen hatte.Ich will in einem Augenblicke fertig seyn, gnädiger Herr, sagte Pedrillo, wenn Sie mich allein lassen wollen; denn es würde sich doch nicht schicken, daß ich in Euer Gnaden Gegenwart die Hosen anzöge.Du kannst anziehen, was du willst, antwortete Don Sylvio; mache nur daß du bald fertig wirst; oder wir sind am längsten gute Freunde gewesen.Pedrillo, der nun keinen Augenblick zweifelte, daß sein Herr Alles gehört habe, was zwischen ihm und der Dame Teresilla vorgegangen war, verfluchte von ganzem Herzen das Jahr, den Monat, den Tag, die Stunde und den Augenblick, da er diese verderbliche Sirene gesehen hatte. Sie kam ihm jetzt so alt, so häßlich, so dürr und unangenehm vor, als er sie vor etlichen Minuten jung, schön und anziehend ziehend gefunden hatte, und er hätte sich selber gern mit Füßen getreten, wenn es nur etwas hätte helfen können. Allein, da der vorsagte Instinct ihn versicherte, daß Dreistigkeit und Leugnen das einzige Mittel sey, sich aus diesem schlimmen Handel zu ziehen: so erschien er endlich vor seinem Herrn, mit dem festen Vorsatze, sich eher die Haut über die Ohren ziehen zu lassen, eh' er das Geringste eingestehen wollte.Sobald er in das Zimmer getreten war, befahl ihm Don Sylvio, die Thür zuzuriegeln, und fing hierauf an, mit dem Ernst eines General-Inquisitors folgendes Examen mit ihm vorzunehmen."Wer war die Person, die vorhin in deiner Kammer war?"Was für eine Person, gnädiger Herr? antwortete Pedrillo, mit einem Ton, als ob er die Frage nicht begreifen könne.Spitzbube, rief Don Sylvio, das will ich eben wissen, was für eine Person es war!Ich weiß von keiner Person, gnädiger Herr, antwortete Pedrillo, außer Ihrer eignen, die ich sah, wie Sie die Thür aufmachten und mich weckten; denn Sie werden doch nicht die Flöhe meinen, von denen ich in der That zwei- oder dreimal hunderttausend zu Bettgesellen hatte; das verfluchte Gesindel weckte mich alle Augenblicke auf; es war nicht anders, als ob sie compagnieweise aufzögen, und ich will nicht ehrlich seyn, wenn sie nicht einen Lärm machten, daß mir die Ohren davon gellten; nichts von einem halben Duzend Kater zu gedenken, die auf dem Dache, das an meinem Fenster anliegt, der jungen Katze vom Hause, wie ich mir einbilde, eine Serenade brachten und so jämmerlich in die Wette heulten, daß mir jetzt noch alle Rippen im Leibe davon weh thun.Stille mit dieser unzeitigen Spaßhaftigkeit, sagte Don Sylvio; sie wird dir dießmal nichts helfen. Ich habe eine Person aus deiner Kammer schleichen sehen, ich habe sie mit dir reden gehört, und ich will wissen, wer es war.Gnädiger Herr, antwortete Pedrillo, ich will gleich des Todes seyn, wenn ich weiß, was ich sagen soll. Wenn Euer Gnaden was gesehen hat, so kommt es mir nicht zu, Ihnen zu widersprechen; Euer Gnaden ist von den Feen begabt und sieht bei allen Anlässen mehr, als unser einer: aber, was mich betrifft, wenn ich sagte, daß ich was gesehen hätte, so — müßt' es nur im Schlaf gewesen seyn; denn ich schlief die ganze Zeit über, außer wenn mich (wie gesagt) die Flöhbisse und die Katzenmusik weckten. Mehr kann ich nicht sagen, und wenn es mir das Leben gälte.Nichtswürdiger, rief Don Sylvio, indem er sein furchtbares Schwert entblösste, ich sage dir, daß ich mich mit deinen elenden Ausflüchten nicht abfertigen lassen will; bekenne die reine Wahrheit, oder du bist des Todes!Ach! mein lieber gnädiger Herr Don Sylvio (schrie Pedrillo, indem er sich ihm zu Füßen warf), um Gotteswillen schonen Sie mein junges Blut; ich will ja Alles bekennen, was ich weiß. Was bewegt Euer Gnaden so grausam mit mir umzugehen? Ich habe Ihnen schon so viele Jahre gedient, und Sie wissen, daß ich Euer Gnaden durchs Feuer gelaufen wäre, wenn Sie's verlangt hätten. Ich bitte Sie; gnädiger Herr, stecken Sie den abscheulichen Säbel ein, ich will ja Alles bekennen. Es ist doch entsetzlich, daß ich deßwegen sterben soll, weil ich nichts gesehen habe! O heiliger Sanct Jago! wenn ich nur dießmal davon komme — In der That, gnädiger Herr, wenn das Kammermädchen der Fräulein Jacinte bei mir geschlafen hätte, Sie könnten mir's nicht ärger machen.Ausflüchte! Ausflüchte! rief Don Sylvio: meinst du, ich soll so albern seyn, mir einzubilden, die Kammerfrau einer Prinzessin werde in drei oder vier Stunden gleich so vertraut mit dir werden, daß sie die Nacht in deiner Kammer zubringe? Ich sage dir noch einmal, du hast kein ander Mittel, dein Leben zu retten, als wenn du mir die Wahrheit gestehst. Es soll dir kein Leid geschehen, was es auch seyn mag; aber ich will die Wahrheit wissen.Was wollen Sie denn, daß ich sagen soll, gnädiger Herr? antwortete Pedrillo. Einmal, ich weiß von nichts, als was ich Ihnen schon gestanden habe, und wenn ich mehr sagen soll, als ich weiß, so müssen Sie mir's nur vorsprechen."Antworte die reine Wahrheit auf meine Fragen — War Niemand bei dir in der Kammer?"Zehntausend Schwadronen Flöhe, wie ich Euer Gnaden sagte, sonst keine Seele, soviel ich weiß."Wer war denn die Person, die ich zu deiner Thür hinausschlüpfen sah, wie ich die meinige öffnete?"Das weiß ich nicht, gnädiger Herr! Ich wachte eben auf und war noch ganz schlaftrunken, wie Sie mir riefen. Wenn Euer Gnaden was gesehen haben, so müssen Sie ja am besten wissen, was es war."Es schien eine weibliche Gestalt zu seyn, aber ich konnte nicht erkennen, wer es seyn möchte; sie entfloh oder verschwand in dem nämlichen Augenblick, da ich sie gewahr wurde."Sapperment! gnädiger Herr, so ist es ein Geist gewesen, und das kann auch gar wohl möglich seyn. Es sah mir gleich beim Eintritt so gespenstermäßig in diesem Hause aus. Wenn Euer Gnaden was gesehen haben, und es ist gleich wieder verschwunden, so war es, Gott behüt' uns! ein Geist, der vielleicht ehemals in dieser Kammer ermordet worden ist. Meiner Six, ich wollte nicht eine Grafschaft darum nehmen, daß ich ihn gesehen hätte; ich hätte gleich vor Angst die Seele ausgeblasen, das schwör' ich Ihnen zu.Pedrillo sagte dieß mit einer so treuherzigen Miene, daß Don Sylvio zu glauben anfing, er könnte ihn unschuldiger Weise in