C. M. Wieland's Werke.
Erster Band.
Leipzig.G. J. Göschen'sche Verlagshandlung.
1853.Buchdruckerei der J. G. Cotta'schen Buchhandlung in Stuttgart.
Die Abenteuer des Don Sylvio von Rosalva.
Erster Theil.
Inhalt
des ersten Theils.
Erstes Buch. Erstes Capitel.Charakter einer Art von Tanten1
Zweites Cap. Was für eine Erziehung Don Sylvio von seiner
Tante bekam . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5
Drittes Cap. Psychologische Betrachtungen . . . . . . . . 7
Viertes Cap. Wie Don Sylvio mit den Feen bekannt wird . . 10
Fünftes Cap. Seltsame Thorheit des Don Sylvio. Seine Liebe
zu einer idealischen Prinzessen . . . . . . . . . . . . . 15
Sechstes Cap. Abenteuer mit dem Laubfrosche. Warum Don
Sylvio nicht merkte, daß der Frosch keine Fee war . , . . 18
Siebentes Cap. Don Sylvio findet auf eine wunderbare Art
das Bildniß seiner geliebten Prinzessin . . . . . . . . . 22
Achtes Cap. Reflexionen des Autors und des Don Sylvio . . 26
Neuntes Cap. Folgen des Abenteuers mit dem Sommervogel.
Der Leser wird mit einer neuen Person bekannt gemacht .. 31
Zehntes Cap. Worin Feen, Salamander, Prinzessinnen und
grüne Zwerge auftreten . . . . . . . . . . . . . . . . . .39
Eilftes Cap. Ein Gespräch zwischen Pedrillo und seinem Herrn.
Zurüstungen zu der beschlossenen Wanderschaft . . . . . . 47
Zwölftes Cap. Unmaßgebliche Gedanken des Autors . . . . . 53
Zweites Buch. Erstes Capitel. Aufschlüsse über die Reisen
der Donna Mencia nach der Stadt . . . . . . . . . . . . . 60
Zweites Cap. Ein Gemälde in Ostadischem Geschmack . . . . 63
Drittes Cap. Gespräch zwischen der Tante und dem Neffen . 68
Viertes Cap. Muthmaßungen des Don Sylvio. Er verabredet
seine Entweichung mit dem Pedrillo . . . . . . . . . . . .74
Fünftes Cap. Ein Spaziergang. Klugheit des Don Sylvio . . 79
Sechstes Cap. Don Sylvio wird in die Gärten der Fee
Radiante entzückt. Seltsame Verwechselung, welche daraus
entsteht. Unangenehme Folgen derselben . . . . . . . . . .81
Siebentes Cap. Don Sylvio kommt wieder zu sich selbst.
Unterredung mit Pedrillo. Wie geschickt dieser die
vermeinte Fanferluche zu hintergehen weiß . . . . . . . . 86
Drittes Buch, Erstes Cap. Heimliche Flucht unsrer Abenteurer.
Wortstreit, der zwischen ihnen wegen eines Baumes
entsteht, den Pedrillo für einen Riesen ansieht . . . . . 96
Zweites Cap. Merkwürdiges Abenteuer mit dem Salamander und
dem Froschgraben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .103
Drittes Cap. Worin Pedrillo etwas unsanft aus dem Schlafe
geweckt wird . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .113
Viertes Cap. Was die Einbildung nicht thut! . . . . . . . 116
Fünftes Cap. Worin die Geschichte nach Rosalva zurückkehrt123
Sechstes Cap. Unterredung beim Frühstück. Eifersucht des Don
Sylvio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .129
Siebentes Cap. Abenteuer mit der Zigeunerin . . . . . . . 142
Achtes Cap. Don Sylvio ermüdet sich über dem Suchen des
blauen Schmetterlings und schläft nach einer starken
Feldmahlzeit ein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154
Neuntes Cap. Das artigste Abenteuer in diesem ganzen Buche158
Zehnten Cap. Wer die Dame gewesen, welche Pedrillo für eine
Fee angesehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167
Eilftes Cap. Eines von den gelehrtesten Capiteln in diesem
Werke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174
Zwölftes Cap. Ein weiblicher Dialog , , , , , . . . . . . 176
Viertes Buch. Erstes Cap. Worin der Autor eine tiefe Einsicht
in die Geheimnisse der Ontologie an den Tag legt . . . . .186
Zweites Cap. Ein Beispiel, daß ein Augenzeuge nicht allemal
so zuverlässig ist , als man zu glauben pflegt . . . . . .189
Drittes Cap, Worin Don Sylvio sehr zu seinem Vortheil
erscheint . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207
Viertes Cap.Die Gesellschaft langt in einem Wirthshause an213
Fünftes Cap. Der Autor hofft, daß dieses Capitel keiner
Kammerjungfer in die Hände fallen werde . . . . . . . . . 216
Sechstes Cap. Exempel eines merkwürdigen Verhörs . . . . .222
Siebentel Cap. Eine kleine Abschweifung nach Lirias, wobei
der Autor eine nicht unfeine Kenntniß des weiblichen
Herzens sehen läßt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .233
Achtes Cap. Das höchst klägliche Abenteuer mit den
Grasnymphen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238
Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245
Erstes BuchErstes CapitelCharakter einer Art von Tanten.In einem alten baufälligen Schlosse der spanischen Provinz
Valencia lebte vor einigen Jahren ein Frauenzimmer von
Stande, die zu derjenigen Zeit, da sie in der folgenden Geschichte
ihre Rolle spielte, bereits über ein halbes Jahrhundert
unter dem Namen Donna Mencia von Rosalva — sehr
wenig Aufsehens in der Welt gemacht hatte.Die Dame hatte die Hoffnung, sich durch ihre persönlichen
Annehmlichkeiten zu unterscheiden, schon seit dem Successionskriege
aufgegeben, in dessen Zeiten sie zwar jung und nicht
ungeneigt gewesen war, einen würdigen Liebhaber glücklich
zu machen, aber immer so empfindliche Kränkungen von der
Kaltsinnigkeit der Mannspersonen erfahren hatte, daß sie
mehr als ein Mal in Versuchung gerathen war, in der Abgeschiedenheit
einer Klosterzelle ein Herz, dessen die Welt sich
so unwürdig bezeugte, dem Himmel aufzuopfern. Allein ihre
Klugheit ließ sie jedesmal bemerken, daß dieses Mittel, wie
alle diejenigen, welche der Unmuth einzugeben pflegt, ihre
Absicht nur sehr unvollkommen erreichen und in der That
die Undankbarkeit der Welt nur an ihr selbst bestrafen würde.Sie besann sich also glücklicher Weise eines andern, welches
ihr nicht so viel kostete und weit geschickter war, die einzige
Absicht zu befördern, die bei so bewandten Umständen ihrer
würdig zu seyn schien. Sie wurde eine Spröde und nahm
sich vor, ihre beleidigten Reizungen an allen den Unglückseligen
zu rächen, welche sie als Wollen ansah, die den Glanz
derselben aufgefangen und unkräftig gemacht hatten. Sie
erklärte sich öffentlich für eine abgesagte Feindin der Schönheit
und Liebe und warf sich hingegen zur Beschützerin aller
dieser ehrwürdigen Vestalen auf, denen die Natur die Gabe
der transitiven Keuschheit mitgetheilt hat, von Geschöpfen,
deren bloßer Anblick hinlänglich wäre, den muthwilligsten
Faun — weise zu machen.Donna Mencia ließ es nicht bei der bloßen Freundschaft
bewenden, die der nähere Umgang, die Sympathie und die
Aehnlichkeit ihres Schicksals zwischen ihr und einigen Frauenzimmern
von dieser Classe stiftete, mit denen sie zu Valencia,
wo sie erzogen worden war, nach und nach Bekanntschaft
gemacht hatte. Sie richtete eine Art von Schwesterschaft mit
ihnen auf, die in der schönen Welt eben das war, was (nach
vieler Leute Meinung) die Mönchsorden in der politischen
sind, ein Staat im Staate, dessen Interesse ist, dem andern
allen möglichen Abbruch zu thun, und die sich den Namen
der Antigrazien erwarb, indem sie mit dem ganzen Reich
der Liebe in einer eben so offenbaren und unversöhnlichen Fehde
stand, als die Malteserritter mit den Muselmanen.Um ihre Zusammenkünfte dem gemeinen Wesen so nützlich
zu machen, als sie ihnen selbst angenehm waren, erwählten
sie die Beförderung der Tugend und der guten Sitten unter
ihrem Geschlechte zum Gegenstand ihrer großmüthigen Bemühungen:
denn die klägliche Verderbniß desselben war, ihrem
Urtheile nach, die wahre und einzige Quelle alles Unheils in
der Welt. Sie legten zum Grund ihrer Sittenlehre, daß
die Besitzerin eines angenehmen Gesichts unmöglich tugendhaft
seyn könne; und nach diesem Grundsatze wurden alle ihre
Urtheile über die Handlungen und den moralischen Werth
einer jeden Person ihres Geschlechts bestimmt. Ein Frauenzimmer,
welches gefiel, war in ihren Augen eine Unglückselige,
ein verlornes Geschöpf, eine Pest der menschlichen Gesellschaft,
ein Gefäss und Werkzeug der bösen Geister, eine
Harpye, Hyäne, Sirene und Amphisbäne; und alles dieses
und noch etwas Aergeres, jenachdem sie mehr oder weniger
von dem anstehenden Gifte bei sich führte, welches, nach dem
System dieser Sittenlehrerinnen, eben so tödtlich für die
Tugend als schmeichelhaft für die Eigenliebe und verführerisch
für die armen Mannsleute ist.In diesem strengen Charakter hatte sich Donna Menora
bereits über fünfzehn Jahre der schönen Welt zu Valencia
furchtbar gemacht, als Don Pedro von Rosalva, ihr Bruder,
den Entschluß faßte, Madrid zu verlassen, wo er den Rest
eines im Dienst des neuen Königs aufgewandten Vermögens
verzehrt hatte, eine Pension nachzusuchen, die er nicht erhielt,
und nun (da es zu spät war) nicht wenig bedauerte, daß er
ihn nicht lieber angewendet hatte, ein kleines altes Schloß,
zwei oder drei Stunden von Xelva, das einzige, was ihm
von seinen Vorältern übrig war, in einen bewohnbaren Stand
zu setzen.Er hatte von seiner vor Kurzem verstorbenen Gemahlin
einen Sohn und eine Tochter, deren zartes Alter sowohl als
die Regierung seines kleinen Hauswesens eine weibliche Aufsicht
erforderte. Er übertrug dieses Amt seiner Schwester,
welche leicht zu bewegen war, die Demüthigungen, die sie in
Valencia erlitten hatte, gegen das Vergnügen zu vertauschen,
die vornehmste Frau in einem Dorfe zu seyn. Eine Denkungsart,
die sie vielleicht dem großen Julius Cäsar abgelernt
haben mochte, der bei seinem Durchzug durch ein elendes
Städtchen in den Pyrenäen seine Freunde versicherte, daß er
lieber der Erste in diesem armseligen Städtchen, als der Zweite
in Rom seyn möchte.Der Gram über fehlgeschlagene Hoffnungen ließ den guten
Don Pedro die Annehmlichkeiten der Freiheit und des Landlebens,
dessen wahre Vortheile ohnehin seinen Landsleuten
noch unbekannt sind, nicht lange genießen. Er starb und
hinterließ seinem Sohn, Don Sylvio, einen Stammbaum,
der sich in den Zeiten des Gargaris und Habides verlor, ein
verfallenes Schloß mit drei Thürmen, ein Paar Pachthöfe,
und die Hoffnung, nach dem Tode der Donna Mencia eine
Erbschaft von alten Juwelen, Brillen und Rosenkränzen, nebst
einem ansehnlichen Vorrathe von Ritterbüchern und Romanen
mit seiner Schwester zu theilen.Don Pedro starb desto ruhiger, da er seinen Sohn, ob er
gleich das zehnte Iahr kaum erreicht hatte, in den Händen
einer so weisen Dame ließ, als Donna Mencia in seinen
Augen war. Denn ihre erstaunliche Belesenheit in Chroniken
und Ritterbüchern, und die Beredsamkeit, womit sie ihre
tiefen Einsichten in die Staatswissenschaft und Sittenlehre
bei Tische und bei andern Gelegenheiten auszulegen pflegte,
hatten ihm eine desto größere Meinung von ihrem Verstande
beigebracht, je weniger seine eigene kriegerische Lebensart ihm
Zeit gelassen hatte, eine mehrere Kenntniß von dem, was
man die feinere Gelehrtheit heißt, zu erwerben, als etwa
das Wenige seyn mochte, was ihm aus seinen Schuljahren
in einem nicht allzugetreuen Gedächtniß übrig geblieben war.—————
Zweites Capitel.Was für eine Erziehung Don Salvio von seiner Tante bekam.Donna Mencia betrog die Hoffnung nicht, welche sich ihr
Bruder von ihrer Sorgfalt und Geschicklichkeit gemacht hatte.
Denn, sobald der junge Sylvio von dem Pfarrer des Dorfes
so viel Latein gelernt hatte, daß er die Verwandlungen des
Ovidius verstehen, und von dem Barbier eines benachbarten
Fleckens, dem Amphion der Gegend, so viel Musik, daß er
etliche Duzend alte Balladen mit auf der Cither begleiten
konnte, so nahm sie es auf sich selbst, ihn zu allen den übrigen
Eigenschaften auszubilden, welche nach ihren Begriffen einen
vollkommenen Edelmann ausmachten.Das Schlimmste war, daß sie diese Begriffe aus dem Don
Palmerin von Oliva, dem Faramond, der Clelia, dem großen
Cyrus und andern Büchern von dieser Classe geschöpft hatte,
welche nebst den Abenteuern der zwölf Pairs von Frankreich
und der Ritter von der runden Tafel den vornehmsten Theil
ihres Bücherschatzes ausmachten. Ihrer Meinung nach lag
in diesen Büchern der ganze Reichthum der erhabensten und
nützlichsten Kenntniße verborgen. Sie glaubte also ihren
Untergebenen nicht besser anweisen zu können, als wenn sie
ihm die Begriffe und den Geschmack beizubringen suchte, den
sie selbst aus so lautern Quellen geschöpft hatte; und die
glücklichen Fähigkeiten des jungen Don Sylvio begünstigten
ihre Ansichten so sehr, daß er, noch vor seinem fünfzehnten
Jahre, zum wenigsten ebenso gelehrt als seine gnädige Tante
war. Er besaß in diesem zarten Alter bereits eine so ausgebreitete
Kenntniß von der Geschichte, der Naturkunde, der
Theologie, der Metaphysik, der Sittenlehre, der Staats- und
Kriegskunst, den Alterthümern und schönen Wissenschaften,
als irgend einer von den gelehrtesten Helden des großen
Cyrus; und er wußte mit so vieler Beredsamkeit über die
subtilsten Fragen aus diesen Wissenschaften zu peroriren, daß
die Bedienten des Hauses, der Pfarrer, der Schulmeister;
der vorbesagte Barbier und andere distinguirte Personen,
die den freien Zutritt im Hause hatten, sowohl die Wundergaben
des jungen Herrn als die weise Erziehungskunst der
gnädigen Frau nicht genug bewundern konnten.Was dieser letztern an ihrem Neffen am besten gefiel, war
die außerordentliche Begierde, wovon er brannte, den erhabnen
Mustern nachzuahmen, von deren großen Thaten und
Heldentugenden er bis zur Bezaubrung entzückt war, und
womit er seine Einbildungskraft so vertraut gemacht hatte,
daß er sich endlich beredete, es würde ihm nicht mehr Mühe
kosten, sie auszuüben, als er brauchte, sich eine Vorstellung
davon zu machen. Donna Mencia zweifelte nicht, daß Don
Sylvio mit so edeln Neigungen und einer so heroischen
Denkungsart dereinst eine große Rolle in der Welt spielen
und den Helden, welche sie am meisten bewunderte, an Ruhm
und Glück eben so nahe kommen würde, als er ihnen an
Schönheit und persönlichen Annehmlichkeiten ähnlich war.—————
Drittes CapitelPsychologische Betrachtungen.Man wird sich um so weniger wundern, daß die Einbildungskraft
des Don Sylvio von einer so wunderbaren Erziehung
einen seltsamen Schwung bekommen mußte, wenn
wir sagen, daß eine ungemeine Empfindlichkeit und, was
unmittelbar damit verbunden ist, eine starke Anlage zur
Zärtlichkeit unter die Gaben gehörte, womit ihn die Natur
bis zum Uebermaß beschenke hatte.Junge Leute von dieser Art lieben überhaupt alle Vorstellungen,
welche lebhafte Eindrücke auf ihr Herz machen
und Leidenschaften erwecken, die, in einem leichten Schlummer
liegend, bereit sind, von dem kleinsten Geräusch aufzufahren.Kommt dann noch hinzu, daß sie fern von der Welt, in einer
ländlichen Einsamkeit und Einfalt, unter den natürlichen
Vergnügungen des Landlebens und frei von den Arbeiten
desselben erzogen werden: so erhalten wunderbare und leidenschaftliche
Vorstellungen eine verdoppelte und desto stärkere
Gewalt über ihr Herz, je geschäftiger die Einbildungskraft
in solchen Umständen zu seyn pflegt, das Leere auszufüllen,
welches die beständige Einförmigkeit der Gegenstände, die sich
den Sinnen darstellen, in der Seele zurück läßt. Unvermerkt
verwebt sich die Einbildung mit dem Gefühl, das Wunderbare
mit dem Natürlichen, und das Falsche mir dem Wahren.
Die Seele, die nach einem blinden Instinct Chimären eben
so regelmäßig bearbeitet als Wahrheiten, bauet sich nach und
nach aus Allein diesem ein Ganzes und gewöhnt sich an, es
für wahr zu halten, weil sie Licht und Zusammenhang darin
findet, und weil ihre Phantasie mit den Chimären, die den
größten Theil davon ausmachen. ebenso bekannt ist, als ihre
Sinne mit den wirklichen Gegenständen, von welchen sie ohne
sonderliche Abwechslung immer umgeben sind.In diesem Falle befand sich der Jüngling, welcher der
Held unserer Geschichte seyn wird. Die natürliche Lauterkeit
seiner Seele war des Argwohns, ob er etwa betrogen werde,
unfähig. Seine Einbildung faßte also die chimärischen Wesen,
die ihr die Dichter und Romanschreiber vorstellten, eben
so auf, wie seine Sinne die Eindrücke der natürlichen Dinge
aufgefaßt hatten. Je angenehmer ihm das Wunderbare und
Uebernatürliche war, desto leichter war er zu verführen, es
für etwas Wirkliches zu halten; zumal da er in die Möglichkeit
auch der unglaublichsten Dinge keinen Zweifel setzte. Denn
für den Unwissenden ist Alles möglich. Solchergestalt schob
sich die poetische und bezauberte Welt in seinem Kopf an die
Stelle der wirklichen, und die Gestirne, die elementarischen
Geister, die Zauberer und Feen waren in seinem System
eben so gewiß die Beweger der Natur, als es die Schwere,
die Anziehungskraft, die Elasticität, das elektrische Feuer
und andere natürliche Ursachen in dem System eines heutigen
Weltweisen sind.Die Natur selbst, deren anhaltende Beobachtung das
sicherste Mittel gegen die Ausschweifungen der Schwärmerei
ist, scheint auf der andern Seite durch die unmittelbaren
Eindrücke, die ihr majestätisches Schauspiel auf unsere Seele
macht, die erste Quelle derselben zu seyn.Das angenehme Grauen, das uns beim Eintritt in den
dunkeln Labyrinth eines dichten Gehölzes befällt, beförderte
ohne Zweifel den allgemeinen Glauben der ältesten Zeiten,
daß die Wälder und Haine von Göttern bewohnt würden.
Der süße Schauer, das Erstaunen, die gefühlte Erweiterung
und Erhöhung unseres Wesens, die wir in einer heitern
Nacht beim Anblick des gestirnten Himmels erfahren, begünstigte
vermuthlich den Glauben, daß dieser schimmervolle, mit
unzählbaren, nie erlöschenden Lampen erleuchtete Abgrund
eine Wohnung unsterblicher Wesen sey.Aus dieser Quelle kommt es vermuthlich, daß die Landleute,
denen ihre Arbeiten keine Zeit lassen, die verworrenen
Eindrücke, welche die Natur auf sie macht, zu deutlicher Erkenntniß
zu erhöhen, überhaupt abergläubischer als andere
Leute sind. Daher die körperlichen Geister, womit sie die
ganze Natur angefüllt sehen; daher die unsichtbaren Jagden
in den Wäldern, die Feen, die des Nachts auf den Fluren
im Kreise tanzen, die freundlichen und die boshaften Kobolde,
der Alp, der die Mädchen drückt, die Berggeister, die Wassernixen,
die Feuermänner und wer weiß wie viel andre Hirngespinnster,
von denen sie so vieles zu erzählen wissen, und
deren Wirklichkeit bei ihnen so ausgemacht ist, daß man sie
nicht läugnen kann, ohne in den Augen der meisten von
ihrer Classe entweder albern oder gottlos zu scheinen.Nehmen wir nun alle diese Umstände zusammen, welche
sich vereinigten, der romanhaften Erziehung unsers jungen
Ritters ihre volle Kraft zu geben, so werden wir nicht unbegreiflich
finden, daß er nur noch wenige Schritte zu machen
hatte, um auf so abenteuerliche Grillen zu gerathen, als seit
den Zeiten seines Landsmannes, des Ritters von Mancha,
jemals in ein schwindliges Gehirn gekommen seyn mögen.—————
Viertes CapitelWie Don Sylvio mit den Feen bekannt wird.Zum Unglück für seine Vernunft befanden sich unter den
Büchern, womit eine große Kammer des Hauses angefüllt
war, eine Menge Feenmährchen, wovon Don Pedro ein großer
Liebhaber gewesen war, ob er gleich von seiner weisen Schwester
wegen seines Geschmacks an solchen unnützen Possen, wie sie
es nannte, nicht selten angefochten wurde. Denn in so großem
Ansehen die Ritterbücher bei ihr standen, welche sie mit den
Chroniken, Historien und Reisebeschreibungen in eine Classe
setzte, so verächtlich waren ihr alle diese kleinen Spiele des
Witzes, die bloß zur Unterhaltung der Kinder oder zum
Zeitvertreib der Erwachsenen geschrieben werden und meistens
durch nichts als die angenehme Art der Erzählung Personen
von Geschmack sich empfehlen können.Don Pedro gestand ihr willig ein, daß es Schäkereien
seyen; aber sie vertreiben mir, sagte er, doch manche langweilige
Stunde: je schnakischer die Einfälle sind, die der
närrische Kerl, der Autor, auf die Bahn bringt, desto mehr
lach' ich, und das ist Alles, was ich dabei suche.Die weise Donna Mencia — welche, wie alle wunderliche
Leute, nur ihre eigenen Grillen vernünftig fand — ließ sich
zwar durch diese Antwort nicht befriedigen; allein die arabischen
und persischen Erzählungen, die Novellen und die Feenmährchen
blieben nichts desto weniger in ruhigem Besitz ihres
Platzes in der Bibliothek, und da sie meistens nur in blaues
Papier geheftet waren, so verbargen sie sich so bescheiden
hinter die ehrwürdigen Folianten und Quartbände der Donna
Mencia daß sie nach dem Tode des alten Ritters in Kurzem
gänzlich vergessen wurden.Doch vermuthlich wollte die Fee, die sich in das Schicksal
des jungen Sylvio mischte nicht zugeben, daß er seine Bestimmung
verfehlen sollte. Denn, da er einst in Abwesenheit
seiner Tante, deren Ernsthaftigkeit und ewige Sittenlehren
ihm sehr beschwerlich zu werden anfingen, in der Bücherkammer
herum stöberte, um sich etwas zur Zeitkürzung auszusuchen:
so gerieth er, es sey nun von ungefähr oder durch
den geheimen Antrieb der besagten Fee, auf ein starkes Heft
von Feenmährchen. Er steckte es voller Freude zu sich und
zog sich, so geschwind er konnte, in den Garten zurück, um
den Werth seines Funds ungestört erkundigen zu können:
denn es schwante ihm schon beim Anblick der Titel, daß es
sehr angenehme Sachen seyn müßten.Die Kürze dieser Erzählungen war das Erste, wodurch sie
ihm gefielen: so sehr war er der dicken Folianten müde,
woraus er seiner Tante täglich etliche Stunden lang vorlesen
mußte. Sobald er aber eine oder zwei davon durchlesen
hatte, war nichts dem Vergnügen zu vergleichen, das er dabei
empfand, und der Gierigkeit, womit er alle die übrigen
verschlang.Ein gewisser Instinct, der auch die einfältigsten unter den
jungen Leuten lehrt, was sie ihren Aufsehern sagen dürfen
oder nicht, warnte ihn, seine liebe Tante nichts von der
gemachten Entdeckung merken zu lassen. Allein der Zwang,
den er sich hierüber anthun mußte, machte ihm die Feen nur
desto lieber; und er würde die ganze Nacht durch gelesen
haben, wenn man (wie Tasso ehemals in seiner Gefangenschaft
wünschte) bei den Augen einer Katze lesen könnte.
Denn die Vorsicht der Donna Mencia für seine Gesundheit
—und für die Ersparung der Kerzen hatte ihm, schon von
Langem her, die Mittel zu gelehrten Nachtwachen benommen.Dafür aber war er, sobald der Tag anbrach, schon wieder
munter; er nahm sein Heft unter seinem Hauptkissen hervor,
durchlas mit fliegenden Blicken ein Mährchen nach dem andern,
und wie er mir der ganzen Sammlung fertig war,
fing er wieder von vorn an, ohne es müde zu werden. So
oft er konnte, begab er sich in den Garten oder in den angränzenden
Wald, und nahm seine Mährchen mit. Die Lebhaftigkeit,
womit seine Einbildungskraft sich derselben bemächtigte,
war außerordentlich: er las nicht; er sah, er hörte,
er fühlte. Eine schönere und wundervollere Natur, als die
er bisher gekannt hatte, schien sich vor ihm aufzuthun, und
die Vermischung des Wunderbaren mit der Einfalt der Natur,
welche der Charakter der meisten Spielwerke von dieser Gattung
ist, wurde für ihn ein untrügliches Kennzeichen ihrer Wahrheit.Dieser Punkt fand desto weniger Schwierigkeit bei ihm,
da er durch seine bisherige Lebensart vollkommen dazu vorbereitet
war. Denn seit dem Anfang seiner Studien, der
mit Ovids Verwandlungen gemacht wurde, war ihm bisher
kein einziges Buch in die Hand gekommen, das ihm richtigere
Begriffe hatte geben können. Im Gegentheil hatten verschiedene
Schriftsteller aus den Zeiten, da die pythagorisch-kabbalistische
Philosophie durch ganz Europa in Ansehen stand,
durch ihre systematischen Träumereien von planetarischen und
elementarischen Geistern, von Beschwörungen, geheimnißvollen
Zahlen und Talismanen und von jener vorgeblichen Weisheit,
die ihren Besitzer zum Meister der ganzen Natur machen
könne, ihn so sehr in seinen Einbildungen befestiget, daß
selbst die wundervolle Haselnuß der Prinzessin Babiole und
das Stück Leinwand von vierhundert Ellen, welches der Liebhaber
der weißen Katze aus einem Hirsenkörnlein auspackte
und sechsmal durch das feinste Nadelöhr zog, in seinen Augen
nichts Unbegreifliches hatten.Es hinderte ihn also nichts, sich dem Vergnügen gänzlich
zu überlassen, welches er aus den Feenmährchen schöpfte, von
denen er nach und nach unter der Maculatur, die den Boden
der Bücherkammer deckte, noch eine große Menge hervor zog,
wovon immer eines abenteuerlicher als das andre war, und
worin er eine Unterhaltung fand, die er um alle Lustbarkeiten
der Welt nicht vertauscht hätte.Er konnte nicht so vorsichtig seyn, daß seine eben so strenge
als scharfsichtige Aufseherin nicht endlich die Ursache seiner
häufigen Spaziergänge in das Lustwäldchen entdeckt und ihm
eine sehr scharfe, sehr gelehrte und sehr langweilige Strafpredigt
deßwegen gehalten hätte. Allein das diente, wie es
zu gehen pflegt, zu nichts Anderm, als daß Don Sylvio behutsamer
wurde und sich besser in Acht nahm, seine Neigungen
und angehenden Entwürfe vor ihr zu verbergen.Die Wahrheit zu sagen, er hatte sie jederzeit mehr gefürchtet
als geliebt; allein seitdem sein Gehirn mit Florinen,
Rosetten, Brillanten, Cristallinen und wer weiß wie vielen
andern überirdischen und unnatürlich schönen Schönheiten angefüllt
war, wurde er nicht selten versucht, die ehrliche alte
Tante für eine Art von Carabosse anzusehen, deren tyrannische
Oberherrschaft ihm von Tag zu Tag unerträglicher wurde.Sie mochte also sagen was sie wollte, die Bezauberungen,
die Schlösser von Diamanten und Rubinen, die verwandelten
oder in Thürme und unterirdische Paläste eingesperrten Prinzessinnen
und die zärtlichen Liebhaber, die unter dem wunderthätigen
Schutz einer guten Fee den Nachstellungen einer
bösen glücklich entgingen, blieben im gänzlichen Besitz seiner
Einbildungskraft; er las nichts Andres, er staunte und dichtete
nichts Andres, er ging den ganzen Tag mit nichts Anderm
um und träumte die ganze Nacht von nichts Anderm.—————
Fünftes CapitelSeltsame Thorheit des Don Sylvio. Seine Liebe zu einer
idealischen Prinzessin.In einer so seltsamen Gemüthsverfassung konnte nichts
natürlicher seyn, als daß Don Sylvio endlich auf die Thorheit
verfiel, sich eben solche Abenteuer zu wünschen, wie diejenigen,
deren Erzählung ihm in den Mährchen so viel Vergnügen
machte.In Kurzem ging er noch weiter; er bemühte sich, die
Phantasien, womit sein Kopf angefüllt war, zu realisiren
und sich, so gut er konnte, in die Feenwelt zu versetzen.Er gab deßwegen Allem, was um ihn war, Namen aus
seinen Mährchen. Ein artiges Hündchen, das er hatte, mußte
anstatt Amorett, wie es vorher hieß, Tintin heißen, weil
das Hündchen der Prinzessin Merveilleuse so geheißen hatte;
und er verstieß eine aschgraue Katze mit weißen Pfoten, die
sein Günstling gewesen war, um einer ganz weißen willen,
die zu Ehren der Prinzessin Weißkätzchen mit allen ersinnlichen
Höflichkeiten überhäuft wurde.Alle Morgen und Abend ging er etliche gemalte Fensterscheiben
in einer halb eingefallenen Galerie des Schlosses zu
besichtigen, in der Hoffnung, gleich dem Prinzen Hökkerig
Gemälde darauf zu finden, die ihm einigen Aufschluß über
sein künftiges Schicksal geben würden; und er durchsuchte
wohl zwanzig Mal alle Winkel des Schlosses vom Dach bis
in den Keller, ob er nicht irgendwo einen bezauberten
Schrank oder eine Falltreppe entdecken möchte, die in einen
unterirdischen Palast führte. Er fand freilich nichts, und die
Fensterscheiben wiesen ihm ein Mal wie das andre nichts als
geharnischte Ritter, die mit eingelegten Lanzen wohl ein
paar hundert Jahre schon auf einander zurannten; allein er
wußte sich sehr gut deßwegen zu trösten. Er war noch nicht
völlig achtzehn Jahr alt, und er hatte aus den meisten
Mährchen gesehen, daß ein Prinz oder Ritter wenigstens
achtzehn Jahre alt seyn muß, um Abenteuer zu haben.Inzwischen legte er in einer Ecke seines Gartens eine Art
von Laube an, die dem Blumenschloß ähnlich seyn sollte,
worin die Fee Immerschön die süßen Augenblike, die sie in
den Armen ihres geliebten Schäfers genoß, vor ihrem Hofe
zu verbergen pflegte. Er ließ etliche Linden, die er dazu
bequem fand, so zurichten, daß ihre Stämme die Grundpfeiler,
die untersten Aeste der Fußboden, und ihre Wipfel
das Dach dieses seltsamen Lusthauses wurden; die Wände
waren von Myrten mit Rosenhecken und Geißblatt durchwunden,
und an der Hinterseite war eine Treppe von Wasen
so gut angebracht, daß man sie nicht gewahr wurde.In diesem grünen Schlosse, wie Don Sylvio es zu nennen
beliebte, hatte er ein kleines Cabinet angelegt, welches er,
um ihm ein desto feenmäßigeres Ansehen zu geben, mit den
schönsten Schmetterlingen austapezirte, die er auf seinen
Spaziergängen in dem benachbarten Walde und an den Ufern
des Quadalaviar, der nicht weit von seinem Garten vorbei
floß, gefangen hatte.In diesem Cabinete brachte er oft halbe Nächte mit
Träumereien über die wunderbaren Begebenheiten zu, die
er sich wünschte, und die er in Kurzem zu erfahren hoffte.
Unvermerkt schlief er über diesen phantastischen Betrachtungen
ein, und günstige Träume setzten die Abenteuer fort, worin
er wachend sich zu verirren angefangen hatte. Eine schöne
Prinzessin, die er liebte, war gemeiniglich der Gegenstand
davon; nur war das Beschwerliche dabei, daß er sie alle Mai
in der Gewalt der Fee Fanferluche oder einer andern neidischen
alten Hexe sah die seiner Liebe die verdrießlichsten
Hindernisse in den Weg legte. Bald mußte er sich mit
Drachen und fliegenden Katzen herumbalgen; bald fand er
alle Zugänge zu dem Palaste, worin sie gefangen gehalten
wurde, mit Distelköpfen besäet, welche sich in dem Augenblicke,
da er sie berührte, in eben so viele Riesen verwandelten,
die ihm den Weg mit großen stählernen Kolben
streitig machten. Nun griff er sie zwar an, wie es einem
tapfern Ritter zukommt, und hieb auf jeden Streich ein paar
Duzend mitten von einander; aber kaum war er mit ihnen fertig
und im Begriff, als Sieger in den Palast hinein zu gehen,
so mußte er sehen, wie seine geliebte Prinzessin auf einem
mit Fledermäusen bespannten Wagen durch den Schornstein
davon geführt wurde. Ein ander Mal fand er sie auf einer
Blumenbank an einer Quelle sitzend; er warf sich zu ihren
Füßen, er sagte ihr die zärtlichsten Sachen vor, und sie schien
ihn mit Vergnügen anzuhören: allein indem er sie umarmen
wollte (denn man weiß, daß die Liebe in Träumen nicht alle
Gradationen beobachtet, die einem Schäfer an den Ufern des
Lignon vorgeschrieben sind), so sah er mit Entsetzen, daß er
die Gestalt der dicken Maritorne, der Viehmagd des Hauses,
an seinen Busen drückte, und erhielt von Lippen, die ihm
einen Augenblick zuvor lauter Nektar und Ambrosia zu düften
schienen, einen von Knoblauch und altem Ziegenkäse so stark
durchwürzten Kuß, daß er vor Ekel und Abscheu des Todes
hätte seyn mögen.So nichtig nun immer diese eingebildeten Unglücksfälle
waren, so lebhaft war gleichwohl der Schmerz, den sie ihm
verursachten. Er hielt diese Träume für böse Vorbedeutungen,
und zweifelte nicht, daß er eine mächtige Feindin habe, die
darauf beflissen sey, ihn in der Liebe unglücklich zu machen,
die er bereits in einem hohen Grade für die bezaubernde
Unbekannte empfand, welche er nach dem Schlusse des Schicksals
zu lieben bestimmt war.—————
Sechstes CapAbenteuer mit dem Laubfrosche. Warum Don Sylvio nicht
merkte, daß der Frosch keine Fee war.Der Gedanke, einen unsichtbaren Feind von solcher Wichtigkeit
zu haben, beunruhigte unsern jungen Helden nicht wenig:
jedoch, da er in seinen Mährchen noch keinen von Feen oder
Zauberern verfolgten Prinzen gefunden hatte, der nicht von
einer andern Fee beschützt worden wäre; so ermunterte ihn
die Hoffnung wieder, daß er nicht der Erste seyn werde, an
dem diese Regel eine Ausnahme leiden sollte.Weil es nun in der Feenwelt, eben so wie in unsrer Alltagswelt,
der Gebrauch ist, daß man selten Jemanden Dienste
zu leisten pflegt, von dem man nicht eben dergleichen oder
noch größere zurück erwartet: so wünschte Don Sylvio
nichts so sehnlich, als eine Gelegenheit zu bekommen, sich die
Dankbarkeit irgend einer großmüthigen Fee verbinden zu
können.Indem er einst in diesen Gedanken an einem Graben
in seinem Garten vorbei ging, sah er auf der andern Seite
einen Storch (einige Nachrichten sagen, wiewohl ohne genugsamen
Grund, daß es eine Störchin gewesen) im Begriff,
einen artigen Laubfrosch zu erhaschen, der unbesorgt quakend
im Gras herum hüpfte.Don Sylvio würde auch aus bloßem Antrieb seines Herzens,
welches sehr gütig und mitleidig war, nicht saumselig
gewesen seyn, dem nothleidenden Frosche zu Hülfe zu kommen.
Allein der Gedanke, daß es vielleicht eine Fee und wohl gar
eben der wohlthätige Frosch seyn könnte, welcher der Prinzessin
Moufette und ihrer Mutter so gute Dienste geleistet
hatte, setzte ihm Flügel an; er sprang über den Graben und
verjagte mit einem Stecken, den er eben in der Hand hatte,
den langbeinigen Erbfeind der Frösche in eben dem Augenblicke,
da er im Begriff war, den kleinen unschuldigen Quaker
hinunter zu schlingen. Der Storch ließ seinen Raub fallen
und entfloh, und das Fröschchen sprang in den Graben, ohne
sich zu bekümmern, wem es seine Rettung zu danken habe.Don Sylvio blieb an dem Graben stehen und erwartete
daß es in Gestalt einer schönen Nymphe oder doch mit seiner
Rosenhaube auf dem Kopfe wieder hervor kommen werde,
um sich für einen so wichtigen Dienst gar schön bei ihm zu
bedanken. Er wartete über eine halbe Stunde; aber zu seiner
nicht geringen Befremdung wollte weder Frosch noch Nymphe
zum Vorschein kommen.Eine so ungewöhnliche Undankbarkeit an einer Fee war
ihm unbegreiflich. Wenn es auch, dachte er, die kleine häßliche
Magotine, die alte Ragotte oder die Fee Concombre
selbst gewesen wäre, so sollte doch ein Dienst von dieser Art
vermögend gewesen seyn, sie zu einiger Erkenntlichkeit zu
bewegen. Könnte es aber nicht seyn, besann er sich einen
Augenblick darauf, daß es ihr nicht erlaubt ist, mir jetzt in
ihrer eigenen Gestalt zu erscheinen, oder daß sie es aus andern
Ursachen auf eine Gelegenheit verschiebt, da sie mir ihre
Dankbarkeit durch eine wirkliche Dienstleistung beweisen kann?Diese Vermuthung schien ihm, weil sie mit seinen grillenhaften
Wünschen am besten übereinstimmte, bei mehrerm
Nachdenken so wahrscheinlich, daß er voller Zufriedenheit in
sein grünes Schloß zurück ging und keinen Augenblick länger
zweifelte, daß diese Begebenheit in Kurzem irgend eine wichtige
Veränderung in seinem Schicksale nach sich ziehen würde.Vermuthlich werden einige Leser sich wundern. wie es
möglich sey, daß Don Sylvio albern genug habe seyn können,
um aus dem widrigen Ausgange dieses Abenteuers nicht den
Schluß zu ziehen, der am natürlichsten daraus folgte, nämlich
daß der Frosch keine Fee gewesen sey. Allein sie werden
uns erlauben, ihnen zu sagen, daß sie die Macht der Vorurtheile
und vielleicht ihre eigene Erfahrung nicht genugsam
in Erwägung ziehen. Nichts ist unter den Menschen gewöhnlicher
als diese Art von Trugschlüssen; das Vorurtheil
und die Leidenschaft macht keine andre.Ein alter Geck, der durch seine Freigebigkeit die Treue
seiner Liebsten zu erkaufen denkt, schreibt die funkelnden
Augen und die glühenden Wangen, womit sie ihn empfängt,
der Freude zu, die ihr seine Ankunft verursacht, und bedenkt
nicht, wie viel wahrscheinlicher es wäre, sie auf die Rechnung
eines jüngern Buhlers zu setzen, der inzwischen in einem
Schranke steckt und seines leichtgläubigen Unvermögens spottet.Ein Indier kauft seinem Bonzen Amulete ab, die wider
alle Krankheiten dienen sollen; er wird krank, und die Amulete
helfen nichts. Was schließt er daraus? Vielleicht daß seine
Amulete keine Heilungskraft haben, und daß der Bonze ein
Betrüger sey? Nichts weniger! Alles, was er daraus schließt;
ist, daß er dem Götzen, dessen Bild er am Halse getragen,
nicht Andacht genug bewiesen und dem Bonzen nicht Almosen
genug gegeben habe.Keine Leute sehen mehr Verdienste an sich selbst, als diejenigen,
an denen sonst Niemand keine sieht. Wer wollte
ihnen auch zumuthen, die Verachtung, die sie für eine Wirkung
des Neides halten, der weit natürlichern Ursache zuzuschreiben,
daß Andre unmöglich so parteiisch für sie seyn können,
als sie selbst?Dergleichen Beispiele ließen sich ins Unendliche häufen.
Es ist wohl wahr, die Thorheit des Don Sylvio wird dadurch
nicht kleiner; aber es ist auch zu seiner Entschuldigung genug,
daß er wenigstens keine schlimmere Schlüsse macht als andre
ehrliche Leute.—————
Siebentes CapitelDon Sylvio findet auf eine wunderbare Art das Bildniß seiner
geliebten Prinzessin.Einige Tage, nachdem sich das Abenteuer mit dem Laubfrosche
zugetragen hatte, ging Don Sylvio mit dem Anbruch
des Morgens in den Wald, um Schmetterlinge zu suchen,
von denen ihm noch einige zur Ausschmückung seines Cabinets
abgingen.Er hatte sich schon über eine Stunde weit von seinem
Schloß entfernt, als er eines wunderschönen Sommervogels
ansichtig wurde, der sich nur wenige Schritte von ihm auf
eine Blume setzte. Seine Flügel waren lasurblau, mit einer
Einfassung von Purpur verbrämt, die in der Sonne wie Gold
glänzte. Don Sylvio glaubte ihn schon erhascht zu haben;
aber der schöne Sommervogel schlüpfte unter seinem Strohhute
weg und verbarg sich in das dichteste Gebüsche.O, rief Don Sylvio, ich muß dich haben, und wenn ich
dich auch bis in das unterirdische Reich des Königs Hammel
verfolgen müßte, wo es kleine Pastetchen regnet, und gebratne
Feldhühner auf den Bäumen wachsen.Der Sommervogel, der sich auf den Vortheil seiner Flügel
verließ, schien ihm eine so weite Reise ersparen zu wollen.
Kaum hatte Sylvio ihn aus dem Gesichte verloren, so fand
er ihn wieder ein paar Schritte vor sich auf einem Rosmarinstrauche
sitzen. Er wollte ihn wieder haschen, aber es ging
wie das erste Mal: der schöne Sommervogel schien seiner
nur zu spotten; oft gaukelnde er in kleinen Kreisen um ihn
herum, dann setzte er sich wieder, aber entwischte alle Mal, wenn
er im Begriff war gefangen zu werden.Dieses Spiel dauert so lange, bis Don Sylvio endlich merkte,
daß er in eine ihm ganz unbekannte Gegend verirrt war.Jetzt reuete es ihn, daß er sich einem Schmetterling zu
Liebe so weit eingelassen hatte: allein, da es nun einmal
geschehen war, so wollte er doch so viele Mühe nicht umsonst
gehabt haben und ließ nicht nach, bis er endlich so glücklich
war, den Sommervogel zu erhaschen, der ihm mehr Mühe
gemacht hatte, als jemals eine Spröde, seitdem es Spröden
gibt, ihrem Liebhaber gemacht haben mag.Seine Freude war ungemein, und in der That konnte
man keinen schönern Sommervogel sehen. Er betrachtete ihn
lange mit einem desto lebhaftern Vergnügen, jemehr er ihm
Mühe gekostet hatte, und er war jetzt im Begriff, ihn in
einen kleinen Käficht zu stecken, den er zu diesem Ende bei
sich trug, als es ihn däuchte, der gefangene Schmetterling
sehe ihn mit einer flehenden Miene und gesenkten Flügeln an.
Er bildete sich sogar ein (denn was kosteten ihm Einbildungen?),
daß er so laut geseufzt habe, als ein Sommervogel nur immer
seufzen kann.Mehr brauchte es nicht, um ihn auf seine gewöhnliche
Grille zu bringen, und es kam ihm ganz wahrscheinlich vor,
daß es vielleicht eine Fee oder eine verwandelte Prinzessin
seyn möchte. Denn, dachte er, ist die Prinzessin Trognon
eine Heuschrecke gewesen, so kann eine andre eben so gut ein
Sommervogel seyn. Er besann sich also keinen Augenblick,
ihm die Freiheit wieder zu schenken, um die er ihn so beweglich
zu bitten geschienen hatte.Der erledigte Sommervogel flatterte fröhlich davon; und
Don Sylvio ging ihm nach, voll Erwartung, was daraus
werden möchte, als er ein paar Schritte vor sich etwas im
Grase blinken sah, welches seine Aufmerksamkeit an sich zog.
Er hob es auf und fand, daß es eine Art von Kleinod war,
mit ziemlich großen Brillanten besetzt und an eine Schnur
der feinsten Perlen befestiget. Er betrachtete es auf allen
Seiten: aber wie groß war sein Erstaunen, als er, von einem
ungefähren Druck auf eine Feder, die er nicht bemerkt hatte,
einen großen Türkis in der Mitte auf die Seite springen
und ein kleines sehr künstlich auf Schmelz gemaltes Brustbild
erscheinen sah, welches eine junge Schäferin von ungemeiner
Schönheit vorstellte!Er stand etliche Augenblicke unbeweglich und wußte nicht,
ob er seinen Augen trauen sollte. Er besah und befühlte es
immer wieder von Neuem, um sich zu überzeugen, daß es
keine Einbildung sey; und je mehr er es betrachtete, desto
mehr beredete er sich, daß es das Bildniß einer Göttin oder
doch zum wenigsten der allerschönsten Sterblichen sey, die
jemals gewesen oder künftig seyn werde.Unsre schönen Leserinnen werden ihm dieses übereilte
Urtheil desto eher zu gut halten, wenn sie bedenken, daß er
von seiner Tante (die aus bekannten Ursachen sehr wenig
Gesellschaft sah) in einer so strengen Einsamkeit erzogen
worden war, daß er, außer ihrer eignen angenehmen Person,
ihrer Kammerfrau Beatrix (der Wittwe eines Sennor Scudero,
welche bereits fünf und dreißig Jahre eingestand), der dicken
Maritorne und den Bauerweibern im Dorfe, in seinem Leben
nichts gesehen hatte, was, auch nur im uneigentlichsten Verstande,
zum schönen Geschlecht hätte gerechnet werden können.
Denn seine Schwester, die in der That ein hübsches kleines
Mädchen gewesen war, hatte sich schon in einem Alter von
fünf Jahren verloren, und man vermuthete, daß sie von
einer Zigeunerin gestohlen worden sey, welche jemand um
dieselbe Zeit nicht weit vom Schlosse angetroffen haben wollte.Don Sylvio mußte also nothwendig von der Schönheit
dieser Schäferin außerordentlich gerührt werden, da sie unter
den Figuren, an die er seine Augen hatte gewöhnen müssen,
nicht anders würde ausgesehen haben, als Latona unter den
Einwohnern von Delos, da sie, schon halb in Frösche verwandelt,
ihr am Ufer entgegen quakten. Kurz, es däuchte
ihn unmöglich, daß Gracieuse, Bellebelle, die Schöne mit den
goldnen Haaren oder Venus selbst so schön gewesen seyn
könnten; und er wurde vom ersten Anblick an so verliebt in
dieses Bildniß, als es jemals ein irrender Ritter oder ein
arkadischer Schäfer in seine Dulcinea oder Amaryllis gewesen ist.Endlich, rief er in seiner Entzückung aus, endlich hab'
ich sie gefunden, sie, die ich mit ahnender Sehnsucht überall
suchte, die ich zu lieben bestimmt bin, und, o! daß keine zu
kühne Hoffnung mich täuschte! sie, die mein glückliches Schicksal
bestimmt hat, mich durch ihre Liebe den Göttern an
Wonne gleich zu machen! O gütige Fee, die du meiner dich
annimmst, wer du auch seyst, dir allein dank' ich dieses überraschende
Glück! Wer anders als du legte in dieser öden
Wildnis, die vielleicht vor mir von keines Menschen Fuß
betreten wurde, dieses himmlische Bildniß in meinen Weg?
O, vollende deine Wohlthat, zeige dich mir und laß zu deinen
Füßen mich hören, wo ich sie finden kann, sie, deren Schattenbild
schon genug ist, eine unauslöschliche Liebe in meiner
Brust anzuzünden! Denn das schwöre ich bei allen Göttern,
die der Liebe günstig sind, und wenn ich sie auch am Quecksilbersee
mitten unter den Ungeheuern der Fee Lionne, im
Ringe des Saturnus, ja selbst in der großen Aquavitflasche
der Feen suchen müßte, bis ich sie gefunden habe, soll kein
ruhiger Schlaf auf meine Augen sich senken!—————
Achtens CapitelReflexionen des Autors und des Don Sylvio.Mancher denkt zu fischen und krebst, spricht der weise
Sancho bei einer gewissen Gelegenheit zu seinem närrischen
Herrn. Nichts geschieht öfter, als daß man etwas Andres
sucht und etwas Andres findet. Saul suchte seines Vaters
Enkelinnen und fand eine Krone; Don Sylvio suchte Sommervögel
und fand ein schönes Mädchen oder doch ihr
Bildniß.Nun war er verliebt, so verliebt, als man seyn kann, und
einzig darauf bedacht, wie er auch das Urbild seines kleinen
Gemäldes finden möchte. Denn ob er jetzt gleich wußte,
wie seine Geliebte aussah, so wußte er doch weder, wer sie
war, noch wo sie sich aufhielt.Es ist leicht zu errathen, was ein gewöhnlicher Mensch
an seinem Platze gedacht oder gethan hätte; aber davon ist
die Rede nicht; Don Sylvio dachte und that nichts wie gewöhnliche
Menschen. Die Gedanken, die sich uns Andern
am ersten darbieten, fielen ihm alle Mal am letzten und gemeiniglich
gar nicht ein; und wenn ihm ein sonderbarer
Zufall begegnete, so rieth er augenblicklich diejenige Ursache
dazu, die es nach dem Laufe der Natur am wenigsten seyn
konnte.Konnte das kleine Miniaturbildchen nicht eine bloße
Phantasie des Malers gewesen seyn? Oder war es nicht
eben so möglich, daß es eine Person vorstellte, die längst
verstorben war, und konnte sich also Don Sylvio nicht in
dem Falle des Prinzen Seif-el-Muluk in den persischen Erzählungen
befinden, der sich, ein paar tausend Jahre zu spät,
in eine Favoritin des Königs Salomo verliebte?Diese oder dergleichen Gedanken kamen unserm Helden
gar nicht in den Sinn. Je mehr er der Begebenheit dieses
Morgens nachdachte, desto mehr überzeugten ihn alle
Umstände, daß es der Anfang eines so außerordentlichen
Abenteuers sey, als vielleicht jemals einem jungen Prinzen
oder Ritter begegnet seyn möchte.Allein was sollte er nun anfangen? Wo sollte er die
schöne Schäferin suchen? Wen sollte er fragen? Der blaue
Sommervogel, der ihm vermuthlich Nachricht von ihr hätte
geben können, war verschwunden, und ohne eine nähere Anweisung
auf Gerathewohl in diesem Walde fortzugehen,
schien ihm desto gefährlicher, da eine von seinen unsichtbaren
Feindinnen, von deren Bosheit er so viele Proben zu haben
glaubte, ihn eben so leicht auf den unrechten, als sein gutes
Glück auf den rechten Weg bringen konnte.Nach langem Nachdenken, welches durch die Betrachtung
seines schönen Bildnisses oft unterbrochen wurde, däuchte
ihn zuletzt das Sicherste, zu warten, bis er von dem blauen
Sommervogel eine nähere Nachricht von seiner Geliebten
erhalten haben würde. Denn es war nun etwas Ausgemachtes
für ihn, daß es eine Fee gewesen sey; und da sie
für die Freiheit, welche er ihr geschenkt, sich schon so erkenntlich
zu beweisen angefangen, so zweifelte er nicht, daß sie
fortfahren würde, ihn die Wirkungen ihrer Gunst verspüren
zu lassen.Inzwischen hatte Tintin, sein Hündchen (der, die Sprache
ausgenommen, dem Hündchen der Prinzessin Wunderschön
weder an Artigkeit noch Verstand etwas nachgab), ihn im
ganzen Walde aufgesucht, und die Freude war auf beiden
Seiten sehr groß, da er seinen Herrn endlich gefunden hatte.In der That fing Don Sylvio an zu merken, daß es
bald Mittagessenszeit seyn werde, und es war ihm überaus
angenehm, einen Wegweiser bekommen zu haben, der ihn
aus diesem Walde, worin er sich noch nie so weit vertieft
hatte, wieder nach Hause führen konnte. Denn so bezaubert
die Liebhaber in den neuen Zeiten immer seyn mögen, so
ist doch (wie schon ein berühmter Schriftsteller vor uns angemerkt
hat) die Mode, ganze Jahre ohne Essen und Trinken
nur von der Liebe allein zu leben, heut zu Tage so sehr
abgekommen, daß auch der allererhabenste und geistigste Verliebte
in diesem Stück ein ausgemachter Epikurer ist. Eine
Abänderung, welche wir unsers Orts um so weniger mißbilligen
können, da wir glauben, daß sich das schöne Geschlecht
nichts desto schlimmer dabei befinden könne.Don Sylvio ging also oder stolperte vielmehr mit dem
Schatz, den er so unverhofft gefunden hatte, nach Hause;
denn er beschaute ihn im Gehen so oft, daß er alle Augenblicke
über einen Stock fiel oder an einen Baum anstieß.Unterwegs gerieth er im Nachsinnen über sein Abenteuer
auf tausend wunderliche Gedanken. Es fiel ihm ein, ob dieses
Gemälde nicht vielleicht die Fee selbst vorstelle, die ihm
in Gestalt des blauen Sommervogels erschienen war? Vielleicht
liebt sie mich, dachte er (denn es wäre doch nicht das
erste Mal, daß ein Sterblicher diese Ehre gehabt hätte), und
sie hat eine Probe machen wollen, was ihre wahre Gestalt
für einen Eindruck auf mein Herz machen werde.Diese Einbildung gefiel ihm so wohl, daß er sie eine
lange Weile fortsetzte; allein zulebt mußte sie doch wieder
einer andern Platz machen, und so ging es in Einem fort,
bis er zu Hause anlangte. Kurz, der blaue Sommervogel
und die schöne Schäferin hatten seiner Phantasie einen so
außerordentlichen Schwung gegeben, daß man sich nicht irren
kann, wenn man sehr seltsame Wirkungen davon erwartet.Es möchte übrigens scheinen, als ob die Thorheit unsers
jungen Ritters seit einiger Zeit so stark zugenommen habe,
daß der verdächtige Zustand seines Gehirns seiner scharfsichtigen
Tante unmöglich habe verborgen bleiben können, In
der That wäre es auch nicht anders gewesen, wenn diese
Dame Zeit und Muße gehabt hätte, ihren Neffen zu beobachten.
Allein außer dem, daß sie ihn, seitdem er das siebzehnte
Jahr zurückgelegt, aus der engern Aufsicht und der
strengern Zucht freigelassen hatte, die sich für sein Alter
nicht mehr schickten; so war sie seit einigen Wochen mit einer
gewissen Sache beschäftigt, um derentwillen sie öfters abwesend
zu seyn und in das benachbarte Städtchen zu fahren
genöthigt war.Vermuthlich mußte diese Angelegenheit von nicht geringer
Wichtigkeit für sie seyn: denn, wenn sie wieder zurückkam,
schien sie wider ihre Gewohnheit so tiefsinnig und zerstreut;
bekümmerte sich so wenig um die Geschäfte des Hauses, redete
so viel mit sich selbst und so wenig in Gesellschaft und
sagte, wenn sie mit den Bedienten zu reden hatte, so oft
Eines für das Andere, daß außer ihrem Neffen Jedermann
über eine so große Veränderung sich nicht genug verwundern
konnte.Es ist leicht zu erachten, daß man über die Ursache derselben
allerlei Vermuthungen anstellte; allein die Vorsichtigkeit
der Donna Mencia und die Verschwiegenheit der Dame
Beatrix hielten so gut aus, daß die Sache ein Geheimniß
blieb: und das wollen wir sie auch so lange bleiben lassen,
bis die Zeit, die endlich Alles offenbar macht, sie zu demjenigen
Punkt der Reife gebracht haben wird, worin Geheimnisse
von dieser Art sich insgemein selbst zu verrathen pflegen.—————
Neuntes CapitelFolgen des Abenteuers mit dem Sommervogel. Der Leser wird mit
einer neuen Person bekannt.Der getreue Tintin hatte seine Zeit so wohl genommen,
daß er mit seinem Herrn eben anlangte, als es Zeit war, zu
Tische zu gehen. Ein tiefes Stillschweigen herrschte über der
Tafel, und Don Sylvio war, wie man leicht erachten kann,
derjenige nicht, der es unterbrochen hatte. Er war zu sehr
in seine eigenen Angelegenheiten vertieft, als daß er hätte
bemerken können, wie sehr es seine gnädige Tante in die
ihrigen war. Eben so wenig beobachtete er, daß sie sich ungewöhnlich
herausgeputzt hatte, und daß sie von Zeit zu Zeit
in einen gegen über stehenden Spiegel Gesichter machte,
welche dem aufwartenden Pedrillo so sonderbar vorkamen,
daß er sich in die Lippen beißen mußte, um nicht überlaut
zu lachen.Nach dem Essen kündigte Donna Mencia ihrem Neffen
an, daß sie in Geschäften genöthiget sey, in die Stadt zu
fahren und darin über Nacht zu bleiben.Don Sylvio war zu höflich, einige Neugierde über die
Natur dieser Geschäfte merken zu lassen, und er konnte es
desto leichter seyn, da er in der That keine hatte. Sie schieden
also sehr vergnügt von einander, und unser junger Ritter
verschwand bald darauf, ohne daß Jemand im Hause gewahr
wurde, wohin er ging.Da er gewohnt war, die Sieste in seinem grünen Schlosse
zu halten, so vermißte man ihn nicht eher, als da es Abendessenszeit
war. Man suchte ihn hierauf im Hause, im Garten,
in den Feldern, im Wald, aber überall umsonst; man
rief seinen Namen; aber da war kein Don Sylvio.Der vorgedachte Pedrillo, ein junger Bursche aus dem
Dorfe, der ihm zur Aufwartung gegeben war, eine Küchenmagd,
ein Stallknecht und die bereits erwähnte Maritorne
machten in Abwesenheit der Donna Mencia und der Frau
Beatrix, ihrer getreuen Duenna, die ganze Hausgenossenschaft
aus. Diese vier guten Leute waren nicht wenig betrübt
darüber, daß sie nicht wußten, was aus ihrem jungen Herrn
geworden sey; denn sie liebten ihn wegen seines angenehmen
und leutseligen Wesens recht herzlich. Nachdem sie ihn nun
beim Mondscheine bis in die späte Nacht umsonst gesucht
hatten, kamen sie endlich auf den Gedanken, daß er vielleicht
zu seiner Tante gegangen sey; denn das Städtchen war kaum
drei Stunden weit vom Schloß entfernt. Sie gingen also
heim und legten sich schlafen.Allein Pedrillo, der zu oft um seinen Herrn war, als
daß ihm seine Neigung zur Feerei unbekannt seyn konnte,
kam bei näherm Nachdenken auf die Vermuthung, er könnte
sich auf einem seiner gewohnten Spaziergänge im Walde
vielleicht über irgend einem Abenteuer verirrt haben. Er
stand also den folgenden Morgen früh auf und durchstöberte
nochmals den ganzen Wald, ohne glücklicher zu seyn als den
Abend zuvor. Er wollte eben wieder heimkehren, als er in
einem Felsen, um welchen etliche Reihen von wilden Lorberbäumen
im Cirkel standen, eine mit Geißblatt bewachsene
Höhle gewahr ward.Pedrillo, dem es, ungeachtet seiner ziemlich schafmäßigen
Miene, nicht an Witz fehlte, und der in den Ritterbüchern
und Mährchen nicht weniger bewandert war als sein Herr,
hielt diesen Ort für feenmäßig genug, daß er ihn vielleicht
darin finden könnte. Er betrog sich nicht: denn, wie er an
den Eingang der Grotte kam, sah er ihn auf einem Lager
von Moos und Blumen ausgestreckt in tiefem Schlafe liegen;
der kleine Tintin schlief zu seinen Füßen, neben ihm lag
seine Cither, und an seinem Halse hing das Kleinod mit dem
Bildnisse der schönen Schäferin.Dieses letztere zog sogleich Pedrillo's ganze Aufmerksamkeit
auf sich. Er wurde von dem Glanz der Steine und
Perlen, wovon dieses Halsgeschmeide schimmerte, nicht wenig
geblendet; und ob er gleich kein großer Kenner von Juwelen
war, so däuchte ihn doch, daß sie wenigstens zehen Dörfer,
wie das seinige, werth seyn könnten. Er betrachtete sie lange
und konnte nicht begreifen, woher Don Sylvio einen so kostbaren
Schmuck bekommen haben möchte. Seine Neugierde
ward endlich so dringend, daß er sich kaum enthalten konnt
ihn aufzuwecken. Das that er nun zwar nicht: denn
Pedrillo war ein so höflicher Bauerjunge, als irgend einer in
Andalusien; aber er nahm doch die Cither und klimperte
darauf, so laut er konnte, und endlich sang er gar dazu, ohne
daß er seine Absicht erreichte.Nun, bei meiner Six! rief er endlich ganz ungeduldig
aus, das geht nicht natürlich zu! wenn das nicht ein bezauberter
Schlaf ist, so versteh' ich nichts davon. Vielleicht
steckt die Zauberei in diesem Kleinod hier? Wenn das wäre,
so ist es besser, ich nehm' es ihm vom Halse, oder ich zerbreche
es gar, wenn's nöthig ist, als daß mein junger Herr
hier ein paar tausend Jahre wie ein Murmelthier in Einem
fort verschnarche.Indem er das sagte, langte er nach dem Kleinode, stieß aber
von ungefähr mit dem Ellbogen an Don Sylvio an, der davon
erwachte und, weil er die Augen noch nicht recht aufthun konnte,
den Pedrillo nicht sogleich erkannte, sondern nur eine Menschenfigur
sah, die ihm seine geliebte Schäferin rauben wollte.Er gerieth darüber in eine außerordentliche Wuth. Verfluchte
Zauberin, rief er, ist es dir nicht genug, daß du diese unschuldige
Prinzessin ihrer himmlischen Schönheit beraubt und in
einen elenden Sommervogel verwandelt hast? Willst du mir
das Einzige rauben, was mir das Uebermaß meines Unglücks
noch erträglich machen kann? Aber wisse, vorher mußt du
dieses Herz ausreizen, worin ihr Bildniß mit feurigen Zügen
eingegraben ist.Ums Himmels willen, gnädiger Herr, rief Pedrillo, indem
er an den Eingang der Grotte zurück sprang, was
meinen Sie mit allem diesem seltsamen Zeuge? Ich bin weder
ein Zauberer noch ein Schwarzkünstler, Gott sey Dank! ich
bin Pedrillo, Euer Gnaden Diener, von altchristlichem Geschlecht,
so gut als einer in unserm Kirchspiel; und es thut
mir leid, nachdem ich Euer Gnaden in allen vier Enden der
Welt gesucht habe, Sie in dieser verfluchten Grotte und in
einem solchen Zustand anzutreffen. Was sagen Sie da von
Zauberern und von dem Uebermaß der Sommervögel, die in
Prinzessinnen verwandelt sind? Gott sey es geklagt, ich
dachte gleich, daß es nichts Gutes bedeuten werde, wie ich
Sie hier eingeschlafen fand.Bist du Pedrillo? versetzte Don Sylvio, der sich indeß die
Augen gerieben hatte. Wenn du Pedrillo bist, wie deine
Gestalt es allerdings zu bezeugen scheint, so bin ich schon zufrieden,
und die Vorwürfe gehen dich nichts an, die ich dir
machte, indem ich dich für einen Andern ansah. Aber was
wolltet du mit diesem Bildniß anfangen?Mit was für einem Bildniß? fragte Pedrillo.Schurke, versetzte Don Sylvio: mit dem Bildniß, das
du im Begriff warest mir zu entwenden, als ich von einer
unsichtbaren Hand erweckt wurde, um einem so großen Unfalle
zuvor zu kommen.Beim Element, Herr Don Sylvio, erwiederte Pedrillo,
ich glaube, Sie träumen, wenn es nicht noch was Aergers ist.
Wir suchten Sie gestern den ganzen Abend, bis um die Zeit,
da, Gott sey bei uns! die Gespenster zu gehen pflegen; aber
Alles umsonst. Diesen Morgen früh lief ich im ganzen Walde
herum und klopfte an alle Büsche; endlich fand ich den
jungen Herrn in dieser Höhle schlafen, und da sah ich dieß
Kleinod, und weil Euer Gnaden gar fest schlief. so bildete
ich mir ein, daß es vielleicht ein Telesman seyn könnte,
wodurch Sie in dieser Höhle. in einem ewigen Schlafe bezaubert
liegen müßten, bis Jemand käme, der den Telesman
zerbräche, wie ich dergleichen Exempel viel in den großen
dicken Büchern gelesen habe, die in der gnädigen Frau ihrer
Bücherkammer stehen; und weil Sie mir nun lieb sind, gnädiger
Herr, und mich dauerten, daß Sie wie Dämonion,
den die Göttin Dina einsmals bezauberte, daß er hundert
Jahre lang schlafen mußte, damit sie sich recht satt an ihm
küssen konnte — die alte verliebte Hexe! — Sie wissen ja die
Historie, Herr! Sie steht in einem alten Buche, das ich aus
der Erbschaft meiner Großmutter für dreizehn Maravedi's
annehmen mußte, ob es gleich keinen Deckel und kein Titelblatt
mehr hatte; es waren die Menge gemalter Figuren
darin, woran ich mich erlustigte, wie ich noch ein kleiner
Junge war; und dann las mir meine Großmutter die Historien,
die daneben standen; es ist mir, als ob ich sie noch
vor mir sitzen sahe, die gute alte Frau, Gott tröste sie! Aber
was wollt' ich sagen? — Ja, und sehn Sie, weil Sie mich
nun halt dauerten, wollt' ich sagen, daß Sie so lange schlafen
sollten, so wollte ich den Telesman zerbrechen: das ist das
Ganze, sehen Sie, und ich denke; da ist nichts, worüber sich
eins so erzürnen sollte.Don Sylvio, so gute Lust er auch hatte, böse zu seyn,
konnte sich des Lachens nicht enthalten, da er den Pedrillo
so reden hörte. Höre, Pedrillo, sagte er zu ihm, es ist mir
schon genug, daß du es nicht übel gemeint hast; aber ich
versichere dich, du warst im Begriff, mir einen sehr schlimmen
Streich zu spielen. Es ist nur allzu gewiß, daß ich von demjenigen
bezaubert bin, was du für einen Talisman angesehen
hast; aber lieber wollt' ich das Leben verlieren als
zugeben, daß diese Bezauberung aufgelöst würde. Ich habe
diese Nacht Sachen von großer Wichtigkeit erfahren; aber
frage mich nicht, was es sey! Du sollst alles wissen, sobald
es Zeit ist; denn ich bin deiner Dienste benöthiget: mehr
kann ich jetzt nicht sagen.Pedrillo verstand kein Wort von diesen Reden: aber das
machte ihn eben desto neugieriger. Ich will auch nichts fragen,
gestrenger Herr, sagte er, indem sie nach Hause gingen;
Sie haben mir's verboten, und ich weiß den Gehorsam wohl,
den ich Ihnen schuldig bin: denn erstlich, so sind Sie mein
Junker, weil ich aus Ihrem Dorfe bin, und dann sind Sie
mein Herr, weil ich in Ihrem Muß und Brot stehe; denn,
obgleich die gnädige Frau die Haushaltung führt, so weiß ich
doch wohl, aus wessen Beutel es geht. O, das versprech' ich
Ihnen, wenn ich schon einfältig aussehe, so merk' ich doch
wohl, wo der Hund begraben liegt. Ich will also nicht neugierig
seyn und fragen, was das für Dinge sind, die ich
nicht fragen darf, weil Euer Gnaden sie mir nicht sagen
kann, obschon Sie wollten, wenn es Zeit wäre, daß ich sie
wüßte. Sagten Sie nicht so, lieber Herr? Aber es ist doch
was Seltsames, ich glaube bald, ich bin selbst bezaubert! Denn
sonst verstand ich Alles, was Euer Gnaden sagte; aber, seitdem
ich diesen Talisman angerührt habe, ist mir nicht anders,
als ob Sie Calcutisch redeten. Ich will gleich des Todes
seyn, wenn ich von Allem, was wir da mit einander gesprochen
haben, ein Wort verstehe. Ich habe schon oft gehört, viel Wissen
macht Kopfweh; aber, wenn einer wüßte, wo Euer Gnaden
diese Nacht gewesen wäre, da wir Sie in der ganzen Welt
suchten, so könnte einer vielleicht errathen — Mehr sag' ich
nicht, Sie könnten sonst meinen, ich sey so vorwitzig und
wolle Sie ausfragen, und Vorwitz ist mein Fehler nicht!
Was mich nicht brennt, das blas' ich nicht. Zum Exempel,
wenn ich vorwitzig wäre, so hätt' ich wohl erfahren können,
warum die gnädige Frau seit acht Tagen so oft in die Stadt
fahrt: denn unter uns, gnädiger Herr, Sie hätten mir's
wohl nicht zugetraut, aber, ohne Ruhm zu melden, ich gelte
was bei der Frau Beatrix! Sie hat es faustdicke hinter den
Ohren, das versprech' ich Ihnen, wenn sie schon einen so
großen Rosenkranz am Gürtel hängen hat, als ein Waldbruder,
und so leise daher tritt, als ob sie auf Eiern gehe.
Stille Wasser gründen tief, und es sind nicht alle Köche, die
lange Messer tragen. Kurz und gut, gnädiger Herr, ich ging
gestern bei ihrem Zimmer vorbei, und wie sie sah, daß
ich 's war, denn die Thür war halb offen, so rief sie mir
und bat mich, daß ich ihr das Halstuch heften möchte; und
da weiß ich nicht, wie es kam, aber ich sollt' es auf dem
Rücken heften, und da heftete ichs vorn und konnte nie fertig
werden. Sie hatte ihren Spaß mit meiner Ungeschicklichkeit,
und, Gott verzeih mir's! ich glaub' ich wäre noch dabei,
wenn die gnädige Frau nicht geschellt hätte. Das erste Mal
hörten wir nichts; aber sie schellte wieder, und das so stark,
daß Frau Beatrix sagte: Ich muß gehen, Pedrillo, sonst
werde ich gezankt wenn ich gewußt hätte, daß du so ungeschickt
wärest, so hätte ich dich nicht gerufen: denn, siehst du,
du machst schon so lange, und jetzt muß ich's doch selbst heften.
Und da lief sie fort, gnädiger Herr, und, was ich
sagen wollte — ja, da hätt' ich sie fragen können, warum
die gnädige Frau so oft in die Stadt fährt, und zu wem?
und dieses und jenes; aber (wie ich sagte) über dem Halstuch
hatt' ich Alles rein vergessen. Sie sehen also, daß ich
nicht neugierig bin: denn Fran Beatrix war bei guter Laune,
und ich glaube, sie hätte mir Alles gesagt.In diesem Tone fuhr Pedrillo den ganzen Weg lang
fort, ohne daß Don Sylvio Acht auf sein Geschwätz gab, so
sehr war er in Gedanken vertieft. Allein, sobald sie zu
Hause waren, erinnerte ihn sein Magen, daß er seit gestern
Mittags gefastet hätte: denn (wie wir schon bemerkt haben)
die Bezauberung erstrebte sich bei ihm niemals bis auf den
Magen. Er ließ sich also einen Eierkuchen und ein gebacknes
Huhn zum Frühstücke machen und aß mit so gutem Appetit,
daß Pedrillo wieder Muth schöpfte und eine bessere Meinung
von dem Verstande seines Herrn zu fassen anfing, als er
diesen Morgen gehabt hatte, da er ihn von Verwandlungen,
Prinzessinnen und bezauberten Sommervögeln reden hörte.—————
Zehntes CapitelWorin Feen, Salamander, Prinzessinnen und grüne Zwerge auftreten.Sobald die größte Hitze vorbei war, begab sich Don
Sylvio mit seinem getreuen Pedrillo in den Garten, setzte
sich an dem schattenreichsten Ort desselben unter eine Laube
von Jasmin; und nachdem er ihm ernstlich untersagt hatte,
ihn in seiner Rede zu unterbrechen, wie es so ziemlich seine
Gewohnheit war, so erzählte er ihm umständlich Alles, was
ihm, von dem Abenteuer mit dem Laubfrosch an bis auf den
Augenblick, da Pedrillo ihn in der Grotte schlafend gefunden
hatte, begegnet war.Wir übergehen dasjenige, was unsern Lesern schon bekannt
ist, und fangen seine Erzählung da an, wo die unsrige still
gestanden, nämlich bei seiner Entfernung, welche seine Hausgenossen
in so große Unruhe gesetzt hatte.Sobald meine Tante abgereist war, fuhr Don Sylvio fort,
ging ich wieder in den Wald, um den Ort zu suchen, wo
der blaue Sommervogel verschwunden war und mir an seiner
Statt dieses Bildniß hinterlassen hatte, wovon nunmehr das
Glück oder Unglück meines Lebens abhängt. Ich nahm den
kleinen Tintin mit mir, weil ich hoffte, daß er den Weg,
den wir mit einander gegangen, durch seinen Instinct leichter
wieder aufspüren würde, als ich mich dessen erinnern könnte.
Ich betrog mich nicht: ich erkannte den Ort; und nachdem
ich ihn aufs sorgfältigste durchsucht hatte, in der Hoffnung,
vielleicht etwas zu finden, das mir einiges Licht geben könnte,
wem das Bildniß gehöre, fing ich an, allenthalben umher
zu laufen, ob ich den blauen Sommervogel wieder entdecken
möchte, den ich nach dem, was mir begegnet war, für keinen
gewöhnlichen Schmetterling halten konnte. Wenn es, dachte
ich, eine Fee ist, wie ich zu glauben Ursache habe, so läßt
sie sich vielleicht durch die Unruhe, worin sie mich sieht,
bewegen, mir wieder sichtbar zu werden und mir die Nachrichten
zu geben, ohne welche ich nicht länger leben kann.Ich suchte also den ganzen Wald aus, ich fand Sommervögel
genug, aber der blaue war nirgends auszuspüren. Die
Nacht nahm überhand; Tintin war so müde, daß er nicht
mehr laufen konnte. Ich war es nicht weniger als er, und
da ich diese Grotte, wo du mich gefunden hast, gewahr wurde,
so beschloß ich, die Nacht da zuzubringen. Ich machte mir
ein Lager, und Tintin schlief neben mir ein, während daß
ich den Gedanken nachhing, die meine Umstände mit sich
brachten. Der Mond schien so anmuthig, daß er mich zu
einem Spaziergang unter den Bäumen, die vor der Grotte
standen, einzuladen schien.Ich war nicht lange auf und nieder gegangen, so sah ich
einen plötzlichen Glanz, der die Bäume und Gesträuche weit
umher vergüldete. Ich stutzte auf und erblickte eine feurige
Kugel in der Luft, die weit höher als der Mond zu schweben
schien und sich langsam gegen den Ort wo ich stand, herab
senkte. Du kannst dir nicht vorstellen, Pedrillo, wie groß die
Freude war, die ich über diesen Anblick empfand.Die Freude? unterbrach ihn Pedrillo: nun wahrhaftig,
gestrenger Herr, Sie sind doch nicht wie andre Leute gemacht,
ich würde über ein solches Wunderzeichen gleich zu Tod erschrocken
seyn, und Sie konnten Sich gar freuen?Sagte ich dir nicht, daß ich keine Zwischenreden haben
wollte? versetzte Don Sylvio. Wenn ich mich freue, so hatte
ich eine sehr gute Ursache dazu: denn ich wußte wohl, daß
es die Ankunft einer Fee bedeutete, und mein Herz weissagte
mir, es werde diejenige seyn, die ich suchte. Meine Erwartung
betrog mich nicht. Die feurige Kugel, die im Annähern
immer größer wurde, zersprang nah über mir mit einem
großen Knall, und an ihrer Statt sah ich eine wunderschöne
Dame auf einem Wagen von Karfunkeln, der von zwei feuerfarbenen
geflügelten Schlangen gezogen wurde. Um sie her
flatterten auf einer kleinen silbernen Wolke eine Menge
Salamander in Gestalt kleiner geflügelter Knaben von überirdischer
Schönheit. Ihre Haare schienen gekräuselte Sonnenstrahlen,
ihre Flügel Feuerflammen, ihr Leib weißer als der
Schnee im Sonnenschein, und die Farben der Morgenröthe
schimmerten um ihre Stirn und auf ihren Wangen. Demungeachtet
wurden sie alle von dem Glanze der Fee verdunkelt,
welcher so blendend war, daß mir das Gesicht davon vergangen
wäre, wenn sie die Vorsicht nicht gebraucht hätte,
mich mit ihrem Stabe zu berühren.Don Sylvio, sagte sie zu mir, ich bin die Fee Radiante,
der du neulich in der Gestalt eines kleinen Frosches ein
Leben gerettet hast, von welchem, so verächtlich es schien,
dasjenige abhing, worin du mich jetzt siehest. Du weißt, daß
wir alle hundert Jahre acht Tage lang die Gestalt irgend
eines Vogels oder Thieres annehmen müssen, und daß wir
in dieser Zeit den Gebrauch aller unserer Macht verlieren
und allen Zufällen ausgesetzt sind, denen die thierische Natur
unterworfen ist. Die acht Tage, in welchen ich genöthiget
war, ein Laubfrosch zu seyn, waren bis auf etliche Stunden
verstrichen: als das Vergnügen, mich bald wieder in meiner
eigenen Gestalt zu sehen, mich so unvorsichtig machte, meinen
Graben zu verlassen und mich der Gefahr auszusetzen, die
wir ohne deine großmüthige Hülfe verderblich gewesen wäre.
Der Schrecken, den ich in dem Schnabel des Storchs ausgestanden,
hielt mich ab, dir sogleich für meine Errettung zu
danken; und da ich in wenigen Stunden meine eigne Gestalt
wieder erlangt hatte, nöthigten mich die Salamander, deren
Königin ich bin, meine ersten Augenblicke ihren Angelegenheiten
zu schenken. Allein, sobald ich wieder Zeit hatte, an
die Meinigen zu denken, erinnerte ich mich, wie viel ich dir
schuldig sey, und dachte auf Mittel, dir meine Dankbarkeit
zu beweisen. Meine Bücher, die ich zu Rathe zog, belehrten
mich, daß du vom Schicksal bestimmt seyest, eine gewisse
Prinzessin zu lieben, aber daß deinem Glücke Schwierigkeiten
entgegen ständen, die du ohne einen mächtigen Beistand
schwerlich zu besiegen vermögend seyn würdest. Ich komme
nun, dir diesen Beistand anzubieten. Deine Geliebte wird
von der Fee Fanferluche verfolgt, weil sie sich nicht überwinden
konnte, einen gewissen Zwerg zu heirathen, der ein
Neffe dieser Fee ist und wegen seiner grünen Farbe der
grüne Zwerg oder auch, weil er gemeiniglich auf einer Bremse
zu reiten pflegt, der Bremsenreiter genannt wird. Weil die
Prinzessin unbeweglich blieb, so ist sie vor Kurzem von dieser
grausamen Fee in einen blauen Schmetterling mit purpurfarbnem
Saum verwandelt worden, mit der Bedingung, daß
diese Bezaubrung nicht eher aufhören solle, bis sie in diesem
Zustand einen geliebten Liebhaber gefunden hätte, der ihr
den Kopf und die Flügel abreißen würde. Unglücklicher Don
Sylvio! der blaue Sommervogel, den du diesen Morgen
fingest, war deine Prinzessin! Sie sah dich im Walde und
liebte dich, sobald sie dich sah; sie floh nur vor dir, weil sie
sehen wollte, ob du ihr nachgehen würdest, und sie ließ sich
willig fangen, sobald sie versichert war, daß sie dir, selbst in
Gestalt eines Sommervogels, nicht gleichgültig sey. Als sie
sich in deiner Hand sah, bemühte sie sich dir zu sagen, wie
angenehm ihr die Gefangenschaft sey; aber die grausame
Fanferluche hatte ihr auch die Sprache geraubt, und sie konnte
nichts hervorbringen als einen Seufzer, den du unglücklicher
Weise für ein Zeichen hieltest, daß sie den Verlust ihrer
Freiheit beklage. Dein mitleidiges Herz bewog dich, sie wieder
fliegen zu lassen, sie flatterte traurig fort, würde aber vermuthlich
bald wieder zurückgekehrt seyn, wenn sie nicht in
eben demselben Augenblicke den grünen Zwerg wahrgenommen
hätte, der auf seiner Bremse angeritten kam und die Zähne
so abscheulich gegen sie blökte, daß sie sich vor Angst zehn
tausend Flügel wünschte, um desto schneller entfliehen zu
können. Zu ihrem Glücke war ich eben im Begriffe, dich
aufzusuchen; ich sahe die Gefahr, worin die arme Prinzessin
schwebte, und eilte ihr zu Hülfe, nachdem ich einem meiner
Salamander befohlen hatte, das Bildniß der Prinzessin in
deinen Weg zu legen. Ich setzte dem grünen Zwerge nach,
welcher, zu schwach, sich mit mir in einen Kampf einzulassen,
alle mögliche Gestalten annahm, um mir zu entwischen.
Endlich verwandelte er sich in eine kleine Wolke; allein ich
ward es sogleich gewahr und drückte ihn zwischen meinen
Händen so fest zusammen, daß er in Tropfen zerfloß. Die
Leute, die unten im Felde arbeiteten, sahen, daß es Blut
regnete. und hielten es für eine böse Vorbedeutung. Der
grüne Zwerg befand sich so übel in dieser Presse, daß er in
seine eigene Gestalt zurück trat; allein er behielt sie nicht
lange. Ich verwandelte ihn in einen elfenbeinernen Zahnstocher,
mit der Bedingung, daß er seine natürliche Gestalt
nicht eher wieder bekommen sollte, bis er gedient hätte, den
hintersten Stockzahn eines achtzigjährigen Mädchens auszustochern,
die noch eine unbefleckte Jungfer wäre.Beim Element, unterbrach ihn Pedrillo, ich bin der Fee
Radamante ihr gehorsamer Diener; aber sie denkt nicht, was
sie thut. Auf diese Art wird der arme grüne Zwerg ewig
ein Zahnstocher bleiben: denn, sehen Sie, Herr Don Sylvio,
ich will nicht Pedrillo heißen, wenn in der alten und in der
neuen Welt eine achtzigjährige Jungfer zu finden ist, die
noch Zähne auszustochern hat, oder ein achtzigjähriges Mädchen
mit Zähnen, die noch eine Jungfer ist.Dafür laß den grunen Zwerg sorgen, versetzte Don Sylvio:
wenigstens wird er lange genug suchen müssen, daß ich
nichts von ihm zu besorgen habe. Aber sagte ich dir nicht
schon zweimal, daß ich nicht unterbrochen seyn will? Wenn
wir gute Freunde bleiben sollen, Herr Pedrillo, so laß mich's
nicht zum dritten Mal sagen.Gut, gestrenger Herr, erwiederte Pedrillo, fahren Sie
nur fort und erzürnen sich nicht; ich will so still seyn wie
eine Maus. Sie wissen, ich bin kein Plauderer; aber, weil Sie
von dem Zahnstocher und von der achtzigjährigen Jungfer —Zum Henker, rief Don Sylvio, du verfluchtes Plaudermaul!
du fängst ja wieder von vorn an —Nein, Herr, sagte Pedrillo, ich wollte nur sagen, daß ich
kein Wort mehr sagen will, und daß ich auch dießmal nichts
gesagt hätte, wenn nicht der Zahnstocher —Ich wollte, schrie Don Sylvio, daß du selbst ein Zahnstocher
wärest! So höre doch und schweige, oder das soll das
letzte Wort seyn, das du jemals von mir gehört hast.Diese Drohung erschreckte den Pedrillo, der seinen jungen
Herrn überaus lieb hatte; er legte die Hand auf den Mund,
zum Zeichen, daß er nichts mehr sagen wolle, und Don Sylvio
fuhr fort:Die Fee hielt ein wenig inne, nachdem sie ihre Erzählung
geendigt hatte, und ich ergriff diesen Augenblick, mich ihr zu
Füßen zu werfen und ihr meine Dankbarkeit in den lebhaftesten
Ausdrücken zu bezeigen.Mächtige Fee, setzte ich hinzu, Sie haben so viel für mich
gethan, vollenden Sie Jhr Werk! Haben Sie dem grünen
Zwerg die Gestalt eines Zahnstochers geben können, was für
Mühe wird es Ihnen kosten, meiner geliebten Prinzessin ihre
eigene wieder zu geben?Es ist nicht in meiner Macht, erwiederte die Fee, einen
Zauberknoten aufzulösen, den eine meiner Mitschwestern geknüpft
hat. Dieses Abenteuer ist für dich aufgehoben. Versäume
keine Zeit, Don Sylvio. Nimm deinen getreuen Pedrillo
und den kleinen Tintin mit und suche den blauen
Sommervogel so lange bis du ihn findest. Ich besorge sehr,
daß die boshafte Fanferluche ihren Neffen an der Prinzessin
und an dir selbst zu rächen suchen werde; aber laß dich durch
keine Schwierigkeiten abschrecken und sey versichert, daß du
meinen Beistand, wo er nöthig seyn wird, nie vergeblich anrufen
sollst.Mit diesen Worten verschwand die Fee, der Wagen und
die Salamander. Ich befand mich so abgemattet, daß ich in
einen tiefen Schlaf fiel; und ich schliefe vielleicht noch, wenn
du mich nicht aufgeweckt hättest.Du hast nun gehört, Pedrillo, was mir die Fee befohlen
hat. Ich habe keine Zeit zu verlieren. Wir müssen uns auf
den Weg machen, meine geliebte Prinzessin zu suchen, und
ich hoffe, daß du dich nicht weigern wirst, mich zu begleiten.—————
Elftes CapitelEin Gespräch zwischen Pedrillo und seinem Herrn. Zurüstungen zu der
beschlossenen Wanderschaft.Pedrillo hatte seinem Herrn mit großem Vergnügen zugehört,
indem er die Geschichte von der Fee und von der
Prinzessin und vom grünen Zwerg erzählte; denn er war ein
ungemeiner Liebhaber von Mährchen und Wundergeschichten.
Allein, da er hörte, daß Don Sylvio Ernst daraus machte,
und daß es darum zu thun sey, in der Welt herum zu ziehen,
um einen blauen Sommervogel aufzusuchen, so wollte
ihm die Sache nicht recht einleuchten. Er kratzte hinter den
Ohren, zuckte die Achseln und sagte endlich nach einigem
Zaudern:Bei meinem Leben, Herr Don Sylvio, ich weiß nicht,
was ich sagen soll; aber mir däucht, daß Sie das Alles eben
so gut hätten träumen können, als etwas Anderes; und wenn
ich nicht wüßte, daß Euer Gnaden das ehrlichste Gemüth
auf der Welt sind, so möchte einer, Gott verzeih mir's, fast
denken —Wie? fiel ihm Don Sylvio ein: zweifelst du etwa an der
Wahrheit meiner Erzählung?Nein wahrhaftig, versetzte Pedrillo, daran zweifle ich im
geringsten nicht; aber die feurige Kugel und der Frosch, der
eine Fee ist, und der grüne Zwerg, der sich in die Prinzessin
verliebte, und der Sommervogel, den Sie heirathen und in
eine schöne Prinzessin verwandeln sollen, und der Zahnstocher
— Wenn ich Ihnen die Wahrheit gestehen soll, gestrenger
Herr (aber Sie müssen's mir nicht übel nehmen), sehn Sie,
so glaub' ich, daß Ihnen das Alles nur im Traume so vorgekommen
ist. Man traumt oft gar wunderliche Dinge: zum
Exempel, mir träumte letzthin —Wahrhaftig, rief Don Sylvio, dem die Geduld ausging,
ich habe jetzt nichts zu thun, als deine Träume anzuhören.
Sage mir, du unvernünftiges Thier, wenn es ein Traum
gewesen ist, daß ich die Fee Radiante gesehen habe, und daß
sie mir gesagt hat, was ich thun soll, um meine unvergleichliche
Prinzessin zu finden; ist es auch ein Traum, daß ich
ihr Bildniß an meinem Halse trage?Mit diesen Worten nahm er das Kleinod, drückte die
Feder und zeigte dem Pedrillo das kleine Bildniß, welches
unter dem großen Türkis verborgen lag.Pedrillo machte ein Paar mächtig große Augen auf, indem
er das Bild eines Frauenzimmers sah, das, wie ihn
däuchte, tausendmal schöner war, als die Frau Beatrix selbst.O bei Sanct Velten, rief er, nun sag ' ich kein Wort
mehr! So ist das die Prinzessin, die Ihnen die Fee Radicante
versprochen hat, und die in einen blauen Schmetterling
verwandelt ist? Nun muß ich's freilich wohl glauben,
daß Alles die Wahrheit ist, was Sie mir erzählt haben;
wahrhaftig, wenn ich sie nicht mit meinen eignen Augen sähe,
ich hatt' es nicht geglaubt! Das ist wunderbar! Aber von
wem könnten Sie's auch sonst haben, als von einer Fee?
Denn ich wollte meinen Kopf wetten, daß der kleinste dieser
Steine wohl zehn Bauerhöfe werth ist. Aber ich habe oft
gelesen, daß solche Dinge den Feen keinen Heller kosten; bei
ihnen sind die Diamanten so gemein wie die Gassensteine,
und ich bin versichert, die Frau Rademante hat größere
Edelsteine auf ihren Schuhen, als die Königin, welche Gott
erhalten wolle! an ihrem Halsbande. Beim Element, solche
Sachen find't man nicht im Schlaf! Euer Gnaden muß also
wohl gewacht haben, und, haben Sie gewacht, so haben Sie's
nicht träumen können, wie ich sagte, und so muß es ja wohl
wahr seyn, daß die Prinzessin ein Sommervogel ist. Lassen
Sie mich doch noch einmal sehen! — Meiner Treu, das ist
doch hübsch! Wie freundlich sie einen ansieht! Wenn einer
nicht wüßte, daß es nur gemalt wäre, so meinte man, es
werde gleich den Mund aufthun und reden. Der Henker hole
die verfluchten Unholden, die so unbarmherzig seyn konnten,
ein so hübsches kleines Gesichtchen in ein Ungeziefer zu
verwandeln! Wahrhaftig, Herr Bremsenreiter, solche schöne
Prinzessinnen macht man nur für deines Gleichen! Daß dich
die Pest! du Mistfinke du! Meinst du, weil sie so klein ist,
daß ein Mückenflügel ihr ganzes Gesichtchen verdecken könnte,
so sey sie nur gleich für einen krummbeinigen, buckligen,
grünen Laubkäfer gewachsen, wie du bist?Dummer Junge, fiel ihm Sylvio ein: ich glaube, du
bildest dir gar ein, die Prinzessin sey nicht größer, als sie in
diesem Bildniß ist? Sie ist hier nur so klein gemalt, weil
es die Kleinheit des Raums nicht anders zuließ; aber das
verhindert nicht, daß sie nicht zum wenigsten so groß sey, als
Diana oder die schöne Alie, welche gewiß nicht die kleinste
gewesen seyn muß, da ein so großer Riese als Moulineau
sie mit Gewalt zur Frau haben wollte. Und gesetzt auch, daß
sie etwas kleiner wäre, so wäre sie dadurch nur den Grazien
desto ähnlicher, welche von den Poeten und Malern kleiner
vorgestellt werden, als andre Göttinnen, um die Anmuth
und Lieblichkeit dadurch auszubrüten, um derentwillen sie
die Ehre verdienen, die Gespielen und Aufwärterinnen der
Göttin der Liebe zu seyn.Das ist auch nicht mehr als billig, versetzte Pedrillo: denn
man sagt im Sprichwort, was klein ist, das ist artig; und
wenn auch gleich die Prinzessin nicht größer wäre, als eine
Pariser Puppe, so wollt' ich doch wetten, daß sie das drolligste
kleine Ding ist, das man nur an einem Sommertag sehen mag.Pedrillo, mein Freund, fiel ihm Don Sylvio ein, wir
verderben hier die Zeit mit unnützem Geschwätz, indessen
meine Geliebte vielleicht in Gefahr ist —Bei meiner Treue, Herr, unterbrach ihn der voreilige
Pedrillo, das wollt' ich eben sagen! Für eine so schöne Prinzessin
könnte auch nichts verdrießlicher seyn, als daß sie keinen
Augenblick sicher ist, wenn irgend eine verfluchte Dohle oder
Krähe daher kommt und sie ihren Jungen zum Futter wegschnappt!
Sapperment, sie würden sie gewiß so gut aufschnabeln,
als ob sie nur ein gemeines Ungeziefer und nicht eine
große Prinzessin wäre, wie ich nun selbst glaube daß sie ist;
seitdem ich ihr Bildniß gesehen habe.Was du sagst, erwiederte Don Sylvio, macht mir keinen
Kummer; ich verlasse mich darüber vollkommen auf den Schutz
der Fee Radiante. Allein, wenn dieser Schutz mehr als hinlänglich
ist, sie gegen alle Dohlen und Krähen der Welt
sicher zu stellen, so ist er es doch nicht gegen die Nachstellungen
der boshaften Fanferluche: denn du hast gehört, daß die Entzauberung
des blauen Sommervogels für mich allein vorbehalten
ist. Was meinst du, Pedrillo? wär' es nicht am besten,
wenn wir uns jetzt gleich auf den Weg machten, da meine
Tante nicht zu Hanse ist? Wir sind hier alle bei einander, ich,
du und Tintin: wir wollen gehen und die Prinzessin suchen, sie
mag auch seyn, wo sie will; für das Uebrige wird die Fee sorgen.Sie sind auch gar zu eilfertig, gnädiger Herr, erwiederte
Pedrillo; Sie denken nicht daran, daß man auf Reisen allerhand
Dinge braucht, mit denen man auf den Nothfall versehen
seyn muß —Du weißt nicht, was du sagst, fiel ihm Don Sylvio
ins Wort: wo hast du jemals gehört oder gelesen, daß ein
Prinz oder Ritter, der unter dem Schulz der Feen in der
Welt herum reist, eine solche Vorsicht gebraucht hätte? Sie
haben allezeit schöne Kleider, feine Wäsche und Geld, so viel
sie brauchen; sie übernachten insgemein in bezauberten Palästen,
wo sie aufs beste bewirthet werden; und wenn es auch geschieht,
daß sie sich in Wäldern und Einöden verirren, so
steht doch, ehe sie sich 's versehen, eine Tafel vor ihnen, die
von unsichtbaren Händen gedeckt und mit den niedlichsten
Speisen besetzt wird, und sie schlafen in anmuthigen Grotten
oder unter Lauben, die von den Nymphen gepflanzt worden,
auf einem Lager von Blumen ein.Das ist Alles wohl hübsch und gut, sagte Pedrillo; aber,
die Wahrheit zu sagen, gnädiger Herr, ich möchte mich nicht
gar zu sehr darauf verlassen. Man hat unter den Feen seine
Freunde und seine Feinde; und ich habe wohl eher von
Prinzen und Prinzessinnen gelesen, die auf dergleichen Reisen
mit guten Zahnen manchmal wenig zu beißen gehabt haben.
Vorsicht schadet nie, pflegte meine Großmutter zu sagen;
ein Sperling in der Hand ist besser, als ein Haselhuhn im
Busche. Kurz, wenn ich Euer Gnaden gut zum Rathen bin,
so will ich gehen und etwas Wäsche und kalte Küche und
etliche Flaschen Wein in einen Zwerchsack zusammen packen;
sorgen Sie indeß für einen guten Beutel voll Ducaten; und
wenn das geschehen ist, so wollen wir uns immerhin, weil
es nun einmal so seyn muß, auf den Weg machen, und gebe
der Himmel, daß wir weder blaue noch grüne Zwerge antreffen,
die uns unsre Prinzessin streitig machen!Don Sylvio, welcher, seine Grillen ausgenommen, der
beste Mensch von der Welt war, ließ sich von Pedrillo überreden
und ging mit ihm ins Schloß zurück, nachdem er aus Furcht,
den Vorwitz seiner Leute zu erregen, das Kleinod mit dem
Bildnisse der vermeinten Prinzessin in seine Tasche gesteckt
hatte. Ungeachtet seines Vertrauens auf die Feen unterließ
er doch nicht, indeß Pedrillo den Keller und die Speisekammer
durchmusterte, etliche Ringe, die er von seinem Vater
geerbt hatte, und seine ganze Baarschaft zu sich zu stecken,
welche sich, die Wahrheit zu gestehen, nicht über zehn oder
zwölf Pistolen belief, aber in seinen Augen eine Summe
war, womit er sich unter dem Schutze der mächtigen Radiante
bis zu den Gegenfüßlern zu reisen getraute. Er zog sein
feinstes Hemde mit Spitzen an, ein Wamms von grünem
Atlas, mit schmalen goldnen Spitzen besetzt und mit rosenfarbnem
Taffet gefüttert, rosenfarbne Beinkleider und Strümpfe,
und der Federbusch auf dem Hute war von eben dieser Farbe.
In diesem Aufzuge, worin er es mit allen Narcissen und Hyacinthen
der Dichter hätte aufnehmen können, wartete er mit
Ungeduld auf seinen Reisegefährten, in der festen Entschließung,
sich noch vor Wiederkunft seiner Tante heimlich davon
zu machen.—————
Zwölftes CapitelUnmaßgebliche Gedanken des Autors.Wenn wir diese Geschichte ein halb Duzend Jahrhunderte
früher hätten schreiben können, so würde dieses Capitel
überflüssig gewesen seyn. Es gibt Zeiten, wo dasjenige, was
man Wunderdinge nennt, so alltäglich ist, daß die Leute
nichts wunderlicher finden, als eine natürliche Begebenheit.
Allein in den unsrigen scheint die entgegen gesetzte Denkungsart
so sehr überhand genommen zu haben, daß wir
kaum hoffen dürfen, unter allen, die diese Geschichte vielleicht
lesen werden, auch nur einen Einzigen zu finden, den
wir bereden könnten, daß in dem vorigen Capitel nichts
erzählt worden sey, was nicht alle Tage geschehen könne. Seit
der Erfindung der Vergrößerungsgläser haben die unsichtbaren
Dinge ein böses Spiel, und man braucht nur ein Geist
zu seyn, um alle Mühe von der Welt zu haben, die Leute
von seinem Daseyn zu überzeugen. Kurz, wir möchten sagen,
was wir wollten, so würde uns doch Niemand glauben, daß
eine Fee Radiante in der Welt sey, oder daß der blaue
Schmetterling wirklich eine Prinzessin, und ein Zahnstocher
jemals ein grüner Zwerg gewesen sey.Bei solchen Umständen halten wir für das Beste, wenn
wir frei gestehen, daß wir selbst von Allem, was Don Sylvio
seinem getreuen Pedrillo erzählt hat, eben so wenig
glauben, als von den Gesichten unsrer frommen Landsmännin,
der Schwester Maria von Agreda, oder von den
Erzählungen vom rothen Käppchen und irgend einem andern
Mährchen, womit uns ehmals unsre geliebte Amme einzuschläfern
pflegte.Demungeachtet nöthigt uns die Wahrhaftigkeit, deren
wir uns im Laufe dieser Geschichte immer befleißigen werden,
zu versichern, daß Don Sylvio in seiner ganzen Erzählung
nichts gesagt habe, was nicht in gewissem Sinn eben so wirklich
war, als es die meisten andern Geschichten aus der
Geisterwelt sind.Um dieses scheinbare Paradoxon zu begreifen, müssen wir
uns erinnern, daß es eine zweifache Art von Wirklichkeit
gibt, welche in einzelnen Fällen nicht allemal so leicht zu
unterscheiden ist, als manche Leute denken.So wie es nämlich, allen Egoisten zu Trotz, Dinge gibt,
die wirklich außer uns sind, so gibt es andre, die bloß in
unserm Gehirn existiren. Die erstern sind, wenn wir gleich
nicht wissen, daß sie sind; die andern sind nur, insofern wir
uns einbilden, daß sie seyen. Sie sind für sich selbst —nichts;
aber sie machen auf denjenigen, der sie für wirklich hält, die
nämlichen Eindrücke, als ob sie etwas wären; und ohne daß
die Menschen sich deßwegen weniger dünken, sind sie die
Triebfedern der meisten Handlungen des menschlichen Geschlechts,
die Quelle unsrer Glückseligkeit und unsers Elends,
unsrer schändlichsten Laster und unsrer glänzendsten Tugenden.Welche Fee oder welcher Zauberpalast ist chimärischer, als
dieser Nachruhm, von dem doch die größten Männer gestanden
haben, daß er der Endzweck ihrer schönsten Unternehmungen
gewesen sey? Alexander, der den fabelhaften Zug des
Bacchus nach Indien realisirte und sich in tausend freiwillige
Gefahren stürzte, damit die Bürger von Athen (wie er selbst
sagte) eine gute Meinung von ihm bekämen, sog einer eben
so unwesentlichen Chimäre nach, als Don Sylvio, da er
auszog, um den blauen Schmetterling zu entzaubern. In
den Augen eines kalten Zuschauers der menschlichen Handlungen
ist der erste ein so großer Thor als der andere; und dieser
hat wenigstens den Vorzug, daß seine Chimäre keinen Schaden
that, da die Chimäre des Eroberers von Asien eine
halbe Welt erschütterte.Wir werden also (um von diesem kleinen Seitenwege sogleich
wieder einzulenken und zur Hauptsache zu kommen)
bei der Erzählung unsers jungen Ritters einen Unterschied
machen müssen zwischen demjenigen, was ihm wirklich begegnet
war, und zwischen dem, was seine Einbildungskraft hinzu
gethan hatte. Wir haben ihn, wie man sich noch erinnern
wird, nach dem Abenteuer mit dem Schmetterling und dem
Bildniß in einem Zustande verlassen, worin seine Phantasie
auf einen außerordentlichen Grad erhöht war. Die Lebhaftigkeit
der Bilder, die sich ihm darstellten, nahm mit der
Nacht desto mehr zu, je weniger sie von äußern Empfindungen
geschwächt wurde; es brauchte nur noch einen Grad, um
sie zu einer Art von Empfindung zu machen. In einer solchen
Verfassung ward er eine feurige Kugel gewahr, die in
der Luft daher schwebte und nach einer Weile nicht weit
von ihm zersprang. Diese nicht ungewöhnliche Lufterscheinung,
die ein Naturforscher mit beobachtenden Augen angesehen
hätte, vollendete die Bezauberung eines Don Sylvio. Er
erinnerte sich, in seinen Mährchen öfters solche flammende
Kugeln gefunden zu haben, aus denen allemal eine Fee auf
einem diamantenen Wagen, von sechs Schwanen oder vier
und zwanzig Hämmeln mit goldnem Vließe gezogen, hervor
kam. Nach seiner Weise war also diese natürliche Erscheinung
der Anfang einer übernatürlichen; und mehr brauchte es
nicht, um die Phantasiebilder, die schon geformt und zur
Geburt zeitig in seinem Kopfe lagen, in eine Reihe von vermeinten
Empfindungen zu verwandeln, die von einem Traume
nur darin unterschieden waren, daß er dabei wachte und
durch ihren Zusammenhang mit seinen vorhergehenden und
nachfolgenden Vorstellungen desto stärker verführt wurde, sie
für wirklich zu halten.Dieß ist, wenigstens nach unsrer geringen Meinung, die
wahrscheinlichste Erklärung, die man von dergleichen Visionen
geben kann. Indessen sind wir weit entfernt, sie Jemand
aufdringen zu wollen. Don Sylvio befand sich allein, da ihm
die Fee Radiante erschienen seyn soll; und man kann allen
Zweiflern, Materialisten, Deisten und Pantheisten kühnlich
Trotz bieten, jemals zu erweisen, daß die Fee Radiante oder
ihre Erscheinung etwas schlechterdings Unmögliches sey. Wir
können also unsere Erklärung für mehr nicht geben, als für
eine bloße Vermuthung: und wenn die Liebhaber des Wunderbaren
geneigter seyn sollten, hierüber dem Don Sylvio
selbst zu glauben, welcher unstreitig ein Augenzeuge und
außer allem Verdacht eines vorsetzlichen Betrugs ist; so haben
wir nicht das Geringste dagegen einzuwenden.—————
Zweites Buch.Erstes CapitelAufschlüsse über die Reisen der Donna Mencia nach der Stadt.Indessen Don Sylvio zu seiner abenteuerlichen Wanderschaft
Anstalt machte, war Donna Mencia beschäftigt, ihn
durch ein Mittel zurück zu halten, von welchem er sich eben
so wenig träumen ließ, als sie von seiner Liebe zu einem
bezauberten Schmetterling.Wir haben bereits gemeldet, daß sie seit einiger Zeit
häufige Reisen in das benachbarte Städtchen that, um welche
Don Sylvio sich zwar nicht bekümmerte, die aber in der
That auf nichts Anderes abzielten, als ihm einen schlimmern
Streich zu spielen, als er von der vereinigten Bosheit aller
Fanferluchen und Carabossen der ganzen Welt nur immer
hätte erwarten können.Man erinnert sich vielleicht noch, daß Donna Mencia,
ungeachtet ihrer außerordentlichen Sprödigkeit, in ihrer ersten
Jugend keine gänzliche Feindin der Liebe gewesen war; und
wenn wir die Wahrheit unverblümt sagen sollen, so ist
vielleicht niemals ein Frauenzimmer gewesen, dem die Tugend,
wozu die Unbarmherzigkeit der Mannsleute sie verurtheilte,
beschwerlicher gefallen wäre. Man will sogar wissen,
daß, seitdem sie sich aus der großen Welt in eine Einsamkeit
zurück gezogen, welche der erzwungenen Sprödigkeit nicht
sehr günstig zu seyn pflegt, ihre Bedürfnisse mehr als einmal
so dringend geworden, daß sie (wenn wir es anders ohne
Beleidigung des Geschlechts, zu dem sie gehörte, sagen können)
sogar einem gewissen Bedienten des Hauses Aufmunterungen
gegeben, die vielleicht nicht ohne Erfolg geblieben
wären, wenn die Reizungen der jungen Maritorne diesen
plumpen Liebhaber nicht gegen alle Vorzüge eines hochadeligen
Gerippes unempfindlich gemacht hätten.So wahrscheinlich auch diese Anekdote durch den Charakter
der Donna Mencia, durch die schlimme Meinung, in welche
sich die sogenannten Prüden bei der Welt gesetzt haben, und
durch verschiedene Beispiele großer Damen (die man beim
Brantome lesen kann, und für deren Wahrheit er stehen
mag) gemacht werden könnte, so gestehen wir doch, daß wir,
aus guten Gründen, ein starkes Mißtrauen in alle Anekdoten
dieser Art setzen. Es ist zwar der kleinen Bosheit, die
man dem menschlichen Herzen Schuld gibt, gemäß, diejenigen,
die eines gewissen Grades von Schwachheit oder Thorheit
überwiesen sind, eines jeden höhern Grades derselben
fähig zu halten. Aber diese Art zu urtheilen ist nicht selten
ungerecht, und was die arme Donna Mencia betrifft, so
däucht uns, die unläugbaren Proben ihrer Schwachheit seyen
noch immer groß genug, ohne daß man vonnöthen habe, sie
durch nachtheilige Vermuthungen in eine Carricatur zu verwandeln.Um also den Leser nicht länger aufzuhalten, so ist es nur
allzu gewiß, daß weder ihre Tugend, noch der gerechte Stolz
auf ihre edle Geburt, noch sechzig Frühlinge, die sie bereits
erlebt hatte, ihr zärtliches Herz gegen die Liebe zu schützen
vermochten, die ein gewisser Procurator in Xelva so glücklich
war ihr einzuflössen.Sie hatte ihn bei einer bejahrten Freundin kennen gelernt,
bei der er in Geschäften öftere Besuche ablegte; und
die Nachrichten, die sie von seinen Umständen einzog, schienen
dem Anschlag überaus günstig zu seyn, den sie beim
ersten Anblick auf seine Person gemacht hatte.Dieser würdige Mann nannte sich Rodrigo Sanchez und
war (sein Talent für die Rabulisterei ausgenommen) durch
seine körperlichen Vorzüge merkwürdiger, als durch die Annehmlichkeiten
seines Geistes. Er war ein untersetzter Mann von
mittlerer Größe, hatte breite Schultern, krause Haare, kleine
funkelnde Augen, die von großen schwarzen Augenbraunen wie
von einem dunkeln Gebüsche beschattet wurden, eine große Habichtsnase,
Beine, die im Nothfall stark genug gewesen wären
einen Atlas zu unterstützen, kurz, er hatte gerade den Zuschnitt,
der (wie einige Beobachter wissen wollen) den Spröden von
Profession gefährlich seyn soll. Man weiß nicht, daß sich
Donna Mencia jemals über den Eindruck, den er mit dieser
Figur auf sie gemacht, erklärt hätte. Aber nichts desto minder
versichert unser Autor (der sich mit seinem Talent, in
den Seelen zu lesen, nicht wenig zu wissen scheint), daß
Rodrigo Sanchez mit dieser Figur die Ehre gehabt habe,
beim ersten Anblick über die Abneigung zu siegen, welche sie
jederzeit gegen den Ehestand hatte spüren lassen, und den
Wunsch in ihr zu erregen, mit ihm in dieses Joch gespannt
zu werden, ungeachtet er kaum vierzig Jahre zählte und
noch ein Junggeselle war.Wenn die Augen dieses neuen Adonis nicht dankbar genug
waren, in ihr eine Venus zu sehen, so hatte er doch,
so bald er merkte, daß es um eine Heirath zu thun sey,
einen Beweggrund, der auf Leute von seiner Art eben so
kräftig zu wirken pflegt, als die persönlichen Reizungen auf
Liebhaber von feinerm Metall.Der Herr Procurator hatte nämlich von einem ältern
Bruder eine Nichte, Mergelina genannt, welche seit dem
Tode ihrer Aeltern mit einem Vermögen von hundert tausend
Thalern unter seiner Vormundschaft stand. So gleichgültig
ihm seine Nichte für ihre eigne Person war, so zärtlich
liebte er ihre Thaler; und er hatte schon lang umsonst
auf ein gesetzmäßiges oder wenigstens nicht widergesetzliches
Mittel gesonnen, sich, wo nicht des Ganzen, doch wenigstens
eines ansehnlichen Theils desselben zu bemächtigen; als die
Leidenschaft, die er das Glück hatte der Donna Mencia einzuflössen,
ihm eine erwünschte Gelegenheit zu geben schien,
diese Absicht zu erreichen. Seine Nichte, welche unstreitig
ein reizendes Vermögen besaß, hatte bereits etliche Freier abgewiesen,
weil sie nur bürgerlich waren: denn sie hatte sich's
nun einmal in den Kopf gesetzt, entweder eine Dame zu
werden oder als Jungfer zu sterben. Herr Rodrigo zweifelte
also nicht, sie zu Allem zu bereden, was er nur wollte,
insofern er ihr einen Edelmann zum Manne geben könnte;
die Schwierigkeit war bloß, einen solchen zu finden, der so
gefällig wäre, als es Herr Rodrigo haben wollte. Die Nachrichten,
die er von der Freundin der Donna Mencia erhielt,
machten ihm Hoffnung, daß sich Niemand zu seinen Absichten
besser schicken könne, als Don Sylvio, welcher ihm als
ein junger Edelmann beschrieben wurde, der ohne alle Erfahrung
oder Kenntniß der Welt, ungemein großmüthig und
dabei gewohnt sey, sich in Allem von seiner Base regieren zu
lassen. Er beschloß also, sein Glück zu versuchen und von dem
verliebten Anstoß der alten Mencia so viel Vortheil zu ziehen,
als nur immer möglich seyn möchte. Freilich spielte er
die Rolle eines seufzenden Schäfers so lächerlich, als man
sich's vorstellen kann; allein er brachte doch Feuer genug
darein, um eine so zärtliche Person, wie Donna Mencia war,
zu überreden, daß er der verliebteste unter allen Menschen sey.Allein, sobald sich diese Dame ihres Sieges gewiß hielt,
erinnerte sie sich dessen, was sie ihrer Tugend und ihrem
Charakter schuldig war, und machte so viele Umstände, daß
der Herr Procurator, welcher sich wenig auf die Kunst verstand,
Spröde zahm zu machen, die Geduld zehnmal verloren
hätte, wenn er durch keine stärkere Gewalt als die bejahrten
Annehmlichkeiten seiner Grausamen zurück gehalten
worden wäre. Das Beste für ihn war, daß es ihr selbst so
viel Mühe kostete, die keusche Flamme, wovon sie brannte,
zu verbergen, daß sie für gut befand, seine Probezeit um so
mehr abzukürzen, da sie keine Ursache hatte, an der Stärke
seiner Leidenschaft zu zweifeln. Sie willigte also endlich ein,
den Herrn Rodrigo glücklich zu machen; die zweifache Heirath
des Oheims mit der Tante und des Neffen mit der
Nichte wurde beschlossen, und der Herr Procurator setzte
einen Ehevertrag auf, worin die Vortheile der erstern nicht
vergessen waren.Donna Mencia hatte ihren Neffen allzu wohl erzogen,
als daß sie an seiner Einwilligung im geringsten hätte zweifeln
sollen. Indessen macht ihr der Gedanke doch einige
Mühe, daß diese doppelte Verbindung dem Adel ihres Geschlechts,
auf den sie immer stolz gewesen war, in den Augen
der Welt nicht wenig derogiren würde: und, so sehr auch die
Heftigkeit ihrer Leidenschaft durch die blendenden Verdienste
des Herrn Rodrigo Sanchez gerechtfertiget zu werden schien,
so würde sie sich doch kaum haben entschließen können, derselben
eine so große Bedenklichkeit aufzuopfern; wenn Herr
Rodrigo, der ein starker Genealogist war, ihr nicht Hoffnung
gemacht hätte, in Kurzem einen Stammbaum zu Stande
zu bringen, in welchem er den Ursprung seiner Familie in
gerader Linie von einem natürlichen Sohne des castilianischen
Königs Sancho des Großen herleiten wollte.—————
Zweites CapitelEin Gemälde in Ostadischem Geschmack.Don Sylvio, der den Kopf von Schmetterlingen und
grünen Zwergen voll hatte, ließ sich wenig davon träumen,
daß seine gnädige Tante, während er auf Befreiung seiner
geflügelten Prinzessin dachte, damit umging, ihn mit einem
Bürgermädchen von Xelva zu verheirathen, und (wenn wir
die Wahrheit sagen sollen) mit dem häßlichsten Dinge, das
jemals geheirathet worden ist.Er war also nicht wenig bestürzt, da er sie, ehe noch
Pedrillo mit den Zurüstungen zur Reise fertig war, in Gesellschaft
eines Frauenzimmers und einer Mannspersonen die
ihm gänzlich unbekannt waren, zurückkommen sah. Er erstaunte
noch mehr, da er diese fremden Figuren in der
Nähe betrachtete; und insonderheit kam ihm die junge Dame
so außerordentlich vor, daß er sie Anfangs für eine angekleidete
Meerkatze hielt. Pedrillo, der ihnen aus der Kutsche
steigen half, hatte alle Mühe von der Welt, sich beim Anblick
derselben des Lachens zu enthalten, und Don Sylvio,
so höflich er sonst war, trat in der ersten Bestürzung ein
paar Schritte zurück, ohne die Zufriedenheit zu bemerken,
die sich bei seinem Anblick über ihr liebliches Gesicht ausbreitete.In der That hätte die weise Mencia, um eine Nichte zu
haben, die ihren eignen Reizungen keinen Eintrag thäte, keine
bequemere Person auswählen können als Donna Mergelina.Wir wollen einen Versuch wagen, ob wir die Einbildungskraft
unsrer Leser in den Stand setzen können, sich einige
Vorstellungen von ihr zu machen.Sie war vollkommen zwei Ellen und vier Daumen hoch,
von einer Schulter zur andern beinahe eben so breit, und
überhaupt so regelmäßig gebaut, daß ihr Kopf ungefähr den
vierten Theil ihrer Höhe ausmachte, Hals, Brust und Unterleib
aber sich so unmerklich in einander verloren, daß man
unmöglich sehen konnte, wo eines anfing, und das andere
aufhörte. Ungeachtet der außerordentlichen Länge ihres Kinns
stellte ihr Gesicht doch ein ziemlich regelmäßiges Viereck vor;
denn ihre Stirne war gerade um so viel zu niedrig, als ihr
Kinn zu lang war. Ihre Augen waren so rund und ragten
so weit aus dem Kopfe hervor, daß das Beiwort, welches
Homer der Juno zu geben pflegt, ausdrücklich für Donna
Mergelina gemacht zu seyn schien. Ihr Mund war von
einer so geräumigen Weite, daß man den Schaumlöffel des
Prinzen Tanzai ohne mindeste Gefahr ihrer breiten Zähne
darin hatte hin und wieder schieben können: und wenn ihre
Lippen jemals von einem Poeten zum Sitz der Grazien gemacht
worden sind, so müssen wir gestehen, daß es ein Canapee
war, worauf diese Göttinnen Platz genug gehabt hätten,
sich im Nothfall noch mit etlichen jungen Liebesgöttern
herum zu tummeln. Ihre Nase war in der That um etwas zu
klein; denn man hatte Mühe, zwischen ihren dicken, hangenden
Backen etwas Erhabenes zu entdecken, welches man endlich
an den aufgestülpten Nüstern für eine Nase gelten lassen
mußte: allein das war auch das Einzige an ihrer ganzen
Person, woran sich die Natur zu karg bewiesen hatte. Zum
Ersatz hatte sie hingegen einen überflüssig hohen Rücken,
sehr lange Ohren und so breite Hände und Füße, als ob
die Absicht der Natur gewesen wäre, daß sie, wie die Amphibien,
im Wasser und auf dem Trocknen gleich bequem
möchte leben können. Aber was selbst nach ihrer eigenen
Absicht alle dieser Schönheiten verdunkeln sollte, war ein
Busen, wie man (zumal in Spanien) wenige sieht; ein
Busen von einem so unmäßigen Umfange, daß er für eine
Statue der Venus sehr füglich das Modell zu einem ganz
andern Theil hatte abgeben können. Sie schien sich auf diese
Vollkommenheit so viel einzubilden, daß sie dieselbe mit
einer Freigebigkeit auslegte, welche von strengen Sittenlehrern
vielleicht ärgerlich hätte genannt werden können, wenn sie
weniger widerlich gewesen wäre.Was die Farben betrifft, welche die Natur gebraucht
hatte, ein solches Meisterstück auszumalen, so waren sie
allerdings so gemischt, daß sie einem Vandyk zu schaffen
gegeben hätten. Sie hatte weder blonde Haare wie Ceres,
noch braune wie Venus, noch goldfarbene wie die Schöne
mit den goldnen Haaren; die ihrigen waren feuerfarbig
und dabei von Natur so geradlinig und kurz, daß sie
die Kunst und Geduld einer Cypassis zu Schanden gemacht
hätten. Ihre Augen waren hellgrau, Stirne und Wangen
olivenfarbig und, wo es sich gehörte, mit braunroth getuscht;
ihr Mund (weil wir uns doch nicht gern eines
weniger anständigen, wiewohl eigentlichern Wortes bedienen
möchten) spielte ein wenig auf Meergrün und verlor
durch die Schwärze ihrer großen und ungleich gewachsenen
Zähne nicht das Mindeste von seiner Anmuth; auch
hatten ihre Arme und Hände eine so natürliche Lederfarbe,
daß sie die Ausgabe völlig ersparen konnte, die
andre Frauenzimmer auf hundslederne Handschuhe wenden
müssen.Alles dieß nun, welches ohne Zweifel eine Art von Figuren
ausmachte, die man selten anderswo als auf Kaminen zu sehen
bekommt, war von einem Putz erhöht, der für den Geschmack
der schönen Mergelina eine so gute Meinung erweckte, daß
man sie nur anzusehen brauchte, um die ungemeine Harmonie
des Leibes und der Seele in ihr zu bewundern, die nach
den Grundsätzen des Pythagoras die höchste Schönheit ausmacht.