Verdacht haben.Aber hörtest du denn auch Niemand, fuhr er fort, wenn du nichts gesehen hast?Gnädiger Herr, versetzte Pedrillo, man hat, wie Sie wissen, manchmal allerlei Einbildungen, wenn einer des Nachts allein und in einem fremden Hause ist. Ich hätte mir nichts daraus gemacht; denn ich erinnere mich noch wohl, wie Sie mich auslachten, da ich den Riesen sah, dem Sie gestern früh einen Ast abhieben; aber, weil Euer Gnaden selbst glaubt, daß es nicht gar zu richtig in diesem Wirthshause sey, so will ich Ihnen bekennen, daß ich ungefähr vor einer halben Stunde erwachte; und da war mir nicht anders, als ob ein Sack auf mir läge, daß ich kaum Athem holen konnte; und eine Weile darauf däuchte mich, als ob ich etliche Personen mit einander flüstern hörte. Ich hätte sie gern beherzt, aber es war mir so angst, daß ich mich unter die Decke verkroch; und da schlief ich unvermerkt wieder ein und hörte weiter nichts. Dieß ist die reine Wahrheit, und wenn Sie's anders finden, so mögen Sie mich umbringen oder den Flöhen vorwerfen, die in diesem Hause so hungrig sind, wie die Wölfe in den Pyrenäen: ich will mir Alles gefallen lassen.Pedrillo, mein Freund, antwortete ihm Don Sylvio mit einem Tone, der ihm das Leben wieder gab, ich bin zufrieden! Aber, wenn ich dir sagen werde, wie weit die Bosheit gewisser Personen, die ich nicht nennen will, geht, so wirst du dich nicht wundern, daß ich dich anfangs so unfreundlich angelassen habe. Wisse also, daß ich mit diesen meinen Ohren einen Anschlag behorcht habe, der in deiner Kammer gemacht wurde, mir das Bildniß meiner geliebten Prinzessin zu entwenden. Ich bin überzeugt, daß du einer so entsetzlichen Verrätherei unfähig bist; aber ich schwöre dir bei der Ehre eines Ritters, ich hörte deine Stimme; und ich zweifle nun keinen Augenblick, daß es meine beiden Feindinnen waren, von denen die eine deine Stimme annahm, in der Absicht, wofern ihnen ihr Anschlag auf mein Bildniß fehl schlüge, wenigstens so viel zu gewinnen, daß ich dich für den schändlichsten Verräther halten sollte.Das ist ja verrucht, gnädiger Herr, rief Pedrillo: sapperment! das heißt den Spaß zu weit treiben. Auf solche Art ist ein ehrlicher Kerl sogar im Schlafe nicht sicher, daß nicht irgend ein vertrauter Zwerg oder Hexenmeister seine Person annimmt und in dieser geborsten Person so viel Spitzbübereien angibt, bis er den armen Teufel in seiner eignen Person an den Galgen bringt. Aber ich bitte Sie, gnädiger Herr, was sagte denn meine Stimme oder die Hexe, die meine Stimme angenommen hatte?Gib dich zufrieden, Pedrillo, erwiederte Don Sylvio; ich bin von deiner Unschuld überzeugt, und wir sind beide hinlänglich dadurch gerochen, daß ihnen ihre doppelte Absicht fehlgeschlagen ist. Aber mache dich fertig! Ich will keinen Augenblick länger in diesem Hause bleiben.Wollen Sie denn gehen, fragte Pedrillo, ohne von der Dame und dem Ritter Abschied zu nehmen, denen wir das Leben gerettet haben? Sie hatten gestern so viel mit ihren Circumflexen zu thun, die sie in der Schlacht bekommen haben, daß sie sich nicht einmal Zeit nehmen konnten, uns recht dafür zu danken; und ich meine doch, einem das Leben zu retten, ist ein Ritterdienst, der wenigstens ein Vergelt's Gott werth ist.Ich verlange, antwortete Don Sylvio, keinen Dank für eine Handlung, die meine Schuldigkeit war, ich mag mich als einen Ritter oder bloß als einen Menschen betrachten; ich würde alle Augenblicke für einen jeden Türken, Juden oder Heiden desgleichen thun: und ob ich gleich gewünscht hätte, nähere Umstände von ihren Begebenheiten zu erfahren; so nöthigt mich doch die gefährliche Entdeckung, die ich diesen Morgen gemacht habe, meinen Entschluß zu ändern. Welch ein Glück war es für mich, daß ich noch zeitig genug erwachte, um ihren Anschlag vereiteln zu können! Aber ich bin gewiß, daß mich eine unsichtbare Hand weckte. Ich gestehe dir, ich halte mich in diesem Hause keinen Augenblick sicher. Die Fee Radiante hat mir ihren Schutz nur unter der Bedingung versprochen, daß wir meine geliebte Prinzessin suchen sollen; und wenn du dich besinnst, so wirst du finden, daß die widrigen Zufälle, die uns auf unsrer Reise befallen haben, uns allemal, während daß wir schliefen oder stille lagen, begegnet sind.Ja, gnädiger Herr, sagte Pedrillo dazwischen, den Froschgraben ausgenommen, in den uns Ihre Salamander hineinführten.Und ich seh' es, fuhr Don Sylvio fort, als eine gerechte Strafe an dafür, daß ich mein Gelübde — "es sollte, bis ich meine Prinzessin gefunden hätte, kein Schlaf in meine Augen kommen" — nicht besser gehalten habe. Mit einem Wort, Pedrillo, ich will keine Minute länger in diesem Hause bleiben, in welchem Fanferluche vielleicht Freunde oder andere Vortheile hat, die mir unbekannt sind. Packe dein Geräthe zusammen und laß uns so leise, wie wir können, davon schleichen; es fängt kaum an zu tagen, das ganze Haus schläft, und wenn auch unsre Feinde wachen, so bin ich gewiß, daß Radiante einen bezauberten Nebel um uns her machen wird, hinter welchem uns der hundertäugige Argus selbst nicht entdecken soll.Es sey so, weil's Euer Gnaden für gut befindet, antwortete Pedrillo, froh genug, daß er so wohlfeil davon gekommen war. Sapperment! ich dachte doch gleich, wie ich die Flöhe so legionenweise auf mich eindringen sah, daß es nichts Gutes bedeuten werde. Ich versichere Euer Gnaden, ich bin am ganzen Leibe nur eine Beule, und ich wollte auf ein Buch schwören, daß es keine natürliche Flöhe, sondern lauter bezauberte Igel und Stachelschweine waren, mit denen uns dieses boshafte Zaubervolk zu Tode zu hetzen hoffte.In diesem Tone plauderte Pedrillo so lange fort, als er mit Bepackung seines Zwerchsacks zu thun hatte: denn er besorgte immer, sein Herr möchte, wenn er ihm Zeit zum Nachdenken ließe, hinter die Wahrheit kommen; und sobald er reisefertig war, schlichen sie sich, ohne nach dem Wirth und der Zeche zu fragen, so leise fort, daß selbst die Dame Teresilla, die sich aus Vorsichtigkeit ganz ruhig in ihrem Zimmer hielt, nicht das Geringste von ihrer Abreise merkte.
—————