Sie trug einen Rock von hochgelbem Atlas, mit
Silber gestickt, ein Corset von grünem Taffet, himmelblaue
Bänder, eine feuerfarbne Feder, carmesinrothe Schuhe mit
Gold und rosenfarbne Strümpfe mit silbernen Zwickeln.Diese liebenswürdige Person hatte mit Hülfe des höflichen
Don Sylvio kaum einen kleinen Saal erreicht, in
welchem Donna Mencia ihre Besuche anzunehmen pflegte,
als ihr Erstes war, zu einem Spiegel zu watscheln, um (wie
sie sagte) die Unordnung zu verbessern, welche die Reise in
ihrem Anzuge gemacht haben könnte. Man setzte sich hierauf,
und während die Dame Beatrix mit einigen Erfrischungen
erwartet wurde, schien jede Person in dieser kleinen Gesellschaft
verlegen zu seyn, was sie mit sich selbst und mit den
andern anfangen sollte. Donna Mergelina spielte mit ihrem
Fächer oder gaffte in den Spiegel, dem sie sich gegenüber
gesetzt hatte; Herr Rodrigo sah bald die jugendliche Mencia,
bald seine Beine an; Don Sylvio machte große Augen und
schien zerstreut; und die gute Tante hatte immer den Mund
halb offen, ohne daß sie wußte, was sie sagen wollte.Herr Rodrigo war eben im Begriff, die Anmerkung zu
machen, daß — es schönes Wetter sey, als die aufwartsame
Beatrix hereintrat, um die Unterhaltung mit einem großen
Korbe voll frischer und eingemachter Früchte zu beleben.
Jetzt wurde der Gesellschaft auf einmal leicht ums Herz.
Donna Mergelina hatte Anlaß, ihre gute Erziehung sehen
zu lassen, indem sie mit vielen Complimenten und Verneigungen
die Ungelegenheit bedauerte, die man sich ihrentwegen
mache: Complimente und Grimassen, die von der höflichen
Donna Mencia mit eben so vielen Gegencomplimenten und
Gegengrimassen beantwortet wurden. Man machte hierauf
die Beobachtung, daß die Erdbeeren sehr groß, und
die Kirschen von vortrefflichem Geschmack seyen, man lobte
die eingemachten Nüsse und Pfirsiche, und Donna Mencia
nahm davon Anlaß zu einer gelehrten Abhandlung von der
Kunst, Confituren zu machen, bei welcher der Herr Procurator
so lange Weile hatte, daß er sich möglichst angelegen seyn
ließ, den Gegenstand derselben aus dem Wege zu räumen,
um das Gespräch auf einen Process lenken zu können, den er
unter Händen hatte, und womit er, sobald er Gelegenheit
bekam das Wort zu nehmen, die Damen auf eine sehr galante
Art unterhielt.—————
Drittes CapitelGespräch zwischen der Tante und dem Neffen.Nach einiger Weile trat Frau Beatrix mit verschiedenen
Weinen und abgezogenen Wassern wieder in den Saal; und
während sie aus einen Wink ihrer Gebieterin, die Gäste
mit ihrem geistreichen Gespräch unterhielt, zog sich Donna
Mencia mit ihrem Neffen in ein anderes Zimmer zurück,
um ihm zu erklären, was dieser Besuch zu bedeuten habe.Ihr seyd ja ganz außerordentlich geputzt, Don Sylvio,
fing sie an; Ihr wußtet doch nicht, daß ich Gesellschaft mitbringen
würde?Nein, gnädige Tante, erwiederte Don Sylvio erröthend
und stotternd; aber — ich weiß nicht — ich vermuthe —Ihr bedürft gar keiner Entschuldigung deßwegen, versetzte
Donna Mencia; Ihr hättet Euch zu keiner gelegnern Zeit
putzen können, und ich bin geneigt, es einer Art von Ahnung
zuzuschreiben.Hierauf nahm sie Platz, räusperte sich etliche Mal und
eröffnete ihm endlich nach verschiedenen Vorreden, nicht ohne
ein wenig zu erröthen, ihr gedoppeltes Vorhaben, ihn mit
der schönen Mergelina zu vermählen und das Eigenthumsrecht
über ihre eigene Person dem verdienstvollen Herrn
Rodrigo Sanchez abzutreten. Sie unterließ nicht, ihm die
großen Vortheile anzupreisen, die ihm aus dieser Vermählung
zugehen wurden, und, ihren Reden nach, hatte er
Ursache, sich ihr für eine so ausnehmende Probe ihrer Fürsorge
für seine Glückseligkeit noch sehr verbunden zu achten.Allein Don Sylvio war weit entfernt, so gelehrig und
dankbar zu seyn, als seine Tante vermuthet hatte. Das Erstaunen,
das ihn beim Anfang ihrer Rede befiel, verwandelte
sich beim Ende derselben in einen Unwillen, den er
kaum zurückhalten konnte. Jedoch that er sich die äußerste
Gewalt an, und nach einer ziemlich langen Pause sagte er
endlich mit einer Miene, worin mehr Befremdung als Verdrießlichkeit
herrschen sollte: Ich gestehe Ihnen, Frau Tante,
daß ich nicht begreife, was Sie mit Allem diesem haben wollen.
Ich bin kaum achtzehn Jahre alt; meine Geburt und die
Erziehung, die Sie mir gegeben haben, bestimmen mich in
Kurzem, diese müßige Landlebensart zu verlassen und auf
dem Wege ritterlicher Abenteuer ein anständiges Glück zu
suchen, Sie selbst haben mir diese Denkungsart eingeflöst;
und nun wollen Sie mich plötzlich mit einem kleinen Bürgermädchen
verheirathen, dessen Mißgestalt und persönliche
Mängel fähig wären, auch den geldgierigsten Harpax abzuschrecken,
und mit welchem ich lebenslänglich verurtheilt seyn
würde, mich in dieses elende Dorf zu verbannen, um mein
Unglück und meine Schande vor der ganzen Welt zu verbergen.Ihr vergesst, erwiederte Donna Mencia, die Ehrerbietung,
die Ihr mir schuldig seyd, und ich gestehe Euch, daß
ich mehr Gehorsam —Gehorsam? fiel ihr Don Sylvio hitzig ein; wenn Sie
mich an ein Ungeheuer anfesseln wollen, dessen bloßen Anblick
zu vermeiden ich bereit wäre in den offenen Rachen
eines Löwen zu springen?Man weiß sehr wohl, erwiederte Donna Mencia mit
einem höhnischen Nasenrümpfen, daß Ihr Euch außerordentlich
viel mit Eurer Schönheit wißt; aber wir wollen uns
in keinen Streit hierüber einlassen. Donna Mergelina verdient
die Verachtung gar nicht, die Ihr für sie habt; sie ist
eine liebenswürdige Person; und wenn sie es auch weniger
wäre so ist eine Partie von hundert tausend Thalern wahrhaftig
keine Sache, die ein kleiner Edelmann, der jährlich
kaum hundert Pistolen werth ist, so trotzig ausschlagen kann.Es ist noch nicht so lange, gnädige Frau, antwortete Don
Sylvio gelassener, daß Sie den Werth eines Edelmanns nicht
nach seinen Einkünften abwogen: und wenn hundert tausend
Thaler meine Augen nicht genug bezaubern können, um
diese Person, die Sie Donna Mergelina nennen, liebenswürdig
zu finden; so ist es (außer dem Himmel, dem ich
mein Herz zu danken habe) Niemand Anderes als Donna
Mencia, die mich den Reichthum verachten gelehrt hat, sobald
er mit Niederträchtigkeit erkauft werden muß.Und worin besteht denn, erwiederte sie, das Niederträchtige,
wenn Ihr Donna Mergelina heirathet? Sind gleich
ihre Voreltern durch Unglücksfälle genöthigt worden, eine
Abstammung zu verbergen, die vielleicht so edel ist, als eine
im Königreich (ich weiß, was ich rede, Don Sylvio!), so hat
doch das Glück, das ihnen seitdem desto günstiger gewesen
ist, sie in den Stand gesetzt, ihre eigene Familie
wieder empor zu heben und der unsrigen einen Glanz wieder
zu geben, den eine schimpfliche Dürftigkeit auszulöschen
bereit war.Unverschuldete Dürftigkeit ist nie schimpflich, versetzte
Don Sylvio, indem sich seine Wangen mit einer edeln Röthe
überzogen: überlassen Sie es mir, gnädige Frau, für den
Glanz meines Namens zu sorgen; ich spüre Muth genug in
mir, dem Unglück Trotz zu bieten, welches ihn zur Dunkelheit
zu verurtheilen scheint. Donna Mergelina mag edel
seyn, wenn Sie wollen; aber ich versichere Sie, wenn sie
auch von dem großen Cid selbst abstammete und mir alle
Goldgruben von Peru zur Mitgift brächte, so werde ich sie
nicht heirathen.Du wirst sie nicht heirathen? rief Donna Mencia mit
einem Tone, der sich für einen Untergebenen von zwölf Jahren
besser geschickt hätte. Ich sage dir aber, daß du sie heirathen
sollst, oder du sollst sehen, ob Donna Mencia das
Ansehen zu behaupten weiß, das ihr die Natur und deines
Vaters Willen über dich gegeben haben: du sollst sie heirathen,
sag' ich, oder —Keine vergebliche Drohungen, unterbrach sie Don Sylvio
mit einer Miene und einem Anstande, der sie ein wenig
bestürzt machte; ich kenne den Umfang meiner Pflichten gegen
Sie und die Gränzen Ihrer Rechte über mich. Heirathen
Sie immer den Herrn Rodrigo Sanchez; ich werde mir nie
einfallen lassen, es übel zu finden: aber erlauben Sie mir,
in den Jahren, worin ich bin, eine Verbindung abzulehnen,
die sich in keiner Betrachtung für mich schickt.Bei diesen Worten gerieth die alte Dame in Flammen.
Ich verstehe dich, rief sie und klappte etliche Zähne zusammen,
die noch, wie alte Denkmäler, hier und da aus ihrem
weiten Mund hervorragten, ich sehe die ganze Bosheit des
geheimen Vorwurfs, den Ihr wir machen wollt; aber ich verachte
Euch und Alles, was Ihr sagen könnt. Wie? ein Knabe
von Eurem Alter sollte besser wissen als ich, was sich schickt
oder nicht schickt? —Doch, es ist unnöthig, daß ich mich ereifere.
Wenn du noch zu unreif bist, den Werth meiner
Fürsorge für dich zu schätzen, so werde ich doch nicht zugeben,
daß deine Unbesonnenheit dich eines Glücks verlustig mache,
welches Alles übertrifft, was du jemals erwarten konntest.
Du machst den Versuch zu früh, ein Joch abzuschütteln, das
ich leichter oder schwerer machen kann, jenachdem ich es nöthig
finde; denn kurz und gut, mein Herr Neffe, Ihr steht
unter mir, und ich werde mir Gehorsam zu verschaffen wissen.Ihre Ausführung, erwiederte Don Sylvio ganz ergrimmt,
beweist, daß graue Haare nicht allezeit sichere Bürgen der
Weisheit sind. Wissen Sie aber hiermit, daß ich weder alt
noch jung genug bin, mich zum Opfer Ihrer lächerlichen
Leidenschaft machen zu wollen. Ich entlasse Sie aller Pflicht,
für mein Glück zu sorgen, und wenn ich Ihre mißgeschaffene
Mergelina und die hundert tausend Thaler, womit sie meine
Liebe bestechen will, verschmähe, so glauben Sie nur, daß ich
meine Ursache habe (ich weiß auch, was ich rede, Donna
Mencia!), und daß ich, unter dem Schutze, worin ich stehe,
alle Drohungen verachten kann, womit Sie mich wie einen
kleinen Züchtling zu schrecken denken.Mit diesen Worten eilte er aus dem Zimmer fort und
begab sich in den Garten, wo er, vor Unwillen außer sich,
hin und wieder lief und mit Ungeduld auf seinen getreuen
Pedrillo wartete.—————
Viertes CapitelMuthmaßungen des Don Sylvio. Er verabredet seine Entweichung mit
dem Pedrillo.Pedrillo, der (wie alle schwatzhafte Leute) ebenso vorwitzig
als plauderhaft war, hatte an einer kleinen Seitenthüre
des Zimmers die ganze Unterredung angehört, die sein
Herr mit Donna Mencia gepflogen hatte.Wie er nun sah, daß Don Sylvio im größten Zorn in
den Garten lief, so schlich er ihm nach und traf ihn in
einem Gange von Kastanienbäumen an, wo er, die Hände
auf den Rücken gefaltet, mit großen Schritten hin und wieder
ging und ziemlich laut mit sich selber redete. Er sah so
wild aus, daß Pedrillo sich nicht getraute ihm näher zu kommen.
Allein, sobald Don Sylvio seiner gewahr wurde, rief
er ihm und sagte: ich sehe wohl, daß du dich vor meinen
Vorwürfen fürchtest; denn, wenn deine unzeitigen Sorgen
nicht gewesen wären, so wären wir jetzt schon weit von diesem
verwünschten Haus entfernt, woraus wir nun, wie ich
besorge, ohne den Beistand der mächtigen Radiante schwerlich
entkommen werden. Aber besorge nichts, mein Freund; ich
weiß, daß du keine böse Absicht hattest, und ich bin nicht so
unbillig, daß ich dir Begegnisse zur Last legen sollte, an denen
allein mein widriges Schicksal und die Bosheit der Zauberer,
meiner Feinde, Schuld ist.Mit diesen Worten nahm er ihn bei der Hand, führte
ihn in eine Laube, und nachdem er ihm befohlen hatte, sich
auf allen Seiten umzusehen, ob sie auch allein wären, sagte
er mit leiser Stimme zu ihm: Höre, Pedrillo, ich will dir
meine innersten Gedanken entdecken. Ich bin vollkommen
überzeugt, daß diese alte hagre Frau, die du mit den zwei
Ungeheuern aus der Kutsche steigen sahst, nicht meine Tante
Donna Mencia ist, ob ich gleich selbst beim ersten Anblick
betrogen wurde, sie dafür zu halten. Ganz gewiß ist es die
boshafte Fanferluche, die ihre Gestalt angenommen hat, um
desto gewisser die Anschläge zu zerstören, welche die wohlthätige
Radiante zu meinem Glück gemacht hat. Ich habe Merkmale,
Pedrillo, die mir keinen Zweifel übrig lassen. Denn,
so gut auch diese anmaßliche Donna Mencia sich zu verstellen
wußte, so bemerkte ich doch in der Unterredung, die ich mit
ihr hatte, etliche Mal etwas Grässliches in ihren Augen, das
meine Tante niemals gehabt hat. Kurz, ich kann mich jetzt
nicht umständlich heraus lassen, aber ich habe über diesen
Punkt nicht den mindesten Zweifel. Fanferluche wird die Verwandlung
des grünen Zwergs erfahren haben, und, um zu
verhindern, daß ich mit Hülfe der mächtigen Radiante nicht
dazu gelange, den blauen Sommervogel zu entzaubern, ist
sie in Gestalt der Donna Mencia hierhergekommen, um
mich zu einer Heirath zu nöthigen, die ich verabscheuen würde,
wenn gleich diejenige, die sie mir zur Braut aufdringen will,
eben so schön wäre, als sie abscheulich ist.Glauben Sie das, gnädiger Herr? antwortete Pedrillo,
der ihm mit großer Aufmerksamkeit zugehört hatte. Wenn
ich die Wahrheit gestehen soll, so dächte ich fast selbst, daß
Sie's errathen haben könnten; denn ich merkte gleich, wie
ich sie aussteigen sah, daß es nicht mit rechten Dingen
zuging; und seitdem Sie mir Ihre Gedanken von der Sache
gesagt haben, wollte ich fast wetten, daß Donna Schmergelina,
oder wie sie heißt, des grünen Zwergs leibliche Schwester
wäre, wenn sie nicht, Gott behüt' uns! noch was Aergers
ist; denn ich will nicht ehrlich seyn, wenn ich in meinem
Leben einen so häßlichen Wechselbalg gesehen habe. Jetzt reut
es mich, daß ich ihr nicht gleich auf die Füße sah; aber das
hab' ich doch gesehen, daß sie ganz grün im Gesicht und am
Leibe war, und daß sie einen Buckel und ein Paar entsetzlich
lange Ohren hat.Mit allen diesen Schönheiten, versetzte Don Sylvio, verlangt
sie nichts Geringers, als daß ich sie heirathen soll.Ei warum nicht gar! rief Pedrillo, heirathen? Ein solches
Mondkalb heirathen? Euer Gnaden müßte ja gar den
Verstand verloren haben! Zum Henker! was bildet sich das
Affengesicht ein? Das wäre wohl ewig Schade, wenn ein so
hübscher junger Herr einer solchen Meerkuh in den Bratzen
liegen sollte! Beim Element, da wird nichts draus, Jungfer
Schmergelina! Laß dir nach Hause geigen, oder, wenn du
ja geheirathet seynst willst, so laß dich den Zwerg Migonnet
heirathen, der schickt sich besser für dich, hi, hi, hi, das
würde mir ein Paar seyn, das zusammen taugte! Sapperment,
wenn er ein Duzend Finken und Distelvögel auf der
Nase sitzen hätte, wie die Historie sagt, so setzte sie ein halb
Duzend Meerschweinchen auf ihren breiten Busen! Das
würde gut lassen! Daß dich die Pest! Ia wohl! Man heirathet
nur gleich solche Pfefferkuchengesichter! Ich habe zwar
gehört, daß sie steinreich seyn soll; aber, wenn sie sich auch
von Fuß auf übergülden ließe, so möcht' ich sie nicht, ob ich
gleich nur ein armer Bursche bin. Weniger Geld, Jungfer
Fanferlüschin, und mehr Schönheit, oder sucht Eure Heirather
anderswo, wenn Ihr so gut seyn wollt!Don Sylvio mußte über den Eifer, womit Pedrillo alles
das närrische Zeug vorbrachte, lachen, so wenig er auch Lust
dazu hatte; da er's aber gar zu lange machte, so fiel er ihm
endlich in die Rede und sagte: Mein lieber Pedrillo, die
Sache ist ernsthafter, als du dir vielleicht einbildest; Fanferluche
ist eine von den schlimmsten und rachgierigsten Feen,
die jemals gewesen sind, und ihre Macht ist nicht gering.
Wenn sie es ist, die diesen Abend in Gestalt meiner Tante
hierher gekommen ist, mir diese ungeheure Mergelina aufzubringen —Sapperment! (unterbrach ihn Pedrillo, den diese Worte
plötzlich auf einen andern Ton stimmten) wenn die gnädige
Frau, Ihre Tante, nicht Ihre Tante, sondern die verfluchte
Fanferlüsche ist, so helf' uns der Himmel! Denn wie wollen
Sie, daß wir uns gegen Zauberer und Gespenster helfen
sollen?Höre, Freund Pedrillo, sagte Don Sylvio, es ist kein
ander Mittel übrig, als daß wir uns in dieser Nacht noch
aus dem Hause machen.Diese Nacht noch? rief Pedrillo ganz erschrocken aus:
o gnädiger Herr, bedenken Sie doch, was Sie sagen! Die
Nacht ist ohnehin Niemands Freund, aber in solchen Umständen,
sehen Sie, wollt' ich keinen Fuß aus dem Hause
setzen, und wenn Sie wir auch so viel Quadrupel geben
wollten, als ich Haare auf dem Kopfe habe. Ich will des
Todes seyn, wenn wir nicht bei jedem Tritt auf ein paar
tausend Gespenster, Drachen und Stachelschweine stoßen,
die uns allenthalben den Paß verrennen. Ich bitte Sie,
Herr Don Sylvio —Schweige mit deinen abgeschmackten Possen, sagte Don
Sylvio: hab' ich nicht das Bildniß der Prinzessin, deren Anblick
gewiß allein schon hinlänglich ist, alle Ungeheuer von
Africa in Ehrfurcht zu halten? Und auf allen Fall hat uns
ja die Fee Radiante ihren Schutz versprochen. Wir werden
dem Ansehen nach eine schöne heitre Nacht haben, und wenn
auch der Mond nicht schiene, so zweifle ich nicht, daß sie uns
im Nothfall einen von ihren Salamandern schicken wird, um
unsern Weg zu beleuchten und uns gegen alle Verfolgungen
der Fanferluche sicher zu stellen. Mit einem Worte, Pedrillo,
mein Freund, wenn du mich liebst, so sey mir zu meinem
Vorhaben behülflich; denn, wenn wir diese Gelegenheit zur
Flucht versäumen, so weiß der Himmel, ob wir sie jemals
wieder finden werden. Sey versichert, daß ich nicht undankbar
seyn werde. Ich verspreche nicht gern mehr, als ich halten
kann; aber, wenn ich dereinst meine Prinzessin gefunden
habe, so darfst du darauf zahlen, daß dein Glück gemacht
seyn soll. Willst du mich aber nicht begleiten, so sey versichert,
daß ich lieber allein gehen, ja lieber tausendmal den Tod
leiden, als noch eine Nacht in diesem verwünschten Schlosse
bleiben will.Pedrillo war ungeachtet seiner Furchtsamkeit der gutherzigste
Narr von der Welt. Die Thränen kamen ihm in die
Augen, da er seinen Herrn so reden hörte, und er entschloß
sich endlich, allen Gespenstern, Fanferlüschen und Schmergelinen
zu Trotz mit ihm davon zu gehen, in welcher Stunde
der Nacht es ihm belieben werde.—————
Fünftes CapitelEin Spaziergang. Klugheit des Don Sylvio.Sie hatten ihre Abrede kaum genommen, als sich in einiger
Entfernung die schmetternde Stimme der Donna Mencia
hören ließ, welche ihre Gäste, um frische Luft zu schöpfen, in
den Garten führte, der zwar aus Mangel der Unterhaltung
wild genug aussah, aber seiner Anlage und Einrichtung nach
überaus anmutig war. Pedrillo hatte kaum so viel Zeit, sich
hinter etlichen Hecken in einen andern Gang zu schleichen,
wo er unbemerkt aus dem Garten kommen konnte; Don
Sylvio aber blieb auf seiner Bank sitzen, bis ihm die kleine
Gesellschaft näher kam.Da es ihm, ungeachtet seiner Thorheiten, nicht an Vernunft
fehlte, so begriff er bei der ersten Ueberlegung, daß er,
um die vorhabende Entweichung besser zu verbergen, ein Betragen
annehmen müsse, welches, ohne mit der Erklärung,
die er seiner anmaßlichen Tante gegeben, einen allzu starken
Absatz zu machen, doch Hoffnung fassen ließe, daß er
nach und nach vielleicht gewonnen werden könnte.Er ging also der Gesellschaft mit langsamen Schritten und
einem Gesicht entgegen, welches weder ganz bewölkt, noch
ganz heiter war; er mischte sich mit einer guten Art in ihre
Gespräche und verbarg, so gut er konnte, das innerliche Grauen,
das ihm die Schwester des grünen Zwergs in desto höherm
Grad verursachte, je mehr sie sich Mühe gab, ihm zu gefallen
und ihn merken zu lassen, wie sehr er nach ihrem Geschmacke
sey.Zu gutem Glück ersetzte die Eitelkeit der schönen Mergelina
Alles, was eine Person von feiner Empfindung an seinem
Betragen vermißt hätte, so reichlich, daß sie vollkommen
mit ihm zufrieden schien, obgleich Alles, wozu er sich zwingen
konnte, in den Gränzen der gleichgültigen Höflichkeit
blieb, die man einem Gast und dem Geschlechte, wozu sie
zu gehören schien, schuldig ist.Was seine Tante betrifft, so konnte wohl nichts überflüssiger
seyn, als die Sorge, die er sich machte, daß sie sein
Vorhaben argwöhnen möchte. Sie wußte, daß er weder Geld
noch die mindeste Bekanntschaft in der ganzen Gegend hatte,
und es fiel ihr also gar nicht als etwas Mögliches ein, daß
er mit einer Flucht umgehen könnte, wozu ihm alle Mittel
fehlten. Es ist wahr, der Ton, womit er sich unterstanden hatte
sich ihr entgegen zu setzen, und besonders die letzten Worte,
die ihm im Unwillen entgangen waren, hatten sie stutzen gemacht,
und sie hatte sich vorgenommen, sich im Hause zu
erkundigen, ob vielleicht in ihrer Abwesenheit etwas vorgegangen
sey, das ihn zu einer so ungewöhnlichen Sprache
veranlaßt haben könnte. Allein die Nothwendigkeit, ihrem
geliebten Don Sylvio (denn zu Rosalva war Herr Rodrigo
Sanchez so gut Don, als ein Gusman) Gesellschaft zu leisten,
hatte ihr noch keine Zeit dazu gelassen, und da sie ihren
Neffen jetzt so höflich gegen Donna Mergelina sah, so hoffte sie,
er werde sich indeß eines Bessern besonnen haben, und hielt
es für unnöthig, sich weiter um Ausdrücke zu bekümmern,
die gar wohl bloße Eingebungen einer unbesonnenen Jugendhitze
gewesen seyn könnten.—————
Sechstes CapitelDon Sylvio wird in die Gärten der Fee Radiante entzückt. Seltsame
Verwechselung, welche darauf entsteht. Unangenehme Folgen derselben.Unsre kleine Gesellschaft oder doch wenigstens die Damen,
welche die Seele davon ausmachten, fanden den Spaziergang
so angenehm, daß sie sich von der Nacht überschleichen ließen,
ohne es gewahr zu werden.In der That war es eine Nacht, welche dazu gemacht
schien, die Liebe zu begünstigen; eine so angenehme und
heitre Nacht, daß die keusche Luna keine schönere gewählt
haben konnte, den schönen Endymion einzuschläfern, oder
die Göttin der Liebe, ihren Adonis glücklich zu machen.Die tugendhafte und zärtliche Mencia hatte von der
Weisheit ihres Liebhabers eine so große Meinung gefaßt,
daß sie unvermerkt in einer dicht bewachsenen Laube mit ihm
zurück blieb, ungeachtet es ziemlich dunkel darin war; und
die nicht weniger zärtliche Mergelina drückte ihrem Begleiter
die Hand mit einem Nachdrucke, der geschickter war, die
Stärke ihrer Leidenschaft als die Leichtigkeit ihrer Hand zu
beweisen, in der Absicht, ihn aus einer Träumerei zu erwecken,
worin er sich seit einer geraumen Weile verloren hatte.Noch ungleich lebhafter, als die übrige Gesellschaft, von
den Schönheiten der schlummernden Natur gerührt, die im
dämmernden Mondschein, wie in einem Nachtgewand von
durchsichtigem Flor, in nachlässiger Anmuth ausgestreckt zu
liegen schien, hatte der entzückte Don Sylvio vergessen, wo
er war, und wen er neben sich hatte. Er bildete sich ein, in
die bezauberten Gärten der Fee Radiante versetzt zu seyn;
er glaubte unter gewölbten Gängen von ätherischem Jasmin
und niemals welkenden Rosen zu wandeln; die Sterne
däuchten ihn lauter Salamander und Salamandrinnen, die
sich auf dem Azur des Himmels mit Tanzen belustigten;
und die Frösche, die sich in einem benachbarten Graben hören
ließen, waren in seinen Ohren eben so viel entzückende Stimmen,
die den Ruhm seiner unvergleichlichen Prinzessin und
das Glück seiner Liebe besangen. Kurz, er war so sehr außer
sich selbst, daß er in dem Augenblicke, da ihn die schöne Mergelina
die Schwere ihrer Hand fühlen ließ. sich einbildete,
seine geliebte Prinzessin an seiner Seite zu sehen."Wie? rief er ganz entzückt aus, darf ich meinen Augen
glauben? Götter! ist es ein Traum, womit mein sehnsuchtsvolles
Herz mich täuscht, oder seh' ich Sie wirklich, schönste
Prinzessin, und hat endlich die Stärke meiner Leidenschaft die
Macht einer verhaßten Zauberei überwältigt und Ihnen die
himmlische Gestalt wieder gegeben, deren blendender Glanz
die abwesende Sonne ersetzt und einen neuen reizendern Tag
über die verschönerte Natur ausbreitet?"In diesem Tone der erhabensten Schwärmerei fuhr er
eine gute Weile fort, der erstaunten Mergelina Dinge vorzusagen,
von denen sie nicht das Mindeste verstand, ohne
darum weniger Gefallen daran zu finden. Sie merkte doch
wenigstens aus dem Ton und der Lebhaftigkeit, womit er sie
sagte, daß die Rede von sehr feurigen Empfindungen war:
und da sie die Sprache der feinen Welt nur aus Ritterbüchern
und schwülstigen Romanen kannte und überdieß von
der Erziehung des Don Sylvio bereits die günstigsten Vorurtheile
bekommen hatte, so beredete sie sich leicht, daß dieses
die feine Art sey, wie Leute von Stand und Lebensart
ihre Liebe zu erklären pflegten. Denn der Gedanke, daß er
ihrer vielleicht nur spotten wolle (so wahrscheinlich er auch
einer dritten Person geschienen hätte), war natürlicher Weise
der letzte von allen, der einem Frauenzimmer von ihrer
Gattung einfallen konnte. Sie hörte ihm also ohne Unterbrechung
mit desto mehr Vergnügen zu, da sie hoffte, daß
die schönen Sachen, die er ihr vorsagte, und die sie ihm in
der That gern erlassen hätte, am Ende doch zu Erläuterungen
führen würden, wovon sie aus dem geheimen Umgange
mit einem jungen Krämer in ihrer Nachbarschaft, einem sehr
antiplatonischen Gesellen, gewisse Begriffe erhalten hatte,
und welche allerdings mit der Fassung, worin sie sich befand,
besser übereinstimmten, als die erhabensten Liebeserklärungen.
Um inzwischen doch nicht ganz unthätig zu seyn und diese
erwünschten Augenblicke, so viel an ihr war, zu beschleunigen
lehnte sie sich mit einer zärtlichen Art an ihn, drückte seine
Hand an ihren emporsteigenden Busen und drehte ihre
gläsernen Augäpfel so schnell im Kopf herum, daß sie elektrisch
wurden und wie die Augen einer Katze im Dunkeln zu
leuchten anfingen.Allein es sey nun, daß die Einbildungskraft unsers Helden
durch die ungeheure Menge von Galimathias, womit er
seine vermeinte Prinzessin bewillkommt hatte, erschöpft war,
oder daß keine Verblendung, Schwärmerei oder Bezaubrung
stark genug seyn konnte, gegen das nähere Anschauen der
Donna Mergelina auszuhalten: so warf er kaum, indem sie
aus dem Gebüsche hervor kamen und eine lichte Stelle betraten,
einen Blick auf seine Gefährtin, als er mir einem
großen Schrei und einem nicht geringern Entsetzen von ihr
zurückbebte, als dasjenige war, womit die Prinzessin Laidronette,
anstatt eines Gemahls, den sie sich schöner als den
Liebesgott eingebildet hatte, den scheußlichen grünen Serpentin
in ihre Arme verwickelt fand.Himmel, was seh' ich! rief er ganz bestürzt aus; was für
eine entsetzliche Verwandlung! Ha! verfluchte Fanferluche,
haben die Verfolgungen, die ich bereits von dir erleiden
mußte, deinen ungerechten Haß noch nicht befriedigen können?
Was hab' ich dir gethan, daß du in dem Augenblicke,
da ich meine geliebte Prinzessin zu umarmen glaube, diese
abscheuliche Zwergin an ihre Stelle schiebst, in deren ekelhafter
Umhalsung ich, ohne das wohlthätige Licht der keuschen
Göttin, vielleicht selber zum Ungeheuer geworden oder wie
vom Anblick der Medusa zum Stein erstarrt wäre? Aber
glaube nicht, daß ich eine solche Beleidigung ungerochen lassen
werde! Rede, du kleine unausgeschaffene Mißgeburt, wo
ist meine Prinzessin? Dein Leben hängt an deiner Antwort.
Ich kenne die lächerlichen Ansprüche, die du an mein Herz
machst; aber wisse, daß du trotz aller Fanferluchen und grünen
Zwergen, unter meinen Füßen wie ein Wurm zermalmet
werden sollst, wofern du sie nicht in diesem Augenblick
wieder in meine Arme lieferst!Wer bei diesen Reden aus den Wolken fiel, war die arme
Mergelina. Der grimmige Ton, womit er sie ausstieß, und
die drohenden Geberden, womit sie begleitet waren, erschreckten
sie so heftig, daß sie ein fürchterliches Geschrei erhob,
auf welches Donna Mencia und der edle Rodrigo nicht ermangelten,
so schleunig herbei zu eilen, als es die Unterredung
erlaubte, worin sie begriffen waren.Man kann leicht erachten, wie sehr sie über dasjenige
erstaunten, was sie sahen und hörten. Der Zustand, worin
sie den ergrimmten Don Sylvio antrafen, und die Erzählung,
die ihnen die beleidigte Schöne nicht ohne große Thränengüsse
von Allem demjenigen machte, was vorgegangen war,
brachten sie allerseits auf den Schluß, daß er verrückt seyn
müsse; und die Reden, womit er in der Hitze seines Affects
gegen sie alle fortfuhr, waren nichts weniger als geschickt;
sie auf bessere Gedanken zu bringen.Inzwischen liefen auf den Lärm, den diese Scene machte,
auch die Bedienten des Hauses herbei; und das Ende davon
war, daß Don Sylvio, ungeachtet seines tapfern Widerstandes,
an Händen und Füßen gebunden in sein Zimmer getragen
wurde.Man kleidete ihn aus, brachte ihn zu Bette und bestellte
den getreuen Pedrillo, auf ihn Acht zu haben, indessen Donna
Mencia in ihrer kleinen Hausapotheke beschäftigt war, ein
niederschlagendes Pulver für ihn zurechte zu machen, und
die schnellfüßige Maritorne abgeschickt wurde, den Barbier
zu holen, der ihm eine Ader öffnen sollte.—————
Siebentes CapitelDon Sylvio kommt wieder zu sich selbst. Unterredung mit Pedrillo.
Wie geschickt dieser die vermeinte Fanferluche zu hintergehen weiß.So heftig die Anstösse waren, mit denen Don Sylvio zuweilen
befallen wurde, so schnell pflegten sie vorüber zu
gehen, wenn sie ihren nächsten Grund in demjenigen Theile
der Seele hatten, welchem der göttliche Plato seinen Sitz
zwischen der Brust und dem Zwerchfell angewiesen hat.Er befand sich kaum etliche Minuten alleine so erholte
er sich wieder und verwunderte sich nicht wenig, sich auf seinem
Zimmer und in seinem Bette zu sehen.Endlich erblickte er in einem Winkel den Pedrillo,
der auf die erste Bewegung, die er an seinem Herrn bemerkte,
sich verkrochen hatte, aus Besorgniß, er möchte wieder
einen Anstoß von Raserei bekommen.Bist du hier, mein guter Pedrillo? rief ihm Don Sylvio
mit einem sanften Ton der Stimme zu, indem er ihm die
Hand entgegen bot: ich dachte schon, du hättest mich auch
verlassen; aber du hast ein gutes Herz, und es soll dich nicht
gereuen, daß du so viel Ergebenheit gegen mich zeigst.Pedrillo weinte vor Freuden, da er seinen jungen Herrn,
den er für rasend gehalten hatte, so gelassen und vernünftig
reden hörte, und bezeugte ihm seine Freude in den lebhaftesten
Ausdrücken, die er in der Eile finden konnte.Ich begreife weder was du mir da sagst, antwortete Don
Sylvio, noch was mit mir vorgegangen ist. Es sind noch
nicht sechs Minuten, so befand ich mich in den Gärten der
Königin der Salamander. Kannst du mir nicht sagen, wie
ich hierher gekommen bin, und wer mir Hände und Füße
so gebunden hat?Gott steh' uns bei! rief Pedrillo halb erschrocken. Was
sagen Sie da von Salamandern und von der Königin, die
Sie gewiß so wenig gesehen haben, als ich meine Ureltermutter?
Wissen Sie denn nicht, was Ihnen begegnet ist?
Aber sie sind auch mit Euer Gnaden so umgegangen, daß es
kein Wunder ist, wenn Sie eine Ohnmacht gekriegt haben.
Ich war eben im Begriff, meinen Zwerchsack heimlich aus dem
Hause zu tragen, als ich den Lärm im Garten hörte; ich
warf ihn geschwind hinter ein Gebüsch und lief, was ich
laufen konnte, um zu sehen was es wäre; denn es däuchte
mich, daß ich Euer Gnaden schreien hörte; aber ich kam
schon zu spät. Das verfluchte Volk schrie aus einem Halse,
Sie wären, mit Erlaubniß zu sagen, im Kopfe verrückt oder
gar toll sie fielen über Euer Gnaden her und banden Sie,
ohne daß ich es verwehren konnte, Daß sie die Pest! Jetzt
seh' ich wohl, daß Alles nur erlogen war, und daß Euer
Gnaden so gut bei Ihren vier Sinnen sind, als ich und ein
anderer guter Christ.Höre, Pedrillo, erwiederte Don Sylvio — aber löse mir
zuerst diese Bande auf, ich kann es nicht länger so ausstehen —
wenn ich diesen Abend eine starke Vermuthung
hatte, daß unter der Ankunft dieser Alten, die sich für meine
Tante ausgibt, ein Geheimniß verborgen liege, so weiß
ich jetzt gewiß, was ich von der Sache denken soll. Es sind
mir erstaunliche Dinge begegnet, seitdem du mich im Garten
verlassen hast; aber es läßt sich jetzt nicht einmal davon flüstern.
Wir sind hier nicht sicher, und der Himmel weiß, was uns
noch bevorsteht, wenn wir uns nicht durch eine schleunige
Flucht zu retten suchen.Aber wie wird das möglich seyn? antwortete Pedrillo: sie
sind noch Alle auf, und die gnädige Frau — die alte Hexe
wollt' ich sagen — wird alle Augenblicke kommen, um Ihnen,
wie sie sagte, ein Terpentinpulver einzugeben.Du willst vielleicht ein Temperirpulver sagen?Es mag heißen wie es will, fuhr Pedrillo fort, wenn
ich Euer Gnaden rathen darf, so werden Sie kein Narr seyn
und es hinunter schlucken. Bösen Leuten ist nie viel Gutes
zuzutrauen; sie könnte Ihnen eben so gut Rattenpulver oder
geschabte Nägel als gepülverte Krebsaugen eingeben.Das hab' ich wohl am wenigsten zu besorgen, erwiederte
Don Sylvio; ich könnte eher vermuthen, daß sie mir einen
Liebestrank beibringen möchte, um mich gegen diese häßliche
Zwergin zu entzünden, die, ich weiß selbst nicht, ob ihre Tochter
oder Nichte ist. Aber ich bitte dich, Pedrillo mein Freund,
denke ein Mittel aus, wie ich diese Nacht noch entrinnen
kann, ohne weder die Alte noch die Junge wieder zu Gesichte
zu kriegen; denn ich versichere dich, der Streich, den sie mir
gespielt haben, geht mir so tief zu Gemüthe, daß ich bei
ihrem Anblick unmöglich gelassen bleiben könnte.Wissen Sie was? sagte Pedrillo, nachdem er sich eine Weile
besonnen hatte: die Frau Fee Rademante könnte uns hier
am besten aus der Noth helfen. Wenn sie so sehr Jhre gute
Freundin ist, als sie vorgibt, warum kommt sie nicht und befreit
uns aus den Klauen dieser alten Kupplerin? Wenigstens
könnte sie uns doch einen Luftwagen oder das Hütchen
des Prinzen Kobold oder so was schicken, daß wir desto eher
davon kämen. Aber so machen es diese großen Herren und
Damen! Solang' ihr nichts verlangt, versprechen sie euch
goldne Berge; aber verlasse sich einer drauf! wenn man sie
am nöthigsten hat, da ist Niemand zu Hause. Ich wette
gleich was man will, wenn wir in Skorpione oder Lindwürmer
verwandelt seyn werden, so wird sie gleich da seyn und
ihr Mitleiden mit uns bezeigen und die Schuld auf das
Schicksal oder auf die Constipation der Sterne schieben.Rede nicht so unvernünftig, fiel ihm Don Sylvio ein: meinst
du, die Feen haben sonst nichts zu thun, als da zu stehen
und zu lauern, bis es dir einfällt, daß sie uns aufwarten sollen?
Wenn wir uns selbst nicht mehr helfen können, so bin ich
gewiß, Radiante wird mir ihren Beistand nicht versagen.
Inzwischen müssen wir das Unsrige thun und auf Mittel
denken —Gut, gut, unterbrach ihn Pedrillo; ich höre die alte
Gabelreiterin auf der Treppe; jetzt ist guter Rath theuer! —
Hum! mir fällt was ein, legen Sie sich auf die Seite und
stellen sich, als ob Sie schliefen. — So! — schnarchen Sie
ein wenig; für das Uebrige lassen Sie mich sorgen.Er hatte kaum das letzte Wort gesagt, so trat Donna
Mencia mit ihrem Pulver und einem Glas Wasser in der
Hand ins Zimmer. Wie steht es um Don Sylvio? fragte
sie den Pedrillo, der ihr auf den Zehen entgegen ging; ich
dachte nicht so lange auszubleiben, aber es ist mir —Reden Sie nicht so laut, flüsterte ihr Pedrillo zu: mein
junger Herr ist schon eine gute Weile eingeschlafen und Sie
wissen ja, daß man einen schlafenden Löwen nicht aufwecken
soll. Die Ruhe thut ihm jetzt besser als alle Pulver und
Latwergen der ganzen Welt,Hat er keinen neuen Anstoß gehabt, seitdem du allein
bei ihm bist? fragte die alte Dame.Nein, gnädige Frau Fanferlüschin, antwortete Pedrillo,
indem er ihr bald auf die Stirne, bald auf die Füße sah,
er hatte —Was sagst du da? unterbrach ihn Donna Mencia. Wie
nanntest du mich, du alberner Kerl? Was soll das bedeuten?O, ich bitte Euer Gnaden tausend Mal um Verzeihung,
erwiederte Pedrillo zitternd: es ist mir so entfahren, ohne
daß ich daran dachte; man kann ja leicht Eins für das Andre
sagen. Ich wollte nur sagen, daß es am besten wäre
wenn Euer Gnaden meinen jungen Herrn schlafen ließen.
Denn es ist noch keine halbe Viertelstunde, da rief er: Pedrillo! —
Gnädiger Herr, sagte ich, wollen Sie etwas? —
Höre, Pedrillo, sagte er, ich weiß nicht, wie mir ist, sagte
er, aber ich bin so matt, als ob wir alle Glieder entwei
geschlagen wären; aber ich denke, wenn ich nur schlafen könnte,
so würde mir bald besser werden, sagte er; und damit legte
er sich auf die Seite und schlief ein. Hören Sie ihn nicht
schnarchen?Er schläft, sagte Donna Mencia, nachdem sie ein wenig
hinter den Vorhang geguckt hatte: es ist mir lieb, daß er
wieder so ruhig ist. Weck' ihn ja nicht auf: wenn er aber
von selbst erwacht, so gib ihm dieses Pulver ein; es wird
ihm gewiß wohl bekommen. Indessen kommt der Barbier,
der ihm eine Ader öffnen soll; denn man kann nicht vorsichtig
genug seyn. Er ist vermuthlich nur aus Mattigkeit
eingeschlafen, und das Fieber kommt vielleicht nur desto heftiger
wieder, wenn er aufwacht.Ich glaube, sagte Pedrillo, Euer Gnaden kann sich deßhalb
ganz ruhig schlafen legen; ich hoffe, das Aergste ist vorbei,
Indessen will ich schon auf ihn Acht haben; aber aufwecken
lass' ich ihn nicht, und wenn der Barbier von Bagdad in
eigener Person käme. Er kann mir wachen helfen; und wenn
mein junger Herr allenfalls wieder rappelköpfisch werden wollte,
so ist es immer besser, es seyen unser Zwei, die ihn hüten,
als Einer.Donna Mencia bezeigte sich hiermit zufrieden und verließ
das Zimmer ihres Neffen, um ihre Gäste, die an
seinem Unfall nicht wenig Antheil genommen hatten, durch die
Nachricht von seiner Besserung zu beruhigen.Was für eine Angst du mir eingejagt hast! sagte Don
Sylvio, als sie wieder allein waren: wann wirst du doch einmal
über deine verwünschte Zunge Meister werden? Konnte
auch etwas unbesonnener und dummer seyn, als ihr ins Gesicht
zu sagen, daß du sie für die Fee Fanferluche ansähest?Erzürnen Sie sich nur nicht, gnädiger Herr, antwortete
Pedrillo: Sie werden doch selbst gestehen müssen, daß ich
meinen Fehler augenblicklich wieder gut gemacht habe; und
dieß ist eben die Kunst. Es kann der klügsten Gans ein Ei
entfallen — ich will sagen, es verspricht sich wohl der Pfarrer
auf der Kanzel — aber, wie ich die gnädige Frau oft bei
Tische sagen hörte, der beste General sey derjenige, der am
meisten Fehler macht — nicht doch! der am besten — der
seine Fehler — ich kann jetzt nicht daran kommen, aber es
war doch etwas von Fehlern, und es schickte sich recht gut
hierher —Ich glaube du redst im Schlaf, unterbrach ihn Don
Sylvio: was für verworrenes Zeug plaudert du wieder daher,
ohne dich zu bekümmern, daß ich jetzt wichtigere Dinge zu
thun habe, als deinen Albernheiten zuzuhören? Geh und
schleiche dich, indeß ich mich ankleide, leise hinunter, um
zu sehen, ob sie sich schlafen legen; wir müssen, wo möglich,
noch vorher zu entrinnen suchen, ehe der Barbier kommt,
sonst werden wir aufgehalten, und dann ist Alles verloren.Das ist eben die Sache, versetzte Pedrillo: Maritorne ist
schon über eine Stunde weg, und wenn sie ihn zu Hause
angetroffen hat, so sind wir keinen Augenblick vor seiner
Ankunft sicher.Wir wollen das Beste hoffen, sagte der junge Ritter, der
schon beinahe angezogen war: geh und thue, was ich dir befohlen
habe, und wenn du merkst, daß Alles im Hause still
ist, so schleiche durch die kleine Nebentreppe in den Garten
und erwarte mich beim grünen Schlosse, wo es am leichtesten
ist über die Gartenmauer zu steigen; denn sie ist dort ziemlich
eingefallen.Wo haben Sie denn, fragte Pedrillo, Ihren Schlüssel?
— Aber ja, jetzt besinn' ich mich, sie nahmen im Garten
alles Eisenwerk weg, das sie bei Euer Gnaden fanden, Degen,
Messer, Schlüssel, sogar Ihren Flaschenzieher, aus Furcht,
Euer Gnaden möchte ihnen oder sich selbst damit Schaden
thun.Gut, gut, sagte Don Sylvio, geh und erwarte mich
beim grünen Schlosse, wir haben keinen Augenblick zu verlieren.Pedrillo gehorchte, und nach einer kleinen Viertelstunde
sah ihn Don Sylvio, dessen Zimmer gegen den Garten lag,
einen langen Gang von Pomeranzenbäumen einschlagen, der
zum grunen Schlosse führte. Er war eben im Begriff, ihm
zu folgen, als er gewahr wurde, daß er keinen Degen hatte.
Ohne Degen auf Abenteuer auszugehen, däuchte ihm eine
Unanständigkeit, die nicht zu entschuldigen wäre. Ob ich gleich
hoffen darf, dachte er, daß wir die Fee Radiante im Fall
der Noth einen diamantenen geben würde, so würde es doch
das Ansehen einer Zagheit haben, wenn ich kein andres
Gewehr führen wollte, als ein bezaubertes. Endlich besann er
sich eines alten Reitersäbels, der, unter andern Alterthümern,
nicht weit von seinem Zimmer in einer Plunderkammer lag
und das Ansehen hatte, seit den Zeiten König Ferdinands
des Katholischen wenig Dienste gethan zu haben. Die Schwere
dieses ehrwürdigen Seitengewehrs machte ihm die Nothwendigkeit,
sich dessen zu bedienen, sehr unangenehm; allein, da
er sich nicht anders zu helfen wußte, so bewaffnete er sich damit,
mit dem Vorsatz, es bei der ersten Gelegenheit gegen
ein bequemeres zu vertauschen.Die allgemeine Stille, die im Hause herrschte, versicherte
ihn, daß Jedermann schon zu Bette gegangen sey. Er schlich
sich also ganz getrost in den Garten, wo dem Pedrillo jeder
Augenblick von Verzug eine Stunde däuchte; so sehr besorgte
er, daß ihre Flucht von der zurückkommenden Maritorne
allzufrüh entdeckt werden möchte. Dieser Umstand, und die
Furcht vor demjenigen, was er in solchem Falle von der Rache
der Fee Fanferluche zu erwarten haben würde, hatte alle
andre Furcht bei ihm verdrängt.Allein das gute Glück unsers jungen Ritters sorgte auch
für diese Schwierigkeit. Maritorne, die sich entweder vor
Gespenstern fürchtete oder ihre Person bei Nacht nicht allein
wagen wollte, hatte ihrem Liebhaber, dem Hausknecht, die
Erlaubniß gegeben, sie zu begleiten. Unterwegs hatte sich
dieß zärtliche Paar von den Annehmlichkeiten dieser verführerischen
Nacht verleiten lassen, sich in einem kleinen Gebüsche
niederzusetzen. Was sollen wir sagen? — Die Gelegenheit
war günstig, der Liebhaber ungestüm, die Schöne
schwach; kurz, die allzu gefällige Maritorne vergaß, daß sie
den Barbier holen sollte; und als sie sich dessen wieder erinnerte,
war der Anbruch des Tages schon so nahe, daß sie
besser zu thun glaubte, ihn vollends zu erwarten, als den
guten Barbier vielleicht aus einem angenehmen Morgentraum
aufzuwecken.—————
Drittes Buch.Erstes CapitelHeimliche Flucht unsrer Abenteurer. Wortstreit, der zwischen ihnen
wegen eines Baumes entsteht, den Pedrillo für einen Riesen
ansieht.Es war ungefähr eine halbe Stunde nach Mitternacht,
als Don Sylvio unter vielen andächtigen Seufzern an die
Gebieterin seines Herzens in Gesellschaft des getreuen und
wohl bepackten Pedrillo seine abenteuerliche Wanderschaft antrat.
Der kleine Tintin, der nach dem Befehl der Fee mit
von der Partie war, hüpfte munter vor ihnen her und führte
sie, es sey nun aus bloßem Instinct oder durch den geheimen
Antrieb irgend einer Fee, den nämlichen Weg, auf welchem
Don Sylvio das Bildniß seiner Prinzessin gefunden hatte.
Pedrillo machte zwar viele Einwendungen dagegen und stellte
vor, daß sie längs des linken Ufers des Guadalaviar, der
sich an dem Walde hinabzog, einen bequemern Weg haben
würden. Allein Don Sylvio blieb dabei, daß er keinen andern
Wegweiser haben wolle als Tintin, von welchem er
zu vermuthen anfing, daß er vielleicht wohl selbst eine Art
von Fee oder wenigstens von vernünftigen Thieren seyn
könnte. Pedrillo mußte sich also ergeben, so sehr er sich fürchtete,
bei nächtlicher Weile durch einen Wald zu reisen, wo
seine Einbildung Alles, was er sah, in Gespenster verwandelte.
Das Schlimmste war, daß sich, nachdem sie kaum eine
Stunde lang gewandert waren, der Himmel mit Wolken zu
bedenken anfing, welche ihnen kaum so viel Heiterkeit übrig
ließen, daß sie einen Weg in dem Gehölze finden konnten,
ob es gleich keines von den dichtesten war.Dieser Umstand ermangelte nicht, das schwache Gehirn
des armen Pedrillo vollends in Verwirrung zu setzen. Es
fielen ihm auf einmal alle Gespensterhistorien ein, die er
von seiner Kindheit an gehört hatte; er glaubte alle Augenblicke
etwas Verdächtiges zu sehen und zitterte bei dem mindesten
Geräusche so laut, daß sein Herr endlich Mitleiden
mit ihm zu haben anfing.Du schnatterst ja, als ob du das Fieber hättest, sagte
endlich Don Sylvio, der schon lange gemerkt hatte, wo es
ihm fehlte.Ums Himmels willen, gnädiger Herr, stotterte Pedrillo
und faßte ihn dabei beim Rocke, sehen Sie nichts?Ich sehe Bäume, so gut als man sie im Dunkeln sehen
kann, versetzte jener."Gott steh' uns bei! sehen Sie denn den gräulichen Riesen
nicht, der dort auf einmal aus dem Boden hervorkommt,
dort linker Hand? Er wird immer größer und größer und
streckt, däucht mich, wohl hundert Arme gegen uns aus!
Sehen Sie ihn? Er kommt immer näher!"Ich glaube, du bist nicht klug, Pedrillo; thu die Augen
besser auf und schäme dich, daß du einen Baum für einen
Riesen ansiehest."Gott gebe nur, daß es nicht noch etwas Aergeres als
ein Riese ist! Ein Baum, sagen Sie? Wo hat denn ein
Baum Arme und Füße?"Ich sage dir, alberner Tropf, daß es ein Baum ist; was
du für Arme ansiehst, sind seine Aeste; er scheint immer
größer zu werden, weil der Grund, worauf wir gehen, etwas
erhaben ist, und er kommt uns immer näher, weil wir auf
ihn zugehen. Wenn du so furchtsam bist, daß du Eichbäume
für Riesen ansiehst, so möcht' ich wohl wissen, wofür du die
wirklichen Riesen halten wirst, die uns vielleicht noch aufstoßen
werden? Was mich betrifft, so schwör' ich dir, daß
alle Bäume in diesem Walde zu Riesen werden könnten,
ohne daß ich sie fürchten würde.Ich bitte Sie, lieber gnädiger Herr, versetzte Pedrillo,
reden Sie nicht so laut! Die Haare stehen mir zu Berge,
wenn ich Euer Gnaden so reden höre, Die Riesen könnten
Sie beim Worte nehmen; glauben Sie mir, gnädiger Herr,
ein einziger würde Ihnen so viel zu thun geben, daß Sie
auf Ihr Leben lang genug hätten! Ich bitte Sie ums
Himmels willen, gehen Sie ihm aus dem Wege und thun
ihm nichts! Es dauerte mich nur mein junges Blut; der
Popanz würde keinen Unterschied machen, ich müßte für Ihren
Frevel büßen, so unschuldig ich immer bin.Das dachte ich wohl, antwortete Don Sylvio lachend,
daß es dir um deine eigene Haut wäre: aber besorge nichts!
die Fee Radiante hat dich ja ausdrücklich zu meinem Gefährten
ernannt, und du stehst also unter ihrem Schutze so
gut als ich selbst. Ich sag' es dir noch ein Mal, wenn aus
jedem Baum in diesem Wald ein Riese würde, und aus
jedem Blatt ein junger Feldteufel hervorkröche, so hätten
wir doch nichts zu besorgen. Aber siehst du denn nicht, daß
dein Riese nichts mehr und nichts weniger ist, als was ich
dir sagte? Wir sind nun ganz nahe bei ihm; und wenn
du noch nicht glauben willst, daß es ein Baum ist, ein
Eichbaum, sag' ich dir, ein eichener Eichbaum, so gut als es
jemals einer gewesen ist, so will ich zur Probe einen Ast
davon abhauen.Ach, mein lieber gnädiger Herr, rief Pedrillo, indem er
ihm den Arm zurückhielt, thun Sie es ja nicht, ich bitte
Sie! ums Himmels willen, lassen Sie's bleiben und machen
nicht sich und mich durch Ihre Tollkühnheit unglücklich.
Es mag nun jetzt eine Eiche oder eine Linde seyn, so hab'
ich doch mit meinen Augen gesehen, daß es ein ungeheurer
Riese war. — Ich will just nicht sagen ein Riese — Gott
weiß, was es gewesen seyn mag! aber ich weiß doch, was
ich gesehen habe. Der Böse, Gott sey bei uns! ist ein
Tausendkünstler, und er kann eben so gut —Weißt du wohl, Pedrillo, fiel ihm Don Sylvio ins Wort. daß
ich deiner blödsinnigen Einfälle müde bin? Ich glaube, zum Henker!
du willst einen Don Quixote aus mir machen und mich bereden,
Windmühlen für Riesen anzusehen? Da siehe, wie viel
ich mir aus deinem Riesen mache? Mit diesen Worten zog er seinen
Säbel und hieb auf einen Zug einen ziemlichen Ast herunter.Pedrillo erschrak anfangs so sehr über diese verwegene
That, daß er beinahe umgesunken wäre; da er aber sah, daß
sie keine schlimme Folgen hatte, so faßte er wieder Muth.
Ich hätte nicht gemeint, sagte er zu unserm Helden, daß
Sie so viel Herz hätten, Herr Don Sylvio; ich glaube, verzeih
mir's Gott, Sie wären tollkühn genug, mit dem Teufel
und seiner Großmutter anzubinden. Aber wir wollen
nicht zu früh Triumph singen, Sehn Sie einmal, ob nicht
Blut aus dem Ast heraus fließt.Da sieh selbst, sagte Don Sylvio, indem er ihm den Ast
darbot, und gesteh, daß du der albernste dumme Junge bist,
den ich jemals gesehen habe. Woher nimmst du doch das
altvettelische Zeug, das du sagst?Was ich da sagte, gnädiger Herr, ist, meiner Six, nicht
so einfältig, als Sie denken: ich habe dergleichen Dinge mehr
gelesen, und was einmal geschehen ist, kann ein ander Mal
wieder geschehen. Zum Exempel, ich besinne mich jetzt gleich
eines gewissen trojanischen Prinzen — ich weiß selbst nicht
mehr Corridor oder Isidor, aber es dort sich so was in seinem
Namen, der von einem muhammedanischen Zauberer in
einen Cypressenbaum verwandelt worden war, und da ihn
der Papst Aeneas Sylvius, ich weiß nicht mehr warum,
wollte umhauen lassen, da floß bei jedem Hiebe Blut heraus,
frisches Blut, so roth, als man es nur sehen wollte. Die
Leute erschraken entsetzlich, wie Sie sich einbilden können;
allein Papst Aeneas, der gleich merkte, daß ein Geheimniß
darunter stecken müsse, befahl, man sollte nur fortfahren zu
hauen; und was meinen Sie wohl, was da geschah? Man
hörte eine Stimme aus dem Baum, eine überaus klägliche
Stimme, welche sagte, daß sie die Seele des Isidorus sey, oder
wie er hieß, und wie es ihr ergangen, und wie sie von dem
ungläubigen Zauberer in diesen Baum verwandelt worden
sey, ohne daß sie vorher habe beichten oder sich vorbereiten
können; und bat alle christliche Herzen, die gegenwärtig waren,
so flehentlich, daß Jedermann die hellen Zähren weinen
mußte, daß sie doch zur Linderung ihrer Pein etliche Duzend
Ave für sie beten möchten.Das muß ich gestehn, sagte Don Sylvio, nachdem Pedrillo
mit seiner Erzählung zu Ende war, daß du eine erstaunliche
Belesenheit hast, Pedrillo; und was die Gabe der Erzählung
betrifft, so will ich mein Schloß und alles Meinige verloren
haben, wenn zu Salamanca oder auf irgend einer andern
Universität von Spanien ein Baccalaureus ist, der es mit
dir aufnehmen dürfte. Ich biete ihnen allen Trotz, daß sie
einen trojanischen Prinzen mit dem Papst Aeneas Sylvius
oder Pius Il. zusammen bringen, wie du gethan hast; es
müßte denn in der Hölle seyn, wohin gewiß Aeneas Sylvius
nicht gekommen ist; denn er war einer von den frömmsten
und gelehrtesten Päpsten, die jemals der Kirche vorgestanden
haben.Es beliebt Euer Gnaden so zu sagen, erwiederte Pedrillo:
aber es mag nun Ihr Ernst seyn oder nicht, so versichere ich
Sie, daß ich mir in diesem Stücke, wenn ich schon nicht gestudirt
bin, vor Keinem fürchte, er mag seyn, wer er will,
und wenn er auch ein dreifacher Bacularius oder gar ein
Doctor in allen sieben Facultäten wäre. Ich war noch nicht
acht Jahre alt, so wußte ich schon alle Historien des Ovidius
Nasus und alle Fabeln in Florians Chronik auswendig; gelt,
das hätten Euer Gnaden nicht hinter mir gesucht? Aber ich
hatte ein Gedächtniß, wie ein Elephant, und unser alter
Pfarrer (tröst' ihn Gott!) sagte meiner Großmutter oft,
wenn man mich studiren ließe, so könnte ich noch wohl einmal,
ob Gott wollte, Bischof oder gar Generalvicarius werden. Wer
weiß auch, was geschehen wäre, wenn der gnädige Herr, Euer
Gnaden Herr Vater, mich nicht ins Schloß genommen hätte,
da mich meine Großmutter eben zu ihrem Bruder thun
wollte, der damals Küster in einem Dorfe unweit Toledo
war und, wie die Leute sagten, sehr viel beim Erzbischof
galt. Sie müssen aber nicht meinen, als ob ich damit sagen
wollte, daß ich bei diesem Tausche verloren habe. Es ist
überall gut Brod essen. Euer Gnaden weiß, daß ich Ihnen,
so zu sagen, von Ihrer Kindheit an treulich und redlich gedient
habe; und ich bin gewiß, daß Sie mein Glück machen
werden, wenn wir einmal, Gott gebe nur bald! unsre Prinzessin
gefunden haben. Denn ob Euer Gnaden schon ein so
edler Edelmann ist, als einer in der Christenheit, so bin ich
doch gewiß, daß Sie Ihr Wort eben so ehrlich halten werden,
als wenn Sie nur ein Bauer wären.Auf diese Art fuhr der ehrliche Pedrillo noch eine gute
Weile fort zu plaudern, ohne daß sein Herr, der in ganz
andern Gedanken vertieft war, die geringste Acht darauf gab.
Pedrillo schwatzte, wie die Kinder im Finstern zu singen pflegen:
denn er fürchtete sich noch immer so sehr, daß er
schwitzte, und es war kein Heiliger im Kalender, dem er
nicht bei sich selbst ein Gelübde that, wenn er ihn lebendigen
Leibes und unbeschädigt das Tageslicht wieder sehen lassen
würde.—————
Zweites CapitelMerkwürdiges Abenteuer mit dem Salamander und dem Froschgraben.Inzwischen hatten sich unsre Wanderer ungeachtet der immer
zunehmenden Dunkelheit doch so weit aus dem Walde
herausgearbeitet, daß sie eine offene Stelle gewahr wurden,
deren Anblick ein rechter Anstrich für den armen Pedrillo war.
Er lenkte sogleich dahin ein, und seine Freude vermehrte sich
nicht wenig, da er in einiger Entfernung ein Licht erblickte,
welches er für ein Zeichen hielt, daß ein Wirthshaus oder
Pachthof in der Gegend sey, wo sie den Anbruch des Tages
erwarten könnten.Allein seine Freude verwandelte sich bald wieder in Furcht
und Grauen, da er sah, daß dieses Licht plötzlich näher kam
und um ein Merkliches größer wurde. Don Sylvio hingegen
wurde es kaum gewahr, als er voller Freuden ausrief:
Siehst du nun, Pedrillo, daß ich mir keine vergebliche
Hoffnung machte, da ich mich auf den Beistand der großen
Radiante verließ?Was soll ich denn sehen, gnädiger Herr? fragte Pedrillo.Du mußt blinder als Tiresias seyn, daß du so fragen
kannst. Siehst du denn den Salamander nicht, der in der
ganzen schimmernden Pracht eines Bewohners des reinsten
Feuerkreises auf uns zueilt?Einen Salamander? rief Pedrillo: wo ist er denn? ich
bitte Sie; denn ich sehe nichts als einen feurigen Mann,
der vermuthlich bei seinen Lebzeiten in dieser Gegend einen
Malstein verrückt haben wird und jetzt zur Strafe feurig
umgehen muß.Dummkopf, versetzte Don Sylvio ein wenig entrüstet:
können denn deine abergläubischen Augen allenthalben nichts
Anderes sehen, als die Hirngespinnste, welche die alte Hure,
deine Großmutter, von ihrer Eltermutter geerbt und dir
in dein dummes Hirn gesetzt hat? Eben das, was du für
einen feurigen Mann ansiehst, ist ein Salamander, sag' ich
dir, und einer der schönsten, die den Thron der großen Radiante
umglänzen. Siehst du nicht, wie seine Haarlocken
gleich gekräuselten Sonnenstrahlen um seinen morgenröthlichen
Nacken wallen? Siehst du nicht seine Augen wie zwei
Morgensterne blitzen? Siehst du die lazurnen, mit Licht
durchwebten Flügel nicht, mit denen er, wie ein Unsterblicher,
in majestätischem Fluge den Aether theilt?Sapperment! Herr Don Sylvio, schrie Pedrillo, indem
er sich mit der Faust vor die Stirne schlug, entweder bin ich
ein Narr, oder Sie sind nicht recht klug! Ich will geprellt
werden, wenn ich von Allem, was mir Euer Gnaden da vorsagt,
etwas Anderes sehe, als einen kleinen Feuerklumpen,
der in der Luft schwebt und bald näher kommt, bald wieder
zurückweicht, und dergleichen ich schon oft gesehen habe. Sie
können es heißen, wie Sie wollen; aber ich habe mein Tage
gehört, daß es feurige Männer —Pedrillo, mein Freund, unterbrach ihn Don Sylvio, wenn
ich nicht mit deiner Einfalt Mitleiden hätte, so hätte ich
gute Lust, dir dein unverschämtes Maul zu stopfen, daß du
ein Andenken davon behieltest. Ich dächte doch wahrhaftig,
Sennor Pedrillo sollte mir zutrauen, ich müsse wissen, was
ein Salamander ist, da ich ihrer mehr als zehen tausend im
Gefolge der Fee Radiante gesehen habe! Es ist ein Salamander,
sag ' ich dir nochmal, der vermuthlich etwas bei mir
auszurichten hat, der vielleicht auch nur abgeschickt ist, uns
den Weg zu zeigen. Es sey nun das Eine oder das Andere;
so wollen wir ihm nachgehen; das Uebrige wird sich bald
von selbst geben.So mag es denn ein Salamander seyn, weil Sie's so
haben wollen, erwiederte Pedrillo: Euer Gnaden müssen sich
besser auf solche hohe Dinge verstehen, als unser einer. Sie
sind vielleicht an einem Sonntag auf die Welt gekommen;
denn man sagt, die Sonntagskinder könnten bei hellem Mittage
Geister sehen.Was du da sagst, versetzte Don Sylvio, ist so unrichtig
nicht. Es kann eine Gabe seyn, womit mich eine Fee bei
meiner Geburt beschenkt hat, daß die elementarischen Geister,
die sonst ihrer Natur nach von irdischen Augen nicht gesehen
werden können, für mich nicht unsichtbar sind.Wenn aber das wäre, sagte Pedrillo, so müßt' ich jetzt
gar nichts sehen. Ihrer Beschreibung nach ist dieser
Salamander so schön wie ein Cherubin; warum mißgönnt er mir
denn das Vergnügen, ihn in seiner eigenen Gestalt zu sehen,
und warum zeigt er sich mir lieber in der fürchterlichen Gestalt
eines feurigen Mannes?Daran hat deine verdorbene Einbildungskraft Schuld, erwiederte
Don Sylvio. Wenn du die feurigen Männer nicht
schon im Kopfe hättest, so würden du ohne Zweifel eben das sehen,
was ich sehe; es geht dir jetzt mit dem Salamander, der
unser Führer geworden ist, wie es dir vorhin mit der Eiche
ging, die du für einen Riesen ansahest —Sachte, sachte, Herr Don Sylvio, fiel ihm Pedrillo ein,
wir wollen diese Saite nicht mehr berühren; zu geschehenen
Dingen muß man das Beste reden. Ich dächte, eine Höflichkeit
wäre gleichwohl der andern werth, und wenn ich Ihren
Salamander gelten lasse, so könnten Sie meine Riesen wohl
auch in ihrem Werthe beruhen lassen. Wer weiß ohnedem,
ob sie nicht näher mit einander verwandt sind, als man sich
einbildet? Die Wahrheit zu sagen, der Grund, auf den
uns Ihr Salamander geführt hat, fängt an ziemlich seicht zu
werden: ich besorge immer, er wird es uns nicht besser machen,
als ein gemeiner Feuermann; denn diese boshaften Schelme
haben keine größere Freude, als wenn sie arme Wandersleute
zum Besten haben und in einen Morast oder Froschgraben
hinein führen können.Pedrillo hatte kaum das letzte Wort ausgesprochen, als
Don Sylvio, der immer voraus ging und dem vermeinten
Salamander mit starken Schritten folgte, aus einmal bis an
die Knie in einen Graben sank. Pedrillo wollte ihm, sobald
er ihn plätschern hörte, zu Hülfe kommen, that es aber mit
so weniger Behutsamkeit, daß es ihm noch ärger ging, als
seinem Herrn; denn er fiel, so lang er war, in den dicken
Schlamm hinein. Das jämmerliche Geschrei, das er anfing,
machte unsern Helden besorgen, er möchte ein Bein verstaucht
oder gar gebrochen haben. Was ist dir begegnet, mein
guter Pedrillo, daß du so kläglich thust? rief er ihm zu, indem
er sich selbst aus dem Morast heraus arbeitete, so gut
es die Länge und Schwere seines Seitengewehrs zuließ.Wo sind Sie denn, mein lieber Herr? rief Pedrillo ängstlich.
Haben Sie noch ihre eigene Gestalt, oder sind wir schon
in Frösche verwandelt? Daß es Gort erbarme! mich däucht,
ich höre mich selbst schon quaken, wenn es nicht der Schrecken
ist, der mich gar närrisch macht. Da haben wir's nun!
Sagte ich nicht vorher, es werde so gehen, und werden Sie
so gut seyn und mich ein ander Mal auch etwas gelten lassen?
Wo ist nun der Salamander mit seinen goldfarbnen Flügeln
und lazurnen Haarlocken, und mit seinen Morgensternen
in den Augen? Zum Guckuck ist er und bekümmert sich den
Henker darum, wie wir wieder aus dem Quark herauskommen.Das Uebel ist nicht halb so groß, als du es machst, sagte
Don Sylvio; und es mag seyn, wie es will, so hat der Salamander
keine Schuld. Warum sahen wir nicht besser vor
uns bin? denn er machte uns helle genug. Und wenn er
verschwunden ist, so ist gewiß nichts Anderes als dein ungewaschenes
Maul —O, sagen Sie das nicht, rief Pedrillo, der indessen aus
dem Schlamm hervorgekrochen war: sapperment! ich denke,
es ist gewaschen genug, und mehr, als mir lieb ist! Ich fiel
der Länge nach hinein und kriegte gleich ein Maul voll, das
gewiß nicht nach Muskaten schmeckte, das versichre ich Sie.Genug hiervon, sagte Don Sylvio: auf einer Reise, wie
die unsrige, muß man sich Alles gefallen lassen. Wenn ich
dir aber die Wahrheit sagen soll, so fang' ich bald selbst an
Zweifel zu bekommen. Ob ich gleich noch immer darauf
schwören wollte, daß ich einen Salamander gesehen habe, so
ist es doch nicht unmöglich, daß unsere Feinde, weil sie keine
offenbare Gewalt gegen uns gebrauchen dürfen, eine List
versucht haben, uns von der Fortsezung unserer Unternehmung
abzuschreiben.Wenn ich reden dürfte, sprach Pedrillo, so weiß ich wohl,
was ich sagen möchte."Und was wolltest du denn sagen?"Das unsre Feinde vielleicht nicht so gar Unrecht haben."Wie so, wenn ich bitten darf, Herr Pedrillo?"Weil es mich däucht, daß wir nicht recht klug sind, bei
Nacht und Nebel so durch Dick und Dünn herum zu ziehen
und die Köpfe an den Bäumen zu zerstoßen und in Sümpfe
und Froschgräben hinein zu fallen; und warum? um vor
einem kleinen Sack mit hunderttausend Thalern davon zu
laufen, den wir heirathen könnten, ohne daß es uns einen
Heller kostete.Der Froschgraben hat, wie ich sehe, eine merkliche Veränderung
in deiner Denkungsart hervorgebracht, erwiederte
Don Sylvio: aber, ehe wir uns tiefer in die Materie einlassen,
möchtest du nicht so gut seyn und mir ein Paar
Strümpfe aus dem Zwerchsacke suchen? denn die meinigen
sind so naß und übel zugerichtet, daß es nicht ärger seyn
könnte.Euer Gnaden, antwortete Pedrillo, kann doch immer noch
besser mit dem Salamander zufrieden seyn, als ich; denn
ich bin vom Kopf bis auf den Füßen so besalbt, daß ich einen
ganzen langen Tag brauchen werde, bis ich wieder trocken
bin. Mich däucht, ich sehe hier eine kleine Anhöhe, wo wir
uns ein wenig setzen und umkleiden können. Sehen Sie
nun, fuhr er fort, indem er seinen Zwerchsack aufschnürte,
ob meine Vorsorge vergeblich gewesen ist? Wir sässen jetzt
schön, wenn wir warten müßten, bis uns die Fee Rademante
andre Wäsche brächte! — Aber wieder auf unser a propos
zu kommen, ich denke, wir haben uns nun genug abgekühlt,
daß wir mit kaltem Blute von der Sache reden können.
Wie wär' es, gnädiger Herr Don Sylvio, wenn wir hier
warteten, bis es Tag wird, und dann allgemach wieder zurückkehrten,
wo wir hergekommen sind? Mich däucht, wir
haben etwas angefangen, wovon wir kein Ende sehen werden.
Meiner Six! ich wollte lieber eine Stecknadel in einem
Heustock suchen, als einen Schmetterling in der weiten Welt;
und dann noch alle das Ungemach, dem man sich dabei aussetzt,
die Dornritzen, die Beulen am Kopfe, die zerstoßnen
Schienbeine, die Riesen, die Salamander, die Froschgräben
— und Alles dieß um der schönen Augen eines Schmetterlings
willen! Beim Velten, das ist ja Alles, was man leiden
könnte, wenn es um die schöne Hekuba aus Griechenland
zu thun wäre! Freilich ist der Schmetterling eine
geborne Prinzessin; aber sehen Sie, gnädiger Herr, wenn ich
reden soll, wie mir's ums Herz ist, denn ich bin immer ein
guter, offenherziger Narr gewesen, es ist hier ein Aber, das
uns das ganze Spiel verderbt. Ein Schmetterling, der eine
Prinzessin ist, ist freilich ein vornehmer Schmetterling; aber,
zum Henker, eine Prinzessin, die nur ein Schmetterling ist,
ist noch weniger als eine Prinzessin in einem Puppenspiele.
Denn, wenn die Prinzessin Takamahaka oder Rossabarba mit
dem spitzen Kinn, mit ihrer Krone von Flittergold und mit
ihrer langen Schleppe von falschem Silbermohr abgetrippelt
ist, so finden Sie doch Lolottchen hinter der Scene, die,
wenn's drum und dran kommt, wohl so gut ist, als manche
Prinzessin, und nicht so viel Umstände macht; das werden
Sie mir nicht leugnen können? Und sehen Sie, gnädiger
Herr, was ich sagen wollte —Sa, sa, Pedrillo, das geht ja unvergleichlich; rief Don
Sylvio, du sprichst ja wie ein Cicero; fahre nur fort, denn
ich möchte doch gern sehen, was endlich herauskommen wird,
wenn du fertig bist.Das werden Euer Gnaden bald sehen, antwortete Pedrillo:
ich merke wohl, daß Sie meiner spotten wollen, aber
es hat doch wohl eher ein Esel einem Propheten einen guten
Rath gegeben. Kinder und Narren sagen die Wahrheit; und
das Lange und Kurze von der Sache ist, daß der "hab' ich"
immer besser gewesen ist, als der "hätt' ich;" vom Wünschen,
sagt man im Sprüchwort, ist noch Keiner satt geworden. Die
Frau Rademante hat freilich viel versprochen; aber Versprechen
ist Eins, und Halten ist ein Andres; und wenn man's
zuletzt beim Lichte besteht, so däucht mich, es komme gerade
so heraus, als wenn mir Jemand einen Schatz schenkte, den
ich aber erst noch erheben soll, ohne daß ich weiß, wo? Wie
wär' es, wenn wir uns an das hielten, was wir schon haben?
Donna Schmergelina ist ein junges Frauenzimmer, das mit
Allem dem auch nicht zu verachten ist; hundert tausend Thaler
sind meiner Six ein hübsches Geld, gnädiger Herr; und
wenn's zuletzt auch etliche tausend weniger wären, so ist es
doch vielleicht mehr, als das Fürstenthum werth ist, das
Ihnen Ihre Prinzessin zubringen würde. Zudem so hat der
Letzte auch noch nicht geschossen; wer weiß, was Donna
Schmergelina ist, wenn man genau nachsieht; sie ist wenigstens
immer eine Nichte der Fee Fanferlüsch, und Fanferlüsch
mag im Uebrigen so dürr und so schlimm seyn, als sie
will, so ist sie doch eine Fee so gut, als eine andre, und
kann, wenn sie will, mit einem einzigen Schlag ihrer Zauberruthe
alle Ziegel auf Euer Gnaden Schloß in Rubinen
verwandeln.Das ist Alles wohl gut, erwiederte Don Sylvio; aber du
hast wir doch selbst gestanden, daß Donna Mergelina so häßlich
sey, daß man sie unmöglich lieben könne. —Je nun, versetzte Pedrillo, was das anbetrifft, so muß
ich bekennen, die Schönste ist sie eben nicht; aber, wenn Euer
Gnaden darauf Acht gegeben haben, so hat sie doch so was
in ihrem Gesichte —Ja wohl, Finnen und Pockengruben, so viel du willst, unterbrach
ihn Don Sylvio."Und was thut das zur Sache, gnädiger Herr? Schönheit
ist eine vergängliche Blume; Schönheit vergeht, Tugend besteht;
das unansehnliche Veilchen hat einen bessern Geruch,
als die prächtige aber stinkende Sammetblume. Und mit Allem
dem ist sie doch auch so häßlich nicht, als Euer Gnaden sie
machen! Ich gestehe, sie ist, was man sagen möcht, ziemlich
bucklig, und beim ersten Anblick dächte man, sie hätte rothe
Haare; aber, wenn Sie sie von einer gewissen Seite betrachten,
so fallen sie eher ins Rosenfarbne, und es läßt ihr in
der That nicht übel. Kurz und gut, wenn ich an Euer Gnaden
Platz wäre, so machte ich's wie der Einäugige; um hundert
tausend harte Thaler kann man schon ein Auge zumachen.
Bei Nacht sind alle Kühe schwarz; Geld im Beutel, alles
Andre ist eitel! Geld ist der Meister! Geld regiert die Welt;
kein Geld, kein Schweizer; dabei bleib' ich, und wenn alle
sieben und siebzig Weise aus Morgenland mir das Gegentheil
beweisen wollten.Don Sylvio, der überhaupt die beste Seele von der Welt
und diesen Morgen bei ungewöhnlich guter Laune war, belustigte
sich so sehr an den Reden seines schwatzhaften und
naseweisen Dieners, daß er ihn immerfort reden ließ, ohne
ihn zu unterbrechen. Pedrillo fuhr also fort, die Vortheile
nach einander herzurechnen, welche die Vermählung mit der
Nichte der Fee Fanferluche seinem jungen Herrn verschaffen
würde. Er baute auf Unkosten der hundert tausend Thaler
und der Ziegelsteine, welche die Fee in Rubinen verwandeln
sollte, die schönsten Schlösser, die jemals in Spanien gebaut
worden sind, und erhitzte über diesen Vorstellungen seine
Einbildung so stark, daß es eine ziemliche Weile währte, bis
er merkte, daß Don Sylvio indessen sanft und ruhig eingeschlafen
war. Weil er nun nicht Philosoph genug war, um
mit sich allein zu reden, so schwieg er endlich; und nachdem
er etliche Züge aus einer Flasche Wein gethan hatte machte
er sich ein Lager zurechte und folgte dem Beispiel seines
Herrn.—————
Drittes CapitelWorin Pedrillo etwas unsanft aus dem Schlafe geweckt wird.Der gute Pedrillo schnarchte noch, als Don Sylvio plötzlich
aus einem Traum auffuhr, der seinen Schlummer auf
eine sehr unangenehme Art unterbrochen hatte. Verdammter
Zwerg, rief er, indem er den Pedrillo bei der Gurgel faßte,
gib mir mein Bildniß wieder, oder du bist des Todes!He! Hülfe, Hülfe, Mörder, Feuer, Hülfe! schrie Pedrillo
und schlug mit Händen und Füßen um sich, indem er, ohne
zu wissen, wie ihm geschah, so unfreundlich aus dem Schlaf
erweckt wurde.Meine Prinzessin her, rief Don Sylvio nochmals, oder —Je zum Henker, schrie Pedrillo, indem er sich von ihm
losriß, sind Sie's, Herr? Reitet Sie denn der Teufel, daß
Sie mich mit aller Gewalt erdrosseln wollen? Pestilenz! man
ist ja seines Lebens nicht bei Euer Gnaden sicher!Wie? was ist das? rief Don Sylvio ganz bestürzt, bist
du es, Pedrillo?"Je zum Wetter! wer soll ich sonst seyn? Ich meine doch
wohl, daß ich Pedrillo seyn muß, wenn mich meine Mutter
nicht mit einem Andern verwechselt hat. Aber ist denn das
Manier, einen so im Schlafe zu überfallen? Sackerlot! wenn's
so gilt, so bedank' ich mich für die Commission, Euer Gnaden
die Schmetterlingsprinzessin suchen zu helfen."Ich weiß nicht, wo ich bin, oder was ich sagen soll, erwiederte
Don Sylvio: das seh' ich nun mit meinen Augen,
daß du Pedrillo bist, aber —"O großen Dank, gestrenger Herr Ritter Don Sylvio von
Rosalva, Ihr Diener! Beim Element! das ist sehr gnädig,
daß Sie mir's endlich ganz lassen, daß ich meiner Mutter
Sohn bin! Aber meinen Sie, es sey damit gleich ausgerichtet?
Meine Seele, Euer Gnaden hätte mir den Hals umgedreht
haben können, eh' ich gewußt hätte, wie mir geschähe.
Da sehn Sie nur her, wie Sie mit mir umgegangen sind!
Potz Herrich! wenn Sie's Ihren guten Freunden nicht besser
machen — Aber ich will gleich wetten, da wird wieder ein
Zwerg oder Salamander dahinter stecken!"Gib dich nur zufrieden, lieber Pedrillo, antwortete Don
Sylvio; du kannst ja selbst denken, daß meine Absicht nicht
war, dir was Leide zu thun, und ich schwöre dir's der dem
Leben meiner Prinzessin, ich begreife noch nicht, wie es zugegangen,
daß der verwünschte grüne Zwerg, den ich schon
in meiner Gewalt hatte, mir wieder entwischt ist und dich
an seine Stelle geschoben hat."Dacht' ich's nicht? Da haben wir's! der grüne Zwerg!
Sagt' ich's nicht vorher, wir würden kaum den Fuß zum
Hause hinaus gesetzt haben, so würde der Diebshenker uns
alle Drachen, Riesen, Zwerge und Rohrdommeln der ganzen
Welt auf den Hals hetzen? Ich bin Euer Gnaden gut dafür,
bei Tage wird uns nichts dergleichen begegnen. Aber hab'
ich Sie recht verstanden, gnäd'ger Herr? Sagten Sie nicht
was vom grünen Zwerge? Ich dachte, er sey in einen Zahnstocher
verwandelt worden? — Es scheint, mit Erlaubniß
der Frau Salamanderkönigin, daß sie eben keine Sklavin
ihrer Worte ist. Gott verzeih' mirs, man soll nichts Böses
von seinem Nächsten denken — aber, beim Velten! Herr,
wenn sie Sie nicht für einen Narren hat, so will ich gelogen
haben!"Rede nicht so ungebührlich von einer so großen Fee, sagte
Don Sylvio sehr ernsthaft, es wird dich noch gereuen; ich
sag' es dir zum letzten Male, daß ich die ungezogene Frechheit
deines Mauls nicht länger dulden werde. Höre nur erst,
was mir begegnet ist, und dann rede! Mußt du denn immer
urtheilen, eh du einmal weißt, wovon die Rede ist?Ich glaubte nicht, daß ich mich so sehr verfehlt hatte,
antwortete Pedrillo ganz kaltsinnig: ich habe doch so viel Vernunft,
daß ich weiß, daß Holzäpfel keine Quitten sind. Ich
lasse mir eben auch nicht Alles weiß machen, und ich bin,
mit Euer Gnaden Erlaubniß, nicht so dumm, als ich aussehe.
Es sind noch nicht fünf Minuten, so wollten Sie mich
erwürgen, weil Sie mich für den grünen Zwerg ansahen.
Nun sag' ich so: entweder ist der grüne Zwerg ein Zahnstocher,
oder er ist keiner; ist er keiner, so hat die Fee —
ich will nicht sagen was; ist er aber einer, zum Henker, seit
wann seh' ich denn einem Zahnstocher gleich? Dieß ist ein
Schluß, hoffe ich, woran nichts auszusetzen ist; ich möchte
wohl sehen, was Euer Gnaden darauf antworten könnte.Zum Henker, sagte Don Sylvio lächelnd, gibst du dich
auch damit ab, Dilemmen zu machen? Wenn du so fortfährst,
so wird ja zuletzt nicht mehr mit dir auszukommen
seyn. Aber höre nur erst, sag' ich dir, und laß mich allein
reden, bis ich fertig bin; hernach wollen wir sehen, was für
Schlüsse wir darüber zu machen haben.—————
Viertes CapitelWas die Einbildung nicht thut.Nachdem Pedrillo versprochen hatte, daß er seine Zunge
im Zügel halten wollte, fing Don Sylvio seine Erzählung
also an: Du warest kaum neben mir eingeschlafen —Holla, gnädiger Herr, fiel ihm Pedrillo ein, mit Erlaubniß,
woher konnten Sie das wissen? denn Sie schliefen ja
schon lange, da ich noch wachte.Du hältst dein Versprechen unvergleichlich, sagte Don
Sylvio: willst du so gut seyn und mich ohne Unterbrechung
reden lassen? Ich würde bis Morgen nicht fertig, wenn ich
bei jedem Wort auf deine unverschämten Fragen antworten
müßte. Ich sage dir; daß ich wachte, und das soll dir genug
seyn. — Indem ich nun Allem dem, was uns begegnet ist,
nachdachte, sah ich eine Sylphide vor mir stehen —Eine Sylphide? rief Pedrillo und hielt schnell wieder inne,
indem er seinem Herrn steif ins Gesicht sah.Ja, eine Sylphide, fuhr unser Held ganz gelassen fort,
und die schönste Sylphide, die jemals von einem Sterblichen
gesehen worden ist. Don Sylvio, sagte sie zu mir, ich weiß,
wen Sie suchen; kommen Sie mit mir, ich will Sie zu
Ihrer Geliebten bringen! Ich bin schon lange Ihre gute
Freundin; aber Sie sollen doch diese Gefälligkeit nicht ganz
umsonst empfangen. — O, rief ich, indem ich mich zu ihren
Füßen warf, befehlen Sie nur, schönste Sylphide, es ist
nichts in der Welt, das ich nicht thun will, Ihnen meine
Dankbarkeit zu bezeigen, wenn Sie Ihr Versprechen halten.
— Dasjenige, was ich von Ihnen dafür verlange, erwiederte
die Sylphide, ist eine Kleinigkeit. Kommen Sie nur, Sie
sollen erst die Prinzessin sehen; über das Andre werden wir
bald einig seyn. — Hierauf nahm sie eine Rose von ihrem
schönen Busen und warf sie auf den Boden; augenblicklich
verwandelte sich die Rose in einen Muschelwagen von Rubin,
der mit zwölf Paradiesvögeln bespannt war, von einer Schönheit,
dergleichen noch nicht gesehen worden ist. Ich setzte mich
neben ihr ein, und in wenig Minuten stiegen wir in dem
anmuthigsten Ort ab, den sich die Einbildungskraft nur immer
vorstellen kann. Ich würde nicht fertig werden, wenn ich dir
eine Beschreibung davon machen wollte.O gnädiger Herr, sagte Pedrillo das thut nichts; wenn
die Beschreibung lang ist, desto besser; ich wollte Ihnen den
ganzen Tag ungegessen zuhören, ich höre Sie gar zu gern
erzählen.Stelle dir, fuhr Don Sylvio fort, eine unermessliche Ebene
vor, in welcher die Zauberkunst irgend einer Fee alle die
Annehmlichkeiten vereinigt hatte, welche die Dichter von
Tibur und Tarent, von dem thessalischen Tempe und von
den Hainen von Daphne rühmen; anmuthige Gebüsche, schlängelnde
Silberbäche, blühende Auen, Lustgänge von Citronenbäumen,
kleine Seen, mit Myrten eingefaßt, Lauben von
Jasmin und vielfarbigen Rosen — kurz, Alles, was man
sich von einem Orte vorstellen kann, der dem Vergnügen und
der Liebe geheiligt ist. Schaaren von jungen Nymphen in
leichtem Gewande flatterten unter den Myrten umher oder
tanzten mit Liebesgöttern auf den Fluren oder badeten in
stillen Grotten.Das muß ich gestehen, Herr Don Sylvio, fiel Pedrillo
ein, daß Euer Gnaden unter einem glücklichen Zeichen geboren
ist! Sapperment! es leben die Sylphiden! Das ist
etwas Anderes, als diese vertrackten Salamander, die zu nichts
gut sind, als uns in einen Froschgraben hinein zu führen!
Aber warum haben Sie mich denn nicht auch mitgenommen?
Wenn es um ein angenehmes Abenteuer zu thun ist, da
denkt Niemand an Pedrillo!Höre nur weiter, fuhr Don Sylvio fort: man muß keinen
Menschen vor seinem Ende glücklich preisen, sagte Solon,
der Weise; und es scheint nicht anders, als ob ich dazu bestimmt
sey, eine Erfahrung nach der andern von dieser traurigen
Wahrheit zu machen. Indem ich an diesem anmuthsvollen
Orte mich umsah, erblickte ich eine Nymphe unter eine
Laube sitzend, die mit einem Sommervogel spielte, der an
einem goldnen Faden um sie her flatterte. Himmel! wie
ward mir, da ich sah, daß es meine geliebte Prinzessin war!
da ich ihn für eben den blauen Sommervogel erkannte, den
wir suchen! Bist du der junge Ritter, sagte die Nymphe
zu mir, der unter dem Schutze der Fee Radiante das Abenteuer
unternommen hat, den blauen Sommervogel zu entzaubern?
— Ich bin es, schönste Nymphe, antwortete ich,
und bereit, Ihnen mein Leben selbst — O, so viel verlang'
ich nicht, fiel sie mir ins Wort: wenn du mir beweisen kannst;
daß du Don Sylvio von Rosalva bist, so ist der Sommervogel
dein. — Sagen Sie nur, womit ich es Ihnen beweisen
soll, erwiederte ich; ich weiß zu gewiß, daß ichs bin, als
daß ich vor irgend einer Probe mich scheuen sollte. — Zeige
mir nur das Bildniß der Prinzessin, antwortete sie; du
mußt es haben, wenn du Don Sylvio bist, ich verlange keinen
andern Beweis. — O Pedrillo, ich Unglückseliger! Wo
war die Fee, meine Beschützerin, in diesem fatalen Augenblicke?
Ich gab ihr das Bildniß. Aber kaum hatte sie es
in der Hand, so sah ich — Himmel! werd' ich es aussprechen
können? mit Entsetzen sah ich anstatt der schönen Nymphe
den grünen Zwerg vor mir stehen. Das kleine bucklige Ungeheuer
war vor Freude ganz ausgelassen, sprang in die
Höhe, drehte das Bildniß in der Hand herum, blökte die
Zähne gegen mich und sagte endlich mit spöttischem Gelächter
zu mir: Nun hab' ich, was ich wollte! Wisse, du unmächtiger
Nebenbuhler, daß Niemand als der Besitzer dieses
Bildnisses im Stande ist, dem blauen Sommervogel seine
eigene Gestalt wieder zu geben. Nun sind beide in meinen
Händen, und du hast nichts mehr zu hoffen. Geh', dank es
meiner Entzückung, daß ich dir das Leben schenke; aber merke,
was ich dir jetzt sage: Ich werde dich auf's genaueste beobachten,
und wenn ich dich nur über einem Gedanken an
meine Geliebte ertappe, so bist du des Todes!Du kannst dir die Wuth vorstellen, Pedrillo, worein mich
diese Reden und der Anblick des häßlichen Gnomen mit dem
Bildniß meiner Prinzessin in seinen Klauen setzen mußten;
ich fiel über ihn her und rang mit ihm, fest entschlossen,
entweder mein Leben zu lassen oder mein Bildniß wieder
zu haben.Der Vorsatz war gut und löblich, sagte Pedrillo: aber
warum mußt' ich mit ins Spiel gemischt werden; und zwar
nicht eher, als bis es ums Erdrosseln zu thun war?Eben das ist es, erwiederte unser Held, was ich selbst
nicht begreife: ich rang, wie gesagt, mit dem Zwerg, und
in eben dem Augenblicke, da ich im Begriff war, ihn zu erwürgen,
zeigten mir dein Geschrei und meine Augen, daß du
es warst, der unter meinen Händen zappelte. Der Zwerg
war verschwunden und ich befand mich an dem nämlichen
Orte, wo mich die Sylphide abgeholt hatte.Und wo blieb denn die Sylphide? fragte Pedrillo."Sobald wir an dem Orte anlangten, wo sie mich absteigen
hieß, muß sie verschwunden seyn; denn ich sah weder
sie noch ihren Wagen mehr."Das ist eine verzweifelte Historie, sagte Pedrillo: meiner
Six, sie fing sich so schön an! es ist Jammerschade, daß sie
nicht besser aufhörte. Aber — wenn einem einfältigen Kerl
eine Frage erlaubt ist: Sie glauben also, gnädiger Herr;
daß Ihnen das Alles wirklich begegnet ist?Daran ist wohl kein Zweifel, antwortete Don Sylvio:
ich wachte ja, da es mir begegnete; ich sah mit meinen Augen,
ich hörte mit meinen Ohren, ich hatte den Gebrauch
aller meiner Sinne; ich muß also gewacht haben, und wenn
das ist —Ja, ja, das ist eben noch die Frage! versetzte Pedrillo:
ich will es just nicht für gewiß sagen, aber — wenn Euer
Gnaden gleich die Wunderlichkeit an sich hat und nicht leiden
kann, daß man sage, Sie träumen, wie andere ehrliche
Leute; so weiß ich doch wohl —gesagt will ich's nicht haben,
aber ich denke meinen Theil!"Du denkst, es sey nur ein Traum gewesen, Pedrillo?
Wollte der Himmel, daß es so wäre! Aber —"Sehn Sie, gnädiger Herr, fuhr Pedrillo fort, es ist in
Allem ein Unterschied zu machen. Wie Sie die Erscheinung
von der Fee Rademante hatten, da dacht' ich auch, es hab'
Ihnen nur so geträumt, bis sie mir das reiche Kleinod
und das Bildniß zeigten, das sie Ihnen gegeben hatte; da
konnt' ich freilich nichts mehr dagegen einwenden. Was die
Augen sehen, glaubt das Herz. Wenn Sie mir nur eine
Feder von einem dieser Paradiesvögel, die Euer Gnaden gezogen
haben, aufweisen könnten, so ließe sich noch von der
Sache reden: aber, bei Sanct Velten! was braucht es da
Langes und Breites? Da hängt ja das Kleinod an Ihrem
Halse, das Ihnen der Zwerg gestohlen haben soll. — Suchen
Sie nur unter Ihrem Wamms, Sie werden die Prinzessin
gewiß noch am alten Orte finden.O Wunder! rief Don Sylvio, da er es wirklich auf seiner
Brust fand, wo er es zu tragen pflegte: du hast Recht;
Pedrillo! Dank sey der hülfreichen Radiante! hier ist es —Ich glaube, lieber Herr, sagte Pedrillo, dießmal thun Sie
der Fee zu viel Ehre an, und ich wette, was Sie wollen
(ob ich gleich nichts habe), der grüne Zwerg hat den blauen
Schmetterling und Jhr Bildniß so wenig gesehen, als ich
den Pabst. Hier haben Sie geschlafen und da ist Ihnen das
Alles im Traume vorgekommen, und da sind Sie zuletzt davon
erwacht, und da haben Sie mich beim Kopfe gekriegt —
Sapperment! Sie hätten das nur auch träumen können,
wie das Uebrige! Ein ander Mal, wenn wir wieder schlafen
wollen, werde ich so gut seyn und mich fünfzig oder
sechzig Schritte von Euer Gnaden wegmachen. Ich habe
keine Lust, wachend dafür zu büßen, wenn Ihnen ein Zwerg
im Traume was zu heiß gekocht hat.Es fehlte zwar noch viel, daß Don Sylvio den Gedanken
seines Gefährten über dieses Abenteuer Beifall gab; allein
Pedrillo, der dießmal seine Stärke fühlte, ließ nicht ab, bis
er es so weit brachte, daß sein Herr es selbst unwahrscheinlich
fand, daß der grüne Zwerg in so kurzer Zeit seiner Zahnstocherschaft
entledigt worden seyn könnte; und sie wurden
endlich beide des Schlusses einig, daß Alles zusammen nur
ein Blendwerk gewesen sey, welches Don Sylvio, ohne sich
lange zu bedenken, auf die Rechnung der Fee Carabosse schob,
die (wie er den Pedrillo versicherte) eine vertraute Freundin
der Fanferluche und des grünen Zwergs sey und, da sie ihm
auf keine andere Art beikommen könne, sich eine boshafte
Freude daraus mache, ihn wenigstens in Verwirrung zu
setzen und ihm seine Reise beschwerlich zu machen.Pedrillo ließ sich mit dieser Auskunft befriedigen und
sie setzten mit diesen Gesprächen ihren Weg fort, bis die
zunehmende Sonnenhitze sie nöthigte, tiefer im Walde Schatten
zu suchen.—————
Fünftes CapitelWorin die Geschichte nach Rosalva zurückkehrt.Der wahrhafte Urheber dieser merkwürdigen und kurzweiligen
Geschichte findet hier nöthig, den Lauf seiner Erzählung
einen Augenblick zu unterbrechen, um dem Leser zu berichten,
was indessen in dem Schlosse zu Rosalva vorgegangen.Die arme Maritorne, die wir nebst ihrem getreuen Pyramus,
auf dem Wege nach dem Barbier unter dem Schutze
der Nymphen und Waldgötter haben einschlafen lassen, erwachte
mit Anbruch des Morgens nicht so bald, als sie sich
erinnerte, daß sie abgeschickt worden war, Meister Blas, den
Barbier, abzuholen. Sie besann sich, was sie sagen wollte;
wenn man sie um die Ursache ihres langen Außenbleibens
fragen würde; und da ihr nichts einfallen wollte, so fing sie
an, sich ihre schönen goldfarbnen Haare auszuraufen und ein
so klägliches Geschrei zu erheben, daß ihr Liebhaber davon
erwachte und nach der Ursache ihrer Verzweiflung fragte.
Hast du nichts als das, mein Schnäuzchen? rief er, als
sie ihm ihr Anliegen eröffnet hatte; da will ich bald Rath
geschafft haben. Ich kenne Meister Blasen sehr wohl: er ist
in ein gewisses junges Mädchen verliebt, das eine Viertelstunde
weit von seinem Flecken in einem Pachthofe wohnt;
denn sie ist des Pächters leibliche Tochter. Und weil er, wie
alle Leute sagen, eine gute Cyther schlägt, so vergeht keine
Nacht, daß er nicht bis Morgens um zwei unter ihrem Kammerfenster
sitzt und klimpert und singt, bis ihm die Finger
und das Maul abfallen möchten. Du darfst also diesen Morgen
nur zu ihm gehen und sagen, du seyest in der Nacht
schon da gewesen und habest ihn nicht angetroffen; hernach
bring' ihn mit und sage der gnädigen Frau, du habest gewartet,
bis er nach Hause gekommen sey, oder so was; sie
wird nicht so genau nachfragen. Aber das sag' ich dir, Maritorne,
mein Täubchen! schäkre mir nicht mit ihm, siehst
du? Meister Blas ist ein loser Kauz, der sich gern zutäppisch
macht, und das will ich nicht haben, hörst du's? Sapperment,
ich verstehe keinen Spaß, was das anbetrifft.Maritorne, welche nun wieder vollkommen getröstet war,
sparte nichts, ihren Liebhaber über diesen Punkt zu beruhigen.
Allein aus Besorgniß, die aufgehende Sonne zur Zeugin
ihres Glücks zu machen, fand das getreue Paar endlich
für rathsam, sich von einander zu trennen. Maritorne eilte
zu dem Barbier und Jago schlich in größter Stille seinem
Stalle zu, wo er auf halb verfaultem Stroh und einem Paar
alten Mauleseldecken, neben zwei oder drei Gespenstern von
ehmaligen Pferden, in Ermanglung eines bessern sein Lager
zu haben pflegte.Es war ungefähr Morgens um sechs Uhr, als Donna
Mencia erwachte. Das Verlangen nach dem glücklichen Zeitpunkte,
von welchem sie, kraft der hohen Meinung, die sie
von ihren Reizungen hatte, sich eine angenehmere Art zu
erwachen versprach, erinnerte sie an den Anstoß, den ihr
Neffe gestern gehabt hatte, und der ihre Sehnsucht mit höchst
beschwerlichen Verzögerungen bedräute. Sie stand auf, warf
einen Schlafrock um sich und lief gerade nach seinem Zimmer,
um zu sehen, wie er die Nacht zugebracht hätte. Sie riß
(wie man denken kann) ein paar große Augen auf, da sie
weder von dem Herrn noch von dem Diener die geringste
Spur antraf. Nachdem sie ihn allenthalben, wo er zu suchen
war, vergeblich gesucht hatte, rief sie das ganze Haus zusammen
und setzte Jedermann durch die Nachricht, daß der
junge Herr und Pedrillo unsichtbar geworden seyen, in die
äußerste Bestürzung. Diejenigen allein, welche jemals geliebt
haben, wie Donna Mergelina liebte, können sich den
Schmerz vorstellen, der bei einer so unverhofften Zeitung
ihre zärtliche Brust zerriß. Sie würde, die gute Seele!
ohnmächtig hingesunken seyn, wenn ihr nicht der Arm ihres
besorgten Oheims und das englische Salz der präsumtiven
Tante noch in Zeiten zu Hülfe gekommen wären. Man hörte
eine gute Weile nichts als Jammern und Wehklagen: allein
Frau Beatrix, die schon seit geraumer Zeit sehr ernsthafte
Absichten auf Pedrillo hatte und sich schmeichelte, keinen kleinen
Antheil an seinem Herzen zu haben, wollte nichts davon
hören, daß sie entlaufen seyn sollten. Sie werden, sagte sie,
irgendwo im Garten oder im grünen Lusthause seyn, wo
Don Sylvio den Morgen öfters zuzubringen pflegt.Auf dieses Signal lief Jedermann in den Garten; man
vertheilte sich auf alle Seiten, man durchsuchte alle Stauden
und Hecken, und da man Niemand fand, so fing man wieder
von vorn an. Maritorne, die inzwischen auch angelangt
war, mischte sich nebst dem Barbier so herzhaft unter die
Suchenden, als ob nichts vorgefallen wäre; denn sie hatte
die Vorsicht gebraucht und, ungeachtet des Verbots ihres
Liebhabers, sich des Barbiers durch einige kleine Gefälligkeiten
versichert, wodurch sie den Vortheil, ungezankt durchzuwischen,
nicht zu theuer zu erkaufen glaubte. Es fehlte
also nicht an Suchern, aber man fand darum nichts mehr; und
nachdem man sowohl den Garten als den Park und einen
Theil des angrenzenden Holzes bis gegen den Mittag durchsucht
hatte, so sah man sich endlich gezwungen, unverrichteter
Dinge in das Schloß zurückzukehren, wo Donna Mencia
alle Anwesende in einen großen Saal zusammenberief, um
sich über einen so unvermutheten und höchst betrübten Vorfall
zu berathschlagen. Man warf tausenderlei Fragen mit
ein Mal auf; eine jede Person hatte ihre besondern Vermuthungen
und Vorschläge, und weil alle zugleich redeten,
so wurde der Lärm so groß, daß Niemand sein eigenes Wort
hören konnte: bis endlich das Ansehen des Herrn Rodrigo,
wiewohl nicht ohne Mühe, so viel vermochte, daß, nach
vorhergehendem allgemeinem Stillschweigen, eine Person nach
der andern ihre Meinung sagen sollte. Alle nur ersinnliche
Möglichkeiten wurden erschöpft, und insonderheit thaten Herr
Rodrigo, der ein starker Dialektikus war und eine treffliche
Baßstimme hatte, und Meister Blas, der Barbier, der wegen
der Geläufigkeit seiner Zunge Obermeister seiner ganzen
Zunft zu seyn verdiente, sich so sehr hervor, daß die Session
sich über zwei Stunden nach Mittag hinauszog. Allein, wie
es darum zu thun war, daß die Stimmen gesammelt, und
der Schluß angezeigt werden sollte, gab es wieder einen
neuen Tumult; ein Jedes behauptete seine Meinung, und
erst, nachdem sich die Dame Beatrix und der Barbier alle
nur ersinnliche Mühe gegeben hatten, die Ruhe wieder herzustellen,
wurde man endlich des Resultats einig, "daß man
nicht begreifen könne, wo sie hingekommen seyn möchten."
Weil nun die Glocke eben zwei schlug, und Jedermann hungerte,
so wurde einhellig für gut befunden, "daß man vorerst
zu Mittag essen, hernach aber in einer zweiten Session untersuchen
wolle, was nunmehr in der Sache zu thun seyn
möchte."Der spanische Autor, der im Gefolg eines bekannten
Ministers seiner Nation sich einige Jahre in Deutschland
aufgehalten, nimmt sich die Freiheit, bei dieser Gelegenheit
sich über gewisse kleine deutsche Republiken lustig zu machen,
von denen er beobachtet haben will, daß die Berathschlagung
im Saale der Donna Mencia eine natürliche Copie der Art
und Weise sey, wie man in selbigen die öffentlichen Angelegenheiten
zu behandeln pflege. Man muß gestehen, daß
die Anekdoten, die er davon beibringt, nicht sehr geschickt
sind, die republicanische Verfassung anzupreisen. Allein von
einem Spanier, dessen ganze Freiheit darin besteht, daß er
das Recht hat, mit zwei oder drei Brillen auf der Nase und
mit verschränkten Beinen vor seinem Hause zu sitzen, sich
die Zähne auszustochern und so viel Grillen zu fangen, als
ihm beliebt, ist freilich nicht zu erwarten, daß er die Gebrechen
der politischen Freiheit im gehörigen Verhältniß mit
ihren Vortheilen betrachte. Und wie sollte er, der von der
vermeinten Erhabenheit seiner Nation und von der Größe
seines Königs verblendet ist, die Beobachtung machen können,
daß oft mehr Geschicklichkeit erfordert wird, die verwickelten
Triebräder eines kleinen Staats von freien Menschen zu
regieren, als einer halben Welt von Sklaven zu befehlen?
Man weiß, wie weit auch in diesem Stücke die Vorurtheile
gehen; und wenn Don Ramiro von Z** uns andern kleinern
Republicanern in der Berathschlagung zu Rosalva einen
Spiegel vorzuhalten meine, so können wir ihm vielleicht Beispiele
aus der Geschichte großer Monarchien entgegen halten,
wo nach einer Menge von geheimen Conferenzen zuletzt doch
der Einfluß eines Kammermädchens, eines Musico oder Hofnarren
die vereinigte Weisheit von einem paar Duzend
spanischen Mänteln und langen Perrücken überwogen hat.Dem sey indessen, wie ihm wolle, so wird hoffentlich Niemand
dem Herausgeber übel ausdeuten, daß der patriotische
Geist, wovon er beseelt ist, ihm nicht erlaubt hat, eine
Stelle zu übersetzen, welche von den Neidern der republicanischen
Glückseligkeit nicht wenig hätte gemißbraucht werden
können. Die Rücksicht auf unser Vaterland ist eine Pflicht,
die sich bis auf unsre kleinsten Handlungen erstreckt; und
wenn nur derjenige den Namen eines guten Bürgers verdient,
der mit dem gegenwärtigen Zustande des gemeinen
Wesens zufrieden ist; so wird man den Abscheu nicht tadeln
können, welchen man in kleinen Freistaaten gegen Alles,
was nur von fern die Miene einer politischen Satire hat;
mit so großem Rechte zu bezeigen gewohnt ist. Fern sey es
also von uns, die stolze Ruhe und den süßen Schlummer,
worin unser Vaterland liegt, nur einen Augenblick zu unterbrechen!
Don Ramiro mag beobachtet haben, was er will, wir
hüllen uns in unsern Patriotismus ein, beißen die Zähne
zusammen und sind zufrieden.—————
Sechstes CapitelUnterredung beim Frühstück. Eifersucht des Don Sylvio.Wir haben unsere Abenteurer — denen die kluge Langsamkeit,
die bei den Berathschlagungen zu Rosalva präsidirte,
sehr wohl zu Statten kam — in einem Gehölze verlassen,
wohin sie sich vor der Sonne zurükgezogen hatten. Sie waren
noch nicht lange unter den Bäumen fortgegangen, als
Pedrillo seinem Herrn vorstellte, wie, nach der Meinung
des Asklepiades und anderer berühmter Naturkündiger, zu
glücklicher Fortsetzung einer Reise nichts dienlicher sey, als
des Morgens — ein gutes Frühstück zu sich zu nehmen.
Weil nun Don Sylvio nichts Erhebliches dagegen einzuwenden
hatte, so suchte Pedrillo einen bequemen Platz, wo sie
sich setzen konnten, packte seinen Zwerchsack aus und brachte
eine große Pastete zum Vorschein, welche Frau Beatrix zu
einem ganz andern Gebrauche von Xelva mitgebracht hatte.Gelt, gnädiger Herr, sagte Pedrillo, ich seh' es Ihnen an,
Sie wundern sich, wie ich zu dieser Pastete gekommen bin?
— Die arme Frau Beatrix! Sie wird ein Paar mächtig
große Augen machen, wenn sie sehen wird, daß der Vogel
ausgeflogen ist. Aber da sehn sie doch, was es ist, wenn
man sich mit den Leuten zu begehen weiß; wenn ich nicht
etwas bei Frau Beatrix gälte, so könnten wir jetzt mit
einem Stück Brod und einer Hand voll Haselnüsse vorlieb
nehmen.Sie hat dir doch die Pastete nicht selbst gegeben? sagte
Don Sylvio."Das eben nicht; aber, wie sie gestern Abend in das Proviantgewölbe
ging, winkte sie mir, daß ich mit ihr gehen
sollte, und da schwatzten wir eine Weile zusammen, und da
wollt' ich ihr, mit allem Respect vor Euer Gnaden, einen
Kuß stehlen (denn das hab' ich von unserm alten Pfarrer
selbst gehört, daß ein Kuß in Ehren keine Sünde ist), aber
sie drehte den Kopf so geschwinde zurück, daß ich ihren Mund
um ein paar Handbreiten verfehlte; aber meiner Six! ich
verlor nichts dabei; ich kam gerade auf ein Fleckchen, wo ihr
Halstuch ein wenig offen war, und ich versichere Euer Gnaden,
es war weicher als Pflaum und so weiß wie Marzipan.
Freilich schmählte sie mich tüchtig aus, wie Sie leicht denken
können; sie gab mir, glaub' ich, gar eine kleine Ohrfeige
oder so was; aber ich besänftigte sie bald wieder, und da
gab sie mir zum Zeichen ihrer Versöhnlichkeit dieses Stück
eingemachten Cedrat, und da schäkerten wir noch eine gute
Weile mit einander; denn Gelegenheit macht Diebe, und Frau
Beatrix ist nicht halb so spröde, als sie aussieht. Wenn sie
schon nicht dergleichen thut, so hat sie's doch gern, wenn
man ein wenig mit ihr haseliert, das kann mir Euer
Gnaden auf mein Wort glauben. Bei dieser Gelegenheit
zeigte sie mir die Pastete und andere Sachen, die sie für
unsere Gäste von Xelva mitgebracht hatte, und da warf ich
gleich ein Aug' auf die Pastete; aber, wie ich zu ihr gekommen
bin, das hätten Sie mir gewiß nicht zugetraut. Sehen Sie,
Herr Don Sylvio, ich bin gewiß ein ehrlicher Kauz; aber
dumm bin ich nicht, und Euer Gnaden zu Liebe wollt' ich,
Gott verzeih mir's! dem Papst zu Rom seine Pantoffeln stehlen,
wenn es seyn müßte.Und wie hast du es denn gemacht? fragte Don Sylvio;
denn sie wird doch den Schlüssel zum Gewölbe abgezogen und
zu sich genommen haben.Das ist es eben, sagte Pedrillo; aber man findet für
Alles Rath, nur für den Tod nicht. Wie Alles im Hause
schlief, schlich ich mich an ihre Kammer, legte das Ohr ans
Schlüsselloch und lauschte, und wie ich hörte, daß sie schnarchte,
so machte ich die Thüre ganz leise auf und schlich auf den
Zehen an ihr Bette; aber es war so dunkel in der Kammer,
wie in einer Kuh. Da tappte ich so lange herum, bis ich
den Bund Schlüssel fand, den sie immer an ihrem Gürtel
zu tragen pflegt; da nahm ich die Schlüssel und schlich so
sachte davon, wie die Katze aus dem Taubenschlage. Nun
wissen Sie das ganze Geheimniß, denn, wie ich einmal die
Schlüssel hatte, so war die Pastete mein. Sapperment, ich
sackte ein, daß es eine Lust war! Und damit Sie sehen, daß
ich nichts vergessen habe (fuhr er fort, indem er eine Flasche
aus dem Zwerchsack hervorzog), so kosten Sie einmal diesen
Alicantenwein, und wenn er nicht so gut ist, daß er einem
bis in die Fingerspitzen wohl thut, so will ich meiner Lebtage
mit den Gänsen trinken!Hier machte Pedrillo eine starke Pause; aber seine Kinnbacken
arbeiteten nichts desto weniger, ob er gleich zu reden
aufhörte, und er hielt sich so wohl, daß die Pastete in kurzer
Frist um ein gutes Drittel leichter wurde. Er vergaß nicht,
auch der Flasche auf Gesundheit der Frau Beatrix fleißig
zuzusprechen, und wurde nach und nach so lustig, daß er
zu pfeifen und zu singen anfing. Heisa! rief er, indem
er die Flasche in die Höhe hielt, es leben die Feen und die
bezauberten Prinzessinnen! Beim Element! es ist ein wahrer
Spaß, auf der Feerei herum zu wandern; aber es gehört ein
wohlgespickter Zwerchsack dazu, das muß wahr bleiben! —
Nun wie? gnädiger Herr, was fehlt Ihnen? Sie sind ja gar
nicht aufgeräumt? Sie essen und trinken ja nichts? Was
soll das seyn? Heysa! der Henker hole die Grillen!