Siebentes Capitel

Eine kleine Abschweifung nach Lirias, wobei der Autor eine nicht unfeine Kenntniß des weiblichen Herzens sehen läßt.

Don Sylvio bejammerte allemal den Verlust des armen kleinen Tintin, so oft es darum zu thun war, welchen Weg sie gehen sollten. Allein, da es nun nicht anders seyn konnte, so begnügten sie sich, auf demjenigen fortzuwandeln, der sie hierher gebracht hatte.Es begegnete ihnen einige Stunden lang so wenig Merkwürdiges, daß wir, um den Leser nicht immer mit Erzählung ihrer Gespräche zu ermüden, indessen einen kleinen Absprung nach Lirias machen wollen, wo die liebenswürdigste Donna Felicia mit ihrer würdigsten Vertrauten sehr erstaunt war, von ihrem Bruder keine andre Nachricht zu erhalten, als daß er mit Don Gabriel ausgeritten sey, ohne Jemand als seinen Kammerdiener mitzunehmen. Sein Außenbleiben setzte sie in die größte Unruhe, und die kluge Laura wußte sich endlich nicht anders zu helfen, als daß sie sich bemühte, die Aufmerksamkeit ihrer Dame auf einen andern Gegenstand zu lenken.Sie brachten also beinahe die ganze Nacht mit Gesprächen von Don Sylvio zu, in denen die angehende Liebe, die er sogar im Schlafe glücklich genug gewesen war der reizenden Felicia einzuflössen, sich nach und nach so lebhaft offenbarte, daß es sehr geziert heraus gekommen wäre, wenn sie ihrer Laura länger ein Geheimniß daraus hätte machen wollen; zumal da dieses Mädchen seines Verstandes und guten Herzens wegen des Vertrauens nicht unwürdig war, wodurch seine Gebieterin es beinahe zum Rang einer Freundin zu erheben schien.Daß dieser unbekannte Schläfer der schönste unter allen Sterblichen sey, das hatten ihnen ihre Augen gesagt; und sie breiteten sich mit desto größerer Gefälligkeit über diesen Punkt aus, da sie noch keine Gelegenheit gehabt hatten, andre Verdienste an ihm kennen zu lernen. Aber, wer er sey, und ob sein Stand und seine moralischen Eigenschaften mit einer einnehmenden Außenseite übereinstimmten, das war eine Frage, gegen deren Bejahung Donna Felicia tausend Zweifel zu erregen wußte, um das Vergnügen zu haben, sie von Lauren beantworten zu hören. Nachdem sie nun Alles, was nur möglich war, dafür und dawider gesagt hatten, so wurde man endlich einig: es sey im äußersten Grad unwahrscheinlich, daß ein Jüngling, dessen Gestalt die Natur mit allem Fleiß dazu gemacht zu haben scheine, um eine vortreffliche Seele anzukündigen, nicht der edelste, der tugendhaftete, der tapferste, der angenehmste, mit einem Worte, der liebenswürdigste unter Allen, die jemals von Weibern geboren worden, seyn sollte. Selbst das Zeugniß des Pedrillo (so ungeneigt man war, ihm in denjenigen Punkten, die seinem Herrn nicht so sehr zum Vortheil gereichten, einigen Glauben beizumessen) wurde in Absicht des Lobes, das er seinem moralischen Charakter ertheilt hatte, für desto vollgültiger angesehen, je weniger Bediente sonst gewohnt sind, ihren Herrschaften in diesem Stücke bei fremden Personen zu schmeicheln.Allein was sollte man aus dem bezauberten Sommervogel, der Prinzessin, den Feen und dem Zwerge machen, welche Pedrillo in seine Geschichte eingeflochten hatte? Was sollte man von der Ernsthaftigkeit, dem aufrichtigen Gesicht und dem zuverlässigen Tone denken, womit dieser Bursche, der die Miene gar nicht hatte, als ob er seinen Zuhörerinnen etwas weiß machen wollte, sie versichert hatte, daß sein Herr in eine bezauberte Prinzessin verliebt sey, die er mit Hülfe einer großen Fee zu erlösen im Sinne habe?Ueber diesen Punkt war Donna Felicia nicht so leicht zu befriedigen, und es währte lange, bis die sinnreiche Laura sie endlich überredete, daß man es eben so damit machen müsse, wie vernünftige Muselmänner mit gewissen unglaublichen oder kindischen Erzählungen des Korans; man müsse sie für eine Art von Allegorie nehmen, worunter, sobald man den Schlüssel dazu hätte, vermuthlich nichts Anderes, als ein ganz natürliches und alltägliches Liebeshistörchen verborgen liegen werde. Diese Erklärung, so wohl ausgesonnen sie schien, war dennoch nicht völlig nach dem Geschmack der Donna Felicia; und Laura hatte Gelegenheit, für sich selbst die Bemerkung zu machen, daß die gute junge Dame ihren Geliebten lieber mit einem noch unversehrten Herzen ein wenig närrisch, als der vollkommenem Verstand in eine Andre verliebt gesehen hätte.Man endigte also damit, daß Laura sich bemühen sollte, so bald als möglich nähere Erkundigungen von Don Sylvio von Rosalva einzuziehen. Zu gutem Glück ersparte ihr der Zufall diese Mühe, indem es sich von ungefähr fügte, daß der nämliche Barbier, dessen wir bereits mehrmal Erwähnung gethan, und der in der ganzen Gegend für einen desto bessern Wundarzt gehalten wurde, weil er auf viele Meilen umher der einzige war, gleich den folgenden Morgen nach Lirias kam, um einen Bedienten zu besuchen, der schon etliche Wochen an einem Beinbruche lag.Laura kam eben in das Zimmer, wo der Barbier abgetreten war, als er, mit der Waschhaftigkeit, die seiner Profession seit undenklichen Zeiten eigen gewesen ist, die Entweichung des Don Sylvio als eine Neuigkeit erzählte, wovon bereits in der ganzen Gegend von Rosalva gesprochen werde. Sie hatte also keine Mühe, von diesem glaubwürdigen Manne so viel Nachrichten über unsern Helden einzuziehen, als sie nur wünschen konnte. Sie erfuhr von ihm den Charakter der Tante, die Erziehung und Lebensart des jungen Ritters, die Absicht der Donna Mencia, ihn mit den hundert tausend Thalern der mißgeschaffenen Mergelina Sanchez zu vermählen, und welcher Gestalt er mit seinem Diener Pedrillo, vermuthlich um einer so unanständigen Heirath auszuweichen, heimlich davon gegangen sey, ohne daß man wisse wohin. Was seine persönlichen Eigenschaften betraf, so versicherte der Herr Barbier, daß derjenige noch geboren werde müsse, der es ihm an Schönheit, Wissenschaften und Tugend zuvor thun sollte; und er setzte hinzu: er hoffe, Alles gesagt zu haben, wenn er die Herren und Damen versichere, daß Don Sylvio unter seiner Anführung binnen zwei Monaten so wundervolle Fortschritte im Citherschlagen gemacht habe, daß er selbst sich nicht schäme, ihn als seinen Meister darin zu erkennen. Von einem Liebeshandel, worin Don Sylvio jemals verwickelt gewesen seyn sollte, wollte der Barbier nicht das Geringste wissen; hingegen verschwieg er nicht, daß er in der That etwas Sonderbares und Romanhaftes an sich habe, welches ihm jedoch nicht übel lasse, und daß er aus einem gewissen Gespräch, das sie vor etlichen Wochen mit einander geführt, so viel ersehen hätte, daß Don Sylvio einen außerordentlichen Geschmack an den Feenmährchen finde und sich in den Kopf gesetzt habe, es seyen lauter wahrhafte Geschichten, und es würde gar nichts Seltsames seyn, wenn ihm selbst dergleichen Dinge begegneten.Diese Nachrichten enthielten beinahe Alles, was Donna Felicia zu ihrer Beruhigung nöthig hatte. Allein, obgleich der romanhafte Schwung seiner Einbildungskraft etwas desto Angenehmeres für sie hatte, weil er mit ihrer eigenen Sinnesart sympathisirte; so war sie doch auf der andern Seite nicht sehr vergnügt, daß seine Liebe zur Feerei auf einen Grad gestiegen war, der ihn zu einer Art von Narren machte. Vielleicht, dachte sie, ist er in eine idealische Prinzessin verliebt, die er nie gesehen hat, und damit seine Liebe ein desto feenmäßigeres Ansehen bekomme, hat er sich in den Kopf gesetzt, daß sie von einer Fee, die sich seines Nebenbuhlers annimmt, in einen Sommervogel verwandelt worden sey. Diese Einbildung däuchte sie närrisch genug: aber, wenn Don Sylvio lächerlich war, in eine bloße Idee verliebt zu seyn, war es Donna Felicia weniger, da sie über diese arme Idee eifersüchtig wurde? In der That merkte sie es selbst; denn, so vertraut sie sonst mit ihrer Laura zu seyn pflegte, so konnte sie ihr doch diese Schwachheit nicht ohne Erröthen gestehen. Die Unterredung, die sie darüber mit einander hatten, leitete sie nach und nach auf allerlei Anschläge, wie es anzufangen wäre, um bekannter mit Don Sylvio zu werden; aber das Schlimmste war, daß sich bei jedem irgend eine Schwierigkeit fand, die man allemal erst entdeckte, wenn man sich lange genug über die Ausführung desselben gefreuet hatte. Es blieb ihnen also zuletzt nichts anderes übrig, als die Hoffnung, der Zufall, dem man in allen menschlichen Angelegenheiten so viel überlassen muß, könne vielleicht in Kurzem mehr zur Begünstigung ihrer Absichten thun, als die ausgesonnensten Entwürfe. —————

Achtes Capitel

Das höchst tägliche Abenteuer mit den Grasnymphen.