Lustig, weil wir ledig sind! wer weiß, wenn es uns
wieder so wohl wird; es wird immer Zeit zum Kopfhängen
seyn, wenn der Vadus mecus und die Flaschen
leer sind.Mein guter Pedrillo, sagte Don Sylvio, sey du immer
lustig, so gut du kannst, und gib auf mich nicht Acht; ich
gönne dir deinen fröhlichen Muth von Herzen: du würdest
nicht so fröhlich seyn, wenn du an meiner Stelle wärest.
"Und warum das, gnädiger Herr? was ist Ihnen denn
schon wieder über die Leber gekrochen?"Ach! Pedrillo, versetzte der junge Ritter, wie sollt' ich
vergessen können, wie weit ich noch vom Ziele meiner Wünsche
entfernt bin, und was für Hindernisse, ach vielleicht unübersteigliche
Hindernisse! ich noch vor mir finden werde? Ich
versichere dich, wenn die Versprechungen der Fee Radiante
mir nicht den Muth erhielten, die Gedanken, die mich in
diesem Augenblike quälen, wären fähig, mich zur Verzweiflung
zu treiben.Da sey Gott vor und unsre liebe Frau von Guadeloupe!
rief Pedrillo. Sie machen einem ja recht bange. Aber, wenn
es denn doch nur Gedanken sind, so jagte ich sie fort,
wenn ich Euer Gnaden wäre. Zum Henker, das heißt ja
sich selber quälen. Sehen Sie, gnädiger Herr, wenn
ich gesund bin, und mir nichts weh thut, und ich zu essen
und zu trinken habe, so bin ich lustig, wie der Vogel
auf dem Zweige, und bekümmere mich nicht eine hohle
Nuß darum, ob es morgen Regen oder schön Wetter
geben wird.Sag mir einmal, erwiederte Don Sylvio mit einem tiefen
Seufzer, wie kann ich aufgeräumt, ja, wie kann ich nur
ruhig seyn, solange meine geliebte Prinzessin in der Gestalt
eines Sommervogels herum irret; in einer Gestalt, die
vielleicht unter allen möglichen für meine Liebe die gefährlichste
ist!"Gefährlich, sagen Sie, gnädiger Herr? das begreif' ich
nicht, was an einem Sommervogel Gefährliches seyn kann;
denn Sie sagten ja, daß sie von den Krähen und Dohlen
nichts zu besorgen habe."Die Fee schmeichelte mir zwar, fuhr Don Sylvio fort,
daß die Prinzessin mich liebe; aber wer versichert mich, daß
eine Neigung, die gewissermaßen die Frucht eines einzigen
flüchtigen Augenblicks war, gegen die Nachstellungen aushalten
werde, die ihrem Herzen —Je, zum Deixel, unterbrach ihn Pedrillo, reden Sie im
Schlafe; gnädiger Herr? Die Gestalt eines Sommervogels
soll eine gefährliche Gestalt seyn, und Sie fürchten sich vor
den Nachstellungen, womit man, solange sie ein Schmetterling
ist, ihrem Herzen nachstellen wird! — Hab' ich in
meinem Leben so was gehört? — Es scheint, meiner Six,
wohl, daß verliebt und nicht gescheidt seyn ein Ding ist. —
Eifersüchtig! Sie müßten also auf die Sommervögel eifersüchtig
seyn, die ihr in dieser Gestalt zu nahe kommen
könnten? Verzweifelt! was das für ein schnakischer Einfall
ist! Hi, hi, hi! Auf einen Sommervogel eifersüchtig! hi,
hi! Das kommt ja gerade so heraus, als wenn Sie zum
Voraus auf einen Floh eifersüchtig seyn wollten, der sich die
Freiheit nehmen könnte, an ihrem Unterröckchen hinauf zu
hüpfen, wenn sie wieder eine Prinzessin ist.Höre, Pedrillo, mein Freund, versetzte Don Sylvio sehr
ernsthaft, ich merke schon lange, daß du gern den Spaßvogel
machst; aber laß dir einmal für allemal gesagt seyn, daß
nichts unerträglicher in der Welt ist, als Leute, die zur
Unzeit spaßhaft sind. Sage mir einmal, hast du die Geschichte
des Blätterprinzen oder des Prinzen von der Insel
des ewigen Frühlings gelesen?Des Blätterprinzen? Nein wahrlich, gnädiger Herr,
antwortete Pedrillo, den kenn' ich nicht; das ist das erste
Mal, daß ich seinen Namen höre.Du kennst also, fuhr Don Sylvio fort, die Insel der Papillons
auch nicht? —"Die Insel der Papillons? Das ist ja so viel, als wenn
einer sagte, die Insel der Sommervögel?"Gewissermaßen, antwortete Don Sylvio. Du mußt also
wissen, daß diese Papillons eine Art von geflügelten Genien
sind, an Gestalt und Schönheit den Liebesgöttern oder kleinen
Sylphen ähnlich und von ungemein verliebter Natur; aber
so flüchtig und unbeständig, daß sie immer von einem Gegenstande
zum andern flattern. Kaum hat ein solcher Pavillon
einer Schönen eine ewige Treue geschworen, so eilt er
schon, um einer andern zu sagen, daß er noch nichts geliebt
habe als sie; kurz, der nämliche Tag, ja oft die nämliche
Stunde sieht ihre Flammen entglimmen, brennen und erlöschen,
und ihre Liebe ist nicht so bald glücklich, so ist sie
nicht mehr."Das ist mir eine närrische Art zu lieben! Sie können
also reden, diese Papillons?"Ich sage dir ja, daß es keine gemeine Papillons, sondern
eine Art von Sylphen sind, welche, nach dem Bericht
eines gewissen arabischen Naturkündigers, aus der verstohlnen
Liebe einer gewissen Sylphide zu einem jungen Faun
entsprungen seyn sollen. Die überirdische Schönheit, die
immerwährende Jugend und die ätherische Behendigkeit,
womit sie begabt sind, haben sie von mütterlicher Seite her,
so wie sie von der väterlichen ihre Art zu lieben, ihre Verwegenheit
und ihren Unbestand geerbt haben.Ha, ha! Nun besinn' ich mich, rief Pedrillo, gut, gut!
Nun weiß ich, was Euer Gnaden meinen thut! Ich habe
ja in dem großen Gemälde, das in der gnädigen Frau ihrem
Cabinet hängt, solche geflügelte Bübchen, wer weiß wie oft,
gesehen! Sie kennen es ja; es stellt die Liebe des Florus und
der Zephyra —"Umgekehrt, Herr Pedrillo, du willst sagen, des Zephyrus
und der Flora."Ja, ja, so wollt' ich's eben sagen, des Florus und der
schönen Zephyra vor. Sie ist in der That schön, meiner Six!
Ich hatte nie das Herz, es recht anzuschauen; denn unser
Herr Pfarrer sagt, es sey Sünde, wenn man so was anschaue. —
Aber ich weiß doch wohl, was ich weiß! Der hat
gut sagen, der allein reden darf! Unter uns, gnädiger Herr,
der gute Herr Pfarrer ist eben auch nicht von Stahl und
Eisen; er thäte vielleicht nicht übel, wenn er sich selber ein
wenig bei der Nase nehmen wollte. Sollten Sie wohl errathen,
bei wem ich ihn neulich von ungefähr (denn, gewiß!
mit Willen geschah es nicht) antraf? — Bei der dicken Maritorne! —
Er betete gewiß das Pater nicht mit ihr, das
können Sie mir glauben! Ich mag nicht reden! Wenn es
weiter käme, so könnte sich einer die Zunge verbrennen, daß
einer wünschte, er hätte keine Augen im Kopfe gehabt —
Ich will nur so viel sagen, gnädiger Herr, Sie dürfen mir
gewiß glauben, daß es wahr ist; aber das sag' ich, ich gesteh'
Ihnen kein Wort ein, wenn es weiter käme; nein, hol'
mich Gott! nicht auf der Folter! Meiner Six, es ist nicht
gut, wenn man von solchen Herren zu viel weiß; Sie verstehen
mich wohl —Genug hiervon, sagte Don Sylvio erröthend, ich will
nichts weiter wissen — Aber was wolltest du von dem Gemälde
sagen?"Ja, von dem Gemälde, wenn ich mich's jetzt noch besinnen
kann — Ha! nun fällt mir's ein! Ich sagte, und ich
will nicht ehrlich seyn, wenn's nicht wahr ist! ich getraute
mir nie, daß ich's recht angesehen hätte. — Es ist so vorgestellt,
als ob sie bade, und da kann Euer Gnaden leicht
denken, weil sie halter meint, daß sie allein sey, und es
mitten im Sommer ist —kurz und gut, sie hat, mit Gunst
zu sagen, keinen Lappen am Leibe, nicht einmal eine Bad-ehre;
und da ist ihr Liebhaber, der Florus, auf einer Wolle vorgestellt
und sieht so ernsthaft auf sie herab, als ob er sie
mit den Augen aufessen wolle, und da flattern eine ganze
Menge von diesen kleinen Bübchen mit Schmetterlingsflügeln
um ihn her und werfen einander mit Rosen."Gut, gut, sagte Don Sylvio: du mußt aber wissen, daß
diese Papillons durch die Gewalt einer Bezauberung, welche
Amor, dessen Unwillen sie sich zugezogen, auf sie legte, ihre
Gestalt verlieren, sobald sie sich über die Insel erheben, wo
sie geboren werden. Kurz, sie werden Schmetterlinge oder
scheinen es doch zu seyn, da ihnen von ihrer eigenthümlichen
Gestalt nichts mehr als die Flügel übrig bleiben. In dieser
Gestalt mischen sie sich unter die wahren Schmetterlinge
und bedienen sich ohne Scheu der Vorrechte, die eine Vestalin
selbst sich kein Bedenken machen würde diesen kleinen unschuldigen
Thierchen zuzulassen; und ihre unwiderstehliche
Neigung zu Liebesstreichen hat sie, selbst in dieser Gestalt,
schon öfters gefährlicher gemacht, als man denken sollte.
Denn, da sie reden können —Reden? fiel ihm Pedrillo ein. Je, das muß ja überaus
schnakisch heraus kommen, wenn's wahr ist, beim Velten!
Ein redender Schmetterling! Ich möchte nur einen einzigen
haben, der reden könnte; ich versichere Sie, ich wollte in
vier Wochen so viel Geld mit ihm gewinnen, daß ich mir
ein kleines Königreich dafür kaufen könnte. Aber nun merk'
ich endlich, warum Euer Gnaden nicht recht wohl bei der
Sache ist. Sie haben wahrlich so unrecht nicht! Ein Papillon,
der reden kann, der ein Sylphe ist und, eh man
sich's versieht, sich in einen schönen krauslockigen Buben verwandelt,
potz Wetter; das ist kein Spaß nicht! Es ist doch
immer eine Möglichkeit, daß die Prinzessin in Bekanntschaft
mit einem von diesen bunten Teufelchen kommen könnte;
und dann setzen sie sich mit einander auf einen Strauch
und schwatzten eins, solang der Tag wäre; und dann gibt
eine Rede die andere, sagte das Bauermädchen, und dann
rückt man unvermerkt immer näher und näher zusammen,
und dann — Sie verstehen mich, ich will nicht sagen, was
weiter geschehen könnte. Aber wir sind alle Menschen, und
es käme nur darauf an, daß das arme Ding einen Augenblick
vergässe, das sie Euer Gnaden Liebste ist, so würden
wir ein schönes Spiel sehen.Wenn ich nicht wüßte, rief Don Sylvio entrüstet, daß
du selbst nicht weißt, was du plauderst, du solltest mir die tolle
Frechheit, womit du dich erkühnst, die Tugend meiner unvergleichlichen
Prinzessin anzuschmitzen, mit jedem Tropfen
deines dummen Ochsenbluts bezahlen.Ich bitte Euer Gnaden tausendmal um Verzeihung, sagte
Pedrillo, indem er etliche Schritte zurück sprang; ich will
gehangen seyn, wenn ich es so böse gemeint habe, als Sie
es aufnehmen; Sie erzürnen sich aber auch gleich, wenn
ich nur ein Wörtchen sage. Man kann doch einen Pelz nicht
waschen, ohne ihn naß zu machen, sapperment! Entweder
Sie sind eifersüchtig oder nicht; sind Sie's, so müssen Sie
doch eine Ursache dazu haben, und wenn Sie keine Ursache
haben, je, zum Geier, was machen Sie mit der Eifersucht?Wenn ich eifersüchtig bin, wie du es nennst, versetzte
Don Sylvio, so bin ich es bloß über ihr Herz; nicht als ob
ich besorgte, daß sie fähig wäre, einen Schritt zu thun, der
ihre Tugend verdächtig machen könnte. Sie ist für mich bestimmt,
dafür hab' ich das Wort der Fee Radiante und
die Prinzessin weiß es, daß sie die Meinige werden soll.
Ich bin also ihrer Person gewiß und ich würde mich selbst
verachten, wenn nur der Schatten eines Argwohns gegen
ihre Ehre in meine Seele kommen könnte. Unsere Person
ist allezeit in unserer Gewalt; aber unsere Empfindungen
sind es nicht: ein Andrer könnte ihr Herz besitzen, indem ich
nichts als der Besitzer ihrer Schönheit wäre.Ich will nicht ehrlich seyn, Herr Don Sylvio, fiel ihm
Pedrillo ein, wenn ich verstehe, was Euer Gnaden damit
meint! Beim Element! wenn ich die Person habe, so hab'
ich ja auch das Herz der Person, und wenn ich das Herz
habe, so hab' ich auch die Person, der es angehört, das geht
ja nie ohne einander. Sehen Sie, ich verstehe mich nichts
auf Ihre Destillationen; aber ich sage so viel: wenn ich
eine Frau hätte, die mich nicht von Herzen lieb hätte, so
würde mir die Stirne verzweifelt jucken, wenn sie gleich die
Tugend selbst wäre. Wer einmal das Herz eines Weibsbilds
hat, sehen Sie — Sachte! was für ein Geräusch war
das? Hörten Sie nichts, gnädiger Herr?Nein; was hörtest du denn?"Es war ein Geräusch dort von jener Seite her, aus
dem Gebüsche."Es ist vielleicht ein Vogel gewesen."Der Himmel gebe nur, daß es kein Raubvogel sey, gnädiger
Herr! — Jetzt ist es wieder ganz stille — Und, was
wollt' ich sagen? Wir sprachen von Ihrer Eifersucht; ja, und
da sagt' ich — Es rauscht schon wieder — Heiliger Schutzengel!
was kommt da? — Gott sey bei uns! — eine Zwergin!
eine Unholdin!"Still, du feige Memme, lispelte ihm Don Sylvio zu,
der jetzt sah, was den guten Pedrillo in einen so großen
Schreien setzte; es ist, wie ich sehe, eine Fee.Eine Fee, sagen Sie? Ja, von den Feen, die auf der
Gabel zum Schornstein hinaus fahren! Meiner Treu! sie
sieht einer Hexe ähnlicher, als eine Taube ihrem Tauber.Halt' ein mit dergleichen Reden, Pedrillo; es ist möglich,
daß es eine von meinen guten Freundinnen ist! Die schönsten
Feen pflegen zuweilen in Gestalt häßlicher alter Weiber
zu erschienen, um zu sehen, wie man ihnen in dieser Gestalt
begegnet.Ha! nun seh ' ich erst, was es ist, rief Pedrillo; ha, ha,
hi, eine Zigeunerin ist es, gnädiger Herr. Sehen Sie sie nur
recht an, es ist eine Zigeunerin, das ist keine Frage. Sie
kommt eben recht, sie soll uns unser gutes Glück sagen.Nimm dich in Acht, Pedrillo, flüsterte Don Sylvio, es
ist eine Fee, sag' ich dir; wenigstens ist es doch möglich,
daß es eine ist und in solchen Sachen ist's immer besser,
man geht den sichersten Weg; sie mag nun seyn, was sie
will, so wollen wir ihr doch als einer Fee begegnen, so wagen
wir nichts dabei.Unter diesen Reden näherte sich ihnen die vermeinte Fee,
welche in der That weder mehr noch weniger als eine alte
bucklige Zigeunerin war, die nicht ohne Ursache in dieser
Gegend herum spuckte und zum wenigsten eben so betroffen
war, als unser Wanderer, da sie eines jungen Menschen
von so edlem Ansehen, als Don Sylvio, in diesem Gehölz
und in einem solchen Aufzug ansichtig wurde.—————
Siebentes CapitelAbenteuer mit der Zigeunerin.Sobald die Zigeunerin näher gekommen war, stand Don
Sylvio vor ihr auf, grüßte sie sehr höflich und fragte: ob
er etwas zu ihren Diensten thun könne?Heilige Barbara! rief sie aus; was macht ein so schöner
junger Herr in diesem Walde? Habt Ihr Euch etwa verirrt,
oder sucht Ihr vielleicht —He! Frau Zigeunerin, unterbrach sie Pedrillo nicht so
vorwitzig! Haben wir Euch doch auch nicht gefragt, was Ihr
sucht! — Wer sagt Euch —Schweig, ungezogener Tölpel, rief Don Sylvio, indem
er einen zürnenden Blick auf ihn warf. — In der That,
meine liebe alte Mutter, Ihr könntet Euch wundern, was
ich hier mache, wenn Ihr nicht, wie es scheint, schon vorher
wüßtet, was ich suche.Hey da! Großmutter (sagte Pedrillo, dem der Alicantenwein
ein wenig in den Kopf gestiegen war), Ihr könnt ja
wahrsagen, nicht so? Seht ihm einmal in die Hand und
sagt mir, ob er eine glückliche Physonomie habe?Ich brauche seine Hand nicht dazu, erwiederte die Alte,
das seh' ich ihm an den Augen an. Gelt, junger Herr mit
dem glatten Jungfergesichtchen, so jung Ihr seyd, so wißt
Ihr doch schon, was die Liebe ist? hi, hi, hi, Ihr werdet
roth! hab' ich's errathen?Zum Henker, sagte Pedrillo, das seht Ihr ihm an den
Augen an, Mütterchen? So seht Ihr gewiß auch, daß die
Prinzessin, die er liebt, ein Sommervogel ist, he?Ein Sommervogel? rief die Zigeunerin aus, hi, hi, hi!
Ein guter Einfall! Ich glaub' es bei meiner Redlichkeit!
daß sie ein Sommervogel ist — Ist er schon flicke, junger
Herr, hat er schon Federn? hi, hi! Ich verstehe mich auch
ein wenig auf diese Art von Sommervögeln, ich; ich weiß
die Zeit, da ich zu Sevilla ihrer eine hübsche Anzahl in meinem
Käficht hatte, das könnt Ihr mir glauben! Aber es
scheint, er ist Euch ausgeflogen, weil Ihr ihn sucht?Es däucht mich fast, alte Mutter, sagte Pedrillo, Ihr
wißt mehr von der Sache, als wir selbst. Aber ich bitte
Euch, weil Ihr in seinen Augen so viel gesehen habt, so werdet
Ihr in seiner Hand noch mehr sehen, das hab' ich mein
Tage gehört. Jhre Hand, gnädiger Herr, wenn Sie so gut
seyn wollen! Seht einmal, Mütterchen, was sagt Ihr zu
diesen Ligamenten.Meiner Treu! rief die Zigeunerin, eine feine weiße
Hand! Höret, mein schöner Herr, wenn Ihr einen blanken
Thaler in diese schöne Hand legt, so will ich Euch wahrsagen,
daß es eine Lust seyn soll.Einen Thaler? sagte Pedrillo. Potz Herrich, Gevatterin!
ich glaube, du hast noch nicht ausgeschlafen. Einen ganzen
Thaler! Wenn du noch einen Real gesagt hättest, das ließe
sich endlich wagen; denn wir haben's eben nicht so nöthig,
daß du uns wahrsagest, verstehst du mich; wir wissen doch
schon, was wir wissen.Das ist noch die Frage, antwortete die Alte: wer weiß
was geschehen kann! Es ist noch nicht aller Tage Abend,
und so viel ich merke —Hier ist der Thaler, meine gute Mutter, sagte Don
Sylvio: kehret Euch nicht an das alberne Geschwätze dieses
Burschen hier! Er ist eine gute Art von einem Jungen,
aber er weiß oft selbst nicht, was er sagt; man muß ihm
nichts übel nehmen,Junger Herr, antwortete die Zigeunerin, Ihr habt so gute
Manieren, daß ich Euch wohl mehr zu Gefallen thun wollte,
als das, was ich noch wäre, was ich vor Zeiten war. Bei
St. Jago! ich hatte auch meine Zeit, das könnt Ihr mir
glauben! Man wird von langem Leben alt, wie Ihr seht;
aber ich erinnere mich der Zeit noch wohl, da ich die artige
Zigeunerin hieß, und da sich die jungen Herren von Toledo
um die Ehre rauften, mir Ständchen zu bringen; ich machte
meiner Treu! eine Theurung in den Saiten, so viele Guitarren
und Lauten wurden mir zu Liebe zersprengt! Da
regnete es Sonette! — und Pistolen auch, das versichre
ich Euch!Gut, gut, sagte Pedrillo ungeduldig: wir bekümmern
uns viel um die Ständchen, die man Euch vor hundert Jahren
gebracht hat, als der Teufel noch ein kleiner Junge war,
und Ihr Eure Zähne noch im Maule hattet. Zur Sache,
wenn ich bitten darf! Ihr habt nun unsern Thaler, wir
wollen jetzt auch von Eurer Waare haben. — Ihre Hand,
gnädiger Herr!"Nur noch einen einzigen kleinen Thaler, mein schöner
junger Herr, so will ich Euch wahrsagen, daß Ihr's nicht besser
wünschen sollt."Hier ist er, sagte Don Sylvio, indem er ihr, so sehr
auch Pedrillo murrte, den Thaler auf seiner Hand darbot."Eine hübsche Hand, wie ich sagte, eine feine glückliche
Hand, junger Herr. Hi, hi, hi, sagt' ichs nicht? Du bist
verliebt, Schätzchen, gelt? Das gute Kind! Du brauchst
nicht roth zu werden, du hast das rechte Alter dazu; ach, es
ist eine so hübsche Sache um die Liebe! Wie? lass' einmal
sehen! In ein artiges kleines Mädchen bist du verliebt, in
ein wunderartiges kleines Mädchen —"Getroffen, mein Seel! rief Pedrillo: in der That wunderartig
und kleiner als eine Puppe."Noch ein junges Mädchen, sehr jung, ein wenig flatterhaft —Flatterhaft in der That, sagte Pedrillo, denn sie flattert
über Stauden und Hecken, daß ihr der Henker nicht nachkommen
kann —"Das wird sich Alles schon geben! Man wird alle Tage
um einen älter. Sie liebt dich doch, nicht wahr?"Das ist es eben, fuhr der geschwätzige Pedrillo heraus,
was wir gerne wissen möchten; denn wir haben so einen gewissen
kleinen Argwohn, eine gewisse Suspection —Schweig' rief Don Sylvio: kannst du denn dein Maul
nicht einen Augenblick halten?Daß sie einen Andern liebt? fuhr die Zigeunerin fort;
das kleine schelmische Ding! einen Andern — das ist verzweifelt!
Aber so sind die jungen Mädchen! wer ihnen
Tändeleien und Liebkosungen vorsagt, verderbt seine Zeit gewiß
bei ihnen nicht. Ja wohl! sie liebt einen Andern! Ich wette
gleich, daß es einer von diesen kleinen süßen Herrchen ist,
von diesen Papillons, die um alle hübsche Blumen herumflattern
und auf keiner sitzen bleiben —Holla, Frau Zigeunerin, rief Pedrillo, da er sah, daß
Don Sylvio bei diesen Worten so blaß wie eine Leiche ward:
Ihr sagt mehr, als wir wissen wollen.Ich habe genug, sagte Don Sylvio, indem er seine Hand
zurückzog: laß mich gehen, mein Unglück ist gewiß; sie hat
es sogar in meiner Hand gelesen!Was hat das auf sich? unterbrach ihn Pedrillo wenn
man es nur nicht an Ihrer Stirne liest. Hei da, Großmutter,
wir wollen von was Anderem reden. Was sagt Ihr
zu meiner Hand? Da sind zwei Realen, ich denke, dafür
sollte sich schon was Hübsches sehen lassen.Bei meiner Treu, rief die Alte, nachdem sie ihm einen
Augenblick in die Hand geguckt hatte, in was für einem
Zeichen sind diese jungen Leute geboren? Ihr seyd ja so verliebt,
wie die Meerschweinchen! Ei! da sind gleich fünf oder
sechs Weiber an einem Stängel —"Fünf oder sechs Weiber? Ihr seyd nicht klug. Mädchen,
wollt Ihr sagen: was wollt Ihr, daß ich mit so vielen Weibern
anfangen soll?"Sie werden gewiß nicht abstehen, auf mein Wort, versetzte
die Alte: was du nicht brauchst, ist gut für andre
Leute. Du wirst dir doch nicht einbilden, daß du eine
hübsche Fran für dich allein haben wollest? — Meiner Treu!
ich sehe hier eine, die mir die Miene hat, als ob sie dir
gute Freunde machen werde."Wie? was? Ihr setzt die Person, die ich jetzt im Sinne
habe, in meiner Hand?"Ohne Zweifel."Das wollen wir doch sehen! Ist sie groß oder klein, alt
oder jung, fett oder mager? Antworte mir einmal auf das,
mein gutes Mütterchen!"Sie ist weder zu groß noch zu klein, weder zu alt noch
zu jung und, was man sagen möchte, eher fett als mager;
nicht wahr, es ist so?"Pestilenz! wie macht Jhr's denn, daß Ihr Alles das in
meiner Hand sehen könnt? Seht Ihr denn auch die großen
schwarzen Augen, die sie im Kopfe hat?"In der That, ein Paar hübsche schwarze Augen, ein Paar
freundliche einladende Augen, das gesteh' ich! Schwarze Augen,
schwarzes Haar und ein hübscher Mund voll perlenfarbner
Zähne läßt gut zusammen."Beim Element! Ihr kennt sie ja so gut, als ich selbst.
Aber weiter: einen Busen, he?"O! das versteht sich, wenn anders der Schneider —"Wie? der Schneider, sagt Ihr? Wahrhaftig, da kommt
Ihr mir recht! Beim Element! es schneidert sich nichts, das
könnt Ihr mir wieder nachsagen! Was das betrifft, so darf
sie sich neben einer Infantin sehen lassen, sie mag seyn, wer
sie will, das versprech ich Euch! — Und was sagt Ihr zu ihren
Füßchen? Sind sie nicht niedlich? gelt? Und ein Paar
Waden! — Ihr werdet sie vor dem Rocke nicht recht sehen
können — aber Ihr könnt mir's sicher glauben, daß man sie
nicht schöner drechseln könnte."In der That, du hast Recht, es ist ein hübsches, rundes,
drolliges Ding; aber desto schlimmer für dich, mein Sohn!"Warum desto schlimmer?"O! das ist keine Frage! Du wirst es erfahren, denk' an
mich, du wirst es erfahren, was es auf sich hat, eine hübsche
Frau zu haben! Sie wird dir was aufsetzen, denk' an mich!
sie wird dir was aufsetzen! mehr will ich nicht sagen.Ei, potz Gift! rief Pedrillo, ich denke, das ist genug gesagt.
Sie wird mir was aufsetzen! Ihr wollt sagen, sie
werde mir Hörner aufsetzen?Ich will eben nicht sagen Hörner, aber doch so was —so
was — das die Stirne jucken macht, so — eine Art von
Sprossen wenigstens. Kurz und gut, wenn du ein eigenes
Haus kriegst, so lass' auf mein Wort die Thüren so doch
machen, als du kannst; in dergleichen Umständen kann man
nie zu vorsichtig seyn. — Aber ich verderbe hier meine Zeit;
ich denke, ihr habt für euer Geld so viel gehört, daß ihr zufrieden
seyn könnt; ich habe Geschäfte. Lebt wohl, meine
Kinder, bis wir uns wieder sehen.Mit diesen Worten ging die Zigeunerin ihres Weges und
ließ den guten Pedrillo in keiner geringen Verlegenheit, was
er von ihr denken sollte. Zum Henker, rief er, indem er
nach seinem Herrn lief, der sich in großem Unmuth unter
einen Baum geworfen hatte. — wenn diese alte bucklige Hexe
keine Fee ist, wie Euer Gnaden sagte, so red't der böse Feind
leibhaftig aus ihr. Das ist einmal gewiß, daß es mit ihrer
Wahrsagerei nicht natürlich zugeht. Wie konnte sie wissen,
daß Sie in eine Prinzessin verliebt sind, und daß die Prinzessin
ein Papillon ist? Und hat sie mir nicht die Frau
Beatrix so natürlich beschrieben, als ob sie die Mutter wäre,
die sie geboren hat? Und doch ist gewiß, daß sie uns heute
zum ersten Mal sieht. Was sagen Sie hierzu, gnädiger
Herr? Ich für meine Person gestehe, daß ich mich eher zum
Gimpel sinnen würde, eh' ich aus all diesem verfluchten
Zeuge klug werden könnte.Don Sylvio, der in tiefen Gedanken da gelegen und auf
die Reden seines Reisegefährten keine Acht gegeben hatte,
wachte jetzt auf einmal auf. Höre, Pedrillo, sagte er, ich
will dir meine Gedanken von dieser Begebenheit sagen und
bin gewiß, daß ich mich nicht betrüge. Aber wo ist die
Zigeunerin hingekommen?"Verschwunden ist sie, gnädiger Herr, ich weiß selbst nicht
wie! Ich guckte nur einen Augenblick auf die Seite, und,
wie ich wieder herüber sah, weg war sie!"Ich gestehe dir, fuhr Don Sylvio fort, daß ich nicht
gleich im Stande war, mich zu fassen, da sie mir die Untreue
der Prinzessin anzukündigen schien. Anfangs nicht; denn
du hattest es ihr aus Unbedachtsamkeit auf die Zunge gelegt;
aber der Umstand, daß es ein Papillon sey, dem ich
aufgeopfert werde, war eine zu starke Bestätigung meiner
vorigen Besorgnisse, als daß ich hätte gelassen bleiben können.
Allein, seitdem ich Allem, was sie sagte (denn ich erinnere
mich noch eines jeden Worts), und dem Ton und der
Miene, womit sie es sagte, besser nachgedacht habe, bin ich
überzeugt, daß der verstellte Salamander, die Sylphide, mit
der ich diesen Morgen reiste, und diese Zigeunerin eine und
ebendieselbe Person sind, und daß alle diese Erscheinungen
nichts als boshafte Kunstgriffe sind, wodurch meine Feinde
mich von der Vollendung meines Vorhabens abzuschrecken
suchen. Mit einem Wort, ich zweifle keinen Augenblick
daran, daß diese Zigeunerin nichts Geringers als die Fee
Carabosse selbst war. So viel ist gewiß, daß sie vollkommen
die Gestalt hatte, welche die Geschichte dieser Fee beilegt;
denn sie war klein, bucklig, schielend, triefaugig und ganz
schwarzgelb im Gesicht. Dem sey, wie ihm wolle, ich bin fest
entschlossen, mich durch alle diese Kunstgriffe nicht irre machen
zu lassen. Nein, meine theure Prinzessin (fuhr er mit erhöhtem
Ton der Stimme fort, indem er ihr Bildniß ansah
und an seinen Mund drückte), nichts ist vermögend, die
reine und unsterbliche Flamme zu ersticken, die deine göttliche
Schönheit in meiner Brust entzündet hat! Auch kaltsinnig,
auch unbeständig, auch ungetreu würde ich dich nicht
weniger lieben. Aber verflucht sey der Gedanke, der dich
mir ungetreu vorstellen will, nachdem die gütige Fee, die
uns beschützt, mich deiner Zärtlichkeit versichert hat! Ach!
vielleicht liegst du in diesem Augenblicke, fern von mir, in
einer Einöde, wohin dein Schmerz oder das Verhängniß
dich getrieben hat, im Schoß einer aufblühenden Rose verborgen
und bethauest ihre duftende Brust mit deinen Thränen
und jammerst, daß ich dich verlassen habe! — Himmel!
ich sollte dich verlassen können? Nein, du süße Beherrscherin
meiner Seele, der Tod selbst, in der furchtbarsten Gestalt,
die ihm die Grausamkeit unserer Feinde geben kann, soll
nicht verhindern, daß mein Schatten, von seiner unsterblichen
Liebe beseelt, dich überall suche, dir überall nachfolge und,
die Götter um ihre Sphären nicht beneidend, in deiner Brust
sein besseres Elysium suche.Don Sylvio brachte diese pathetische Rede mit so vieler
Lebhaftigkeit, mit einem so zärtlichen Tone der Stimme und
mit so rührenden Bewegungen vor, daß dem armen Pedrillo,
der mit offnem Maul und Augen zuhörte, die Thränen
über die Backen herabrollten, ohne daß er wußte, wie ihm
geschah.Bei meiner Treu, Herr Don Sylvio, rief er aus und
wischte sich die Augen mit der Hand, Sie haben eine außerordentliche
Gabe, einen weichherzig zu machen. Wie machen
Sie's doch, daß Ihnen alle diese schönen Sachen einfallen,
die Sie da sagten? Pestilenz! wenn Euer Gnaden ein Pfarrer
wäre und auf der Kanzel so predigte, das setzte Zähren
ab! Meiner Six, es gäbe ein Gewässer, daß man mit Nachen
in der Kirche fahren müßte! Ich wollte was drum geben,
wenn ich Alles hätte behalten können: aber ich habe mir
doch die aufblühenden Rosen und den duftenden Schoß der
Thränen und den unsterblichen Schatten gemerkt; und hernach
brachten Sie auch den Ahasverus drein und etwas
von der Liebe und von der heiligen Elisabeth — Sterb' ich,
wenn ich begreife, wie Sie das Alles so haben zusammen
bringen können! Aber, auf die Hauptsache zu kommen —Gut, gut, unterbrach ihn Don Sylvio, die Hauptsache
ist, daß wir den blauen Sommervogel suchen müssen! Packe
deine Sachen wieder zusammen und laß uns weiter gehen.
Aber ich sehe hier mehr als einen Fußweg durch's Gehölze —
wo ist Tintin? — Mich däucht, ich habe ihn schon etliche
Stunden nicht gesehen.Die Frage war ein Donnerschlag für den Pedrillo, der
sich jetzt plötzlich erinnerte, daß er den armen Tintin seit
dem Abenteuer mit dem Froschgraben gänzlich aus der Acht
gelassen hatte. Allein, da ihm zugleich beifiel, daß ihm sein
Herr eine solche Nachlässigkeit nicht vergeben würde, so versicherte
er ihn, daß er nicht weit gegangen seyn könne. Ich
habe ihn diese ganze Nacht auf dem Arme getragen, setzte er
hinzu, denn er war so müde, das arme kleine Ding! daß er
sich nicht mehr rühren konnte, und er war diesen Morgen
noch da, als die Zigeunerin kam; ich will ihn rufen, er
wird sich nicht weit verlaufen haben.Pedrillo rief also, was er rufen konnte, und sein Herr
half ihm rufen und suchen. Aber sie waren nicht glücklicher
als die Argonauten, da sie den schönen Hylas suchten, den
die Nymphen geraubt und in ihre Grotten unter die Wellen
hinab gezückt hatten; die Suchenden durchstrichen den Hain
und das Ufer und riefen: Hylas, Hylas! daß der Hain und
die Ufer ertönten; umsonst, Hylas lag indessen in den Armen
der schönsten Nymphe und hörte ihr Rufen nicht. So ging
es auch hier, mit dem einzigen Unterschiede, daß Tintin in
diesem Augenblike, anstatt am Busen einer schönen Nymphe
zu ruhen, in den ledernen Armen der schwarzgelben Zigeunerin
lag, welche ihn, bald nachdem sie von unsern Reisenden
Abschied genommen, halb todt vor Mattigkeit auf der
Spur seines Herrn gefunden und, weil er überaus klein
und artig war, mit sich genommen hatte.Don Sylvio wurde über diesen neuen Unfall äußerst betrübt,
und es fehlte wenig, so hätte er dießmal den Muth gänzlich
sinken lassen. Pedrillo hatte keine Mühe, ihn zu bereden, daß
Tintin von der Fee Carabosse gestohlen worden sey, aber eine
desto größere, ihn von hundert tollen Entschließungen abzubringen,
auf die er in seiner Verzweiflung verfiel.Vielleicht wäre dieß der Augenblick gewesen, da er seinem
Herrn den Antrag hätte machen können, wieder umzukehren;
allein seit der Conversation, die er mit der kalten Pastete
und der Flasche Alicantenwein gehalten hatte, war wieder
eine kleine Veränderung in seiner Denkungsart vorgegangen,
und er dachte jetzt so wenig ans Wiederkehren, daß es ihm
leid gewesen wäre, wenn Don Sylvio selbst davon angefangen
hätte. Die Wahrheit zu sagen, so kam bei dem guten
Pedrillo Alles auf die Umstände des gegenwärtigen Augenblicks
an. Er dachte anders bei Nacht und anders an einem
schönen Sommertage, anders in einem Wald, anders auf
freiem Felde, anders in einem Froschgraben und anders nach
einem guten Frühstücke. Pedrillo war in diesem Stück ein
zweiter Seneca, und der ganze Unterschied zwischen ihm und
einem Philosophen lag bloß darin, daß er sich keine Mühe
gab, seine Widersprüche in einen Zusammenhang zu raisonniren.
Er strengte also seine Beredsamkeit an, um seinen
Herrn zu überreden, daß noch nichts verloren sey. Tintin
wird sich wieder finden, eh wir's denken, sagte er, lassen
wir nur die Frau Rademante dafür sorgen! Wer weiß, was
sie für Absichten dabei hat, daß er weg ist! Man muß das
Beste hoffen, gnädiger Herr, das Böse kommt von sich selbst.
Einmal, die Fee, wenn sie Jhre gute Freundin ist, muß
als eine brave Frau ihr Wort halten, wir müssen über lang
oder kurz unsere Prinzessin haben, und damit Punctum!Dieser kräftige Zuspruch beruhigte das Gemüth unsers
bekümmerten Helden wieder in etwas; und weil eine angenehme
Luft, die von der Seeseite her den Wald durchstrich,
die Wärme ziemlich mäßigte, so beschlossen sie, ihren Weg
noch eine Zeit lang unter den Bäumen fortzusetzen.—————
Achtes CapitelDon Sylvio ermüdet sich über dem Suchen des blauen Schmetterlings
und und schläft nach einer starken Feldmahlzeit ein.Da die Absicht des Don Sylvio bei dieser wundervollen
Wanderschaft ganz allein war, den blauen Sommervogel aufzusuchen,
so kann man leicht denken, daß beinahe jeder
Schmetterling, der ihm in den Weg kam, seine Aufmerksamkeit
an sich zog,Dießmal schien es, nach Pedrillo's Beobachtung, nicht
anders, als ob die Fanferluchen und Carabossen recht mit
Fleiß alle Sommervögel der ganzen Welt zusammen getrieben
hätten, um sie in diesem Gehölze herum zu sprengen!
Aus jedem Busche flatterten ihrer ein halb Duzend hervor,
und unser Ritter, der alle Augenblicke seine Prinzessin zu
sehen glaubte, setzte sich in den Kopf, daß er nicht ruhen
wollte, bis er sie erhascht hätte, Pedrillo mochte fluchen, wie
er wollte, es half Alles nichts, er mußte seinem Herrn Gesellschaft
leisten.Allein, nachdem sie ein paar Stunden lang wie die Unsinnigen
hin und wieder gelaufen und so müde waren, daß sie
sich kaum auf den Beinen halten konnten, so fand es sich,
daß die verwünschten Schmetterlinge sie nur zum Besten gehabt
hatten. Es waren ihrer so viele gewesen, daß man eine
Sammlung in ein Cabinet davon hätte machen können; gelbe,
rothe, weißgraue, feuerfarbne, aurorafarbne, bunte, getüpfelte,
gestrichelte, pfauenaugige, kurz, Schmetterlinge von
allen Farben und Arten. nur kein redender und keine Prinzessin.Herr Don Sylvio, rief endlich Pedrillo keuchend, indem
er unter einen Baum hinsank, ich kann nicht mehr. Ich
wollte, daß die Pestilenz unter alle Schmetterlinge käme,
unsre Prinzessin ausgenommen; so hätten wir doch noch Hoffnung,
sie zu finden. Denn das sag' ich rund heraus, wenn
sich die Frau Rademante unser nicht besser annimmt als bisher,
so geb' ich das Suchen auf.Pedrillo, mein Freund, antwortete Don Sylvio mit erstickter
Stimme, ich bin so matt, daß ich mich nicht mehr
rühren kann. Sieh doch, ich bitte dich, ob du nicht einen
bequemen Platz zum Ausruhen findest; und wenn ich wieder
reden kann, so will ich dir meine Gedanken sagen.Gehen Sie nur noch etliche Duzend Schritte weiter,
sagte Pedrillo, wenn Sie anders noch so weit gehen können:
ich sehe dort einen schönen grünen Platz, der gegen das Feld
hinaus offen ist, dort hinter den Olivenbäumen; mich däucht,
das sollte kein unfeiner Platz seyn.In der That fanden sie ihn, da sie hinzu kamen, noch
anmuthiger, als er von fern geschienen hatte; denn es zog
sich ein hohes Gebüsche von gelben und weißen Rosen auf
der einen Seite um ihn her und machte eine Art von natürlicher
Laube; und wo er offen war, hatte man eine Aussicht
auf die schönsten Wiesen, von hundert schlängelnden Bächen
durchschnitten, deren Rand, zu beiden Seiten mit fruchtbaren
Bäumen besetzt, dem entzückten Auge das Gemälde
eines Paradieses darstellte.Was für ein angenehmer Ruheplatz! rief Don Sylvio,
dem dieser Anblick wieder den Muth erhöhte. Sollte man
nicht denken, daß ihn irgend eine Nymphe oder Fee in diesem
Augenblicke für uns habe entstehen lassen? Aber ich bitte
dich, hole mir eine Flasche Wasser aus der Quelle, die dort
zwischen den Rosensträuchen fließt; ich bin ganz leck vor
Durst und Mattigkeit. Indem er das sagte, warf er sich auf
den Rasen hin, der so weich und zart war, wie ein sammtnes
Polster.Pedrillo kam in der Minute mit seiner Flasche zurück.
Munter, munter, Herr Don Sylvio! rief er ihm zu; hier
ist Wassers die Fülle, und was noch mehr ist, hier sind noch
ein paar Flaschen Wein von Malaga in meinem Zwerchsacke,
die uns jetzt desto besser schmecken werden, weil wir sie so
sauer verdienen mußten. Hei sa! auf Gesundheit unsrer
Prinzessin! Was noch nichts ist, kann etwas werden. Nur
gutes Muths, gnädiger Herr! es ist noch nichts verspielt.
Wir sind ja noch keinen Tag auf der Reise, und es wäre
vielleicht besser, wenn wir nicht so gar nöthig thäten. Man
weiß ja, beim Velten! wie die Weibsleute sind: ich wette,
wenn wir ganz ruhig unsre Straße zögen, uns Essen und
Trinken schmecken ließen und thäten, als ob uns nicht viel
daran gelegen wäre, sie käme wohl von sich selbst und ließe
sich so willig haschen, als jene Schäferin, die vor einem Hirten,
den sie liebte, fliehen wollte und in eine Grotte lief.
Zum Henker! wer hat mehr dabei zu gewinnen, als sie? Meinen
Euer Gnaden, daß sie lieber ein armer blauer Schmetterling
ist, als eine Prinzessin und Ihre Gemahlin? Das soll sie
einem Andern weiß machen! Es ist also, wie Sie sehen,
noch nichts versäumt. Wir wollen es den verdammten Carabossen
zum Possen thun und lustig seyn. Auf, gnädiger
Herr! Essen und Trinken hält Leib und Seele zusammen;
greifen Sie zu! Wer weiß, ob wir nicht morgen mit unsrer
Prinzessin in einem Schlosse von Alabaster aus lauter Regenbogenschüsseln
zu Mittag essen!Dieser schöne Zuspruch des Pedrillo wurde durch sein Beispiel
und den Appetit unsers Helden so nachdrücklich unterstützt,
daß er (wenn uns dieser Jansenistische Ausdruck erlaubt
ist) eine unwiderstehliche Wirkung thun mußte.Don Sylvio erfuhr bei dieser Gelegenheit, wie richtig die
Anmerkung des weisen Zoroaster ist, welcher in einem seiner
verloren gegangenen Bücher versichert, daß ein Pfund weißes
Brot, eine kalte Pastete und eine Flasche Wein von Malaga bei
einer Person, die guten Appetit und lange nichts gegessen
hat, ein bewährtes Mittel gegen allen Kummer sey. Sein
Muth nahm in dem nämlichen Verhältnisse zu, in welchem
die Pastete und die Flasche abnahmen; die fröhlichen Geister
des Weins zerstreuten in kurzer Zeit die schwarzen Dünste,
womit sein Gehirn umzogen war, und allmählich nahmen
angenehme Bilder, lächelnde Aussichten und süße Träumereien
ihre Stelle ein; bis endlich der Gott des Schlafs,
ohne ein Körnchen Mohnsamen dazu nöthig zu haben, seiner
aufgelösten Sinne sich bemächtigte und, indem er ihn sanft
betäubt ins Gras hinstreckte, den Zephyren Befehle hinterließ,
ihn von Zeit zu Zeit mit vertropfenden Rosen zu bestreuen.Pedrillo folgte in wenigen Augenblicken dem Beispiele
seines Herrn, nachdem er die Vorsicht gebraucht hatte, sich
und seinen vielgeliebten Zwerchsack zwanzig oder dreißig
Schritte weit von ihm weg hinter ein Gebüsch in Sicherheit
zu bringen.Unsere Leser befinden sich vermuthlich durch die narkotische
Kraft unsrer Erzählung in den nämlichen Umständen; und
damit sie, wenn sie Lust haben, unsern Schläfern Gesellschaft
leisten können, so wollen wir hier eine kleine Pause machen.—————
Neuntes CapitelDas artigste Abenteuer in diesem ganzen Buche.Pedrillo hatte ungefähr zwei oder drei Stunden geschlafen,
als er wieder aufwachte. Weil er sich nun wieder vollkommen
munter befand, so stand er auf und schlich aus seinem
Busch hervor, um nach seinem Herrn zu sehen. Aber wie
groß war sein Erstaunen über den Anblick, der sich ihm darstellte,
da er näher hinzu kam! Eine spröde Schäferin, die
in einer Sommerlaube schlummernd, von den Freuden geträumt
hat, welche sie wachend verachtet, kann nicht bestürzter
seyn, wenn sie, plötzlich auffahrend, sich in die Arme
eines kühnen Liebhabers verwickelt fühlt; als es Pedrillo
war, da er zweier junger Frauenzimmer gewahr ward, welche,
halb vom Rosengebüsche versteckt, neben seinem Herrn standen
und ihn aufmerksam zu betrachten schienen.Beide waren wie Schäferinnen gekleidet, beide schienen
nicht viel über sechzehn Jahre alt zu seyn, und beide däuchten
ihm so schön, daß er eine gute Weile zweifelte, ob sie nicht
zu den Nymphen und Sylphiden gehörten, die seinem Herrn
so gern im Schlafe zu erscheinen pflegten. Träume ich etwan
auch, dachte er bei sich selbst, und bilde mir's nur so ein,
daß ich wache, oder sehe ich mit meinen leiblichen Augen?
Halt' einmal, wir wollen bald dahinter kommen; ich will mich
in die Arme und in die Waden zwicken. — Gut, gut, ich
bin's selbst, das hat seine Richtigkeit! — Dieß sind ja meine
Augen! Und ich mag sie reiben, wie ich will, so zeigen sie
mir doch immer diese zwei schönen Creaturen, wenn es anders
Creaturen sind: aber ich glaube gänzlich, es sind Feen,
und von den schönsten Feen, die man nur immer an einem
Sommertage sehen kann.Damit fing er von Neuem an, mit weit offnen Augen
und gähnendem Munde zu gaffen, als ob er es nicht satt
werden könnte; und je mehr er sie betrachtete, desto mehr
versicherte er sich, daß er in seinem Leben nichts so Schönes
gesehen habe.Eine von beiden war etwas größer und schlanker, als die
andere, und nicht über siebzehn oder achtzehn Jahre alt; sie
war ganz weiß gekleidet, und hatte anstatt der natürlichen
Blumen kleine Sträußchen von Edelsteinen im Haar und
vor dem Busen stecken, deren funkelnder Schimmer von dem
Glanze ihrer schönen Augen eben so sehr, als die Weiße
ihres Anzugs von dem blendenden Alabaster ihres Nackens
und ihrer Arme übertroffen wurde.Pedrillo, von so viel Schimmer ganz geblendet, zweifelte
keinen Augenblick, daß es die Fee Radiante selbst sey, und
wurde noch mehr in diesem Gedanken bestärkt, da er in einiger
Entfernung ein paar Edelknaben sah, die so schön waren
und so sehr von Silber schimmerten, daß er sie für nichts
Geringers, als ein paar Salamander halten konnte. In
diesem Augenblick verschwanden alle die kleinen Zweifel, die
ihm von Zeit zu Zeit über die Wirklichkeit dieser Fee und
der ganzen Geschichte, die davon abhing, aufgestiegen waren.
Nun war in seinen Augen nichts gewisser, als daß der blaue
Sommervogel eine Prinzessin war; und die Erscheinung der
Fee, von der (wie er nun gänzlich glaubte) die Entwicklung
dieses Romans abhing, versicherte ihn vollkommen, daß sein
junger Herr in kurzer Zeit über alle Zwerge und Zwerginnen
siegen und der glücklichste Prinz von der Welt werden würde.In diesen hoffnungvollen Gedanken schlich er, wiewohl
zitternd und den Athem zurückhaltend, näher hinzu; und da
er merkte, daß sie mit einander sprachen, so blieb er ganz
nahe im Gebüsche stehen und lauschte mir gerechtem Ohr,
einem jungen Faun nicht, unähnlich, der ein paar Nymphen
belauscht, die mit einander abreden, wo sie diese Nacht sich
baden wollen.Gestehen Sie (hörte er die Kleinere sagen, eine lebhafte
reife Brunette von zwanzig Jahren, bei deren Anblick ihm
das Herz pochte, wie es in seinem Leben noch nie gepocht
hatte), gestehen Sie, daß Sie diesen liebenswürdigen jungen
Menschen nicht ohne Bewegung ansehen. Wie schön er da
liegt! Was für Locken, was für ein reizendes Gesicht! lauter
Lilien und Rosen! Ich will nicht ehrlich seyn, wenn
Endymion so schön war, als dieser bezaubernde Schläfer.
Sehen Sie doch, gnädige Frau! spüren Sie nicht einen kleinen
Beruf in sich, seine Diana zu werden?Närrisches Mädchen, versetzte die vermeinte Fee, was du
für Einfälle hast! — Und doch muß ich dir gestehen, Laura —
in der That, er ist schön. Aber, wenn er aufwachte? —Das
Sicherste ist, wir gehen wieder.Da haben Euer Gnaden Recht, erwiederte die Kleinere
mit einer boshaften Miene: was machen wir auch hier? Er
kann alle Augenblicke aufwachen; und was wird er denken,
wenn er sieht, daß wir so vor ihm da stehen und ihn angaffen,
als ob wir noch nie einen rothbackigen Jungen gesehen
hätten?Aber, versetzte die Fee, ich möchte doch wissen, wer er
ist! — Seiner Gestalt und seinem Anzuge nach scheint er
nichts Gemeines zu seyn.O! das versprech' ich Ihnen, sagte die Nymphe, eine Karmeliternonne,
die ihn an unserm Platz in diesem Rosengebüsche
angetroffen hätte, würde ihn zum wenigsten für einen
kleinen Johann Baptist oder gar für einen Engel angesehen
haben."Aber wer mag er denn seyn? Ich kenne in unsrer ganzen
Gegend —"Das glaub' ich wohl, fiel die Andere ein: es ist kaum
drei Wochen, daß Euer Gnaden in dieser Gegend sich aufhalten,
und Ihre Antipathie gegen die gewöhnlichen landadeligen
Figuren hat Ihnen noch nicht erlaubt, Bekanntschaften
zu machen. Sie haben ja außer dem Licentiaten Don Gabriel,
den Sie schon zu Valencia kannten; und Ihrem Bruder mit
keiner Seele Umgang gehabt, als mit den Nachtigallen in
Ihrem Park und den Lämmern auf Ihrer Schäferei."Rede nicht so laut, ich besorge alle Augenblicke, daß er
aufwachen möchte; ich wollte um Alles in der Welt nicht, daß
er uns sähe. Aber sage mir, Laura, begreifst du, was einen
jungen Menschen, der dem Ansehen nach von Stande zu seyn
scheint, so allein hierher gebracht haben kann?"Er ist nicht so allein, als Sie denken, meine schönen
Damen, rief Pedrillo, der sich nicht länger mehr halten
konnte, da er merkte, daß die Fee eine gnädige Frau, und
die Nymphe eine Art von Kammermädchen war.Der kleine Schrecken, den diese Stimme unsern Schönen
einjagte, weil sie nicht gleich sahen, woher sie kam, verschwand
augenblicklich, wie sie den Pedrillo ansichtig wurden, der, ungeachtet
seines nicht sehr schimmernden Aufzugs, ein junger
Bursche von einer glücklichen Physiognomie und von einer
Figur war, die auch einem sprödern Mädchen, als die schöne
Laura zu seyn schien, Anfechtungen hatte machen können.Ich sehe wohl, fuhr er fort, daß Sie gerne wissen möchten,
was für eine Gattung von Vögeln mein junger Herr
ist, den Sie hier schlafend angetroffen haben. Wenn Sie
mir versprechen, daß Sie reinen Mund halten wollen —
denn es ist uns viel daran gelegen, daß eine gewisse alte
Tante, die wir haben, nichts davon erfahre, wo wir hingekommen
sind; es steckt ein Geheimniß darunter, verstehn Sie
mich? Aber ich denke, so hübschen jungen Damen kann ich
es wohl sagen; denn Sie sehen mir, beim Velten! weder
Nichten noch Basen von der Fee Fanferlüsch gleich.Erklärt Euch ein wenig deutlicher, mein Freund, sagte
Laura mit einem Blicke, den Pedrillo nicht auf die Erde
fallen ließ; aber macht es kurz, wir möchten sonst Euren
Herrn vom Schlaf erwecken.O! darüber machen Sie sich keine Sorgen, antwortete
Pedrillo. Er hat die ganze verwichene Nacht kein Auge zugethan,
und wenn er einmal ins Schlafen kommt, so könnte
der Himmel einfallen, eh' er aufwachen würde Er ist
vor Mattigkeit eingeschlafen; denn wir haben seit gestern
Nachts um zwölf Uhr wenigstens vier und zwanzig Meilen
gemacht.Vier und zwanzig Meilen! und zu Fuß, wie es scheint?
sagte Laura, als ob sie sich sehr wunderte.Es geht gar schnell, meine schöne Jungfer, wenn man auf
der Feerei reist, antwortete Pedrillo: man kommt da aus
dem Lande, man weiß selbst nicht wie, und hat oft ein paar
tausend Meilen gemacht, wenn Sie geschworen hätten, daß
wir nicht vom Flecke gekommen wären.Das gesteh' ich! sagte Laura: aber was nennt Ihr denn
auf der Feerei reisen, wenn man fragen darf?Sapperment! gnädiges Fräulein, erwiederte Pedrillo, das
ist eine Frage, die sich nicht in einem Augenblicke beantworten
läßt. Aber, um es kurz und gut zu geben, so suchen
wir, unter uns gesagt, eine Prinzessin oder, eigentlich zu
reden, einen Schmetterling, in den mein Herr verliebt ist;
und wenn wir ihn gefunden haben, so soll ihn mein Herr in
eine Prinzessin verwandeln und heirathen: das ist das Ganze,
sehn Sie! Aber ich bitte Sie, halten Sie reinen Mund;
wir müssen uns vor gewissen Zwergen in Acht nehmen, die
einen Anspruch auf unsre Prinzessin machen und uns, wenn
sie von unserm Vorhaben Wind bekämen, den ganzen Spaß
verderben könnten.Was halten Euer Gnaden von unserm Fund? sagte Laura
seitwärts zu der schönen Dame: haben Sie in Ihrem Leben
jemals so reden gehört? Man könnte sich's ja nicht närrischer
träumen lassen!Aber wer ist denn dein Herr? fragte die Dame.O! was das anbetrifft, antwortete Pedrillo, er ist der
beste, freundlichste, freigebigste, gutherzigste, gelehrteste und
tapferste junge Edelmann in ganz Spanien, das können mir
Euer Gnaden wieder nachsagen! Denn ich muß es doch
wohl wissen, weil wir mit einander aufgewachsen sind; er ist
mein Milchbruder. —Gut, gut, fiel ihm die Dame ein, ich frage bloß nach
seinem Namen; wie heißt er?Don Sylvio von Rosalva heißt er, sprach Pedrillo; sein
Schloß ist nur drei kleine Stunden von Xelva, herwärts.