Inzwischen setzte Don Sylvio mit seinem getreuen Achates unter mancherlei Gesprächen, wozu ihre Begebenheiten Anlaß gaben, seine irrende Reise fort und ruhete von Zeit zu Zeit in den anmuthigen Gebüschen aus, womit die bezauberten Landschaften von Valencia wie mit Kränzen durchwunden sind.Sie befanden sich eben in einem kleinen Cypressenwalde, wohin die zunehmende Hitze sie getrieben hatte, und ergetzten sich an der lachenden Aussicht über die blühenden Ebnen, die sich zu beiden Seiten des Guadalaviars verbreiteten: als Pedrillo plötzlich eine Entdeckung machte, welche allen Bekümmernissen, Liebesschmerzen und Herumirrungen unsers Helden auf einmal ein erwünschtes Ende zu versprechen schien.Hei sa, gnädiger Herr! rief er, Freude über Freude! wir haben unsere Prinzessin gefunden, oder meine Augen müssen bezaubert seyn! Sehen Sie den blauen Sommervogel nicht, der dort um die Rosenstauden herumflattert?Pedrillo betrog sich nicht gänzlich; es war wirklich ein blauer Sommervogel, und Don Sylvio wünschte zu sehr, daß es seine Prinzessin seyn möchte, als daß er einen Augenblick daran gezweifelt hätte. Ich will auf diese Seite herüber gehen, gnädiger Herr, sagte Pedrillo, und Sie schleichen indessen allgemach auf ihn zu; er soll uns nicht entwischen! Ich denke, die Prinzessin braucht Euer Gnaden nur zu sehen, so wird sie Ihnen von selbst in die Hände fliegen.Der Sommervogel schien die Hoffnung des Pedrillo zu rechtfertigen; er flog in kleinen Kreisen dem Don Sylvio entgegen, und dieser näherte sich ihm schon mir ausgestreckter Hand, vor Freude und Sehnsucht zitternd: aber der Unstern unsers armen Liebhabers führte einen andern weißgrauen Sommervogel herbei, der den blauen kaum erblickte, als er mit der Dreistigkeit, die dieser verbuhlten Gattung von Geschöpfen eigen ist, auf ihn zuflog und sich nicht scheute, vor den Augen seines Nebenbuhlers sich Freiheiten heraus zu nehmen, zu denen er desto mehr berechtiget zu seyn glaubte, da es ihm vermuthlich nicht in den Sinn kam, daß seine geflügelte Schöne eine Prinzessin seyn könnte.Don Sylvio gerieth, wie man denken kann, über diese Verwegenheit in eine desto größere Wuth, da er in dem Widerstande des blauen Schmetterlings einen neuen Grund zu sehen glaubte, daß es ganz gewiß seine Prinzessin sey; er warf sich also dazwischen und war glücklich genug, seinen muthwilligen Nebenbuhler mit einem Stabe, den er in der Hand hatte, zu Boden zu schlagen. Allein die vermeinte Prinzessin war indessen in der Angst davon geflogen, und je schneller ihr Don Sylvio und Pedrillo nacheilten, desto schüchterner flatterte sie vor ihnen her, vermuthlich weil sie noch immer von dem weißgrauen Schmetterling verfolgt zu werden glaubte.Von ungefähr trug sich's zu, daß drei oder vier Mädchen aus einem benachbarten Dorfe, um von ihrer Arbeit auszuruhen, am Ufer des Flusses sich in den Schatten gesetzt hatten und sich damit belustigten, aus den Blumen, welche häufig um sie her blühten, Kränze zu flechten.Der blaue Schmetterling hatte seine Verfolger so weit hinter sich gelassen, daß sie ihn kaum noch mit den Augen erreichen konnten; und weil er sich jetzt außer Gefahr glaubte, so fing er an, wieder ruhiger zu werden, und schweifte so lange von Blume zu Blume, bis er einer von den vorbesagten Dirnen in die Hände gerieth, die ihn haschte und zum Zeitvertreib an einem Faden, den sie um seine Füße band, um sich her flattern ließ.Don Sylvio schon nahe genug, um dieses Spiel zu beobachten, sagte zu Pedrillo: Nun hab' ich auf einmal den Aufschluß des Traumgesichts, dessen Erklärung mir gestern Morgen so viel zu schaffen machte. Es war eine Warnung der Fee, meiner Freundin, die mich das, was mir jetzt begegnet, im Traume vorher sehen ließ, damit ich nicht unvorsichtig in den Schlingen meiner Feinde gefangen würde. Siehst du die Nymphe, die dort im Schatten sitzt und den blauen Sommervogel an einem Faden um sich her flattern läßt?Eine Nymphe nennen Sie das? antwortete Pedrillo. Sapperment, Herr Don Sylvio, sie sieht einer Nymphe gerade so ähnlich, als einem Fuder Heu: es ist ein Grasmädchen, so gut als die andern, die dort im Schatten beisammen sitzen.Ich bin es so gewohnt, erwiederte Don Sylvio, daß du Alles besser wissen willst, als ich, daß ich mich über deine Unverschämtheit nicht mehr entrüsten werde. Ich weiß, Dank sey der Fee Radiante, was ich davon denken soll; und du magst sie nun für eine Nymphe oder für ein Grasmädchen ansehen, so will ich entweder mein Leben verlieren, oder sie soll mir meine Prinzessin ausliefern.Gnädiger Herr, antwortete Pedrillo, wenn die Rede von Salamandern, Sylphen, Rastralgeistern und andern solchen Dingen ist, die über den Verstand des gemeinen Mannes gehen, da räum' ich Euer Gnaden herzlich gern ein, daß Sie sich besser darauf verstehen: aber mit den Grasmädchen ist es was Andres; die sind offenbar von meiner Impudenz; und es ist auch keine Sache, wobei man sich betrügen kann, man riecht sie wohl auf dreißig Schritte. Ich möchte wohl wissen, seit wann die Nymphen nach Knoblauch riechen oder so zerlumpte Unterröcke tragen, daß die Lappen herunterhängen, und das Hemd aller Orten hervorguckt! Kurz und gut, Herr, es ist eine Bauerndirne, und dazu eine von den schmutzigsten, die man sich wünschen kann. Es wird nicht viel Mühe kosten, den blauen Schmetterling von ihr zu kriegen; wir brauchen ihr nur ein paar Maravedi's zu geben, so sagt sie uns noch vergelt's Gott dafür.Don Sylvio, der nicht zu berichten war, wenn er sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte, würdigte diese Rede nicht einmal, darauf Acht zu geben; er ging auf die vermeinte Nymphe zu und verlangte, daß sie ihm seinen Schmetterling wieder geben sollte.Was gebt Ihr mir für ihn, junger Herr? sagte das Grasmädchen lachend.Alles, was du willst, antwortete Don Sylvio.Gut, sagte die Nymphe, so gebt mir das Kleinod, das Ihr da am Halse hangen habt. Ich will es meiner kleinen Schwester nach Hause bringen; und wenn Ihr mir noch einen halben Realen dazu gebt, so soll der Schmetterling zusammt dem Faden Euer seyn.Verdammter grüner Zwerg, rief Don Sylvio voll Grimms, indem er seinen Säbel zog, hoffe nicht, unter dieser geborsten Gestalt, die ein Beweis deiner Feigheit ist, meiner ungestraft zu spotten. Stirb, Verruchter, oder gib mir den Sommervogel, an den du keinen Anspruch machen kannst, den ich nicht mit Aufopferung meines eigenen Lebens aus deinem verdammten Herzen reißen will.Man kann sich vorstellen, daß die schöne Nymphe auf eine so unhöfliche Anrede, die mit so fürchterlichen Drohungen begleiter war, weniger nicht thun konnte, als ein jämmerliches Geschrei zu erheben. Pedrillo, den die Narrheit seines Herrn beinahe selbst toll machte, warf sich, weil alles Zureden nichts helfen wollte, zwischen ihn und die Nymphe und bemühte sich, ihm seinen Säbel aus den Händen zu winden. Die übrigen Nymphen, welche sahen wie übel man ihrer Gespielin begegnete, liefen auch herzu und fielen wie Furien über unsre Abenteurer her, welche genug zu thun hatten, sich gegen ihre groben Fäuste und langen Nägel zu vertheidigen.Unglücklicher Weise fügte es sich, daß der Liebhaber der holden Nymphe, die das Unglück hatte, für den grünen Zwerg angesehen zu werden, nicht weit davon mit zwei oder drei andern Bauerknechten im Feld arbeitete. Das klägliche Geschrei dieser Weibsleute und der Anblick seiner Geliebten, welcher Pedrillo im Begriff war einen starken Schopf Haare aus dem Kopfe zu reißen, setzte ihn in eine solche Wuth, daß er in Begleitung seiner Gesellen herbeieilte und mit dem Knittel, den er dem Pedrillo aus den Händen riß, so nachdrücklich auf unsre beiden Abenteurer zudrosch, daß sie ihres muthigen Widerstandes ungeachtet, endlich von der Menge der Feinde zu Boden geworfen wurden. Der ergrimmte Liebhaber und die Rache schnaubende Grasnymphe begnügten sich nicht hiermit, sondern schlugen noch so lange mit geballten Fäusten auf sie zu, bis sie besorgten, daß es zu viel seyn möchte; und nachdem sich die Nymphe zum Ersatz ihres Schmetterlings (der gleich zu Anfang des Gefechts entwischt war) des Kleinods unsers athemlosen Helden bemeistert hatte, so gingen sie allerseits davon und ließen die beiden Abenteurer für todt im Grase liegen.
—————

Anmerkungen.

Buch 1.

Cap. 1.

S. 1. Z. 8. Successionskriege — Es bedarf wohl kaum der Anmerkung, daß unter dem Successionskriege derjenige verstanden wird, der nach dem zu Ende des Jahres 1700 erfolgten Ableben Karls II., Königs von Spanien, wegen der Thronfolge in dieser Monarchie und den davon abhängenden Staaten zwischen den Häusern Oesterreich und Bourbon und ihren Alliirten geführt wurde und sich mit den berühmten Friedensschlüssen von Utrecht (1713-1715), von Baden (1714) und endlich von Wien (1724) endigte. W.S. 2. Z. 13. Transitiven Keuschheit — Von dieser Wundergabe, die Keuschheit und Enthaltung Andern durch den bloßen Anblick mitzutheilen, deren sich unter Andern auch der berüchtigte Antoinette Bourignon rühmte, spricht Bayle im Diction. Hist. et Crit. Tom. I. unter dem Artikel Bourrignon, in der Anmerk. B. Diese Gabe wird die übergehende oder durchdringende Jungfräulichkeit (virginitas transitiva s. penetrativa) und von dem ehrwürd. Vater Peter Granfeld, Carthäuserordens (in seinen Elucidat. sacris super V. Libr. de Imaginibus veterum Eremitarum, p. 645) mit einem sehr nachdruchsvollen Kunstworte die Infrigidation genannt. W.S. 3. Z. 15. Harpyen — weibliche Geister der Wirbelwinde, deren Name die Raubenden, Wegreißenden bedeutet. Früher wurden sie als von schöner jungfräulicher Bildung geschildert. Spätere machten Mißgestalten daraus, gaben ihnen einen gefiederten Leib, Bärenohren, große Klauen, Hühnerfüße u. dgl.Sirenen — zwar schöne, aber verderbliche Jungfrauen, die von ihren Meerfelsen her die Vorüberfahrenden durch süßen Gesang anlockten, dann aber tödteten.Amphisbäne — nennt Aelian (hist. an. 9, 23) eine Schlangenart mit zwei Köpfen. Ging sie vorwärts, so bediente sie sich des hintern als Schwanz, und umgekehrt.

Cap. 2.

S 5. Z. 25. Don Palmerin — Cyrus — Ritterbücher und heroische Romane aus dem vorigen Jahrhundert, wovon besonders die beiden letztern (Clelia und Cyrus) unstreitig mit unendliche Mal mehr Nutzen gelesen würden (wenn es noch Mode wäre, sie zu lesen), als ein großer Theil der modernen Romans du Jour, welche den Geschmack und die Sitten unsrer Zeit verderben helfen. W.

Cap. 3.

S. 10. Z. 14. Ritter von Mancha — Der berühmte Don Quixote des Cervantes, welcher vorzügliche Roman das Vorbild des gegenwärtigen war. Wieland hat ihn ungefähr in derselben Manier nachgeahmt, wie ihn Bertuch übersetzt hat.

Cap. 4.

S. 11 Z. 14. 15. Arabischen und persischen Erzählungen —Um die Zeit, als dieser Roman geschrieben wurde, war hauptsächlich durch den berühmten Orientalisten Galland (geb 1646 zu Rollo in der Picardie, gest. 1715 zu Paris), ein allgemeiner Geschmack an jenen Erzählungen verbreitet worden. Seine, unter dem Titel Tausend und eine Nacht, aus dem Arabischen übersetzten Erzählungen fanden viele Nachahmer. Das Element des Wunderbaren herrscht darin vor wie in den Feenmährchen, die ebenfalls dem Orient ihren Ursprung verdanken.S. 11. Z. 15. Novellen — Werden vorzüglich eine Art von Erzählungen genant, welche sich von den großen Romanen durch die Simplicität des Plans und den kleinen Umfang der Fabel unterscheiden oder sich zu denselben verhalten, wie die kleinen Schauspiele zu der großen Tragödie und Komödie, Die Spanier und Italiener haben deren eine unendliche Menge. Von jenen sind die Novellen des Cervantes durch die französische und durch mehrere deutsche Uebersetzungen bekannt. Sie sind ihres Verfassers nicht unwürdig. Von den italienischen hat man uns zu Venedig 1754 einen Auszug unter dem Titel II Novelliere Italiano, in vier Octavbänden geliefert, der nicht weniger als 177 Novellen von mehr als acht und zwanzig verschiedenen Verfassern enthält. Die meisten sind Nachahmer des durch sein Decamerone so berühmten Boccaccio. Auch die Franzosen haben, seitdem die Damen Gomez und Ville-Dieu diese Art von kleinen Romanen beliebt gemacht haben, eine Menge Werkchen dieser Art aufzuweisen, wovon die besten in der Bibliothèque de Campagne zu finden sind. W.S. 13. Z 17. 18. Kabbalistische Philosophie — Diese Zeiten fingen ' sich mit Raymund Lullus an und dauerten durch die andre Hälfte des fünfzehnten und durch das ganze sechzehnte Jahrhundert, wo nicht nur schwärmerische Köpfe, wie Picus von Mirandola, Paracelsus, Jordan Brunus, Cardanus und ihres Gleichen, sondern auch weisere Männer, wie Marsilius Ficinus, Reuchlin, Franz Patricio (der Herausgeber der angeblichen Werke des Hermes Trismegistus und Zoroaster) und Andere, in einem seltsamen Gemische von ägyptischen Räthseln, morgenländischen Bildern und griechischen Fabeln die tiefsten Geheimnisse der Geister- und Körperwelt zu entdecken vermeinten. Zu untersuchen, ob unter den Träumen dieser Männer und der älteren philosophischen Schwärmer, nach welchen sie sich bildeten, nicht viel — und vielleicht mehr — Wahres sey, als in der Modephilosophie unsrer Zeiten, ist keine Sache für diesen Ort. Genug, daß der ernsthafte Ton, worin Don Sylvio die Begriffe und Grundsätze, welche seinen Einbildungen zur Grundlage dienten, von sehr ernsthaften Männern in sehr ernsthaften Büchern behauptet fand, begreiflicher machen hilft, wie er mit der Anlage, die ihm der Verfasser gegeben, und in den Umständen, worein er ihn gesetzt hat, auf Schwärmereien habe verfallen können, welche, so ungereimt sie uns vorkommen, ihm ganz natürlich und vernünftig scheinen mußten. W. Vergl. Anm. zu der Natur der Dinge, 2. Buch, Anm. 5. Bd. 25.S. 13. Z 24. Babiole — Die in ein Aeffchen verwandelte Prinzessin Babiole hatte von dem Könige Magot, der sie zur Ehe verlangte, unter Anderem eine Olive und eine Haselnuß, welche beide talismanisch waren, zum Geschenk bekommen. Als endlich auf der Flucht, wozu sie die Furcht vor einer ihren Neigungen so wenig angemessenen Heirath trieb, die Noth sie zwang, die Olive anzubeißen, bekam sie durch das Oel derselben ihre eigene Gestalt wieder, und wie sie die Nuß aufknackte, purzelte eine Menge von kleinen Baumeistern, Zimmerleuten, Maurern, Tischlern, Tapezirern, Malern, Bildhauern, Gärtnern u. s. w. heraus, welche ihr in wenig Augenblicken einen prächtigen Palast mit den schönsten Gärten von der Welt aufbauten, Allenthalben schimmerte Gold und Azur. Man trug eine herrliche Mahlzeit auf; sechzig Prinzessinnen, schöner geputzt als Königinnen, von ihren Cavalieren geführt und mit einem Gefolge von ihren Edelknaben, empfingen die schöne Babiole mit großen Complimenten und führten sie in den Speisesaal. Nach der Tafel brachten ihr ihre Schatzmeister fünfzehn tausend Kisten voll Gold und Diamanten, wovon sie die Werkleute und Künstler, die ihr einen so schönen Palast gebauet hatten, bezahlte, unter der Bedingung, daß sie ihr geschwind eine Stadt bauen und sich darin häuslich niederlassen sollten. Dies geschah auch alsofort, und die Stadt wurde in drei Viertelstunden fertig, ungeachtet sie fünfmal größer als Rom war. — Dieß waren nun ziemlich viel Wunderdinge aus einer kleinen Haselnuß, sagt die selbst wundervolle Dame d'Aulnoy, die Erfinderin dieses bewundernswürdigen Mährchens. W. — Drei französische Damen beförderten hauptsächlich den Geschmack an den Feenmährchen, die Gräfin d'Aulnoy (gest. zu Paris 1705 im 55. Jahre), die Gräfin Murat und Fräulein de la Force. Franzosen schreiben der ersten viel Geist und eine große Leichtigkeit in Ausdruck und Darstellung zu: Wieland gesteht den ersten fast nur ironisch ein, und gibt oft zu verstehen, daß die gepriesene Leichtigkeit ein wenig — zu leicht sey.S. 14. Z. 21. Carabosse — Es gibt bekannter Maßen zweierlei Arten von Feen, gute und böse. Ordentlicher Weise sind jene die schönsten Damen von der Welt, und diese die häßlichsten Mißgeburten, die man sich vorstellen kann. Von den letzten ist Carabosse eine der ausgezeichnetsten. In dem Mährchen La Princesse Printanniere wird sie als ein häßliches Thier geschildert, mit krummen Beinen, einem großen Höcker, schielenden Augen, einer kohlschwarzen Haut und zu einem sehr kurzen dicken Leib mit einem so großen Kopfe, daß ihre Kniee am Kinn anstießen. Sie kam in einem von zwei häßlichen kleinen Zwergen geschobenen Schubkarren an, um sich der Königin Mutter der Prinzessin Printanniere zur Säugamme anzutragen; und alle Thorheiten, welche diese gute Prinzessin in der Folge beging, mit allen daher entspringenden Unfällen, waren Wirkungen der abschlägigen Antwort, die man einer so liebenswürdigen Amme gegeben hatte. W. — Auch diese häßliche böse Fee verdankt einem Märchen der Gräfin d'Aulnoy ihren Ursprung. Im Folgenden kommen dergleichen Anspielungen mehrere vor, und da es unnöthig seyn würde, den Ursprung überall nachzuweisen, so verweisen wir hier einmal für immer auf die Blaue Bibliothek und le Cabinet de Fées ou Collection choisie des Contes des Fées et autres contes merveilleux, Geneve 37 Bde, Der 35. und 36. Band dieser Collection enthalten den Don Sylvio selbst.

Cap. 5.

S. 16. Z. 17. Immerschön — Das Mährchen Jeune et Belle in den Nouveaux Contes de Fées par Mad. de M** p. 334 W. —Die Gräfin Henriette Julie von Murat, geborne von Castelnau (geb. 1670, gest. 1716 zu Paris) gab , außer mehreren Romanen, auch zwei Bände Contes de Fées heraus, unter denen das Mährchen Jeune de Belle befindlich ist.S. 17. Z. 13. Fanferluche — Name einer der vornehmsten Mitschwestern der Fee Carabosse. Fanferluche ist zwar nicht völlig so häßlich und so schlimm als Carabosse aber doch boshaft genug, um ihre Freude daran zu haben, wenn sie den Leuten mit einer ehrlichen gutherzigen Miene einen schlimmen Streich spielen kann. Die edle Geschichtschreiberin der Feen beschreibt sie als eine kleine Frau, einer Hand hoch; sie trug ein Kleid von Schmetterlingsflügeln, ein Paar Stiefeln von Nußschalen und einen Kranz von Dornblüthe und ritt auf drei Binsen durchs Kamin herab dreimal im Zimmer herum, als sie der Königin erschien, welche keine Kinder hatte, und die Fee Fanferluche beschuldigte, daß sie ihr's angewünscht habe. Zum Beweis, daß Sie mir Unrecht thun, sagt die Fee, kündig' ich Ihnen an, daß Sie in Jahresfrist eine Tochter haben sollen; aber ich besorge, sie wird Ihnen so viel Thränen kosten, daß Sie lieber keine Tochter haben wollten. Ueber diese Ankündigung betrübt sich die Königin, wie billig, sehr und bittet die Fee flehentlich, Mitleiden mit ihr zu haben. Das Schicksal ist mächtiger als ich, versetzt Fanferluche: Alles, was ich für Sie thun kann, ist, Ihnen diesen Kranz von Dornblüthe zu geben; binden Sie ihn der kleinen Prinzessin um den Kopf, sobald sie geboren seyn wird; sie wird dadurch vor vielen Unfällen verwahret werden. Hiermit gab sie der Königin den Kranz und verschwand wie ein Blitz. Sobald die Prinzessin, ein wunderschönes Kind, geboren war, hatte man nichts Angelegeners, als ihr eilends den Kranz der Fee Fanferluche anzuheften; aber kaum war es geschehen, so verwandelte sich die kleine Prinzessin in das schönste Aeffchen, das je gesehen worden war. W.