Don Sylvio, wie gesagt: sein Vater hieß Don Pedro von
Rosalva; er war mein Taufpathe, gnädiges Fräulein, und
deßwegen wurde ich Pedro getauft; aber, wie ich klein war,
nannten sie mich Pedrillo, und nun heiß' ich eben noch Pedrillo,
und werde wohl Pedrillo seyn und bleiben, solang es
Gott gefällt; es wäre denn, daß mein gnädiger Herr seine
Prinzessin bald fände, denn da wollt' ich Keinem dafür gut
sein, daß ich nicht ein Marquisat oder eine von den Grafschaften
davon tragen könnte, die sie meinem Herrn zum
Brautschatze mitbringen wird.Pedrillo sagte Alles dieses mit solchem Ernst und mit
einer so aufrichtigen Miene, daß unsre Schönen keinen Augenblick
länger zweifelten, daß es mit diesen Leutchen nicht richtig
stehen müsse. Hier ist ja noch mehr als Don Quixote,
sagte die Zofe zu ihrer Gebieterin: wenn der Herr in einen
Schmetterling verliebt ist, und der Diener auf Marquisate
Staat macht, so können wir noch Freude an ihnen erleben. —
Aber, guter Freund, Ihr sagtet uns von einem Schmetterling,
in den Euer Herr verliebt sey, und den er in eine
Prinzessin verwandeln soll: Ihr wolltet vermuthlich sagen, daß
er in eine Prinzessin verliebt sey, die von einem Zauberer
in einen Schmetterling verwandelt worden?Getroffen! rief Pedrillo, das ist eben die Sache, und jetzt
soll sie wieder in eine Prinzessin paraphrasirt werden. Aber,
wenn ich Ihnen die Wahrheit sagen soll, so däucht mich
unter uns, die Fee Rademante, die meinem gnädigen Herrn
ihre Production versprochen hat, läßt sich die Sache nicht so
angelegen seyn, als sie wohl könnte, und ich besorge eben
immer, es möchte am Ende noch auf ein Lami hinausgehen.Was ist denn das für eine Fee? fragte die Zofe: Rademante,
sagt Ihr?O! sie mag heißen wie sie will, unterbrach sie die andre
Dame mit einer Miene, die in einem minder anmuthigen
Gesichte verdrießlich ausgesehen hätte: wir haben keine Zeit,
uns um Feen und Schmetterlinge zu bekümmern; es wird
Nacht seyn, ehe wir zu Lirias sind. Was wird mein Bruder
von unserm Außenbleiben denken?Mit diesen Worten entfernte sie sich, nachdem sie noch
einen Blick auf den schönen Schläfer geworfen hatte; einen
Blick, der sich, wenn sie allein gewesen wäre, vielleicht in
einen Kuß verwandelt hätte; wenigstens war dieß eine Anmerkung,
welche die schlaue Laura ganz in der Stille bei sich
selbst machte.Pedrillo hielt es für seine Schuldigkeit, diese schönen
Damen bis an den Weg zu begleiten, wo ihre Maulthiere
unter der Aufsicht der beiden Edelknaben geblieben waren;
allein, die Wahrheit zu sagen, sein Herz hatte mehr Antheil
an diesem Umstand, als seine Höflichkeit. Die kleine Laura
hatte in wenig Augenblicken eine Veränderung in ihm gewirkt,
woran die gute Dame Beatrix schon etliche Jahre mit
wenig Erfolg gearbeitet hatte. Kurz, er war so verliebt,
als es jemals ein Pedrillo gewesen ist. Es däuchte ihn, er
hätte seiner schönen Unbekannten noch wer weiß wie viel zu
sagen; aber das Herz war ihm so voll, daß er kein Wort
herausbringen konnte, und sie waren schon eine gute Weile
unsichtbar geworden, da er noch immer wie an den Boden gefesselt
stand und mit unverwandtem Blicke nach der Gegend
hinsah, wo er sie aus den Augen verloren hatte.—————
Zehntes CapitelWer die Dame gewesen, welche Pedrillo für eine Fee angesehen.Pedrillo, den wir von nun an oder, eigentlicher zu reden,
von dem Augenblick an, da ihn die reizende Laura zum ersten
Mal angelächelt hatte, als einen Menschen betrachten müssen,
von dem ohne Unbilligkeit nicht gefordert werden kann, daß
er diejenige Gegenwart des Geistes zeigen soll, wodurch einer,
der bei sich selbst ist, sich von einem, der außer sich ist, zu
unterscheiden pflegt; Pedrillo, sag' ich, hatte die beiden
Damen, die ihm in dem vorigen Capitel erschienen, schon
eine geraume Zeit aus dem Gesichte verloren, eh' es ihm
einfiel, daß er nicht übel gethan hätte, sich zu erkundigen,
wie sie hießen, oder wo man sie erfragen könnte?Weil es aber eben so wenig billig wäre, wenn unsre Leser,
die vermuthlich nicht verliebt sind, diese Zerstreuung des verliebten
Pedrillo entgelten müßten: so halten wir und verbunden,
ihnen — ohne die geheimnißvolle Zurückhaltung,
womit die Romanendichter uns zuweilen etliche Capitel lang
im Zweifel lassen, wer diese oder jene Person sey, mit der
sie uns in irgend einem Wirthshause oder auf der Landkutsche
zusammengebracht haben — jedoch im größten Vertrauen
(denn in der That darf Don Sylvio noch nichts davon
wissen) zu entdecken, wer diese Damen waren, und was
für ein Zufall sie an den Ort gebracht, wo sie (zum Unglück
für die Ruhe ihres Herzens) den schönen Sylvio schlafend
und seinen getreuen Begleiter wachend kennen lernten.Diejenige, welche Pedrillo ihrer Gestalt und ihrer Juwelen
wegen für eine Fee angesehen hatte, nannte sich Donna
Felicia von Cardena und befand sich in einem Alter von
achtzehn Jahren, die Wittwe von Don Miguel von Cardena
der die Gefälligkeit gehabt hatte; ungefähr zwei Jahre nach
ihrer Vermählung im siebzigstem seines Alters zu sterben
und sie als Erbin unermesslicher Reichthümer zu hinterlassen,
mit deren Erwerbung er beinahe sein ganzes Leben in Mexico
zugebracht hatte.Sie wohnte seit ihrer Vermählung zu Valencia, einer
Stadt, die ihrer Schönheit und angenehmen Lage wegen
von den Spaniern vorzugsweise die Schöne genannt wird.
Allein, sobald Donna Felicia durch den Tod ihres Alten Meisterin
von sich selber wurde, entschloß sie sich, aufs Land zu
ziehen, wo sie einem gewissen romanhaften Schwung ihrer
Phantasie und ihres Herzens sich ungehindert überlassen
konnte.Die Dichter hatten in ihrem Gehirn ungefähr den nämlichen
Unfug angerichtet, wie die Feenmährchen im Kopf
unsers Helden. Wenn dieser seine Einbildungskraft von
Verwandlungen, Zaubereien, Prinzessinnen, Popanzen und
Zwergen voll hatte, so war die ihrige mit poetischen Gemälden,
arkadischen Schäfereien und zärtlichen Liebesbegegnissen
angefüllt. Sie hatte sich den frostigen Armen so eines unpoetischen
Liebhabers, als ein Ehemann von siebzig Jahren
ist, aus keiner andern Absicht überlassen, als weil die Reichthümer,
über welche sie in Kurzem zu gebieten hoffte, sie
in den Stand setzen würden, alle die angenehmen Entwürfe
auszuführen, die sie sich von einer freien und glücklichen
Lebensart, nach den poetischen Begriffen, machte.Bei einer nicht gemeinen Schönheit besaß Donna Felicia
alle die Annehmlichkeiten, welche den Mangel der Schönheit
ersetzen und die Schönheit selbst unwiderstehlich machen.
Sie spielte die Laute in der äußersten Vollkommenheit und
begleitete sie mit einem Gesange, der desto bezaubernder
war, da schon der Ton ihrer Rede etwas Rührendes und
Musikalisches hatte, welches, nach dem Urtheil des guten
Königs Lear, ein vortreffliches Ding an einem Frauenzimmer
ist. Sie zeichnete, sie malte in Pastell, und damit ihr
keine von den Gaben der Musen fehlen möchte, so machte
sie auch Sonette, Idyllen und kleine Sinngedichte, welche
nach dem Urtheil ihrer Liebhaber Alles übertrafen, was die
Sappho's, die Corinnen und die neun Musen selbst jemals in
dieser Art hervorgebracht hatten.Man kann sich vorstellen, was für eine Revolution der
Tod ihres Gemahls in der schönen Welt zu Valencia machen
mußte. Alle Damen zitterten für die Treue ihrer Liebhaber,
alle junge Herren rüsteten sich auf eine so glänzende Eroberung;
die Poeten machten ganze Wagen voll Stanzen und
Elegien im Vorrath, welche sie bei den Liebhabern der schönen
Wittwe in billigem Preise anzubringen hofften; kurz,
alle Welt war in Bewegung, diejenige allein ausgenommen,
die das Ziel so vieler Anstalten und Absichten war. Jhre
Trauerzeit und der Winter waren kaum vorbei, so verließ
sie die Stadt, ohne sich zu bekümmern, in was für trostlose
Umstände ein so grausamer Entschluß ihre Anbeter setzen
werde, und begab sich mit ihrem Bruder nach Lirias, einem
schönen Gute, welches er in einer der anmuthigsten Gegenden
besaß, die man auf dem Erdboden findet.Sie erwählte sich diesen Aufenthalt, theils, weil sie ihren
Bruder sehr zärtlich liebte, theils des Wohlstands wegen.
Denn, ob sie gleich selbst ein prächtiges Landgut besaß, welches
Don Miguel auf ihr Verlangen in der Nachbarschaft von
Xelva gekauft hatte; so hielt sie es doch für anständiger,
unter den Augen eines Bruders zu leben, zumal da sie
keine nähere Verwandte übrig hatte, und Don Eugenio von
Lirias in dem allgemeinen Rufe stand, ein sehr verdienstvoller
junger Edelmann zu seyn.Donna Felicia hatte auf ihrem eigenen Gute eine Art
von Schäferei angelegt, aus welcher sie nach und nach ein
anderes Arkadien zu machen gedachte. Sie setzte sich vor,
von Zeit zu Zeit einen kleinen Absprung dahin zu machen,
und sie war eben im Begriff, in Gesellschaft ihrer Vertrauten
von einer solchen Spazierreise nach Lirias zurück zu kehren,
als sie des Rosengebüsches ansichtig wurde, unter welchem
Don Sylvio eingeschlafen war. Der Ort däuchte sie so anmuthig,
daß sie abstieg, um etliche Rosen zu brechen, von
denen sie (wie alle poetische Seelen) eine große Liebhaberin
war; und dieß war der Anlaß, wobei sie auf eine so unvermuthete
Art durch den Anblick unsers schlummernden Feenritters
überrascht wurde.So poetisch, mystisch oder magisch das Wort Sympathie
in den Ohren vieler unserer heutigen Weisen klingen mag,
so kennen wir doch kein andres Wort, um eine gewisse Art
von Zuneigung zu bezeichnen, die wir (die sämmtlichen Kinder
von Adam und Even nämlich) zuweilen beim ersten Anblick
für unbekannte Personen empfinden, und die sowohl
in ihrer Quelle, als in ihren Wirkungen von allen andern
Arten der Zuneigung, Freundschaft oder Liebe nicht wenig
verschieden ist.Zum Beispiel: Es waren wohl mehr als fünfzig der liebenswürdigsten
jungen Herren in Valencia, die sich alle nur
ersinnliche Mühe gaben, das Herz der schönen Felicia zu
rühren, ohne daß sie es so weit bringen konnten, daß sie
einem unter ihnen den Vorzug vor den Reichthümern des
alten Don Miguel gegeben hatte. Einige von ihren Verehrern
hatten wirklich Verdienste. Donna Felicia ließ ihnen
hierüber vollkommene Gerechtigkeit widerfahren. Sie schätzte
sie hoch, fand Vergnügen an ihrem Umgang, beehrte sie mit
ihrer Freundschaft und würde vielleicht (man merke, mit Erlaubniß,
dieses Vielleicht) unter gewissen Umständen, in einem
gewissen Zeichen des Mondes, wenn ein gewisser Wind
gegangen wäre, an einem gewissen Orte, zu einer gewissen
Stunde und in gewissen Dispositionen — sogar fähig gewesen
seyn, für irgend einen unter ihnen eine kleine Schwachheit
zu haben; denn (mit Erlaubniß unsrer schönen Landsmänninnen)
es gibt nach der Meinung des weisen Avicenna,
welcher auch der ehrwürdige Pater Escobar in seiner Moraltheologie
beipflichtet, gewisse Augenblicke, wo ein glücklicher
Zufall der Tugend ungemein zu Statten kommt. Allein es
gelang keinem einzigen unter ihnen (und würde auch nach
einer längern Reihe von Jahren, als die Seladons in der
Asträa zu den Füßen ihrer unempfindlichen Göttinnen verseufzen,
keinem unter ihnen gelungen seyn) ihr diese außerordentliche
unerklärbare Empfindung beizubringen, welche
Don Sylvio, ohne sein Zuthun, ohne darum zu wissen,
schlafend und beim ersten Anblick in ihr erregte. Eine Empfindung,
die ihr in dem zehnten Theil eines Augenblicks
mehr sagte, als ihr Herz ihr in ihrem ganzen Leben für
alle ihre Bewunderer gesagt hatte. Kurz, eine Empfindung,
die ihr — wenn der ekstatische Zustand, worin sie sich damals
befand, einige Aufmerksamkeit auf sich selbst erlaubte —
ganz deutlich zu verstehen gegeben hätte, daß sie fähig wäre,
diesem unbekannten jungen Schläfer alle die Reichthümer mit
Freuden aufzuopfern, denen sie vor wenigen Jahren die liebenswürdigste
Jugend von Valencia aufgeopfert hatte.Was die eigentliche Ursache einer so seltsamen Erscheinung
und aller übrigen sey, wodurch sich die sympathetische
Liebe von allen andern Arten der Liebe unterscheidet, würde
eine Untersuchung seyn, die uns zu weit von unsrer Erzählung
entfernte, und wir überlassen es unsern Lesern, sich
hierüber diejenige Hypothese auszuwählen, die ihnen die aufwändigste
ist. Es mag nun seyn, daß die Seelen solcher
sympathetischen Geschöpfe in einem vorherigen Zustande sich
schon gekannt und geliebt haben; oder daß es eine natürliche
Verwandtschaft unter Seelen, oder (wie es ein englischer
Dichter nennt) Schwesterseelen gibt; oder daß ihre Genii in
einem besondern Einverständniß mit einander stehen; oder
daß eine musikalische Gleichstimmung ihrer Fibern und Fibrillen
auf eine mechanische Art diese Wirkung hervorbringt:
genug, daß diese Sympathie sich eben so gewiß in der Natur
befindet, als die Schwere, die Anziehung, die Elasticität oder
die magnetischen Kräfte; und daß man es, Alles wohl überlegt,
der schönen Donna Felicia eben so wenig übel nehmen
kann, daß sie, von der Zaubergewalt dieses geheimnisvollen
Zugs bezwungen, sich nicht erwehren konnte, für unsern
Helden etwas zu empfinden, das sie noch nie empfunden
hatte, als man es einem gewissen Regulo Vasconi übel
auslegen konnte, daß er, nach Scaligers Bericht, das
Wasser nicht zurückhalten konnte, sobald er eine Sackpfeife
hörte.Wir haben uns dieses nicht allzu edeln Gleichnisses (ungeachtet
wir besorgen mußten, die Delikatesse unsrer werthen
Leserinnen dadurch zu beleidigen) mit gutem Vorbedacht bedient,
weil, im Fall die künftigen Commentatoren dieser
Geschichte so vorwitzig seyn sollten, unsre eigne Meinung von
der Sympathie erforschen zu wollen, es dazu dienen kann,
ihnen einiges Licht hierüber zu geben. Und nunmehr kehren
wir, ohne uns länger mit solchen Subtilitäten aufzuhalten,
zu unsern beiden Schönen zurück, welche wir, wie man sich
vielleicht noch erinnert, auf dem Rückwege nach Lirias verlassen
haben.—————
Elftes CapitelEines von den gelehrtesten Capiteln in diesem Werke.Der Geschmack in der Liebe ist so verschieden, daß wir
nicht dafür stehen können, ob sich nicht Leser finden werden,
die sich für die Dame Laura — ob sie gleich nur eine Schöne
von der zweiten Classe, oder um uns gelehrt auszudrücken,
eine Dea minorum Gentium ist — vielleicht stärker interessiren,
als für ihre Gebieterin. Sollte es solche Liebhaber
geben, so werden sie vermuthlich nicht wohl auf uns zu sprechen
seyn, daß wir ihnen nicht auch einen Auszug der Geschichte
der schönen Laura mitheilen. Allein wir ersuchen sie,
sich zu erinnern, daß wir bereits so viel von diesem jungen
Frauenzimmer gesagt haben, als man nöthig hatte, um zu
sehen, daß sie eine artige, hübsche, witzige und ziemlich lebhafte
kleine Person war; und dieses ist, däucht uns, das
Merkwürdigste, was wir von ihr sagen konnten. Denn, was
ihre Geschichte betrifft, so war sie ein Kammermädchen;
und die Geschichte der Kammermädchen ist, wie man weiß,
wenigstens nach dem ordentlichen Laufe der Natur, in der
ganzen Welt eine und eben dieselbe.Der berühmte Pater Sanchez merkt in seinem eben so
keuschen als lehrreichen Buche de Matrimonio an, daß eine
angehende Liebe anders bei einer jungen Wittwe und anders
bei einem jungen Mädchen operire. Die erste, sagt er,
wird davon munter, aufgeweckt, muthwillig; da man hingegen
an der andern ein in sich selbst hinein gezogenes Staunen
und eine stille Schwermuth bemerkt, welche (setzt dieser
scharfsinnige Erforscher der weiblichen Geheimnisse hinzu) die
Wirkung des geheimen innerlichen Abscheues ist, den die
Seele vor der Gefahr empfindet, aus dem glorreichen Stande
der Engel herab zu stürzen und in eine grobe materielle
Leidenschaft zu sinken, die in ihren Folgen endlich zu dieser
unanständigen Verkörperung führt, wodurch die Welt mit
Sündern bevölkert wird.Wir haben eine zu tiefe Ehrfurcht für die heilige Inquisition,
als daß wir uns unterstehen sollten, einen so großen
Mann auch nur des kleinsten Jrrthums zu beschuldigen.
Wir wollen also lieber sagen, die Natur habe sehr Unrecht
gethan, daß sie — ohne die geringste Achtung für die Autorität
eines Mannes, der so viel neue Sünden erfunden
hat — in der schönen Felicia und ihrer Vertrauten gerade
das Widerspiel von seiner Beobachtung zu wirken sich erkühnte.
Denn, so widersinnig es immer scheinen mag, so gewiß
ist es, und so wenig können wir leugnen, daß auf der
Reise nach Lirias, wovon jetzt die Rede ist, die junge Wittwe
staunend und stillschweigend, und das Mädchen (ungeachtet
der Gefahr, vor welcher ihrer jungfräulichen Seele hätte
schaudern sollen) so fröhlich und bei so guter Laune war,
daß der schwermüthigste Weiberfeind in ihrer Gesellschaft
aufgeräumt hätte werden müssen.Sie hatten bereits ein ziemliches Stück Weges zurückgelegt,
ohne daß Donna Felicia, so begierig auch die muntre
Laura auf ein Signal wartete, ihren Einfällen Luft zu
machen, nur einen einzigen Laut von sich gegeben hätte; es
wäre denn, daß man einen Seufzer hierher rechnen wollte,
der ihr ungefähr entwischte, eigentlich zu reden aber nur ein
Fragment von einem Seufzer war, indem sie ihn eben noch
früh genug ertappt hatte, um zwei Drittel davon in ihren
verschwiegenen Busen zurück zu drücken.Endlich konnte es Laura, die für ein Kammermädchen
außerordentlich lange geschwiegen hatte, nicht länger aushalten.
Sie machte den Anfang mit einer Frage, die wieder
eine andere nach sich zog; und so erhob sich nach und nach
zwischen ihr und ihrer Gebieterin oder Freundin (denn sie
war in der That beides) eine Unterredung, welche wir (kraft
eines Vorrechts, dessen die Geschichtschreiber sich von jeher
angemaßet haben) unsern Lesern von Wort zu Wort getreulich
mittheilen wollen, ohne sie mit Entdeckung der Quelle,
woher wir sie geschöpft haben, unnöthiger Weise aufzuhalten.—————
Zwölftes CapitelEin weiblicher Dialog.Sie sind ungewöhnlich tiefsinnig, gnädige Frau."Tiefsinnig?"Wenn Sie es nicht ungnädig nehmen wollen; und beinahe
schwermüthig, wenn sich ein so verdrießliches Wort für ein
Gesicht schickte, worin selbst der Unmuth reizend ist."Ich weiß nicht, was du damit sagen willst; mich däucht,
ich bin so aufgeräumt, als ich es diesen ganzen Tag gewesen
bin."Nicht ganz so aufgeräumt, gnädige Frau."Warum sollt' ich's denn nicht seyn, wenn man fragen
darf?"Das weiß ich nicht; aber mich däucht, ich hörte eben jetzt
einen kleinen Seufzer —"Einen Seufzer?"Es war in der That nur ein Seufzerchen; so eine Art
von Seufzern, wie ein Mädchen von vierzehn Jahren seufzt,
wenn sich ein feiner junger Liebhaber um ihre ältere Schwester
bewirbt."Du hast unverschämte Gleichnisse, Mädchen; du verwandelst
einen armen unschuldigen Athemzug in einen Seufzer,
um einen Einfall anzubringen, auf den du dich seit
einer ganzen Viertelstunde besonnen hast."Ich danke Ihro Gnaden für das Compliment, das Sie
meinem Witze machen. Aber, weil Sie weder tiefsinnig aussehen,
noch geseufzt haben wollen, ob sich gleich noch Manches
dagegen einwenden ließe, so wollen wir von etwas Anderm
reden, wenn es Ihnen gefällig ist."Ich bin diesen Abend nicht sehr zum Plaudern aufgelegt."Es war ein recht angenehmer Ort, wo Ihre Gnaden
diese Rosen brachen, welche, die Wahrheit zu sagen (denn
ich bin kein Poet), bereits an Ihrem Busen zu verwelken
anfangen; — es war ein recht angenehmer Ort."Das war er."Ein recht poetischer Ort, in der That, und ich hoffe, es
hat Ihro Gnaden nicht gereut, daß sie da abgestiegen sind
— ungeachtet des kleinen Endymion, den wir da schlafend
gefunden haben. Gestehen Sie, gnädige Frau, daß man in
Valencia nichts so Schönes sieht."Du sprichst mit einer Lebhaftigkeit von ihm, die mich
beinahe glauben macht, daß du verliebt seyst."Vielleicht könnten Ihre Gnaden das eher von mir glauben,
wenn ich nichts von ihm sagte."Ich verstehe dich: du magst dir aber einbilden, was du
willst, so kann ich doch nicht sagen, daß er mir so übernatürlich
schön vorgekommen sey, als du ihn machst."Uebernatürlich schön? das wollt' ich auch wohl nicht sagen,
denn ich verstehe mich nicht viel auf übernatürliche Sachen;
aber das werden Sie doch zugeben, daß er schöner ist, als
dieser Don Alexis, der in Valencia eine so wichtige Person
vorstellt, daß die Damen nicht warten können, bis er sich
ihnen anträgt, und daß (Donna Felicia von Cardena ausgenommen)
keine ist, die nicht dafür angesehen seyn wollte,
ihn wenigstens ein paar Tage gehabt zu haben."Schöner als Don Alexis sagt nicht so viel als du meinst.
Ich habe ihn nie für etwas Anderes gehalten, als für einen
abgeschmackten kleinen Gecken, dessen größtes Verdienst ist,
daß er weiche Hände und weiße Zähne hat, und daß er uns,
mit aller nur möglichen Einbildung von sich selbst, eine ungeheure
Menge plattes Zeug vorzuschnarren weiß."Auch weiß ich selbst nicht, warum mir gerade Don Alexis
in den Sinn kam; denn, in der That, ich habe nie begreifen
können, was die Damen an ihm sehen. Er mag sich in Acht
nehmen! Wenn unser Don Sylvio in Valencia auftreten
sollte, so wird ihm nicht einmal so viel Verdienst übrig bleiben,
als es bedarf, ein armes zärtliches Kammermädchenherz
zu verführen."Ich weiß nicht, mit was für Augen du diesen Don
Sylvio, wie du ihn nennst, angesehen haben mußt: ich gesteh'
es, er kam mir liebenswürdig vor; aber so sehr schön,
als du sagst —"Ihre Gnaden haben das rechte Wort gebraucht; liebenswürdig,
das ist das Wort, das wollt' ich eben sagen; denn
in der That, was seine Schönheit betrifft, daran ließe sich
vielleicht Manches aussetzen. Blondes Haar —"Kastanienbraun, willst du sagen —"Nun ja, kastanienbraun; aber, weil er eine so überaus
feine Farbe hat, eine frauenzimmermäßige Farbe, möchte
man sagen, so würde blondes Haar, däucht mich —Und mich däucht, die Natur habe das besser gewußt, als
du; sein Haar steht wirklich sehr gut zu seiner Gesichtsfarbe."Aber ich denke, er sollte doch mehr Männliches in seinem
Gesichte haben. Ich stehe Ihnen dafür, wenn man ihn in
ein Mädchen verkleidete, Donna Lenora von Zuniga selbst,
die gewiß eine Kennerin von Mannspersonen ist, würde betrogen
werden."Gut, er ist kein Hercules, das ist ausgemacht; aber,
ungeachtet der vollkommenen Feinheit und Regelmäßigkeit
seiner Züge, finde ich doch, daß er etwas Großes und Heroisches
in seiner Bildung hat, das du nothwendig bemerkt haben
solltest, da du ihn, wie es scheint, so genau betrachtet hast."In der That scheint es, daß ihn Ihre Gnaden in einem
einzigen Augenblick richtiger betrachtet haben, als ich in einer
Viertelstunde. Aber was sagen Sie zu seinem Munde? Ich
gestehe, er ist schön, aber doch ein wenig zu klein, däucht
mich —"Ich möchte doch wissen, warum du affectirst, gerade das
an ihm zu tadeln, was wirklich schön an ihm ist!"Ich bitte Ihre Gnaden um Vergebung! Ich sage nur,
wie es mir vorkommt; und wenn ich nicht besorgte, Ihnen
zu mißfallen —"Mir zu mißfallen? Ich glaube, du bist nicht klug, Mädchen.
Aber, wenn ich die Wahrheit sagen soll, so bin ich selbst
nicht viel klüger, daß ich deinen tollen Einfällen so viel Gehör
gebe. Was kümmert's uns, ob Don Sylvio schön ist;
oder wie schön er ist?"Das ist auch wahr! Genug, daß er liebenswürdig ist;
das ist doch immer der Punkt, worauf Alles ankommt. Mich
däucht, ich habe irgendwo gelesen, daß uns nichts so schön
vorkommt, als was wir lieben."So müßtest du sehr in diesen Unbekannten verliebt seyn;
denn, wenn man dich hört, so ist der vatikanische Apollo von
keiner untadeligern Schönheit als Don Sylvio."Don Sylvio hat wenigstens den Vorzug vor jenem, daß
er Athem holt; und das ist nach meiner geringen Einsicht
ein großer Vorzug."Wir wollen einmal aufhören zu tändeln. Sage mir,
liebe Laura, erinnerst du dich noch, was dieser Pedrillo,
oder wie er sich nannte, uns von ihm sagte?"Wenn man dem Burschen glauben dürfte, so wäre unser
Unbekannter von gutem Hause, ein Sohn von Don Pedro
von Rosalva, von dem ich Ihro Gnaden Herrn Vater öfters
als von einem wackern Officier sprechen hörte. Aber, wenn
ich meine wahre Meinung sagen soll, so glaube ich, Herr
Pedrillo könnte mehr gesagt haben, als er jemals wird beweisen
können."Nun ja, das Ansehen kann betrügen, denn das ist vollkommen
auf seiner Seite; aber deine Ursachen, wenn ich bitten
darf?"Wenn wir dem Pedrillo, der mir die Miene eines schnakischen
Gesellen hat, glauben sollen, so müssen wir auch glauben,
daß Don Sylvio in einen Schmetterling verliebt ist;
daß er der Himmel weiß was für einen Zwerg zum Nebenbuhler
hat und eine gewisse Fee zur Beschützerin, durch
deren Beistand der Schmetterling in eine Prinzessin verwandelt
werden soll, und so weiter. Dieß ist nun Alles toll
genug, däucht mich. Aber das Aergste ist, daß der Bauerjunge
alles dieß abgeschmackte Zeug mit einer so verwünschten ehrlichen
Schafsmiene vorbrachte, mit einem so trostlosen Ton
der Aufrichtigkeit, daß er uns keine Hoffnung übrig ließ,
er möchte es nur zum Spaß gesagt haben. Das ist verzweifelt!"Ich gestehe dir, Laura, und warum sollt' ich dir ein
Geheimniß daraus machen? ich interessire mich für diesen
jungen Menschen. Er müßte verrückt seyn, wenn Pedrillo
die Wahrheit gesagt hätte."Und Pedrillo müßte noch verrückter seyn, gnädige Frau;
denn man kann nicht gelassener von den alltäglichsten Dingen
reden, als er von Sommervögeln, Zwergen, Feen, Prinzessinnen
und Markisaten spricht."Es ist etwas Unbegreifliches in Allem diesem. Aber so
viel läßt sich doch aus dem verworrenen Geschwätze des Dieners
errathen, daß sich Don Sylvio um einer Liebesangelegenheit
willen von Hause weggestohlen hat. Der Bursche erwähnte
einer alten Tante, die vermuthlich seiner Liebe Hindernisse
in den Weg legt; vielleicht ist er darüber närrisch
geworden. Eine heftige Leidenschaft kann durch einen unvorsichtigen
Widerstand zu seltsamen Ausbrüchen getrieben werden."Dieß ist gewiß; zumal da ohnehin nichts leichter seyn soll,
als daß Liebe und Vernunft Händel mit einander kriegen.
Aber, wenn wir nicht voraussetzen, daß Pedrillo eben so verliebt
und eben so toll ist als sein Herr, so haben wir mit
unsrer Hypothese nichts gewonnen. Ich habe einen wunderlichen
Einfall, gnädige Frau; aber er kann doch immer gut
seyn, bis wir einen bessern finden. Es ist ein so schwermüthger
Gedanke, wenn man sich einen so liebenswürdigen
jungen Menschen verrückt vorstellen soll. In der That, es
wäre ein Gedanke, der des Seufzers wohl werth wäre, der
Ihro Gnaden jetzt entgangen ist. — Dießmal wenigstens
gestehen Sie nur, daß Sie geseufzt haben; es war einer von
den Seufzern, die sich nicht verläugnen lassen; ich sah ihm
von seiner Empfängnis an zu, wie er sich aus Ihrem schönen
Busen allgemach empor arbeitete, bis zu dem Augenblick, da
er zwischen Ihren halb geöffneten Lippen hervor, in Gestalt
eines kleinen Amors davon flog."Närrisches Ding! — Aber was war denn das für ein
Einfall, den du mir sagen wolltest?"Ich bilde mir ein, Don Sylvio könnte, mit Erlaubniß,
ein wenig närrisch seyn, ohne daß er gerade das seyn müßte,
was man verrückt heißt; kurz, er könnte mit einer Art von
Narrheit oder Schwärmerei, oder wie man's nennen will,
behaftet seyn, die ihn nichts desto unwürdiger machte,
einer jeden Dame, die ihn unter einem so anmuthigen
Rosengebüsche schlafen gesehen hätte, liebenswürdig vorzukommen."Ich merke, Mädchen, du hast dir in den Kopf gesetzt,
daß ich nothwendig in ihn verliebt seyn müsse; — aber darüber
wollen wir jetzt nicht zanken. Und worin soll denn diese
Schwärmerei bestehen?"Mich däucht, er könnte eine Art von einem jungen Don
Quixote seyn, der (nach Pedrillo's Ausdruck) auf der Feerei,
wie der Ritter von Mancha auf der irrenden Ritterschaft,
herum zöge. Wär' es denn so etwas Unbegreifliches, daß ein
junger Mensch von lebhafter Gemüthsart, der die Welt nie
gesehen hat und in seinem Dorfe nichts fand, das der Zärtlichkeit
seines Geschmacks hätte Genüge thun können, durch
das Lesen der Feenmährchen auf den wunderlichen Einfall
gerathen wäre, die Feen und die bezauberten Paläste mit
allen ihren Drachen, Zwergen, Popanzen und blauen Centauren
für wirkliche Dinge zu halten?"Es wäre eine seltsame Art von Schwärmerei, und
doch, däucht mich, ich begreife, daß sie möglich seyn könnte.
Aber was sollen wir in diesem Falle aus seiner Liebe zu
der Prinzessin machen, die in einen Sommervogel verwandelt
ist?"Ich wette gleich, was man will, gnädige Frau, diese Prinzessin
ist weder mehr noch weniger als ein hübsches Bauermädchen,
das ihm in die Augen gestochen hat. Seine bezauberte
Phantasie hat sie zuerst zu einer Prinzessin erhöht
und endlich, mit Hülfe eines gelben Zwerges oder einer buckligen
Magotine, in einen Papillon verwandelt; und es wird
sonst nichts nöthig seyn, als daß er eine junge Dame zu
sehen bekommt, die seiner lebhaften Einbildungskraft genug
thut, so wird seine Geliebte, ohne Zauberstab und Talisman,
in einem Augenblick wieder ihre erste Gestalt bekommen
und (mit Pedrillo zu reden) zwar nicht in eine Prinzessin,
aber doch in ein Bauermädchen zurück metaphrasirt werden."Ich gestehe dir, Laura, daß meine Neugierde rege gemacht
ist. Es reuet mich jetzt, daß ich nicht wartete, bis
er erwachte."Weil er nur wenige Meilen von uns wohnt, so wird es
nicht schwer seyn, Nachrichten einzuziehen, die uns aus dem
Wunder helfen können. Und wer weiß, ob die Kobolde, die
sich mit seinem Schicksal abgeben, ihm nicht ebenso gut nach
Lirias führen können, als sie uns heute in dieses Rosengebüsche
geführt haben, welches, so wahr ich ein Mädchen bin,
der Laube der Feenkönigin so ähnlich sah, als ich in meinem
Leben etwas gesehen habe.Unter diesen Reden waren sie unvermerkt in dem innern
Schloßhofe zu Lirias angelangt, wo wir die Freiheit nehmen
wollen, uns von ihnen zu beurlauben, um zu sehen, was
indessen aus dem Helden unsrer Geschichte geworden ist, den
wir, so angenehm uns auch die Gesellschaft der Donna Felicia
seyn mag, ohne strafwürdige Nachlässigkeit nicht länger
aus den Augen lassen können.—————
Viertes Buch.Elftes CapitelWorin der Autor eine tiese Einsicht in die Geheimnisse der Ontologie
an den Tag legt.Wenn jemals ein Mensch sich in einer seltsamen Verfassung
befunden hat, so war es Pedrillo, nachdem er die
schönen Geschöpfe, mir denen wir ihn im vorigen Buche zusammengebracht,
aus dem Gesichte verloren hatte. Die Verwirrung,
die diese Erscheinung in seinem Kopf und in seinem
Herzen zurückließ, war so groß, daß uns die bloße Bemühung,
eine Beschreibung davon zu machen, beinahe in eine eben so
große Verwirrung setzt. Ob er gewacht oder geträumt habe,
ob es Feen oder Sterbliche gewesen, ob sie verschwunden oder
davon geflogen seyen, das waren Fragen, die er sich immer
weniger beantworten konnte, je öfter er sie sich machte.
Nachsinnen ist in der That nicht Jedermanns Sache. Pedrillo
wußte so wenig damit umzugehen, daß er sich endlich in seinen
eigenen Gedanken wie in einem Netze gefangen sah, worin
er sich immer desto mehr verwickelte, je mehr er sich bemühte,
loszukommen; kurz, nachdem er eine gute Viertelstunde lang
mit sich selbst gestritten hatte, so hörte er endlich damit auf,
daß er im ganzen Ernst an seinem eignen Daseyn zu zweifeln
anfing.Unter allen Zweifeln, denen die arme blödsinnige Vernunft
des Menschen ausgesetzt ist, wird man vielleicht keinen
finden, der sich weniger in der Länge aushalten läßt, als
dieser; auch war es dem guten Pedrillo nicht anders dabei
zu Muthe, als ob er mit der Geschwindigkeit einer Drille
oder eines Windmühlenrades um seine eigene Achse herumgetrieben
würde.Vielleicht möchte man denken, wenn er ein Cartesianer
gewesen wäre, so hätte er sich durch das berühmte cogito,
ergo sum, gar leicht aus seinem Zweifel heraushelfen können.
Allein in den Umständen, worin der arme Junge war,
hätte vielleicht Cartesius selbst sein Latein dabei verloren;
denn er dachte wirklich gar nichts. Wenn er in einem solchen
Zustande ja noch fähig gewesen wäre, einen Syllogismus
zu machen, so würde doch der cartesianische Grundsatz
zu nichts Anderm gedient haben, als ihn aus den Zweifeln
an seinem Daseyn in die Gewißheit, daß er nicht sey, zu
stürzen, welches in der That nicht viel besser gewesen wäre,
als aus dem Regen unter die Traufe zu kommen.Man muß gestehen, daß der schlichte natürliche Menschenverstand,
Vernunftinstinkt, Wahrheitssinn, oder wie man es
sonst nennen will (denn über Worte werden wir niemals Streit
anfangen), seinem Besitzer zuweilen weit nützlicher ist, als
die subtilste Vernunft. Wäre Pedrillo ein Metaphysiker gewesen,
so würde er gewiß bei dem Zweifel an seinem Daseyn
nicht still gestanden seyn: er würde so lange nachgegrübelt,
respectirt, distinguirt, combinirt, analysirt und abstrahirt
haben, bis er sich selbst und vermuthlich auch allen andern
Dingen die Wirklichkeit, ja wohl gar die Möglichkeit völlig
weggeläugnet hätte; und wer weiß, ob er endlich nicht der
Stifter einer neuen philosophischen Secte geworden wäre,
von der sich nicht ohne Grund vermuthen läßt, daß sie, wegen
ihrer besondern Bequemlichkeit, die schwersten physischen
und moralischen Aufgaben ohne die geringste Mühe aufzulösen,
alle andere Secten der Dualismen, Materialisten, Pantheisten,
Idealismen, Egoisten, Platoniker, Aristoteliker, Stoiker,
Epikurer, Nominalisten, Realisten, Occamisten, Abalardisten,
Averroisten, Paracelsisten, Rosenkreuzer, Cartesianer,
Spinozisten, Wolfianer und Crusianer in kurzer Zeit verschlungen
hätte.Wir können nicht ohne Grauen und Erschütterung daran
denken, was für verderbliche Folgen eine solche Philosophie
in dem System der menschlichen Gesellschaft hätte nach sich
ziehen können, da es in der That unmöglich scheint, daß der
Grundsaz der Nichtexistenz mit irgend einer bekannten Religion
oder mit den eingeführtes Gesetzen und Gewohnheiten
irgend einer policirten Nation in einen erträglichen Zusammenhang
sollte gebracht werden können. Denn mit welchem
Schein Rechtens könnte man von einem Menschen, der nicht
ist, Steuern, Zehnten, Opfer oder Jura stolae eintreiben? oder
wie wäre es möglich, denjenigen eines Verbrechens zu überweisen,
der dem Richter durch eine lange Demonstration geometrischer
Methode beweisen würde, daß er zu der Zeit, da er dieses
oder jenes gethan haben solle, gar nicht einmal existirt habe?Allein zum größten Glücke für die öffentliche Ruhe hatte
Pedrillo nicht den geringsten Ansatz zur speculativen Philosophie;
und anstalt über seinen beschwerlichen Zustand lange
zu vernünfteln, ließ er sich nichts angelegener seyn, als wie
er sich bald davon befreien wolle. Sein Herr, dachte er, der
in dieser Sache desto unparteiischer sey, da er diese ganze
Zeit über geschlafen habe, werde ihm am besten aus dem
Wunder helfen können.Ob und wie fern Pedrillo hierin richtig gedacht habe oder
nicht, wollen wir dahin gestellt seyn lassen, indem uns eine
nähere Untersuchung davon unfehlbar in den berühmten
Streit über den Intellectum agentem und patientem verwickeln
könnte, wozu wir uns dießmal um so weniger aufgelegt
finden, als wirklich der tiefsinnige Inhalt dieses Capitels
unser Gehirn so sehr abgemattet hat, daß wir uns genöthiget
sehen, mit Erlaubniß des günstigen Lesers eine Pause zu
machen.—————
Zweites CapitelEin Beispiel, daß ein Augenzeuge nicht allemal so zuverläßig ist, als
man zu glauben pflegt.Pedrillo weckte also seinen schlafenden Herrn, aber unglücklicher
Weise in einem Augenblicke, da er in dem angenehmsten
Traume begriffen war, den sich ein platonischer
Liebhaber — wie der Liebhaber eines Schmetterlings unstreitig
ist — nur immer wünschen konnte.Unglückseliger! rief der erwachende Don Sylvio, aus was
für einem Traume weckst du mich?Beim Element, Herr Don Sylvio, schrie Pedrillo, es ist
jetzt die Frage nicht von Träumen; es sind ganz andere
Dinge auf dem Tapet. Aber ich bitte Sie, mein liebster
Herr, wenn Sie anders noch ein Fünkchen christlicher Liebe
für den armen Pedrillo haben, so sagen Sie mir vor allen
Dingen, ob ich wirklich Pedrillo bin oder nicht? Denn, meiner
Six! es ist nicht Alles, wie es seyn sollte. — Ich will
mich prellen lassen, wenn ich meiner leiblichen Mutter auf
ihr bloßes Wort glaubte, daß ich meines Vaters Sohn sey.Was für eine Tollheit kommt dich an? fragte Don Sylvio,
den diese Reden in Verwunderung setzten: was für Ursachen
hast du zu denken, daß du ein Anderer seyest. als du selbst?Sagen Sie mir nur erst, ob ich wirklich ich bin, erwiederte
Pedrillo; die Ursachen werden seiner Zeit schon nachkommen,
wir wollen erst den Hauptpunkt ausmachen! Seyn
Sie so gut und antworten mir nur indirecte auf meine Frage;
denn Sie werden sehen, daß mehr daran liegt, als Sie
sich jetzt einbilden.Alberner Junge, sagte Don Sylvio lächelnd, du bist
zwanzig Jahre lang immer Pedrillo gewesen, warum solltest
du es nicht noch seyn?Sehn Sie mich recht an, gnädiger Herr, betrachten Sie
mich von vorn und hinten und sagen mir die Wahrheit,
so wahr Sie ein Edelmann sind.So wahr ich ein Edelmann bin, antwortete Don Sylvio,
du bist Pedrillo, oder du bist ein Esel; eins von beiden ist gewiß.Ein Esel? — Hier sind meine Ohren, gnädiger Herr;
es stecken, denk' ich, unter mancher Doctormütze längere;
und wenn ich so gewiß Pedrillo bin, als ich kein Doctor —
kein Esel wollt' ich sagen, bin, so geht Alles wie es gehen
soll. Die Wahrheit zu sagen, ich hatte selbst so eine Ahnung,
so eine Art von Reprehension, daß es nicht wohl anders
seyn könne, als wie Sie sagen; aber, wenn einem solche seltsame
Dinge begegnen wie mir, so wär' es kein Wunder,
wenn einer endlich seinen eigenen Namen darüber vergäße.Und was ist dir denn begegnet? fragte Don Sylvio.
Mach' es kurz, wenn ich bitten darf.Gnädiger Herr, antwortete Pedrillo, das läßt sich nicht
in einem Augenblicke sagen. Ein weiser Mann, sagt das
Sprüchwort, kann in einem Athemzuge mehr fragen, als ein
Narr in einem ganzen Tage beantworten kann. Wenn Sie
mir Zeit lassen wollen, so will ich Ihnen Alles haarklein erzählen;
denn, meiner Six, es ist mir, ich sehe sie noch vor
mir, mit ihren großen braunen Augen und mit der allerliebsten
schelmischen Miene, womit sie mich seitwärts anlachte,
wie sie wieder aufsitzen wollte. Sterb' ich, wenn mir
nicht war, als ob sie mein Herz an einem Bindfaden hinter
sich her zöge! Euer Gnaden werden über mich lachen; aber
ich will nicht ehrlich seyn, wenn ich den Maulesel, auf dem
sie saß, nicht mit neidischen Augen ansah.Mißbrauche meine Geduld nicht länger, sagte Don Sylvio,
der von allem diesem Gewäsche nichts begriff: erzähle mir
ordentlich und von Anfang an, was dir begegnet ist, seitdem
ich eingeschlafen bin.Gut, gnädiger Herr, das will ich auch, wenn Sie nur
Geduld haben können; denn, wie ich sagte, ich habe so viel
zu erzählen, daß ich nicht weiß, wo ich anfangen soll, ob ich
gleich so voll davon bin, daß ich Alles auf einmal heraus
platzen möchte. Aber, weil Sie verlangen, daß ich die Sache
von Anfang erzählen soll: so wissen Sie also, gnädiger Herr;
daß Sie noch nicht lange eingeschlafen waren, als mich
ein oder zwei Mal ein so entsetzliches Gähnen ankam, daß
ich dachte, ich würde den ganzen Abend nicht damit fertig
werden. Ich merkte daraus, daß sich der Schlaf auch bei
mir anmelden wolle; aber, weil ich mir vorgesetzt hatte, bei
Euer Gnaden zu wachen, so wehrte ich mich, so gut ich konnte,
und that, um mich munter zu erhalten, noch zwei oder
drei Züge aus der Flasche; vielleicht mochten es ihrer vier
gewesen seyn, ich kann es so eigentlich nicht sagen. Kurz,
die Flasche wurde endlich leer, ohne daß ich muntrer wurde;
die Augenlieder fielen mir alle Augenblicke zu, und dann
gähnte ich wieder, und so capitulirten wir so lange mit
einander, der Schlaf und ich —O wahrhaftig, rief Don Sylvio, wenn du so erzählen
willst, so wird dein und mein Leben nicht zureichen, bis
du fertig bist. Du hast geschlafen, gut, und da bist du wieder
aufgewacht; oder sind dir die wunderbaren Dinge im Schlafe
begegnet, die du mir erzählen wolltest?Im Schlafe? Nein, wahrlich, gnädiger Herr, damals,
wie ich die Erscheinung hatte, war ich schon wieder aufgewacht,
wie ich Euer Gnaden gesagt haben würde, wenn Sie
mich nur hätten fortreden lassen. Denn, wenn ich die Sache
der Ordnung nach sagen soll, so muß doch Eins auf das Andre
folgen.Ohne Zweifel; aber mußt du deßwegen alle diese nichts
bedeutenden Umstände mit dazu nehmen, wodurch deine Erzählung
so schleppend und einschläfernd wird, als ein altes
Kunkelstuben-Mährchen? Du hast geschlafen und bist wieder
aufgewacht, das ist das ganze Geheimniß; und das hättest
du mit drei Worten sagen können. Nun weiter!Ja freilich, zum Henker, nun weiter! Wenn Sie mich
alle Augenblicke aus dem Concepte bringen, da soll ich's gleich
wieder finden. — Wo blieb ich? — Ja, bei meinem Einschlafen —Du bist ja schon wieder aufgewacht.Man muß doch vorher einschlafen, ehe man wieder aufwachen
wachen kann! Aber, weil Sie's so haben wollen, so sey es
drum! Ich wachte also wieder auf, wie Sie sagten, und,
die Wahrheit zu gestehen, ich würde vielleicht noch schlafen,
wenn mich nicht eine gewisse Nothwendigkeit — ein gewisses —
ich weiß nicht, wie ich's sagen soll, daß es nicht gar zu unhöflich
herauskomme, aber dem Gelehrten, sagt das Sprichwort,
ist gut predigen — kurz, eine gewisse Angelegenheit,
die man durch keinen Procurator verrichten kann — Sie
verstehen mich? —"Unvergleichlich, Pedrillo, mache nur, daß du bald wieder
davon kommst."Ein jedes Ding will seine Zeit haben, sagt Salomon.
Kurz und gut, es war ein Geschäft, das der Corregidor
von Xelva und Seine Majestät der König selbst gerade auf
die nämliche Art verrichten muß, wie der ärmste Bauerjunge.
Und in der That, ich habe schon oft gedacht, wenn große
Herren und Damen der Sache nachdenken wollten — und
es brauchte eben nicht viel Kopfbrechens — es könnte ihnen
ein gut Theil von der hohen Einbildung benehmen, als ob sie
wer weiß wie viel besser seyen, als wir andre gemeine Leute;
wenn sie, zum Exempel, dächten — ich will es aus Respect
vor Euer Gnaden nicht heraus sagen, aber es ist doch gewiß,
daß sie weder Bisam noch Ambra machen; und wenn
man's beim Lichte besieht —Pedrillo, Pedrillo, rief Don Sylvio lachend, wenn du
ins Moralisiren hineinkommst, so kannst du das Ende nicht
wieder finden. Ueberhüpfe immer die erbaulichen Sachen,
die dir bei Gelegenheit, daß du deine Nothdurft verrichtet
hast, beigefallen sind.Ha, nun haben's Euer Gnaden selbst gesagt; das war in
der That nicht verblümt gegeben! Ich hatte mich nimmermehr
unterstanden, die Sache so deutsch herauszusagen; aber,
da es nun einmal heraus ist, so will ich jetzt ohne weitere
Präscription oder Circumherumschweifung sagen, daß, nachdem
ich die Natur erleichtert hatte, welches, im Vorbeigehen
zu sagen, hinter einem dichten Gebüsche, fünfzig oder
sechzig Schritte weit von dem Orte, wo Euer Gnaden schliefen,
geschah —Pedrillo, mein Freund, unterbrach ihn Don Sylvio, ich
sehe, daß du in der Laune bist, mich zur Verzweiflung zu
treiben. Aber fahre immer fort, weil es nun einmal mein
Schicksal ist, daß ich durch die Geduld, die ich mit deiner
mörderischen Waschhaftigkeit haben muß, zum Märtyrer werden
soll — Ich will aushalten, solang es die Natur ausstehen
kann.Gnädiger Herr, antwortete Pedrillo, es sollte mir von
Herzen leid thun, wenn ich Euer Gnaden Geduld mißbrauchte;
aber Sie sehen ja selbst, wie es geht, ein Wort
gibt das andre; und zu dem, so durfte ich den bewußten
Umstand um des folgenden willen nicht vorbei lassen, weil
Sie daraus ersehen können, daß ich gewiß wach und bei völligem
Gebrauch meiner Sinne war. Aber wir wollen uns
um deßwillen nicht entzweien; denn, weil ich jetzt zur Hauptsache
komme, so will ich schon desto kürzer seyn."Vortrefflich, Pedrillo nur keine weitere Entschuldigungen!"Wissen Sie also, lieber gnädiger Herr, als ich wieder
hinter meinem Busche hervorkam und gehen wollte und sehen,
was Euer Gnaden machte, da sah ich —Rathen Sie einmal,
gnädiger Herr, was ich gesehen habe!"Da sahst du in einen Bach, und da sahst du den albernsten,
dümmsten, unverschämtesten, langweiligsten, abgeschmacktesten
Schurken von einem Esel, der seit Bileams
Zeiten jemals den Mund aufgethan hat, nicht wahr?"Sie haben es nicht getroffen, gnädiger Herr; aber ich
will gehangen seyn, wenn Sie's nicht errathen, sobald ich's
Ihnen sage — Eine Fee sah ich, eine Fee, aber die schönste
feenmäßigste Fee, die man nur an einem Sommertage sehen
mag, und die gewiß, wenn es nicht die Frau Rademante
selbst war, schöner und glänzender als alle Bellinen,
Charmanten, Amaranten und Rademanten zusammengenommen
war."Eine Fee, sagst du? Und woher wußtest du, daß es
eine Fee war?"Woher ich's wußte? Sapperment, glauben Sie denn, daß
ich gar nichts wisse? Ich sollte schon so lang in Euer Gnaden
Diensten seyn und nicht wissen, was eine Fee ist?
Wenn es keine Fee war, so sagen Sie, Pedrillo sey ein
Stockfisch, und lassen Sie mich wässern und bläuen wie einen
Stockfisch, bis es genug ist. Ich sage Ihnen, gnädiger Herr,
ihr Gesicht glänzte, als ob es aus einem einzigen Karfunkelsteine
geschnitten wäre — Es wurde auf drei oder vier Meilen
um sie herum so heiter, als ob ein halb Duzend Sonnen
am Himmel ständen — Wenn das keine Fee war, so
können Sie ohne Bedenken alle Ihre Feenmährchen ins Feuer
werfen und sagen, daß nie eine Fee gewesen ist, noch seyn
wird, solange man Suppen mit Löffeln gegessen hat, und,
wenn's Gott gefällt, noch künftig essen wird bis zum lieben
jüngsten Tag!"Gut, gut! und wo sahst du denn die Fee, und was
machte sie?"Was sie machte? Nichts! Aber sie schaute Euer Gnaden
an; nein, das können Sie sich nicht vorstellen; nicht anders,
als ob das Sehen gleich verboten werden sollte; sie stand
ganz hart an Euer Gnaden und bückte sich ein wenig und
sah Sie immer wieder an, daß es eine rechte Lust war, ihr
zuzusehen."War sie allein?"O, das ist eben der Hauptumstand! Wenn sie allein gewesen
wäre, so würd' ich nicht so viel Wesens von ihr machen;
aber sie hatte eine andere kleine Fee oder Nymphe oder Sylphenmädchen,
oder wie man's heißen will, bei sich, das allerdrolligste,
holdseligste kleine Ding, das einer mit Augen
sehen mag."Wie sah sie denn aus? Beschreibe sie mir einmal, ob
ich vielleicht errathen kann, wer es war.""Wie gesagt, Herr, ein liebliches kleines Ding, pechschwarze
Haare —"Ich frage, wie die Fee aussah, rief Don Sylvio."Was ich sage, gnädiger Herr, wunderartig, nicht zu fett
und nicht zu mager, aber frisch und saftig, wie eine Morgenrose;
ein Gesicht wie Milch und Blut, und einen Hals
und Arme — Ich kann's Euer Gnaden nicht beschreiben,
wie mir dabei zu Muthe war; aber das schwör' ich Ihnen
zu, Frau Beatrix ist nur eine Meerkatze gegen sie; ich
schämte mich recht, daß ich so dumm gewesen war und mit
einer solchen alten abgestandenen Mumie gelöffelt hatte; aber
ohne Wissen, ohne Sünde; wenn ich diese hätte voraus sehen
können —"Ich will, daß du mir von der Fee reden sollst, und du
redest mir immer nur von ihrem Mädchen!"Potz Herrich! von was sollt' ich sonst auch reden, gnädiger
Herr? Sie ließ mir keine Zeit, die Andre recht anzusehen.
Sie hätten sie nur sehen sollen! Sapperment, ich hätte
den ganzen langen Tag da stehen und sie angaffen können,
ohne daß ich's müde geworden wäre."Nun, gut denn! aber die Fee —"Die Fee? Ja, was die Fee anbelangt, die stand eben
da, wie ich sagte, und schaute Euer Gnaden an. Ich kann
eben nicht viel von ihr sagen, denn, wie gesagt, das kleine
Ding war immer in Bewegung, und ich sah alle Augenblicke
wieder etwas an ihr, das mich aus dem Concepte brachte.
Ich sagte Ihnen ja gleich anfangs, daß es eine überaus schöne
Fee war; ich denke, die Diamanten und Karfunkelsteine, die
sie an sich hängen hatte, waren wohl zwei oder drei Königreiche
werth, und sie gaben einen Glanz von sich, daß man
sie nicht lang ansehen konnte; aber die Kleinere —"Gut, gut! Sprachen sie denn nichts mit einander?
Hörtest du nichts? Was sagte die Fee?"Was sie sagte? O! sie sagte recht hübsche Sachen, das
versichere ich Sie; ich lauschte wie ein Habicht, und ich habe
mir Alles von Wort zu Wort gemerkt. Sapperment, sagte
sie, das ist doch ein feiner junger Herr! — Gelt, gnädige
Frau? sagte die andre: ich will kein ehrliches Mädchen seyn,
wenn wir in Valencia etwas Hübscheres gesehen haben; ich
wette, was man will, sagte sie, wenn es nicht ein Sylphe
ist, so ist es gar ein Waldgott. — Aber wer mag es denn
wohl seyn? sagte die Fee. — Gnädige Frau, sagte die Kleine,
er muß durch Hexerei hierher gekommen seyn; denn wir
kennen doch alle Mannsleute auf zehn Meilen in der Runde,
und ein so hübscher Junggeselle ist, bei meiner Six, keine
Sache, die lange verborgen bleiben kann —Mit einem Wort,
ich darf Ihnen nicht Alles wieder sagen, was sie von Euer
Gnaden sagten; denn der Hochmuth ist eine von den sieben
Todsünden, und ich wollte nicht ein Kaiserthum drum nehmen
und es auf meinem Gewissen haben, wenn Euer Gnaden
nur eine Stunde länger im Fegfeuer sitzen müßte, als
es Gott und unsrer lieben Frau gefallen wird.Aber, wenn sie Alles das gesagt haben, mein guter Pedrillo,
was du da erzählst, so sind es eher ein paar Landsteicherinnen
gewesen, als Feen. — Wann haben jemals
Feen in einem so pöbelhaften Tone gesprochen?"Ich muß bekennen, gnädiger Herr, daß ich selbst einen
kleinen Scrupel darüber bekam; und das machte mich auch
so beherzt, daß ich näher zu ihnen ging und mit ihnen
redte. Aber, wie ich dem kleinen Mädchen wieder in die
Augen sah, und wie ich die Juwelen ansah, womit die Andre
über und über behangen war — ja, und das hätt' ich schier
vergessen, sie hatten auch ein paar Salamander bei sich, die
wie die helle Sonne glänzten und bei den Maulthieren
standen, auf denen die beiden Feen gekommen waren."Salamander, sagst du?"Ja, gnädiger Herr, Salamander, leibhafte Salamander!