Cap. 6.

S. 19. Z. 22. Wohlthätige Frosch — Der wohlthätige Frosch, der in einem Mährchen dieses Namens das Wunderbare zu besorgen hat, ist eine Art von Fee unter den Fröschen. Die ganze Zauberkunst dieser seltsamen Fee besteht in einer kleinen Rosenhaube (petit chaperon de roses), womit sie coeffirt zu seyn pflegt. W. — Der Chaperon rouge ist in den Contes des Fées des französischen Akademikers Charles Perrault zu suchen, des Verf. der Contes de ma mere l'Oye, welche noch vor der Tausend und einer Nacht (1697) erschienen.S. 20, Z, 12. Concombre — Drei übel berüchtigte Feen. Magotine spielt ihre Rolle im grünen Serpentin; Ragotte die ihrige im König Hammel; und wem ist die zärtliche Concombre aus dem witzigen und leichtfertigen Écumoire unbekannt? W. — Serpentin vert und le mouton sind von der Gräfin d'Aulnoy. Der Ecumoire (ou Tanzaï et Neardarné, histoire japonoise), ein Werk des bekannten jüngeren Crebillon, erschien zuerst 1734. S. Crebillons vorzüglichste Werke. Berl. 1782-1786, 3 Thle. (von Lottich und Mylius).S 21. Z, 15 Bonzen — Die Anhänger der Religion des Fo, bei den Chinesen Ho-schang genannt, pflegen die Europäer Bonzen zu nennen, besonders die Mönche dieser Religionspartei, die von den gebildeten Chinesen selbst, ihrer Unwissenheit halber, verachtet werden. Mit Indien haben die Bonzen eigentlich nichts zu thun, Wieland aber gebrauchte Bonzen meist gleich bedeutend mit asiatischen Pfaffen.

Cap. 7.

S, 22. Z. 23. Königes Hammel — Die Stelle, auf welche hier gezielt wird, scheint eine Nachahmung Lucians zu seyn, der uns im zweiten Theile der Wahren Geschichte eine Abschilderung von dem Ueberflusse machte, worin die Bewohner Elysiums oder der glückseligen Inseln leben. "Dort herrscht ein ewiger Frühling (sagt er), die Weinreben tragen des Jahres zwölfmal reife Trauben, und alle übrige Obstbäume dreizehn Mal. Aus den Kornähren wachsen statt des Weizens wirkliche Brode, wie die Schwämme, hervor; Quellen von Wein, Milch, Honig und wohlriechenden Salben ergießen sich in Menge durch die Auen und Haine; der Ort, wo die Seligen Tafel halten, ist die angenehmste Wiese, von hohen Bäumen umgeben, unter deren Schatten sie sich auf Blumen lagern. Die Winde tragen die Speisen auf und bedienen einen Jeden nach Belieben; nur den Wein schenken sie nicht ein. Denn rings umher stehen große Bäume vom feinsten Glase, auf welchen, statt der Früchte, alle Arten von Bechern und Trinkgeschirren von allerlei Gestalt und Größe wachsen. Ein Jeder, der zu Tische geht, bricht sich eines oder zwei davon ab, und stellt sie vor sich hin; diese füllen sich sogleich und so oft er will von sich selbst mit Wein. Indessen, daß die Seligen essen und trinken, thauen Balsamwolken, eine Art von feinem Staubregen, auf sie herab; und damit ihnen sogar die Mühe, sich mit Blumen zu bekränzen, erspart werde, pflücken die Singvögel, die zur Tafelmusik bestellt sind, mit ihren Schnäbeln die schönsten Blumen auf den nahen Wiesen und lassen sie, so dicht wie Schnee, auf ihre Köpfe herab fallen." W.S. 24 Z. 4 Prinzessin Trognon — Im goldnen Zweige der Mad. d'Aulnoy (Vol. II. du Cabinet des Fées.) W.S. 25. Z. 19. Latona — Die Mutter Apollo's und Diana's, mußte nach der Geburt mit diesem Zwillingspaar vor dem Zorn der Hexe (Juno) flüchten. An den Gränzen Lyciens, fast vom Durst verzehrt, wollte sie aus einem Teiche schöpfen, allein ein Haufe Bauern vertrieb sie davon. Da ihre Bitten vergeblich waren, rief sie drohend: Möchtet ihr ewig in diesem Teiche leben! Ihr Wunsch ging in Erfüllung, denn sie wurden in Frösche verwandelt. Bei Ovid (Met. 6, 370) lese man die Schilderung, die hier Wielanden vorschwebte. Warum Wieland statt der Lycier hier Delier gesetzt hat, weiß ich nicht.S. 26 Z. 15. Aquavitflasche der Feen — Nachdem die Prinzessin Babiole eine Zeitlang in den Wolken, wohin sie von der bösen Fanferluche entführt worden, herum geirret hatte, stürzte sie sich endlich in einem Anfall von Verzweiflung von der schroffen Spitze einer hohen Wolke auf die Erde herab, um ihrem Leben und ihrer Qual zugleich ein Ende zu machen. Allein das Schicksal hatte es anders beschlossen. Sie fiel in die Flasche, worin die Feen ihren Ratafia an die Sonne zu setzen pflegen; ein Fläschchen, welches größer und geräumiger ist, als der größte Thurm in der ganzen Welt. Zu gutem Glücke für die arme Prinzessin war die Flasche leer, sonst würde sie wie eine Fliege darin ertrunken seyn, sagt die sinnreiche Verfasserin dieses unnachahmlich ungereimten Mährchens. Babiole mußte eine geraume Zeit in diesem gläsernen Gefängniß ausharren, wo sie von Lust und Thau lebte, wie das Chamäleon, und Tag und Nacht von sechs Riesen und sechs Drachen bewacht wurde, bis es endlich dem Prinzen, ihrem Vetter und Liebhaber, glückte, sie mit Hülfe einer großen bezauberten Fischgräte in Freiheit zu setzen. W.

Cap. 9.

S. 32. Z. 7 Sieste — Mittagsruhe, welche man in Spanien und Italien in den Stunden, da die Sonnenhitze am größten ist, zu halten pflegt. W.S. 35 Z. 3, Von altchristlichem Geschlechte — Neue Christen nennt man in Spanien die Abkömmlinge von den spanischen Mauren und Juden, welche vor und nach den Zeiten Ferdinands des Katholischen die christliche Religion angenommen haben; alte Christen diejenigen, die von den Gothen, welche Spanien vor dem Einfall der Mauren (im J. 714) inne hatten, abstammen oder abzustammen vorgeben. Von alten Christen geboren zu seyn, war (wenigstens um die Zeiten da Philipp der Dritte alle seine maurischen Unterthanen aus Spanien vertrieb) ein Vorzug, worauf ein Spanier so stolz war, als auf die höchste Ehrenstufe W.S. 36. Z. 7. 8. Dämonion — Dina — Pedrillo ist, bei aller seiner Belesenheit, dem Fehler unterworfen, in seinen Erzählungen oder Anspielungen, Begebenheiten, Namen, Oerter und Zeiten ziemlich unter einander zu mengen. Hier ist, wie man leicht sieht, von Diana und Endymion die Rede. W.S. 36. 12. Maravedi — Ein Maravedi ist eine Kupfermünze, die den vier und dreißigsten Theil eines Reals beträgt, welcher der achte Theil eines Piasters oder spanischen Thalers ist. W.

Cap. 10.

S. 42. Z. 8. Salamander — Unter den vier Classen der Elementargeister (deren wirkliches Daseyn, nach dem weisen Paracelsus, etwas Ausgemachtes ist, wie es denn auch neuerlich durch die Erfahrungen des berühmten Geistersehers Swedenborg bestätigt ist) nehmen die Salamander den obersten Platz ein. Sie bewohnen die Sphäre des Feuers und sind sowohl die schönsten als geistreichsten unter den elementarischen Genien, sagt der begeisterte Graf von Gabalis, S. les Entretiens sur les Sciences secrettes par l'Abbé de Villars. W.