Und wie die beiden Damen sich wieder auf ihre Maulthiere
gesetzt hatten, so flogen sie alle mit einander durch die Luft
davon, daß ich in einem Augenblicke so wenig von ihnen sah,
als ob sie nie da gewesen wären.Pedrillo, mein Freund, rief Don Sylvio aus, entweder
du willst mir die Ehre anthun, deinen Spaß mit mir zu treiben,
oder die Dünste des Malaga hatten deine Augen bezaubert,
wie du diese Dinge sahst. Seitdem es Feen gegeben
hat, hat man noch keine auf Maulthieren reiten
sehen! Wenn du noch gesagt hättest, sie seyen in einem
goldnen oder elfenbeinernen Wagen mit geflügelten Maulthieren
davon gefahren, das ginge noch an. Aber, daß eine
Fee nicht anders reisen soll, als eine jede ehrliche Pachtersfrau,
das mache einem Andern weiß oder bekenne, daß du
nichts davon verstehst. Deine Fee ist aufs höchste ein Frauenzimmer,
die ein Landgut in dieser Gegend hat; die Nymphe,
die dir so wohl gefiel, war ihr Kammermädchen, und was
du für Salamander angesehen hast, das werden ein paar
Erdensöhne von kleinen Jungen gewesen seyn, die gewiß sehr
verlegen seyn würden, wenn sie, wie die wahren Salamander,
auf einem Sonnenstrahl in sechs oder sieben Minuten
von einem Ende der Welt zum andern reiten müßten.Gnädiger Herr, antwortete Pedrillo, ich hätte doch gedacht,
daß ich ein besseres Zutrauen von Euer Gnaden verdient
hätte, als daß Sie glauben sollten, ich wolle Ihnen
was weiß machen. Wenn die Salamander, die ich bei den
Maulthieren stehen sah, keine Salamander waren, so ist das
ihre Sache und nicht die meinige; was geht das mich an?
oder warum soll ich subligirt seyn, zu wissen, ob sie dieß
oder jenes sind? So viel können Sie mir glauben, daß der
Irrwisch, den Sie vergangene Nacht für einen Salamander
ansahen, nicht des zehnten Theils so viel Salamander war,
als diese da; ich will zu einem Kohlhaupte werden, wenn er
etwas Besseres in Vergleichung mit ihnen war, als ein
Schwefelhölzchen gegen ein Windlicht. Und was die Fee
anbelangt, so sollen mir weder Artischokeles noch Pluto ausreden,
daß sie nichts Bessers und nichts Schlechters als die
Fee Rademante gewesen ist, wenn es nicht gar Ihre Prinzessin
selbst war; denn in der That, sie hatte viel Aehnlichkeit
mit dem kleinen Bildnisse, das Ihnen die Fee gegeben
hat."Du faselst, mein lieber Pedrillo."Mein Six! gnädiger Herr, es ist, wie ich sage! Weisen
Sie mir doch einmal die Prinzessin, wenn Sie so gut seyn
wollen — Pestilenz! es ist nicht anders, als ob es an ihr
herunter geschnitten wäre! Die Größe ausgenommen (denn
in der That könnte sie dieses ganze Bildchen auf den Nagel
ihres Daumens setzen), wollt' ich schwören, daß sie es selber
wäre.Höre, Pedrillo, sagte Don Sylvio, wenn es nicht der
ganze Inhalt deiner albernen Erzählung schon klar genug
machte, so würde dieser einzige Umstand ein genugsamer Beweis
seyn, daß du geträumt haben mußt. Ich bin so gewiß,
als ich's von meinem eignen Daseyn bin, daß dieses Bildniß
Niemand in der Welt ähnlich sieht, als meiner Prinzessin!
Nun ist unleugbar, daß meine Prinzessin nicht eher
aufhören kann, ein Schmetterling zu seyn, bis ich sie gefunden
und ihr Kopf und Flügel ausgerissen habe: folglich ist
es die Unmöglichkeit selbst, daß die Person, die du gesehen
zu haben glaubst, meiner Prinzessin gleich sehe. Das ist
eine Demonstration, die so gut ist, als die beste im Euklides.Ich verstehe mich nichts auf Remonstrationen, Herr Don
Sylvio, erwiederte Pedrillo; aber, was ich gesehen habe, das
hab' ich gesehen, und Sie können mir nicht verargen, daß
ich meinen Augen mehr glaube, als Ihren Schlüssen. Wenn
ich eine Zwiebel vor mir habe, und es ständen alle Baccularien
und Licentiaten von Salamanca, ja alle Patriarchen,
Herarchen und Monarchen der ganzen Christenheit da und
bewiesen mir, daß es eine Schöpskeule sey, so würde ich
doch glauben, daß eine Zwiebel eine Zwiebel ist. Und warum
das? Weil meine Augen meine Augen sind, und weil Niemand
in der Welt besser wissen kann, als ich selbst, ob ich
sehe, was ich sehe. Kurz und gut, Euer Gnaden kann hiervon
glauben, was Ihnen beliebt, es wird sich seiner Zeit
schon ausweisen, wer Recht hat, das ist mein Trost! Denn
die Fee, sie mag auch seyn, wer sie will, wird es, denk' ich,
bei diesem ersten Besuche nicht bewenden lassen. Sie machte
mir, beim Velten! eine Miene, als ob sie nicht viel Gutes
im Sinne habe, und es däuchte mich, sie hörte es gar nicht
gern, daß Euer Gnaden in einen bezauberten Sommervogel
verliebt sind."Hast du ihr denn das gesagt, Pedrillo?"Wenn ich es nicht hätte sagen sollen, antwortete Pedrillo
ein wenig erschrocken, so bitte ich Euer Gnaden tausendmal
um Vergebung! Ich weiß selbst nicht, wie mir geschah,
aber die kleine Hexe, ihr Mädchen, machte mich so treuherzig,
daß sie mir immer Eins nach dem Andern herauslockte; ich
muß bezaubert gewesen seyn; und zu dem, dacht' ich, wenn
sie eine Fee ist, so weiß sie das Alles ohnehin, und es würde
sie nur ungehalten machen, wenn ich auf ihre Fragen nicht
die rechten Antworten gäbe."Sie fragte dich also aus, und du sagtest ihr Alles?"Ja, gnädiger Herr, aber nur überhaupt und so verblümt,
daß sie nichts davon hätte verstehen können, wenn sie keine
Fee gewesen wäre. Aber, wie ich sagte, die Kleine sah mir
aus, als ob sie alles schon vorher besser wisse, als ich selbst;
ich wollte gleich wetten, sie fragte mich nur, um zu sehen,
was ich ihr antworten würde."Und was sagte denn diejenige dazu, die du für die Fee
ansahst?"Nichts Sonderliches; denn sie eilte gar gewaltig fort. Wir
müssen gehen, sagte sie und machte ein ziemlich verdrießliches
Gesicht dazu: was wird mein Bruder denken, wenn
wir so spät nach Hause kommen?O Himmel! rief hier Don Sylvio aus und wurde so
blaß, wie ein weißes Tuch: jetzt geht mir auf einmal ein
schreckenvolles Licht auf. Wie, wenn es die Schwester des
grünen Zwergs —Potz Gift! gnädiger Herr, schrie Pedrillo, was Sie da
für einen Einfall haben! Der Himmel gebe, daß Sie's nicht
errathen haben mögen! Aber jetzt erinnern Sie mich wieder
dran, sie hatte in der That einen grünen Unterrock und eine
grüne Weste an, mit Gold gestickt. Mein Seel! was ich
für ein Dummkopf bin! Ich dachte an nichts Böses! Aber
das verzweifelte kleine Mädchen —Je mehr ich alle Umstände deiner Erzählung überlege,
fuhr Don Sylvio fort, desto mehr find' ich mich in meiner
Vermuthung bestärkt. Es ist nichts gewisser, als daß es
diese verhaßte Donna Mergelina war —Aber die Fee war so schön, wie ein Frühlingstag, und
Donna Schmergelina ist, mit allem Respect vor Euer
Gnaden, der garstigste Sausödel, den ich in meinem Leben gesehen
habe. Wie reimt sich das?"Die Fee, ihre Tante, hat Macht genug, ihr was für eine
Gestalt sie will zu geben; und es ist gewiß nicht ohne Ursache,
daß sie, wie du behauptest, eine Aehnlichkeit mit meiner
geliebten Prinzessin hatte."Die hatte sie, gnädiger Herr. Aber, beim Element! wenn
sie nur wählen kann, was für eine Gestalt sie annehmen
will, so war sie eine große Närrin, daß sie sich Ihnen nicht
lieber gleich anfangs in einer schönen zeigte. Sapperment!
sie muß gewaltig in ihren Buckel und in ihren breiten
Busen verliebt seyn!Das Alles hat seine Ursachen, erwiederte Don Sylvio.
Meinst du, diese Zwergin, so abscheulich sie ist, schmeichle
sich nicht, eine der liebenswürdigsten Personen ihres Geschlechts
zu seyn? Oder glaubst du, sie würde meiner Prinzessin
nur den kleinsten Vorzug vor ihr eingestehen? Die
Eigenliebe ist die größte unter allen Feen; sie braucht weder
Zauberstab noch Talismane, um die seltsamsten Verwandlungen
zu machen. Wenn ich mich dessen, was mir in den
Gärten der Fee Radiante begegnet ist, und des neuerlichen
Abenteuers mit der Sylphide erinnere, so besorge ich sehr —Wohl denn, gnädiger Herr, fiel ihm Pedrillo wieder ein;
wenn die schöne Dame, die Euer Gnaden so aufmerksam
betrachtete, Donna Schmergelina ist, so kann ich nichts dazu,
ich muß es geschehen lassen; aber für die Kleine will ich
gebeten haben! Ich weiß nicht, wie es kommt, aber mein
Herz sagt mir, die Gestalt, die sie hatte, war ihre eigene;
ich will mir die Ohren abschneiden lassen, wenn Sie in der
ganzen weiten Welt ein Paar Augen oder eine Nase oder
ein kleines Schnäuzchen finden, die ihr besser ließen, als
ihre eigenen. Mit einem Wort, ich lass' ihr nichts geschehen:
und wenn Euer Gnaden sie ja in etwas verwandeln will,
so müßt' es in einen Pomeranzenbaum seyn; aber mit der
Bedingung, daß ich in eine Biene transferirt werde, und
daß, außer mir, alle andre Bienen Hummeln, Wespen,
Hornissen, Fliegen und Mücken auf zweihundert quadrate
Cubikmeilen in die Runde von ihr verbannt seyn sollen.Heida, Pedrillo, rief Don Sylvio, du bekommst ja ganz
poetische Einfälle! Was die Liebe nicht thut! Wenn du so
fortmachst, so werden wir noch zuletzt ganze Bände voll zärtlicher
Elegien und Sonette von deiner Handarbeit zu sehen
bekommen. Aber, mein guter Freund, schmeichle dir nicht
zu viel! Es wäre nicht das erste Mal, daß der grüne Zwerg
die Gestalt einer schönen jungen Nymphe angenommen hätte;
du sollten dich noch wohl erinnern, was mir diesen Morgen
begegnet ist. Das Einzige, was mich noch etwas Bessers
hoffen heißt, ist, daß sie mir das Bildniß meiner Prinzessin
gelassen haben.Und wenn man recht nachsieht, so wird Euer Gnaden
das wohl wieder einem gewissen Pedrillo zu danken haben!
Versichert, sie waren Euer Gnaden schon nahe genug auf
dem Leibe, und wer weiß, was hätte geschehen können, wenn
ich nicht in Zeiten dazu gekommen wäre! In der That
machte mir die kleine Spitzbübin eine Miene, wie eine
kleine Spitzbübin, und zischelte der andern, was weiß ich
was, in die Ohren und wies immer mit dem Finger auf
Euer Gnaden; aber, wie gesagt, ich verrückte ihnen das
Concept, wie ich hinter meinem Busche hervorkam. Wahrhaftig,
meine guten Damen, Pedrillo ist ein feinerer Kauz,
als ihr euch einbildet! Er schneuzt sich nicht am Aermel,
das könnt ihr versichert seyn!Gut, gut, sagte Don Sylvio, indem er aufstand und
sich wieder reisefertig machte: für dieß Mal sind wir noch
glücklich genug davon gekommen. Aber wir wollen uns nicht
länger hier aufhalten; der Abend ist überaus anmuthig, und
wir können noch ein paar Stunden reisen, eh' es Nacht
wird. Es wird sich vielleicht in Kurzem aufklären, was die
Erscheinung, die du gesehen, zu bedeuten hatte.Pedrillo, der bekanntermaßen immer das letzte Wort
haben mußte, nahm von dem unschuldigen Worte Bedeuten
Anlaß, das Gespräch unvermerkt auf die fruchtbare Materie
von Vorbedeutungen, Ahnungen und Anzeichen zu lenken,
und begabte seinen Herrn, während sie ihren Weg fortsetzten,
mit einer sehr umständlichen Erzählung aller Histörchen dieser
Art, die seit undenklichen Zeiten den Tanten und Großmüttern
in seiner Freundschaft, vermöge einer ununterbrochenen
Ueberlieferung von Großmutter zu Großmutter,
begegnet seyn sollten. Er merkte nicht, daß Don Sylvio,
der mit ganz andern Betrachtungen beschäftigt war, nicht die
geringste Aufmerksamkeit auf seine Erzählung hatte; und
wenn er's auch gemerkt hätte, so würde er vielleicht nichts
desto weniger fortgemacht haben. Denn Denken und Reden
war bei dem guten Pedrillo einerlei. und wenn er nur
ungehindert plaudern durfte, so bekümmerte er sich wenig
darum, ob man ihm zuhörte oder nicht; eine Bescheidenheit,
die ihm mit einem gewissen Versemann von unsrer Bekanntschaft
gemein war. Dieser Günstling des Phöbus Apollo
besuchte seine Freunde nie, ohne ein paar starke Hefte von
seiner Arbeit zu sich zu stecken, die er sobald er sich gesetzt
hatte, vorzulesen anfing. Sein Zuhörer hatte inzwischen
vollkommene Freiheit, zu gähnen, einzuschlafen, ja, so laut
zu schnarchen, als er nur wollte; seine Begeisterung erlaubte
ihm nicht, darauf Acht zu geben, und wenn der Zuhörer
nach einem Schlafe von zwei oder drei Stunden nur früh
genug erwachte, um den Schluß des Gedichts zu hören und
den Beifall zu bekräftigen, den der Versemann sich selbst
gab, so fiel es diesem gar nicht ein, zu zweifeln, daß er
seinem Freunde die angenehmste Zeitkürzung von der Welt
gemacht habe.—————
Drittes CapitelWorin Don Sylvio sehr zu seinem Vortheil erscheint.Unsre Wanderer waren ungefähr eine halbe Stunde fortgegangen,
als etliche Pistolenschüsse und zu gleicher Zeit ein
ängstliches Geschrei aus dem benachbarten Gebüsch in ihre
Ohren drangen.Das ist eine Stimme, die um Hülfe ruft, sagte Don
Sylvio; wir müssen sehen, was es ist.Pedrillo, der bei Nacht und in den Gespensterstunden die
feigeste Memme von der Welt war, hatte hingegen Herz wie
ein junger Stier aus Andalusien, wenn es darum zu thun
war, sich mit Leuten von Fleisch und Blut bei Tageslicht
herumzubalgen. Er machte also nicht die geringste Schwierigkeit,
seinem Herrn zu folgen; und sie waren kaum fünfzig
oder sechzig Schritte, dem Getümmel nach, ins Gebüsch hineingegangen,
als ihnen auf einem ziemlich großen Platze
drei junge Männer zu Pferd in die Augen fielen, die mit
der äußersten Wuth von ihrer sieben angefallen wurden, von
denen vier gleichfalls beritten waren. Don Sylvio flog, ohne
sich einen Augenblick zu besinnen, den Schwächern zu Hülfe,
unter denen er einen schönen jungen Ritter erblickte, der
sich ganz allein gegen drei von seinen Gegnern mit der Tapferkeit
eines echten Spaniers, der für seine Dame ficht,
vertheidigte. Einen Augenblick später würde sein Beistand
zu spät gekommen seyn; denn einer von den Gegnern des
jungen Ritters war im Begriff, einen Streich auf ihn zu
führen, der dem Gefecht auf einmal ein Ende gemacht hätte,
wenn Don Sylvio sich nicht in eben dem Augenblicke dazwischen
geworfen und den Streich mit seinem Schlachtschwert
aufgefaßt hätte, welches in der That der mörderischen Durindana
des großen Orlando weit ähnlicher sah, als einem
heutigen Stutzerdegen.Während Don Sylvio, so ungeübt er auch in solchen blutigen
Geschäften war, die Feinde durch seine Erscheinung,
durch seinen Muth und durch die gewaltigen Streiche, die
er auf sie führte, in kein gemeines Erstaunen setzte, blieb
Pedrillo seines Orts auch nicht müßig. Er hatte zwar kein
andres Gewehr als einen dicken knotigen Stecken von Schwarzdorn:
allein er wußte sich dessen mit so vielem Nachdruck und
mit solcher Behendigkeit zu bedienen, daß er in wenigen
Augenblicken zwei der streitbarsten Feinde unter seine Füße
brachte. Kurz, unsre Abenteurer arbeiteten mit so gutem Erfolg,
daß sich der Sieg für ihre Partei erklärte, und die
Feinde gezwungen wurden mit Zurücklassung zweier stark
Verwundeter, ihre Sicherheit in der Flucht zu suchen.Sobald das Gefecht geendigt war, sah sich Don Sylvio
nach dem jungen Ritter um, der ihn beim ersten Anblick so
sehr interessirt hatte, um ihm seine Freude über den glücklichen
Ausgang dieses gefährlichen Abenteuers zu bezeigen.
Aber dieser hatte jetzt nichts Angelegeneres, als einer jungen
Dame zuzueilen, welche, nicht weit von dem Kampfplatz,
ohnmächtig in den Armen ihrer Kammerfrau lag. Man
hatte große Mühe, sie wieder zu sich selbst zu bringen, und
die Art, wie der junge Ritter sich dabei bezeigte, ließ es
zweifelhaft, ob sie seine Schwester oder seine Geliebte sey.
Sobald sie den Gebrauch ihrer Sinne wieder hatte, sagte er
zu ihr: Liebste Jacinte, wenn Ihnen Ihre Befreiung angenehm,
und das Leben eines Freundes, der nur für Sie zu
leben wünscht, nicht gleichgültig ist, so sehen Sie hier den
liebenswürdigen jungen Mann, dessen Großmuth und Tapferkeit
ich beides zu danken habe.Don Sylvio näherte sich bei diesen Worten mit dem edeln
und anmuthsvollen Anstande, womit ihn die Natur oder ich
weiß nicht was für eine Fee bei seiner Geburt begabt hatte;
und nachdem er die junge Dame durch eine tiefe Verbeugung
gegrüßt hatte, bezeigte er ihr seine Freude über ihre Befreiung
in den lebhaftesten Ausdrücken. Es ist wahr, sein
Compliment hatte, seiner Gewohnheit nach, einen ziemlich
schwülstigen und romanhaften Schwung; allein die Gemüthsbewegung,
worin diese beiden Personen waren, verhinderte
sie, es zu bemerken. Die junge Dame war noch zu schwach
und erschrocken, um ihm ihre Dankbarkeit anders als durch
Geberden zu erkennen zu geben: aber Don Eugenio (so hieß
der junge Cavalier) und Don Gabriel, sein Freund, der unserm
Helden nicht weniger für sein Leben verbunden war,
bezeigten ihm die ihrige in desto lebhafteren Ausdrücken; und
nachdem sie von Don Sylvio vernommen hatten, daß er unbeschädiget
davon gekommen sey, sagte Don Gabriel zu der
schönen Jacinte: Unser Beschüzer ist in allen Stücken so sehr
einem Schutzengel ähnlich, daß es kein Wunder ist, daß er
auch so unverwundbar als ein Engel ist.Don Sylvio betrachtete indessen die junge Dame mit einer
Aufmerksamkeit und mit einer gewissen innerlichen Regung,
die ihn selbst befremdete, da er geglaubt hatte, daß kein
Frauenzimmer in der Welt reizend genug seyn könne, den
geringsten Eindruck auf ein Herz zu machen, in welchem das
Bildniß seiner Prinzessin herrschte. Die Gestalt dieser jungen
Person, die nicht über sechzehn Jahre zu haben schien, hatte
zwar beim ersten Anblick nichts Blendendes; aber diesen zauberischen
Reiz, der sich nicht beschreiben läßt und nach dem
Urtheil der Kenner noch etwas Schöneres als die Schönheit
selbst ist, konnte man in keinem höhern Grad besitzen. Es
war unmöglich, ihr nicht beim ersten Blicke gewogen zu werden;
eine so anziehende Anmuth war über ihre ganze Person
ausgebreitet. Ihr gleichgültigster Blick hatte etwas Rührendes,
ihr gewöhnlicher Ton der Stimme war Musik, und
der Kummer selbst konnte das reizende Lächeln nicht auslöschen,
das ihren angenehmen Mund umfloß.Don Sylvio schien die Wirkung dieser verführerischen
Reizungen etliche Augenblike lang so stark zu erfahren, daß
Don Eugenio dadurch hätte beunruhiget werden können, wenn
nicht die Wunden, die er und sein Freund im Gefechte bekommen
und in der ersten Hitze nicht geachtet hatten, stark
genug zu bluten angefangen hatten, daß sie nöthig fanden,
sich auf der Stelle verbinden zu lassen. Jacinte, die kein
Auge von Don Eugenio verwandte, sah kaum das Blut ihres
Freundes fließen, als sie mit einem ängstlichen Schrei in
eine abermalige Ohnmacht sank.Dieser Zufall gab unserm Helden Gelegenheit, sich in dem
Gedanken zu bestärken, daß diese beiden Personen nichts Anderes
als ein paar Verliebte seyn könnten, und er zweifelte
nunmehr nicht daran, daß die junge Dame eine Prinzessin
sey, die ein verhaßter Nebenbuhler mir Hülfe irgend eines
Zauberers ihrem beglaubigten Liebhaber habe entziehen wollen.
Diese Vorstellung verdoppelte natürlicher Weise den
Antheil, den er bereits an ihrem Schicksale zu nehmen angefangen
hatte.Die Wunde des Don Eugenio war keine von den gefährlichen,
und die Ohnmacht der schönen Jacinte so unschädlich,
als alle Ohnmachten junger Mädchen zu seyn pflegen, sie
mögen nun ihren Grund in einem Uebermaß von Schmerz
oder Vergnügen haben. Nachdem man also die junge Dame
durch englisches Salz wieder hergestellt und die beiden Ritter
verbunden hatte, so gut es in der Eile möglich war; so
wurde beschlossen, weil die Nacht herein brach, und Donna
Jacinta der Ruhe benöthiget war, in dem nächsten Wirthshause,
das man antreffen würde, still zu halten. Unser Held
erbot sich, sie um mehrerer Sicherheit willen zu begleiten,
und Don Eugenio nahm sein Erbieten desto williger an, da
er sehr begierig war zu wissen, wer der eben so liebenswürdige
als sonderbare Unbekannte seyn möchte, dem er so
unverhoffter Weise sein Leben und seine Geliebte schuldig geworden
war. Nach einigen hin und wieder gewechselten Complimenten
setzte sich also Don Eugenio zu der jungen Dame in
den Wagen und überließ unserm Ritter das Reitpferd.
Pedrillo, der indeß über Alles, was er sah, große Augen
gemacht hatte und sich nicht wenig auf die verbindlichen
Sachen einbildete, die ihm Don Gabriel und der Kammerdiener
von seiner Tapferkeit sagten, ließ sich, wiewohl
nicht ohne viele Mühe, bereden, seinen Platz neben der
Dame Teresilla zu nehmen, einer jungen Person von fünf
und dreißig Jahren, welche so schön mit Roth und Weiß bemalt
war und die Jugend ihres Gesichts durch die sittsame
Enthüllung eines nicht unfeinen Halses so geschickt zu bestätigen
wußte, daß Pedrillo in kurzer Zeit stark genug davon überzeugt
wurde, um im Nothfalle sein Sylphenmädchen dran zu
setzen, daß sie nicht über zwanzig Jahre habe.—————
Viertes CapitelDie Gesellschaft langt in einem Wirthshause an.Weil die Reise ziemlich langsam ging, so war es beinahe
zehn Uhr, als sie in einem Wirthshause anlangten, wo sie
außer einer Anzahl leerer Gemächer nicht die geringste Bequemlichkeit
antrafen.Es war ein Vortheil für unsere Gesellschaft, daß die
Hauptpersonen mehr der Ruhe als des Essens benöthigt
waren; denn der Wirth hatte, nach der Gewohnheit aller
seines Gleichen, für Alles, was man verlangte, eine Entschuldigung
fertig: das Wildpret war gestern ausgegangen,
frisches Fleisch sollte er morgen bekommen, seine Tauben
hätte der Stoßvogel geholt, und erst diese Nacht hatte ein
kleiner Teufel von einem Marder seinen ganzen Hühnerstall
entvölkert. Allein bis morgen Mittag hoffte er so vornehme
Gäste besser zu bedienen; denn sein Wirthshaus hatte das
Glück, häufig von großen Herren besucht zu werden, und
nur erst vorgestern hatten sie den Grafen von Leyva und
Montags zuvor die verwittwete Herzogin von Medina-Sidonia
mit einem großen Gefolge von Damen und Cavalliers
gehabt.In diesem Tone würde es noch lange fortgegangen seyn,
wenn ihm Jemand hätte zuhören wollen. Allein, da die
Dame Teresilla, der Kammerdiener und Pedrillo mit ihren
Herrschaften, und diese mit sich selbst zu thun hatten, mußte
er sich's gefallen lassen, mitten in dem Mittagsessen der
Herzogin von Medina-Sidonia, welches er ihren Ohren auftrug,
abzubrechen, und so zog er sich endlich mit vielen Verbeugungen
in den Stall zurück, um dafür zu sorgen, daß
die Pferde und Maulthiere eben so gut bedient werden
möchten — als ihre Herren.Donna Jacinta, die sich nicht allzu wohl befand, beurlaubte
sich von ihren Beschützern, nachdem sie ihnen, besonders unserm
Helden, für die Großmuth, womit sie ihr Leben für sie
gewagt, auf eine sehr einnehmende Art gedankt hatte.Don Sylvio begleitete den Don Eugenio und seinen
Freund in ihr Zimmer, um der Verbindung ihrer Wunden
beizuwohnen, und bediente sich des Vorwands, daß die Ruhe
das beste Heilmittel für sie seyn werde, um ihnen bald darauf
eine gute Nacht zu wünschen.Diese beiden jungen Herren, und besonders Don Gabriel,
hatten sich, soviel es der Wohlstand erlaubte, bemüht ihn
zu Entdeckung seines Namens und Standes zu veranlassen,
ohne etwas Anderes als abgebrochene und geheimnißvolle
Aeußerungen von ihm zu erhalten, wodurch sie ziemlich in
dem Gedanken bestätiget wurden, daß er eine Art von Abenteurer
seyn könnte. Auf der andern Seite hingegen wurden
sie durch seine Schönheit, das edle Ansehen seiner Person,
seine Tapferkeit und die Höflichkeit seines Betragens desto
stärker zu seinem Vortheil eingenommen, da es leicht zu bemerken
war, daß er alle diese Vorzüge der Natur allein zu
danken hatte. Denn, ob er gleich diejenige Art von Höflichkeit
besaß, die von dem conventionellen Wohlstand unabhängig
ist und daher bei allen Völkern dafür erkannt wird, weil
sie bloß in dem Ausdruck einer leutseligen Gemüthsart
und in der Verbindung einer gewissen Achtung gegen uns
selbst mit derjenigen, die wir Andern schuldig sind, besteht:
so fehlte es doch seinen Manieren gänzlich an dem Tone,
der damals unter der guten Gesellschaft in den vornehmsten
Städten von Spanien herrschte. Eben dieses fiel auch in seiner
Kleidung und in seinem Putz in die Augen; insonderheit
machte das große Schlachtschwert, das an seiner Seite hing,
mit seinem übrigen Ansehen einen so lächerlichen Abstich,
daß man nicht wußte, was man davon denken sollte.Indessen nun, daß die beiden Ritter ihre Neugier auf
den folgenden Tag vertrösteten, erfreute sich Don Sylvio
seines Orts nicht wenig, daß er glücklich genug gewesen war,
einer von den liebenswürdigsten Prinzessinnen in der Welt
und einem jungen Prinzen oder Ritter, der ihrer vollkommen
würdig zu seyn schien, Dienste zu leisten: und da er
nicht zweifelte, daß sich irgend eine große Fee ihres Schicksals
annehme, so hoffte er, diese neue Bekanntschaft könnte
vielleicht in der Folge einen günstigen Einfluß in seine eigenen
Angelegenheiten haben.Diese lagen ihm zu nah am Herzen, als daß er sich lange
mit andern Betrachtungen hätte beschäftigen können. Das
Bild seiner geliebten Prinzessin, ihre klägliche Verwandlung,
die Nachstellungen der Fee Fanferluche, kurz Alles, was ihm
seit einigen Tagen begegnet war, bemächtigte sich also wieder
seiner ganzen Einbildungskraft; und nachdem er sich ein paar
schlaflose Stunden lang seinen gewöhnlichen Träumereien
überlassen und das Schicksal seiner unglücklichen Prinzessin
und sein eigenes aufs wehmüthigste beklagt hatte, schlummerte
er endlich in den frohen Aussichten ein, die eine geheime
Ahnung ihm näher vorstellte, als er's zu glauben
Ursache hatte.—————
Fünftes CapitelDer Autor hofft, daß dieses Capitel keiner Kammerjungfer in die
Hände fallen werde.Indessen, daß wir die Prinzessinnen und Helden zu Bette
gebracht haben, — wo wir sie, solang es ihnen gefällt, ruhig
schlafen lassen wollen — hatte Pedrillo (der, wie wir schon
bemerkt haben, jederzeit von dem gegenwärtigen Augenblick
abhing) der Begierde nicht widerstehen können, mit der schönen
Teresilla sich etwas genauer bekannt zu machen. Zu
gutem Glücke war Niemand, der ihm den Vortheil eines
Tête à Tête hätte streitig machen wollen; denn der Kammerdiener,
der durch einen Streifschuß und zwei oder drei kleine
Hiebe im Gefecht verwundet worden war, hatte sich bereits
zur Ruhe begeben, und der Kutscher war kein Mann, der
sich hätte unterstehen dürfen, seine Augen bis zu einer Kammerjungfer
zu erheben.Pedrillo machte sich also die Gelegenheit zu Nutze und
unterhielt die Dame Teresilla, während eine dicke schmutzige
Galizierin in der Küche mit Zubereitung eines wohl
bezwiebelten Hasenpfeffers von einer alten Hauskatze beschäftigt
war.Die Annehmlichkeiten ihres Umgangs verdoppelten den
Eindruck, den die Rosen und Lilien ihres verjüngten Gesichts
auf einen ehrlichen Bauerkerl machen konnten, der sie für
natürlich hielt; und nachdem sie, der großen Hitze wegen,
sich zuletzt gar ihres Halstuches entlediget hatte, so stieg
seine Leidenschaft (mit Ueberhüpfung aller Grade, wodurch
eine platonische Liebe unvermerkt fortzuschleichen pflegt) auf
einmal so hoch, daß die schöne Teresilla, wie groß auch immer
ihr Vertrauen auf die Stärke ihrer Tugend seyn
mochte, gar bald Ursache bekam, sich in einiger Gefahr zu
glauben.Dem ungeachtet ist gewiß, daß sie, es sey nun aus guter
Meinung von ihrem Gesellschafter oder aus jugendlicher Unerfahrenheit
oder aus irgend einer besondern Absicht, sich so
mit ihm betrug, als ob sie nicht das Geringste von ihm zu
befürchten hätte. Das Letztere läßt sich um so eher vermuthen,
weil sie den Vortheil kaum bemerkte, den ihr die
Schwachheit des armen Pedrillo zu geben schien, als sie die
ganze Macht ihrer Reizungen und ihrer Beredsamkeit anwandte,
um den Namen und die Angelegenheiten seines
Herrn von ihm herauszulocken.Allein Pedrillo, der eine ähnliche Beobachtung gemacht
haben mochte, hatte sich vorgenommen, ihr sein Geheimniß so
theuer zu verkaufen, als es nur immer möglich seyn möchte.
Er drang also darauf, daß sie ihm zuerst die Geschichte der
Donna Jacinta entdecken müßte, ehe er nur in Versuchung
kommen könne, das ausdrückliche und scharfe Verbot seines
Herrn so leichtsinniger Weise zu übertreten.Die schöne und, wie wir vielleicht bald hinzu setzen
müssen, die zärtliche Teresilla, welche merkte, daß sie mit
einem Menschen zu thun hatte, bei dem durch allzu große
Strenge nichts auszurichten war, trug nicht das geringste
Bedenken, seine Neugier durch eine weitläufige Erzählung
zu befriedigen, welche, die Hauptumstände ausgenommen,
so apokryphisch seyn mochte, als gemeiniglich die Erzählungen
sind, worein der große Haufe der Kammermädchen die Anekdoten
ihrer gebietenden Frauen einzukleiden pflegt. Pedrillo
erfuhr also, daß Donna Jacinta weder mehr noch weniger
Donna sey, als irgend eine, die ihre Wäsche an einem Zaun
aufhängt; daß ihr Gesicht und ihre kleine Person ihren Adel,
ihr Vermögen und alle ihre Rechte und Ansprüche in sich
fasse; und daß man sogar vermuthe, daß sie ein Findelkind
sey, dem seine Mutter nicht habe sagen können, wem es sein
Daseyn zu danken habe. Sie habe seit einiger Zeit auf dem
Theater zu Grenada ziemlich viel Aufsehens gemacht und
nicht weniger Liebhaber gehabt, als alle Mannsleute, welche sie
gesehen hätten, unter denen sich aber keiner mehr Mühe gegeben
habe, ihr Herz zu erobern, als Don Fernand von Zamora,
ein sehr reicher junger Cavalier, der einen ungeheuren Aufwand
um ihrentwillen gemacht habe, ohne daß er, soviel
man wisse, jemals das Mindeste von ihr habe erhalten
können. Kurz, unter so Vielen, die um sie geseufzet hätten,
sey Don Eugenio von Lirias der Einzige, dessen eben so
tugendhafte als heftige Leidenschaft sie, wo nicht aufzumuntern,
doch wenigstens zu dulden geschienen habe. Allein, wer die
Donna Jacinta kenne, sey so blöde nicht, sich durch diesen
Schein einer strengen Tugend hintergehen zu lassen. Es sey
eine ausgemachte Sache, daß sie den Don Eugenio bis zur
Ausschweifung liebe, und daß sie nicht lange grausam gegen
ihn geblieben seyn würde, wenn sie nicht im Sinne gehabt
hätte, ihn so weit zu bringen, daß er endlich die Thorheit
beginge, sie gar zu heirathen. In dieser Absicht habe sie ihn
wirklich überredet, sie vom Theater wegzunehmen und auf
einige Zeit in einem Kloster zu Valencia zu versorgen, bis
sie unter einem andern Namen nach und nach in der Welt
hätte erscheinen sollen. Allein zum Unglück sey dieses Vorhaben
(die Dame Teresilla hätte, wenn sie gewollt, gar wohl
sagen können von wem, denn sie war es selbst) dem Don
Fernand etliche Wochen vor der Ausführung verrathen worden.
Dieser habe die Verzweiflung über seine unglückliche Leidenschaft
und andere Ursachen zum Vorwand genommen, sich von
Grenada wegzubegeben, damit er indessen Anstalten machen
könnte, sie seinem glücklichern Nebenbuhler zu entreißen. Er
müsse, wie der Ausgang gezeigt, sogar den Tag gewußt
haben, wann Jacinta nach Valencia abgehen würde; kurz,
er habe seine Maßregeln so gut genommen, daß er sie eine
Stunde von Montesa überrascht und in seine Gewalt bekommen
habe. Seine Absicht sey vermuthlich gewesen, sie
auf eines seiner Güter in Aragon zu führen; allein das
gute Glück ihrer Dame habe gewollt, daß sie unterwegs auf
Don Eugenio, den man zu Valencia zu seyn geglaubt habe,
gestoßen seyen, da er in Begleitung seines Freundes Don
Gabriel. dem Ansehen nach, einen bloßen Spazierritt gethan
und vermuthlich nichts weniger besorgt habe, als seine Geliebte
in den Händen eines Nebenbuhlers anzutreffen. Da
sie nun einander sogleich erkannt, habe Don Eugenio, ungeachtet
der Ueberlegenheit seiner Gegner, sich entschlossen
gezeigt, lieber das Leben als seine geliebte Jacinte zu verlieren,
würde aber vermuthlich beide zugleich verloren haben,
wenn ihm nicht ein glückliches Ungefahr in der Person des
unbekannten jungen Ritters und des tapfern Pedrillo einen
Beistand zugeschickt hätte, durch den sich der Sieg in etlichen
Augenblicken für ihn erklärt habe.Nachdem die gefällige Teresilla mit ihrer Erzählung fertig
war, forderte sie, wie billig, eine gleiche Gefälligkeit von
ihrem Gesellschafter; aber Pedrillo hatte schon wieder andere
Schwierigkeiten in Bereitschaft. Er verschanzte sich hinter
der Wichtigkeit seines Geheimnisses, der Treue, die er seinem
Herrn schuldig sey, seinem gegebenen Wort und der Gefahr,
in die er sich durch eine solche Verrätherei stürzen
würde; kurz, sie verlor alle ihre Wohlredenheit und sogar
einige kleine Gunstbezeigungen an ihm, welche, so unerheblich
sie auch an sich selbst waren, doch ihrer Meinung nach
mehr als hinreichend hätten seyn sollen, ihn zu der lebhaftesten
Erkenntlichkeit zu bewegen. Pedrillo bewies ihr mit
seiner gewöhnlichen Bündigkeit, daß ein Geheimniß von dieser
Art sich nur einer Person anvertrauen lasse, für die man gar
nichts Geheimes habe; und er ging endlich so weit, auf die Gefälligkeit,
die sie von ihm forderte, einen Preis zu setzen, welchen
sie, ohne eben eine Lucretia zu seyn, übermäßig finden konnte.Cicero, dem alle Welt eingestehen muß, daß er ein unvergleichlicher
Redner, ein großer Staatsmann, ein mittelmäßiger
Philosoph, ein gleichgültiger Poet und ein sehr
kleiner General war, sagt an einem Orte seiner eben so angenehmen
als lehrreichen Schriften: daß die Begierde nach
Erkenntniß der stärkste unter allen natürlichen Trieben des
Menschen sey. — "Der Trieb zum Wissen (sagt er) scheint
so wesentlich in uns zu seyn, daß wir zu Allem, was unsere
Kenntnisse erweitert, ohne Hoffnung oder Absicht eines besondern
Vortheils, von der Natur selbst dahin gerissen werden;"
und, nachdem er einige Beispiele davon gegeben, setzt er hinzu:
"Homer scheine dieß sehr wohl eingesehen zu haben, da
er von den Sirenen dichte, daß die zauberische Kraft ihres
Gesanges nicht sowohl in der Annehmlichkeit ihrer Stimme
oder der ungewöhnlichen Lieblichkeit der Melodie bestanden
habe, als in der Versicherung, daß sie Alles wüßten, was
auf dem ganzen Erdboden geschehe, und in dem Versprechen,
ihre Zuhörer gelehrter wieder zu entlassen, als sie gekommen
seyen. Kein geringerer Reiz, glaubt er, hätte einen so großen
Mann als Ulysses so sehr dahin reißen können, daß, ohne
die kluge Veranstaltung, welche die Fee Circe deßwegen gemacht,
selbst die Gewißheit eines unvermeidlichen Untergangs
nicht vermögend gewesen wäre, ihn von den fatalen Klippen
dieser Zauberinnen zurück zu halten."Die junge und tugendhafte Teresilla gibt uns ein merkwürdiges
Beispiel, wie richtig diese Beobachtung des angezogenen
römischen Schriftstellers ist. Der Preis, den der
eigennützige Pedrillo auf die Entdeckung seines Geheimnisses
setzte', machte sie allerdings stutzen; sie ermangelte nicht,
ihre Bedenklichkeiten den seinigen entgegen zu setzen, und
wandte Alles an, um ihn zu einem billigen Nachlaß zu bereden.
Aber, da er hartnäckig darauf bestand, daß sich seine
Geschichte nirgends als in seiner Kammer erzählen lasse: so
sah sie sich endlich genöthiget, alle ihre kleinen Scrupel der
Begierde nach einer Erweiterung ihrer Kenntnisse aufzuopfern,
deren Wichtigkeit sie nach der Größe des Preises abmaß.
Sie versprach also, jedoch unter der ausdrücklichen Bedingung,
daß er eine so ausnehmende Probe ihres Zutrauens nicht
mißbrauchen wollte, ihn, sobald das ganze Haus in Ruhe
seyn würde, in seiner Kammer zu besuchen. Pedrillo, der
gegen die Billigkeit ihrer Bedingung nichts einwenden konnte,
versprach ihr Alles, was sie wollte, und beide hielten ihr
Wort so gewissenhaft, wie man sich's einbilden kann.—————
Sechstes CapitelExempel eines merkwürdigen Verhörs.Don Sylvio hatte nach einer langen Folge wachender
Träume endlich ein paar Stunden geschlummert, als er, wie
die Geschichte meldet, von den Flöhen aufgeweckt wurde, wovon
es in diesem Wirthshause wimmelte. Der günstige Leser
wird so höflich seyn und die Anführung dieses Umstandes
als einen abermaligen Beweis der Genauigkeit ansehen,
womit wir die Pflichten der historischen Treue zu beobachten
beflissen sind, da es uns, wenn wir bloß für die Ehre unsers
Witzes hätten sorgen wollen, ein Leichtes gewesen wäre,
unsern Helden durch irgend eine edle oder wunderbare Veranlassung
aufzuwecken.Indem er nun beschäftigt war, sich vor diesen beschwerlichen
Geschöpfen einige Sicherheit zu verschaffen, däuchte
ihm, in dem nächsten Gemache, das nur durch eine Bretterwand
von dem seinigen abgesondert war, eine flüsternde
Stimme zu hören, deren Ton etwas Weibliches zu haben
schien. Er hielt sein Ohr so nahe an die Wand, als möglich
war, und glaubte ganz deutlich diese Worte zu hören:
Unter keiner andern Bedingung, als wenn Er mich das
Bildniß der Prinzessin sehen läßt. — Aber wie soll das möglich
seyn? hörte er eine andere Stimme antworten. Wenn
ich's auch wagen wollte, in sein Zimmer zu schleichen und
es, während er schläft, wegzunehmen, so ist es doch unmöglich,
weil er es immer am Halse zu tragen pflegt; er würde
erwachen, und dann möchte uns der Himmel gnädig seyn! —
O, keine Ausflüchte! sagte die weibliche Stimme; wahrhaftig,
ich hätte nicht geglaubt — Aber das sag' ich Ihm, ich will
das Bildniß haben, oder bild' Er sich nicht ein, daß ich —Hier wurde die Stimme etwas leiser, oder vielmehr
Don Sylvio, der bereits zu viel gehört hatte, konnte nicht
so viel Gelassenheit behalten, sie länger zu behorchen. Wie?
rief er und sank vor Bestürzung zitternd auf sein Kissen zurück,
ein heimlicher Anschlag wider mich? wider das, was
mir theurer als mein Leben ist? O Radiante, jetzt ist es
Zeit, daß du mir deinen Beistand leistest, sonst bin ich verloren.Don Sylvio rief dieß so laut, daß Pedrillo und die
wissensbegierige Teresilla nicht rathsam fanden, ihre Unterredung
fortzusetzen; und da sie bald darauf zwei oder drei
Mal Pedrillo rufen hörten, glaubte die junge Dame, sie
wäre ihrer Tugend schuldig, sich so behend als nur möglich
aus einem Gemach hinweg zu schleichen, wo sie um die
halbe Welt nicht von einer dritten Person hätte angetroffen
werden mögen. Allein sie konnte doch nicht schnell genug
seyn, daß Don Sylvio, in dem Augenblicke, da er eine
kleine Tapetenthür, die aus seinem Zimmer in Pedrillo's Kammer
ging, eröffnete, nicht bei dem trüben Scheine, den die
Morgendämmerung durch ein kleines, mit Spinneweben überhangenes
Fenster warf, eine weibliche Gestalt erblickt hätte, die
in eben demselben Augenblick aus der andern Thür entschlüpfte.
Zum Glück für die Dame Teresilla vermehrte dieser Umstand
seine Bestürzung so sehr, daß er lange genug starr und sprachlos
am Boden angefroren, stand, um ihr Zeit zu lassen, sich wieder
auf den Fußspitzen in das Zimmer ihres Fräuleins zu schleichen.Der subtilste Dialectiker, der sich in Pedrillo's Umständen
befunden hätte, würde vermuthlich sehr verlegen gewesen
seyn, sich mit guter Art aus einer so schlüpfrigen Lage heraus
zu helfen. Alle seine Schlüsse in Festino und Barocco würden
ihm nicht halb so gute Dienste geleistet haben, als dem
schlauen Pedrillo der bloße Instinct, dessen Eingebung er sich
in diesem kritischen Augenblick blindlings überließ.Sind Sie's, gnädiger Herr? rief er, als ob er nur eben
aus einem tiefen Schlaf erwache: was ist Ihnen begegnet,
daß Sie sich schon so früh aufgemacht haben?Kleide dich unverzüglich an und folge mir in mein Zimmer,
antwortete Don Sylvio mit einem Tone, der den
armen Pedrillo vom Wirbel bis zu den Füßen zittern machte,
und schloß zu gleicher Zeit die äußerste Thür der Kammer
zu, welche Teresilla halb offen gelassen hatte.Ich will in einem Augenblicke fertig seyn, gnädiger Herr,
sagte Pedrillo, wenn Sie mich allein lassen wollen; denn es
würde sich doch nicht schicken, daß ich in Euer Gnaden Gegenwart
die Hosen anzöge.Du kannst anziehen, was du willst, antwortete Don Sylvio;
mache nur daß du bald fertig wirst; oder wir sind am längsten
gute Freunde gewesen.Pedrillo, der nun keinen Augenblick zweifelte, daß sein
Herr Alles gehört habe, was zwischen ihm und der Dame
Teresilla vorgegangen war, verfluchte von ganzem Herzen das
Jahr, den Monat, den Tag, die Stunde und den Augenblick,
da er diese verderbliche Sirene gesehen hatte. Sie
kam ihm jetzt so alt, so häßlich, so dürr und unangenehm
vor, als er sie vor etlichen Minuten jung, schön und anziehend
ziehend gefunden hatte, und er hätte sich selber gern mit Füßen
getreten, wenn es nur etwas hätte helfen können. Allein,
da der vorsagte Instinct ihn versicherte, daß Dreistigkeit und
Leugnen das einzige Mittel sey, sich aus diesem schlimmen
Handel zu ziehen: so erschien er endlich vor seinem Herrn,
mit dem festen Vorsatze, sich eher die Haut über die Ohren
ziehen zu lassen, eh' er das Geringste eingestehen wollte.Sobald er in das Zimmer getreten war, befahl ihm Don
Sylvio, die Thür zuzuriegeln, und fing hierauf an, mit
dem Ernst eines General-Inquisitors folgendes Examen mit
ihm vorzunehmen."Wer war die Person, die vorhin in deiner Kammer war?"Was für eine Person, gnädiger Herr? antwortete Pedrillo,
mit einem Ton, als ob er die Frage nicht begreifen
könne.Spitzbube, rief Don Sylvio, das will ich eben wissen,
was für eine Person es war!Ich weiß von keiner Person, gnädiger Herr, antwortete
Pedrillo, außer Ihrer eignen, die ich sah, wie Sie die Thür
aufmachten und mich weckten; denn Sie werden doch nicht
die Flöhe meinen, von denen ich in der That zwei- oder
dreimal hunderttausend zu Bettgesellen hatte; das verfluchte
Gesindel weckte mich alle Augenblicke auf; es war nicht anders,
als ob sie compagnieweise aufzögen, und ich will nicht
ehrlich seyn, wenn sie nicht einen Lärm machten, daß mir
die Ohren davon gellten; nichts von einem halben Duzend
Kater zu gedenken, die auf dem Dache, das an meinem
Fenster anliegt, der jungen Katze vom Hause, wie ich mir
einbilde, eine Serenade brachten und so jämmerlich in die
Wette heulten, daß mir jetzt noch alle Rippen im Leibe
davon weh thun.Stille mit dieser unzeitigen Spaßhaftigkeit, sagte Don
Sylvio; sie wird dir dießmal nichts helfen. Ich habe eine
Person aus deiner Kammer schleichen sehen, ich habe sie
mit dir reden gehört, und ich will wissen, wer es war.Gnädiger Herr, antwortete Pedrillo, ich will gleich des
Todes seyn, wenn ich weiß, was ich sagen soll. Wenn Euer
Gnaden was gesehen hat, so kommt es mir nicht zu, Ihnen
zu widersprechen; Euer Gnaden ist von den Feen begabt
und sieht bei allen Anlässen mehr, als unser einer: aber, was
mich betrifft, wenn ich sagte, daß ich was gesehen hätte,
so — müßt' es nur im Schlaf gewesen seyn; denn ich schlief
die ganze Zeit über, außer wenn mich (wie gesagt) die Flöhbisse
und die Katzenmusik weckten. Mehr kann ich nicht sagen,
und wenn es mir das Leben gälte.Nichtswürdiger, rief Don Sylvio, indem er sein furchtbares
Schwert entblösste, ich sage dir, daß ich mich mit
deinen elenden Ausflüchten nicht abfertigen lassen will; bekenne
die reine Wahrheit, oder du bist des Todes!Ach! mein lieber gnädiger Herr Don Sylvio (schrie Pedrillo,
indem er sich ihm zu Füßen warf), um Gotteswillen
schonen Sie mein junges Blut; ich will ja Alles bekennen,
was ich weiß. Was bewegt Euer Gnaden so grausam mit
mir umzugehen? Ich habe Ihnen schon so viele Jahre gedient,
und Sie wissen, daß ich Euer Gnaden durchs Feuer
gelaufen wäre, wenn Sie's verlangt hätten. Ich bitte Sie;
gnädiger Herr, stecken Sie den abscheulichen Säbel ein, ich
will ja Alles bekennen. Es ist doch entsetzlich, daß ich deßwegen
sterben soll, weil ich nichts gesehen habe! O heiliger
Sanct Jago! wenn ich nur dießmal davon komme — In der
That, gnädiger Herr, wenn das Kammermädchen der Fräulein
Jacinte bei mir geschlafen hätte, Sie könnten mir's
nicht ärger machen.Ausflüchte! Ausflüchte! rief Don Sylvio: meinst du, ich
soll so albern seyn, mir einzubilden, die Kammerfrau einer
Prinzessin werde in drei oder vier Stunden gleich so vertraut
mit dir werden, daß sie die Nacht in deiner Kammer
zubringe? Ich sage dir noch einmal, du hast kein ander
Mittel, dein Leben zu retten, als wenn du mir die Wahrheit
gestehst. Es soll dir kein Leid geschehen, was es auch
seyn mag; aber ich will die Wahrheit wissen.Was wollen Sie denn, daß ich sagen soll, gnädiger Herr?
antwortete Pedrillo. Einmal, ich weiß von nichts, als was
ich Ihnen schon gestanden habe, und wenn ich mehr sagen
soll, als ich weiß, so müssen Sie mir's nur vorsprechen."Antworte die reine Wahrheit auf meine Fragen —
War Niemand bei dir in der Kammer?"Zehntausend Schwadronen Flöhe, wie ich Euer Gnaden
sagte, sonst keine Seele, soviel ich weiß."Wer war denn die Person, die ich zu deiner Thür hinausschlüpfen
sah, wie ich die meinige öffnete?"Das weiß ich nicht, gnädiger Herr! Ich wachte eben
auf und war noch ganz schlaftrunken, wie Sie mir riefen.
Wenn Euer Gnaden was gesehen haben, so müssen Sie ja
am besten wissen, was es war."Es schien eine weibliche Gestalt zu seyn, aber ich konnte
nicht erkennen, wer es seyn möchte; sie entfloh oder verschwand
in dem nämlichen Augenblick, da ich sie gewahr
wurde."Sapperment! gnädiger Herr, so ist es ein Geist gewesen,
und das kann auch gar wohl möglich seyn. Es sah mir
gleich beim Eintritt so gespenstermäßig in diesem Hause aus.
Wenn Euer Gnaden was gesehen haben, und es ist gleich
wieder verschwunden, so war es, Gott behüt' uns! ein Geist,
der vielleicht ehemals in dieser Kammer ermordet worden
ist. Meiner Six, ich wollte nicht eine Grafschaft darum
nehmen, daß ich ihn gesehen hätte; ich hätte gleich vor Angst
die Seele ausgeblasen, das schwör' ich Ihnen zu.Pedrillo sagte dieß mit einer so treuherzigen Miene, daß
Don Sylvio zu glauben anfing, er könnte ihn unschuldiger
Weise in Verdacht haben.Aber hörtest du denn auch Niemand, fuhr er fort, wenn
du nichts gesehen hast?Gnädiger Herr, versetzte Pedrillo, man hat, wie Sie
wissen, manchmal allerlei Einbildungen, wenn einer des
Nachts allein und in einem fremden Hause ist. Ich hätte
mir nichts daraus gemacht; denn ich erinnere mich noch wohl,
wie Sie mich auslachten, da ich den Riesen sah, dem Sie
gestern früh einen Ast abhieben; aber, weil Euer Gnaden
selbst glaubt, daß es nicht gar zu richtig in diesem Wirthshause
sey, so will ich Ihnen bekennen, daß ich ungefähr vor
einer halben Stunde erwachte; und da war mir nicht anders,
als ob ein Sack auf mir läge, daß ich kaum Athem holen
konnte; und eine Weile darauf däuchte mich, als ob ich
etliche Personen mit einander flüstern hörte. Ich hätte sie
gern beherzt, aber es war mir so angst, daß ich mich unter
die Decke verkroch; und da schlief ich unvermerkt wieder ein
und hörte weiter nichts. Dieß ist die reine Wahrheit, und
wenn Sie's anders finden, so mögen Sie mich umbringen oder
den Flöhen vorwerfen, die in diesem Hause so hungrig sind, wie
die Wölfe in den Pyrenäen: ich will mir Alles gefallen lassen.Pedrillo, mein Freund, antwortete ihm Don Sylvio mit
einem Tone, der ihm das Leben wieder gab, ich bin zufrieden!
Aber, wenn ich dir sagen werde, wie weit die Bosheit gewisser
Personen, die ich nicht nennen will, geht, so wirst
du dich nicht wundern, daß ich dich anfangs so unfreundlich
angelassen habe. Wisse also, daß ich mit diesen meinen Ohren
einen Anschlag behorcht habe, der in deiner Kammer gemacht
wurde, mir das Bildniß meiner geliebten Prinzessin zu entwenden.
Ich bin überzeugt, daß du einer so entsetzlichen
Verrätherei unfähig bist; aber ich schwöre dir bei der Ehre
eines Ritters, ich hörte deine Stimme; und ich zweifle nun
keinen Augenblick, daß es meine beiden Feindinnen waren,
von denen die eine deine Stimme annahm, in der Absicht,
wofern ihnen ihr Anschlag auf mein Bildniß fehl schlüge,
wenigstens so viel zu gewinnen, daß ich dich für den schändlichsten
Verräther halten sollte.Das ist ja verrucht, gnädiger Herr, rief Pedrillo: sapperment!
das heißt den Spaß zu weit treiben. Auf solche
Art ist ein ehrlicher Kerl sogar im Schlafe nicht sicher, daß
nicht irgend ein vertrauter Zwerg oder Hexenmeister seine
Person annimmt und in dieser geborsten Person so viel Spitzbübereien
angibt, bis er den armen Teufel in seiner eignen
Person an den Galgen bringt. Aber ich bitte Sie, gnädiger
Herr, was sagte denn meine Stimme oder die Hexe, die
meine Stimme angenommen hatte?Gib dich zufrieden, Pedrillo, erwiederte Don Sylvio; ich
bin von deiner Unschuld überzeugt, und wir sind beide hinlänglich
dadurch gerochen, daß ihnen ihre doppelte Absicht fehlgeschlagen
ist. Aber mache dich fertig! Ich will keinen Augenblick
länger in diesem Hause bleiben.Wollen Sie denn gehen, fragte Pedrillo, ohne von der
Dame und dem Ritter Abschied zu nehmen, denen wir das
Leben gerettet haben? Sie hatten gestern so viel mit ihren
Circumflexen zu thun, die sie in der Schlacht bekommen
haben, daß sie sich nicht einmal Zeit nehmen konnten, uns
recht dafür zu danken; und ich meine doch, einem das Leben
zu retten, ist ein Ritterdienst, der wenigstens ein Vergelt's
Gott werth ist.Ich verlange, antwortete Don Sylvio, keinen Dank für
eine Handlung, die meine Schuldigkeit war, ich mag mich
als einen Ritter oder bloß als einen Menschen betrachten;
ich würde alle Augenblicke für einen jeden Türken, Juden
oder Heiden desgleichen thun: und ob ich gleich gewünscht
hätte, nähere Umstände von ihren Begebenheiten zu erfahren;
so nöthigt mich doch die gefährliche Entdeckung, die ich diesen
Morgen gemacht habe, meinen Entschluß zu ändern. Welch ein
Glück war es für mich, daß ich noch zeitig genug erwachte, um
ihren Anschlag vereiteln zu können! Aber ich bin gewiß,
daß mich eine unsichtbare Hand weckte. Ich gestehe dir, ich
halte mich in diesem Hause keinen Augenblick sicher. Die
Fee Radiante hat mir ihren Schutz nur unter der Bedingung
versprochen, daß wir meine geliebte Prinzessin suchen
sollen; und wenn du dich besinnst, so wirst du finden, daß
die widrigen Zufälle, die uns auf unsrer Reise befallen
haben, uns allemal, während daß wir schliefen oder stille
lagen, begegnet sind.Ja, gnädiger Herr, sagte Pedrillo dazwischen, den Froschgraben
ausgenommen, in den uns Ihre Salamander hineinführten.Und ich seh' es, fuhr Don Sylvio fort, als eine gerechte
Strafe an dafür, daß ich mein Gelübde — "es sollte, bis
ich meine Prinzessin gefunden hätte, kein Schlaf in meine
Augen kommen" — nicht besser gehalten habe. Mit einem
Wort, Pedrillo, ich will keine Minute länger in diesem
Hause bleiben, in welchem Fanferluche vielleicht Freunde oder
andere Vortheile hat, die mir unbekannt sind. Packe dein
Geräthe zusammen und laß uns so leise, wie wir können,
davon schleichen; es fängt kaum an zu tagen, das ganze
Haus schläft, und wenn auch unsre Feinde wachen, so bin
ich gewiß, daß Radiante einen bezauberten Nebel um uns
her machen wird, hinter welchem uns der hundertäugige
Argus selbst nicht entdecken soll.Es sey so, weil's Euer Gnaden für gut befindet, antwortete
Pedrillo, froh genug, daß er so wohlfeil davon gekommen
war. Sapperment! ich dachte doch gleich, wie ich
die Flöhe so legionenweise auf mich eindringen sah, daß es
nichts Gutes bedeuten werde. Ich versichere Euer Gnaden,
ich bin am ganzen Leibe nur eine Beule, und ich wollte auf
ein Buch schwören, daß es keine natürliche Flöhe, sondern
lauter bezauberte Igel und Stachelschweine waren, mit denen
uns dieses boshafte Zaubervolk zu Tode zu hetzen hoffte.In diesem Tone plauderte Pedrillo so lange fort, als er
mit Bepackung seines Zwerchsacks zu thun hatte: denn er besorgte
immer, sein Herr möchte, wenn er ihm Zeit zum
Nachdenken ließe, hinter die Wahrheit kommen; und sobald
er reisefertig war, schlichen sie sich, ohne nach dem Wirth
und der Zeche zu fragen, so leise fort, daß selbst die Dame
Teresilla, die sich aus Vorsichtigkeit ganz ruhig in ihrem Zimmer
hielt, nicht das Geringste von ihrer Abreise merkte.—————
Siebentes CapitelEine kleine Abschweifung nach Lirias, wobei der Autor eine nicht
unfeine Kenntniß des weiblichen Herzens sehen läßt.Don Sylvio bejammerte allemal den Verlust des armen
kleinen Tintin, so oft es darum zu thun war, welchen Weg
sie gehen sollten. Allein, da es nun nicht anders seyn konnte,
so begnügten sie sich, auf demjenigen fortzuwandeln, der sie
hierher gebracht hatte.Es begegnete ihnen einige Stunden lang so wenig Merkwürdiges,
daß wir, um den Leser nicht immer mit Erzählung
ihrer Gespräche zu ermüden, indessen einen kleinen Absprung
nach Lirias machen wollen, wo die liebenswürdigste Donna
Felicia mit ihrer würdigsten Vertrauten sehr erstaunt war,
von ihrem Bruder keine andre Nachricht zu erhalten, als
daß er mit Don Gabriel ausgeritten sey, ohne Jemand als
seinen Kammerdiener mitzunehmen. Sein Außenbleiben setzte
sie in die größte Unruhe, und die kluge Laura wußte sich
endlich nicht anders zu helfen, als daß sie sich bemühte, die
Aufmerksamkeit ihrer Dame auf einen andern Gegenstand zu
lenken.Sie brachten also beinahe die ganze Nacht mit Gesprächen
von Don Sylvio zu, in denen die angehende Liebe, die er
sogar im Schlafe glücklich genug gewesen war der reizenden
Felicia einzuflössen, sich nach und nach so lebhaft offenbarte,
daß es sehr geziert heraus gekommen wäre, wenn sie ihrer
Laura länger ein Geheimniß daraus hätte machen wollen;
zumal da dieses Mädchen seines Verstandes und guten Herzens
wegen des Vertrauens nicht unwürdig war, wodurch
seine Gebieterin es beinahe zum Rang einer Freundin zu
erheben schien.Daß dieser unbekannte Schläfer der schönste unter allen
Sterblichen sey, das hatten ihnen ihre Augen gesagt; und
sie breiteten sich mit desto größerer Gefälligkeit über diesen
Punkt aus, da sie noch keine Gelegenheit gehabt hatten,
andre Verdienste an ihm kennen zu lernen. Aber, wer er
sey, und ob sein Stand und seine moralischen Eigenschaften
mit einer einnehmenden Außenseite übereinstimmten, das
war eine Frage, gegen deren Bejahung Donna Felicia tausend
Zweifel zu erregen wußte, um das Vergnügen zu haben,
sie von Lauren beantworten zu hören. Nachdem sie nun
Alles, was nur möglich war, dafür und dawider gesagt hatten,
so wurde man endlich einig: es sey im äußersten Grad
unwahrscheinlich, daß ein Jüngling, dessen Gestalt die Natur
mit allem Fleiß dazu gemacht zu haben scheine, um eine
vortreffliche Seele anzukündigen, nicht der edelste, der tugendhaftete,
der tapferste, der angenehmste, mit einem Worte,
der liebenswürdigste unter Allen, die jemals von Weibern
geboren worden, seyn sollte. Selbst das Zeugniß des Pedrillo
(so ungeneigt man war, ihm in denjenigen Punkten, die
seinem Herrn nicht so sehr zum Vortheil gereichten, einigen
Glauben beizumessen) wurde in Absicht des Lobes, das er
seinem moralischen Charakter ertheilt hatte, für desto vollgültiger
angesehen, je weniger Bediente sonst gewohnt sind,
ihren Herrschaften in diesem Stücke bei fremden Personen
zu schmeicheln.Allein was sollte man aus dem bezauberten Sommervogel,
der Prinzessin, den Feen und dem Zwerge machen,
welche Pedrillo in seine Geschichte eingeflochten hatte? Was
sollte man von der Ernsthaftigkeit, dem aufrichtigen Gesicht
und dem zuverlässigen Tone denken, womit dieser Bursche,
der die Miene gar nicht hatte, als ob er seinen Zuhörerinnen
etwas weiß machen wollte, sie versichert hatte, daß sein Herr
in eine bezauberte Prinzessin verliebt sey, die er mit Hülfe
einer großen Fee zu erlösen im Sinne habe?Ueber diesen Punkt war Donna Felicia nicht so leicht zu
befriedigen, und es währte lange, bis die sinnreiche Laura
sie endlich überredete, daß man es eben so damit machen
müsse, wie vernünftige Muselmänner mit gewissen unglaublichen
oder kindischen Erzählungen des Korans; man müsse
sie für eine Art von Allegorie nehmen, worunter, sobald
man den Schlüssel dazu hätte, vermuthlich nichts Anderes,
als ein ganz natürliches und alltägliches Liebeshistörchen verborgen
liegen werde. Diese Erklärung, so wohl ausgesonnen
sie schien, war dennoch nicht völlig nach dem Geschmack der
Donna Felicia; und Laura hatte Gelegenheit, für sich selbst
die Bemerkung zu machen, daß die gute junge Dame ihren
Geliebten lieber mit einem noch unversehrten Herzen ein
wenig närrisch, als der vollkommenem Verstand in eine Andre
verliebt gesehen hätte.Man endigte also damit, daß Laura sich bemühen sollte,
so bald als möglich nähere Erkundigungen von Don Sylvio
von Rosalva einzuziehen. Zu gutem Glück ersparte ihr der
Zufall diese Mühe, indem es sich von ungefähr fügte, daß
der nämliche Barbier, dessen wir bereits mehrmal Erwähnung
gethan, und der in der ganzen Gegend für einen desto bessern
Wundarzt gehalten wurde, weil er auf viele Meilen umher
der einzige war, gleich den folgenden Morgen nach Lirias
kam, um einen Bedienten zu besuchen, der schon etliche
Wochen an einem Beinbruche lag.Laura kam eben in das Zimmer, wo der Barbier abgetreten
war, als er, mit der Waschhaftigkeit, die seiner Profession
seit undenklichen Zeiten eigen gewesen ist, die Entweichung
des Don Sylvio als eine Neuigkeit erzählte, wovon
bereits in der ganzen Gegend von Rosalva gesprochen
werde. Sie hatte also keine Mühe, von diesem glaubwürdigen
Manne so viel Nachrichten über unsern Helden einzuziehen,
als sie nur wünschen konnte. Sie erfuhr von ihm
den Charakter der Tante, die Erziehung und Lebensart des
jungen Ritters, die Absicht der Donna Mencia, ihn mit
den hundert tausend Thalern der mißgeschaffenen Mergelina
Sanchez zu vermählen, und welcher Gestalt er mit seinem
Diener Pedrillo, vermuthlich um einer so unanständigen
Heirath auszuweichen, heimlich davon gegangen sey, ohne
daß man wisse wohin. Was seine persönlichen Eigenschaften
betraf, so versicherte der Herr Barbier, daß derjenige noch
geboren werde müsse, der es ihm an Schönheit, Wissenschaften
und Tugend zuvor thun sollte; und er setzte hinzu:
er hoffe, Alles gesagt zu haben, wenn er die Herren und
Damen versichere, daß Don Sylvio unter seiner Anführung
binnen zwei Monaten so wundervolle Fortschritte im Citherschlagen
gemacht habe, daß er selbst sich nicht schäme, ihn
als seinen Meister darin zu erkennen. Von einem Liebeshandel,
worin Don Sylvio jemals verwickelt gewesen seyn
sollte, wollte der Barbier nicht das Geringste wissen; hingegen
verschwieg er nicht, daß er in der That etwas Sonderbares
und Romanhaftes an sich habe, welches ihm jedoch
nicht übel lasse, und daß er aus einem gewissen Gespräch,
das sie vor etlichen Wochen mit einander geführt, so viel
ersehen hätte, daß Don Sylvio einen außerordentlichen Geschmack
an den Feenmährchen finde und sich in den Kopf
gesetzt habe, es seyen lauter wahrhafte Geschichten, und es
würde gar nichts Seltsames seyn, wenn ihm selbst dergleichen
Dinge begegneten.Diese Nachrichten enthielten beinahe Alles, was Donna
Felicia zu ihrer Beruhigung nöthig hatte. Allein, obgleich
der romanhafte Schwung seiner Einbildungskraft etwas desto
Angenehmeres für sie hatte, weil er mit ihrer eigenen Sinnesart
sympathisirte; so war sie doch auf der andern Seite
nicht sehr vergnügt, daß seine Liebe zur Feerei auf einen
Grad gestiegen war, der ihn zu einer Art von Narren
machte. Vielleicht, dachte sie, ist er in eine idealische Prinzessin
verliebt, die er nie gesehen hat, und damit seine Liebe
ein desto feenmäßigeres Ansehen bekomme, hat er sich in
den Kopf gesetzt, daß sie von einer Fee, die sich seines Nebenbuhlers
annimmt, in einen Sommervogel verwandelt worden
sey. Diese Einbildung däuchte sie närrisch genug: aber,
wenn Don Sylvio lächerlich war, in eine bloße Idee verliebt
zu seyn, war es Donna Felicia weniger, da sie über diese
arme Idee eifersüchtig wurde? In der That merkte sie es
selbst; denn, so vertraut sie sonst mit ihrer Laura zu seyn
pflegte, so konnte sie ihr doch diese Schwachheit nicht ohne
Erröthen gestehen. Die Unterredung, die sie darüber mit
einander hatten, leitete sie nach und nach auf allerlei Anschläge,
wie es anzufangen wäre, um bekannter mit Don
Sylvio zu werden; aber das Schlimmste war, daß sich bei
jedem irgend eine Schwierigkeit fand, die man allemal erst
entdeckte, wenn man sich lange genug über die Ausführung
desselben gefreuet hatte. Es blieb ihnen also zuletzt nichts
anderes übrig, als die Hoffnung, der Zufall, dem man in
allen menschlichen Angelegenheiten so viel überlassen muß,
könne vielleicht in Kurzem mehr zur Begünstigung ihrer Absichten
thun, als die ausgesonnensten Entwürfe.
—————Achtes CapitelDas höchst tägliche Abenteuer mit den Grasnymphen.Inzwischen setzte Don Sylvio mit seinem getreuen Achates
unter mancherlei Gesprächen, wozu ihre Begebenheiten
Anlaß gaben, seine irrende Reise fort und ruhete von Zeit
zu Zeit in den anmuthigen Gebüschen aus, womit die bezauberten
Landschaften von Valencia wie mit Kränzen durchwunden
sind.Sie befanden sich eben in einem kleinen Cypressenwalde,
wohin die zunehmende Hitze sie getrieben hatte, und ergetzten
sich an der lachenden Aussicht über die blühenden
Ebnen, die sich zu beiden Seiten des Guadalaviars verbreiteten:
als Pedrillo plötzlich eine Entdeckung machte, welche
allen Bekümmernissen, Liebesschmerzen und Herumirrungen
unsers Helden auf einmal ein erwünschtes Ende zu versprechen
schien.Hei sa, gnädiger Herr! rief er, Freude über Freude! wir
haben unsere Prinzessin gefunden, oder meine Augen müssen
bezaubert seyn! Sehen Sie den blauen Sommervogel nicht,
der dort um die Rosenstauden herumflattert?Pedrillo betrog sich nicht gänzlich; es war wirklich ein
blauer Sommervogel, und Don Sylvio wünschte zu sehr,
daß es seine Prinzessin seyn möchte, als daß er einen Augenblick
daran gezweifelt hätte. Ich will auf diese Seite herüber
gehen, gnädiger Herr, sagte Pedrillo, und Sie schleichen
indessen allgemach auf ihn zu; er soll uns nicht entwischen!
Ich denke, die Prinzessin braucht Euer Gnaden nur zu sehen,
so wird sie Ihnen von selbst in die Hände fliegen.Der Sommervogel schien die Hoffnung des Pedrillo zu
rechtfertigen; er flog in kleinen Kreisen dem Don Sylvio
entgegen, und dieser näherte sich ihm schon mir ausgestreckter
Hand, vor Freude und Sehnsucht zitternd: aber der
Unstern unsers armen Liebhabers führte einen andern weißgrauen
Sommervogel herbei, der den blauen kaum erblickte,
als er mit der Dreistigkeit, die dieser verbuhlten Gattung
von Geschöpfen eigen ist, auf ihn zuflog und sich nicht
scheute, vor den Augen seines Nebenbuhlers sich Freiheiten
heraus zu nehmen, zu denen er desto mehr berechtiget zu
seyn glaubte, da es ihm vermuthlich nicht in den Sinn kam,
daß seine geflügelte Schöne eine Prinzessin seyn könnte.Don Sylvio gerieth, wie man denken kann, über diese
Verwegenheit in eine desto größere Wuth, da er in dem
Widerstande des blauen Schmetterlings einen neuen Grund
zu sehen glaubte, daß es ganz gewiß seine Prinzessin sey; er
warf sich also dazwischen und war glücklich genug, seinen muthwilligen
Nebenbuhler mit einem Stabe, den er in der Hand
hatte, zu Boden zu schlagen. Allein die vermeinte Prinzessin
war indessen in der Angst davon geflogen, und je schneller
ihr Don Sylvio und Pedrillo nacheilten, desto schüchterner flatterte
sie vor ihnen her, vermuthlich weil sie noch immer von
dem weißgrauen Schmetterling verfolgt zu werden glaubte.Von ungefähr trug sich's zu, daß drei oder vier Mädchen
aus einem benachbarten Dorfe, um von ihrer Arbeit auszuruhen,
am Ufer des Flusses sich in den Schatten gesetzt
hatten und sich damit belustigten, aus den Blumen, welche
häufig um sie her blühten, Kränze zu flechten.Der blaue Schmetterling hatte seine Verfolger so weit
hinter sich gelassen, daß sie ihn kaum noch mit den Augen
erreichen konnten; und weil er sich jetzt außer Gefahr glaubte,
so fing er an, wieder ruhiger zu werden, und schweifte so
lange von Blume zu Blume, bis er einer von den vorbesagten
Dirnen in die Hände gerieth, die ihn haschte und
zum Zeitvertreib an einem Faden, den sie um seine Füße
band, um sich her flattern ließ.Don Sylvio schon nahe genug, um dieses Spiel zu beobachten,
sagte zu Pedrillo: Nun hab' ich auf einmal den
Aufschluß des Traumgesichts, dessen Erklärung mir gestern
Morgen so viel zu schaffen machte. Es war eine Warnung
der Fee, meiner Freundin, die mich das, was mir jetzt begegnet,
im Traume vorher sehen ließ, damit ich nicht unvorsichtig
in den Schlingen meiner Feinde gefangen würde.
Siehst du die Nymphe, die dort im Schatten sitzt und den
blauen Sommervogel an einem Faden um sich her flattern
läßt?Eine Nymphe nennen Sie das? antwortete Pedrillo.
Sapperment, Herr Don Sylvio, sie sieht einer Nymphe
gerade so ähnlich, als einem Fuder Heu: es ist ein Grasmädchen,
so gut als die andern, die dort im Schatten beisammen
sitzen.Ich bin es so gewohnt, erwiederte Don Sylvio, daß du
Alles besser wissen willst, als ich, daß ich mich über deine
Unverschämtheit nicht mehr entrüsten werde. Ich weiß, Dank
sey der Fee Radiante, was ich davon denken soll; und du
magst sie nun für eine Nymphe oder für ein Grasmädchen
ansehen, so will ich entweder mein Leben verlieren, oder sie
soll mir meine Prinzessin ausliefern.Gnädiger Herr, antwortete Pedrillo, wenn die Rede von
Salamandern, Sylphen, Rastralgeistern und andern solchen
Dingen ist, die über den Verstand des gemeinen Mannes
gehen, da räum' ich Euer Gnaden herzlich gern ein, daß
Sie sich besser darauf verstehen: aber mit den Grasmädchen
ist es was Andres; die sind offenbar von meiner Impudenz;
und es ist auch keine Sache, wobei man sich betrügen kann,
man riecht sie wohl auf dreißig Schritte. Ich möchte wohl
wissen, seit wann die Nymphen nach Knoblauch riechen oder
so zerlumpte Unterröcke tragen, daß die Lappen herunterhängen,
und das Hemd aller Orten hervorguckt! Kurz und
gut, Herr, es ist eine Bauerndirne, und dazu eine von den
schmutzigsten, die man sich wünschen kann. Es wird nicht
viel Mühe kosten, den blauen Schmetterling von ihr zu
kriegen; wir brauchen ihr nur ein paar Maravedi's zu geben,
so sagt sie uns noch vergelt's Gott dafür.Don Sylvio, der nicht zu berichten war, wenn er sich
einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte, würdigte diese Rede
nicht einmal, darauf Acht zu geben; er ging auf die vermeinte
Nymphe zu und verlangte, daß sie ihm seinen Schmetterling
wieder geben sollte.Was gebt Ihr mir für ihn, junger Herr? sagte das
Grasmädchen lachend.Alles, was du willst, antwortete Don Sylvio.Gut, sagte die Nymphe, so gebt mir das Kleinod, das
Ihr da am Halse hangen habt. Ich will es meiner kleinen
Schwester nach Hause bringen; und wenn Ihr mir noch einen
halben Realen dazu gebt, so soll der Schmetterling zusammt
dem Faden Euer seyn.Verdammter grüner Zwerg, rief Don Sylvio voll Grimms,
indem er seinen Säbel zog, hoffe nicht, unter dieser geborsten
Gestalt, die ein Beweis deiner Feigheit ist, meiner ungestraft
zu spotten. Stirb, Verruchter, oder gib mir den
Sommervogel, an den du keinen Anspruch machen kannst,
den ich nicht mit Aufopferung meines eigenen Lebens aus
deinem verdammten Herzen reißen will.Man kann sich vorstellen, daß die schöne Nymphe auf
eine so unhöfliche Anrede, die mit so fürchterlichen Drohungen
begleiter war, weniger nicht thun konnte, als ein jämmerliches
Geschrei zu erheben. Pedrillo, den die Narrheit
seines Herrn beinahe selbst toll machte, warf sich, weil alles
Zureden nichts helfen wollte, zwischen ihn und die Nymphe
und bemühte sich, ihm seinen Säbel aus den Händen zu
winden. Die übrigen Nymphen, welche sahen wie übel
man ihrer Gespielin begegnete, liefen auch herzu und fielen
wie Furien über unsre Abenteurer her, welche genug zu thun
hatten, sich gegen ihre groben Fäuste und langen Nägel zu
vertheidigen.Unglücklicher Weise fügte es sich, daß der Liebhaber der
holden Nymphe, die das Unglück hatte, für den grünen
Zwerg angesehen zu werden, nicht weit davon mit zwei oder
drei andern Bauerknechten im Feld arbeitete. Das klägliche
Geschrei dieser Weibsleute und der Anblick seiner Geliebten,
welcher Pedrillo im Begriff war einen starken Schopf Haare
aus dem Kopfe zu reißen, setzte ihn in eine solche Wuth,
daß er in Begleitung seiner Gesellen herbeieilte und mit
dem Knittel, den er dem Pedrillo aus den Händen riß, so
nachdrücklich auf unsre beiden Abenteurer zudrosch, daß sie
ihres muthigen Widerstandes ungeachtet, endlich von der
Menge der Feinde zu Boden geworfen wurden. Der ergrimmte
Liebhaber und die Rache schnaubende Grasnymphe
begnügten sich nicht hiermit, sondern schlugen noch so lange
mit geballten Fäusten auf sie zu, bis sie besorgten, daß es
zu viel seyn möchte; und nachdem sich die Nymphe zum Ersatz
ihres Schmetterlings (der gleich zu Anfang des Gefechts
entwischt war) des Kleinods unsers athemlosen Helden bemeistert
hatte, so gingen sie allerseits davon und ließen die
beiden Abenteurer für todt im Grase liegen.—————
Anmerkungen.Buch 1.Cap. 1.S. 1. Z. 8. Successionskriege — Es bedarf wohl kaum der Anmerkung,
daß unter dem Successionskriege derjenige verstanden wird, der
nach dem zu Ende des Jahres 1700 erfolgten Ableben Karls II., Königs von
Spanien, wegen der Thronfolge in dieser Monarchie und den davon abhängenden
Staaten zwischen den Häusern Oesterreich und Bourbon und ihren
Alliirten geführt wurde und sich mit den berühmten Friedensschlüssen von
Utrecht (1713-1715), von Baden (1714) und endlich von Wien (1724)
endigte. W.S. 2. Z. 13. Transitiven Keuschheit — Von dieser Wundergabe,
die Keuschheit und Enthaltung Andern durch den bloßen Anblick mitzutheilen,
deren sich unter Andern auch der berüchtigte Antoinette Bourignon
rühmte, spricht Bayle im Diction. Hist. et Crit. Tom. I. unter dem Artikel
Bourrignon, in der Anmerk. B. Diese Gabe wird die übergehende oder
durchdringende Jungfräulichkeit (virginitas transitiva s. penetrativa) und von
dem ehrwürd. Vater Peter Granfeld, Carthäuserordens (in seinen Elucidat.
sacris super V. Libr. de Imaginibus veterum Eremitarum, p. 645) mit einem
sehr nachdruchsvollen Kunstworte die Infrigidation genannt. W.S. 3. Z. 15. Harpyen — weibliche Geister der Wirbelwinde, deren
Name die Raubenden, Wegreißenden bedeutet. Früher wurden sie als von
schöner jungfräulicher Bildung geschildert. Spätere machten Mißgestalten
daraus, gaben ihnen einen gefiederten Leib, Bärenohren, große Klauen,
Hühnerfüße u. dgl.Sirenen — zwar schöne, aber verderbliche Jungfrauen, die von ihren
Meerfelsen her die Vorüberfahrenden durch süßen Gesang anlockten, dann
aber tödteten.Amphisbäne — nennt Aelian (hist. an. 9, 23) eine Schlangenart mit
zwei Köpfen. Ging sie vorwärts, so bediente sie sich des hintern als Schwanz,
und umgekehrt.Cap. 2.S 5. Z. 25. Don Palmerin — Cyrus — Ritterbücher und heroische
Romane aus dem vorigen Jahrhundert, wovon besonders die beiden
letztern (Clelia und Cyrus) unstreitig mit unendliche Mal mehr Nutzen gelesen
würden (wenn es noch Mode wäre, sie zu lesen), als ein großer Theil
der modernen Romans du Jour, welche den Geschmack und die Sitten unsrer
Zeit verderben helfen. W.Cap. 3.S. 10. Z. 14. Ritter von Mancha — Der berühmte Don Quixote
des Cervantes, welcher vorzügliche Roman das Vorbild des gegenwärtigen
war. Wieland hat ihn ungefähr in derselben Manier nachgeahmt, wie ihn
Bertuch übersetzt hat.Cap. 4.S. 11 Z. 14. 15. Arabischen und persischen Erzählungen
—Um die Zeit, als dieser Roman geschrieben wurde, war hauptsächlich
durch den berühmten Orientalisten Galland (geb 1646 zu Rollo in der
Picardie, gest. 1715 zu Paris), ein allgemeiner Geschmack an jenen Erzählungen
verbreitet worden. Seine, unter dem Titel Tausend und eine Nacht,
aus dem Arabischen übersetzten Erzählungen fanden viele Nachahmer. Das
Element des Wunderbaren herrscht darin vor wie in den Feenmährchen, die
ebenfalls dem Orient ihren Ursprung verdanken.S. 11. Z. 15. Novellen — Werden vorzüglich eine Art von Erzählungen
genant, welche sich von den großen Romanen durch die Simplicität
des Plans und den kleinen Umfang der Fabel unterscheiden oder sich zu
denselben verhalten, wie die kleinen Schauspiele zu der großen Tragödie
und Komödie, Die Spanier und Italiener haben deren eine unendliche
Menge. Von jenen sind die Novellen des Cervantes durch die französische
und durch mehrere deutsche Uebersetzungen bekannt. Sie sind ihres Verfassers
nicht unwürdig. Von den italienischen hat man uns zu Venedig 1754
einen Auszug unter dem Titel II Novelliere Italiano, in vier Octavbänden
geliefert, der nicht weniger als 177 Novellen von mehr als acht und zwanzig
verschiedenen Verfassern enthält. Die meisten sind Nachahmer des durch
sein Decamerone so berühmten Boccaccio. Auch die Franzosen haben, seitdem
die Damen Gomez und Ville-Dieu diese Art von kleinen Romanen
beliebt gemacht haben, eine Menge Werkchen dieser Art aufzuweisen, wovon
die besten in der Bibliothèque de Campagne zu finden sind. W.S. 13. Z 17. 18. Kabbalistische Philosophie — Diese Zeiten fingen '
sich mit Raymund Lullus an und dauerten durch die andre Hälfte des
fünfzehnten und durch das ganze sechzehnte Jahrhundert, wo nicht nur
schwärmerische Köpfe, wie Picus von Mirandola, Paracelsus, Jordan
Brunus, Cardanus und ihres Gleichen, sondern auch weisere Männer, wie
Marsilius Ficinus, Reuchlin, Franz Patricio (der Herausgeber der angeblichen
Werke des Hermes Trismegistus und Zoroaster) und Andere, in einem
seltsamen Gemische von ägyptischen Räthseln, morgenländischen Bildern
und griechischen Fabeln die tiefsten Geheimnisse der Geister- und Körperwelt
zu entdecken vermeinten. Zu untersuchen, ob unter den Träumen dieser
Männer und der älteren philosophischen Schwärmer, nach welchen sie sich
bildeten, nicht viel — und vielleicht mehr — Wahres sey, als in der
Modephilosophie unsrer Zeiten, ist keine Sache für diesen Ort. Genug, daß
der ernsthafte Ton, worin Don Sylvio die Begriffe und Grundsätze, welche
seinen Einbildungen zur Grundlage dienten, von sehr ernsthaften Männern
in sehr ernsthaften Büchern behauptet fand, begreiflicher machen hilft, wie
er mit der Anlage, die ihm der Verfasser gegeben, und in den Umständen,
worein er ihn gesetzt hat, auf Schwärmereien habe verfallen können, welche,
so ungereimt sie uns vorkommen, ihm ganz natürlich und vernünftig scheinen
mußten. W. Vergl. Anm. zu der Natur der Dinge, 2. Buch, Anm. 5.
Bd. 25.S. 13. Z 24. Babiole — Die in ein Aeffchen verwandelte Prinzessin
Babiole hatte von dem Könige Magot, der sie zur Ehe verlangte, unter
Anderem eine Olive und eine Haselnuß, welche beide talismanisch waren, zum
Geschenk bekommen. Als endlich auf der Flucht, wozu sie die Furcht vor
einer ihren Neigungen so wenig angemessenen Heirath trieb, die Noth sie
zwang, die Olive anzubeißen, bekam sie durch das Oel derselben ihre eigene
Gestalt wieder, und wie sie die Nuß aufknackte, purzelte eine Menge von
kleinen Baumeistern, Zimmerleuten, Maurern, Tischlern, Tapezirern,
Malern, Bildhauern, Gärtnern u. s. w. heraus, welche ihr in wenig Augenblicken
einen prächtigen Palast mit den schönsten Gärten von der Welt
aufbauten, Allenthalben schimmerte Gold und Azur. Man trug eine herrliche
Mahlzeit auf; sechzig Prinzessinnen, schöner geputzt als Königinnen, von
ihren Cavalieren geführt und mit einem Gefolge von ihren Edelknaben,
empfingen die schöne Babiole mit großen Complimenten und führten sie in
den Speisesaal. Nach der Tafel brachten ihr ihre Schatzmeister fünfzehn tausend
Kisten voll Gold und Diamanten, wovon sie die Werkleute und Künstler,
die ihr einen so schönen Palast gebauet hatten, bezahlte, unter der Bedingung,
daß sie ihr geschwind eine Stadt bauen und sich darin häuslich
niederlassen sollten. Dies geschah auch alsofort, und die Stadt wurde in
drei Viertelstunden fertig, ungeachtet sie fünfmal größer als Rom war. —
Dieß waren nun ziemlich viel Wunderdinge aus einer kleinen Haselnuß,
sagt die selbst wundervolle Dame d'Aulnoy, die Erfinderin dieses bewundernswürdigen
Mährchens. W. — Drei französische Damen beförderten
hauptsächlich den Geschmack an den Feenmährchen, die Gräfin d'Aulnoy
(gest. zu Paris 1705 im 55. Jahre), die Gräfin Murat und Fräulein de la
Force. Franzosen schreiben der ersten viel Geist und eine große Leichtigkeit
in Ausdruck und Darstellung zu: Wieland gesteht den ersten fast nur ironisch
ein, und gibt oft zu verstehen, daß die gepriesene Leichtigkeit ein wenig —
zu leicht sey.S. 14. Z. 21. Carabosse — Es gibt bekannter Maßen zweierlei
Arten von Feen, gute und böse. Ordentlicher Weise sind jene die schönsten
Damen von der Welt, und diese die häßlichsten Mißgeburten, die man sich
vorstellen kann. Von den letzten ist Carabosse eine der ausgezeichnetsten. In
dem Mährchen La Princesse Printanniere wird sie als ein häßliches Thier
geschildert, mit krummen Beinen, einem großen Höcker, schielenden Augen,
einer kohlschwarzen Haut und zu einem sehr kurzen dicken Leib mit einem
so großen Kopfe, daß ihre Kniee am Kinn anstießen. Sie kam in einem
von zwei häßlichen kleinen Zwergen geschobenen Schubkarren an, um sich
der Königin Mutter der Prinzessin Printanniere zur Säugamme anzutragen;
und alle Thorheiten, welche diese gute Prinzessin in der Folge beging,
mit allen daher entspringenden Unfällen, waren Wirkungen der abschlägigen
Antwort, die man einer so liebenswürdigen Amme gegeben hatte. W. —
Auch diese häßliche böse Fee verdankt einem Märchen der Gräfin d'Aulnoy
ihren Ursprung. Im Folgenden kommen dergleichen Anspielungen mehrere
vor, und da es unnöthig seyn würde, den Ursprung überall nachzuweisen,
so verweisen wir hier einmal für immer auf die Blaue Bibliothek und le
Cabinet de Fées ou Collection choisie des Contes des Fées et autres contes
merveilleux, Geneve 37 Bde, Der 35. und 36. Band dieser Collection
enthalten den Don Sylvio selbst.Cap. 5.S. 16. Z. 17. Immerschön — Das Mährchen Jeune et Belle in
den Nouveaux Contes de Fées par Mad. de M** p. 334 W. —Die Gräfin
Henriette Julie von Murat, geborne von Castelnau (geb. 1670, gest. 1716
zu Paris) gab , außer mehreren Romanen, auch zwei Bände Contes de
Fées heraus, unter denen das Mährchen Jeune de Belle befindlich ist.S. 17. Z. 13. Fanferluche — Name einer der vornehmsten Mitschwestern
der Fee Carabosse. Fanferluche ist zwar nicht völlig so häßlich
und so schlimm als Carabosse aber doch boshaft genug, um ihre Freude
daran zu haben, wenn sie den Leuten mit einer ehrlichen gutherzigen Miene
einen schlimmen Streich spielen kann. Die edle Geschichtschreiberin der
Feen beschreibt sie als eine kleine Frau, einer Hand hoch; sie trug ein Kleid
von Schmetterlingsflügeln, ein Paar Stiefeln von Nußschalen und einen
Kranz von Dornblüthe und ritt auf drei Binsen durchs Kamin herab
dreimal im Zimmer herum, als sie der Königin erschien, welche keine Kinder
hatte, und die Fee Fanferluche beschuldigte, daß sie ihr's angewünscht
habe. Zum Beweis, daß Sie mir Unrecht thun, sagt die Fee, kündig' ich
Ihnen an, daß Sie in Jahresfrist eine Tochter haben sollen; aber ich besorge,
sie wird Ihnen so viel Thränen kosten, daß Sie lieber keine Tochter
haben wollten. Ueber diese Ankündigung betrübt sich die Königin, wie billig,
sehr und bittet die Fee flehentlich, Mitleiden mit ihr zu haben. Das
Schicksal ist mächtiger als ich, versetzt Fanferluche: Alles, was ich für Sie
thun kann, ist, Ihnen diesen Kranz von Dornblüthe zu geben; binden Sie
ihn der kleinen Prinzessin um den Kopf, sobald sie geboren seyn wird; sie
wird dadurch vor vielen Unfällen verwahret werden. Hiermit gab sie der Königin
den Kranz und verschwand wie ein Blitz. Sobald die Prinzessin,
ein wunderschönes Kind, geboren war, hatte man nichts Angelegeners, als
ihr eilends den Kranz der Fee Fanferluche anzuheften; aber kaum war es
geschehen, so verwandelte sich die kleine Prinzessin in das schönste Aeffchen,
das je gesehen worden war. W.Cap. 6.S. 19. Z. 22. Wohlthätige Frosch — Der wohlthätige Frosch,
der in einem Mährchen dieses Namens das Wunderbare zu besorgen hat, ist
eine Art von Fee unter den Fröschen. Die ganze Zauberkunst dieser seltsamen
Fee besteht in einer kleinen Rosenhaube (petit chaperon de roses),
womit sie coeffirt zu seyn pflegt. W. — Der Chaperon rouge ist in den Contes
des Fées des französischen Akademikers Charles Perrault zu suchen, des Verf.
der Contes de ma mere l'Oye, welche noch vor der Tausend und einer Nacht
(1697) erschienen.S. 20, Z, 12. Concombre — Drei übel berüchtigte Feen. Magotine
spielt ihre Rolle im grünen Serpentin; Ragotte die ihrige im König Hammel;
und wem ist die zärtliche Concombre aus dem witzigen und leichtfertigen
Écumoire unbekannt? W. — Serpentin vert und le mouton sind von
der Gräfin d'Aulnoy. Der Ecumoire (ou Tanzaï et Neardarné, histoire japonoise),
ein Werk des bekannten jüngeren Crebillon, erschien zuerst 1734. S.
Crebillons vorzüglichste Werke. Berl. 1782-1786, 3 Thle. (von Lottich
und Mylius).S 21. Z, 15 Bonzen — Die Anhänger der Religion des Fo, bei
den Chinesen Ho-schang genannt, pflegen die Europäer Bonzen zu nennen,
besonders die Mönche dieser Religionspartei, die von den gebildeten Chinesen
selbst, ihrer Unwissenheit halber, verachtet werden. Mit Indien haben
die Bonzen eigentlich nichts zu thun, Wieland aber gebrauchte Bonzen meist
gleich bedeutend mit asiatischen Pfaffen.Cap. 7.S, 22. Z. 23. Königes Hammel — Die Stelle, auf welche hier
gezielt wird, scheint eine Nachahmung Lucians zu seyn, der uns im zweiten
Theile der Wahren Geschichte eine Abschilderung von dem Ueberflusse machte,
worin die Bewohner Elysiums oder der glückseligen Inseln leben. "Dort
herrscht ein ewiger Frühling (sagt er), die Weinreben tragen des Jahres
zwölfmal reife Trauben, und alle übrige Obstbäume dreizehn Mal. Aus
den Kornähren wachsen statt des Weizens wirkliche Brode, wie die Schwämme,
hervor; Quellen von Wein, Milch, Honig und wohlriechenden Salben ergießen
sich in Menge durch die Auen und Haine; der Ort, wo die Seligen
Tafel halten, ist die angenehmste Wiese, von hohen Bäumen umgeben, unter
deren Schatten sie sich auf Blumen lagern. Die Winde tragen die Speisen
auf und bedienen einen Jeden nach Belieben; nur den Wein schenken
sie nicht ein. Denn rings umher stehen große Bäume vom feinsten Glase,
auf welchen, statt der Früchte, alle Arten von Bechern und Trinkgeschirren
von allerlei Gestalt und Größe wachsen. Ein Jeder, der zu Tische geht,
bricht sich eines oder zwei davon ab, und stellt sie vor sich hin; diese füllen
sich sogleich und so oft er will von sich selbst mit Wein. Indessen, daß die
Seligen essen und trinken, thauen Balsamwolken, eine Art von feinem
Staubregen, auf sie herab; und damit ihnen sogar die Mühe, sich mit Blumen
zu bekränzen, erspart werde, pflücken die Singvögel, die zur Tafelmusik
bestellt sind, mit ihren Schnäbeln die schönsten Blumen auf den nahen
Wiesen und lassen sie, so dicht wie Schnee, auf ihre Köpfe herab fallen." W.S. 24 Z. 4 Prinzessin Trognon — Im goldnen Zweige der
Mad. d'Aulnoy (Vol. II. du Cabinet des Fées.) W.S. 25. Z. 19. Latona — Die Mutter Apollo's und Diana's, mußte
nach der Geburt mit diesem Zwillingspaar vor dem Zorn der Hexe (Juno)
flüchten. An den Gränzen Lyciens, fast vom Durst verzehrt, wollte sie aus
einem Teiche schöpfen, allein ein Haufe Bauern vertrieb sie davon. Da ihre
Bitten vergeblich waren, rief sie drohend: Möchtet ihr ewig in diesem Teiche
leben! Ihr Wunsch ging in Erfüllung, denn sie wurden in Frösche verwandelt.
Bei Ovid (Met. 6, 370) lese man die Schilderung, die hier Wielanden
vorschwebte. Warum Wieland statt der Lycier hier Delier gesetzt hat,
weiß ich nicht.S. 26 Z. 15. Aquavitflasche der Feen — Nachdem die Prinzessin
Babiole eine Zeitlang in den Wolken, wohin sie von der bösen Fanferluche
entführt worden, herum geirret hatte, stürzte sie sich endlich in
einem Anfall von Verzweiflung von der schroffen Spitze einer hohen Wolke
auf die Erde herab, um ihrem Leben und ihrer Qual zugleich ein Ende zu
machen. Allein das Schicksal hatte es anders beschlossen. Sie fiel in die
Flasche, worin die Feen ihren Ratafia an die Sonne zu setzen pflegen; ein
Fläschchen, welches größer und geräumiger ist, als der größte Thurm in
der ganzen Welt. Zu gutem Glücke für die arme Prinzessin war die Flasche
leer, sonst würde sie wie eine Fliege darin ertrunken seyn, sagt die sinnreiche
Verfasserin dieses unnachahmlich ungereimten Mährchens. Babiole
mußte eine geraume Zeit in diesem gläsernen Gefängniß ausharren, wo sie
von Lust und Thau lebte, wie das Chamäleon, und Tag und Nacht von sechs
Riesen und sechs Drachen bewacht wurde, bis es endlich dem Prinzen, ihrem
Vetter und Liebhaber, glückte, sie mit Hülfe einer großen bezauberten Fischgräte
in Freiheit zu setzen. W.Cap. 9.S. 32. Z. 7 Sieste — Mittagsruhe, welche man in Spanien und
Italien in den Stunden, da die Sonnenhitze am größten ist, zu halten
pflegt. W.S. 35 Z. 3, Von altchristlichem Geschlechte — Neue Christen
nennt man in Spanien die Abkömmlinge von den spanischen Mauren und
Juden, welche vor und nach den Zeiten Ferdinands des Katholischen die
christliche Religion angenommen haben; alte Christen diejenigen, die von
den Gothen, welche Spanien vor dem Einfall der Mauren (im J. 714) inne
hatten, abstammen oder abzustammen vorgeben. Von alten Christen geboren
zu seyn, war (wenigstens um die Zeiten da Philipp der Dritte alle seine
maurischen Unterthanen aus Spanien vertrieb) ein Vorzug, worauf ein
Spanier so stolz war, als auf die höchste Ehrenstufe W.S. 36. Z. 7. 8. Dämonion — Dina — Pedrillo ist, bei aller seiner
Belesenheit, dem Fehler unterworfen, in seinen Erzählungen oder Anspielungen,
Begebenheiten, Namen, Oerter und Zeiten ziemlich unter einander
zu mengen. Hier ist, wie man leicht sieht, von Diana und Endymion die
Rede. W.S. 36. 12. Maravedi — Ein Maravedi ist eine Kupfermünze, die
den vier und dreißigsten Theil eines Reals beträgt, welcher der achte Theil
eines Piasters oder spanischen Thalers ist. W.Cap. 10.S. 42. Z. 8. Salamander — Unter den vier Classen der Elementargeister
(deren wirkliches Daseyn, nach dem weisen Paracelsus, etwas
Ausgemachtes ist, wie es denn auch neuerlich durch die Erfahrungen des
berühmten Geistersehers Swedenborg bestätigt ist) nehmen die Salamander
den obersten Platz ein. Sie bewohnen die Sphäre des Feuers und sind
sowohl die schönsten als geistreichsten unter den elementarischen Genien,
sagt der begeisterte Graf von Gabalis, S. les Entretiens sur les Sciences
secrettes par l'Abbé de Villars. W.Cap. 11.S. 50. Z. 12. Alie — Im Hammel des Grafen Anton Hamilton —
Der Graf Antoine d'Hamilton, aus einer schottischen Familie, zu Irland
geboren und gestorben zu St. Germain-en Laye den 21. April 1720, 64
Jahre alt, ist als einer der geistreichsten, unterhaltendsten Schriftsteller bekannt,
und seine Feenmährchen (le Belier, Fleur-d'Epine, les quatre Facardins,
übers. v. Fr. Jacobs) behaupten denselben Ruhm, ungeachtet er sie
nur schrieb, um zu beweisen, daß zu der Dichtung derselben kein sonderliches
Talent gehöre. Da er scherzt, wo die Andern ernst sind, Scherz aber an
seiner rechten Stelle ist; so wollte ihn Wieland hier gewiß nicht tadeln.
Vielmehr findet er sich mit ihm auf einem Wege. Den Freundinnen, die
mehrere Mährchen von ihm verlangten, schrieb er: | En vain je fais l'apologie
Du conte de la nymphe Alie,
Et de la dernière des nuits,
S'il me faut faire autre folie,
Et coudre un nouveau supplément
Au dernier tome de Galland. |
| Je ne connois que trop la honte
De mettre au jour conte sur conte;
Cependant, si vous l'ordonnez,
Je vais, en dépit du scruple,
Suivre les loix, que vous donnez,
Et me livrer au ridicule
Des fatras que j'ai camnéonds. . |
Cap. 12.S. 54. Z. 22 Maria von Agreda — Schwester Maria von Coronel,
nach dem Orte ihres Aufenthalts von Agreda genannt, eine spanische
Nonne, lebte in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts und ist die
Verfasserin eines Lebens der Heiligen Jungfrau, welches ihr (ihrem Vorgeben
nach) diese selbst, mittelst einer langen Reihe von Erscheinungen und
Offenbarungen, in die Feder dictirte. P. Crozet, ein Mönch ihres Ordens,
übersetzte es ins Französische unter dem Titel: La mystique Cité de Dieu,
Miracle de sa Toute-puissance, abyme de la Grace de Dieu Historie divine
de la vie de la très-sainte Vierge Marie, Mère de Dieu, manifestée dans ces
derniers Siècle par la Sainte Vierge à La Soeur Marie de Jesus, Abbesse du
Couvent de l'immaculée Conception de la Ville d'Agrede und kam zu Brüssel im
Jahr 1717 in drei Quart- und acht Octav-Bänden heraus. Zu einer
kleinen Probe von der Stärke der Einbildungskraft dieser spanischen Dame
wird Folgendes hinlänglich seyn. Sobald Maria geboren war, befahl der
Allmächtige den Engeln, dieses holdselige Kind ins Empyreum zu tragen,
um es den Bewohnern desselben als die Königin des Himmels vorzustellen.
Es wurden ihr neunhundert Engel (hundert von jeder der neun Ordnungen
oder Chöre) zur Bedienung angewiesen; zwölf andere wurden dazu bestellt,
ihr in sichtbarer Gestalt auszuwarten; noch achtzehn vom ersten Rang (die
nämlichen, welche Jakob aus der Himmelsleiter auf und nieder steigen sah)
richteten die wechselseitigen Bestellungen zwischen der Königin und dem
Könige des Himmels aus, und der Erzengel Michael wurde zum Oberbefehlshaber
dieses ganzen himmlischen Hof-Etats gesetzt u. s. w.Diese Probe aus einem Werke, weiches im siebzehnten Jahrhundert viel
Aufsehens machte, ist wohl hinreichend, Wielands Erklärung darüber zu
rechtfertigen.Buch 2.Cap. 1.S. 63. S. 12. Derogiren — Von seiner Kraft und seinem Ansehn
benehmen; ein Ausdruck, der von römischen Gesetzen entlehnt ist, wenn von
einem Gesetz etwas abbedungen wurde, wodurch es an der alten Rechtskräftigkeit
verlor.Cap. 2.S. 63. Z. 23. Ostade — Ein berühmter niederländischer Maler, der
im Geiste seiner Schule poetisch im Gemeinen und darin vorzüglich war.S. 65. Z. 9. Der Juno zu geben pflegt — Unser Autor scheint
hier, bloß zum Scherz, auf die gewöhnliche lateinische Uebersezung des Beiworts
βοωπις, welches Homer der Juno zu geben pflegt, anzuspielen; die ehrwürdige
ochsenaugige Juno, geben es die Uebersetzer und setzen dadurch den
unschuldigen Homer dem Tadel der Ungelehrten aus. Nichts kann billiger
seyn, als der kritische Zorn, in welchen Grävius hierüber geräth.
(Lect, Hesiod. ad vers 355. Theogon.) Homer, um die Schönheit und Größe
der Augen der Götterkönigin mit einem Zug anzudeuten, nennt sie
βοωπις, sagt der weise Libanius. Richtig also, und der Absicht Homers,
aber nicht in seiner Manier, angemessen umschreibt Pope die Beiwörter
βοωπις und πστνια, | —— the Goddess of the skies
Roll'd the large orbs of her majestic eyes. | Indessen scheint doch unleugbar zu seyn, daß der Gebrauch dieses Beiwortes
(welches in seiner ältesten Bedeutung ohne allen Zweifel ochsenaugig
hieß), so wie tausend andre Homerische Beiwörter, Redensarten, Gleichnisse
und andre Züge oder Farben, durch das hohe Alter dieses unschätzbaren Dichters
und durch die rohe Einfalt, worin Sitten, Geschmack und Sprache
sich damals noch befanden, am besten gerechtfertiget werde. Kühe und Ochsen
waren in den Homerischen Zeiten sehr ansehnliche und in hohem Werthe gehaltene
Glieder der häuslichen Gesellschaft, wie es die Pferde bei den Arabern
waren und noch sind. Eine Kuh hat unstreitig (mit Erlaubniß der
Madame Dacier) größere Augen als ein Frauenzimmer. Um also eine Dame
mit vorzüglich großen Augen zu bezeichnen, nannte man sie kühäugig. Dieß
Beiwort war nachdrücklich und malend und hatte nichts, was die rohe
Empfindung eines Volkes beleidigte, dessen Begriffe, Lebensart und Sitten
noch so nahe an die natürliche Wildheit gränzten. Man bediente sich also
dessen eben so unbedenklich, als die Türken sich noch jetzt des Beiwortes
hirschaugig in ihrer edelsten Poesie bedienen; und zu Homers Zeiten war es
vermuthlich schon gewöhnlich, daß, sobald man das Wort βοωπις hörte, man
sich augenblicklich schöne große Augen dachte, ohne an die Abstammung des
Wortes zu denken, welche durch Erweckung eines unedeln Nebenbegriffs
dem Begriffe von Majestät, den Homer in uns erwecken will, hätte schaden
können. W. — Ob rohe Einfalt der Grund zu solchen malenden Beiwörtern
bei Homer sey, oder größere Naturgemäßheit, wäre wohl die Frage.
Gewiß ist, daß man den Homer dabei als Asiaten betrachten muß.S. 66 Z. 17. Cypassis — Name eines Kammermädchens der Geliebten
des Ovidius, welche in den Augen dieses leichtsinnigen Liebhabers
reizend genug war. ihn ihrer Gebieterin zuweilen ungetreu zu machen. Er
rühmt sie wegen ihrer Geschicklichkeit, die Haarlocken seiner Dame auf tausendfache
Manier zu schmücken: | Ponendis in mille modis perfecta capillis,
Comere sed solas digna, Cypassi, deas. W. |
Cap. 4.S. 76. Z. 20. Migonnet — Migonnet hieß der Gemahl, welchen
die Feen der Prinzessin Weißkätzchen zum Gemahl bestimmten, ehe sie durch
die Verwandlung in eine weiße Katze für ihren Ungehorsam bestraft worden
war. Dieser König Migonnet hatte für einen Liebhaber, der sich anmaßt
zu gefallen, eine seltsame Figur. "Niemals (sagt Madame d'Aulnoy, seine
Schöpferin), seitdem es Zwerge gibt, hatte man einen so kleinen gesehen.
Sein königlicher Mantel war nur eine Elle lang und schleppte doch um
mehr als den dritten Theil auf dem Boden nach. Er hatte Adlersfüße, weil
er aber keinen Knochen in den Beinen hatte, so mußte er auf den Knien
fortrutschen. Sein Kopf war so groß wie ein Scheffelmaß, und seine Nase
von einem so ansehnlichen Schnitt, daß er ein halb Duzend Vögel darauf
zu tragen pflegte, an deren Gesang er sich belustigte. Seine Ohren ragten
eine Spanne lang über den Kopf empor, und sein Bart war so lang und
dicht, daß Canarienvögel darin nisteten." W.Cap. 5.S. 81. Z. 2. Gusman — Auch hierbei muß man sich an einen in
jener Zeit bekannten Roman erinnern, an den Gusman von Alfarache des
Le Sage (geb. 1677, gest. 1747), der es ebenfalls versuchte, dem Cervantes
nachzustreben.Cap. 6.S, 84. Z, 16. Prinzessin Laidronette — Im grünen Serpentin
der Gräfin d'Aulnoy.Buch 3.Cap. 1.S. 100. Z. 19. Isidor — Pedrillo hatte wahrscheinlich von seinen
Knabenjahren her noch eine verworrene Erinnerung von dem Abenteuer,
das dem Helden der Aeneis mit dem Schatten des ermordeten trojanischen
Prinzen Polydorus begegnet; sein nicht allzu getreues Gedächtniß vermengte
den trojanischen Aeneas mit dem Papst Pius II., welcher vorher den Namen
Aeneas Sylvius führte; die übrigen Verfälschungen der Umstände mischte
seine aus den Ritterbüchern mit dergleichen Wunderdingen angefüllte Einbildung
hinein W.Cap. 2.S. 104. Z. 1. Tiresias — Ein berühmter Wahrsager von Theben,
von dem erzählt wird, daß er durch ein Wunder in ein Weib und dann
wieder in einen Mann verwandelt wurde. Deßhalb wählten ihn Jupiter und
Juno bei einem Streit über ein gewisses Naturgeheimniß, worüber man
nur nach solchen Verwandlungen entscheiden kann, zum Schiedsrichter. Da
er zum Unglück nicht für Juno entschied, so strafte ihn diese mit Blindheit.S. 105 Z. 24, 25, Es kann eine Gabe seyn, womit mich
eine Fee beschenkt hat — Don Sylvio würde vielleicht noch dreister
gesprochener haben, wenn der große Geisterseher Swedenborg zu seiner Zeit
schon bekannt gewesen wäre. In der That, warum sollte sein Innerstes
nicht eben sowohl haben ausgeschlossen werden können, als Swedenborgs
seines? Indessen scheint uns doch Don Sylvio darin bescheidener, daß er,
anstatt, wie dieser erstaunliche Mann, seinen Wahnsinn der göttlichen Barmherzigkeit
zuzuschreiben, seine vermuthliche Gabe, Geister zu sehen, nur für
sein Pathengeschenk von einer Fee hält.Cap. 3.S. 116 Z. 5. Dilemmen — Die Logiker nennen eine Art von
Schlüssen, wodurch man gemachte Behauptungen zu widerlegen sucht, indem
man zeigt, sie führen in jener Hinsicht zu ungereimten Folgen und
seyen eben deßhalb selbst ungereimt, Dilemma.Cap. 4.S. 120. Z. 7. Gnomen — Gewöhnlicher Weise werden die Gnomen
(Erdgeister, Bergmännchen u. s. w.) als ziemlich häßliche Zwerge vorgestellt.
Aber, wenn wir dem Grafen von Gabalis, der die Elementargeister
sehr genau kannte, glauben, so geschieht ihnen hierin großes Unrecht; wenigstens
den Gnomiden, ihren Weibern. "Die Gnomen, sagt er, sind
sinnreich, Freunde der Menschen und lassen sich leicht regieren. Die Gnomiden,
ihre Weiber, sind klein, aber ungemein artig, und in ihrer Art sich
zu kleiden haben sie einen ganz besondern Geschmack." Memoir. du Comte
de Gabalis, Tom, I. p. 28. W.Cap. 5.S. 128. Z. 17. Kleinern Republicanern — Der Herausgeber
dieser Geschichte hatte, als sie zum erten Mal im Druck erschien, die Ehre,
in einer ziemlich kleinen Republik zu leben, welches zu besserem Verständnis
dieses ganzen Capitels bemerkt werden mußte. W.Cap. 6.S. 136. Z. 19. Wenn man so etwas anschaue —Nämlich, weil
die Göttin Flora unbekleidet vorgestellt war. Der Herr Pfarrer hatte nämlich
entweder den Verstand nicht, zu wissen, daß ein sehr wesentlicher Unterschied
zwischen nackenden oder wenig bekleideten und zwischen leichtfertigen
und ärgerlichen Figuren ist; oder er affectirte aus Scheinheiligkeit es nicht
zu wissen. Es wäre denn, daß man zu seiner Rechtfertigung sagen wollte,
daß sich dieses Stück seiner Sittenlehre bloß auf den großen Haufen des
Volkes beziehe, dessen Rohheit und durch die Erziehung wenig geordneter
Instinct allerdings nöthig macht, daß man ihnen den moralischen Zügel
stärker anziehe. W.Cap. 8.S. 157. Z. 18. Regenbogenschüsseln — Eine Anspielung auf
den Aberglauben des gemeinen Volks, daß aus jedem Regenbogen ein Schüsselchen
vom feinsten Golde herunter falle, welches seinen Besitzer reich und
glücklich mache. W.Cap. 9.S. 162. Z. 4. Johann Baptist — Johannes der Täufer, als ein
lieblicher Knabe von mehreren italienischen Meistern, namentlich Raphael,
mit der Madonna und dem Christuskinde dargestellt.Cap. 10.S. 159. Z, 24. Sappho — Die gefeierte Dichterin aus Mitylene
auf der Insel Lesbos, deren Ruhm und tragisches Schicksal neuerdings durch
Grillparzers Tragödie in Aller Munde sind. — —Corinna war ebenfalls
eine griechische Dichterin, Freundin und Lehrerin des erhabenen Pindar,
dem sie sogar in mehreren poetischen Wettstreiten soll obgesiegt haben.S. 172. Z. 4. Avicenna — Eigentlich Ebn Sina, einer der berühmtesten
Aerzte und Philosophen aus der arabischen Schule, im 11. Jahrhundert
nach Christus, ein Mann von vielumfassender Gelehrsamkeit. Wenn
Avicenna, was ihn Wieland sagen läßt, nicht wirklich gesagt hat; so hätte
er es doch als Philosoph, der zugleich Arzt war, wohl sagen können. Der
Pater Escobar hatte vielleicht andere Gründe dazu. Anton de Escobar y
Mendoza sammelte sein moralisch-casuistisches Werk aus den Werken von
24 andern Jesuiten. Ungeachtet er aber auch ein heroisches Gedicht auf die
unbefleckte Empfängniß der Mutter Gottes geschrieben hatte, fand doch Papst
Innocenz XI. nöthig, seine unsittlichen Lehren einer Censur zu unterwerfen.S. 175, Z. 10 Asträa — S. Band III. S. 302, f.Cap. 11.S. 175. Z. 1. Thomas Sanchez — S. Band lIl, S. 299.Buch. 4.Cap. 1.S. 147, Z. 10. René Descartes (Cartesius; dessen Anhänger Cartensianer)
— ein berühmter Philosoph des siebzehnten Jahrhunderts (gest.
1650), hatte sich zum Grundsatz gemacht, an Allem zu zweifeln, um die
Wahrheit desto sicherer zu entdecken. Da er in dem allgemeinen Zweifel doch
eines sichern Haltes bedurfte, so nahm er es als einen unumstößlichen Grundsatz
an: Ich denke, also bin ich. (Cogito, ergo sum.)S. 187. Z. 16. Syllogismus — Schluß.S. 188. Z. 9. Dualisten — Crusianer — Namen verschiedener
philosophischer Parteien. Man vergesse nicht, daß dieß vor mehr als dreißig
Jahren geschrieben wurde und also keine Satire auf die deutschen Metaphysiker
des Jahres 1795 seyn kann. W. — Noch weniger also der Metaphysiker,
oder welchen Namen sie sonst führen, des neunzehnten Jahrhunderts.
W.S. 188 Z. 24. Jura stolae — Gerechtsame, die zu den Einkünften
eines Predigers gehören.S. 189. Z. 12. Intellectus agens unb pations — Aritoteles unterschied
einen leidenden Verstand (intellectus patiens, passivus und einen
thätigen (int. agens), ziemlich so, wie wir Verstand und Vernunft unterscheiden.
Seit dem arabischen Philosophen Averroes ist dem Aristoteles vielerlei
dabei untergeschoben worden, worüber, wer Lust hat. Tiedemanns
Geist der speculativen Philosophie Bd. 2. und 4. nachlesen kann.Cap. 2.S. 193. Z. 27. Corregidor — Ist in Spanien und Portugal ein
Polizeirichter in zweiter Instanz.S. 114 Z. 2. Und in der That — dächten — Alexander der
Große pflegte zu sagen: an zwei Bedürfnissen erkenn' er, daß er nur ein
Sterblicher sey, am Schlaf und an der Neigung zum andern Geschlechte.
Wenn es ihm gefällig gewesen wäre, hätte er, außer dem demüthigenden
Bedürfnisse, wovon Pedrillo spricht, noch an zwanzig andern Dingen merken
können, daß es mit seiner anmaßlichen Gottheit nicht gar richtig
stehe. W.S. 201. Z. 24. Euclides — Einer der berühmtesten Mathematiker
Griechenlands, dessen Werk noch jetzt als Grundlage gilt.Cap. 6.S. 224, Z. 22. Schlüsse in Festino und Barocco — Die Bildung
der Schlüsse hatten die alten Logiker in gewisse Formen gebracht, und
bedienten sich bei Versetzungen der Begriffe oder Sätze in denselben gewisser
Buchstaben. Daraus entstanden eigene Kunstwörter für die schwerbeladene
Logik, und zu diesen Kunstwörtern gehören auch Festino und Barocco, die
sonst keine Bedeutung haben.Cap. 8.S. 238. Z. 23. Achates — Ein Trojaner, der treue Begleiter des
Aeneas, ist aus Virgils Aeneis bekannt.
|