Cap. 11.

S. 50. Z. 12. Alie — Im Hammel des Grafen Anton Hamilton — Der Graf Antoine d'Hamilton, aus einer schottischen Familie, zu Irland geboren und gestorben zu St. Germain-en Laye den 21. April 1720, 64 Jahre alt, ist als einer der geistreichsten, unterhaltendsten Schriftsteller bekannt, und seine Feenmährchen (le Belier, Fleur-d'Epine, les quatre Facardins, übers. v. Fr. Jacobs) behaupten denselben Ruhm, ungeachtet er sie nur schrieb, um zu beweisen, daß zu der Dichtung derselben kein sonderliches Talent gehöre. Da er scherzt, wo die Andern ernst sind, Scherz aber an seiner rechten Stelle ist; so wollte ihn Wieland hier gewiß nicht tadeln. Vielmehr findet er sich mit ihm auf einem Wege. Den Freundinnen, die mehrere Mährchen von ihm verlangten, schrieb er:
En vain je fais l'apologie
Du conte de la nymphe Alie,
Et de la dernière des nuits,
S'il me faut faire autre folie,
Et coudre un nouveau supplément
Au dernier tome de Galland.
Je ne connois que trop la honte
De mettre au jour conte sur conte;
Cependant, si vous l'ordonnez,
Je vais, en dépit du scruple,
Suivre les loix, que vous donnez,
Et me livrer au ridicule
Des fatras que j'ai camnéonds. .

Cap. 12.

S. 54. Z. 22 Maria von Agreda — Schwester Maria von Coronel, nach dem Orte ihres Aufenthalts von Agreda genannt, eine spanische Nonne, lebte in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts und ist die Verfasserin eines Lebens der Heiligen Jungfrau, welches ihr (ihrem Vorgeben nach) diese selbst, mittelst einer langen Reihe von Erscheinungen und Offenbarungen, in die Feder dictirte. P. Crozet, ein Mönch ihres Ordens, übersetzte es ins Französische unter dem Titel: La mystique Cité de Dieu, Miracle de sa Toute-puissance, abyme de la Grace de Dieu Historie divine de la vie de la très-sainte Vierge Marie, Mère de Dieu, manifestée dans ces derniers Siècle par la Sainte Vierge à La Soeur Marie de Jesus, Abbesse du Couvent de l'immaculée Conception de la Ville d'Agrede und kam zu Brüssel im Jahr 1717 in drei Quart- und acht Octav-Bänden heraus. Zu einer kleinen Probe von der Stärke der Einbildungskraft dieser spanischen Dame wird Folgendes hinlänglich seyn. Sobald Maria geboren war, befahl der Allmächtige den Engeln, dieses holdselige Kind ins Empyreum zu tragen, um es den Bewohnern desselben als die Königin des Himmels vorzustellen. Es wurden ihr neunhundert Engel (hundert von jeder der neun Ordnungen oder Chöre) zur Bedienung angewiesen; zwölf andere wurden dazu bestellt, ihr in sichtbarer Gestalt auszuwarten; noch achtzehn vom ersten Rang (die nämlichen, welche Jakob aus der Himmelsleiter auf und nieder steigen sah) richteten die wechselseitigen Bestellungen zwischen der Königin und dem Könige des Himmels aus, und der Erzengel Michael wurde zum Oberbefehlshaber dieses ganzen himmlischen Hof-Etats gesetzt u. s. w.Diese Probe aus einem Werke, weiches im siebzehnten Jahrhundert viel Aufsehens machte, ist wohl hinreichend, Wielands Erklärung darüber zu rechtfertigen.

Buch 2.

Cap. 1.

S. 63. S. 12. Derogiren — Von seiner Kraft und seinem Ansehn benehmen; ein Ausdruck, der von römischen Gesetzen entlehnt ist, wenn von einem Gesetz etwas abbedungen wurde, wodurch es an der alten Rechtskräftigkeit verlor.

Cap. 2.

S. 63. Z. 23. Ostade — Ein berühmter niederländischer Maler, der im Geiste seiner Schule poetisch im Gemeinen und darin vorzüglich war.S. 65. Z. 9. Der Juno zu geben pflegt — Unser Autor scheint hier, bloß zum Scherz, auf die gewöhnliche lateinische Uebersezung des Beiworts βοωπις, welches Homer der Juno zu geben pflegt, anzuspielen; die ehrwürdige ochsenaugige Juno, geben es die Uebersetzer und setzen dadurch den unschuldigen Homer dem Tadel der Ungelehrten aus. Nichts kann billiger seyn, als der kritische Zorn, in welchen Grävius hierüber geräth. (Lect, Hesiod. ad vers 355. Theogon.) Homer, um die Schönheit und Größe der Augen der Götterkönigin mit einem Zug anzudeuten, nennt sie βοωπις, sagt der weise Libanius. Richtig also, und der Absicht Homers, aber nicht in seiner Manier, angemessen umschreibt Pope die Beiwörter βοωπις und πστνια,
—— the Goddess of the skies
Roll'd the large orbs of her majestic eyes.
Indessen scheint doch unleugbar zu seyn, daß der Gebrauch dieses Beiwortes (welches in seiner ältesten Bedeutung ohne allen Zweifel ochsenaugig hieß), so wie tausend andre Homerische Beiwörter, Redensarten, Gleichnisse und andre Züge oder Farben, durch das hohe Alter dieses unschätzbaren Dichters und durch die rohe Einfalt, worin Sitten, Geschmack und Sprache sich damals noch befanden, am besten gerechtfertiget werde. Kühe und Ochsen waren in den Homerischen Zeiten sehr ansehnliche und in hohem Werthe gehaltene Glieder der häuslichen Gesellschaft, wie es die Pferde bei den Arabern waren und noch sind. Eine Kuh hat unstreitig (mit Erlaubniß der Madame Dacier) größere Augen als ein Frauenzimmer. Um also eine Dame mit vorzüglich großen Augen zu bezeichnen, nannte man sie kühäugig. Dieß Beiwort war nachdrücklich und malend und hatte nichts, was die rohe Empfindung eines Volkes beleidigte, dessen Begriffe, Lebensart und Sitten noch so nahe an die natürliche Wildheit gränzten. Man bediente sich also dessen eben so unbedenklich, als die Türken sich noch jetzt des Beiwortes hirschaugig in ihrer edelsten Poesie bedienen; und zu Homers Zeiten war es vermuthlich schon gewöhnlich, daß, sobald man das Wort βοωπις hörte, man sich augenblicklich schöne große Augen dachte, ohne an die Abstammung des Wortes zu denken, welche durch Erweckung eines unedeln Nebenbegriffs dem Begriffe von Majestät, den Homer in uns erwecken will, hätte schaden können. W. — Ob rohe Einfalt der Grund zu solchen malenden Beiwörtern bei Homer sey, oder größere Naturgemäßheit, wäre wohl die Frage. Gewiß ist, daß man den Homer dabei als Asiaten betrachten muß.S. 66 Z. 17. Cypassis — Name eines Kammermädchens der Geliebten des Ovidius, welche in den Augen dieses leichtsinnigen Liebhabers reizend genug war. ihn ihrer Gebieterin zuweilen ungetreu zu machen. Er rühmt sie wegen ihrer Geschicklichkeit, die Haarlocken seiner Dame auf tausendfache Manier zu schmücken:
Ponendis in mille modis perfecta capillis,
Comere sed solas digna, Cypassi, deas. W.

Cap. 4.

S. 76. Z. 20. Migonnet — Migonnet hieß der Gemahl, welchen die Feen der Prinzessin Weißkätzchen zum Gemahl bestimmten, ehe sie durch die Verwandlung in eine weiße Katze für ihren Ungehorsam bestraft worden war. Dieser König Migonnet hatte für einen Liebhaber, der sich anmaßt zu gefallen, eine seltsame Figur. "Niemals (sagt Madame d'Aulnoy, seine Schöpferin), seitdem es Zwerge gibt, hatte man einen so kleinen gesehen. Sein königlicher Mantel war nur eine Elle lang und schleppte doch um mehr als den dritten Theil auf dem Boden nach. Er hatte Adlersfüße, weil er aber keinen Knochen in den Beinen hatte, so mußte er auf den Knien fortrutschen. Sein Kopf war so groß wie ein Scheffelmaß, und seine Nase von einem so ansehnlichen Schnitt, daß er ein halb Duzend Vögel darauf zu tragen pflegte, an deren Gesang er sich belustigte. Seine Ohren ragten eine Spanne lang über den Kopf empor, und sein Bart war so lang und dicht, daß Canarienvögel darin nisteten." W.

Cap. 5.

S. 81. Z. 2. Gusman — Auch hierbei muß man sich an einen in jener Zeit bekannten Roman erinnern, an den Gusman von Alfarache des Le Sage (geb. 1677, gest. 1747), der es ebenfalls versuchte, dem Cervantes nachzustreben.

Cap. 6.

S, 84. Z, 16. Prinzessin Laidronette — Im grünen Serpentin der Gräfin d'Aulnoy.

Buch 3.

Cap. 1.

S. 100. Z. 19. Isidor — Pedrillo hatte wahrscheinlich von seinen Knabenjahren her noch eine verworrene Erinnerung von dem Abenteuer, das dem Helden der Aeneis mit dem Schatten des ermordeten trojanischen Prinzen Polydorus begegnet; sein nicht allzu getreues Gedächtniß vermengte den trojanischen Aeneas mit dem Papst Pius II., welcher vorher den Namen Aeneas Sylvius führte; die übrigen Verfälschungen der Umstände mischte seine aus den Ritterbüchern mit dergleichen Wunderdingen angefüllte Einbildung hinein W.

Cap. 2.

S. 104. Z. 1. Tiresias — Ein berühmter Wahrsager von Theben, von dem erzählt wird, daß er durch ein Wunder in ein Weib und dann wieder in einen Mann verwandelt wurde. Deßhalb wählten ihn Jupiter und Juno bei einem Streit über ein gewisses Naturgeheimniß, worüber man nur nach solchen Verwandlungen entscheiden kann, zum Schiedsrichter. Da er zum Unglück nicht für Juno entschied, so strafte ihn diese mit Blindheit.S. 105 Z. 24, 25, Es kann eine Gabe seyn, womit mich eine Fee beschenkt hat — Don Sylvio würde vielleicht noch dreister gesprochener haben, wenn der große Geisterseher Swedenborg zu seiner Zeit schon bekannt gewesen wäre. In der That, warum sollte sein Innerstes nicht eben sowohl haben ausgeschlossen werden können, als Swedenborgs seines? Indessen scheint uns doch Don Sylvio darin bescheidener, daß er, anstatt, wie dieser erstaunliche Mann, seinen Wahnsinn der göttlichen Barmherzigkeit zuzuschreiben, seine vermuthliche Gabe, Geister zu sehen, nur für sein Pathengeschenk von einer Fee hält.

Cap. 3.

S. 116 Z. 5. Dilemmen — Die Logiker nennen eine Art von Schlüssen, wodurch man gemachte Behauptungen zu widerlegen sucht, indem man zeigt, sie führen in jener Hinsicht zu ungereimten Folgen und seyen eben deßhalb selbst ungereimt, Dilemma.

Cap. 4.

S. 120. Z. 7. Gnomen — Gewöhnlicher Weise werden die Gnomen (Erdgeister, Bergmännchen u. s. w.) als ziemlich häßliche Zwerge vorgestellt. Aber, wenn wir dem Grafen von Gabalis, der die Elementargeister sehr genau kannte, glauben, so geschieht ihnen hierin großes Unrecht; wenigstens den Gnomiden, ihren Weibern. "Die Gnomen, sagt er, sind sinnreich, Freunde der Menschen und lassen sich leicht regieren. Die Gnomiden, ihre Weiber, sind klein, aber ungemein artig, und in ihrer Art sich zu kleiden haben sie einen ganz besondern Geschmack." Memoir. du Comte de Gabalis, Tom, I. p. 28. W.

Cap. 5.

S. 128. Z. 17. Kleinern Republicanern — Der Herausgeber dieser Geschichte hatte, als sie zum erten Mal im Druck erschien, die Ehre, in einer ziemlich kleinen Republik zu leben, welches zu besserem Verständnis dieses ganzen Capitels bemerkt werden mußte. W.

Cap. 6.

S. 136. Z. 19. Wenn man so etwas anschaue —Nämlich, weil die Göttin Flora unbekleidet vorgestellt war. Der Herr Pfarrer hatte nämlich entweder den Verstand nicht, zu wissen, daß ein sehr wesentlicher Unterschied zwischen nackenden oder wenig bekleideten und zwischen leichtfertigen und ärgerlichen Figuren ist; oder er affectirte aus Scheinheiligkeit es nicht zu wissen. Es wäre denn, daß man zu seiner Rechtfertigung sagen wollte, daß sich dieses Stück seiner Sittenlehre bloß auf den großen Haufen des Volkes beziehe, dessen Rohheit und durch die Erziehung wenig geordneter Instinct allerdings nöthig macht, daß man ihnen den moralischen Zügel stärker anziehe. W.

Cap. 8.

S. 157. Z. 18. Regenbogenschüsseln — Eine Anspielung auf den Aberglauben des gemeinen Volks, daß aus jedem Regenbogen ein Schüsselchen vom feinsten Golde herunter falle, welches seinen Besitzer reich und glücklich mache. W.

Cap. 9.

S. 162. Z. 4. Johann Baptist — Johannes der Täufer, als ein lieblicher Knabe von mehreren italienischen Meistern, namentlich Raphael, mit der Madonna und dem Christuskinde dargestellt.

Cap. 10.

S. 159. Z, 24. Sappho — Die gefeierte Dichterin aus Mitylene auf der Insel Lesbos, deren Ruhm und tragisches Schicksal neuerdings durch Grillparzers Tragödie in Aller Munde sind. — —Corinna war ebenfalls eine griechische Dichterin, Freundin und Lehrerin des erhabenen Pindar, dem sie sogar in mehreren poetischen Wettstreiten soll obgesiegt haben.S. 172. Z. 4. Avicenna — Eigentlich Ebn Sina, einer der berühmtesten Aerzte und Philosophen aus der arabischen Schule, im 11. Jahrhundert nach Christus, ein Mann von vielumfassender Gelehrsamkeit. Wenn Avicenna, was ihn Wieland sagen läßt, nicht wirklich gesagt hat; so hätte er es doch als Philosoph, der zugleich Arzt war, wohl sagen können. Der Pater Escobar hatte vielleicht andere Gründe dazu. Anton de Escobar y Mendoza sammelte sein moralisch-casuistisches Werk aus den Werken von 24 andern Jesuiten. Ungeachtet er aber auch ein heroisches Gedicht auf die unbefleckte Empfängniß der Mutter Gottes geschrieben hatte, fand doch Papst Innocenz XI. nöthig, seine unsittlichen Lehren einer Censur zu unterwerfen.S. 175, Z. 10 Asträa — S. Band III. S. 302, f.

Cap. 11.

S. 175. Z. 1. Thomas Sanchez — S. Band lIl, S. 299.

Buch. 4.

Cap. 1.

S. 147, Z. 10. René Descartes (Cartesius; dessen Anhänger Cartensianer) — ein berühmter Philosoph des siebzehnten Jahrhunderts (gest. 1650), hatte sich zum Grundsatz gemacht, an Allem zu zweifeln, um die Wahrheit desto sicherer zu entdecken. Da er in dem allgemeinen Zweifel doch eines sichern Haltes bedurfte, so nahm er es als einen unumstößlichen Grundsatz an: Ich denke, also bin ich. (Cogito, ergo sum.)S. 187. Z. 16. Syllogismus — Schluß.S. 188. Z. 9. Dualisten — Crusianer — Namen verschiedener philosophischer Parteien. Man vergesse nicht, daß dieß vor mehr als dreißig Jahren geschrieben wurde und also keine Satire auf die deutschen Metaphysiker des Jahres 1795 seyn kann. W. — Noch weniger also der Metaphysiker, oder welchen Namen sie sonst führen, des neunzehnten Jahrhunderts. W.S. 188 Z. 24. Jura stolae — Gerechtsame, die zu den Einkünften eines Predigers gehören.S. 189. Z. 12. Intellectus agens unb pations — Aritoteles unterschied einen leidenden Verstand (intellectus patiens, passivus und einen thätigen (int. agens), ziemlich so, wie wir Verstand und Vernunft unterscheiden. Seit dem arabischen Philosophen Averroes ist dem Aristoteles vielerlei dabei untergeschoben worden, worüber, wer Lust hat. Tiedemanns Geist der speculativen Philosophie Bd. 2. und 4. nachlesen kann.

Cap. 2.

S. 193. Z. 27. Corregidor — Ist in Spanien und Portugal ein Polizeirichter in zweiter Instanz.S. 114 Z. 2. Und in der That — dächten — Alexander der Große pflegte zu sagen: an zwei Bedürfnissen erkenn' er, daß er nur ein Sterblicher sey, am Schlaf und an der Neigung zum andern Geschlechte. Wenn es ihm gefällig gewesen wäre, hätte er, außer dem demüthigenden Bedürfnisse, wovon Pedrillo spricht, noch an zwanzig andern Dingen merken können, daß es mit seiner anmaßlichen Gottheit nicht gar richtig stehe. W.S. 201. Z. 24. Euclides — Einer der berühmtesten Mathematiker Griechenlands, dessen Werk noch jetzt als Grundlage gilt.

Cap. 6.

S. 224, Z. 22. Schlüsse in Festino und Barocco — Die Bildung der Schlüsse hatten die alten Logiker in gewisse Formen gebracht, und bedienten sich bei Versetzungen der Begriffe oder Sätze in denselben gewisser Buchstaben. Daraus entstanden eigene Kunstwörter für die schwerbeladene Logik, und zu diesen Kunstwörtern gehören auch Festino und Barocco, die sonst keine Bedeutung haben.

Cap. 8.

S. 238. Z. 23. Achates — Ein Trojaner, der treue Begleiter des Aeneas, ist aus Virgils Aeneis bekannt.